Ausgabe 52 Juli - August - September - Wohnstift Karlsruhe
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Liebe Leserin, lieber Leser, in diese Ausgabe unseres ResidenzJournals darf fehlendem Abstand freiwillig zu tragen, um ich Sie einleiten. Für diejenigen, die mich noch eventuelle Infektionen zu vermeiden. Wir wissen, nicht kennen, stelle ich mich gerne kurz vor. Seit dass dies gerade bei sommerlichen Tempera- Oktober 2018 bin ich beim Wohnstift Karlsruhe turen sehr schwer fällt. und der Karl Friedrich-, Leopold- und Sophien- Stiftung beschäftigt. Fast 20 Jahre bin ich bereits Der Ausbau der Pflegeabteilung im zweiten in der sozialen Dienstleistung tätig. Meine origi- Obergeschoss in der Residenz Rüppurr konnte näre Tätigkeit ist die Personal- und Verwaltungs- Ende Juni abgeschlossen werden. Ein Besichti- leitung und – in Vertretungszeiten – die stellver- gungstag für unsere Bewohner erfolgt kurz vor tretende Geschäftsführung. Für die beiden sta- Eröffnung. Die neu gestalteten Zimmer verfügen tionären Pflegeeinrichtungen in den Residenzen alle über ein eigenes Bad mit Dusche und Toi- fungiere ich als Heimleitung. lette, Klimaanlage und Balkon. Die hell und freundlich ausgestatteten Zimmer bieten ausrei- Zunächst möchte ich zu den Großbaustellen für chend Platz, auch für persönliche Gegenstände. die Feuerwehraufzüge in der Residenz Rüppurr Somit können wir ab sofort insgesamt 29 Pflege- berichten. Bei den Bewohnerinformationsveran- plätze vorhalten. staltungen bezüglich der neuen Feuerwehr- aufzüge wurde ich den Bewohnern als interner Die letzten Begehungen durch die Heimaufsicht Ansprechpartner für dieses spannende Baupro- in den stationären Einrichtungen, im Februar in 2 jekt benannt. Seit Baubeginn findet wöchentlich der Residenz Rüppurr und im März in der ein Jour fixe zwischen dem Architekten Matthias FächerResidenz, endeten mit folgenden Sätzen: Lillotte-Siekora, der Bauleitung von Trautmann „Insgesamt hinterlässt diese vorbildlich geführte und mir statt. Dort werden alle relevanten Dinge Einrichtung einen sehr guten, sauberen und besprochen, die in der Folgewoche stattfinden. freundlichen Eindruck. Von Seiten der Heimaufsicht Wir alle bemühen uns, bestmöglich über bevor- gab es keinerlei grundsätzliche Beanstandungen. stehende größere und lärmintensive Arbeiten zu Sämtliche angetroffene Bewohnende wirkten gut informieren. Doch überall, wo Menschen arbei- gepflegt und ausgeglichen. Der Heimaufsicht ten, kommt es hin und wieder zu kleinen Missver- wurde von allen mitgeteilt, dass sie sich im Haus ständnissen, sodass wir nicht immer rechtzeitig wohlfühlen und sie mit ihrer Wohnsituation und unsere Aushänge organisieren können. Dafür dem Personal zufrieden sind.“ Dem ist fast nichts bitten wir um Nachsicht. Wir sind sehr froh, dass mehr hinzuzufügen. Mein Dank gilt unseren die Bauabschnitte derzeit schneller als geplant Pflegedienstleitungen Iveta Rastert (FR) und Rolf und parallel an allen Häusern durchgeführt Müller (RR) und ihren Teams für die hervor- werden können. Gegenwärtig ist dies nicht ragende Arbeit – Tag für Tag. selbstverständlich. Viele Baustellen können nur mit Verzögerungen ausgeführt werden oder Nun hoffen wir alle auf einen unbeschwerten und liegen ganz auf Eis, da das Material knapp ist. Ich sonnenreichen Sommer, auf laue Nächte, ange- verweise Sie auch auf die Seiten 20&21 im nehme Gespräche und Begegnungen. Allen, die ResidenzJournal. Hier finden Sie einen ausführ- diese Zeit auch fernab unserer Residenzen lichen Baufortschrittsbericht sowie einige Bilder. genießen, wünschen wir eine gute Reise, tolle So hoffen wir, dass die Arbeiten auch weiterhin im Eindrücke, Entspannung und Erholung. Jean Paul Zeitplan liegen und die Aufzüge im Herbst in schrieb treffend: „Die Freude und das Lächeln sind Betrieb genommen werden können. der Sommer des Lebens.“ Die Coronapandemie scheint für viele in weiter Herzliche Grüße Ferne. Einschränkende Maßnahmen gelten nur noch für stationäre Pflegeeinrichtungen. Für Bewohner, Besucher und Mitarbeiter gilt seit Juni keine verpflichtende Maskenpflicht mehr wie Christoph A. Zajontz-Wittek auch in Restaurants, Theatern, Museen usw. Personal- und Verwaltungsleitung Trotzdem appellieren wir weiterhin, die Maske bei
Der Knabe am Brunnen Romane und Erzählungen. Sie hatte Kontakt mit vielen Karlsruher Künstlern. Mit ihren beiden Söhnen konvertierte sie zum evangelischen Glauben. Nach dem Abitur begann Fritz ein Chemiestu- dium, meldete sich aber 1914 als Kriegsfrei- williger und wurde Soldat in Frankreich. Nach dem Krieg Er kam als Pazifist aus dem Krieg zurück. Er arbeitete zunächst in der Zigarrenfabrik der Familie, war dann in Mannheim als freier Mitarbeiter bei der Badischen Landeszeitung tätig, arbeitete auch als Übersetzer. Treffpunkt Brunnen Er schloss sich eine Weile einer christlich- Im September findet in Karlsruhe die große sozialen Kommune im Hessischen an, die sich Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Neuwerk nannte und nach dem Trauma des Kirchen mit Gästen aus 352 christlichen Kirchen Ersten Weltkriegs auf der Suche nach neuer aus allen Erdteilen statt; zum ersten Mal seit Lebensgestaltung war: eine Lebensgemein- 1968 wieder in Europa – ein „historisches Ereig- schaft, die Arbeitsgemeinschaft, Gütergemein- nis“! schaft und Glaubensgemeinschaft sein wollte. Schloss gab im Verlag der Neuwerk-Bewegung Am Festplatz beim Kongresszentrum gibt es zwei Bände Legenden heraus: Alte Erzählungen den „Brunnen-Bereich“, offen auch für uns in der Dichtung unserer Zeit. Und er schrieb Karlsruher. Ein Treffpunkt, um sich auszutau- Gedichte. schen, auch mit Gästen aus aller Welt, um sich zu verabreden, Neuigkeiten zu erfahren – so wie 3 Familie in alter Zeit der Brunnen ein Treffpunkt für die 1922 verheiratete er sich mit Else Raithel aus Bewohner des Dorfes war. Verschiedene Ange- Königsfeld. Sie stammte aus der Mendelssohn- bote und Ausstellungen sind dort zu finden. „The Familie. Ihr Ururgroßonkel war der Komponist ‚Brunnen' will be the heart of the assembly.“ Felix Mendelssohn-Bartholdy, 1809-1847. Das Paar zog nach Bruchsal, wo Fritz in der Malz- Zum Brunnenbereich gehört auch der Brunnen fabrik des mit seiner Cousine verheirateten vor dem Vierordtbad, Hygieia- oder Gesund- Bruchsaler Unternehmers Otto Schrag arbeite- heitsbrunnen genannt. Als der Bildhauer Johan- te (Malzfabrik Schrag & Söhne, 1938 „arisiert“). nes Hirt an diesem 1909 eingeweihten Brunnen Drei Söhne wurden geboren. Schon damals arbeitete, stand für eine der Figuren ein etwa 13- beschäftigte sich Fritz Schloss neben seiner Jähriger Karlsruher Bub Modell, Martin Friedrich kaufmännischen Tätigkeit mit der Entwicklung Schloss. von Nahrungsmitteln aus Malz. Von ihm soll hier erzählt werden. Daneben ging er weiter seinen literarischen Jugend Interessen nach. Seine schon 1922 erschienene Martin Friedrich Schloss, genannt Fritz, geboren Neubearbeitung eines mittelalterlichen Toten- 1895, war der jüngere Sohn von Adolf und Marie tanzes (Totentanz. Ein alt immer wiederkehrend Schloss, geborene Haas. Beide stammten aus Spiel) wurde von Hermann Meinrad Poppen, alten, badischen, liberalen, jüdischen Familien. 1885-1956, einem damals bekannten Kompo- Der Vater war Zigarrenfabrikant in Emmen- nisten und Kirchenmusiker, vertont und u.a. in dingen. Als Fritz 11 Jahre alt war, starb der Vater. Mannheim aufgeführt und mehrfach in der voll- Die Mutter zog mit ihren beiden Buben nach besetzten Karlsruher Stadtkirche, die damals Karlsruhe in die Nähe ihres Bruders Ludwig 2000 Plätze hatte. Haas, Rechtsanwalt, Stadtrat, Reichstagsabge- ordneter, später 1918/19 badischer Innen- Fritz engagierte sich in der evangelischen Kir- minister. che, schloss sich politischen und religiös- Die junge Witwe Marie Schloss arbeitete in sozialen Organisationen an, die für Völkerver- Karlsruhe als Journalistin, engagierte sich im ständigung eintraten, u.a. dem Internationalen politischen und kulturellen Leben und schrieb Versöhnungsbund.
