PFLEGE UND PFLEGEPOLITIK IN THÜRINGEN- Ein Forderungs- und Diskussionspapier des Landesseniorenrates Thüringen Juni 2021
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PFLEGE UND PFLEGEPOLITIK IN THÜRINGEN — Ein Forderungs- und Diskussionspapier des Landesseniorenrates Thüringen Juni 2021
ANLIEGEN UND ADRESSAT Das Forderungs- und Diskussionspapier ist keine vordergründige Kritik an der bestehenden Pflegepolitik in Thüringen. Eher konstatiert es, dass eine solche nicht formuliert ist. Insofern richtet es sich auf die Zukunft und plädiert dafür, dass eine kohärente Landespolitik für die Pflege unter Einbeziehung der involvierten Akteure formuliert wird. Dabei ist das Attribut „modern“ ein konträres Attribut zu „neoliberal“. Es bezieht sich auf eine Politik, die vom Menschen her denkt, die dessen Teilhabe und Selbstbestimmung stärkt und die partizipativ formuliert ist. Das Forderungs- und Diskussionspapier formuliert Vorschläge und Forderungen. Es versteht sich als Dis- kussionsbeitrag. Es zielt ausdrücklich auf landes-, des weiteren auch auf kommunalpolitische Themen in der Pflege. Es richtet sich an die Landespolitik und -verwaltung, die für die Pflege Verantwortung tragen. ANGABEN ZUR ERSTELLUNG UND SIGNATUR DES TEXTES Die Forderungen und Thesen wurden im Jahr 2019 durch Dr. Jan Steinhaußen, Geschäftsführer des LSR, erarbeitet und 2021 aktualisiert. An der Aktualisierung der Thesen haben sich die Mitglieder des Landes- seniorenrates beteiligt. Das Forderungs- und Diskussionspapier wurde des Weiteren mit verschiedenen Verbänden diskutiert: mit Vertreter*innen der Landesvereinigung für Gesundheitsförderung Thüringen e. V. – AGETHUR, der Alzhei- mer Gesellschaft Thüringen e. V., des Landesverbandes „Wir pflegen!“ Interessenvertretung und Selbsthilfe pflegender Angehöriger in Thüringen sowie mit Vielfalt Leben – QueerWeg Verein für Thüringen e. V.. Diese Verbände haben durch ihre Vertreter*innen den hier formulierten Forderungen weitgehend zugestimmt. 2
INHALT Thesen und Forderungen zu einer modernen Pflegepolitik in Thüringen Zusammenfassende Thesen und Forderungen 4 Aspekte einer modernen Pflegepolitik — Erläuterungen zu den Thesen und Forderungen 1. Exklusionsgefährdung von Menschen mit Pflegebedarf 7 2. Die Notwendigkeit einer differenzierten Berichterstattung 8 3. Landespflegeplanung und Landespflegepolitik 9 4. Der (pflegebedürftige) Mensch im Mittelpunkt der Pflege(politik) 9 5. Prävention und Gesundheitsförderung vor Pflegebedürftigkeit und in der Pflege 10 6. Subsidiarität 11 7. Das Landesprogramm für Familie 12 8. Diversität in der Pflege 14 9. Pflege und die Rolle der Kommunen 14 10. Die Bedeutung soziale Umfelder 16 11. Interessenvertretungen von und für pflegebedürftige Menschen und Pflegende 17 12. Landesgremien für Pflege – Etablierung einer Landespflegekonferenz 17 13. Pflegeberufe – die Aufwertung der Sorgearbeit 18 14. Armut durch Pflege 19 Exkurs: Das Gespenst der Nutzlosigkeit – Pflege in Zeiten viraler Gefährdungen Beitrag von Dr. Jan Steinhaußen aus dem Band "Covid 19 — Zumutungen an die Soziale Arbeit" 24 3
THESEN UND FORDERUNGEN ZUR PFLEGEPOLITIK IN THÜRINGEN Zusammenfassende Thesen und Forderungen These 1 – Exklusionsgefährdungen von These 4 – Der (pflegebedürftige) Mensch Menschen mit Pflegebedarf im Mittelpunkt der Pflege(politik) Pflegebedürftige Menschen gehören zu einer der Im Pflegebereich dominieren wirtschaftliche Inte- größten Gruppen von Menschen, deren Teilhabe- ressen, staatliche sowie versicherungsrechtliche möglichkeiten beschränkt und gefährdet sind. Regulierungen. Im Mittelpunkt einer zeitgemäßen Notwendig ist eine ganzheitliche Wahrnehmung von Pflegepolitik stehen aber Menschen jeden Lebens- Menschen mit Pflegebedarf und deren Angehöri- alters mit Pflegebedarf und deren Angehörige sowie gen, die deren Leben nicht auf die Pflege reduziert. professionell Pflegende. These 2 – Die Notwendigkeit einer These 5 – Prävention und Gesundheitsförde- differenzierten Pflegeberichterstattung rung vor Pflegebedürftigkeit und in der Pflege Über die Lebenslagen und die Lebenswünsche von Eine problemfokussierte Politik verstärkt die Pro- Menschen mit Pflegebedarf und deren Angehörigen bleme. Die Anreize der Pflegepolitik sind falsch ist wenig bekannt. Notwendig ist eine detaillierte gesetzt. Pflegepolitik muss vorgelagert die Gesund- Pflegeberichtserstattung über konkrete Bedarfsla- heit von älteren Menschen sowie Prävention vor der gen, über Pflegequalität und -mängel, über Gewalt Rehabilitation und der Pflege fördern. Die Präven- und Freiheitsentziehende Maßnahmen, bestehende tion in der Pflege muss eine größere Rolle spielen. Angebote, Angebotsdefizite, Pflegenetzwerke sowie Beratungsmöglichkeiten. These 6 – Subsidiarität – Pflege und subsidiäre Förderansätze These 3 – Landespflegeplanung und Landespflegepolitik Die Pflegeversicherung ist zentralstaatlich konzi- piert und umfasst verbindliche Leistungsansprüche. Eine Pflegepolitik ist in Thüringen nicht konturiert Pflegepolitik verfolgt aber gleichermaßen sub- und erkennbar. Notwendig für eine Landespflege- sidiäre Förderansätze, die die konkreten Lebens- politik ist eine Pflegebedarfsplanung, die eine bedingungen von Menschen mit Pflegebedarf und programmatische Verzahnung insbesondere der deren Angehörigen berücksichtigen. Gesundheits- und Familienpolitik mit der Pflege- politik vorführt und sich zum Landesprogramm für Familie, zur Landesgesundheitskonferenz, zu These 7 – Das Landesprogramm für Familie Präventions- und Bewegungsprogrammen sowie zur Förderung des Ehrenamts kontextualisiert. Not- Das Landesprogramm für Familie ist ein essentieller wendig ist des Weiteren die Formulierung einer auf Beitrag für einen subsidiären Förderansatz. Es sollte einer detaillierten Berichterstattung basierenden mit Bezug auf die Pflege sowie die Förderung inklu- Thüringer Pflegepolitik mit einer Pflegekonzeption, sions- und präventionsorientierten Pflegesettings Zielen und operationalisierbaren Maßnahmen. weiter profiliert werden. 4 THESEN UND FORDERUNGEN ZUR PFLEGEPOLITIK
These 8 – Diversität in der Pflege These 12 – Landesgremien für Pflege – Etablierung einer Landespflegekonferenz Pflegepolitik reduziert sich nicht auf bundes- und landeseinheitliche Leistungen und Qualitätsstan- Notwendig ist eine Neufassung der Verordnung dards, sondern würdigt die disparaten Lebensver- über den Landespflegeausschuss, die Etablierung hältnisse, in denen Menschen mit Pflegebedarf einer Landespflegekonferenz, die Leitlinien einer leben. modernen Pflegepolitik formuliert und in der neben Leistungserbringern und Pflegekassen auch die Hausärzteschaft, Krankenhäuser, die Kommunen, These 9 – Pflege und die Verantwortung zivilgesellschaftliche Organisationen, die AGETHUR der Kommunen sowie pflegende Angehörige und beruflich Pfle- gende mitwirken. Pflege ist Teil der kommunalen Daseinsvorsorge. Eine Landespflegepolitik stärkt die Rolle der Kom- munen und versetzt Kommunen in die Lage, Ver- These 13 – Pflegeberufe – die Aufwertung antwortung in der Prävention, in der Gestaltung von der Sorgearbeit Wohnquartieren und einer Sorgekultur sowie der Unterhaltung einer sozialen Infrastruktur im Inter- Pflege und Sorgeaufgaben müssen gesellschaftlich esse von pflegebedürftigen Menschen zu überneh- aufgewertet werden. Das bedeutet die gesellschaft- men. Das Land stärkt und begleitet die Verantwor- liche Aufwertung aller Pflegeberufe und Sorgetä- tungsrollen der Kommunen in und für die Pflege. tigkeiten als Ultima Ratio einer modernen Pflege- politik. These 10 – Die Bedeutung sozialer Umfelder These 14 – Armut durch Pflege Gesundheit entsteht in funktionierenden Quar- tieren. Und auch Pflegebedarf muss zuallererst Pflege darf nicht zu einem Armutsrisiko und zu einer in Quartieren bewältigt werden. Es geht um ihre Teilhabegefährdung werden. Das betrifft sowohl Förderung und die Herausbildung von Gemeinschaf- Menschen, die im hohen Alter gepflegt werden, als ten im sozialen Nahraum, die Sorgeverantwortung auch Menschen, die privat pflegen. übernehmen und bewältigen können. These 11 – Interessenvertretung von und für pflegebedürftige Menschen und Pflegende Menschen mit Pflegebedarf, pflegende Angehörige und des Weiteren beruflich Pflegende benötigen auf allen Ebenen eine starke Interessenvertretung, die politischen Einfluss nimmt und eine anwaltschaft- liche Funktion ausübt. THESEN UND FORDERUNGEN ZUR PFLEGEPOLITIK 5
