FEINDBILD EMANZIPATION - ANTIFEMINISMUS AN DER HOCHSCHULE - ASTA FRANKFURT

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Feindbild
Emanzipation
Antifeminismus an der Hochschule

               1
Editorial
Liebe Leser*innen,

in euren Händen haltet ihr die neueste Publikation
des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der
Uni Frankfurt, welche sich dem Thema Antifeminis-
mus und Hochschule widmet. Nach der positiven
Rückmeldung auf die Veröffentlichung des Readers
»Autoritär, Elitär, Reaktionär: Studentenverbindun-
gen, Burschenschaften und ›Neue Rechte‹« im Januar
2018, sahen wir uns als Redaktion dazu ermutigt,
weiterhin zur Förderung eines antifaschistischen
Bewusstseins in der Studierendenschaft und Gesell-
schaft beizutragen. Angesichts der zunehmenden poli-
tischen Erfolge reaktionärer Kräfte in Deutschland,
Europa und international erachten wir ein solches
Bewusstsein und sich daraus ableitende politische
Aktivitäten für eine absolute Notwendigkeit. Mit der
vorliegenden Publikation wollen wir vor allem die Aus-
einandersetzung mit reaktionärer Geschlechterpolitik

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forcieren und deren zentrale Bedeutung für (extrem)
rechte Bewegungen unterstreichen.

Während in Ungarn nach einem jahrelangen Prozess
der autoritären Umwälzung des Staates die Fachrich-
tung Gender Studies an Hochschulen nun gänzlich
abgeschafft wird, kann die AfD dies in Deutschland
ihren WählerInnen bisher nur in Wahlprogrammen
versprechen. Mit dem Einzug der AfD in den hessi-
schen Landtag im Oktober 2018 sitzt dort nun eine
Partei, die die Freiheit von Forschung und Lehre zer-
schlagen möchte. So fordert sie nicht nur die Abschaf-
fung der Gender Studies, sondern würde am liebsten
jegliche Forschung und Lehre unterbinden, welche
ihren ideologischen Vorstellungen widerspricht. Diese
Intention stellten auch Mitglieder der AfD-Jugendor-
ganisation Junge Alternative unter Beweis, als sie im
Januar 2017 Flugblätter an der Goethe-Universität
Frankfurt verteilten, in denen sie zur Denunzierung
von ihnen politisch missliebigen Lehrenden aufriefen.
In den kommenden Jahren ist womöglich mit deutlich
schwerwiegenderen Angriffen zu rechnen, allen voran
auf feministische Errungenschaften in Forschung,
Lehre und Universitätsalltag.
Derzeitige autoritäre Formierungen in der Hoch-
    schulpolitik können allerdings nur verstanden werden,
    wenn sie im Kontext des sich ausbreitenden reaktio-
    nären Zeitgeistes verortet werden. Angesichts gesell-
    schaftlicher Umbrüche im Zuge von Veränderungen
    im kapitalistischen Akkumulationsprozess wird das
    politische Angebot einer »Rückkehr« zu vermeint-
    lich »natürlichen« Lebensweisen für viele Menschen
    immer attraktiver. Hierdurch werden Kategorisie-
    rungs- und Hierarchisierungsprozesse innerhalb der
    Gesellschaft hinsichtlich Geschlecht, »Rasse« und
    Klasse (engl.: gender, race & class) zu vermeintlich von
    der Natur vorgegebenen Ordnungen deklariert, um
    sie so jeder Form von öffentlicher Diskussion, Kritik
    und demokratischer Kontrolle zu entziehen. Beispiele
    hierfür finden sich in den letzten Jahren zur Genüge.
    So fanden im Rahmen der sogenannten »Demo für
    Alle« christliche und extreme Rechte zueinander,
    um eine vermeintlich »von Gott«, beziehungsweise

2
    »der Natur«, vorgegebene patriarchale, heterosexu-
    elle Familienordnung zu verteidigen. Ärzt*innen wie
    Kristina Hänel werden auf Betreiben von christlichen
    FundamentalistInnen angeklagt und verurteilt, ledig-
    lich weil sie ihren Patientinnen* Informationen über
    Schwangerschaftsabbrüche zur Verfügung stellen.
    Die repressiven Strafrechtsparagraphen 218 und 219
    zeigen, dass die körperliche Selbstbestimmung von
    Frauen* in der Bundesrepublik noch immer gefürch-
    tet und bekämpft wird.

    Um in Zeiten dieses reaktionären Aufwindes kritische
    Perspektiven auf die Entwicklungen in der Gesell-
    schaft und an den Hochschulen zu eröffnen, konnten
    wir einige Wissenschaftler*innen, Journalist*innen
    und Mitstreiter*innen für Beiträge gewinnen. Bei
    ihnen möchten wir uns ganz herzlich für die wichtige
    Arbeit bedanken, die es bedeutet, sich ausführlich
    mit reaktionären Kräften auseinanderzusetzen, zu
    recherchieren und zu analysieren. In dem Reader fin-
    den sich eigens für diese Publikation verfasste Texte,
    (überarbeitete) Reprints von bereits veröffentlichten
    Beiträgen und von uns geführte Interviews.
Der erste Abschnitt in diesem Reader beschäftigt
sich mit Fragen der theoretischen Einordnung und
allgemeinen Analyse des Antifeminismus. Der zweite
Abschnitt widmet sich Akteuren, Diskursen und aktu-
ellen Entwicklungen des Antifeminismus in der deut-
schen Hochschullandschaft. Dabei spielen Angriffe
auf Gender Studies und Gleichstellungspolitiken eine
zentrale Rolle. Einige Artikel nehmen außerdem anti-
feministische Stimmen und Anknüpfungspunkte in
verschiedenen akademischen Disziplinen und Fächer-
diskursen in den Blick. Und schließlich werden auch
Akteure betrachtet, die über Forschung und Lehre
hinaus am Campus (politisch) aktiv sind.

Zuletzt finden sich im dritten Abschnitt Beiträge und
Interviews, die sich mit möglichen Gegenstrategien
gegen die antifeministische Reaktion an der Uni aus-
einandersetzen und nach Inspiration im Ringen um
eine emanzipatorische Zukunft suchen. Hier werden

                                                        3
verschiedene Politiken vorgestellt und Perspektiven
auf mögliche Praktiken im Hochschulleben, am Cam-
pus und im Studium entwickelt. Wir haben euch zum
Schluss ein antifeministisches Namensregister und
eine Liste mit Empfehlungen zur weitergehenden
Lektüre zusammengestellt.

Wir bedanken uns an dieser Stelle noch einmal herz-
lichst bei allen Autor*innen und Interviewpartner*in-
nen und wünschen euch beim Lesen viel Freude!

Euer Redaktionsteam
2   Editorial

                         4   Inhaltsverzeichnis

                         6	
                           I Antifeminismus.
Inhaltsverzeichnis           Einführung in
                             eine Problematik.
                         8	Antifeminismus in
                            Deutschland
                             Einführung und Einordnung
                             des Phänomens
                             Juliane Lang, Ulrich Peters

                         16	Der Feind meines
                             Feindes ist mein Freund
                             Antifeminismus als Schnittstelle
                             zwischen konservativer
                             und extremer Rechter
                             Tanja Gäbelein

                         22	Von Antifeminismus
                             zu »Anti-Genderismus«?
                             Eine diskursive Verschiebung
                             und ihre Hintergründe
                             Sebastian Scheele

                     4
II Antifeminismus
28	                                   70 	III Gegenstrategien.
    an der Hochschule.                     Antifeminismus
    Akteure, Diskurse,                     an der Hochschule
    Entwicklungen.                         bekämpfen.
30	Die Freiheit der Wissen-           72	Extrem rechte
    schaft und ihre Feinde                 Geschlechterpolitiken als
    Angriffe auf die                       Herausforderung für
    Geschlechterforschung                  geschlechterreflektierte
    bringen alle Sozial- und
    Geisteswissenschaften
                                           Pädagogik
    in Gefahr                              Olaf Stuve
    Manfred Köhnen
                                       76	Pro-Choice im Medizinstudium
                                           Interview mit der Arbeitsgruppe
38	Vom Naturalismus
                                           »Medical Students for Choice«
    zur Religion
    Über die antigenderistische
    Radikalisierung                    80	Progressive Welle
    des Ulrich Kutschera                   Die feministische
    Floris Biskamp                         Bewegung fordert Chiles Gesellschaft
                                           heraus
44	»Lebensschutz«                         Friederike Winterstein
    statt körperliche
    Selbstbestimmung                   84	Blame the System,
    Interview mit Ulli Jentsch             not the Victim!
                                           Sexismus auf dem Campus
    und Eike Sanders
                                           fantifa.frankfurt
50	Rückwärtsgewandte
    Forschung                          86	Der Gleichstellungsrat
    und Lehre in Gießen                    des Fachbereichs
    Christlich-fundamentale, extreme       Gesellschaftswissenschaften
    Rechte und die FTH Gießen              stellt sich vor
    Sebastian Hell                         Gleichstellungsrat FB03