Jüdisch im Dritten Reich Bald hatte er auch international einen Namen. Wie ging es dem „Nichtarier“ Martin Friedrich Er reiste als Spezialist zu medizinischen Vor- Schloss in Bruchsal, als die Nationalsozialisten trägen zum Beispiel nach Ungarn, Polen, an die Macht kamen? Schloss glaubte zu- Österreich, nach Ost- und Westdeutschland nächst, als mit dem Eisernen Kreuz ausge- und in die Schweiz, referierte auch bei der zeichneter Offizier des Ersten Weltkriegs nicht Therapiewoche Karlsruhe. von der antisemitischen Hetze bedroht zu sein. Der einst als Junge auf dem Gesundheits- Doch die Schikanen und die Ausgrenzungen ge- brunnen Abgebildete arbeitete jetzt auf andere gen Jüdischstämmige nahmen zu, immer mehr Weise für die hygieia, die Gesundheit der Rechte wurden ihnen genommen. Ein Nachbar Menschen. schrieb in seinen Erinnerungen: „Die drei leb- haften Schloss-Buben machten mir, wann im- Er hatte darüber hinaus weit gespannte Inter- mer ich sie sah, stets große Freude. Bald durf- essen. Neben seiner naturwissenschaftlichen ten wir uns aber auf der Straße nicht mehr be- Tätigkeit beschäftigte er sich weiter mit kunst- grüßen; höchstens ein Augenzwinkern zeigte geschichtlichen, philosophischen und religiö- die persönliche Sympathie an.“ sen Fragen. Er übersetzte Calderon ins Eng- Fritz Schloss musste erkennen, dass es für ihn lische. Auch das Totentanz-Thema ließ ihn nicht und seine Familie keine Zukunft mehr in die- los. Seine Fassung des Totentanzes wurde 1953 sem Deutschland gab. Er suchte nach Wegen ins Englische übersetzt: The Dance of Death, A für eine Ausreise, doch es gab Hürden noch Spiritual Play of the Middle Ages, Revived by und noch. Endlich, im April 1938 gelang ihm – Martin F. Schloss. Es wurde in Racine und zunächst allein – die Ausreise in die USA: ein Michigan in vollen Kirchen aufgeführt. Verwandter dort übernahm die erforderliche Kaution und Bürgschaft. Europa Trotz allen Erfolgen in den USA und trotz allen USA bitteren Erfahrungen in Deutschland hing er Der Anfang in den USA war sehr schwer. nach wie vor an seiner alten Heimat. Die beiden Schloss fand mit großen Mühen eine kleine Weltkriege hatten Fritz Schloss zum überzeug- Anstellung, in der er englische wissenschaftli- ten Pazifisten und Europäer gemacht. Er war 4 che Schriften auszuwerten hatte. Seine Frau von der Notwendigkeit eines geeinten Europa musste warten, bis er eine bezahlte Stelle überzeugt. nachweisen konnte. Im Januar 1939 konnte sie Nach dem Krieg bemühte er sich eine Zeitlang, mit den drei Buben nachkommen. Schloss nach Deutschland zurückzukommen, um am arbeitete jetzt in der Lebensmittelfirma Horlick Aufbau eines neuen, friedlichen Europa mitzu- Maltet Milk an der Entwicklung von „maltet arbeiten und sozial tätig zu werden; er stand milk“ und neuen Verfahren zur Verwertung von deswegen auch mit den Quäkern und dem Melasse. American Committee for the World Council of Churches in Verbindung. Doch es gelang nicht. Schon während des Krieges plante er für die Zeit nach dem Krieg für die in Europa zerstörten Zurück in Deutschland Länder. Er schrieb: „Ich denke vor allem an die Im Rentenalter zogen Fritz und seine Frau nach Herstellung einer Nährhefe, die ja vor allem Deutschland zurück; sie wohnten zuerst in wichtig ist, um das fehlende Protein ersetzen Ettlingen, dann im Weiherfeld. Fritz war ein zu helfen: Das sollte als ein Non-profit-Unter- interessanter und gefragter Gesprächspartner. nehmen aufgezogen werden, denn am Hunger Er hielt Vorträge in der Volkshochschule und im und der Not des Nächsten sollte keiner verdie- Amerikahaus. Er hatte großes Interesse an alter nen!“ Kunst. Er beschäftigte sich zum Beispiel mit Konstruktionsprinzipien alter Bilder und veröf- Nach Kriegsende wechselte er in den Gesund- fentlichte dazu Aufsätze im jährlichen Annuaire heitsbereich. Er stieg allmählich – als Self- de Colmar. made-Man, ohne „degree“ – zum Chefbioche- miker des Forschungslabors im St. Luke's Me- morial Hospital in Racine, Wisconsin, auf. Er war beteiligt an neuartigen Formen der Blut- gruppenforschung, an Blutuntersuchungen mit minimalen Blutentnahmen und an der Entwicklung von Blutaustausch bei ungebore- nen und frühgeborenen Kindern. Sie waren in diesem Spital führend in der Behandlung von „blue babies“.