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ASPEKTE EINER MODERNEN PFLEGE- POLITIK — ERLÄUTERUNGEN ZU DEN THESEN UND FORDERUNGEN Kontext 1. Exklusionsgefährdung von Menschen mit Pflegebedarf1 Menschen mit Pflegebedarf gehören zu der größ- ten Gruppe von Menschen, die von Teilhabebe- Menschen mit Pflegebedarf gehören zu der größten schränkungen bedroht und betroffen sind. Diese Gruppe von Menschen, die von Teilhabebeschrän- Exklusionsvalenzen des deutschen Pflegesystems kungen bedroht und betroffen sind. Auf der einen haben sich während der Coronakrise verschärft. Ins Seite partizipieren sie Gewicht fielen nicht nur die mit der Pandemielage verbundenen Isolierungsmaßnahmen und Men- » von hohen Pflegestandards und einer hohen schenrechtsbeschränkungen von in Pflegeeinrich- Professionalisierung in der ambulanten und tungen lebenden Menschen sowie die schwierige stationären Pflege sowie einem professionellen Pflegesituation im häuslichen Bereich, die sich Management von Leistungserbringern, durch die Schließung von Tagespflegeeinrichtungen verschärft hat, sondern dass trotz weitgehender » von der erheblichen Ausweitung von Leistungs- Schutzmaßnahmen die Sterblichkeitsrate in Pflege- ansprüchen sowie einrichtungen infolge des Coronavirus exorbitant hoch war. » vom hohen Engagement von familiär und pro- fessionell Sorgenden. Die Pflege wird vor dem Hintergrund des demografi- schen Wandels zu einer der größten gesellschaft- Auf der anderen Seite erweist sich als problematisch, lichen Herausforderungen nicht nur für die Bundes-, sondern gleichermaßen für die Landes- und Kom- » dass neben dem Krankenhaussektor der Pflege- munalpolitik. Sie bestehen u. E. unter anderem in bereich bei hochgradiger Regulierung und Büro- der Humanisierung von Pflegesettings, in der Fach- kratisierung der am stärksten ökonomisierte kräftegewinnung, der Absicherung adäquater, sek- Bereich der sozialen Arbeit ist, in dem Wirt- torenübergreifender, präventions- und inklusions- schaftlichkeitszwänge auf soziale Beziehungs- orientierter Pflegeangebote in ländlichen Gegenden qualitäten wirken, sowie der Finanzierung des Pflegesystems. » dass Leistungen der Pflegeversicherung, die In Thüringen ist eine kohärente Pflegepolitik u. E. gerade für den häuslichen Bereich ergänzen- nicht formuliert. Die landespolitischen Aktivitäten den, stabilisierenden und qualifizierenden werden u. E. den Herausforderungen in der Pflege Charakter tragen sollen, vielfach unter dem nicht gerecht. Wir gehen von einem eklatanten tatsächlichen und konkreten Bedarf liegen und Handlungsbedarf aus, den wir in nachfolgenden ein Armutsrisiko implizieren, das elementar auf Forderungen und Thesen begründen. die Mitpflege, -betreuung und -versorgung von Angehörigen, Bekannten und Nachbarn wirkt, » dass die Pflege und Betreuung durch Angehörige und beruflich Pflegende hochgradig belastend ist und mit einer erhöhten Vulnerabilität für ins- besondere psychische Erkrankungen einhergeht, 1 Zu denken ist nicht nur an hochaltrige Menschen, sondern selbstverständlich auch an Kinder und Jugendliche sowie Menschen in allen Lebens- altern, die einen Pflegebedarf haben oder von schwerer Behinderung betroffen sind. Insofern sind Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und deren Eltern und sonstige Pflegebedürftige in diese Überlegungen immer mit einbezogen. ERLÄUTERUNGEN ZU DEN THESEN UND FORDERUNGEN 7