54	Antifeminismus in                  88	Antifeministisches
    der Hochschulpolitik                   Namensregister
    Hochschulpolitische Gruppen und
    antifeministische Ressentiments    91	Weiterlesen zum Thema
    Lucius Teidelbaum                      Antifeminismus

60	»Vergemeinschaftet
    durch das Abverlangen
    von Standhalten
    und Beherrschung.«
    Männerbund, Mensur
    und Antifeminismus
    bei deutschnationalen
    Burschenschaften
    Judith Goetz

66	»Pick-Up-Artists«
    im öffentlichen Raum

                                                                     5
    – whose streets…?
    Beobachtung eines sexistischen
    Gesellschaftsphänomens
    fantifa.frankfurt
I Antifeminismus.
Einführung in eine
Problematik.

6
7
Antifeminismus in
                          Deutschland
                          Einführung und Einordnung
                          des Phänomens

                          Juliane Lang, Ulrich Peters

                                                                                                        8
Antifeministische Inhalte und Argumentations-       es vermeintlich überhistorisch, milieu- und

                                                                                                                                                   Wir danken Sebastian Scheele für
                                                                                                        wertvolle Anmerkungen zu diesem Beitrag.
muster finden sich in trauter Regelmäßigkeit in     kulturübergreifend schon immer der »Natur
gesellschaftlichen Debatten um die Ordnung der      der Dinge« entsprochen habe. Dass Geschlech-
Geschlechter im 21. Jahrhundert. Geschlech-         terverhältnisse nie »naturgegeben«, sondern
terkonservative Akteure unterschiedlicher           immer Ergebnis sozialer Aushandlung waren,
politischer Gruppierungen erfinden einen »Gen-      wird von den Protagonist/innen zurückgewie-
der-Wahn« und eine angeblich dahinter stehende      sen – um die sozialromantische Erzählung eines
Ideologie. Sie instrumentalisieren gesamtge-        in sich harmonischen Friedens zwischen den
sellschaftlich geführte Debatten um geschlech-      Geschlechtern zu verbreiten, der durch moderne
ter- und gleichstellungspolitische Inhalte für      Dekadenzen in Form feministischer Politiken der
polemische Angriffe und lancieren Kampagnen.        Vielfalt geschlechtlicher, sexueller und familia-
Es sind Themen rund um geschlechterpolitische       ler Lebensweisen zerstört würde. Es lohnt der
Liberalisierungen einst konservativ eng gefasster   Blick zurück, um festzustellen, dass die Rede von
Geschlechter- und Sexualitätsdispositive. Und       einer angeblichen »Genderisierung« westlicher
es ist die Ablehnung eines als omnipotent und       Gesellschaften ihre Wurzeln in gesellschaftli-
machtvoll verstandenen Feminismus, der extrem       chen Debatten der vergangenen zehn bis zwanzig
Rechte zusammen bringt mit verbrämten Kon-          Jahre hat. Ein Wiedererstarken fundamentalis-
servativen, enttäuschte Sozialdemokrat_innen        tischer Strömungen innerhalb der Amtskirchen,
mit frustrierten Scheidungsvätern, christliche      Debatten um Scheidungsväter und männliche
Fundamentalist/innen mit Gewaltfetischist/          Bildungsverlierer, zunehmende Hetze gegen
innen und Hooligans.1                               frauenpolitische Themen und Frauenförderung
                                                    in unterschiedlichen politischen Spektren: Dies
Was sie eint ist die Vorstellung einer machtvol-    alles ist Ausdruck, Produkt und Motivation eines
len »Femi-« oder gar »Homolobby«, die ihnen         sich manifestierenden organisierten Antifemi-
verbieten wolle, ihr Leben so zu gestalten, wie     nismus um die Jahrtausendwende.
Alte Muster – neue Feindbilder                       »Frauen und Männer seien gleich an Rech-
                                                         ten und doch von Natur aus grundsätzlich,
    Der Antifeminismus als Abgrenzung zu femi-           wesenhaft, offensichtlich ontologisch verschie-
    nistischer Theorie und Praxis hingegen ist so alt    den. Und genau dieser ontologisch verbürgten
    wie der Feminismus selbst. Essays, mit denen         Differenz müsse der Feminismus Rechnung
    die Feministin Hedwig Dohm zu Beginn des             tragen.«6
    20. Jahrhunderts auf Angriffe gegen die Frau-
    enemanzipation reagiert, zeigen frappierende        Derartige Positionen unterscheiden sich von
    Parallelen zu heutigen Debatten um Geschlech-       klassisch differenzfeministischen Positio-
    terpolitiken. Wenn Dohm davon schreibt, wie         nen in einer vom modernen Antifeminismus
                                                        behaupteten Wesenhaftigkeit von Geschlecht
     »unentwegt wiederholte Behauptungen (...) bei-     – und sind sich zugleich einig mit diesen in
     nah wie die Riesenreklamen für irgendein Mit-      der Ablehnung geschlechterdekonstruktiver
     tel, die uns in großen Städten oft jahrelang von   Ansätze zugunsten eines Feminismus, der ein-
     allen Mauern, Säulen, Zäunen entgegengrinsen       zig und allein das Subjekt »Frau« kennt. Genau
     [wirken], bis sie uns förmlich hypnotisieren       jene Gefahr, die angeblich naturgegebene Ver-
     und – fast gegen unsern Willen – kaufen wir«2,     schiedenheit von Männern und Frauen, von
                                                        Männlichkeit und Weiblichkeit in ihrer Abso-
    so beschreibt dies ebenso heutige Auseinander-      lutheit in Frage zu stellen, manifestiert sich
    setzungen um Behauptungen, ein angeblicher          im selbsternannten »Anti-Genderismus«, der
    »Gender-Wahnsinn« bedrohe die Gesellschaft.         aktuellen Spielart des Antifeminismus, zum
    Weiter heißt es bei Dohm:                           Kern der Argumentation.

     »Im wesentlichen besteht ihre Beweisführung         »›Der Feminismus‹ ist für viele ein Feindbild
     – wenn wir von gelegentlichen ethischen und         – unabhängig davon, wie sehr Feminist_innen
     ästhetischen Gefühlsschaudern absehen – in          immer wieder die Unterschiedlichkeit der Femi-
     Behauptungen. Und immer behaupten sie das-          nismen betonen und darauf hinweisen, dass der
     selbe – dasselbe. Der Tropfen höhlt den Stein,      kleinste gemeinsame Nenner dieser Feminismen
     wieviel mehr das weiche Menschenhirn.«3             doch die Freiheit aller Menschen sei, ihr Leben
                                                         nach den eigenen Wünschen zu gestalten.«
    Auch hier fallen die Parallelen zur Strategie
    organisiert antifeministischer Akteure ins Auge:    schreibt die Journalistin Margret Karsch7 – und
    über stete Behauptungen dessen, wofür »Gen-         benennt hierbei sowohl den ursprünglichen
    der« stehe, werden Diskurse geprägt.                Anti-Feminismus als auch die moderne Vari-
                                                        ante des Antifeminismus, der sich gegen die
    Doch ebenso wie sich feministische Theorie          Ablehnung geschlechtlicher Vielfalt wendet.
    und Praxis weiterentwickelte – in Abgrenzung        Auch wir charakterisierten den modernen
    zu antifeministischer Rhetorik wie unabhängig       Antifeminismus bereits an anderer Stelle als
    davon4, verschoben sich auch Teile antifeminis-     Akteurskonstellation, die sich
    tischer Argumentationsmuster und Feindbil-
    der. Paula-Irene Villa und Sabine Hark stellen       »in organisierter Form – in expliziter Geg-
    heraus, dass sich der moderne Antifeminismus         nerschaft zu einem von ihnen als omnipotent
                                                         beschriebenen Feminismus positionier[t]
     »im Unterschied zu den historischen Vorläufern      und/ oder sich in Diskussionen um familien-,
     des Anti-Feminismus in erster Linie eben nicht      geschlechter- und sexualitätsbezogene Themen
     als generelle Anfechtung von Feminismus und         heteronormativ gegen die Auspluralisierung
     der Idee der Gleichheit präsentiert«5.              sexueller, geschlechtlicher und familialer
                                                         Lebensformen und eine damit einhergehende