In einem Brief an Walter und Erdmuth Achtnich- Schloss im März 1971, in dem er vor einer Ame- rikareise einiges für den Fall seines Todes regelte, schrieb er: „Dass ich trotz meiner Beschwerden, die zuweilen recht unbehaglich sind, noch gerne lebe und jeden Morgen froh und dankbar bin, dass ich noch hier sein darf, das wisst Ihr. Ich habe in den langen Jahren zwar viele Enttäuschungen erleben müssen, aber die schönen Stunden und die feinen Menschen, die ich finden durfte, überwiegen bei weitem alle Enttäuschungen. Ein geeintes Europa und darüber hinaus eine geeinte, freie und friedli- che Welt, in der es keinen Krieg, noch Hunger, Wer sieht dem dreizehnjährigen Buben am noch Unfreiheit mehr geben kann, werde ich wohl Brunnen vor dem Vierordtbad ein solch beweg- nicht mehr erleben, aber ich bin froh, dass mir tes, schweres und zugleich reiches Leben an? diese Zukunftshoffnung gegeben ward, an die ich Martin Friedrich Schloss schöpfte seine Kraft bis zu meinem Ende glauben werde!“ aus Quellen, wie sie im Motto der Ökumeni- schen Versammlung ausgedrückt sind. Zu Weihnachten 1958 hatte Fritz Schloss der Familie seiner Schweizer Nichte Erdmuth Acht- Martin Friedrich Schloss starb am Ostersonntag nich-Schloss ein eigenes Werk geschenkt: Das 1973. Er wurde durch seinen Freund Pfarrer Spiel des Lebens, ein Traumspiel. Das Heinz Kappes auf dem Karlsruher Hauptfried- Motto dieses Spiels: hof bestattet. Alles Lebens tiefster Sinn alles Erkennens höchster Gewinn Woher ich das alles weiß? Seine Nichte Erdmuth alles Findens reinster Genuss Achtnich-Schloss gab mir kurz vor ihrem Tod alles Wissens letzter Schluss Briefe ihrer Großmutter Marie Schloss für das liegt in der Liebe. Karlsruher Stadtarchiv. Daraufhin habe ich die Lebensläufe der verzweigten Familie recher- 5 Das fügt sich gut zum Motto der Weltkirchen- chiert. Im ResidenzJournal 37/2018 habe ich versammlung: „Die Liebe Christi bewegt, ver- über seine Mutter und seinen Onkel berichtet. söhnt und eint die Welt“, dem Fritz Schloss ganz zugestimmt hätte. Martin Achtnich, RR * * * Krieg und Frieden Martin Friedrich Schloss übersetzte in den USA Der Narr fragte, was sie damit erreichen wollten. Geschichten aus dem 1519 von dem im Elsass Sie sagten zu ihm: „Du Narr, weißt du nicht, dass wirkenden Franziskanermönch Johannes Pauli, im Krieg Städte und Dörfer niedergebrannt ca. 1455 - ca. 1530, verfassten Buch „Schimpf werden, Weizenfelder und Weinberge zerstört, und Ernst“ ins Englische. Menschen getötet?“ Und als der Narr fragte, wozu das denn getan werde, sagten sie zu ihm: „Um Zu dieser Sammlung von Schwänken und Frieden zu bekommen!“ Erzählungen heißt es bei Wikipedia: 1519 in Thann vollendet, 1522 in Straßburg veröffent- Da antwortete der Narr: „Es wäre doch besser, Ihr licht, enthielt 693 Exempel in 90 Kapiteln. würdet zuerst Frieden schließen – vor all diesen Hier die Rückübersetzung eines Beispiels: Zerstörungen. Deshalb bin ich weiser als ihr. Denn ich würde vorher Frieden schließen, nicht erst Einmal war eine große Armee mit Kanonen und hinterher wie ihr es vorhabt!“ anderen Zerstörungswaffen unterwegs, um mit ihrem Nachbarland Krieg zu führen. Als die große 1522 erschienen, vor 500 Jahren! Armee sich der Grenze näherte, stand ein Narr am Weg und fragte, wohin sie gingen. Sie antworteten ihm, sie wollten Krieg ins Nachbarland bringen.
Barbara Tebbert – der nicht ganz alltägliche Berufsweg einer Ärztin Seit einigen Jahren, genauer gesagt seit Juli 2012, nimmt eine zierliche, dunkelhaarige Frau mit einer aparten Frisur zusammen mit ihrem Ehemann um 13 Uhr ihre Mahlzeit im Speise- saal ein. Manche Bewohner der FächerResi- denz erinnern sich an Weihnachtsfeiern zu Vor- Corona-Zeiten in diesen Räumen, bei denen diese Dame, Frau Dr. med. Barbara Tebbert, als Stellvertretende Vorsitzende des Wohnstifts die Weihnachtsansprache hielt. Wer verbirgt sich hinter diesem Namen? Barbara Tebbert hat eine unglaubliche Karriere als Medizinerin gemacht. Diese begann nach der Medizinalassistentenzeit 1969 in der Anäs- thesie der Universitätsklinik Göttingen, also in Raum Schwäbisch Hall/Crailsheim angetra- Norddeutschland. Ende 1970 heiratete sie und gen wurde, nahm sie diese Herausforderung folgte Ihrem Mann nach Karlsruhe, wo sie 1972 mit Zustimmung ihrer Familie an. Wieder zunächst mit einer Teilzeitstelle als Ärztin im zurück in Karlsruhe, bewarb sie sich um die Gesundheitsamt Karlsruhe begann. Sie hatte zwischenzeitlich frei gewordene Leitung des inzwischen schon zwei Kinder (später kam Gesundheitsamts im Raum Rastatt, Baden-Ba- noch der 3. Sohn dazu), wollte aber trotzdem den und Bühl. Dort blieb sie 3 Jahre und kehrte ihren Beruf nicht völlig aufgeben. Eigentlich als Abteilungsleiterin VI - Gesundheit und war damals die Zeit noch nicht reif für berufstä- Soziales - beim Regierungspräsidium nach 6 tige Mütter. So war bis zum Jahr 1977 zur Karlsruhe zurück. Nach einer Verwaltungsre- Berufsausübung der Frau die Zustimmung des form, in der zwei Abteilungen zusammen ge- Ehemannes erforderlich, (Wem ist das heute legt wurden, übernahm Frau Tebbert - nach noch bekannt?), und nicht alle Ehemänner entsprechender Weiterbildung - im Jahr 2000 waren schon so emanzipiert, diese Zustim- die Abteilung 2 „ Wirtschaft, Raumordnung, mung zu geben. Auch im Hause Tebbert war sie Bau-, Gesundheits- und Sozialwesen“, die nicht leicht zu erhalten. Außerdem fehlte es später noch um die Bereiche „Denkmalwesen“ damals an genügend Kita-Plätzen, gesicherter und „grenzüberschreitende Zusammenarbeit Halbtagsbetreuung in Schulen und an Ganz- in der Oberrheinregion“ erweitert wurde. In tagsschulen. dieser Funktion amtierte sie bis zu ihrer Pensionierung im Jahre 2006. Von 1980 bis 1994 gehörte Frau Tebbert dem Gemeinderat der Stadt Karlsruhe an. Sie Dies vorausgeschickt, beantwortete Frau Dr. engagierte sich im Sozialbereich und war Tebbert der Redaktion noch einige Fragen: Sprecherin der SPD-Fraktion im Krankenhaus- ausschuss. Daneben fand sie noch die Zeit, ResidenzJournal: Frau Dr. Tebbert, woher ihren Beruf, die Betreuung ihrer drei Kinder, ihre haben Sie die Energie genommen, um eine Tätigkeit als Kreisverbandsärztin des DRK derartige Vielfalt an Aufgaben zu bewältigen? auszuüben und sich zusätzlich um gesundheit- liche Aufklärung durch Vorträge und Veran- Barbara Tebbert: Die Energie verdanke ich staltungen zu kümmern. Zudem engagierte sie meiner Mutter. Meine Eltern praktizierten beide sich noch als Lehrbeauftragte an der Pädago- als Ärzte im thüringischen Gera, mein Vater war gischen Hochschule. aber seit 1943, ein Jahr nach meiner Geburt, vermisst. Trotzdem brachte es meine Mutter Nach ihrer fachärztlichen Weiterbildung an der als Kriegerwitwe mit zwei Kindern nicht nur zur Akademie für öffentliches Gesundheitswesen Leitenden Medizinaldirektorin, also Gesund- in München wurde sie als Ärztin für Öffentli- heitsamtsleiterin in Göttingen, sondern war ches Gesundheitswesen 1983 ins Beamten- auch als Ratsherrin (so hieß es in Göttingen) verhältnis des Landes Baden-Württemberg politisch aktiv. Von ihr lernte ich eiserne übernommen. Als ihr 1990 eine kommissari- Disziplin und Durchhaltevermögen. sche Amtsleitervertretung für 7 Monate im
