Zürcher Wirtschaftsmonitoring - Der Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt vor und nach Corona März 2021 - Kanton Zürich
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Kanton Zürich Volkswirtschaftsdirektion Amt für Wirtschaft und Arbeit Zürcher Wirtschaftsmonitoring Der Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt vor und nach Corona März 2021
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 4 Die Übersicht zur 4 Zwischen Hoffnung und Sorge Wirtschaftslage 6 Kanton Zürich 6 Zweigeteilte Branchenlandschaft Während in den meisten exportorientierten Branchen das Geschäft relativ gut läuft, kämpfen viele binnenorientierte Branchen in der zweiten Pandemiewelle mit erneutem Nachfrageeinbruch. 8 Schweiz und 8 Weltwirtschaft: Aufschwung in Sicht Die Schweizer Han- Ausland delspartner starten unterschiedlich ins neue Jahr. Die In- dustrie konnte ihre Produktion weltweit steigern und beflügelt den Aufschwung. Für eine anhaltende Erholung der Wirtschaft müssen jedoch auch die Dienstleistungsbranchen wieder wachsen. 10 Spezialthema 10 Strukturwandel auf dem Zürcher Arbeitsmarkt 12 Ein Blick in die Vergangenheit: schöpferische Zerstörung 19 Ein Blick in die Gegenwart: zwischen Strukturerneuerung und Strukturerhaltung 24 Ein Blick in die Zukunft: Digitalisierung nimmt Fahrt auf 29 Autoren und An sprechpersonen 30 Wirtschaftsdaten & Prognosen 2 Zürcher Wirtschaftsmonitoring / März 2021
Editorial Liebe Leserinnen und Leser Die Corona-Krise hat die Zürcher Wirtschaft schwer getroffen. 2020 dürfte das BIP um fast 4 % gesunken sein – der stärkste Einbruch seit Jahrzehn- ten. Und auch ein Jahr nach dem Ausbruch der Pandemie ist klar: Das Virus ist noch nicht besiegt und der Arbeitsmarkt und die Konjunktur dürf- ten noch länger und nachhaltig beeinflusst werden. Diese Situation stellt die gesamte Wirtschaft auf eine harte Probe, sie be- trifft und fordert uns alle – egal ob Unternehmerinnen und Unternehmer, Angestellte oder Konsumenten. Und sie führt uns vor Augen, wie funda- mental wichtig eine funktionierende Wirtschaft ist, nicht zuletzt auch für die Gesundheit. Seit Beginn der Krise sind auch weite Teile der Verwaltung ganz besonders gefordert. Als Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) kommt uns in Krisen zeiten eine zentrale Rolle zu. Durch die rasche Abwicklung und Auszahlung der Kurzarbeitsentschädigung stellen wir eine wichtige Stütze der Wirt- schaft dar. Die Kurzarbeit hat bisher eine grössere Entlassungswelle ver hindern können und ist damit zu einem wirtschaftspolitischen Schlüssel instrument in der Krisenbewältigung geworden. Weiter sorgen wir dafür, dass Stellensuchende mit den Beratungsleistungen der RAV bestmöglich unterstützt werden und die Auszahlung der Arbeitslosengelder zeitnah erfolgt. Ein wichtiger Auftrag des AWA ist es auch, die Wirtschafts- und Arbeits- marktlage gründlich zu analysieren und der Politik sowie der Öffentlichkeit Grundlagen zur Verfügung zu stellen, um eine faktenbasierte Meinungsbil- dung zu fördern. Und genau hier, liebe Leserinnen und Leser, setzt die erste Ausgabe unseres neu konzipierten Wirtschaftsmonitorings an. Kernstück ist ein Spezialteil zum Thema Strukturwandel. Dieser beleuchtet die wichtigs- ten Entwicklungen und Trends auf dem Zürcher Arbeitsmarkt der letzten Jahrzehnte. Darüber hinaus wird aufgezeigt, wie sich die Lage aufgrund der Corona-Krise verändert hat, welche Branchen zu den Gewinnern und Ver- lierern zählen und welche langfristigen Auswirkungen die Pandemie auf den Strukturwandel haben könnte. Somit soll das Spezialthema nicht nur als eine Grundlage zur besseren Einordnung der Auswirkungen der Corona- Krise dienen, sondern auch als Orientierungshilfe für die zu erwartenden Entwicklungen. Neben dem Spezialthema finden Sie in dieser Ausgabe erstmals auch eine Doppelseite, auf der die wichtigsten Entwicklungen des Zürcher Wirtschaftsgeschehens kurz und übersichtlich erläutert werden. Sie wird künftig in jeder der vier jährlichen Ausgaben des Wirtschaftsmonitorings enthalten sein. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre und freue mich auf jegliches Feedback. Dr. Andrea Engeler, Amtschefin AWA Zürcher Wirtschaftsmonitoring / März 2021 3
Kanton Zürich Die Übersicht zur Wirtschafts lage: zwischen Sorge und Hoffnung Nach einem schwierigen Winter bleibt die Zürcher Wirtschaftslage weiter angespannt, insbesondere im Gastgewerbe. Gleichzeitig fallen die Einschät zungen zur aktuellen und zukünftigen Geschäftslage insgesamt wieder etwas optimistischer aus. Aktuelle Geschäftslage fängt sich wieder Konsum im zweiten Lockdown erneut gesunken Die Geschäftslage der Zürcher Unternehmen hat sich seit November Die Ausgaben im stationären Handel sind im zweiten Lockdown erneut 2020 wieder eingetrübt. Im Februar 2021 konnte sie sich leicht verbes- eingebrochen, allerdings nicht so stark wie im ersten. Im Kanton Zürich sern, was vor allem auf die Industrie zurückzuführen ist. liegen sie noch immer tiefer als im Schweizer Durchschnitt. Aktuelle Geschäftslage in der Gesamtwirtschaft Debitkartenzahlungen, Index 100 = Durchschnitt 2019 50 200 «gut» 1. Lockdown 2. Lockdown 17.03.2020 18.01.2021 40 30 150 20 10 100 0 –10 50 –20 «schlecht» –30 0 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29 31 33 35 37 39 41 43 45 47 49 51 52 2 4 6 Jan Mär Mai Jul Sep Nov Jan Mär Mai Jul Sep Nov Jan Mär Mai Jul Sep Nov Jan 18 18 18 18 18 18 19 19 19 19 19 19 20 20 20 20 20 20 21 Kalenderwoche Kanton Zürich Schweiz Index Zürich Index Schweiz Quelle: KOF Quelle: Monitoring Consumption Switzerland Krise im Gastgewerbe verschärft sich weiter Arbeitslosigkeit steigt Anfang Jahr leicht In keiner anderen Branche ist die Geschäftslage so schlecht wie Erwartungsgemäss ist die Arbeitslosenquote im Kanton Zürich Anfang im Gastgewerbe. Mittlerweile geben 95 % der befragten Zürcher Unter- 2021 leicht angestiegen. Sie lag im Februar bei 3,6 % . Gleichwohl zeigt nehmen an, die Geschäftslage sei schlecht. sich der Arbeitsmarkt weiterhin relativ robust. Aktuelle Geschäftslage im Gastgewerbe Arbeitslosenquote 40 «gut» 5% 20 4% 0 3,6 % 3,6 % –20 3% –40 2% –60 1% –80 0% «schlecht» Jan 19 Feb 19 Mär 19 Apr 19 Mai 19 Jun 19 Jul 19 Aug 19 Sep 19 Okt 19 Nov 19 Dez 19 Jan 20 Feb 20 Mär 20 Apr 20 Mai 20 Jun 20 Jul 20 Aug 20 Sep 20 Okt 20 Nov 20 Dez 20 Jan 21 Feb 21 –100 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 2018 2018 2018 2018 2019 2019 2019 2019 2020 2020 2020 2020 2021 Kanton Zürich Schweiz Kanton Zürich Schweiz Quelle: KOF Quellen: SECO, AWA 4 Zürcher Wirtschaftsmonitoring / März 2021