9
    Beide Autorinnen beziehen sich hierbei expli-        Anerkennung derselben in ihrer Vielfalt
    zit auf rechte Populistinnen wie Birgit Kelle,       stell[t]«8.
    Gabriele Kuby oder Frauke Petry, die nicht die
    Forderung aufstellen, Frauen »zurück an den         Antifeminismus beschränkt sich damit nicht
    Herd zu schicken« sondern sagen,                    allein auf die verbal-radikale Distanzierung von
                                                        »dem Feminismus«, im klassischen Verständnis
eines Anti-Feminismus. Es handelt sich um           sogenannte »Wissenschaftlichkeitswächter«12,

                                                                                                        war eine der letzten großen Errungenschaften feministischer Politik – auf
keine in sich geschlossene Ideologie, sondern       der »christliche Fundamentalismus«, »explizit
ein ideologisches Versatzstück unterschiedli-       antifeministische Akteur_innen« und »rechte

                                                                                                        Die Abschaffung der Straffreiheit von Vergewaltigung in der Ehe 1997
cher Akteure mit jeweils eigenen weltanschau-       Organisationen«. Nicht explizit benannt sind
lichen Verhaftungen. Er richtet sich                christlich-konservative Akteure, die sich weder
                                                    in der Gruppe der »journalistischen Gen-
 »gegen jene Theorien und deren Vertreter_          der-Gegner_innen« wiederfinden, noch unter
 innen, die für eine Gleichstellung der beiden      rechten Organisationen subsumieren lassen.
 Geschlechter eintreten bzw. diese und darauf       Zudem lässt sich insbesondere die Gruppe
 beruhende vertraute Weltbilder und Gewohn-         der »rechten Organisationen« vor dem Hin-
 heiten in Frage stellen«9.                         tergrund der enormen Entwicklungen der letz-
                                                    ten Jahre präziser ausdifferenzieren, etwa in ein
Für ein analytisches Verständnis des Phäno-         völkisch-neonazistisches Milieu, ein neurech-

                                                                                                        die über Jahrzehnte hinweg hingearbeitet worden war.
mens »Anti-Genderismus« als moderne Spiel-          tes-diskursorientiertes Milieu und einen par-
art des Antifeminismus lohnt es, auf die ihm        lamentsorientierten Rechtspopulismus. Hinzu
zugrunde liegenden Begründungszusammen-             kommen explizite Netzwerkprojekte, bei denen
hänge zu blicken. Wenn Hedwig Dohm bereits          mehrere der benannten Akteursgruppen punk-
für den Antifeminismus der Jahrhundertwende         tuell und in einem in der Regel abgrenzbaren
festhielt, es handele sich um jene,                 zeitlichen und thematischen Rahmen gemein-
                                                    sam agieren, wie am Beispiel der sogenannten
 »die den Gedankeninhalt vergangener Jahr-          Demo für alle zu sehen ist13.
 hunderte für alle Ewigkeit festzuhalten für ihre
 Pflicht erachten. Zum eisernen Bestand ihrer       Die Abschaffung der Straffreiheit von Verge-
 Argumentation gehört der liebe Gott und die        waltigung in der Ehe 1997 war eine der letzten
 Naturgesetze.«10,                                  großen Errungenschaften feministischer Poli-
                                                    tik – auf die über Jahrzehnte hinweg hingear-
so haben sich auch hier Begründungsmomente          beitet worden war. Antifeministische Reflexe
erweitert.                                          in Reaktion hierauf schienen zu schlummern
                                                    und auf ein Ventil zur Artikulation zu warten.
Diese werden heute etwa in einer göttlichen         Einen ersten Aufschlag machte der einstige
Ordnung, einem essentialisierenden Biolo-           Spiegel-Redakteur Matthias Matussek 1998 mit
gismus oder einer volksgemeinschaftlichen           seinem Buch Die vaterlose Gesellschaft:
Ordnung der Gesellschaft gesucht. Einig sind
sich die Akteure in ihrer Ablehnung liberaler        »Erst wenn erkannt wird, daß Väter für die
Geschlechterpolitiken und dem von ihnen als          Erziehung von Kindern genauso wichtig sind
Feindbild besetzten Begriff »Gender«.                wie Mütter, und daß die vaterlose Gesellschaft
                                                     ein reales Katastrophenszenario ist, wird es
                                                     eine neue Gemeinsamkeit geben. Wenn sich
Akteurskonstellation im                              herumgesprochen hat, daß die Ausgrenzung
organisierten Antifeminismus                         von Vätern Gewalt an Kindern bedeutet. Und
                                                     wenn insgesamt die Herabwürdigung von Män-
Antifeminismus ist damit kein einheitliches          nern genauso sozial geächtet wird wie die von
politisches Projekt: viel mehr wird er vom orga-     Frauen.«14
nisierten Antifeminismus zu diesem gemacht.
Die einzelnen Spektren und Akteursgruppen           Derartige Beiträge brachten Debatten, wel-
sind dabei nicht in eins zu setzen, verfügen        che die Soziologin Susan Faludi bereits 1991
jedoch nicht zufällig über personelle Schnitt-      in ihrem Buch Backlash. Die Männer schlagen
mengen. Regina Frey und andere11 benen-             zurück für den US-amerikanischen Kontext
nen prinzipiell fünf Akteursgruppen, die in         beschrieb, nun auch nach Deutschland.15 Debat-
ihren antifeministisch-motivierten Angriffen        ten um die »Bildungsverlierer Jungen«16 gossen

                                                                                                        10
gegen »Gender« und die emanzipatorische             zu Beginn des Jahrtausends Öl in die Feuer
Geschlechter- und Gleichstellungspolitik            neuer antifeministischer Akteure: 2001 ging ein
in Gänze gemeinsam diskursprägend sind:             Vorläufer des maskulistischen Forums Wieviel
eine »journalistische Gender-Gegnerschaft«,         Gleichberechtigung verträgt das Land (wgvdl) ans
11
     Netz. 2004 gründete sich der Verein MANN-          veröffentlichte am 20. Juni 2006 einen Arti-
     dat, der von einer (strukturell verantworteten     kel unter dem Titel Gender Mainstreaming.
     und gewollten) »bildungspolitischen Benach-        Die politische Geschlechtsumwandlung. Er griff
     teiligung von Jungen als Frauenfördermittel«17     dabei fast alles vorweg, was der Geschlech-
     spricht – und so das schlechtere Abschneiden       terpolitik, der Geschlechterpädagogik sowie
     von Jungen bei Bildungsstudien zum Lesever-        den Geschlechterstudien in den Folgejahren
     ständnis deutscher Jugendlicher beklagte. Was      vorgeworfen werden sollte:
     die Debatte durchzog war die Rede von einer
     feministisch dominierten, männerfeindlichen         »Das Ziel greift hoch hinaus: Es will nicht
     Gesellschaft. Gemeinsamkeiten mit heutigen          weniger als den neuen Menschen schaffen,
     antifeministischen Argumentationen finden           und zwar durch die Zerstörung der ›traditi-
     sich in Behauptungen, wofür Feminismus              onellen Geschlechtsrollen’. Schon aus diesem
     angeblich stehe. Die Argumentation schuf ein        Grunde muß das als Zwangsbegriff verneinte
     Narrativ des Feminismus als männerfeind-            ›Geschlecht’ durch ›Gender’ ersetzt werden.
     liches Projekt – und die Männer als kollek-         Und möglichst schon in der Krippenerziehung
     tive Opfergruppe aus dem Ruder gelaufener           soll mit der geistigen Geschlechtsumwandlung
     Feminist_innen.                                     begonnen werden.«21