RJ: Die werden Sie auch gebraucht haben, denn keiten, z. B. Schwerbrandverletzte aus dem El- neben Ihrem Beruf haben Sie ja auch als sass in der Klinik Ludwigburg unterzubringen, Ehefrau Ihren Mann begleitet und die Kinder zu statt diese in weit entfernte französische Spe- lebenstüchtigen Menschen erzogen. Hat sich zialkliniken zu fliegen. So war es ja auch in der das auch auf Ihre Tätigkeit als SPD-Stadträtin im kritischen Coronaphase bei fehlenden Intensiv- Karlsruher Gemeinderat ausgewirkt? betten in Frankreich möglich, dass Patienten von dort in Baden-Württemberg aufgenommen BT: Allerdings, und es wird Sie nicht wundern, wurden. dass ich mich als Stadträtin ganz besonders für Übrigens habe ich auch nach meinem Ruhe- die Kernzeitbetreuung der Schulkinder und für stand 2006 noch auf Wunsch des Sozial- Ganztagsschulen eingesetzt habe. Das war ministeriums in der Arbeitsgruppe Gesundheit Pionierarbeit! Ich selbst war damals in der der deutsch-französischen-schweizerischen glücklichen Situation, dass meine Kinder die Oberrheinkonferenz vier Jahre ehrenamtlich Europäische Schule besuchen konnten, die fast weiter mitgearbeitet. vor unserer Haustür lag und in der es Ganz- tagsunterricht gab. Als Berufstätige galt man RJ: Geholfen hat Ihnen dabei sicher auch, dass damals oft als Rabenmutter und natürlich war Sie schon lange mit Frankreich verbunden es nicht immer einfach, allen Seiten gerecht zu waren? werden. Unsere Kinder wurden bei den häusli- chen Arbeiten mit eingespannt. Aber das hat BT: Ja, denn schon als Schülerin hatte ich Kon- ihnen nicht geschadet, meine Schwieger- takt mit einer französischen Brieffreundin, aus töchter sind heute dankbar dafür. Natürlich dem sich dann eine lebenslange Freundschaft haben sie das ein oder andere schon vermisst; entwickelt hat. Auch der Beruf meines Mannes, darüber haben wir später auch gesprochen. der Abteilungsleiter und Prokurist des Kernfor- Aber was ich damals bei unseren Kindern schungszentrums war, führte uns häufig nach versäumt habe, habe ich an unseren 7 Enkel- Frankreich, insbesondere nach Paris, Grenoble kindern wieder gut gemacht. Unsere Enkel- und Aix en Provence. Außerdem besaßen wir ein kinder hatten es gut, weil die Großeltern vor Ort Ferienhaus in Grandfontaine (Schirmeck). waren. Das hatte mir leider gefehlt. RJ: Für all Ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten in 7 RJ: Stadträtin war ja nicht das einzige Ehrenamt, Deutschland wurden Sie auch von deutscher das Sie hatten, auch von Berufs wegen waren Seite geehrt, denn auf Vorschlag von Winfried Sie in zahlreiche Gremien eingebunden, zum Kretschmann hat der damalige Bundespräsi- Beispiel in der ORK, der deutsch-französisch- dent Joachim Gauck Ihnen im April 2012 das schweizerischen Oberrheinkonferenz als Vor- Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens sitzende der Arbeitsgruppe Gesundheitspolitik. der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Dort müssen Sie Herausragendes geleistet Aber ein Ehrenamt hatten Sie inne, das unsere haben, denn sonst hätte Frankreich Sie 2005 Residenzbewohner ganz besonders interessie- wohl kaum zum „Chevalier de l'Ordre National ren dürfte. du Mérite“ ernannt. BT: (lacht) Sicher meinen Sie mein Amt als stell- vertretende Vorstandsvorsitzende des Wohn- BT: In der Tat, den habe ich als „Zeichen der An- stifts Karlsruhe e.V., das ich 21 Jahre lang von erkennung im Dienste der deutsch-französ- 1996 bis 2017 ausübte. Dadurch habe ich die ischen Zusammenarbeit im Gesundheitswe- Planung der FächerResidenz in allen Einzel- sen“ bekommen. Als Vorsitzende habe ich mich heiten mit verfolgt und ich bin stolz darauf, dass für die rasche und unkonventionelle Hilfe und ich beim ersten Spatenstich für mein jetziges Zusammenarbeit bei Unfällen oder gesund- Zuhause dabei sein durfte. heitlichen Notfällen über die Grenzen hinweg stark gemacht. Aber erst einmal hatte ich mich RJ: Hätten Sie damals gedacht, dass Sie einmal in EG-Verordnungen, bilaterale Abkommen als Bewohnerin in die FächerResidenz ziehen zwischen Kommunen und in verschiedene würden? Staatsverträge einarbeiten müssen. Zum Glück waren meine Vorkenntnisse aus der Anästhesie BT: Das hatten mein Mann und ich schon ins und meine ehrenamtliche Tätigkeit beim DRK Auge gefasst. Ich war in den Jahren vor unserem sowie meine beruflichen Einbindungen in Einzug sehr häufig in der FächerResidenz, da ja Krisenstäbe eine gute Voraussetzung. Trotzdem meine Freundin Gerlinde Hämmerle, mit der war es ein langer und zäher Kampf, um Dinge mich so vieles, auch Ehrenamtliches und Beruf- wie einen grenzüberschreitenden Rettungs- liches, verbindet, schon lange hier wohnt. Auch dienst, oder einen zentralen Intensivbetten- das Café hat meinen Mann und mich immer nachweis zu schaffen und damit die Möglich- wieder angelockt.
Mit dem Einzug in die FächerResidenz musste BT: Nein, mir fiel der Umzug aus dem letzten ich meine Funktion im Vorstand des Wohnstif- Winkel der Waldstadt, wo wir direkt am Wald tes natürlich aufgeben. Ich gehöre aber noch wohnten, gar nicht schwer, zumal wir eine zu den Mitgliedern des Vereins mit beratender Wohnung bekommen haben, die mir aus Funktion wie auch unser Oberbürgermeister jedem Fenster den Blick auf die schönen Mentrup, unsere früheren Oberbürgermeister grünen Bäume beschert. Heinz Fenrich und Dr. Gerhard Seiler, ehemali- ge Bankvorstände und Stadtdirektoren und RJ: Schön, dass Sie sich auch weiterhin für nicht zu vergessen unsere ehemalige Regier- unsere Häuser engagieren. Wir wünschen ungspräsidentin Gerlinde Hämmerle. Ihnen und Ihrem Mann alles Gute. RJ: Fiel Ihnen der Umzug in die FächerResidenz Das Gespräch führte schwer? Marthamaria Drützler-Heilgeist, FR *** Leierkastenbesuch in der WERBUNG Tagespflege Residenz Rüppurr Anfang Juni bekam die Tagespflege der Resi- 8 denz Rüppurr Besuch durch Herrn Leyerle mit seinem Leierkasten: Die Tagespflege in der Residenz Rüppurr ist montags bis freitags von 8:30 Uhr bis 16:30 Uhr sowie nach Vereinbarung für Gäste aus dem Haus und aus der Umgebung geöffnet. Es wurde viel geschunkelt und getanzt: Und natürlich gab es auch eine kühle Erfri- Es besteht die Möglichkeit, sowohl die ganze Wo- schung und Kaffee für die Tagespflegegäste! che (Montag bis Freitag) oder auch nur einzelne Wochentage zu buchen. Wir laden Sie herzlich zu einem unverbindlichen, kostenlosen Probetag ein. Bilden Sie sich vor Ort Ihre eigene Meinung über unser Angebot. Derzeit können wir noch keinen Hol- und Bring- dienst anbieten. Wir bitten um Verständnis. Bei Interesse: Telefon 0721 / 8801-966 Die Redaktion