Kanton Zürich Das BIP dürfte 2021 wieder deutlich wachsen Erwartungen werden etwas zuversichtlicher Nach dem historischen Einbruch 2020 (–3,9 %) dürfte das reale BIP im Für die kommenden sechs Monate erwarten rund 30 % der Zürcher Kanton Zürich gemäss Prognosen 2021 um 3,6 % steigen. Die Unsi- Unternehmen eine Verbesserung der Geschäftslage. Die Erwartungen cherheit bleibt aber gross. fallen damit etwas positiver aus als noch Ende 2020. Wachstumsrate reales BIP (im Vergleich zum Vorjahr) Erwartete Geschäftslage in den nächsten 6 Monaten 30 «verbessert» 5% 20 4% 10 3% 2% 0 1% –10 0% –20 –1 % –2 % –30 –3 % –40 –4 % «verschlechtert» –5 % –50 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 Jan Mär Mai Jul Sep Nov Jan Mär Mai Jul Sep Nov Jan Mär Mai Jul Sep Nov Jan 18 18 18 18 18 18 19 19 19 19 19 19 20 20 20 20 20 20 21 Kanton Zürich Schweiz Kanton Zürich Schweiz Quelle: BAK Economics (Prognose Januar) Quelle: KOF Voranmeldungen zur Kurzarbeit nehmen wieder zu BIP der Zürcher Handelspartner dürfte 2021 wieder wachsen Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise im Frühjahr 2020 waren über 30 000 Unternehmen zur Kurzarbeit vorangemeldet. Seit November Die EU verzeichnete 2020 einen überdurchschnittlich starken Wirt- steigen die Voranmeldungen wieder an. Im Februar waren es rund schaftseinbruch. Für 2021 wird eine weltweite Erholung erwartet, 15 000. deren Geschwindigkeit sich regional jedoch stark unterscheidet. Abrechnungspozentiale aus genehmigten Voranmeldungen Bruttoinlandsprodukt 2020 und Prognose 2021 zur Kurzarbeit EU Deutschland USA China 8,1% 30 000 5,1% 3,7% 3,2% 2,3% 20 000 10 000 –3,5% –5,3% –6,4% 0 Mär 20 Apr 20 Mai 20 Jun 20 Jul 20 Aug 20 Sep 20 Okt 20 Nov 20 Dez 20 Jan 21 Feb 21 2020 2021P Quellen: SECO, AWA Quellen: Destatis, BEA, NBSC, Eurostat, European Commission, IMF Zürcher Wirtschaftsmonitoring / März 2021 5
Kanton Zürich Zürcher Wirtschaft: zweigeteilte Branchenlandschaft Gut ein Jahr nach Ausbruch der Corona-Krise zeigt sich eine Zweiteilung der Zürcher Branchenlandschaft: Während in den meisten exportorientierten Unternehmen das Geschäft wieder relativ gut läuft, kämpfen viele binnen orientierte Branchen mit einem erneuten Nachfrageeinbruch. Gemäss Prognosen wird die Gesamtwirtschaft 2021 wieder deutlich wachsen. Die Arbeitslosigkeit dürfte hingegen noch länger erhöht bleiben. Ausgelöst durch die Corona-Pandemie und die starke Ein- Gerade mal 5 % der befragten Unternehmen im Gastgewerbe schränkung des Wirtschaftslebens brach im März 2020 im bezeichneten die Geschäftslage zu Beginn dieses Jahres als gut. Kanton Zürich die schlimmste Wirtschaftskrise seit Jahrzehn- ten aus: Das BIP sank 2020 um fast 4 %. Auch gut ein Jahr Gemäss Unternehmensbefragungen der KOF hat sich die Ge- später ist die Krise noch nicht ausgestanden. Im Gegenteil: Die schäftslage auch im Detailhandel wieder verschlechtert. Das Zürcher Wirtschaft konnte sich zwar in den Sommermonaten dürfte vorwiegend am stationären Handel liegen: Er ist seit wieder kräftig erholen, doch im Herbst und Anfang Winter stag- Januar wieder mit einem deutlichen Einbruch konfrontiert, wie nierte die Wirtschaftsaktivität wieder. Mit den verschärften Ein- die Echtzeitdaten zu den Konsumausgaben der Hochschule schränkungsmassnahmen im Januar 2021 verschlechterte sich St. Gallen zeigen. Analog zur Gesamtschweiz sind die Ausga- die Lage weiter. ben im stationären Bereich auch im Kanton Zürich deutlich ge- sunken. Zudem liegen sie noch immer tiefer als im Schweizer Geschäftslage im Gastgewerbe erreicht Tiefpunkt Durchschnitt. Erfreulicherweise ist die Wirtschaftsaktivität im Winter jedoch weniger stark eingebrochen als während der ersten Pandemie- Insgesamt zeigt sich somit eine Zweiteilung der Wirtschaft: welle und des Lockdowns im März. Vor allem im Finanzsektor, Während in den meisten exportorientierten Branchen das Ge- aber auch in der Industrie ist die aktuelle Geschäftslage viel bes- schäft relativ gut läuft, kämpfen viele binnenorientierte Bran- ser, wie die Unternehmensbefragungen der KOF zeigen. Ganz chen mit einem Nachfrageeinbruch, was vor allem an den Ein- anders zeigt sich die Lage im Gastgewerbe, das einen weiteren schränkungsmassnahmen liegen dürfte. In der ersten Welle im Einbruch verzeichnete und den tiefsten Wert in den Unterneh- Frühjahr 2020 war das anders: Damals war die gesamte Wirt- mensbefragungen aufweist, der seit Messbeginn ermittelt wurde: schaft negativ betroffen. 1 Geschäftslage nach Branchen im Kanton Zürich, saisonbereinigt 100 50 0 –50 –100 Jan 19 Mai 19 Sept 19 Jan 20 Mai 20 Sept 20 Jan 21 Banken Grosshandel Gastgewerbe Bauwirtschaft Industrie Verschiedene Dienstleistungen Detailhandel Quelle: KOF 6 Zürcher Wirtschaftsmonitoring / März 2021
Kanton Zürich Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei den Erwartungen der weiterhin angespannt bleiben. Das zeigt sich zum einen bei Unternehmen zur zukünftigen Geschäftslage. Im Detailhandel den von den Zürcher Unternehmen eingereichten Voranmel- und im Baugewerbe fallen diese zwar besser aus als im ersten dungen zur Kurzarbeit, die seit November kontinuierlich ge- Lockdown, sie liegen aber noch im negativen Bereich und un- stiegen sind. Für Februar 2021 sind inzwischen über 16 000 ter den Werten von Anfang 2020. Ganz anders in der Industrie, Unternehmen zur Kurzarbeit vorangemeldet. Das sind doppelt wo der Saldo der befragten Unternehmen mit einer besseren so viele wie Anfang Herbst (rund 8000), jedoch weniger als im Geschäftslage für die nächsten sechs Monate rechnet. Insge- Sommer 2020 (rund 33 000). samt dürfte die Zürcher Wirtschaft 2021 gemäss Prognosen von BAK Economics wieder um 3,6 % wachsen. Zum anderen weisen auch die vom Amt für Wirtschaft und Ar- beit in Auftrag gegebenen Arbeitsmarktprognosen des For- Arbeitslosigkeit wird nur langsam sinken schungsinstitutes BSS nicht auf eine markante Entspannung Spuren hat die Corona-Krise auch auf dem Arbeitsmarkt hin- hin. Wie in Abbildung 2 dargestellt, dürfte die Arbeitslosen- terlassen. Im Jahresvergleich lag die Arbeitslosenquote 2020 quote zwar mit dem Anstieg der Temperaturen in den nächs- mit 3,1 % rund einen Prozentpunkt über dem Vorjahreswert ten Monaten wieder sinken, das Vorkrisenniveau von Sommer von 2,1 %. In fast allen Branchen wurde eine Zunahme ver- 2019 wird aber deutlich verfehlt. Für Anfang 2022 wird im Re- zeichnet. Wenig erstaunlich, fiel diese im Gastgewerbe weitaus ferenzszenario ein Wert von 3,4 % prognostiziert. Im tiefen am stärksten aus: Die Arbeitslosenquote stieg von 4,2 % (2019) Szenario beträgt die Arbeitslosenquote 2,9 %, im hohen 4,0 %. auf 8,0 % (2020) und verdoppelte sich somit beinahe (+93 %). Damit läge sie selbst im tiefen Szenario noch immer über den Auch andere binnenorientierte Branchen wie etwa der Detail- Vorjahreswerten. handel verzeichneten im