» dass die stationäre Pflege ein hohes Maß an zu Hause Gepflegten und Pflegenden überhaupt Hospitalisierungscharakter aufweist, in dem zu geht. Während Maßnahmen getroffen wurden, die pflegende Menschen sich in einer starken struk- deren Lebensqualität weitgehend und existentiell turellen Abhängig- und Hilflosigkeit befinden beeinflussten, reduzierte sich die Berichterstattung und betreuerisch und medizinisch tendenziell auf Sterbefälle, Ansteckungsraten und Impfquoten. unterversorgt sind, Empirische Erhebung und Berichterstattung soll- » dass zu pflegende Menschen in allen Pflege- ten nicht nur zur Anzahl der Pflegebedürftigen, settings, insbesondere auch im häuslichen zu Pflege- und Impfquoten, der Sterblichkeit, der Bereich, einem hohen Risiko von Einsamkeit, Einstufung von Pflegebedürftigen, zur Inanspruch- Isolierung, Kommunikations- und Zuwendungs- nahme von Dienstleistungen sowie zum Fachkräfte- mangel ausgesetzt sind, bedarf in der Pflege erfolgen, sondern einen kon- kreten regionalen Bezug haben. Des Weiteren sind » dass die Selbstvertretung begrenzt ist und sich Daten zu erheben und Aussagen zu treffen mit zunehmendem Alter weiter einschränkt und dass die originäre Interessenvertretung von » zur Pflegequalität, Menschen mit Pflegebedarf und pflegenden Angehörigen außerhalb stationärer Einrichtun- » zur Sicherheit, gen schwach ist, » zur Gesundheit, medizinischen Versorgung und » dass die Schutzwürdigkeit von Menschen Lebensqualität von Pflegebedürftigen und ihren mit Pflegebedarf im Vergleich zu Kindern und Angehörigen, zur Situation und Begleitung von Jugendlichen keinen vergleichbar hohen gesell- Sterbenden sowie zu den Arbeitsbedingungen schaftlichen Stellenwert genießt und von Pflegenden, » dass die Inklusionsverpflichtungen, die aus der » zu Beschwerden, Misshandlungen, freiheits- UN-Behindertenrechtskonvention erwachsen entziehenden Maßnahmen, zur Gewalt (auch und sich in Maßnahmekatalogen und prakti- gegenüber Pflegenden) und zu Teilhabegefähr- schen Handlungen manifestieren, den Pflege- dungen in der Pflege, sektor weitestgehend ignorieren. » zum zivilgesellschaftlichen Engagement in der Diese Exklusionsgefährdung hat sich während der Pflege, Coronapandemie durch die Schutzmaßnahmen in Pflegeeinrichtungen sowie die Schließung der » zu Pflegeangeboten und Versorgungsengpässen Tagespflegen z. T. dramatisch verschärft. Sie erfor- insbesondere im ländlichen Raum, dert dringend eine Reflexion darüber, wie pflegebe- dürftige Menschen leben und welche Lebensbedin- » zu notwendigen Investitionsbedarfen von gungen für sie wichtig sind. Dienstleistern, » zum Vorhandensein und den Erfahrungen von 2. Die Notwendigkeit einer differenzierten Pflegenetzwerken und Pflegekonferenzen, Berichterstattung wobei in allem positive Beispiele zu würdigen und Es fehlt – bezogen auf Thüringen – eine elaborierte zu publizieren sind. Berichterstattung über die Lebenssituation von Menschen mit Pflegebedarf und ihrer Angehörigen Eine Berichterstattung sollte des Weiteren die Erfah- sowie über die aktuellen und künftigen Bedarfsla- rungen aus der Pandemiekrise kritisch reflektieren. gen. Die Bereitstellung/Erhebung von Pflegedaten Wie können, das wäre die Fragestellung, soziale in Thüringen ist unzureichend. Während der Pande- Dienstleister und pflegende Haushalte so unter- mie und der Krisensituation in Pflegeeinrichtungen stützt werden, dass sie auf virale und anderweitige gab es keinerlei Berichterstattung darüber, wie es Gesundheitsgefährdungen adäquat vorbereitet älteren Menschen in Pflegeeinrichtungen und den sind. 8 ASPEKTE EINER MODERNEN PFLEGEPOLITIK