Lesetipp Philip Roth: Nemesis Philip Roth (1933 – 2018) ist einer der renom- scheidung leiden. Aber er wird nicht daran miertesten US-amerikanischen Romanautoren zerbrechen, er wird sie in großer Tapferkeit auf des zwanzigsten und beginnenden einund- sich nehmen. zwanzigsten Jahrhunderts. Er genießt weltweit hohes Ansehen, vor allem als kritischer Beob- achter des amerikanischen Mittelklasse-Mi- lieus. Philip Roth wurde in der Ostküstenstadt Newark geboren, er stammte aus einer jüdi- schen Familie, sein Großvater wanderte Anfang des letzten Jahrhunderts aus Galizien ein. Das ist für unser Buch wichtig, denn es spielt im jüdischen Viertel von Newark. Philip Roth weiß also, wovon er redet, wenn er das Geschehen des Romans in eben diesem Viertel ablaufen lässt. In der Stadt ist im Sommer des Jahres 1944 eine Polioepidemie ausgebrochen. Diese Epidemie hat es so nicht gegeben, aber sie steht im Zen- trum des Geschehens des Romans. Noch ein anderes, dieses Mal reales Ereignis, spielt in die Geschichte hinein: Im Sommer 1944 ist der Soll man so ein Buch in unseren krisengeschüt- Zweite Weltkrieg in seine entscheidende Phase telten Zeiten lesen? Es gehört eventuell ein ge- eingetreten, die alliierten Truppen sind in der Normandie gelandet, viele amerikanische Sol- wisser Mut dazu, sich dieser Geschichte auszu- 9 setzen. Wenn man es wagt, wenn man dem daten haben dort in verlustreichen Schlachten Schicksal dieses tapferen Menschen folgt, wird ihr Leben riskiert, viele es verloren. sich vielleicht bestätigen, was der bekannte Literaturkritiker Denis Scheck zu diesem Buch Beides zusammen bildet den Hintergrund für sagt: „Ein tröstendes Buch in einer trostlosen das Drama, das sich im Leben der Hauptperson, Welt“ – Weltliteratur. Eugene Cantor, genannt Bucky, abspielt. Es ist ein Drama, wie wir es aus der großen Literatur Das Buch ist bei rororo als Taschenbuch für 12 kennen, wo Menschen sich zwischen Pflicht und Euro zu haben. ISBN: 978-3-499-25990-6 Verantwortung einerseits und Flucht aus der Verantwortung andererseits entscheiden müs- Ingrid Rumpf, FR sen. Es ist auch das Drama eines Menschen, der rebelliert gegen einen Gott, dessen Name in der jüdischen Totenklage am Grabe eines geliebten Kindes „gepriesen, gerühmt und verherrlicht“ wird, gegen diesen Gott, der den Kindern from- mer Menschen – den Kindern in der Epidemie und den Söhnen auf dem Schlachtfeld – so etwas Schreckliches antut. Nach einer Zeit großartiger Bewährung folgt Bucky, auch aus einer immensen Erschöpfung heraus, seinem Impuls zur Flucht aus der Ver- antwortung. Er trifft die falsche Entscheidung: Er ist bereits infiziert, als er, den Bitten seiner Verlobten folgend, diese in einem Ferienlager in den Bergen trifft. Und er steckt dort Kinder an, die sterben oder zu Krüppeln werden; er wird selber im Rollstuhl leben müssen und so den Rest seines Lebens an den Folgen dieser Ent-
Freiheit auf 36 m² Rosemarie Pfeil (82) lebt seit 2018 in einer Ein- Frau Pfeil: „Mein Mann ist bereits ein Jahr vor mir Zimmer-Wohnung im 13. Obergeschoss in in eine Zwei-Zimmer-Wohnung eingezogen. Haus II der Residenz Rüppurr. Fast jedes Mal, Ich habe für mich noch auf den richtigen Zeit- wenn wir uns im Haus begegnen, erwähnt sie, punkt gewartet. Mein Wunsch war eine Ein- wie wohl sie sich fühlt. Renate Klobe (91) lebt Zimmer-Wohnung, möglichst ganz oben, und seit 2019 im Erdgeschoss des Hauses III und ist als sich die Möglichkeit ergab, bin ich reinge- dort ebenso sehr zufrieden. kommen und habe mich sofort in die Wohnung verliebt.“ Dabei weist sie auf den traumhaften Da bei den Führungen durch die Häuser immer Ausblick Richtung Schwarzwald hin, der an wieder dieselben Fragen gestellt werden, diesem sonnigen Tag in sattem Grün eine haben wir beide Damen gebeten, ihr Leben auf einzigartige Kulisse bietet. 2 36 m zu beschreiben. Was mich am meisten überrascht hat: So verschieden die beiden und auch deren Lebensläufe sind, so sehr gleichen sich ihre Antworten auf meine Fragen nach ihrem Leben auf kleinem Raum. Beide haben sich ganz bewusst für den Umzug entschieden. Obwohl sie sich sofort wohlgefühlt haben, brauchten sie ihre Zeit, um anzukommen. Während Frau Pfeil sich an den Rhythmus des Hauses mit den Essenszeiten gewöhnen mus- Frau Klobe ist aus einem 166 m2-Bungalow in ste, war es für Frau Klobe „die Entlastung. Ich ein 36 m2-Appartement in die Residenz Rüp- habe gut gekocht, aber nicht so aufwändig wie purr gezogen. Ein Sturz mit anschließendem hier gekocht wird. Man will ja nicht den ganzen Krankenhaus- und Pflegeaufenthalt hat ihr auf- Tag in der Küche stehen, lieber frei sein für 10 10 gezeigt, dass sie ihren Lebensabend selbstbe- anderes.“ Auch Frau Pfeil vermisst das Kochen stimmt und in Freiheit verbringen möchte. nicht! Sie haben sich bewusst „entrümpelt“ und Zudem war das große Haus alleine aus ökolo- im Vorfeld genau überlegt, was sie mitnehmen. gischer Sicht nicht mehr tragbar. „Ich liebe Die Appartements haben sie in Bereiche einge- mein Zimmer, ich liebe es hier zu sein, ich liebe teilt: Schlafgelegenheit, Ess- und Sitzbereich, den Blick. Und ich liebe meinen Balkon.“ Wir „Büroecke“ und Kleiderschrank. Die jeweiligen schauen auf das Immergrün der Eibe vor dem Abschnitte beinhalten nur das, was sie zum Fenster und die hochgewachsenen, frühsom- täglichen Leben benötigen. Beiden ist es wich- merlichen Bäume. Ein bisschen heller könnte tig, dass „alles geregelt“ ist und sie ihren Ange- es laut Frau Klobe gerne sein, jedoch ist die hörigen keine Belastung sind. Lage im Sommer durch den Klimawandel mit den hohen Temperaturen ideal. Woher kennen Sie die Residenz Rüppurr? Beiden war das Haus bereits bekannt. Frau Klo- Welche Angebote und Räume des Hauses bes Vater war einer der ersten Mieter unseres nutzen Sie? Hauses vor 50 Jahren. Frau Pfeils Schwägerin Die Dachterrasse empfinden beide als Attrak- und Schwager leben seit 12 Jahren im Wohn- tion. Da Frau Pfeil im obersten Stockwerk stift. wohnt, nutzt sie diese auch mal zum Feiern. Aber auch um Leibesübungen zu machen und einfach ihre Freiheit zu genießen. Auch Frau Klo- be führt ihren Besuch gerne hinauf, verbringt selbst die Zeit lieber im Park und bringt sich dort auch ein. Gelegentlich jätet sie Unkraut oder putzt Blumen aus. Kommentare, ob sie sich damit das Abendessen verdienen müsse, kontert sie so: „Man hat doch alle Freiheiten hier.“ Viele müssten einfach ihre Hemmungen ablegen und sich einbringen, damit die Ge- meinschaft und jeder Einzelne davon profitiert.