letzten Jahr eine deutliche Zunahme Kurzum: Sollte die epidemiologische Lage stabil bleiben, die der Arbeitslosenzahlen. Bisher hat sich die zweite Welle der Pandemie noch kaum auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt. Er- Einschränkungsmassnahmen schrittweise gelockert werden wartungsgemäss kam es in den Wintermonaten zu einem und die Impfbemühungen voranschreiten, dürfte sich die Zür- cher Wirtschaft im Sommer deutlich erholen und gegenüber leichten Anstieg, der aber zu einem grossen Teil auch saisonal bedingt war. dem Vorjahr wieder kräftig wachsen. Die Lage auf dem Ar- beitsmarkt dürfte hingegen noch länger angespannt bleiben Trotz vorsichtiger Lockerungen der staatlichen Einschrän- und die Arbeitslosigkeit erst geringfügig sinken. kungsmassnahmen dürfte die Lage auf dem Arbeitsmarkt 2 Prognostizierte Entwicklung der Arbeitslosenquote im Kanton Zürich 4,5% 4,0% 3,5% 3,0% 2,5% 2,0% 1,5% 1,0% 0,5% 0,0% 01.01.19 01.04.19 01.07.19 01.10.19 01.01.20 01.04.20 01.07.20 10.10.20 01.01.21 01.04.21 01.07.21 01.10.21 01.01.22 Quellen: BSS, eigene Berechnungen Zürcher Wirtschaftsmonitoring / März 2021 7
Schweiz und Ausland Weltwirtschaft: Aufschwung in Sicht Die Schweizer Handelspartner starten unterschiedlich ins neue Jahr. In Europa ist die Wirtschaftsleistung zum Jahresende 2020 erneut gesunken, während sie in den USA und China weiter gewachsen ist. Die Industrie konnte ihre Produktion kräftig steigern und stützt die Wirtschaft weltweit. Die Schweizer Industrie folgt diesem Trend und profitiert vom asiatischen Aufschwung. Für eine anhaltende Erholung der Gesamtwirtschaft müssen jedoch auch die Dienstleistungsbranchen wieder wachsen können. Die Weltwirtschaft blickt auf ein Jahr der Extreme zurück – his- schen BIP betrug hingegen nur 3,5 %. Gar zulegen konnte die torische Wirtschaftseinbrüche, rekordhohe Arbeitslosenzahlen chinesische Wirtschaft mit einem BIP-Wachstum von 2,3 %. und enorme Staatshilfen. Insgesamt dürfte das weltweite Brut- toinlandprodukt (BIP) 2020 um 3,5 % zurückgegangen sein, so Industrie als Stütze in der Krise die jüngsten Schätzungen des Internationalen Währungsfonds. Seit dem Ende der ersten Pandemiewelle (Juli 2020) konnte Die regionalen Unterschiede sind jedoch gross. sich das verarbeitende Gewerbe deutlich schneller erholen als der Dienstleistungssektor. Insgesamt wuchs die weltweite In- Schwache Wirtschaftslage zum Jahreswechsel dustrieproduktion im zweiten Halbjahr 2020 um 6,1 %. Dies Nach dem starken Wirtschaftseinbruch im Frühjahr 2020 konn- zeigt sich auch beim weltweiten Warenhandel, dessen Volumen te sich die Weltwirtschaft im Sommer letzten Jahres bereits mit 6,6 % im gleichen Zeitraum ähnlich stark zulegte. Die Ver- etwas erholen. Um den Jahreswechsel schwächte sich der Er- luste aus dem ersten Halbjahr konnten dennoch weder in der holungskurs jedoch ab, weil neue Infektionswellen und ver- Industrie noch im Warenhandel vollständig kompensiert wer- schärfte Einschränkungsmassnahmen die Wirtschaftsaktivität den. Die Gesamtjahreswerte lagen noch rund 4 % respektive bremsten. In der Europäischen Union (EU) führte dies zu einem 5 % unter dem Vorjahresniveau. erneuten Rückgang des BIP von 0,4 % im vierten Quartal 2020, im Euroraum fiel das BIP sogar um 0,6 %. Die Nachbarländer Zu Jahresbeginn 2021 sind es vor allem der Maschinenbau, die Ausrüstungs- und die Automobilindustrie, die auf globaler Ebe- der Schweiz traf es besonders hart: Österreich (–4,3 %), Italien (–2,0 %) und Frankreich (–1,3 %) vermeldeten zum Jahresende ne ihre Produktion ausweiten konnten. Die Konsumgüterindus- den stärksten BIP-Rückgang innerhalb der EU. Deutschland trie bleibt zwar dahinter zurück, befindet sich jedoch auch wuchs mit 0,3 % etwas stärker, als zunächst erwartet wurde. deutlich im Wachstumsbereich. Durch die gestiegene Nachfra- ge haben die Rohstoffpreise zuletzt wieder zugenommen, so- Anders die Situation in den USA und in China: Das Wachstum wohl beim Rohöl als auch bei diversen Industrierohstoffen. Die der US-amerikanischen Wirtschaft schwächte sich zum Jah- Kostensteigerung dürfte nach und nach an die Verbraucher resende zwar ebenfalls ab, in Anbetracht des anhaltenden Pan- weitergegeben werden. demiegeschehens wuchs das Quartals-BIP mit 1,0 % jedoch recht ansehnlich. Das Wachstum wäre wohl noch höher ausge- Wirtschaftliche Erholung unter Unsicherheit fallen, wenn die Staatsausgaben gegen Jahresende nicht zu- Der sehnlich erwartete Aufschwung dürfte in der zweiten Jah- rückgegangen wären. Auch China setzte seinen Wachstums- reshälfte 2021 an Dynamik zulegen. Der Internationale Wäh- pfad weiter fort. Mit einem BIP-Wachstum von 2,6 % im vierten rungsfonds geht für dieses Jahr von einem weltweiten Wirt- Quartal 2020 wuchs die chinesische Wirtschaft das dritte Quar- schaftswachstum von 5,5 % aus. Bis das Vorkrisenniveau tal in Folge und lag damit sogar schon wieder 6,5 % über dem wieder erreicht ist, wird es in den fortgeschrittenen Volkswirt- Vorjahreswert. Die Wachstumsdynamik dürfte sich zu Jahres- schaften trotz umfangreicher Staatshilfen länger dauern als beginn 2021 jedoch auch in China etwas verlangsamen, weil in den Schwellenländern. Für Letztere werden besonders hohe die Exportnachfrage zuletzt wieder gesunken ist und erneute Wachstumsraten in China (+8,1 %) und Indien (+11,5 %) er Lieferverzögerungen aufgetreten sind. wartet. Rückblick auf das Krisenjahr 2020 Die Unsicherheit rund um die Pandemie hat sich mit den neuen Für das Gesamtjahr 2020 erlitt die EU einen Wirtschaftsrück- Virusvarianten jedoch wieder erhöht. Sie zeigen, wie schwer es gang von 6,4 %, im Euroraum betrug dieser gar 6,8 %. Inner- ist, den epidemiologischen Verlauf und damit auch die Ent- halb des europäischen Wirtschaftsraums sank das spanische wicklungen der Wirtschaftsaktivitäten vorherzusagen. Gleich- BIP mit 11,0 % am stärksten. Deutschland lag mit einem BIP- zeitig hat die politische Unsicherheit abgenommen: Die EU und Rückgang von 5,3 % über dem Durchschnitt. Das Vereinigte das Vereinigte Königreich konnten sich auf ein Handels- und Königreich, das die EU im Februar 2020 verlassen hat und stark Kooperationsabkommen einigen und die Aussenpolitik der von der Pandemie betroffen war, verzeichnete einen Wirt- USA dürfte nach den Präsidentschaftswahlen wieder verlässli- schaftseinbruch von 9,9 %. Der Rückgang des US-amerikani- cher werden. Weitere fiskalpolitische Massnahmen, unter an- 8 Zürcher Wirtschaftsmonitoring / März 2021