                                                        Der Vorwurf einer ideologiegeleiteten Inter-
     Antifeminismus                                     essenpolitik einer als homosexuell benannten
     als Netzwerkprojekt                                Minderheit war im Raum – und die Geschlech-
                                                        tergleichstellungspolitik hatte sich fortan dazu
     In zeitlicher Parallelität hierzu waren es evan-   zu verhalten. In den Tagen und Wochen später
     gelikale und pietistische Kreise, die vermehrt     folgten Angriffe gegen Gender und Gender
     die eigene Sichtbarkeit und Teilhabe an gesell-    Mainstreaming sowohl in bürgerlichen Blättern
     schaftlichen Debatten einforderten18. Mit ihrem    wie dem Spiegel als auch in rechten und extrem
     Kernanliegen, der Verhinderung der Möglich-        rechten Publikationen wie der Jungen Freiheit
     keit straffreier Schwangerschaftsabbrüche,         und der Deutschen Stimme.
     suchten sie öffentlich den Schulterschluss mit
     konservativen Parteien und Politiker_innen         Der Artikel Zastrows muss damit als diskurs-
     sowie Einflussnahme auf gesetzgeberische Ver-      mächtiges Ereignis gesehen werden, der eine
     fahren und die Praxis von Beratungseinrichtun-     erste Welle antifeministischer Angriffe gegen
     gen und medizinischen Anlaufstellen.               Gender und eine an geschlechtlicher und sexu-
                                                        eller Vielfalt orientierten Gleichstellungspolitik
     Die kampagnenförmigen Angriffe gegen               auslöste22. Gekennzeichnet war diese erste Welle
     »Gender« und die daraus resultierende Dis-         der organisierten Angriffe durch geteilte Feind-
     kursverschiebung ist auf den Sommer 2006 zu        bilder in Sprache und politischem Gegenüber23.
     datieren. Die Debatten begannen damit erst         Feminismus beziehungsweise das, was der orga-
     zeitlich versetzt zur Verabschiedung von Gender    nisierte Antifeminismus zu diesem erklärte, galt
     Mainstreaming als gleichstellungspolitischer       als männerfeindlich und widernatürlich – wirke
     Strategie.19 Damit verbunden war, dass der den     es doch daraufhin, Männer als Väter und Jungen
     Sozialwissenschaften entlehnte Begriff »Gen-       in der Bildungslandschaft zu benachteiligen. Der
     der« erstmals einer breiteren Anzahl von Men-      Vorwurf des Widernatürlichen knüpfte sich an
     schen erklärbar gemacht werden musste. Doch        den Vorwurf, »Gender« richte sich gegen eine
     entgegen allem fortan Behauptetem stellen          a priori gesetzte »Natur der Dinge« – sei gar
                                                        ein machtvolles Instrument, die traditionelle
      »[w]eder die Gleichstellungspolitik noch Gen-     Geschlechterordnung abzuschaffen. Die Argu-
      der-Mainstreaming (...) die Zweigeschlechtlich-   mentationsstränge verknüpften sich miteinander
      keit der Menschen infrage oder verändern die      in der Erfindung des Terminus »Genderismus«:
      politischen Strukturen grundlegend«20.            Geprägt von sich selbst als »Anti-Genderisten«
                                                        begreifenden antifeministischen Akteuren,
     Volker Zastrow, konservativer Redakteur            drückt der Begriff den Anwurf einer angeblichen
     der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszei-           machtvollen Umwälzung der Gesellschaft nach
     tung, hingegen behauptete das Gegenteil und        den Prinzipien geschlechtlicher und sexueller
Vielfalt aus. In anti-kommunistischer Tradition     »Sexualpädagogik der Vielfalt« – der bereits
wurde verschiedentlich von der Erfindung eines      einige Jahre zuvor, ohne mediales Aufsehen zu
»neuen Menschen« durch »Gender Mainstrea-           verursachen, erschienen war.28 Die Auseinan-
ming« gesprochen24 und behauptet:                   dersetzungen um den Band schlugen Wellen,
                                                    was folgte waren wüste Empörungen bis hin
 »Gender Mainstreaming heißt im Klartext            zu persönlichen Beschimpfungen gegen die
 kompletter Umbau der Gesellschaft und Neu-         Autor_innen – und eine Breitseite gegen die
 erfindung der Menschheit. Gender Mainstre-         Geschlechterstudien und andere verwandte
 aming ist eine Art totalitärer Kommunismus         Disziplinen. Alte Argumentationsmuster des
 in Sachen Sex und Geschlechterbeziehung.«25        Familismus bzw. Familialismus29 mischten sich
                                                    in die Argumentation der Gender-Gegner_
Der organisierte Antifeminismus richtete sich       innen. Fortan galt es nicht nur allgemein die
somit in den Angriffen gegen »Gender« und           Gesellschaft vor den Gefahren des Feminismus
Gender Mainstreaming von Beginn an gegen            zu bewahren, sondern Kinder und Jugendliche
einen angeblich männerfeindlichen Feminis-          vor einer drohenden »Frühsexualisierung« zu
mus und einen von diesem getriebenen, wider-        schützen30. Es erfolgte eine »diskursive Ver-
natürlichen »Genderismus«.                          knüpfung des Kindes oder Kindeswohls mit
                                                    drei Themen: Gleichstellung der Geschlechter,
                                                    Gleichstellung homosexueller Partner_innen-
Kontinuitäten und Wellen                            schaften, Sexualpädagogik«. Die Setzung des

                                                                                                    12
antifeministischer Angriffe                         Motives vom ›unschuldigen Kind’ geriet zum
                                                    Mobilisierungsfaktor31 – und das Schlagwort
Die Angriffe gegen Feminismus und Geschlech-        »Frühsexualisierung« trat eine eigendynami-
terpolitiken verloren in den Jahren 2010 und        sche Entwicklung »im Namen des Kindes« los.
2011 an Lautstärke und Intensität – nicht           Eine differenzierte Auseinandersetzung, nicht
jedoch an ideologischer Konstanz. Darüber war       zuletzt um Fragen von Gewaltprävention und
es möglich, dass 2013 anlässlich neuer medial       die Unterstützung von Betroffenen, wurde
beachteter Anlässe wie der Twitter-Kampagne         massiv erschwert von jenen Akteuren, die im
#Aufschrei,26 in welcher vorwiegend Frauen          Namen eines angeblichen Kindeswohls ihre
Erfahrungen sexistischer Übergriffe und sexua-      antifeministische Agenda verbreiterten.
lisierter Gewalt öffentlich machten, die Angriffe
erneut aufflammten. Stellvertretend für andere
antifeministische Angriffe auf die von jungen
Netzfeminist_innen getragene Kampagne for-
mulierte die konservative Journalistin Birgit
Kelle: »Dann mach doch die Bluse zu«. Sie argu-
mentierte hierin gegen eine angebliche Männer-
feindlichkeit feministischer Politiken, die alle
Männer per se zu sexuellen Triebtätern erkläre.
Gleichzeitig greift Kelle auf einen Biologismus
zurück, der Männer und Frauen als von Natur
aus verschieden behauptet, wenn sie schreibt:

 »Auch nach weiteren 100 Jahren Feminismus
 werden die Männer nicht in der Lage sein,
 Gedanken zu lesen. Werden sie uns Frauen
 falsch verstehen, falsch behandeln und falsch
 ansprechen. Selbst wenn sie es gut meinen. Weil
 wir unterschiedlich sind, unterschiedlich den-
 ken, unterschiedliche Erwartungen haben.«27

In zeitlicher Parallelität skandalisierten anti-
feministische Protagonist/innen, unter
ihnen Birgit Kelle, einen Sammelband zur
Eine differenzierte Auseinandersetzung, nicht
zuletzt um Fragen von Gewaltprävention
und die Unterstützung von Betroffenen, wurde
massiv erschwert von jenen Akteuren, die
im Namen eines angeblichen Kindeswohls ihre
antifeministische Agenda verbreiterten.