Frau Pfeil geht gerne mit Besuch in unser Café. sich jederzeit vom Bücherregal trennen: „Ich Das Lädle empfindet sie als große Bereicher- könnte doch bis zum Lebensende aus der ung. Man sollte es nach ihrer Meinung nutzen, Bibliothek lesen.“ auch wenn man noch mobil ist – denn wenn man dann darauf angewiesen ist, ist man froh, Frau Pfeil: „Mit einem ganz ehrlichen Nein: ich dass es noch da ist. vermisse nichts. Ich bin mit meinem Leben voll Frau Klobe besucht gerne die Veranstaltungen ausgefüllt. Ich kann mich einfach mal hinlegen im Haus: Gedächtnistraining, Gymnastik. Als Teil und was lesen. Ich habe doch alles gehabt. Ich des Kulturausschusses übernimmt sie Begrü- habe immer zwei Balkone geputzt und kein ßungen bei den Konzerten. Mensch hat Zeit gehabt, darauf zu sitzen. Nein, ich habe es nicht bedauert!“ Frau Klobe: „Was hat man noch vom Leben, wenn man alleine im Haus sitzt? Man lebt für das Haus und nicht für sich.“ Beide schildern, dass man bei einem großen Haus vorne wieder anfangen müsse, wenn man hinten fertig ist. Hier sind Handwerker da, sobald man sie braucht, man muss sich um nichts mehr küm- mern. Frau Klobe: „Für mich ist das die absolute Freiheit und Sicherheit.“ Oft geben Interessenten zu bedenken, dass keine Waschmaschine ins Appartement passt. Frau Pfeil: „Ich mag die Waschküche. Man trifft immer mal nette Leute beim Waschen und kann sich unterhalten.“ 11 Geborgenheit und Sicherheit Beide fühlen sich geborgen im Haus, auch mit dem Wissen, dass immer jemand da ist. Nach Zusammenfassend stellt Frau Klobe fest: „Ich anfänglicher Zurückhaltung empfindet sich führe hier ein selbstbestimmtes Leben. Ich Frau Klobe nun als Teil der Gemeinschaft, muss nicht kochen. Putzen muss man ja doch empfindet es als Vorteil, sich mit Gleichaltrigen noch einiges selbst. Man muss einen Haushalt und Gleichgesinnten austauschen zu können. noch führen können. Nur eben in einem kleinen Frau Pfeil ist der Meinung, dass man offen auf Maßstab. Darüber hinaus will ich jetzt noch andere zugehen sollte und findet es wichtig, Freiheit haben. Die wird zwar kleiner, weil die dass man in einer Gemeinschaft Rücksicht auf Kräfte weniger werden, aber im Grunde habe ich andere nimmt. mir mit dem Einzug Freiheit erkauft.“ Frau Pfeil hatte kürzlich eine schwere Operation Was raten Sie jemandem zum Umzug? und war nach der Entlassung aus dem Kranken- Man sollte nicht zu lange warten. Wenn man die haus von heute auf morgen auf Hilfe angewie- Kraft nicht mehr hat, dann ist es zu spät. Beide sen. Morgens wurde sie durch den Ambulanten haben alles selbst gepackt. Frau Klobe: „Ich Hausdienst versorgt, mittags wurde das Essen habe gewusst: Sachen belasten.“ Zu ihren geliefert und abends hat einfach nochmal Nachbarn hat sie gesagt: „Nehmt, was ihr wollt, jemand nach dem Rechten geschaut. Ihre den Rest werfe ich weg.“ Ähnlich ist Frau Pfeil Dankbarkeit dafür ist echt, das spürt man sofort. vorgegangen. Einprägsamste Aussage von Frau Klobe: „Ich will frei sein. Diese Freiheit verschafft Freiheit und Selbstbestimmtheit mir das Wohnstift.“ Auf meine Frage, ob sie den Platz vermissen, den sie früher hatten, kommt ein „Nein“ heraus- Tanja Amberger, RR geschossen. Beide könnten sich eher von noch mehr Dingen trennen. Ein klassisches Beispiel dafür sind die mehrteiligen Service, die beide wieder abgeschafft haben. Frau Klobe könnte
Eine Blumen-Ausstellung der etwas anderen Art Mittagessenszeit – wie fast jeden Mittag ging ich die Treppe hinunter ins Foyer zum Speise- saal – da sah ich statt einer leeren Paneelwand auf ein Farbenmeer von zartem Rosa bis zum fast schwarzen Tiefblau und blickte auf eine Blu- menfülle aus Sonnenblumen, Hibiskus, Löwen- mäulchen, Oleander, Kamelien, Gladiolen, Lupinen, Bougainvillea, Margeriten, leicht und locker hingetupft – lauter Bilder in der Größe von Handtüchern, davor auf einer Staffelei ein noch größeres, leuchtendes Klatschmohnfeld: Zwei Bewohnerinnen standen begeistert davor und unterhielten sich darüber, welches Bild sie denn am schönsten fänden und gerne in ihrer Wohnung aufhängen würden, wenn sie denn Platz dafür hätten. Von den beiden erfuhr ich auch, dass Lieselotte John die Künstlerin ist, der wir diesen Anblick verdanken. im Leben: Bedingt durch den Beruf ihres Man- nes lebte sie eine Zeitlang in Kalifornien, beglei- tete ihn auf vielen Reisen, zog Kinder groß und 12 war vollauf mit Familie und Beruf beschäftigt. Erst als die Kinder größer waren, und die Familie sich dauerhaft in Eggenstein-Leopoldshafen niederließ, hatte sie wieder Zeit für sich selbst und ihre Neigung. In der Volkshochschule bei Helmut Meyer-Weingarten lernte sie dann verschiedene Maltechniken und fand heraus, dass die Ölmalerei ihre bevorzugte Maltechnik ist. Hatte Frau John jetzt, nach vier Jahren, die Die Leser und Leserinnen unseres FächerJour- Ausstellung, von der sie geträumt hatte? Ich nals werden sich vielleicht daran erinnern, dass beschloss, sie einfach danach zu fragen und so Frau John und ihre Bilder im Rahmen eines trafen wir uns im unteren Foyer vor den Bildern. Interviews in der Reihe „Kunst und Künstler in den Residenzen“ Gegenstand eines Artikels im FächerJournal: Frau John, was hat Sie bewogen, ResidenzJournal (Heft 2/2018) war. Damals diese Ausstellung mit Ihren Originalen gerade hatte Herr Alexander ihre schönsten Bilder jetzt zu machen und ausschließlich Blumenmo- fotografiert und diese Fotos im unteren Foyer tive auszustellen? als kleine Galerie im Flur aufgehängt. Unser Redaktionsmitglied Dr. Bernhard Wiezorke Lieselotte John: Eigentlich war eine Ausstel- hatte Frau John seinerzeit interviewt und am lung schon vor zwei Jahren als Überblick über Schluss darauf angesprochen, ihre Bilder im meine Werke, Themen und Maltechniken ge- Original in der Residenz auszustellen. Ob das plant. Aber dann kam Corona und nichts ging nun die Ausstellung war, die damals ins Auge mehr. Nach dieser endlosen Zeit mit all ihren gefasst worden war? Einschränkungen, der Einsamkeit und bedrück- ten Stimmung, kam auch noch der nieder- Aufgrund des Interviews wusste ich auch schmetternde Ukraine-Krieg. Aber gerade bereits, dass sie die Malleidenschaft von ihrem deshalb wollte ich etwas Schönes tun, das die Vater geerbt hatte und schon als Kind und Menschen erfreut und fröhlich macht,- und Jugendliche gerne und gut zeichnete und nicht nur ich hatte Lust auf Licht und Sommer. malte. Dann jedoch war sie Augenoptikerin Da bot es sich an, Blumenbilder auszusuchen geworden war und heiratete. Und wie das so ist und auszustellen. Meine kleine private Mei-