Schweiz und Ausland derem in den USA und Japan, dürften den Aufschwung zudem neue Jahr. Bereinigt um saisonale Effekte wuchs unter ande- vorantreiben. rem der Handel mit China im Januar 2021 weiter. Den vorläufi- gen Daten der eidgenössischen Zollverwaltung zufolge hat sich Schweizer Wirtschaft ist noch nicht über den Berg China während der Corona-Krise zum drittwichtigsten Partner Der Aufholprozess der Schweizer Wirtschaft verlangsamte sich im Warenhandel der Schweiz entwickelt und Italien auf Platz zum Jahresende: Das BIP wuchs im vierten Quartal um 0,3 %, vier verdrängt. Demzufolge nahm das Exportvolumen nach nach 7,6% im dritten Quartal. Für das Gesamtjahr 2020 ergibt China im vergangenen Jahr um 10 % und das Importvolumen sich damit ein BIP-Rückgang von 2,9 %. Die Schweizer Wirt- um 8% zu, wie in der Abbildung unten zu sehen ist. Auch indi- schaft zeigte sich somit robuster als zwischenzeitlich befürch- rekt profitiert die Schweiz vom asiatischen Aufschwung, etwa tet. Zu den grossen Krisenverlierern gehören erwartungsge- als Zulieferer für die deutsche Exportindustrie, die ebenfalls mäss das Gastgewerbe mit einem Wertschöpfungsverlust von den asiatischen Markt bedient. 37,2% und die Kunst-, Unterhaltungs- und Erholungsbranche mit einem Rückgang von 18,7 %. Beide Branchen haben auch Lockdown verzögert anhaltende Erholung im Schlussquartal 2020 weitere Einbussen hinnehmen müssen. Trotz der positiven Entwicklungen in der Industrie und anderen Zulegen konnte 2020 neben der Pharmaindustrie (+4,7 %) auch vorwiegend exportorientieren Branchen könnte die Schweizer der Handel (+2,5 %). Wirtschaftsleistung im ersten Quartal 2021 sinken. Der lange Lockdown zu Jahresbeginn hat viele Wirtschaftsaktivitäten im Schweizer Industrie profitiert vom asiatischen Binnenmarkt eingeschränkt, die von den gut laufenden Bran- Aufschwung chen kaum vollständig kompensiert werden können. BAK Eco- Die stützende Wirkung der Industrie zeigt sich auch in der nomics geht deshalb von einem BIP-Rückgang von 0,8 % ge- Schweiz. Seit August 2020 wächst diese fast kontinuierlich, genüber dem vierten Quartal 2020 aus. Spätestens im Sommer wenngleich sich die Geschäftslage im November kurzfristig dürfte der Aufschwung dann aber auch die Schweizer Wirt- verschlechtert hatte. Im Januar 2021 war die Nachfrage nach schaft erreichen und zu einem Jahreswachstum von 3 % füh- Schweizer Industriegütern ungebrochen, und so nahm nicht ren. Voraussetzung hierfür bleibt jedoch eine Verbesserung der nur die Produktion, sondern auch die Auftragsbestände weiter epidemiologischen Lage. zu. Der Warenhandel startete dann auch mit einem Plus ins 1 Anteil Chinas am Schweizer Aussenhandel mit Waren 10,0 % 9,0 % 8,0 % 7,0 % 6,0 % 5,0 % 4,0 % 3,0 % 2,0 % 1,0 % 0,0 % * 89 90 91 92 94 96 97 98 99 00 01 02 04 06 07 08 09 10 11 12 14 16 17 18 19 95 05 15 93 03 13 20 19 19 19 19 19 19 19 19 19 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 19 20 20 19 20 20 20 Gesamthandelsanteil Importanteil Exportanteil Quelle: Eidgenössische Zollverwaltung EZV * provisorische Daten Zürcher Wirtschaftsmonitoring / März 2021 9
Spezialthema Strukturwandel auf dem Zürcher Arbeitsmarkt Die wichtigsten Ergebnisse Strukturwandel in der Vergangenheit –– In den letzten 40 Jahren hat der Strukturwandel im Kanton –– Im Gegensatz zu anderen Ländern hat die Digitalisierung Zürich unter dem Strich viel mehr neue Stellen geschaffen hierzulande nicht zu einer Polarisierung des Arbeitsmarktes als verdrängt. Insgesamt stieg die Zahl der Beschäftigten geführt, sondern zu einem Upskilling. 1996 verfügten im um über 300 000. Kanton Zürich 3 von 10 Erwerbstätigen über einen Tertiärab- schluss. Heute sind es 6 von 10, was Zürich zur Grossregion –– Im Unterschied zur Gesamtschweiz war der Strukturwandel mit dem höchsten Anteil an Hochqualifizierten macht. einschneidender, da es zu stärkeren Verschiebungen zwi- schen den Branchen kam. Gleichzeitig haben die Erwerbs- –– In den letzten Jahrzehnten hat der Strukturwandel die Zür- tätigen sich schneller angepasst und schneller wieder neue cher Wirtschaft produktiver gemacht, da die Beschäftigten Stellen gefunden. Der Zürcher Arbeitsmarkt weist folglich im privaten Sektor in produktivere Branchen gewandert eine überdurchschnittlich hohe Dynamik auf. sind. Das gilt hingegen nicht für die letzten fünf Jahre, in de- nen besonders produktive Branchen wie etwa der Finanz- –– Treibende Kraft der Branchenverschiebungen ist die Digita- sektor oder der Grosshandel an Bedeutung verloren haben. lisierung. Im Kanton Zürich hat sich die Beschäftigung im Darüber hinaus gab es eine zunehmende Verschiebung der digitalen Sektor um 248 % erhöht, schweizweit um 189 %. Beschäftigten hin zum öffentlichen Sektor, allen voran ins Gleichzeitig wuchs die Beschäftigung im physischen Sektor Gesundheitswesen. Diese Effekte haben die Produktivität nur geringfügig. und das Pro-Kopf-Wachstum in den letzten Jahren etwas gehemmt. Strukturwandel in der Corona-Krise –– Infolge der Corona-Krise kam es 2020 zu stärkeren Bran- –– Wie in Wirtschaftskrisen üblich, wurde der Strukturwandel chenverschiebungen als in den Jahren zuvor. Den höchsten stark durch staatliche Stützungsmassnahmen gebremst Beschäftigungsverlust im Kanton Zürich hatte das Gastge- und somit ein abrupter und breitflächiger Stellenabbau ver- werbe mit schätzungsweise 3400 Vollzeitstellen zu verzeich- hindert. Allerdings können diese auch zu einer ungesunden nen. Vor der Krise wurde noch mit einer Zunahme von 450 Strukturerhaltung führen, wenn sie nicht rechtzeitig zurück- gerechnet. Die Corona-Krise kostete das Gastgewerbe im gefahren werden. Erstes Anzeichen einer möglicherweise letzten Jahr somit 3850 Stellen. Die grössten Beschäfti- ungesunden Strukturerhaltung ist die relativ tiefe Zahl an gungszuwächse entstanden in der IT-Branche, der Elektro- Konkursen im Kanton Zürich (–24 % gegenüber 2019). industrie und der öffentlichen Verwaltung. –– Erfreulich sieht die Lage dagegen bei den Unternehmens- gründungen aus: Von März bis Dezember 2020 lag die Zahl der Neugründungen um 9% höher als im Vorjahresvergleich. Strukturwandel in Zukunft –– In den nächsten Jahren dürfte die Pandemie das Beschäfti- –– Diese Branchenverschiebungen dürften allerdings kurzfris- gungswachstum in der Zürcher IT-Branche am stärksten tig weiterhin mit einer erhöhten Arbeitslosigkeit einherge- beschleunigen: Dieses wird zwischen 2019 und 2024 ge- hen, besonders im Gastgewerbe, wo die Arbeitslosenquote mäss Prognosen 17,5 Prozentpunkte höher ausfallen als auch Anfang 2022 saisonbereinigt noch immer über 10 % ohne Corona-Krise. Grosser Verlierer ist das Gastgewerbe, liegen dürfte (vor der Corona-Krise: 4 %). wo das Beschäftigungswachstum 6,1 Prozentpunkte tiefer ausfallen dürfte. –– Die Digitalisierung wird sich weiter beschleunigen und die Kluft zwischen dem digitalen und dem physischen Sektor vergrössern. Dadurch dürfte die Beschäftigung der Gesamt- wirtschaft stärker wachsen. 10 Zürcher Wirtschaftsmonitoring / März 2021
