FEINDBILD EMANZIPATION - ANTIFEMINISMUS AN DER HOCHSCHULE - ASTA FRANKFURT
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Feindbild Emanzipation Antifeminismus an der Hochschule 1
Editorial
Liebe Leser*innen, in euren Händen haltet ihr die neueste Publikation des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der Uni Frankfurt, welche sich dem Thema Antifeminis- mus und Hochschule widmet. Nach der positiven Rückmeldung auf die Veröffentlichung des Readers »Autoritär, Elitär, Reaktionär: Studentenverbindun- gen, Burschenschaften und ›Neue Rechte‹« im Januar 2018, sahen wir uns als Redaktion dazu ermutigt, weiterhin zur Förderung eines antifaschistischen Bewusstseins in der Studierendenschaft und Gesell- schaft beizutragen. Angesichts der zunehmenden poli- tischen Erfolge reaktionärer Kräfte in Deutschland, Europa und international erachten wir ein solches Bewusstsein und sich daraus ableitende politische Aktivitäten für eine absolute Notwendigkeit. Mit der vorliegenden Publikation wollen wir vor allem die Aus- einandersetzung mit reaktionärer Geschlechterpolitik 1 forcieren und deren zentrale Bedeutung für (extrem) rechte Bewegungen unterstreichen. Während in Ungarn nach einem jahrelangen Prozess der autoritären Umwälzung des Staates die Fachrich- tung Gender Studies an Hochschulen nun gänzlich abgeschafft wird, kann die AfD dies in Deutschland ihren WählerInnen bisher nur in Wahlprogrammen versprechen. Mit dem Einzug der AfD in den hessi- schen Landtag im Oktober 2018 sitzt dort nun eine Partei, die die Freiheit von Forschung und Lehre zer- schlagen möchte. So fordert sie nicht nur die Abschaf- fung der Gender Studies, sondern würde am liebsten jegliche Forschung und Lehre unterbinden, welche ihren ideologischen Vorstellungen widerspricht. Diese Intention stellten auch Mitglieder der AfD-Jugendor- ganisation Junge Alternative unter Beweis, als sie im Januar 2017 Flugblätter an der Goethe-Universität Frankfurt verteilten, in denen sie zur Denunzierung von ihnen politisch missliebigen Lehrenden aufriefen. In den kommenden Jahren ist womöglich mit deutlich schwerwiegenderen Angriffen zu rechnen, allen voran auf feministische Errungenschaften in Forschung, Lehre und Universitätsalltag.
Derzeitige autoritäre Formierungen in der Hoch- schulpolitik können allerdings nur verstanden werden, wenn sie im Kontext des sich ausbreitenden reaktio- nären Zeitgeistes verortet werden. Angesichts gesell- schaftlicher Umbrüche im Zuge von Veränderungen im kapitalistischen Akkumulationsprozess wird das politische Angebot einer »Rückkehr« zu vermeint- lich »natürlichen« Lebensweisen für viele Menschen immer attraktiver. Hierdurch werden Kategorisie- rungs- und Hierarchisierungsprozesse innerhalb der Gesellschaft hinsichtlich Geschlecht, »Rasse« und Klasse (engl.: gender, race & class) zu vermeintlich von der Natur vorgegebenen Ordnungen deklariert, um sie so jeder Form von öffentlicher Diskussion, Kritik und demokratischer Kontrolle zu entziehen. Beispiele hierfür finden sich in den letzten Jahren zur Genüge. So fanden im Rahmen der sogenannten »Demo für Alle« christliche und extreme Rechte zueinander, um eine vermeintlich »von Gott«, beziehungsweise 2 »der Natur«, vorgegebene patriarchale, heterosexu- elle Familienordnung zu verteidigen. Ärzt*innen wie Kristina Hänel werden auf Betreiben von christlichen FundamentalistInnen angeklagt und verurteilt, ledig- lich weil sie ihren Patientinnen* Informationen über Schwangerschaftsabbrüche zur Verfügung stellen. Die repressiven Strafrechtsparagraphen 218 und 219 zeigen, dass die körperliche Selbstbestimmung von Frauen* in der Bundesrepublik noch immer gefürch- tet und bekämpft wird. Um in Zeiten dieses reaktionären Aufwindes kritische Perspektiven auf die Entwicklungen in der Gesell- schaft und an den Hochschulen zu eröffnen, konnten wir einige Wissenschaftler*innen, Journalist*innen und Mitstreiter*innen für Beiträge gewinnen. Bei ihnen möchten wir uns ganz herzlich für die wichtige Arbeit bedanken, die es bedeutet, sich ausführlich mit reaktionären Kräften auseinanderzusetzen, zu recherchieren und zu analysieren. In dem Reader fin- den sich eigens für diese Publikation verfasste Texte, (überarbeitete) Reprints von bereits veröffentlichten Beiträgen und von uns geführte Interviews.
Der erste Abschnitt in diesem Reader beschäftigt sich mit Fragen der theoretischen Einordnung und allgemeinen Analyse des Antifeminismus. Der zweite Abschnitt widmet sich Akteuren, Diskursen und aktu- ellen Entwicklungen des Antifeminismus in der deut- schen Hochschullandschaft. Dabei spielen Angriffe auf Gender Studies und Gleichstellungspolitiken eine zentrale Rolle. Einige Artikel nehmen außerdem anti- feministische Stimmen und Anknüpfungspunkte in verschiedenen akademischen Disziplinen und Fächer- diskursen in den Blick. Und schließlich werden auch Akteure betrachtet, die über Forschung und Lehre hinaus am Campus (politisch) aktiv sind. Zuletzt finden sich im dritten Abschnitt Beiträge und Interviews, die sich mit möglichen Gegenstrategien gegen die antifeministische Reaktion an der Uni aus- einandersetzen und nach Inspiration im Ringen um eine emanzipatorische Zukunft suchen. Hier werden 3 verschiedene Politiken vorgestellt und Perspektiven auf mögliche Praktiken im Hochschulleben, am Cam- pus und im Studium entwickelt. Wir haben euch zum Schluss ein antifeministisches Namensregister und eine Liste mit Empfehlungen zur weitergehenden Lektüre zusammengestellt. Wir bedanken uns an dieser Stelle noch einmal herz- lichst bei allen Autor*innen und Interviewpartner*in- nen und wünschen euch beim Lesen viel Freude! Euer Redaktionsteam
2 Editorial 4 Inhaltsverzeichnis 6 I Antifeminismus. Inhaltsverzeichnis Einführung in eine Problematik. 8 Antifeminismus in Deutschland Einführung und Einordnung des Phänomens Juliane Lang, Ulrich Peters 16 Der Feind meines Feindes ist mein Freund Antifeminismus als Schnittstelle zwischen konservativer und extremer Rechter Tanja Gäbelein 22 Von Antifeminismus zu »Anti-Genderismus«? Eine diskursive Verschiebung und ihre Hintergründe Sebastian Scheele 4
II Antifeminismus 28 70 III Gegenstrategien. an der Hochschule. Antifeminismus Akteure, Diskurse, an der Hochschule Entwicklungen. bekämpfen. 30 Die Freiheit der Wissen- 72 Extrem rechte schaft und ihre Feinde Geschlechterpolitiken als Angriffe auf die Herausforderung für Geschlechterforschung geschlechterreflektierte bringen alle Sozial- und Geisteswissenschaften Pädagogik in Gefahr Olaf Stuve Manfred Köhnen 76 Pro-Choice im Medizinstudium Interview mit der Arbeitsgruppe 38 Vom Naturalismus »Medical Students for Choice« zur Religion Über die antigenderistische Radikalisierung 80 Progressive Welle des Ulrich Kutschera Die feministische Floris Biskamp Bewegung fordert Chiles Gesellschaft heraus 44 »Lebensschutz« Friederike Winterstein statt körperliche Selbstbestimmung 84 Blame the System, Interview mit Ulli Jentsch not the Victim! Sexismus auf dem Campus und Eike Sanders fantifa.frankfurt 50 Rückwärtsgewandte Forschung 86 Der Gleichstellungsrat und Lehre in Gießen des Fachbereichs Christlich-fundamentale, extreme Gesellschaftswissenschaften Rechte und die FTH Gießen stellt sich vor Sebastian Hell Gleichstellungsrat FB03 54 Antifeminismus in 88 Antifeministisches der Hochschulpolitik Namensregister Hochschulpolitische Gruppen und antifeministische Ressentiments 91 Weiterlesen zum Thema Lucius Teidelbaum Antifeminismus 60 »Vergemeinschaftet durch das Abverlangen von Standhalten und Beherrschung.« Männerbund, Mensur und Antifeminismus bei deutschnationalen Burschenschaften Judith Goetz 66 »Pick-Up-Artists« im öffentlichen Raum 5 – whose streets…? Beobachtung eines sexistischen Gesellschaftsphänomens fantifa.frankfurt