nungsumfrage bestärkte mich darin, wenigs- Wände sind voll mit Bildern, die man von zu tens dieses kleine Gegengewicht gegen die Hause hat mitnehmen können. Da kauft sich ständig traurigen Nachrichten zu setzen. keiner neue Bilder. FJ: Sie malen aber, wie ich weiß, auch andere Motive? LJ: Ja, Landschaften zum Beispiel, und ich male ja auch nicht nur Ölbilder, sondern auch Gouachen und Aquarelle. In den letzten Jahren habe ich immer mehr Freude am abstrakten Malen und an Farben bekommen. Aber, wie gesagt, für diese Ausstellung kam es mir nicht auf Vielfalt an, sondern auf das Motiv „Lust auf Sommer“. FJ: Warum aber bevorzugen Sie dann Ölfarben? Die sind meines Wissens doch eher dick und zähflüssig. FJ: Aber Sie malen doch weiter? RJ: Nur sehr wenig. Ich muss immer die Staffelei wieder auf- und abbauen, in der Küche natür- lich, weil die Farben dort leicht aufgewischt werden können. Auch habe ich wenig Platz, um meine fertigen Bilder hinzustellen, von Aufhän- gen ganz zu schweigen. FJ: Dann wäre es eine gute Idee, einige Ihrer Bilder in der FächerResidenz auf Dauer aufzu- hängen. Aber jetzt freuen wir uns erst einmal über das, was wir sehen! 13 LJ: Das schon, und es dauert auch endlos, bis sie Marthamaria Drützler-Heilgeist, FR trocken sind. Auch sind Ölgemälde auf Lein- wand sehr verletzlich, da kann schnell einmal etwas beschädigt werden, insbesondere, weil ich meine Bilder nicht fachgerecht hinstellen kann, sondern sie aus Platzmangel dicht hinter- einander stehen müssen. Vor dieser Ausstellung musste ich deshalb noch so manche kleine Reparatur vornehmen. FJ: Kann man Ihre Bilder auch kaufen und was geschieht mit ihnen? RJ: Auf der jährlichen Ausstellung „Licht und Farbe“ des Kulturvereins Nördliche Hardt habe ich häufig Bilder verkauft. Auch wohnte ich in ei- nem Haus, dessen Wände man für Ausstel- lungen nutzen konnte. Aber heute? In der Fä- cherResidenz? Jeder von uns hat sich von Mö- beln und Bildern trennen müssen, und die
Neophyten... wohl neu hier? Auf diese Frage werden einige „Neophyten“, so Manche Neophyten wie die Robinie aus Nord- nennt man Pflanzen, die sich in Gebieten ansie- amerika, die sich anfangs auf den Schutthalden deln, in denen sie vorher nicht heimisch waren, und Bahndämmen breit machte, könnte wegen mit Nein antworten. Dabei gibt es eine Grenze, ihrer Robustheit als „Klimawandelbaum“ durch- nämlich das Jahr 1492 (die Entdeckung Ame- aus eine Zukunft haben. Sie kommt gut mit den rikas), in dem Pflanzen, viele auch mit Absicht heißen und trockenen Sommern zurecht und wie die Kartoffel, der Mais oder die Tomaten in liefert noch als Futterquelle für Bienen einen Europa eingebürgert wurden. sehr schmackhaften Akazienhonig. Aber viele andere neue Arten haben sich ohne menschliches Zutun nach der Entdeckung Amerikas in unserem Ökosystem breit gemacht und meistens beste Bedingungen vorgefunden. Die Wissenschaft teilt diese Pflanzen in vasive Arten ein, durch die kein Schaden entstand, und in invasise Arten, die für unsere Kulturlandschaft durchaus nachteilige Folgen haben können. Wie sieht es nun in unserem Park aus? Auch hier finden wir einige Neophyten, die wir aber gar nicht mehr als solche wahrnehmen, da sie uns als wunderschöne Garten- und Zier- pflanzen vertraut sind. Gleich am Haupteingang empfängt uns mit seinen dottergelben Blüten der Topinambur, dessen Wurzel schon die 14 Indianer als Nahrung verwendeten. Anfänglich war sie auch für unsere wachsende Bevöl- kerung als Nahrungsmittel gedacht, wurde aber bald von der Kartoffel, auch ein Neophyt, wegen Zu den bekanntesten Pflanzen mit negativen deren großen Ertrages abgelöst. Folgen gehört die Traubenkirsche im Hardt- wald, die mit ihrem schnellen Wachstum den Auch der Sommerflieder, bekannt auch unter jungen Bäumen Licht und Nahrung nimmt und dem Namen Buddleja, erfreut die Spaziergän- daher bekämpft wird. Zu den invasiven Arten ger wegen seiner attraktiven Blütenstände und gehört auch der für Menschen bei Berührung ist außerdem als Nektarquelle bei Schmetter- sehr gefährliche Riesen-Bärenklau, auch Her- lingen sehr beliebt. aklesstaude genannt: sein Saft verursacht Verbrennungen auf der Haut. Er sollte auf keinen Fall berührt und der Standort der LUBW (Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Würt- temberg) gemeldet werden, die dann die Entfernung in Schutzkleidung veranlasst. Zu den bekanntesten Neophyten gehören Goldrute und Lupinen, die einst als Futterpflan- ze und Stickstofflieferant dienten und heute in vielen Gärten blühen. Sehr ausgebreitet hat sich an Gewässern das Zwischen dem 1. und 2. Gebäudeteil steht der Springkraut, auch unter dem Namen Balsamine aus China stammende Blauglockenbaum, der bekannt. Sie gehört zu den invasiven Arten, weil im April und Mai mit seinen blauvioletten Blüten, sie unseren einheimischen Gewächsen das (falls er wieder einmal blüht) die Anwohner Leben schwer macht. erfreut. Im Herbst reifen dann zahlreiche Kap- selfrüchte mit den Samen heran.
Im zeitigen Frühjahr erscheint plötzlich auf dem Im Abschnitt vor der Pflegeeinrichtung wächst Rasen die aus Asien stammende Scilla, auch eine ungewöhnliche Kletterpflanze: die Akebia, bekannt unter dem Namen Blaustern. deutsch Akebie oder auch Blaurebengurke genannt. Ursprünglich kommt sie aus Korea, Die Rhododendren sind aus Asien, wo sie noch in Japan und China. In ihrer Heimat gilt die Rinde 3000 bis 4000 Metern Höhe wachsen. Sie wur- als Heilmittel und die Blätter werden als Tee den eingeführt und in unseren botanischen verwendet. Die ungewöhnlichen Früchte sind Gärten für unsere Parks und Ziergärten kulti- essbar und haben einen süßlichen Geschmack. viert. Sie bringen seitdem Blütendolden in den Noch viele von den 470 Neophyten, die seit 1492 verschiedensten Farben und Formen hervor; bei zu uns eingewandert sind, wachsen in unserem uns kann man ihn bei den Wasserspielen be- Park und der näheren Umgebung. Wer mehr zu wundern. diesem Thema wissen möchte, sollte die Ausstellung im Naturkundemuseum am Fried- Wer auf seinen Balkon eine Fuchsie einpflanzt, richsplatz „Neobiota – Natur im Wandel“ nicht hat es mit einem Neophyten aus Chile und verpassen. Öffnungszeiten erfährt man in den Argentinien zu tun, wo sie noch in Höhenlagen BNN und auf der Webseite des Naturkunde- von 1700 m wild wächst. Ihre scharlachroten museums. Blüten nützen sogar die Bienen. Ingeborg Niekrawietz, FR *** Siesta Der Sommer ist so heiß wie nie, kein Lüftchen bringt das Laub zum Schwingen. Die Amseln wollen auch nicht singen, 15 im Blätterwald verstummen sie. Ich eile meiner Wohnung zu, es winkt schon meine Mittagsruh. Die Fensterläden in sattem Grün verheißen dahinter kühle Räume, ich stelle mein Fahrrad zur Tür hin und tauche ein in verwunschene Träume. Ich schließe die Augen und Bilder entstehn, die mit mir auf Märchenreise gehn. Ich seh einen Hof, tief im Innern versteckt, ein Springbrunnen plätschert ganz leis. Der Garten mit Blüten und Hecken bedeckt erzählt, wovon keiner was weiß. Nur tiefe Stille rings um mich her, da schlägt eine Uhr, ihr Klang voll und schwer. Ich schrecke auf aus meinen Gedanken. Wo war ich denn, bleiben Stunden gar stehn? Hab ich zwischen all den Blumen und Ranken vergangene Zeiten wieder gesehn? Ich tret aus der Stille ins helle Licht. Wach auf, meine Liebe, und träume nicht. Eva Jurowietz, FR