          Polarisierung
          geschlechterpolitischer
                                                                                          13
          Debatten
          In der Praxis führten jene Debatten dazu, dass     »Deshalb sind alle willkommen, die sich den
          die Angriffe auf pädagogische Programme            verhängnisvollen Entwicklungen der letzten
          und Konzepte, welche die Gleichstellung der        Jahre entgegenstellen wollen: Anhänger aller
          Geschlechter, die Infragestellung heteronorma-     Religionen, Konfessionen, politischen Einstel-
          tiver Lebensweisen und / oder sexualpädagogi-      lungen und Wertesysteme, soweit sie die Gen-
          sche Konzepte zum Inhalt hatten, zunahmen.         der-Mainstreaming-Ideologie ablehnen und die
          Nur ein prominentes Beispiel: Zeitgleich zum       Zerstörung der Familie aufhalten.«33
          Beginn der aktuell zweiten Welle der organi-
          siert antifeministischen Angriffe konstituierte   Die Demo für alle steht beispielhaft für ein
          sich in Baden-Württemberg ein heterogenes         Netzwerkprojekt, das aus unterschiedlichen
          Bündnis antifeministischer Akteure zu einer       Spektren des organisierten Antifeminismus
          Demo für alle. In Anlehnung an die franzö-        getragen wird – und welches die Kontinuitä-
          sische Manif pour tous, bei der sich hundert-     ten in den Argumentationssträngen aufzeigt.
          tausende Franzos/innen zum Protest gegen          Andere personelle Kontinuitäten antifeminis-
          die Regierung und der tatsächlichen Gleich-       tischer Netzwerke sind es ebenso: so äußerte
          stellung homosexueller Partnerschaften auch       der bereits erwähnte Matthias Matussek, der
          im Adoptionsrecht zusammenfanden, mobi-           1998 Debatten um die Männerfeindlichkeit
          lisierten deutsche Antifeminist_innen zu ver-     des Feminismus anschob, im Jahre 2017 seine
          schiedenen Demonstrationen in Stuttgart32.        Bewunderung für die extrem rechte Identitäre
          Das Feindbild »Gender« blieb neben dem            Bewegung34, die u.a. aufgrund ihrer plakativ
          Mythos der »Frühsexualisierung« das zentrale      antifeministischen Selbstinszenierung Popula-
          Mobilisierungsmoment:                             rität im neurechten wie auch neonazistischen
                                                            Spektrum genießt.
Die Partei
»Alternative für Deutschland«

Mit der Gründung der Partei Alternative für         »Eine Welt aus atomisierten, allseits kom-
Deutschland (AfD) erhielt der organisierte          patiblen, komplett diversifizierten und also
Antifeminismus eine parteipolitische Bühne:         geschlechtslosen Individuen ist für mich eine
Akteur/innen aus antifeministischen Netz-           mindestens ebenso scheußliche Horrorvision
werken waren von Beginn an in Ämtern und            wie eine monokulturelle Einheitswelt aus lauter
Funktionen der Partei aktiv, eine Ablehnung         multikulturellen Gesellschaften. Nein, Männer
geschlechtlicher, sexueller und familialer Viel-    und Frauen sollen gleichberechtigt sein, aber sie
falt wurde in den Angriffen gegen »Gender«          sind nicht gleich in ihrer Wesensart.«35
und eine angebliche »Frühsexualisierung« von
Kindern zum Parteiprogramm erhoben. So             Der Einzug der AfD als explizit antifeminis-
verwundert es auch nicht, dass die AfD weit-       tische Akteurin in den Deutschen Bundestag
reichende Verschärfungen der gesetzlichen          stellt geschlechterpolitische Debatten vor neue
Regelung zum Schwangerschaftsabbruch und           Herausforderungen. Denn ähnlich wie andere
ein Ende gleichstellungspolitischer Maßnah-        Akteur/innen im organisierten Antifeminismus

                                                                                                        14
men fordert – und sich aggressiv gegen die         zeigte sich die Partei in der Vergangenheit nicht
Geschlechterstudien und eine Sexualpäda-           an konstruktiv-differenzierten Auseinanderset-
gogik der Vielfalt wendet. Anhand des Grün-        zungen um Gleichstellungspolitik interessiert,
dungsmitgliedes Beatrix von Storch lässt sich      sondern polemisierte und erschwerte eben
aufzeigen, wie langjährig aktive antifeministi-    diese. In ihrer Rede zum 8. März 2018 etwa
sche Personen zu Schlüsselfiguren in der Partei    sprach die AfD-Abgeordnete Nicole Höchst
wurden: Mit dem in Berlin ansässigen Verein        von einem »Gleichstellungstotalitarismus«
Zivile Koalition unterstützt sie seit Jahren       und bezeichnete eine strukturelle Benachtei-
die Forderung der selbsternannten »Lebens-         ligung von Frauen als »Yeti: alle Welt spricht
schützer« nach einem generellen Verbot von         davon, aber noch niemand hat ihn ernsthaft
Schwangerschaftsabbrüchen. Sie gehört heute        gesehen«.36
dem Bundessprecherrat der AfD an, saß für
die Partei zunächst im Europaparlament und         Die Auseinandersetzung mit dem Antifemi-
ist aktuell Abgeordnete im Deutschen Bun-          nismus der AfD und ihrem politischen Vor-
destag. Zusammen mit ihrem Mann unter-             feld sowie dessen Scharnierfunktion in weite
hält von Storch unter dem Dach der Zivilen         Teile der Gesellschaft obliegt fortan nicht nur
Koalition weiterhin zahlreiche Online-Seiten,      geschlechterpolitisch Aktiven, sondern wird
die gegen Geflüchtete und Muslime, gegen           zur Herausforderung für viele, um einem viel
Schwangerschaftsabbrüche, gegen die Ehe für        besungenen Rechtsruck der Gesellschaft etwas
Alle und den Euro mobil machen. Dass diese         entgegen zu setzen.
Angriffe als politisches Konzept verstanden
werden müssen, das sich unter anderem rassis-
tisch begründet, zeigen auch die Aussagen des
AfD-Fraktionsmitglieds Hans-Thomas Till-
schneider aus Sachsen-Anhalt, in einem Inter-
view, das 2016 mit dem maskulistischen Verein
MANNdat geführt wurde. Darin heißt es:

                                                   Der Beitrag ist eine leicht überarbeitete Version von:
                                                   Lang, Juliane/ Peters, Ulrich (2018): Antifeminismus
                                                   in Deutschland. Einführung und Einordnung des
                                                   Phänomens. In: dies. (Hrsg.): Antifeminismus in
                                                   Bewegung. Aktuelle Debatten um Geschlecht und
                                                   sexuelle Vielfalt. Hamburg: Marta Press.
1     Sofern nicht anders          des Gunda-Werner-Instituts,       Burschel, Friedrich (Hg.):       29 Vgl. Notz, Gisela (2015):
     gekennzeichnet, verwenden          Berlin, S. 17ff. http://www.      Aufstand der ›Wutbürger‹.        Kritik des Familismus.
     wir den Gender-Gap, um auf         gwi-boell.de/sites/default/       AfD, christlicher Funda-         Theorie und soziale Realität
     die Vielfalt geschlechtlicher      files/gender_wissenschaftlich-    mentalismus, Pegida und          eines ideologischen Gemäl-
     Identitäten jenseits eindeutig     keit_und_ideologie_2aufl.pdf      ihre gefährlichen Netzwerke,     des. Stuttgart: Schmetterling
     weiblicher und männlicher          (Abruf: 13.10.2017).              32-46. https://www.rosalux.      Verlag.
     Geschlechter hinzuweisen.                                            de/publikation/id/8319/
     Ein streng zweigeschlechtli-       12 Hiermit beschreiben            aufstand-der-wutbuerger/         30 Vgl. Schmincke, Imke
     ches Denken ist konstitutiv        Frey et al. Akteure, die          (Abruf: 13.10.2017).             (2015): ›Besorgte Eltern‹
     für extrem rechtes Denken –        sich in erster Linie auf den                                       und ›Demo für alle‹ – das
     und für Teile der hier betrach-    Vorwurf der Unwissen-             20 Karsch, Margret (2016):       Kind als Chiffre politischer
     teten antifeministischen           schaftlichkeit gegenüber den      Feminismus. Geschichte –         Auseinandersetzungen.
     Akteure. Bei Akteuren, die         Geschlechterstudien bezie-        Positionen, S. 294.              Input im Rahmen der
     qua Handeln und/oder ent-          hen. Kritik kommt hierbei                                          Tagung »Gegner*innenauf-
     lang ihres weltanschaulichen       sowohl aus den Sozial- wie        21 FAZ/ Zastrow, Volker          klärung – Informationen
     Hintergrundes die Existenz         auch aus den Natur- und           (2006): ›Gender Main-            und Analysen zu Anti-Fe-
     von Geschlechteridentitäten        Technikwissenschaften.            streaming’: Politische           minismus« des Gunda-Wer-
     jenseits der Zweigeschlechter-                                       Geschlechtsumwandlung.           ner-Instituts. http://www.
     norm für sich ausschließen,        13 Billmann, Lucie (2015)         Frankfurter Allgemeine Zei-      gwi-boell.de/de/2016/07/29/
     verwenden wir in diesem            (Hg.): Unheilige Allianz.         tung vom 19.6.2006. http://      besorgte-eltern-und-demo-
     Band den Schrägstrich – und        Das Geflecht von christ-          www.faz.net/aktuell/politik/     fuer-alle-das-kind-als-chiff-
     verweisen damit darauf, dass       lichen Fundamentalisten           gender-mainstreaming-poli-       re-der-politischen (Abruf:
     sich in antifeministischen         und politisch Rechten am          tische-geschlechtsumwand-        13.10.2017).
     Netzwerken Frauen wie              Beispiel des Widerstands          lung-1327841.html (Abruf:
     Männer engagieren.                 gegen den Bildungsplan in         13.10.2017).                     31   Ebd.
                                        Baden-Württemberg. https://
     2 Dohm, Hedwig (1902):             www.rosalux.de/publikation/       22 Vgl. Lang, Juliane (2015):    32 Vgl. Billmann, Lucie