Solche Ergebnisse sollten, wie es in anderen Bun- gerechte soziale, gesundheitliche und medizinische desländern etabliert ist, transparent und aktuell auf Versorgung im ländlichen Raum zielen. den Webseiten des Ministeriums sichtbar sein. Das schließt organisatorische Veränderungen auf Landesebene ein. Pflegepolitik muss als Quer- 3. Landespflegeplanung schnitts-, d. h. als gesamtgesellschaftliche Auf- und Landespflegepolitik gabe wahrgenommen werden. Die Pflege darf nicht nur innerhalb eines Referats verwaltet, son- Eine moderne Pflegepolitik ist in Thüringen nicht dern sie muss/sollte als Politikfeld referats- und konturiert. Eine Diskussion über ihre Etablierung ressortübergreifend (Familien-, Behinderten-, findet seit Jahren nicht statt. Die landespolitischen Gesundheits-, Sportreferate) profiliert und ent- Ansätze, die sich im Wohn- und Teilhabegesetz, im wickelt werden, mit Abstimmungsprozessen zur Thüringer Pflegepakt, der Förderung von Pflegebe- Dorfentwicklung, Digitalisierung, der Serviceagen- gleitern und Netzwerken und im Landesprogramm tur Demografischer Wandel, der ThAFF (Zugänge für das Solidarische Zusammenleben der Generatio- zur Wirtschaft, Fachkräftesicherung) und weiteren nen finden lassen, formieren sich zu keiner kohä- kommunalen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, renten Pflegepolitik. Eine Landespflege(bedarfs) einschließlich der Pflegekassen und Leistungser- planung ist nicht in Ansätzen erkennbar. Die pflege- bringer. politischen Ansätze, wie sie sich paradigmatisch in den Wahlprogrammen der Parteien finden, reduzie- ren thematisch Pflegepolitik auf Pflegeversicherung 4. Der (pflegebedürftige) Mensch und den Fachkräftemangel. Es fehlen in Thüringen im Mittelpunkt der Pflege(politik) politische Leitziele für eine Pflegepolitik, es fehlt eine auf die Zukunft gerichtete Pflegebedarfspla- Hinter dem Pflegeversicherungsgesetz, einer kom- nung, und es fehlt eine Pflegestrategie und -kon- plizierten Sozialrechtsmaterie, hinter verbesserten zeption mit Zielen und Maßnahmen, die koordiniert Leistungsansprüchen und Versorgungsangebo- umgesetzt werden. ten, Qualitätsverpflichtungen, den Interessen von Leistungserbringern und dem Ruf nach gut bezahl- Notwendig ist aus unserer Sicht die Konturierung ten Pflegefachkräften steht ein pflegebedürftiger einer Landespflegepolitik, die auf einer transpa- Mensch, der häufig eher Teil einer ökonomischen renten Pflegeberichtserstattung und Pflegebedarfs- Versorgungs- und Verwertungskette als das Ziel von planung beruht, die eine Pflegekonzeption vorstellt Politik ist. Einen Menschen in einer existentiellen bei Einbeziehung von kommunalen und zivilgesell- Situation auf einen Kundenstatus von standardi- schaftlichen Akteuren sowie von Pflege betroffener sierten Leistungsangeboten zu reduzieren, beraubt Menschen in allen relevanten Gremien. In diesem ihn seiner Personalität. Er wird zum Objekt staatlich Zusammenhang muss es eine programmatische reglementierter Dienstleistungen2, Qualitätsvorga- Verzahnung insbesondere der Gesundheits- und ben und schutzanwaltschaftlicher Überprüfungen. Familienpolitik mit der Pflegepolitik geben mit Solche Tendenzen haben sich während der Corona- der Kontextualisierung zum Landesprogramm pandemie verschärft. Sie kommen unvermittelt in für Familie, zur Landesgesundheitskonferenz, zu Dokumenten der Krisenbewältigung zum Ausdruck, Präventions- und Bewegungsprogrammen sowie die den Pflegebereich betreffen. Pflegebedürftige zur Förderung des Ehrenamts. Pflegepolitik muss sollen aber als Subjekt von Leistungen und Qua- in diesem Sinne bereichsübergreifend konturiert litätsvorgaben wahrgenommen werden. Für ihr sein und Querschnittsthemen zur Stadt-, Quartiers- Wohnen und Leben muss auch unter schwierigen und Infrastrukturentwicklung, Wohnungspolitik, pandemischen Gefährdungen das Normalitätsprin- Sport- und Bewegungsförderung u. a. m. profilieren. zip gelten. Sie sollte nach dem Vorbild Baden-Württembergs flankiert werden durch Modellprojekte zur sekto- Pflegepolitik beginnt nicht beim Ruf nach mehr renübergreifenden Versorgung der Bevölkerung Ressourcen, der Umstellung des Leistungsberech- und zu alternativen Wohnformen, die vor allem auf tigten mit Versorgungsangeboten und der Rekla- Sorgestrukturen und eine leistungsstarke, bedarfs- mation von Mängeln, sondern konsequent beim 2 Vgl. Klie, Thomas, Wen kümmern die Alten? Auf dem Weg in eine sorgende Gesellsschaft, Bonn 2014, S. 191. ERLÄUTERUNGEN ZU DEN THESEN UND FORDERUNGEN 9