Spezialthema Zukunft Beschleunigte Digitalisierung + 6,6 % + 17,5 Prozentpunkte + 4,2 % Durch die Corona-Krise wird das Beschäfti- Die Beschäftigung im digitalen Sektor dürfte gungswachstum in der IT-Branche bis 2024 zwischen 2019 und 2024 um 6,6 % wachsen, um 17,5 Prozentpunkte höher ausfallen. im physischen um 4,2 %. Corona-Krise Zwischen Strukturerneuerung und Strukturerhaltung +9 % Die Zahl der Konkurse sind 2020 zwischen März und Dezember gegenüber dem Vorjahr um 24% gesunken, die Neugründungen um 9 % gestiegen. – 3850 Die Corona-Krise kostete das URS KONK Gastgewerbe im letzten Jahr 3850 Vollzeitstellen. – 24 % Vergangenheit Dynamischer Arbeitsmarkt + 21 % Im digitalen Sektor nahm die Beschäftigung um 248 % zu, im physischen um 21%. + 300 000 Im Kanton Zürich wurden in den letzten 40 Jahren insgesamt 300 000 Vollzeitstellen + 248 % geschaffen. Zürcher Wirtschaftsmonitoring / März 2021 11
Spezialthema Ein Blick in die Vergangenheit: schöpferische Zerstörung Der Strukturwandel ist fester Bestandteil einer funktionieren- Der Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt lässt sich jedoch den Wirtschaft. Ohne ihn gäbe es kein Wachstum und keinen auch in viel kürzeren Zeitperioden beobachten, und das nicht Wohlstand. Und doch kann er für Betroffene oft sehr schmerz- nur zwischen, sondern auch innerhalb von Sektoren und somit haft sein, weil sie sich anpassen und neu orientieren müssen. auf tieferer Branchenebene. Man muss also nicht ins 19. Jahr- Keiner hat diesen Prozess besser auf den Punkt gebracht als hundert zurückgehen, um strukturelle Verschiebungen festzu- der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter. Er bezeich- stellen. Im Kanton Zürich sind seit 1980, über alle Branchen nete den Strukturwandel einst als «schöpferische Zerstörung» hinweg betrachtet gesamthaft, etwa 67 000 Stellen (Vollzeit- – um überhaupt Neues schaffen zu können, muss Altes zer- äquivalente, VZA) weggefallen. Gleichzeitig sind schätzungs- stört werden. weise über 370 000 neue Stellen geschaffen worden. Daraus resultiert ein Nettostellenwachstum von 303 000 Stellen. Stellenwachstum übertrifft Stellenabbau Definieren lässt sich der Strukturwandel im Grunde genom- Die Dynamik auf dem Zürcher Arbeitsmarkt ist folglich gross. men als die fortwährende Veränderung der wirtschaftlichen Das zeigt nur schon der Blick auf die am stärksten betroffenen Strukturen, allen voran der Branchenstrukturen. Er tritt dann Branchen: In der Landwirtschaft und in der Konsumgüterin- auf, wenn sich die Beschäftigungs- und Wertschöpfungs dustrie hat sich die Zahl der Stellen seit 1980 etwa halbiert, im anteile verschieben, so wie dies in den letzten beiden Jahr- Immobilienwesen und in der Informations- und Kommunikati- hunderten besonders augenfällig zwischen den einzelnen onsbranche hat sie sich hingegen mehr als vervierfacht, wie Sektoren – und somit auf der höchstmöglichen Branchenebe- Abbildung 1 zeigt. In der Realität dürfte die Dynamik auf dem ne – geschehen ist: Im Jahr 1850 arbeiteten in der Schweiz Arbeitsmarkt sogar noch ausgeprägter sein, da die hier vorge- fast 60 % aller Beschäftigten in der Landwirtschaft. Heute liegt nommene Analyse nur auf Branchenebene durchgeführt wur- dieser Wert noch bei 3 %. Im selben Zeitraum stieg die Be- de. Würde man jedes einzelne Unternehmen anschauen, dürf- schäftigung im tertiären Sektor von 10 % auf über 75 %.1 Mit te der Stellenabbau und -aufbau noch viel grösser sein. anderen Worten, in der Landwirtschaft wurden unzählige Stel- len abgebaut, während im Dienstleistungssektor viele neue Stellen geschaffen wurden. Unter dem Strich übertrifft die Zahl der neu geschaffenen Stellen die der abgebauten um ein Vielfaches. 1 Beschäftigungswachstum im Kanton Zürich 1980–2020 (VZA) 500% 466% 430% 400% 300% 280% 242% 200% 133% 100% 6% 21% 2% 0% –1% –29% –23% –17% –3% –46% –41% –100% –59% Verkehr und Lagerei Landwirtschaft Bergbau Chemie, Pharma, Kunststoff Baugewerbe Detailhandel Grosshandel Garagengewerbe Gastgewerbe Gesundheitswesen Sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen Information, Kommunikation Öffentliche Verwaltung & Immobilienwesen Konsumgüter Investitionsgüter Finanzsektor Quellen: BAK Economics, BFS, eigene Berechnungen 12 Zürcher Wirtschaftsmonitoring / März 2021
Spezialthema Zürcher Strukturwandel mit höherer Intensität schaftlichen Dienstleistungen. In Zürich waren die Beschäfti- Wie stark sich der Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt in gungszuwächse in diesen drei Branchen jeweils höher als im den letzten Jahrzehnten verändert hat, zeigt der von der Fach- Schweizer Durchschnitt. stelle Volkswirtschaft entwickelte Strukturwandelindikator. Er misst, mit welcher Intensität sich die Branchenzusammenset- Zweitens erzielt der Kanton Zürich tendenziell höhere Werte zung der Volkswirtschaft, gemessen an der Beschäftigung pro als die Schweiz. Der Durchschnitt über die betrachtete Zeit- Jahr, verändert hat. Je grösser die Wachstumsunterschiede periode hinweg beträgt 156 und somit 56 Punkte mehr zwischen den Branchen (Varianz), desto höher liegt der Wert (Schweiz: 100). Anders gesagt, fiel der Strukturwandel in des Indikators. Wächst beispielsweise die Beschäftigung im Zürich intensiver aus, weil sich die Beschäftigung in den ein- Gesundheitssektor in einem Jahr stark an und sinkt gleichzei- zelnen Branchen heterogener entwickelt hat. So fiel einerseits tig im Detailhandel, liegt der Indikator höher, als wenn die Be- der Stellenabbau in industrienahen Branchen wie etwa der schäftigung in beiden Branchen ähnlich verläuft. Metallindustrie oder dem Maschinenbau deutlich höher aus als im Schweizer Durchschnitt. Anderseits war der Stellenauf- Aus der in Abbildung 2 dargestellten Entwicklung des Struk- bau in verschiedenen wichtigen Dienstleistungsbranchen wie turwandelindikators lassen sich zwei interessante Erkenntnis- etwa der Information und Kommunikation, dem Finanzsektor se ziehen: Erstens hat der Strukturwandel über die Jahre hin- oder dem Gesundheitswesen im Kanton Zürich ebenfalls weg leicht abgenommen. Zwar gibt es nach wie vor grössere überdurchschnittlich. Ausschläge infolge abrupter Veränderungen, doch fallen diese alle tiefer aus als noch in den 1990er-Jahren, als die Bau- und Immobilienkrise einen ausgeprägten Strukturwandel in weiten Teilen der Industrie und im Bankensektor ausgelöst hatte. So- wohl die Finanzkrise von 2008/2009 als auch das erste Jahr der Corona-Krise weisen deutlich tiefere Indikatorenwerte auf. In den Jahren vor der Finanzkrise kam es zu einem Beschäfti- gungsboom im Gesundheits- und Sozialwesen, wodurch sich der Strukturwandel intensivierte. Zu den Boombranchen zähl- ten auch die unternehmensbezogenen und sonstigen wirt- 2 Strukturwandelindikator 600 600 500 500 Bau- und Immobilienkrise; Strukturwandel in der Industrie 400 400 Wirtschafts- und Finanzkrise 300 300 Dotcomkrise 200 200 Corona-Krise 100 100 0 0 96 97 98 99 01 02 03 04 05 07 08 09 11 12 13 14 15 17 18 19 20 00 10 06 16 92 93 94 95 19 19 19 19 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 19 19 19 19 Schweiz Zürich Quellen: BAK Economics, eigene Berechnungen Zürcher Wirtschaftsmonitoring / März 2021 13