Reflexionen: Erinnern in Zeiten von Krisen und Katastrophen „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ Als wir endlich, nach etwas mehr als einem so lautet der Titel eines Buches von Joachim Jahr, wieder zusammensitzen konnten, wieder Meyerhoff. Der Autor, geboren 1965, war erzählen konnten, war auch da zunächst alles Schauspieler am Wiener Burgtheater und ist etwas verändert. Nichts von dem, was wir in der seit 2019 Mitglied des „Berliner Ensembles“. Er neuen Gegenwart erlebten, knüpfte an Be- schrieb mehrere großartige Erinnerungsbü- kanntes an, vor allem nicht an die „gute alte cher und erhielt zahlreiche Preise dafür. Dieser Zeit“. Allenfalls erinnerten sich einige an Erzäh- Titel gefiel mir besonders, er lässt einen lungen der Großeltern über die verheerende schmunzeln im Gedanken an so manches Grippewelle der Jahre 1918/19, die mehr Opfer schöne Gespräch unter uns älteren Menschen. gefordert haben soll als der damals gerade vergangene Erste Weltkrieg. Wir hatten so Wie schön erzählt es sich von sonnigen Ur- etwas nicht mehr für möglich gehalten. Wir laubstagen, von interessanten Reisen in ferne hatten uns so sicher gefühlt in dieser hoch- Länder, von kleinen witzigen oder auch nach- technisierten Welt, in der die Medizin für jede denklich stimmenden Erlebnissen in der Krankheit entsprechende Medikamente bereit Familie. Und natürlich wird dabei auch gerne hält. Herausgeworfen aus solcher Sicherheit, die Welt von gestern wachgerufen, in der alles waren auch die Begegnungen zunächst noch zwar etwas altbacken, aber so schön über- von der durchlebten Isolation und der Angst sichtlich und verständlich war wie der Tante- vor der allgegenwärtigen Ansteckungsgefahr Emma-Laden im Dorf der Großeltern. Ach ja, geprägt. Die frühere Leichtigkeit des Erzäh- früher war doch alles besser! Oder? War da lens stellte sich nicht sofort wieder ein. nicht doch der eine oder andere verregnete Urlaubstag, die eine oder andere schlaflose Nacht? Egal, es war einfach schön und wird im 16 Erzählen immer schöner. Und dann kam Corona! Und nichts war mehr wie zuvor. Im ersten Lockdown 2020 waren wir auf die enge Welt des eigenen Appartements zurückgeworfen, auf Telefonate mit Familie und Freunden, auf gelegentliche Zufallsbe- gegnungen in der Lobby: Aber bitte Abstand halten! Im Fernsehen nichts als düstere Bilder, unsichere Prognosen und tastende Versuche von Politikern und Wissenschaftlern, dem Virus Als die rettenden Impfungen kamen, ent- auf die Spur zu kommen. Man war mit seinen spannte sich die Lage ganz allmählich. Tisch- Erinnerungen auf das Selbstgespräch ange- gemeinschaften, alte Gesprächskreise, nach- wiesen oder auf das Album mit den alten Fotos, barschaftliche Begegnungen formierten sich die mit den gezackten Rändern, die man da- wieder. Es waren stille Feste der Wieder- mals zwischen die bewährten Zelluloidecken begegnung, vorsichtiges Sich-Öffnen, beglei- geklemmt hatte. – Das nennt man dann wohl tet von einem Gefühl für das Prekäre der Situ- „Einsamkeit“. Vielen von uns hat das nicht so ation. Einiges hatte sich verändert im Haus: gut getan. Menschen waren gestorben, andere hatten in die Pflegestation gewechselt, neue Bewohner waren hinzugekommen. In den Gesprächen spielte nun die schwer begreifliche Gegen- wart eine viel größere Rolle. Die beglückenden Erinnerungen waren vor der Tragik der Epide- mie verblasst, Erzählungen über eine strahlen- de Vergangenheit passten irgendwie nicht in die neue Gegenwart. Die Wochen und Monate vergingen, und die Epidemie verlor mit fort- schreitender wissenschaftliche Beherrsch- barkeit und den Impfungen langsam ihre
Schrecken. Man genoss die neue Normalität, es nicht gerne an Zeiten des Schreckens, der machte so viel Freude, sich wieder zu be- Gewalt, der tödlichen Angst und der Ungebor- gegnen. Schöne Erinnerungen kamen wieder zu genheit, und das ist wohl auch gut so: das Leben ihrem Recht. Oder sollte ich sagen: Die Angst geht weiter und verlangt Tatkraft und Lebens- machte Pause? freude. Aber die Erinnerungen an die Jahre des Schreckens, auch wenn sie in der frühen Kind- Am 24. Februar diesen Jahres fielen Putins heit lagen, ruhen tief verborgen, „verdrängt“ in Armeen in die Ukraine ein. Ein Krieg, der seine uns. Die neuen Bilder und Berichte spülen sie grausamen Bilder via Fernsehen Abend für wieder in den bewussten Teil unseres Denkens Abend in unsere Wohnzimmer, in unsere wohl- und Fühlens. Wie sollen wir damit umgehen? behütete Welt trug. Und wieder war nichts wie vorher. Dieses Mal aber auf ganz andere Art: Ganz verdrängen kann man solche Erinner- Diese Bilder kannten wir, die gab es schon ungen sicher nicht. Das richtige Maß zwischen einmal in unserem Leben, damals vor 77 Jahren, dem „In-sich-Hineinfressen“ und dem Zulassen, nicht auf dem Bildschirm, sondern in unserer dem Beschweigen und dem zwanghaften Realität: Flucht bei eisigen Temperaturen, Darüber-Reden, muss jeder finden; vielleicht dröhnende Flugzeuge am Himmel, krachende hilft dabei ja sogar das Gespräch im vertrauten Einschläge von Bomben. Das war nicht mehr Kreis. Auch die Wut auf Menschen, die so etwas rätselhaft, wissenschaftlich verschlüsselt, das ins Werk setzen, muss mal heraus. Wir sind Teil war nur noch brutal, unerträglich, ohne greifba- der Welt, in der diese schrecklichen Dinge re Hoffnung auf eine Wiederkehr der alten passieren, wir fühlen uns solidarisch mit denen, unbeschwerten Normalität. die diese Schrecken erleben und wünschen ein Ende herbei. – Wir können uns vielleicht ein wenig widerstandfähiger gegen die Angst ma- chen durch die Erinnerung an gute Erlebnisse, an gute und starke Menschen und dadurch, dass wir einander teilnehmend zuhören und gemeinsam versuchen, das Geschehen einzu- ordnen – auch und gerade, wenn wir unsicher sind in der Beurteilung und sogar, wenn wir 17 verschiedene Meinungen dazu haben. In den Tagen, in denen ich diesen Text schreibe, ist noch völlig ungewiss, wie es weitergeht. Ist das Ende absehbar? Kommt es zu neuen Entwicklungen? Wir spüren unsere Hilflosigkeit; Und auch Angst war da, ganz existentielle wir beobachten das unsichere Taktieren und Angst. Es gab und gibt in den Jahrzehnten seit Agieren der Politiker, den vielstimmigen Chor 1945 viele Kriege in der Welt, meist in fernen ihrer Ratschläge und Reaktionen. Dieser Artikel Ländern, im Jemen, im Kongo, in Syrien. Sie ist ein tastender Versuch, aus dem Augenblick waren oft nicht minder grausam als die beiden heraus auszusprechen, was uns bewegt. Weltkriege, die wir in Europa erlebt hatten, aber sie blieben uns emotional irgendwie fern. Auch Ingrid Rumpf, FR der kurze Balkankrieg hat uns nicht annähernd so erregt wie dieser Ukraine-Krieg. Da hat sich etwas fundamental geändert. Die Gründe dafür sind vielfältig und können hier nicht ausführlich erörtert werden: Wir haben einfach das deutli- che Gefühl, da spielt sich etwas Entsetzliches direkt vor unserer Haustür ab und könnte irgendwann auch zu uns kommen. Kehren wir zu unserem Thema zurück: Es geht – siehe Überschrift – um das Erinnern und erin- nernde Erzählen in Krisenzeiten. Mit diesem Krieg mussten wir nicht in der Einsamkeit des Appartements umgehen, sondern die volle Wucht des Entsetzens platzte in alle Gespräche hinein, und diesmal wurden wir überwältigt von den Erinnerungen, die in uns hochkamen und auch in die Gespräche flossen. Man erinnert sich
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