15
     Die Antifeministen. Ein Buch       id/3984/unheilige-allianz/        Familie und Vaterland in der     (2015) (Hg.): Unheilige Allianz.
     der Verteidigung. Berlin: Herd     (Abruf: 13.10.2017).              Krise. Der extrem rechte         Das Geflecht von christ-
     Dümmlers Verlagsbuchhand-                                            Diskurs um Gender. In: Hark,     lichen Fundamentalisten
     lung, S. 9.                        14 Der Spiegel / Matthias         Sabine/ Villa, Paula-Irene       und politisch Rechten am
                                        Matussek (2017): Die Frauen       (Hg.): Anti-Genderismus.         Beispiel des Widerstands
     3    Ebd.                          sind schuld. Spiegel-Special      Sexualität und Geschlecht als    gegen den Bildungsplan in
                                        vom 1.5.1998. http://www.         Schauplätze aktueller politi-    Baden-Württemberg.
     4 Vgl. Schrupp, Antje              spiegel.de/spiegel/spiegelspe-    scher Auseinandersetzungen.
     (2017): Warum Antifemi-            cial/d-7719685.html (Abruf:       Bielefeld: Transcript-Verlag,    33 Aus: Aufruf der Initiative
     nismus mich nicht interes-         13.10.2017).                      167-182.                         »Demo für alle« zur Demons-
     siert. https://antjeschrupp.                                                                          tration am 01.03.2014 in
     com/2017/08/02/warum-an-           15 Vgl. Faludi, Susan             23 Vgl. Roßhart, Julia           Stuttgart.
     tifeminismus-mich-nicht-in-        (1995): Backlash. Die Männer      (2007): Bedrohungsszenario
     teressiert/ (Abruf: 13.10.2017).   schlagen zurück. Hamburg:         Gender – Gesellschaftli-         34 Vgl. Frankfurter Rund-
                                        Rowohlt.                          ches Geschlechterwissen          schau/ Katja Thorwart: Offen
     5 Hark, Sabine/ Villa, Pau-                                          und Antifeminismus in der        auf Basis des Ariernachweises.
     la-Irene (2017): Unterscheiden     16 Exemplarisch: Das              Medienberichterstattung          Online: http://www.fr.de/
     und herrschen. Ein Essay zu        Spiegel-Heft unter dem Titel      zum Gender Mainstreaming,        politik/meinung/kolumnen/
     den ambivalenten Verflech-         »Schlaue Mädchen, dumme           Magisterarbeit der Sozial-       identitaere-bewegung-of-
     tungen von Rassismus,              Jungen« (Spiegel 21/2004).        und Wirtschaftswissenschaf-      fen-auf-basis-des-ariernach-
     Sexismus und Feminismus                                              ten, Universität Potsdam.        weises-a-1292598 (Abruf:
     in der Gegenwart. Bielefeld:       17 Manndat (2015):                                                 13.10.2017).
     Trnascript-Verlag, S. 90.          Bildungspolitische Benach-        24 Der Spiegel/ Pfister,
                                        teiligung von Jungen als          René: Der neue Mensch. In:       35 https://manndat.de/
     6    Ebd.                          Frauenfördermittel. https://      Spiegel Heft 01/2007.            interview/hans-thomas-till-
                                        manndat.de/jungen/                                                 schneider-mdl-sachsen-an-
     7 Karsch, Margret (2016):          bildungspolitische-be-            25 Röhl, Bettina: Die            halt-fordert-im-manndat-in-
     Feminismus. Geschichte –           nachteiligung-von-jun-            Gender Mainstreaming-Stra-       terview-eine-neuorientie-
     Positionen. Bonn: Bundeszen-       gen-als-frauenfoerdermittel.      tegie. In: Cicero. Magazin       rung-der-geschlechterpolitik.
     trale für politische Bildung, S.   html (Abruf: 13.10.2017).         für politische Kultur. Cicero    html (Abruf: 13.10.2017).
     289.                                                                 Online Spezial, April 2005.
                                        18 Vgl. Stange, Jennifer                                           36 Nicole Höchst, Rede
     8 Lang, Juliane/ Peters,           (2014): Evangelikale in           26 Vgl. Wiczorek, Anne           am 1.3.2018 im Deutschen
     Ulrich (2015): Antifeministi-      Sachsen. Ein Bericht. Her-        (2014): Weil ein Aufschrei       Bundestag. Online: https://
     sche Geschlechter- und Fami-       ausgegeben von weiterden-         nicht reicht: Für einen Femi-    www.youtube.com/watch?-
     lienpolitiken von Rechts, in:      ken, Heinrich-Böll-Stiftung       nismus von heute. Berlin:        v=smVs-hzeJLc (Abruf:
     MBT Hamburg (Hg.): Moni-           Sachsen.                          Fischer-Verlag.                  10.10.2018).
     toring No. 4. Internet: http://
     hamburg.arbeitundleben.de/         19 Gender Mainstreaming           27 The European/ Kelle,
     img/daten/D28148360.pdf            als von der Europäischen          Birgit (2013): Dann mach
     (Abruf: 13.12.2017).               Union 1998 im Vertrag von         doch die Bluse zu! In: The
                                        Amsterdam verabschiedete,         European vom 29.1.2013.
     9 Karsch, Margret (2016):          2003 in bundesdeutsches           http://www.theeuropean.de/
     Feminismus. Geschichte –           Recht gegossene gleichstel-       birgit-kelle/5805-brueder-
     Positionen, S. 293.                lungspolitische Strategie hielt   le-debatte-und-sexismus?pa-
                                        seitdem im Top-Down-Ver-          ge=38#comment_23747
     10 Dohm, Hedwig (1902):            fahren Einzug in deutsche         (Abruf: 13.1.2017).
     Die Antifeministen. Ein Buch       Amtsstuben. Zu den zeitlich
     der Verteidigung, S. 11.           versetzten Wechselwirkungen       28 Vgl. Timmermann, Ste-
                                        von Gender Mainstreaming          fan/ Tuider, Elisabeth (2008):
     11 Frey, Regina/ Gärtner,          als gleichstellungspolitischer    Sexualpädagogik der Vielfalt.
     Marc/ Köhnen, Manfred/             Strategie und den Angriffen       Praxismethoden zu Identi-
     Scheele, Sebastian (2014):         gegen selbige siehe: Scheele,     täten, Beziehungen, Körper
     Gender, Wissenschaftlichkeit       Sebastian (2015): Das tronja-     und Prävention für Schule
     und Ideologie. Argumente           nische Zombie-Pferd. Fünf         und Jugendarbeit. Weinheim:
     im Streit um Geschlech-            Thesen zu einer diskursiven       Juventa Verlag.
     terverhältnisse, Hein-             Verschiebung im gegenwär-
     rich-Böll-Stiftung, Schriften      tigen Antifeminismus. In:
Der Feind meines

 16                       Feindes ist mein Freund
                          Antifeminismus als Schnittstelle
                          zwischen konservativer
                          und extremer Rechter