Spezialthema Erwerbstätige passen sich schneller an Unterschiede bei der Dauer der Stellensuche können von ver- Die höhere Intensität des Strukturwandels hat bei den Be- schiedenen Faktoren beeinflusst werden. Hierzu zählen schäftigten jedoch kaum negative Spuren hinterlassen. Im Ge- beispielsweise die Arbeits- und Organisationsweise der unter- genteil: Der Kanton Zürich weist seit der Jahrtausendwende schiedlichen Kantone oder die Saisonalität des Arbeitsmark- eine leicht höhere Erwerbsquote auf als die Schweiz. Zudem tes. Grundsätzlich gilt: Je stärker der Einfluss von saisonalen ist diese seit der Finanzkrise stärker gewachsen als im Schwankungen auf den Arbeitsmarkt, desto kürzer fällt die schweizweiten Durchschnitt. Gleichzeitig ist auch die Arbeits- durchschnittliche Dauer der Stellensuche aus.2 Weil der Zür- losenquote stärker gesunken. Kurzum: Die Branchenstruktur cher Arbeitsmarkt eine relativ geringe Saisonalität aufweist, ändert sich im Kanton Zürich dynamischer und die Erwerbstä- deutet die unterdurchschnittliche Dauer der Stellensuche tigen passen sich schneller an. umso mehr auf eine hohe Dynamik hin. Das zeigt auch die Dauer der Stellensuche: Im Kanton Zürich benötigen Stellensuchende, die beim RAV gemeldet sind, im Durchschnitt 218 Tage, bis sie eine neue Stelle gefunden ha- ben und sich wieder vom RAV abmelden. Auf gesamtschwei- zerischer Ebene sind es 239 Tage. Wie in Abbildung 3 darge- stellt, lag die effektive Dauer der Stellensuche in den letzten gut 15 Jahren im Kanton Zürich fast ausnahmslos unter dem Schweizer Durchschnitt. 3 Dauer der Stellensuche 2004–2020 350 300 250 200 150 100 50 0 Jan 04 Mai 04 Sep 04 Jan 05 Mai 05 Sep 05 Jan 06 Mai 06 Sep 06 Jan 07 Mai 07 Sep07 Jan 08 Mai 08 Sep 08 Jan 09 Mai 09 Sep 09 Jan 10 Mai 10 Sep 10 Jan 11 Mai 11 Sep 11 Jan 12 Mai 12 Sep 12 Jan 13 Mai 13 Sep 13 Jan 14 Mai 14 Sep 14 Jan 15 Mai 15 Sep 15 Jan 16 Mai 16 Sep 16 Jan 17 Mai 17 Sep 17 Jan 18 Mai 18 Sep 18 Jan 19 Mai 19 Sep 19 Jan 20 Mai 20 Sep 20 Schweiz, effektive Dauer Kanton Zürich, effektive Dauer Quellen: SECO, eigene Berechnungen 14 Zürcher Wirtschaftsmonitoring / März 2021
Spezialthema Digitalisierung als treibende Kraft Natürlich beschränkt sich der Einfluss der Digitalisierung nicht Wichtige Treiber des Strukturwandels sind die internationale nur auf die Endprodukte. Sie macht sich auch innerhalb beider Arbeitsteilung und der technologische Wandel. Vor allem Letz- Sektoren bemerkbar und somit auch im physischen Sektor, terer hat in Form von Automatisierung und Digitalisierung die wo Produktionsabläufe und Prozesse zunehmend digitalisiert Branchen- und Beschäftigungsstrukturen in den letzten Jahr- werden. Ablesen lässt sich dies anhand der Berufe und ihrer zehnten massgeblich verändert. Wie Abbildung 4 zeigt, fiel Tätigkeitsprofile. So gab es in den letzten Jahrzehnten eine das Beschäftigungswachstum im digitalen Sektor in den letz- Verschiebung von Routinetätigkeiten zu Nichtroutinetätigkei- ten 40 Jahren sehr hoch aus, im physischen Sektor war es hin- ten. Anders gesagt: Immer mehr Beschäftigte gehen kogniti- gegen moderat. Dass es überhaupt positiv ausfiel, hat vorwie- ven als auch manuellen Nichtroutinetätigkeiten nach, während gend mit dem Gesundheitswesen zu tun. In vielen anderen Tätigkeiten mit klaren Abläufen und strukturierten Mustern zu- Branchen des physischen Sektors hat die Beschäftigung nehmend durch Computer und Maschinen ersetzt werden.4 nämlich deutlich abgenommen. Durch die Digitalisierung gin- gen somit Stellen verloren, gleichzeitig wurden aber noch viel mehr neue geschaffen – unter anderem solche, die man sich Unterteilung der Zürcher Wirtschaft in einen digitalen zuvor gar nicht vorstellen konnte. Weiter zeigt Abbildung 4, und einen physischen Sektor dass die Kluft zwischen den beiden Sektoren im Kanton Zü- rich deutlich grösser ist als in der gesamten Schweiz. Die Digi- Zum digitalen Sektor gehören jene Branchen, deren Endprodukte be- talisierung hatte also stärkere Auswirkungen auf die Zürcher reits im weitesten Sinne in digitaler Form vorliegen. Dazu gehören etwa der Finanzsektor oder die Telekommunikation. Demgegenüber Branchenstruktur und hat diese stärker verändert. Für Zürich stellen Branchen im physischen Sektor ihre Endprodukte nach wie vor hat sich diese hohe Dynamik ausbezahlt: Über alle Branchen vorwiegend in physischer Form her. Beispiele dafür sind die Landwirt- hinweg betrachtet, ist die Zahl der Stellen seit 1980 um 59 % schaft, das Gesundheitswesen oder der Verkehr.3 gewachsen, auf Schweizer Ebene um 40 %. 4 Beschäftigungswachstum (VZA) im digitalen und im physischen Sektor +248% +189% +21% 100 +14% 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020 Digitaler Sektor Kanton ZH Physischer Sektor Kanton ZH Digitaler Sektor Schweiz Physischer Sektor Schweiz Quellen: BAK Economics, eigene Berechnungen Zürcher Wirtschaftsmonitoring / März 2021 15
Spezialthema Upskilling statt Polarisierung hervorgebracht hat, und das gesteigerte Qualifikationsniveau Auch wenn die Digitalisierung bisher mehr Jobs geschaffen der Einwanderung.6 Beide Effekte haben dazu beigetragen, als verdrängt hat, führt sie in einigen Ländern – allen voran dass die zunehmende Nachfrage der Unternehmen nach den USA und Grossbritannien – zu einer Polarisierung des Ar- hochqualifizierten Arbeitskräften befriedigt werden konnte. beitsmarktes: Als Folge der veränderten Tätigkeitsprofile ha- Das stärkte die Innovationskraft und die Wettbewerbsfähigkeit ben Arbeitskräfte mit mittleren Qualifikationsanforderungen der Schweiz. gegenüber Tief- und Hochqualifizierten an Bedeutung verlo- ren. Vereinfacht gesagt: Klassische Büro- und Handwerkjobs Wie Abbildung 5 zeigt, ist dieses Upskilling im Kanton Zürich sind zugunsten von Stellen im Tief- und Hochlohnbereich ver- stärker ausgefallen als im Schweizer Durchschnitt. Der Anteil schwunden. Das hat teilweise auch zu einer U-förmigen Ent- der Erwerbstätigen mit hohem Qualifikationsniveau stieg von wicklung der Lohnstruktur geführt: Gestiegen sind vor allem 30 % auf 59 % und hat sich somit verdoppelt. Heute verfügen die Löhne der Hoch- und Tiefqualifizierten. 