I Antifeminismus. Einführung in eine Problematik. 6
7
Antifeminismus in Deutschland Einführung und Einordnung des Phänomens Juliane Lang, Ulrich Peters 8 Antifeministische Inhalte und Argumentations- es vermeintlich überhistorisch, milieu- und Wir danken Sebastian Scheele für wertvolle Anmerkungen zu diesem Beitrag. muster finden sich in trauter Regelmäßigkeit in kulturübergreifend schon immer der »Natur gesellschaftlichen Debatten um die Ordnung der der Dinge« entsprochen habe. Dass Geschlech- Geschlechter im 21. Jahrhundert. Geschlech- terverhältnisse nie »naturgegeben«, sondern terkonservative Akteure unterschiedlicher immer Ergebnis sozialer Aushandlung waren, politischer Gruppierungen erfinden einen »Gen- wird von den Protagonist/innen zurückgewie- der-Wahn« und eine angeblich dahinter stehende sen – um die sozialromantische Erzählung eines Ideologie. Sie instrumentalisieren gesamtge- in sich harmonischen Friedens zwischen den sellschaftlich geführte Debatten um geschlech- Geschlechtern zu verbreiten, der durch moderne ter- und gleichstellungspolitische Inhalte für Dekadenzen in Form feministischer Politiken der polemische Angriffe und lancieren Kampagnen. Vielfalt geschlechtlicher, sexueller und familia- Es sind Themen rund um geschlechterpolitische ler Lebensweisen zerstört würde. Es lohnt der Liberalisierungen einst konservativ eng gefasster Blick zurück, um festzustellen, dass die Rede von Geschlechter- und Sexualitätsdispositive. Und einer angeblichen »Genderisierung« westlicher es ist die Ablehnung eines als omnipotent und Gesellschaften ihre Wurzeln in gesellschaftli- machtvoll verstandenen Feminismus, der extrem chen Debatten der vergangenen zehn bis zwanzig Rechte zusammen bringt mit verbrämten Kon- Jahre hat. Ein Wiedererstarken fundamentalis- servativen, enttäuschte Sozialdemokrat_innen tischer Strömungen innerhalb der Amtskirchen, mit frustrierten Scheidungsvätern, christliche Debatten um Scheidungsväter und männliche Fundamentalist/innen mit Gewaltfetischist/ Bildungsverlierer, zunehmende Hetze gegen innen und Hooligans.1 frauenpolitische Themen und Frauenförderung in unterschiedlichen politischen Spektren: Dies Was sie eint ist die Vorstellung einer machtvol- alles ist Ausdruck, Produkt und Motivation eines len »Femi-« oder gar »Homolobby«, die ihnen sich manifestierenden organisierten Antifemi- verbieten wolle, ihr Leben so zu gestalten, wie nismus um die Jahrtausendwende.
Alte Muster – neue Feindbilder »Frauen und Männer seien gleich an Rech- ten und doch von Natur aus grundsätzlich, Der Antifeminismus als Abgrenzung zu femi- wesenhaft, offensichtlich ontologisch verschie- nistischer Theorie und Praxis hingegen ist so alt den. Und genau dieser ontologisch verbürgten wie der Feminismus selbst. Essays, mit denen Differenz müsse der Feminismus Rechnung die Feministin Hedwig Dohm zu Beginn des tragen.«6 20. Jahrhunderts auf Angriffe gegen die Frau- enemanzipation reagiert, zeigen frappierende Derartige Positionen unterscheiden sich von Parallelen zu heutigen Debatten um Geschlech- klassisch differenzfeministischen Positio- terpolitiken. Wenn Dohm davon schreibt, wie nen in einer vom modernen Antifeminismus behaupteten Wesenhaftigkeit von Geschlecht »unentwegt wiederholte Behauptungen (...) bei- – und sind sich zugleich einig mit diesen in nah wie die Riesenreklamen für irgendein Mit- der Ablehnung geschlechterdekonstruktiver tel, die uns in großen Städten oft jahrelang von Ansätze zugunsten eines Feminismus, der ein- allen Mauern, Säulen, Zäunen entgegengrinsen zig und allein das Subjekt »Frau« kennt. Genau [wirken], bis sie uns förmlich hypnotisieren jene Gefahr, die angeblich naturgegebene Ver- und – fast gegen unsern Willen – kaufen wir«2, schiedenheit von Männern und Frauen, von Männlichkeit und Weiblichkeit in ihrer Abso- so beschreibt dies ebenso heutige Auseinander- lutheit in Frage zu stellen, manifestiert sich setzungen um Behauptungen, ein angeblicher im selbsternannten »Anti-Genderismus«, der »Gender-Wahnsinn« bedrohe die Gesellschaft. aktuellen Spielart des Antifeminismus, zum Weiter heißt es bei Dohm: Kern der Argumentation. »Im wesentlichen besteht ihre Beweisführung »›Der Feminismus‹ ist für viele ein Feindbild – wenn wir von gelegentlichen ethischen und – unabhängig davon, wie sehr Feminist_innen ästhetischen Gefühlsschaudern absehen – in immer wieder die Unterschiedlichkeit der Femi- Behauptungen. Und immer behaupten sie das- nismen betonen und darauf hinweisen, dass der selbe – dasselbe. Der Tropfen höhlt den Stein, kleinste gemeinsame Nenner dieser Feminismen wieviel mehr das weiche Menschenhirn.«3 doch die Freiheit aller Menschen sei, ihr Leben nach den eigenen Wünschen zu gestalten.« Auch hier fallen die Parallelen zur Strategie organisiert antifeministischer Akteure ins Auge: schreibt die Journalistin Margret Karsch7 – und über stete Behauptungen dessen, wofür »Gen- benennt hierbei sowohl den ursprünglichen der« stehe, werden Diskurse geprägt. Anti-Feminismus als auch die moderne Vari- ante des Antifeminismus, der sich gegen die Doch ebenso wie sich feministische Theorie Ablehnung geschlechtlicher Vielfalt wendet. und Praxis weiterentwickelte – in Abgrenzung Auch wir charakterisierten den modernen zu antifeministischer Rhetorik wie unabhängig Antifeminismus bereits an anderer Stelle als davon4, verschoben sich auch Teile antifeminis- Akteurskonstellation, die sich tischer Argumentationsmuster und Feindbil- der. Paula-Irene Villa und Sabine Hark stellen »in organisierter Form – in expliziter Geg- heraus, dass sich der moderne Antifeminismus nerschaft zu einem von ihnen als omnipotent beschriebenen Feminismus positionier[t] »im Unterschied zu den historischen Vorläufern und/ oder sich in Diskussionen um familien-, des Anti-Feminismus in erster Linie eben nicht geschlechter- und sexualitätsbezogene Themen als generelle Anfechtung von Feminismus und heteronormativ gegen die Auspluralisierung der Idee der Gleichheit präsentiert«5. sexueller, geschlechtlicher und familialer Lebensformen und eine damit einhergehende 9 Beide Autorinnen beziehen sich hierbei expli- Anerkennung derselben in ihrer Vielfalt zit auf rechte Populistinnen wie Birgit Kelle, stell[t]«8. Gabriele Kuby oder Frauke Petry, die nicht die Forderung aufstellen, Frauen »zurück an den Antifeminismus beschränkt sich damit nicht Herd zu schicken« sondern sagen, allein auf die verbal-radikale Distanzierung von »dem Feminismus«, im klassischen Verständnis