                          Tanja Gäbelein

Antifeminismus ist so alt wie der Feminismus        dabei zunächst Autor*innen des konservati-
selbst. Überall dort, wo sich Feminist*innen        ven Meinungsspektrums den Begriff »Gender«
erhoben, um ihre Rechte und Freiheiten einzu-       sowie die EU-weite Strategie zur Geschlech-
fordern, gab es Personen und Gruppierungen,         tergleichstellung »Gender-Mainstreaming«. In
die sich dem entgegenstellten. Schon zu Zeiten      den folgenden Jahren entwickelte sich daraus
des Deutschen Kaiserreichs kam es dabei zu          eine sowohl im Feuilleton namhafter Zeitungen
Allianzen zwischen unterschiedlichen Akteu-         als auch in extrem rechten Blättern geführte
rInnen von völkischen NationalistInnen über         Debatte über die vermeintlichen Gefahren
Burschenschaften bis hin zu Konservativen, die      staatlicher Programme zur Förderung der
die vermeintlich »natürliche Ordnung« durch         Geschlechtergleichstellung. Während extrem
Frauenwahlrecht und studierende Frauen* in          rechte AutorInnen dabei immer wieder Bezug
Gefahr sahen.1                                      nahmen auf konservative Autor*innen, ließ
                                                    sich eine umgekehrte Bezugnahme zu diesem
                                                    Zeitpunkt nicht erkennen.
Wider dem »Gender-
Wahn« - Die zwei Wellen des                         Dies änderte sich in der zweiten Welle des
Antifeminismus seit 2006                            neuen Antifeminismus, die ihren Beginn im
                                                    November 2013 in den Protesten gegen den Bil-
Seit Mitte der 2000er lässt sich eine erste »neue   dungsplan 2015 in Baden-Württemberg nahm.
Welle« des Antifeminismus ausmachen. Mit            Konservative Eltern, christliche Fundamenta-
dem Vorwurf einer Agenda der »politischen           listInnen und die neu gegründete AfD pro-
Geschlechtsumwandlung« (Volker Zastrow,             testierten damals zunächst mit einer Petition,
FAZ) und der Schaffung eines »neuen Men-            ab 2014 mit regelmäßigen Demonstrationen
schen« (René Pfister, Der Spiegel) attackierten     der Besorgten Eltern gegen jene Passagen des
Bildungsplans, die die altersgerechte Aufklä-     Schnittmengen
                                                                             rung der Schulkinder hinsichtlich sexueller und   im extrem rechten und
                                                                             geschlechtlicher Vielfalt vorsahen. Wie schon     konservativen Geschlechter-

konservativen bis fundamentalchristlichen Bereich anzusiedelndes Publikum,
                                                                             2006 Zastrow die vermeintliche Umerziehung        und Familienkonzept
Größere Gruppen glatzköpfiger Männer sind nicht zu sehen, ebenso wenig

                                                                             der Bürger*innen im Gender-Mainstreaming
                                                                             prophezeite, vermuteten die Besorgten Eltern      Schnittmengen zwischen extremer und kon-
werden rechtsextreme Parolen skandiert. Stattdessen ist es eher ein im

                                                                             in der Sexualpädagogik der Vielfalt nun den       servativer Rechter im Bereich der Familien-
                                                                             Versuch der »staatlichen Umerziehung« ihrer       und Geschlechterpolitiken können dabei nicht
                                                                             Kinder. Bald schon wurde die Organisation         wirklich verwundern. So findet die Familie im
                                                                             der Demonstrationen, die bis heute stattfin-      Rechtsextremismus als kleinste Einheit der
                                                                             den, von der Initiative Familienschutz aus dem    Volksgemeinschaft ihren notwendigen Aus-
                                                                             hochadelig-klerikalen Kampagnen-Netzwerk          druck in der heterosexuellen, binären Ehe
                                                                             um die AfD-Politikerin Beatrix von Storch         mit Kindern. Dabei gelten Frau und Mann als
                                                                             übernommen und enorm professionalisiert.          komplementär aufeinander bezogen – qua
                                                                             Mit diesem Führungswechsel einher ging auch       Geschlecht werden ihnen verschiedene, sich
                                                                             die Umbenennung in Demos für alle (in Anleh-      ergänzende Aufgaben zum Erhalt der Volks-
                                                                             nung an die französische Manif pour tous) und     gemeinschaft übertragen. Während der Mann
                                                                             eine schrittweise Ausweitung des Themenspek-      sich außerhalb des Hauses um die ökonomi-
                                                                             trums. So richten sich die Demonstrationen        sche Versorgung der Familie, um Politik und
                                                                             nun unter dem Motto »Stoppt Gender-Ideo-          Verteidigung der Volksgemeinschaft kümmert,
                                                                             logie und die Sexualisierung unserer Kinder!«     obliegt es der Frau, sich innerhalb des Hauses
                                                                             gegen Sexualpädagogik der Vielfalt, die Ehe für   um die biologische wie auch kulturelle Repro-
                                                                             alle, gegen Gender-Mainstreaming und Gender       duktion der Volksgemeinschaft zu kümmern.
                                                                             Studies.                                          Konkret bedeutet dies, möglichst viele weiße
                                                                                                                               deutsche Kinder zu gebären und diese nach
                                                                             Die Demonstrationen und die zugehörigen           völkischen Idealen zu erziehen. Geschlecht
                                                                             Web-Auftritte geben sich betont bürgernah         wird damit zum elementaren Platzanweiser,
                                                                             und familienfreundlich. Entsprechend dem          der die völkische Ordnung aufrechterhält. Das
                                                                             französischen Corporate Design dominieren         Konzept der heterosexuellen Mehrkinderfami-
                                                                             die Farben pink und blau als vermeintliche        lie als einzig denkbare Lebensform bildet den
                                                                             Mädchen- und Jungenfarben, es fliegen Luft-       Rahmen, innerhalb dessen die gesellschaftliche
das die Demonstrationen bespielt.

                                                                             ballons. Größere Gruppen glatzköpfiger Män-       Reproduktion garantiert wird.
                                                                             ner sind nicht zu sehen, ebenso wenig werden
                                                                             rechtsextreme Parolen skandiert. Stattdessen      Auch im Konservatismus gilt die bürgerliche
                                                                             ist es eher ein im konservativen bis funda-       Kleinfamilie, bestehend aus Vater, Mutter
                                                                             mentalchristlichen Bereich anzusiedelndes         und mehreren Kindern als scheinbar natürli-
                                                                             Publikum, das die Demonstrationen bespielt.       che Lebensform. So findet sich die Wendung
                                                                             Und doch lässt sich beobachten, dass mit der      von der (heterosexuellen Klein-) Familie als
                                                                             Rede von »Genderismus« und »Gender-Ideo-          »Keimzelle der Gesellschaft« nicht nur im
                                                                             logie« eine zentrale Argumentationsfigur des      Grundsatzprogramm der AfD, sondern auch
                                                                             extrem rechten antifeministischen Diskurses,      in ablehnenden Stellungnahmen des CSU-Prä-
                                                                             entwickelt in den Debatten Mitte der 2000er,      sidiums zur Öffnung der Ehe für homosexuelle
                                                                             Einzug halten konnte in breitere gesellschaft-    Paare. Diese Vorstellung von Familie basiert
                                                                             liche Debatten. Der Begriff »Genderismus«         zum einen auf der biblischen Vorgabe, die
                                                                             unterstellt dabei die Existenz eines omnipo-      Ehe müsse auf die »Weitergabe des Lebens«
                                                                             tenten Staatsfeminismus, dessen Ziel es sei,      im Sinne leiblicher Kinder eines heterosexu-
                                                                             über Gender-Mainstreaming, Gender Studies         ellen Paares ausgerichtet sein, zum anderen
                                                                             und die Ehe für alle sowie über die zuneh-        wird auf bewährte Traditionen und Ordnungen
                                                                             mende Übernahme der Erziehung durch den           verwiesen, die es zu wahren gelte. Mit Blick
                                                                             Staat (Sexualpädagogik, Ausbau von Krippen-       auf die Rolle der Geschlechter wird weiterhin
                                                                             plätzen) die heterosexuelle Kleinfamilie als      mit Ehegattensplitting und Betreuungsgeld
                                                                             Fundament der Gesellschaft zu zerstören. Als      das Familienernährermodell, in dem die Frau
                                                                             Folge komme es dann zu einem gesamtgesell-        für Haushalt und Kinder, der Mann für das
                                                                             schaftlichen Niedergang.                          Familieneinkommen zuständig ist, verteidigt.
Dennoch hat auch in konservativen Kreisen ein     Auswirkungen auf die
pragmatischer Umgang mit den Anforderungen        gesellschaftliche Debatte
eines neoliberalisierten Arbeitsmarktes Einzug
gehalten. Arbeitende Frauen gelten mittler-       Trotz dieser Unterschiede bleibt festzustellen,
weile als normal, der Ausbau von Kita-Plätzen     dass es die extreme Rechte in den vergangenen
und die Förderung von Frauen in Führungspo-       Jahren geschafft hat, ideologische Versatzstü-
sitionen wird auch von Teilen der Unionspar-      cke im konservativen Diskurs um Familie und
teien sowie der SPD vorangetrieben.               Geschlecht zu platzieren.