6 von 10 Erwerbstätigen über einen Tertiärabschluss, was Zürich zur Grossregion mit dem weitaus höchsten Anteil an Hochqua- In der Schweiz ist dieses Phänomen bisher nicht in Erschei- lifizierten macht. Auch hier dürfte die Digitalisierung eine wich- nung getreten, wie Untersuchungen zeigen.5 Statt einer Polari- tige Rolle spielen: Je grösser der digitale Sektor, desto grösser sierung fand vielmehr ein Upskilling statt, sprich: Die Mittel- die Nachfrage nach hochqualifizierten Arbeitskräften. Ferner klasse ist nicht erodiert, sondern aufgestiegen. Grund für dürfte dies auch mit der internationalen Arbeitsteilung und der diese erfreuliche Entwicklung sind das Bildungssystem, das in Schweiz als Hochlohnstandort zu tun haben, die dazu führen, den letzten Jahren eine wachsende Zahl an Hochqualifizierten dass einfachere Tätigkeiten stärker ausgelagert werden. 5 Erwerbstätige nach Qualifikationsniveau Zürich Schweiz 1996 2000 2010 2020 1996 2000 2010 2020 100% 25% 27% 30% 31% 35% 41% 46% 59% 58% 56% 61% 59% 48% 49% 41% 35% Zum Qualifikationsniveau «hoch» gehören alle Tertiärabschlüsse, «mittel» umfasst die Abschlüs- 17% 17% 17% 9% 10% 10% 13% se auf Sekundarstufe II und «tief» jene der 7% 0% Sekundarstufe I. Tief Mittel Hoch Quellen: BFS, BAK Economics, eigene Berechnungen 16 Zürcher Wirtschaftsmonitoring / März 2021
Spezialthema Hohes Wachstum im Gesundheitswesen frage nach Gesundheits- und Sozialdienstleistungen ebenfalls Neben der Digitalisierung und der internationalen Arbeitsteilungsteigen liess. Wie die Grösse der Kreise veranschaulicht, spielt gibt es noch weitere Einflussfaktoren auf den Strukturwandel. das Alter eine wichtige Rolle. Je stärker der Anteil der Über- Dazu gehören nicht zuletzt die Produktnachfrage und der Staat. 65-Jährigen gewachsen ist, desto stärker ist tendenziell auch Letzterer beeinflusst den Strukturwandel einerseits direkt durchdas Beschäftigungswachstum im Gesundheits- und Sozialwe- die von ihm erbrachten Leistungen und Investitionen und ander- sen ausgefallen. Allerdings fällt Zürich etwas aus diesem Muster: seits indirekt durch das Setzen von politischen Rahmenbe Das Wachstum der Altersgruppe 65+ war unterdurchschnittlich, dingungen. die Zunahme der Beschäftigung hingegen überdurchschnittlich. Zum anderen dürften auch der geringe Wettbewerb und der Besonders bemerkbar gemacht haben sich diese zusätzlichen staatliche Einfluss ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass die Einflussfaktoren im Gesundheits- und Sozialwesen (Spitäler, Beschäftigungszunahme so hoch ausgefallen ist. Arztpraxen, Pflegeheime, Altersheime etc.), wo das Beschäfti- gungswachstum in den letzten Jahren so stark ausfiel wie in Das hohe Beschäftigungswachstum ging einher mit einem relativ kaum einer anderen Branche. Wie in der Abbildung 6 ersichtlich, tiefen Produktivitätswachstum. Während etwa die Industrie und wuchs die Beschäftigung in allen Kantonen überproportional. der private Dienstleistungssektor, namentlich der Finanzsektor, Wäre das Gesundheits- und Sozialwesen gleich stark gewach- in den letzten Jahrzehnten ihre Arbeitsproduktivität kontinuierlich sen wie die restlichen Branchen, würde sich der Punkt in der steigern konnten, stagnierte diese im Gesundheitssektor. Es gilt Grafik auf der Diagonalen befinden. Im Kanton Zürich, wo der allerdings, darauf hinzuweisen, dass die Messung der Produkti- Abstand zur Diagonalen besonders gross ist, betrug das Be- vität im Gesundheitssektor schwierig ist.* Zudem ist das Poten- schäftigungswachstum im Gesundheits- und Sozialwesen 52 %, zial für Steigerungen der Produktivität im Gesundheitssektor na- in der restlichen Wirtschaft hingegen nur 19 %. turgemäss schwieriger als in anderen Branchen. Zum einen ist diese Entwicklung auf den Nachfrageeffekt zu- rückzuführen. Grundsätzlich gilt: Je höher die Einkommen, desto *E s ist davon auszugehen, dass sich die Arbeitsproduktivität im Gesund- stärker die Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen. Stei- heitswesen in der Realität etwas positiver entwickelt hat, als die offiziellen gende Gesundheitsausgaben sind somit auch Ausdruck des Zahlen suggerieren, das Wachstum jedoch nach wie vor tiefer ist als jenes der Gesamtwirtschaft. wirtschaftlichen Erfolges der Schweiz. Zudem ist die Schweizer Vgl. dazu: Morger, M., Künzi, K. und R. Föllmi (2018): Arbeitsproduktivität Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten gealtert, was die Nach- im Gesundheitswesen. 6 Beschäftigungswachstum 2005–2018: Gesundheitswesen versus restliche Wirtschaft 70% 60% Beschäftigungswachstum Gesamtwirtschaft Die Grösse der Kreise widerspiegelt d as Wachs- tum der Altersgruppe 65+. Je grösser der Kreis, 50% desto stärker ist dieses ausgefallen. (ohne Gesundheitswesen) 40% GE ZG 30% TI VD 20% FR ZH OW CH SZ GR JU LU NE SG 10% SO AI VS SH BL TG NW AG UR AR BE BS 0% GL 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% Beschäftigungswachstum Gesundheits- und Sozialwesen Quellen: BFS, eigene Berechnungen Zürcher Wirtschaftsmonitoring / März 2021 17
Spezialthema Strukturwandel macht die Wirtschaft produktiver auffolgenden Jahrzehnten dominierte vor allem der Wachs- Aus Sicht der Gesamtwirtschaft ist es wünschenswert, wenn tumseffekt, sprich: Viele Branchen wurden produktiver. sich die Wirtschaftsstruktur zugunsten von Branchen mit überdurchschnittlicher Arbeitsproduktivität verschiebt. Ist In den letzten fünf Jahren kam es allerdings zu einer Trend- dies der Fall, steigert der Strukturwandel das Produktivitäts- wende: Im Kanton Zürich fielen sowohl der Strukturwandel wachstum und somit auch das Pro-Kopf-Einkommen und den effekt als auch der Wachstumseffekt negativ aus und somit Wohlstand eines Landes. Für den privaten Sektor lässt sich auch das Wachstum der Arbeitsproduktivität des privaten dies mit der sogenannten Shift-Share-Analyse überprüfen.