eines Anti-Feminismus. Es handelt sich um sogenannte »Wissenschaftlichkeitswächter«12, war eine der letzten großen Errungenschaften feministischer Politik – auf keine in sich geschlossene Ideologie, sondern der »christliche Fundamentalismus«, »explizit ein ideologisches Versatzstück unterschiedli- antifeministische Akteur_innen« und »rechte Die Abschaffung der Straffreiheit von Vergewaltigung in der Ehe 1997 cher Akteure mit jeweils eigenen weltanschau- Organisationen«. Nicht explizit benannt sind lichen Verhaftungen. Er richtet sich christlich-konservative Akteure, die sich weder in der Gruppe der »journalistischen Gen- »gegen jene Theorien und deren Vertreter_ der-Gegner_innen« wiederfinden, noch unter innen, die für eine Gleichstellung der beiden rechten Organisationen subsumieren lassen. Geschlechter eintreten bzw. diese und darauf Zudem lässt sich insbesondere die Gruppe beruhende vertraute Weltbilder und Gewohn- der »rechten Organisationen« vor dem Hin- heiten in Frage stellen«9. tergrund der enormen Entwicklungen der letz- ten Jahre präziser ausdifferenzieren, etwa in ein Für ein analytisches Verständnis des Phäno- völkisch-neonazistisches Milieu, ein neurech- die über Jahrzehnte hinweg hingearbeitet worden war. mens »Anti-Genderismus« als moderne Spiel- tes-diskursorientiertes Milieu und einen par- art des Antifeminismus lohnt es, auf die ihm lamentsorientierten Rechtspopulismus. Hinzu zugrunde liegenden Begründungszusammen- kommen explizite Netzwerkprojekte, bei denen hänge zu blicken. Wenn Hedwig Dohm bereits mehrere der benannten Akteursgruppen punk- für den Antifeminismus der Jahrhundertwende tuell und in einem in der Regel abgrenzbaren festhielt, es handele sich um jene, zeitlichen und thematischen Rahmen gemein- sam agieren, wie am Beispiel der sogenannten »die den Gedankeninhalt vergangener Jahr- Demo für alle zu sehen ist13. hunderte für alle Ewigkeit festzuhalten für ihre Pflicht erachten. Zum eisernen Bestand ihrer Die Abschaffung der Straffreiheit von Verge- Argumentation gehört der liebe Gott und die waltigung in der Ehe 1997 war eine der letzten Naturgesetze.«10, großen Errungenschaften feministischer Poli- tik – auf die über Jahrzehnte hinweg hingear- so haben sich auch hier Begründungsmomente beitet worden war. Antifeministische Reflexe erweitert. in Reaktion hierauf schienen zu schlummern und auf ein Ventil zur Artikulation zu warten. Diese werden heute etwa in einer göttlichen Einen ersten Aufschlag machte der einstige Ordnung, einem essentialisierenden Biolo- Spiegel-Redakteur Matthias Matussek 1998 mit gismus oder einer volksgemeinschaftlichen seinem Buch Die vaterlose Gesellschaft: Ordnung der Gesellschaft gesucht. Einig sind sich die Akteure in ihrer Ablehnung liberaler »Erst wenn erkannt wird, daß Väter für die Geschlechterpolitiken und dem von ihnen als Erziehung von Kindern genauso wichtig sind Feindbild besetzten Begriff »Gender«. wie Mütter, und daß die vaterlose Gesellschaft ein reales Katastrophenszenario ist, wird es eine neue Gemeinsamkeit geben. Wenn sich Akteurskonstellation im herumgesprochen hat, daß die Ausgrenzung organisierten Antifeminismus von Vätern Gewalt an Kindern bedeutet. Und wenn insgesamt die Herabwürdigung von Män- Antifeminismus ist damit kein einheitliches nern genauso sozial geächtet wird wie die von politisches Projekt: viel mehr wird er vom orga- Frauen.«14 nisierten Antifeminismus zu diesem gemacht. Die einzelnen Spektren und Akteursgruppen Derartige Beiträge brachten Debatten, wel- sind dabei nicht in eins zu setzen, verfügen che die Soziologin Susan Faludi bereits 1991 jedoch nicht zufällig über personelle Schnitt- in ihrem Buch Backlash. Die Männer schlagen mengen. Regina Frey und andere11 benen- zurück für den US-amerikanischen Kontext nen prinzipiell fünf Akteursgruppen, die in beschrieb, nun auch nach Deutschland.15 Debat- ihren antifeministisch-motivierten Angriffen ten um die »Bildungsverlierer Jungen«16 gossen 10 gegen »Gender« und die emanzipatorische zu Beginn des Jahrtausends Öl in die Feuer Geschlechter- und Gleichstellungspolitik neuer antifeministischer Akteure: 2001 ging ein in Gänze gemeinsam diskursprägend sind: Vorläufer des maskulistischen Forums Wieviel eine »journalistische Gender-Gegnerschaft«, Gleichberechtigung verträgt das Land (wgvdl) ans
11 Netz. 2004 gründete sich der Verein MANN- veröffentlichte am 20. Juni 2006 einen Arti- dat, der von einer (strukturell verantworteten kel unter dem Titel Gender Mainstreaming. und gewollten) »bildungspolitischen Benach- Die politische Geschlechtsumwandlung. Er griff teiligung von Jungen als Frauenfördermittel«17 dabei fast alles vorweg, was der Geschlech- spricht – und so das schlechtere Abschneiden terpolitik, der Geschlechterpädagogik sowie von Jungen bei Bildungsstudien zum Lesever- den Geschlechterstudien in den Folgejahren ständnis deutscher Jugendlicher beklagte. Was vorgeworfen werden sollte: die Debatte durchzog war die Rede von einer feministisch dominierten, männerfeindlichen »Das Ziel greift hoch hinaus: Es will nicht Gesellschaft. Gemeinsamkeiten mit heutigen weniger als den neuen Menschen schaffen, antifeministischen Argumentationen finden und zwar durch die Zerstörung der ›traditi- sich in Behauptungen, wofür Feminismus onellen Geschlechtsrollen’. Schon aus diesem angeblich stehe. Die Argumentation schuf ein Grunde muß das als Zwangsbegriff verneinte Narrativ des Feminismus als männerfeind- ›Geschlecht’ durch ›Gender’ ersetzt werden. liches Projekt – und die Männer als kollek- Und möglichst schon in der Krippenerziehung tive Opfergruppe aus dem Ruder gelaufener soll mit der geistigen Geschlechtsumwandlung Feminist_innen. begonnen werden.«21 Der Vorwurf einer ideologiegeleiteten Inter- Antifeminismus essenpolitik einer als homosexuell benannten als Netzwerkprojekt Minderheit war im Raum – und die Geschlech- tergleichstellungspolitik hatte sich fortan dazu In zeitlicher Parallelität hierzu waren es evan- zu verhalten. In den Tagen und Wochen später gelikale und pietistische Kreise, die vermehrt folgten Angriffe gegen Gender und Gender die eigene Sichtbarkeit und Teilhabe an gesell- Mainstreaming sowohl in bürgerlichen Blättern schaftlichen Debatten einforderten18. Mit ihrem wie dem Spiegel als auch in rechten und extrem Kernanliegen, der Verhinderung der Möglich- rechten Publikationen wie der Jungen Freiheit keit straffreier Schwangerschaftsabbrüche, und der Deutschen Stimme. suchten sie öffentlich den Schulterschluss mit konservativen Parteien und Politiker_innen Der Artikel Zastrows muss damit als diskurs- sowie Einflussnahme auf gesetzgeberische Ver- mächtiges Ereignis gesehen werden, der eine fahren und die Praxis von Beratungseinrichtun- erste Welle antifeministischer Angriffe gegen gen und medizinischen Anlaufstellen. Gender und eine an geschlechtlicher und sexu- eller Vielfalt orientierten Gleichstellungspolitik Die kampagnenförmigen Angriffe gegen auslöste22. Gekennzeichnet war diese erste Welle »Gender« und die daraus resultierende Dis- der organisierten Angriffe durch geteilte