pflegebedürftigen Menschen und seiner Würde, Förderung es einer kohärenten politischen Strategie seinen Ressourcen und Entwicklungspotentialen, des Landes bedarf.3 „Prävention vor Rehabilitation seinen individuellen Lebensansprüchen und seiner vor Pflege“4. Dabei hat die Prävention mit Bezug Lebensqualität, des Weiteren bei den Menschen, auf Pflege verschiedene Dimensionen: Es geht um die sich professionell, familiär und ehrenamtlich Prävention vor Pflegebedürftigkeit. Sie hat das Ziel, um Pflegebedürftige sorgen. Dem gesellschaft- Pflege zu verhindern oder Pflege auf ein höheres lichen Druck auf pflegebedürftige Menschen, die Lebensalter hinauszuschieben. Des Weiteren geht in der Berichterstattung und in den Medien vor- es um Gesundheitsförderung und Prävention in nehmlich als Last für Familie, Gesellschaft und das der Pflege sowohl für Pflegebedürftige als auch für Sozialsystem dargestellt oder generell marginali- Pflegende. siert werden, muss sich die Landesregierung durch eine klare politische Wertehaltung entgegenstellen. Notwendig sind aus unserer Sicht in Zusammen- Diese Forderung ist umso aktueller, da Menschen arbeit mit den Kassen und den Kommunen, Pflege- mit Pflegebedarf während der Pandemiekrise in stützpunkten, mobilen Seniorenbüros und anderen auffallender Weise das Objekt von Maßnahmen Einrichtungen sowie mit der Landesvereinigung für waren, auf die sie keinerlei Einfluss hatten, die aber Gesundheitsförderung und zivilgesellschaftlichen ihr Leben im Existentiellen am Lebensende beein- Akteuren: flussten. » eine konzeptionelle Profilierung der Dimensio- Menschen mit Pflegebedarf wollen nicht nur nen von Prävention und Gesundheitsförderung gepflegt werden – die Pflege im Sinne des Leis- vor Pflegebedürftigkeit und in der Pflege tungsrechts hat im Verlaufe des Tages eines pfle- gebedürftigen Menschen nur einen geringen Zeit- » eine inhaltliche und strukturelle Verzahnung umfang –, sondern sie wollen selbst Sorge tragen, einer auf Gesundheitsförderung und Prävention gebraucht werden und Sinn in ihrem Leben empfin- zielenden Gesundheitspolitik mit einer präventi- den. Diese Teilhabedimension, dass Pflegebedürf- ons- und inklusionsorientierten Pflegepolitik. tige nicht einfach Versorgte und Hilfeempfangende sind, muss sich in der Pflegepolitik und einem » die Implementierung von pflege- und demenz- differenzierten Altenbild widerspiegeln, das dem präventiven Settings in Wohnquartieren, hohen Alter subjektiven Sinn, Würde und Perspek- tive verleiht. Dieser auf die Gepflegten intendierte » die Implementierung von Engagement förder- Ansatz einer modernen Pflegepolitik gilt auch für denden, beratungs-, hilfe-, betreuungs-, aufsu- die Pflegenden. Auch sie sind mit ihrer Gesundheit cheorientierten, vorpflegerischen Strukturen mit und ihren Lebensansprüchen in den Blick einer professionellem Personal, wie sie von Quartiers- humanen Pflegepolitik zu nehmen. managern, (mobilen) Seniorenbüros, präven- tionsorientiert arbeitenden Pflegestützpunkten realisiert werden. 