** Sektors. Das ist nicht nur auf die Corona-Krise zurückzufüh- Sie zerlegt den Zuwachs der Arbeitsproduktivität in einen ren. Bereits in den Jahren zuvor hatten besonders produktive Wachstumseffekt, einen Strukturwandeleffekt und einen Inter- Branchen wie etwa der Finanzsektor oder der Grosshandel ein aktionseffekt. Während der Wachstumseffekt misst, ob die negatives oder stagnierendes Beschäftigungswachstum zu ver einzelnen Branchen insgesamt produktiver geworden sind, zeichnen. Gewachsen sind demgegenüber weniger produktive misst der Strukturwandeleffekt, ob die Verschiebung der Be- Branchen wie etwa die wirtschaftlichen Dienstleistungen (frei- schäftigungsanteile zwischen den Branchen die Produktivität berufliche Tätigkeiten, Reisebranche, Werbung etc.). Der Struk- erhöht hat. Der Interaktionseffekt stellt die statistische Rest- turwandeleffekt war daher über mehrere Jahre negativ. grösse dar, die nicht eindeutig einem der beiden anderen Ef- fekte zuzuordnen ist. In Abbildung 7 sind die Beiträge der drei Effekte auf das Wachstum der Arbeitsproduktivität für die letzten 40 Jahre ab- gebildet. Der Strukturwandeleffekt weist fast ausschliesslich positive Werte auf, sowohl in der Schweiz als auch im Kanton Zürich. Die Branchenverschiebungen im privaten Sektor ha- ben folglich die gesamte Arbeitsproduktivität der Wirtschaft erhöht, weil die Beschäftigten in produktivere Branchen ge- ** D ie hier vorgenommenen Berechnungen basieren auf 32 marktbestim- wandert sind. Das gilt vor allem für die 1980er-Jahre, in denen menden Branchen. Die öffentlichen Branchen eignen sich aufgrund der Messproblematik nicht für die Shift-Share-Analyse. der positive Beitrag des Strukturwandels auf das Wachstum Vgl. dazu: BFS (2008): Arbeitsproduktivität. Methodologie und Analyse der Arbeitsproduktivität besonders hoch ausfiel. In den dar- der wichtigsten Resultate von 1991 bis 2006. 7 Aufspaltung des Produktivitätswachstums Produktivität und Wirtschafts wachstum 3,50% Vereinfacht gesagt, kann eine Volkswirt- schaft pro Kopf nur wachsen, wenn die 3,00% Bevölkerung mehr arbeitet (Zunahme des Arbeitseinsatzes) oder wenn die Produktion 2,50% von Gütern und Dienstleistungen effizienter wird (Zunahme der Arbeitsproduktivität). 2,00% Weil die Schweiz bereits eine sehr hohe Er- 1,50% werbsbeteiligung hat und die Bevölkerung zudem altert, ist die Möglichkeit zur Steige- 1,00% rung des Arbeitseinsatzes begrenzt. Umso wichtiger wird deshalb die Zunahme der 0,50% Arbeitsproduktivität. Sie trägt letztlich ent- scheidend zu mehr Wohlstand, höheren 0,00% Löhnen, mehr Freizeit oder zur langfristigen Finanzierung der Sozialwerke bei. Definiert –0,50% wird die Arbeitsproduktivität als Wertschöp- –1,00% fung (BIP) pro Arbeitsstunde. Ihre Entwick- ZH CH ZH CH ZH CH ZH CH ZH CH ZH CH ZH CH ZH CH lung wird durch verschiedene Faktoren 1981–1985 1986–1990 1991–1995 1996–2000 2001–2005 2006–2010 2011–2015 2016–2020 beeinflusst, etwa durch Kapitalinvestitionen, Bildung oder technologischen Fortschritt. Wachstumseffekt Strukturwandeleffekt Interaktionseffekt Quellen: BFS, BAK Economics, eigene Berechnungen 18 Zürcher Wirtschaftsmonitoring / März 2021
Spezialthema Ein Blick in die Gegenwart: zwischen Strukturerneuerung und Strukturerhaltung Die Anfang 2020 ausgebrochene Corona-Pandemie und die und die Zunahme der Arbeitslosenquote 1,3 Prozentpunkte. damit verbundenen Verhaltensänderungen und staatlichen Die Branchenverschiebungen unterscheiden sich vor allem Einschränkungsmassnahmen haben in fast allen Ländern zu dadurch, dass es in der Corona-Krise nach ersten Schätzun- grossen wirtschaftlichen Verwerfungen geführt. Das gilt auch gen zwei grosse negative Ausreisser bei der Beschäftigungs- für die Schweiz und den Kanton Zürich. Hierzulande wurde der entwicklung gab: das Gastgewerbe und die sonstigen wirt- stärkste BIP-Einbruch seit der Ölkrise in den 1970er-Jahren schaftlichen Dienstleistungen (siehe Abbildung 8). Dadurch verzeichnet. Wie üblich in Wirtschaftskrisen, so trifft auch die ist auch der Wert des Strukturwandelindikators (siehe Abbil- Corona-Krise nicht alle Branchen gleich und beschleunigt da- dung 2) höher ausgefallen. Im Unterschied zur Finanzkrise durch den Strukturwandel. Erste Anzeichen dieser strukturel- verzeichneten dagegen das verarbeitende Gewerbe, der len Auswirkungen sieht man bereits heute, ein Jahr nach Grosshandel und das Baugewerbe einen leichten Beschäfti- Ausbruch der Pandemie. gungszuwachs. Negative Ausreisser Gemäss Schätzungen von BAK Economics brach das reale BIP im Kanton Zürich 2020 um 3,9 % ein und die Arbeitslo- senquote erhöhte sich im Jahresdurchschnitt um einen Pro- zentpunkt auf 3,1 %. Aufschlussreich ist der Vergleich mit der Finanzkrise 2008/2009: Damals betrug der BIP-Einbruch 2,4 % 8 Beschäftigungswachstum (VZA) – Vergleich Finanzkrise und Corona-Krise 4,1% 3,0% 2,7% 2,3% 2,4% 0,9% 0,8% 0,6% 0,3% 0,5% 0,3% 0,0% –0,8% –1,6% –1,8% –3,4% –3,2% –4,7% –5,4% –13,0% Verkehr und Gastgewerbe Baugewerbe Sonstige wirtschaftliche Öffentliche Lagerei Dienstleistungen Dienstleistungen Verarbeitendes Grosshandel Detailhandel Finanzsektor Information, Gewerbe Kommunikation Finanzkrise (2008–2009) Corona-Krise (2019–2020) Quellen: BAK Economics, eigene Berechnungen Zürcher Wirtschaftsmonitoring / März 2021 19
Spezialthema Gewinner und Verlierer um eine Schätzung handelt, da die finalen Daten von 2020 Welche direkten Auswirkungen die Corona-Krise 2020 auf die noch nicht verfügbar sind. Die Abweichungen dürften aber Beschäftigung hatte, lässt sich allerdings erst abschätzen, nicht gross sein. Auf Basis dieser Schätzungen hat die Coro- wenn die tatsächliche Beschäftigungslage mit einem fiktiven na-Krise die Gastronomie folglich 3850 Vollzeitstellen (3400 + Szenario, in dem es keine Corona-Krise gab, verglichen wird. 450) «gekostet» (siehe Abbildung 9). Zu den Verlierern gehören Um zu eruieren, wie sich die Beschäftigung entwickelt hätte, auch verschiedene Dienstleistungsbranchen, die Beherber- wenn die Pandemie nicht stattgefunden hätte (fiktives Szena- gungen und der Verkehr. rio), kann man die Wirtschafts- und Beschäftigungsprognosen vom Januar 2020 heranziehen. Damals gingen die Konjunktur- Auf der anderen Seite der Skala stehen das Garagengewerbe, forscher der Schweiz noch nicht von einer Wirtschaftskrise die Informationstechnologie (IT), die Elektrobranche und die aus. öffentliche Verwaltung. Sie sind die grossen Gewinner der Corona-Krise, zumindest wenn man auf die Beschäftigungs- Die Vergleichsanalyse zeigt, dass im Kanton Zürich die Gastro- zahlen abstützt. In der Verwaltung rechneten die Prognostiker nomie die Hauptverliererin der Corona-Krise ist. Im Januar kurz vor der Corona-Krise mit lediglich 8 neuen Vollzeitstellen 2020 gingen die Prognostiker von BAK Economics davon aus, gegenüber 2019. Die neusten Prognosen gehen hingegen von dass die Beschäftigung gegenüber 2019 um 450 Vollzeitstel- einem Stellenaufbau von über 2100 VZA aus. len zunehmen wird. Ein Jahr später resultierte jedoch ein Ab- bau von 3400 Vollzeitstellen, wobei es sich hierbei auch erst 9 Differenz zwischen Beschäftigungswachstum mit und ohne Corona-Krise (2019–2020) – die fünf grössten Gewinner und Verlierer 3000 2000 1000 0 –1000 –2000 –3000 –4000 Gastronomie Verkehr Detailhandel Garagengewerbe Informationstechnologie Öffentliche Verwaltung, Bildung Sonstige wirt. Dienstleistungen Übrige Dienstleistungen Beherbergungen Elektronik, Optik und Uhren Quellen: BAK Economics, eigene Berechnungen 20 Zürcher Wirtschaftsmonitoring / März 2021
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