Feind- kursverschiebung ist auf den Sommer 2006 zu bilder in Sprache und politischem Gegenüber23. datieren. Die Debatten begannen damit erst Feminismus beziehungsweise das, was der orga- zeitlich versetzt zur Verabschiedung von Gender nisierte Antifeminismus zu diesem erklärte, galt Mainstreaming als gleichstellungspolitischer als männerfeindlich und widernatürlich – wirke Strategie.19 Damit verbunden war, dass der den es doch daraufhin, Männer als Väter und Jungen Sozialwissenschaften entlehnte Begriff »Gen- in der Bildungslandschaft zu benachteiligen. Der der« erstmals einer breiteren Anzahl von Men- Vorwurf des Widernatürlichen knüpfte sich an schen erklärbar gemacht werden musste. Doch den Vorwurf, »Gender« richte sich gegen eine entgegen allem fortan Behauptetem stellen a priori gesetzte »Natur der Dinge« – sei gar ein machtvolles Instrument, die traditionelle »[w]eder die Gleichstellungspolitik noch Gen- Geschlechterordnung abzuschaffen. Die Argu- der-Mainstreaming (...) die Zweigeschlechtlich- mentationsstränge verknüpften sich miteinander keit der Menschen infrage oder verändern die in der Erfindung des Terminus »Genderismus«: politischen Strukturen grundlegend«20. Geprägt von sich selbst als »Anti-Genderisten« begreifenden antifeministischen Akteuren, Volker Zastrow, konservativer Redakteur drückt der Begriff den Anwurf einer angeblichen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszei- machtvollen Umwälzung der Gesellschaft nach tung, hingegen behauptete das Gegenteil und den Prinzipien geschlechtlicher und sexueller
Vielfalt aus. In anti-kommunistischer Tradition »Sexualpädagogik der Vielfalt« – der bereits wurde verschiedentlich von der Erfindung eines einige Jahre zuvor, ohne mediales Aufsehen zu »neuen Menschen« durch »Gender Mainstrea- verursachen, erschienen war.28 Die Auseinan- ming« gesprochen24 und behauptet: dersetzungen um den Band schlugen Wellen, was folgte waren wüste Empörungen bis hin »Gender Mainstreaming heißt im Klartext zu persönlichen Beschimpfungen gegen die kompletter Umbau der Gesellschaft und Neu- Autor_innen – und eine Breitseite gegen die erfindung der Menschheit. Gender Mainstre- Geschlechterstudien und andere verwandte aming ist eine Art totalitärer Kommunismus Disziplinen. Alte Argumentationsmuster des in Sachen Sex und Geschlechterbeziehung.«25 Familismus bzw. Familialismus29 mischten sich in die Argumentation der Gender-Gegner_ Der organisierte Antifeminismus richtete sich innen. Fortan galt es nicht nur allgemein die somit in den Angriffen gegen »Gender« und Gesellschaft vor den Gefahren des Feminismus Gender Mainstreaming von Beginn an gegen zu bewahren, sondern Kinder und Jugendliche einen angeblich männerfeindlichen Feminis- vor einer drohenden »Frühsexualisierung« zu mus und einen von diesem getriebenen, wider- schützen30. Es erfolgte eine »diskursive Ver- natürlichen »Genderismus«. knüpfung des Kindes oder Kindeswohls mit drei Themen: Gleichstellung der Geschlechter, Gleichstellung homosexueller Partner_innen- Kontinuitäten und Wellen schaften, Sexualpädagogik«. Die Setzung des 12 antifeministischer Angriffe Motives vom ›unschuldigen Kind’ geriet zum Mobilisierungsfaktor31 – und das Schlagwort Die Angriffe gegen Feminismus und Geschlech- »Frühsexualisierung« trat eine eigendynami- terpolitiken verloren in den Jahren 2010 und sche Entwicklung »im Namen des Kindes« los. 2011 an Lautstärke und Intensität – nicht Eine differenzierte Auseinandersetzung, nicht jedoch an ideologischer Konstanz. Darüber war zuletzt um Fragen von Gewaltprävention und es möglich, dass 2013 anlässlich neuer medial die Unterstützung von Betroffenen, wurde beachteter Anlässe wie der Twitter-Kampagne massiv erschwert von jenen Akteuren, die im #Aufschrei,26 in welcher vorwiegend Frauen Namen eines angeblichen Kindeswohls ihre Erfahrungen sexistischer Übergriffe und sexua- antifeministische Agenda verbreiterten. lisierter Gewalt öffentlich machten, die Angriffe erneut aufflammten. Stellvertretend für andere antifeministische Angriffe auf die von jungen Netzfeminist_innen getragene Kampagne for- mulierte die konservative Journalistin Birgit Kelle: »Dann mach doch die Bluse zu«. Sie argu- mentierte hierin gegen eine angebliche Männer- feindlichkeit feministischer Politiken, die alle Männer per se zu sexuellen Triebtätern erkläre. Gleichzeitig greift Kelle auf einen Biologismus zurück, der Männer und Frauen als von Natur aus verschieden behauptet, wenn sie schreibt: »Auch nach weiteren 100 Jahren Feminismus werden die Männer nicht in der Lage sein, Gedanken zu lesen. Werden sie uns Frauen falsch verstehen, falsch behandeln und falsch ansprechen. Selbst wenn sie es gut meinen. Weil wir unterschiedlich sind, unterschiedlich den- ken, unterschiedliche Erwartungen haben.«27 In zeitlicher Parallelität skandalisierten anti- feministische Protagonist/innen, unter ihnen Birgit Kelle, einen Sammelband zur
Eine differenzierte Auseinandersetzung, nicht zuletzt um Fragen von Gewaltprävention und die Unterstützung von Betroffenen, wurde massiv erschwert von jenen Akteuren, die im Namen eines angeblichen Kindeswohls ihre antifeministische Agenda verbreiterten. Polarisierung geschlechterpolitischer 13 Debatten In der Praxis führten jene Debatten dazu, dass »Deshalb sind alle willkommen, die sich den die Angriffe auf pädagogische Programme verhängnisvollen Entwicklungen der letzten und Konzepte, welche die Gleichstellung der Jahre entgegenstellen wollen: Anhänger aller Geschlechter, die Infragestellung heteronorma- Religionen, Konfessionen, politischen Einstel- tiver Lebensweisen und / oder sexualpädagogi- lungen und Wertesysteme, soweit sie die Gen- sche Konzepte zum Inhalt hatten, zunahmen. der-Mainstreaming-Ideologie ablehnen und die Nur ein prominentes Beispiel: Zeitgleich zum Zerstörung der Familie aufhalten.«33 Beginn der aktuell zweiten Welle der organi- siert antifeministischen Angriffe konstituierte Die Demo für alle steht beispielhaft für ein sich in Baden-Württemberg ein heterogenes Netzwerkprojekt, das aus unterschiedlichen Bündnis antifeministischer Akteure zu einer Spektren des organisierten Antifeminismus Demo für alle. In Anlehnung an die franzö- getragen wird – und welches die Kontinuitä- sische Manif pour tous, bei der sich hundert- ten in den Argumentationssträngen aufzeigt. tausende Franzos/innen zum Protest gegen Andere personelle Kontinuitäten antifeminis- die Regierung und der tatsächlichen Gleich- tischer Netzwerke sind es ebenso: so äußerte stellung homosexueller Partnerschaften auch der bereits erwähnte Matthias Matussek, der im Adoptionsrecht zusammenfanden, mobi- 1998 Debatten um die Männerfeindlichkeit lisierten deutsche Antifeminist_innen zu ver- des Feminismus anschob, im Jahre 2017 seine schiedenen Demonstrationen in Stuttgart32. Bewunderung für die extrem rechte Identitäre Das Feindbild »Gender« blieb neben dem Bewegung34, die u.a. aufgrund ihrer plakativ Mythos der »Frühsexualisierung« das zentrale antifeministischen Selbstinszenierung Popula- Mobilisierungsmoment: rität im neurechten wie auch neonazistischen Spektrum genießt.