Weitere Unterschiede zwischen konservati-         Ein Beispiel hierfür ist die bevölkerungspoli-
ven und extrem rechten Geschlechter- und          tische Argumentation, der zufolge jede Fami-
Familienpolitiken zeigen sich im Umgang mit       lie dem Erhalt des deutschen Volkes durch
Abweichungen von der heterosexuellen Norm.        Reproduktion dienen muss – insbesondere in
So bedroht »der« Feminismus aus rechtsext-        Zeiten gestiegener Einwanderung. Die funda-
remer Perspektive den Fortbestand der Volks-      mentalchristliche Autorin und Rednerin auf
gemeinschaft durch die Pluralisierung an          verschiedenen Demos für alle, Gabriele Kuby
Lebensgemeinschaften und Geschlechterkon-         erklärte dazu in einem Interview:
zepten. Ohne klar definierte Geschlechterrol-
len und die heterosexuelle Mehrkinderfamilie       »Die Geburtenraten in fast allen Ländern
als leitenden Rahmen löst sich die völkische       Europas sind weit unter Erhaltungsniveau
Ordnung auf, gerät die Reproduktion des deut-      gesunken. [...] Für [...] Deutschland bedeutet
schen Volkes ins Wanken. »Gender« wird in          das, dass der islamische Bevölkerungsanteil
diesem Sinne verstanden als chaotisches, belie-    rasant wächst. Welche Folgen das hat, hat Thilo
biges Gegenbild zur wohlgeordneten Volksge-        Sarrazin in seinem Buch ›Deutschland schafft
meinschaft, der sogenannte Volkstod gilt als       sich ab‹ beschrieben.«
logische Konsequenz.
                                                  Und auch die mittlerweile im deutschen Bun-
In konservativen Kreisen fallen die Reaktionen    destag vertretene AfD erklärt, die sogenannte
auf die Pluralisierung von Geschlechter- und
Familienkonzepten weitaus vielfältiger aus.         »Gender-Ideologie ist verfassungsfeindlich. […]

                                                                                                      18
So hagelte es über Jahre harsche Kritik und        Sie will die klassische Familie als Lebensmodell
Ablehnung der Ehe für homosexuelle Paare,          und Rollenbild abschaffen. Damit steht sie in
insbesondere aus dem fundamentalchristlichen       klarem Widerspruch zum Grundgesetz, das
Spektrum – die Demos für alle sind hierfür         die (klassisch verstandene) Ehe und Familie als
ein anschauliches Beispiel. Dennoch ist die        staatstragendes Institut schützt, weil nur die-
Öffnung der Ehe letztlich auch mit Stimmen         ses das Staatsvolk als Träger der Souveränität
aus SPD, CDU und CSU durchgesetzt worden.          hervorbringen kann.«2
Auch ist festzuhalten, dass die von Konserva-
tiven angestrebte Gesellschaft wesentlich plu-    Ein weiteres Beispiel ist die verschwörungsthe-
raler ist und vor allem auf einem gemeinsamen     oretische Rede von einer vermeintlichen staat-
Wertekanon beruht, während für die rechtsex-      lichen Umerziehung durch Sexualpädagogik
treme Volksgemeinschaft das Motiv der rassis-     der Vielfalt und Gender-Mainstreaming. Die
tischen Zugehörigkeit unumgänglich ist.           AfD beispielsweise bezeichnet Sexualpädago-
                                                  gik als »Versuch, […] durch staatlich geförderte
                                                  Umerziehungsprogramme in Kindergärten und
                                                  Schulen das bewährte, traditionelle Famili-
                                                  enbild zu beseitigen.« Diese Argumentation
                                                  wird ebenfalls prominent von der fundamen-
                                                  talchristlichen Autorin und Kolumnistin Birgit
                                                  Kelle vertreten, die zahlreiche Demos für alle
                                                  mitorganisierte und verschiedentlich von CDU
                                                  und CSU als »Expertin für Gender-Mainstre-
                                                  aming« geladen wurde. In Interviews spricht
                                                  sie von Gender-Mainstreaming als »totalitäre
So bedroht »der« Feminismus aus rechtsextremer
Perspektive den Fortbestand der Volksgemeinschaft
durch die Pluralisierung an Lebensgemeinschaften
und Geschlechterkonzepten.

          Gleichmacherei« und von »Volks-Umerzie-           Was also tun?
          hern«, die die Gesellschaft dazu zwingen woll-
          ten, Homosexualität gut zu finden. In diesem      Es bleibt festzuhalten, dass sich die Sagbar-
          Zusammenhang ist in der AfD wie auch bei          keit und Diskutierbarkeit von Positionen im
          Kelle immer wieder von einer sogenannten          Bereich Geschlecht und Familie in den ver-
          »Homo-Lobby« die Rede, die ebendiese ver-         gangenen Jahren weit nach rechts verschoben
          meintliche Umerziehung durch den Staat vor-       hat. Diese Entwicklung steht im Kontext einer
          antreiben würde.                                  allgemeinen Rechtsverschiebung, die weite
                                                            Teile gesellschaftlicher Debatten und politi-
          Nicht zuletzt sei auf das mittlerweile in anti-   schen Handelns erfasst hat. In dieser Situation
          feministischen Kreisen verbreitete Schlagwort     braucht es kluge Analysen, geduldige Erklärung
          »Frühsexualisierung« aufmerksam gemacht.          und laute Stimmen, die extrem rechte, anti-
          So erklärt die AfD: »Unsere Kinder dürfen         feministische und rassistische Positionen als
          nicht zum Spielball der sexuellen Neigungen       solche markieren und dem eigene Alternativen
          einer lauten Minderheit werden. Das ideolo-       entgegensetzen.
          gische Experiment der Frühsexualisierung ist
          sofort zu beenden.« Mit Blick auf eine Aufklä-
          rungsbroschüre des Berliner Senats schrieb
          der Bild-Autor Gunnar Schupelius in ganz

                                                                                       19
          ähnlicher Manier, schon kleine Kinder sollten
          mit dieser Broschüre von »sexuellen Spielarten
          erfahren«. Diese aus dem rechtsextremen Spek-
          trum stammende Argumentationsweise stellt
          eine Verbindung zwischen Homosexualität und
          Pädophilie her. Kinder würden durch Sexu-
          alpädagogik der Vielfalt für pädophile Über-
          griffe vorbereitet oder die Erziehung selbst
          werde von Pädophilen durchgeführt. Heute
          findet sich dieses Argument auch bei Masku-                                1     Mit dem Gender-Stern
                                                                                     für Personen soll in diesem
          listen, christlichen FundamentalistInnen und                               Text darauf verwiesen werden,
          Pegida-AnhängerInnen.                                                      dass ich Geschlecht nicht
                                                                                     als biologische Tatsache,
                                                                                     sondern als gesellschaftliches
                                                                                     Konstrukt verstehe. Für
                                                                                     völkische NationalistInnen
                                                                                     und christliche Fundamenta-
                                                                                     listInnen hingegeben nutze
                                                                                     ich das Binnen-I, da in ihrer
                                                                                     Weltanschauung queere Pers-
                                                                                     pektiven keinen Platz finden.

                                                                                     2 Tatsächlich hat das
                                                                                     Bundesverfassungsgericht
                                                                                     schon 2013 festgestellt,
                                                                                     dass der grundgesetzliche
                                                                                     Familienbegriff auch auf die
                                                                                     sozial-familiäre Gemein-
                                                                                     schaft von eingetragenen
                                                                                     Lebenspartner*innen mit
                                                                                     Kindern Anwendung findet.
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