5. Prävention und Gesundheitsförderung vor Pflegebedürftigkeit und in der Pflege » aufsuchende Beratungsangebote für hochaltrige Menschen (wie Dorfkümmerer oder AGATHE- Pflegepolitik nimmt ihren Ausgangspunkt nicht bei Fachleute), die mögliche Krankheits- und Pflege- fatalistischen Pflegeszenarien, bei einem weite- szenarien, mögliche Hilfe- und wohnortnahe ren Ausbau von Versorgungssettings, sondern bei Pflegesettings antizipieren u. a. m. Gesundheitsförderung und Prävention, für deren 3 Pflegebedürftigkeit ist nicht schicksalhaft. Seit über zehn Jahren wird in der Literatur die These der so. Rektangualisierung der Lebenskurve. Einen ähnlichen Ansatz vertritt die sog. Kompressionsthese. Nach ihr nimmt die Morbidität bei steigender Lebenserwartung ab. Die Zeitspanne zwischen dem Alter beim erstmaligen Ausbruch chronisch-irreversibler Erkrankung und dem späteren Sterbezeitpunkt wird kleiner. Politisch ge- sehen heißt das: Es geht um Strategien, wie Pflegebedürftigkeit verhindert oder auf ein spätes und hohes Lebensalter zurückdrängt werden kann. Das entspricht seit 2010 auch einer europäischen Gesundheitsstrategie. Das heißt, es geht um Strategien, wie zur Pflegebedürftigkeit führende chronische Erkrankungen und Multimorbidität primärpräventiv eingedämmt werden können. Die Erfolge primärpräventiver Maßnahmen zeigen sich in den skandinavischen Ländern. Dort liegt die Anzahl der gesunden Lebensjahre bei Männern zwischen 72-74 Jahren, in Deutschland bei 65 Jahren. Auch in Deutschland unterscheiden sich die Pflegequoten in den jeweiligen Bundesländern deutlich. Sie ist in den ostdeutschen Bundes- ländern deutlich höher als etwa in Bayern, Baden- Württemberg oder Hamburg. 4 Vgl. Siebter Altenbericht, S. XIX 10 ASPEKTE EINER MODERNEN PFLEGEPOLITIK
Pflegepräventive Behandlungs- und Beratungsan- Das gilt auch und im besonderen Maße für die sätze müssen des Weiteren von Krankenhäusern Pflege. Bei Pflegebedarf spielen einerseits sozial- und Hausärzten ausgehen. Sie müssen angesichts staatlich garantierte Leistungsansprüche und Quali- der in Teilen medizinischen Unterversorgung pflege- tätsstandards eine wichtige Rolle. Die Pflegever- bedürftiger Menschen integrierter Bestandteil der sicherung sowie die Qualitätskontrollen durch den Pflege sein. Medizinischen Dienst sowie die Heimaufsicht sind Musterbeispiele notwendiger zentraler Steuerung. Dabei sehen wir, dass es auch mit Bezug auf die Sie sind zu stärken. Abstrakte Leistungsansprüche Pflege im hohen Alter eine Selbstverantwortung und Qualitätsstandards reagieren auf höchst indi- des Menschen gibt. Menschen sind mit Blick auf viduelle und hochkomplexe Lebenssituationen von ihre Pflege und die von Angehörigen verantwortlich Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen. dafür, vorzusorgen, sich mit dem hohen Alter, einer möglichen eigenen Hilfe- und Pflegebedürftigkeit Subsidiäre Pflegepolitik orientiert andererseits auf sowie den „letzten Dingen“ auseinanderzusetzen. die Familie, auf Nachbarschaften, Quartiere, Ver- Diese Selbstvorsorge- kann als Bestandteil einer eine und andere Formen der Selbstorganisation zu fördernden Gesundheitskompetenz verstanden sowie auf die sehr unterschiedlichen Bedingungen werden. Das gilt auch und in besonderem Maße für der Leistungserbringung von Dienstleistern. Sub- Angehörige, die sich in einer solidarischen Verant- sidiäre Pflegepolitik ermöglicht auch individuelle wortungsbeziehung zu Familienmitgliedern befin- Leistungserbringung sowie individuelle Pflegeset- den. Das setzt voraus, dass die Vorsorgekompetenz tings, die den Lebensentwürfen und den regionalen von Menschen gestärkt und Pflege gesellschaftlich Bedingungen entsprechen. entstigmatisiert, als ein normaler, nicht angstbe- setzter und möglicher Lebensabschnitt wahrgenom- Insofern rekurriert Pflegepolitik in ihren Realisie- men wird. rungsansätzen einerseits ganz selbstverständlich auf die großen Akteure in der Pflege, insbesondere die Pflegekassen sowie auf die Leistungserbringer, 6. Subsidiarität andererseits auf kommunale und quartiersbezo- gene Akteure, auf die Unterstützung der Angehö- Pflegepolitik ist nicht auf Pflegeversicherungspoli- rigen, auf zivilgesellschaftliche Organisationen, tik reduziert. Sie ist im Kern subsidiär. Subsidiari- auf Akteure in der Prävention und Gesundheits- tät stärkt demokratische und zivilgesellschaftliche förderung, des Weiteren aber auch auf Hospiz- und Strukturen in den Kommunen. Sie ist ein Gegen- palliativmedizinische