Die Partei »Alternative für Deutschland« Mit der Gründung der Partei Alternative für »Eine Welt aus atomisierten, allseits kom- Deutschland (AfD) erhielt der organisierte patiblen, komplett diversifizierten und also Antifeminismus eine parteipolitische Bühne: geschlechtslosen Individuen ist für mich eine Akteur/innen aus antifeministischen Netz- mindestens ebenso scheußliche Horrorvision werken waren von Beginn an in Ämtern und wie eine monokulturelle Einheitswelt aus lauter Funktionen der Partei aktiv, eine Ablehnung multikulturellen Gesellschaften. Nein, Männer geschlechtlicher, sexueller und familialer Viel- und Frauen sollen gleichberechtigt sein, aber sie falt wurde in den Angriffen gegen »Gender« sind nicht gleich in ihrer Wesensart.«35 und eine angebliche »Frühsexualisierung« von Kindern zum Parteiprogramm erhoben. So Der Einzug der AfD als explizit antifeminis- verwundert es auch nicht, dass die AfD weit- tische Akteurin in den Deutschen Bundestag reichende Verschärfungen der gesetzlichen stellt geschlechterpolitische Debatten vor neue Regelung zum Schwangerschaftsabbruch und Herausforderungen. Denn ähnlich wie andere ein Ende gleichstellungspolitischer Maßnah- Akteur/innen im organisierten Antifeminismus 14 men fordert – und sich aggressiv gegen die zeigte sich die Partei in der Vergangenheit nicht Geschlechterstudien und eine Sexualpäda- an konstruktiv-differenzierten Auseinanderset- gogik der Vielfalt wendet. Anhand des Grün- zungen um Gleichstellungspolitik interessiert, dungsmitgliedes Beatrix von Storch lässt sich sondern polemisierte und erschwerte eben aufzeigen, wie langjährig aktive antifeministi- diese. In ihrer Rede zum 8. März 2018 etwa sche Personen zu Schlüsselfiguren in der Partei sprach die AfD-Abgeordnete Nicole Höchst wurden: Mit dem in Berlin ansässigen Verein von einem »Gleichstellungstotalitarismus« Zivile Koalition unterstützt sie seit Jahren und bezeichnete eine strukturelle Benachtei- die Forderung der selbsternannten »Lebens- ligung von Frauen als »Yeti: alle Welt spricht schützer« nach einem generellen Verbot von davon, aber noch niemand hat ihn ernsthaft Schwangerschaftsabbrüchen. Sie gehört heute gesehen«.36 dem Bundessprecherrat der AfD an, saß für die Partei zunächst im Europaparlament und Die Auseinandersetzung mit dem Antifemi- ist aktuell Abgeordnete im Deutschen Bun- nismus der AfD und ihrem politischen Vor- destag. Zusammen mit ihrem Mann unter- feld sowie dessen Scharnierfunktion in weite hält von Storch unter dem Dach der Zivilen Teile der Gesellschaft obliegt fortan nicht nur Koalition weiterhin zahlreiche Online-Seiten, geschlechterpolitisch Aktiven, sondern wird die gegen Geflüchtete und Muslime, gegen zur Herausforderung für viele, um einem viel Schwangerschaftsabbrüche, gegen die Ehe für besungenen Rechtsruck der Gesellschaft etwas Alle und den Euro mobil machen. Dass diese entgegen zu setzen. Angriffe als politisches Konzept verstanden werden müssen, das sich unter anderem rassis- tisch begründet, zeigen auch die Aussagen des AfD-Fraktionsmitglieds Hans-Thomas Till- schneider aus Sachsen-Anhalt, in einem Inter- view, das 2016 mit dem maskulistischen Verein MANNdat geführt wurde. Darin heißt es: Der Beitrag ist eine leicht überarbeitete Version von: Lang, Juliane/ Peters, Ulrich (2018): Antifeminismus in Deutschland. Einführung und Einordnung des Phänomens. In: dies. (Hrsg.): Antifeminismus in Bewegung. Aktuelle Debatten um Geschlecht und sexuelle Vielfalt. Hamburg: Marta Press.
1 Sofern nicht anders des Gunda-Werner-Instituts, Burschel, Friedrich (Hg.): 29 Vgl. Notz, Gisela (2015): gekennzeichnet, verwenden Berlin, S. 17ff. http://www. Aufstand der ›Wutbürger‹. Kritik des Familismus. wir den Gender-Gap, um auf gwi-boell.de/sites/default/ AfD, christlicher Funda- Theorie und soziale Realität die Vielfalt geschlechtlicher files/gender_wissenschaftlich- mentalismus, Pegida und eines ideologischen Gemäl- Identitäten jenseits eindeutig keit_und_ideologie_2aufl.pdf ihre gefährlichen Netzwerke, des. Stuttgart: Schmetterling weiblicher und männlicher (Abruf: 13.10.2017). 32-46. https://www.rosalux. Verlag. Geschlechter hinzuweisen. de/publikation/id/8319/ Ein streng zweigeschlechtli- 12 Hiermit beschreiben aufstand-der-wutbuerger/ 30 Vgl. Schmincke, Imke ches Denken ist konstitutiv Frey et al. Akteure, die (Abruf: 13.10.2017). (2015): ›Besorgte Eltern‹ für extrem rechtes Denken – sich in erster Linie auf den und ›Demo für alle‹ – das und für Teile der hier betrach- Vorwurf der Unwissen- 20 Karsch, Margret (2016): Kind als Chiffre politischer teten antifeministischen schaftlichkeit gegenüber den Feminismus. Geschichte – Auseinandersetzungen. Akteure. Bei Akteuren, die Geschlechterstudien bezie- Positionen, S. 294. Input im Rahmen der qua Handeln und/oder ent- hen. Kritik kommt hierbei Tagung »Gegner*innenauf- lang ihres weltanschaulichen sowohl aus den Sozial- wie 21 FAZ/ Zastrow, Volker klärung – Informationen Hintergrundes die Existenz auch aus den Natur- und (2006): ›Gender Main- und Analysen zu Anti-Fe- von Geschlechteridentitäten Technikwissenschaften. streaming’: Politische minismus« des Gunda-Wer- jenseits der Zweigeschlechter- Geschlechtsumwandlung. ner-Instituts. http://www. norm für sich ausschließen, 13 Billmann, Lucie (2015) Frankfurter Allgemeine Zei- gwi-boell.de/de/2016/07/29/ verwenden wir in diesem (Hg.): Unheilige Allianz. tung vom 19.6.2006. http:// besorgte-eltern-und-demo- Band den Schrägstrich – und Das Geflecht von christ- www.faz.net/aktuell/politik/ fuer-alle-das-kind-als-chiff- verweisen damit darauf, dass lichen Fundamentalisten gender-mainstreaming-poli- re-der-politischen (Abruf: sich in antifeministischen und politisch Rechten am tische-geschlechtsumwand- 13.10.2017). Netzwerken Frauen wie Beispiel des Widerstands lung-1327841.html (Abruf: Männer engagieren. gegen den Bildungsplan in 13.10.2017). 31 Ebd. Baden-Württemberg. https:// 2 Dohm, Hedwig (1902): www.rosalux.de/publikation/ 22 Vgl. Lang, Juliane (2015): 32 Vgl. Billmann, Lucie 15 Die Antifeministen. Ein Buch id/3984/unheilige-allianz/ Familie und Vaterland in der (2015) (Hg.): Unheilige Allianz. der Verteidigung. Berlin: Herd (Abruf: 13.10.2017). Krise. Der extrem rechte Das Geflecht von christ- Dümmlers Verlagsbuchhand- Diskurs um Gender. In: Hark, lichen Fundamentalisten lung, S. 9. 14 Der Spiegel / Matthias Sabine/ Villa, Paula-Irene und politisch Rechten am Matussek (2017): Die Frauen (Hg.): Anti-Genderismus. Beispiel des Widerstands 3 Ebd. sind schuld. Spiegel-Special Sexualität und Geschlecht als gegen den Bildungsplan in vom 1.5.1998. http://www. Schauplätze aktueller politi- Baden-Württemberg. 4 Vgl. Schrupp, Antje spiegel.de/spiegel/spiegelspe- scher Auseinandersetzungen. (2017): Warum Antifemi- cial/d-7719685.html (Abruf: Bielefeld: Transcript-Verlag, 33 Aus: Aufruf der Initiative nismus mich nicht interes- 13.10.2017). 167-182. »Demo für alle« zur Demons- siert. https://antjeschrupp. tration am 01.03.2014 in com/2017/08/02/warum-an- 15 Vgl. Faludi, Susan 23 Vgl. Roßhart, Julia Stuttgart. tifeminismus-mich-nicht-in- (1995): Backlash. Die Männer (2007): Bedrohungsszenario teressiert/ (Abruf: 13.10.2017). schlagen zurück. Hamburg: Gender – Gesellschaftli- 34 Vgl. Frankfurter Rund- Rowohlt. ches Geschlechterwissen schau/ Katja Thorwart: Offen 5 Hark, Sabine/ Villa, Pau- und Antifeminismus in der auf Basis des Ariernachweises. la-Irene (2017): Unterscheiden 16 Exemplarisch: Das Medienberichterstattung Online: http://www.fr.de/ und herrschen. Ein Essay zu Spiegel-Heft unter dem Titel zum Gender Mainstreaming, politik/meinung/kolumnen/ den ambivalenten Verflech- »Schlaue Mädchen, dumme Magisterarbeit der Sozial- identitaere-bewegung-of- tungen von Rassismus, Jungen« (Spiegel 21/2004). und Wirtschaftswissenschaf- fen-auf-basis-des-ariernach- Sexismus und Feminismus ten, Universität Potsdam. weises-a-1292598 (Abruf: in der Gegenwart. Bielefeld: 17 Manndat (2015): 13.10.2017). Trnascript-Verlag, S. 90. Bildungspolitische Benach- 24 Der Spiegel/ Pfister, teiligung von Jungen als René: Der neue Mensch. In: 35 https://manndat.de/ 6 Ebd. Frauenfördermittel. https:// Spiegel Heft 01/2007. interview/hans-thomas-till- manndat.de/jungen/ schneider-mdl-sachsen-an- 7 Karsch, Margret (2016): bildungspolitische-be- 25 Röhl, Bettina: Die halt-fordert-im-manndat-in- Feminismus. Geschichte – nachteiligung-von-jun- Gender Mainstreaming-Stra- terview-eine-neuorientie- Positionen. Bonn: Bundeszen- gen-als-frauenfoerdermittel. tegie. In: Cicero. Magazin rung-der-geschlechterpolitik. trale für politische Bildung, S. html (Abruf: 13.10.2017). für politische Kultur. Cicero html (Abruf: 13.10.2017). 289. Online Spezial, April 2005. 18 Vgl. Stange, Jennifer 36 Nicole Höchst, Rede 8 Lang, Juliane/ Peters, (2014): Evangelikale in 26 Vgl. Wiczorek, Anne am 1.3.2018 im Deutschen Ulrich (2015): Antifeministi- Sachsen. Ein Bericht. Her- (2014): Weil ein Aufschrei Bundestag. Online: https:// sche Geschlechter- und Fami- ausgegeben von weiterden- nicht reicht: Für einen Femi- www.youtube.com/watch?- lienpolitiken von Rechts, in: ken, Heinrich-Böll-Stiftung nismus von heute. Berlin: v=smVs-hzeJLc (Abruf: MBT Hamburg (Hg.): Moni- Sachsen. Fischer-Verlag. 10.10.2018). toring No. 4. Internet: http:// hamburg.arbeitundleben.de/ 19 Gender Mainstreaming 27 The European/ Kelle, img/daten/D28148360.pdf als von der Europäischen Birgit (2013): Dann mach (Abruf: 13.12.2017). Union 1998 im Vertrag von doch die Bluse zu! In: The Amsterdam verabschiedete, European vom 29.1.2013. 9 Karsch, Margret (2016): 2003 in bundesdeutsches http://www.theeuropean.de/ Feminismus. Geschichte – Recht gegossene gleichstel- birgit-kelle/5805-brueder- Positionen, S. 293. lungspolitische Strategie hielt le-debatte-und-sexismus?pa- seitdem im Top-Down-Ver- ge=38#comment_23747 10 Dohm, Hedwig (1902): fahren Einzug in deutsche (Abruf: 13.1.2017). Die Antifeministen. Ein Buch Amtsstuben. Zu den zeitlich der Verteidigung, S. 11. versetzten Wechselwirkungen 28 Vgl. Timmermann, Ste- von Gender Mainstreaming fan/ Tuider, Elisabeth (2008): 11 Frey, Regina/ Gärtner, als gleichstellungspolitischer Sexualpädagogik der Vielfalt. Marc/ Köhnen, Manfred/ Strategie und den Angriffen Praxismethoden zu Identi- Scheele, Sebastian (2014): gegen selbige siehe: Scheele, täten, Beziehungen, Körper Gender, Wissenschaftlichkeit Sebastian (2015): Das tronja- und Prävention für Schule und Ideologie. Argumente nische Zombie-Pferd. Fünf und Jugendarbeit. Weinheim: im Streit um Geschlech- Thesen zu einer diskursiven Juventa Verlag. terverhältnisse, Hein- Verschiebung im gegenwär- rich-Böll-Stiftung, Schriften tigen Antifeminismus. In:
Der Feind meines 16 Feindes ist mein Freund Antifeminismus als Schnittstelle zwischen konservativer und extremer Rechter Tanja Gäbelein Antifeminismus ist so alt wie der Feminismus dabei zunächst Autor*innen des konservati- selbst. Überall dort, wo sich Feminist*innen ven Meinungsspektrums den Begriff »Gender« erhoben, um ihre Rechte und Freiheiten einzu- sowie die EU-weite Strategie zur Geschlech- fordern, gab es Personen und Gruppierungen, tergleichstellung »Gender-Mainstreaming«. In die sich dem entgegenstellten. Schon zu Zeiten den folgenden Jahren entwickelte sich daraus des Deutschen Kaiserreichs kam es dabei zu eine sowohl im Feuilleton namhafter Zeitungen Allianzen zwischen unterschiedlichen Akteu- als auch in extrem rechten Blättern geführte rInnen von völkischen NationalistInnen über Debatte über die vermeintlichen Gefahren Burschenschaften bis hin zu Konservativen, die staatlicher Programme zur Förderung der die vermeintlich »natürliche Ordnung« durch Geschlechtergleichstellung. Während extrem Frauenwahlrecht und studierende Frauen* in rechte AutorInnen dabei immer wieder Bezug Gefahr sahen.1 nahmen auf konservative Autor*innen, ließ sich eine umgekehrte Bezugnahme zu diesem Zeitpunkt nicht erkennen. Wider dem »Gender- Wahn« - Die zwei Wellen des Dies änderte sich in der zweiten Welle des Antifeminismus seit 2006 neuen Antifeminismus, die ihren Beginn im November 2013 in den Protesten gegen den Bil- Seit Mitte der 2000er lässt sich eine erste »neue dungsplan 2015 in Baden-Württemberg nahm. Welle« des Antifeminismus ausmachen. Mit Konservative Eltern, christliche Fundamenta- dem Vorwurf einer Agenda der »politischen listInnen und die neu gegründete AfD pro- Geschlechtsumwandlung« (Volker Zastrow, testierten damals zunächst mit einer Petition, FAZ) und der Schaffung eines »neuen Men- ab 2014 mit regelmäßigen Demonstrationen schen« (René Pfister, Der Spiegel) attackierten der Besorgten Eltern gegen jene Passagen des
Bildungsplans, die die altersgerechte Aufklä- Schnittmengen rung der Schulkinder hinsichtlich sexueller und im extrem rechten und geschlechtlicher Vielfalt vorsahen. Wie schon konservativen Geschlechter- konservativen bis fundamentalchristlichen Bereich anzusiedelndes Publikum, 2006 Zastrow die vermeintliche Umerziehung und Familienkonzept Größere Gruppen glatzköpfiger Männer sind nicht zu sehen, ebenso wenig der Bürger*innen im Gender-Mainstreaming prophezeite, vermuteten die Besorgten Eltern Schnittmengen zwischen extremer und kon- werden rechtsextreme Parolen skandiert. Stattdessen ist es eher ein im in der Sexualpädagogik der Vielfalt nun den servativer Rechter im Bereich der Familien- Versuch der »staatlichen Umerziehung« ihrer und Geschlechterpolitiken können dabei nicht Kinder. Bald schon wurde die Organisation wirklich verwundern. So findet die Familie im der Demonstrationen, die bis heute stattfin- Rechtsextremismus als kleinste Einheit der den, von der Initiative Familienschutz aus dem Volksgemeinschaft ihren notwendigen Aus- hochadelig-klerikalen Kampagnen-Netzwerk druck in der heterosexuellen, binären Ehe um die AfD-Politikerin Beatrix von Storch mit Kindern. Dabei gelten Frau und Mann als übernommen und enorm professionalisiert. komplementär aufeinander bezogen – qua Mit diesem Führungswechsel einher ging auch Geschlecht werden ihnen verschiedene, sich die Umbenennung in Demos für alle (in Anleh- ergänzende Aufgaben zum Erhalt der Volks- nung an die französische Manif pour tous) und gemeinschaft übertragen. Während der Mann eine schrittweise Ausweitung des Themenspek- sich außerhalb des Hauses um die ökonomi- trums. So richten sich die Demonstrationen sche Versorgung der Familie, um Politik und nun unter dem Motto »Stoppt Gender-Ideo- Verteidigung der Volksgemeinschaft kümmert, logie und die Sexualisierung unserer Kinder!« obliegt es der Frau, sich innerhalb des Hauses gegen Sexualpädagogik der Vielfalt, die Ehe für um die biologische wie auch kulturelle Repro- alle, gegen Gender-Mainstreaming und Gender duktion der Volksgemeinschaft zu kümmern. Studies. Konkret bedeutet dies, möglichst viele weiße deutsche Kinder zu gebären und diese nach Die Demonstrationen und die zugehörigen völkischen Idealen zu erziehen. Geschlecht Web-Auftritte geben sich betont bürgernah wird damit zum elementaren Platzanweiser, und familienfreundlich. Entsprechend dem der die völkische Ordnung aufrechterhält. Das französischen Corporate Design dominieren Konzept der heterosexuellen Mehrkinderfami- die Farben pink und blau als vermeintliche lie als einzig denkbare Lebensform bildet den Mädchen- und Jungenfarben, es fliegen Luft- Rahmen, innerhalb dessen die gesellschaftliche das die Demonstrationen bespielt. ballons. Größere Gruppen glatzköpfiger Män- Reproduktion garantiert wird. ner sind nicht zu sehen, ebenso wenig werden rechtsextreme Parolen skandiert. Stattdessen Auch im Konservatismus gilt die bürgerliche ist es eher ein im konservativen bis funda- Kleinfamilie, bestehend aus Vater, Mutter mentalchristlichen Bereich anzusiedelndes und mehreren Kindern als scheinbar natürli- Publikum, das die Demonstrationen bespielt. che Lebensform. So findet sich die Wendung Und doch lässt sich beobachten, dass mit der von der (heterosexuellen Klein-) Familie als Rede von »Genderismus« und »Gender-Ideo- »Keimzelle der Gesellschaft« nicht nur im logie« eine zentrale Argumentationsfigur des Grundsatzprogramm der AfD, sondern auch extrem rechten antifeministischen Diskurses, in ablehnenden Stellungnahmen des CSU-Prä- entwickelt in den Debatten Mitte der 2000er, sidiums zur Öffnung der Ehe für homosexuelle Einzug halten konnte in breitere gesellschaft- Paare. Diese Vorstellung von Familie basiert liche Debatten. Der Begriff »Genderismus« zum einen auf der biblischen Vorgabe, die unterstellt dabei die Existenz eines omnipo- Ehe müsse auf die »Weitergabe des Lebens« tenten Staatsfeminismus, dessen Ziel es sei, im Sinne leiblicher Kinder eines heterosexu- über Gender-Mainstreaming, Gender Studies ellen Paares ausgerichtet sein, zum anderen und die Ehe für alle sowie über die zuneh- wird auf bewährte Traditionen und Ordnungen mende Übernahme der Erziehung durch den verwiesen, die es zu wahren gelte. Mit Blick Staat (Sexualpädagogik, Ausbau von Krippen- auf die Rolle der Geschlechter wird weiterhin plätzen) die heterosexuelle Kleinfamilie als mit Ehegattensplitting und Betreuungsgeld Fundament der Gesellschaft zu zerstören. Als das Familienernährermodell, in dem die Frau Folge komme es dann zu einem gesamtgesell- für Haushalt und Kinder, der Mann für das schaftlichen Niedergang. Familieneinkommen zuständig ist, verteidigt.
Dennoch hat auch in konservativen Kreisen ein Auswirkungen auf die pragmatischer Umgang mit den Anforderungen gesellschaftliche Debatte eines neoliberalisierten Arbeitsmarktes Einzug gehalten. Arbeitende Frauen gelten mittler- Trotz dieser Unterschiede bleibt festzustellen, weile als normal, der Ausbau von Kita-Plätzen dass es die extreme Rechte in den vergangenen und die Förderung von Frauen in Führungspo- Jahren geschafft hat, ideologische Versatzstü- sitionen wird auch von Teilen der Unionspar- cke im konservativen Diskurs um Familie und teien sowie der SPD vorangetrieben. Geschlecht zu platzieren. Weitere Unterschiede zwischen konservati- Ein Beispiel hierfür ist die bevölkerungspoli- ven und extrem rechten Geschlechter- und tische Argumentation, der zufolge jede Fami- Familienpolitiken zeigen sich im Umgang mit lie dem Erhalt des deutschen Volkes durch Abweichungen von der heterosexuellen Norm. Reproduktion dienen muss – insbesondere in So bedroht »der« Feminismus aus rechtsext- Zeiten gestiegener Einwanderung. Die funda- remer Perspektive den Fortbestand der Volks- mentalchristliche Autorin und Rednerin auf gemeinschaft durch die Pluralisierung an verschiedenen Demos für alle, Gabriele Kuby Lebensgemeinschaften und Geschlechterkon- erklärte dazu in einem Interview: zepten. Ohne klar definierte Geschlechterrol- len und die heterosexuelle Mehrkinderfamilie »Die Geburtenraten in fast allen Ländern als leitenden Rahmen löst sich die völkische Europas sind weit unter Erhaltungsniveau Ordnung auf, gerät die Reproduktion des deut- gesunken. [...] Für [...] Deutschland bedeutet schen Volkes ins Wanken. »Gender« wird in das, dass der islamische Bevölkerungsanteil diesem Sinne verstanden als chaotisches, belie- rasant wächst. Welche Folgen das hat, hat Thilo biges Gegenbild zur wohlgeordneten Volksge- Sarrazin in seinem Buch ›Deutschland schafft meinschaft, der sogenannte Volkstod gilt als sich ab‹ beschrieben.« logische Konsequenz. Und auch die mittlerweile im deutschen Bun- In konservativen Kreisen fallen die Reaktionen destag vertretene AfD erklärt, die sogenannte auf die Pluralisierung von Geschlechter- und Familienkonzepten weitaus vielfältiger aus. »Gender-Ideologie ist verfassungsfeindlich. […] 18 So hagelte es über Jahre harsche Kritik und Sie will die klassische Familie als Lebensmodell Ablehnung der Ehe für homosexuelle Paare, und Rollenbild abschaffen. Damit steht sie in insbesondere aus dem fundamentalchristlichen klarem Widerspruch zum Grundgesetz, das Spektrum – die Demos für alle sind hierfür die (klassisch verstandene) Ehe und Familie als ein anschauliches Beispiel. Dennoch ist die staatstragendes Institut schützt, weil nur die- Öffnung der Ehe letztlich auch mit Stimmen ses das Staatsvolk als Träger der Souveränität aus SPD, CDU und CSU durchgesetzt worden. hervorbringen kann.«2 Auch ist festzuhalten, dass die von Konserva- tiven angestrebte Gesellschaft wesentlich plu- Ein weiteres Beispiel ist die verschwörungsthe- raler ist und vor allem auf einem gemeinsamen oretische Rede von einer vermeintlichen staat- Wertekanon beruht, während für die rechtsex- lichen Umerziehung durch Sexualpädagogik treme Volksgemeinschaft das Motiv der rassis- der Vielfalt und Gender-Mainstreaming. Die tischen Zugehörigkeit unumgänglich ist. AfD beispielsweise bezeichnet Sexualpädago- gik als »Versuch, […] durch staatlich geförderte Umerziehungsprogramme in Kindergärten und Schulen das bewährte, traditionelle Famili- enbild zu beseitigen.« Diese Argumentation wird ebenfalls prominent von der fundamen- talchristlichen Autorin und Kolumnistin Birgit Kelle vertreten, die zahlreiche Demos für alle mitorganisierte und verschiedentlich von CDU und CSU als »Expertin für Gender-Mainstre- aming« geladen wurde. In Interviews spricht sie von Gender-Mainstreaming als »totalitäre
So bedroht »der« Feminismus aus rechtsextremer Perspektive den Fortbestand der Volksgemeinschaft durch die Pluralisierung an Lebensgemeinschaften und Geschlechterkonzepten. Gleichmacherei« und von »Volks-Umerzie- Was also tun? hern«, die die Gesellschaft dazu zwingen woll- ten, Homosexualität gut zu finden. In diesem Es bleibt festzuhalten, dass sich die Sagbar- Zusammenhang ist in der AfD wie auch bei keit und Diskutierbarkeit von Positionen im Kelle immer wieder von einer sogenannten Bereich Geschlecht und Familie in den ver- »Homo-Lobby« die Rede, die ebendiese ver- gangenen Jahren weit nach rechts verschoben meintliche Umerziehung durch den Staat vor- hat. Diese Entwicklung steht im Kontext einer antreiben würde. allgemeinen Rechtsverschiebung, die weite Teile gesellschaftlicher Debatten und politi- Nicht zuletzt sei auf das mittlerweile in anti- schen Handelns erfasst hat. In dieser Situation feministischen Kreisen verbreitete Schlagwort braucht es kluge Analysen, geduldige Erklärung »Frühsexualisierung« aufmerksam gemacht. und laute Stimmen, die extrem rechte, anti- So erklärt die AfD: »Unsere Kinder dürfen feministische und rassistische Positionen als nicht zum Spielball der sexuellen Neigungen solche markieren und dem eigene Alternativen einer lauten Minderheit werden. Das ideolo- entgegensetzen. gische Experiment der Frühsexualisierung ist sofort zu beenden.« Mit Blick auf eine Aufklä- rungsbroschüre des Berliner Senats schrieb der Bild-Autor Gunnar Schupelius in ganz 19 ähnlicher Manier, schon kleine Kinder sollten mit dieser Broschüre von »sexuellen Spielarten erfahren«. Diese aus dem rechtsextremen Spek- trum stammende Argumentationsweise stellt eine Verbindung zwischen Homosexualität und Pädophilie her. Kinder würden durch Sexu- alpädagogik der Vielfalt für pädophile Über- griffe vorbereitet oder die Erziehung selbst werde von Pädophilen durchgeführt. Heute findet sich dieses Argument auch bei Masku- 1 Mit dem Gender-Stern für Personen soll in diesem listen, christlichen FundamentalistInnen und Text darauf verwiesen werden, Pegida-AnhängerInnen. dass ich Geschlecht nicht als biologische Tatsache, sondern als gesellschaftliches Konstrukt verstehe. Für völkische NationalistInnen und christliche Fundamenta- listInnen hingegeben nutze ich das Binnen-I, da in ihrer Weltanschauung queere Pers- pektiven keinen Platz finden. 2 Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht schon 2013 festgestellt, dass der grundgesetzliche Familienbegriff auch auf die sozial-familiäre Gemein- schaft von eingetragenen Lebenspartner*innen mit Kindern Anwendung findet.
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