Vereine. modell zu der immer dominanter werdenden Öko- nomisierung des Sozial- und Gesundheitswesens Gerade Landespolitik muss subsidiäre Impulse sowie zu der immer stärker ausgeprägten sozialad- für Pflege setzen, d. h. sich auf die individuellen ministrativen, bürokratischen und zentralistischen Bedarfslagen von Menschen einlassen. Sie muss Steuerung von sozialen Sicherungssystemen, die die unterschiedlichen Verantwortungsebenen in gerade in der Pflege von zentralistischen Quali- der Pflege von Menschen adäquat beschreiben und tätsvorgaben und durch Aushandlungsprozesse entsprechende Förderimpulse setzen. U. E. geht es zwischen Stakeholdern der Leistungserbringer und für Kommunen und Leistungserbringer einerseits -träger dominiert wird5. Subsidiäre Politik baut auf darum, sozialstaatlich verbindliche Rahmenbedin- die Eigen- und Mitverantwortung von Menschen. D. gungen zu setzen, die sozialstaatliche und humani- h., sie stärkt die soziale Verantwortung von Älte- täre Standards garantieren. Andererseits soll Pfle- ren, sie orientiert auf eine selbstverantwortliche gepolitik den jeweiligen lokalen Zusammenhängen Lebensführung. Sie ermöglicht und fördert indivi- Rechnung tragen und Gestaltungsräume eröffnen6. duelle Lösungen, zumal nicht nur die Bedarfssitua- Insofern sollten Rechtsnormen wie das Wohn- und tionen, sondern auch die regionalen Bedingungen Teilhabegesetz nicht nur Standards setzen, sondern außerordentlich komplex und unterschiedlich sein mit Bezug auf Pflegesettings innovative Möglichkei- können. ten eröffnen, die sich auf lokale Zusammenhänge und das Wohnen von älteren Menschen beziehen. 5 Vgl. ebd., S. 44 6 Vgl. Klie, Wen kümmern die Alten, S. 183 f. ERLÄUTERUNGEN ZU DEN THESEN UND FORDERUNGEN 11
Notwendig erscheint uns des Weiteren eine kohä- Mit Bezug auf das Landesprogramm sehen wir fol- rente Konzeption, wie man Wohlfahrtspluralismus genden Handlungsbedarf: und Settings eines Welfare-Mix adäquat gewähr- leistet. » Der gegenwärtige Förderansatz innerhalb des Landesprogrammes ist zu gering, als dass er Innovationen im vorpflegerischen und pflege- 7. Das Landesprogramm für Familie unterstützenden Bereich nachhaltig befördert. Deshalb müssen diese Förderansätze mit Bezug Das Landesprogramm für Familie (des Weiteren auf Pflege landesseitig ausgebaut und kom- auch das Landesprogramm AGATHE sowie das munale Aktivitäten und Initiativen landesseitig ESF Bundesprogramm zur Stärkung der Teilhabe unterstützt und begleitet werden. Die Unterstüt- Älterer) ist in seiner Systemlogik ein deutschland- zung sollte sich auch auf die Beratung von Kom- weit singuläres Förderprogramm, dessen Moder- munen, sozialen Dienstleistern und Einrichtun- nität sein subsidiärer Ansatz ist. Es formuliert gen beziehen, die im (vor)pflegerischen Bereich keine Pflichtaufgaben für die Kommunen, sondern präventiv tätig oder in die Pflege involviert sind. umreißt virulente Bedarfssituationen und Hand- lungsfelder, die sich in den Kommunen mit ihren » Gute Beispiele sind, wie die Handlungsempfeh- unterschiedlichen Bedingungen konkretisieren und lungen des Berichts zur Sorgearbeit vorsehen, ausgestalten lassen. Es stärkt die selbstdefinitori- zu abstrahieren und zu publizieren. sche Kompetenz der Kommunen, die in partizipato- rischen Planungsprozessen die Zukunftsherausfor- » Im Landesfamilienplan ist für den Bereich der derungen der kommunalen Daseinsvorsorge selbst „Pflege in Familien“ eine konkrete Aufgaben- bestimmen können. Es ist subsidiär orientiert, in zuweisung vorzunehmen. Weil die Pflege in dem es die Kommunen finanziell unterstützt, ihre Familien mit existentiellen Belastungen, häufig Angelegenheiten der familiären Daseinsvorsorge mit Einkommensverlusten und Teilhabebe- selbst in die Hand zu nehmen und sog. freiwillige schränkungen verbunden ist, zu denken ist auch Leistungen zu finanzieren. Damit stärkt es auch die an Eltern mit schwer- und mehrfachbehinderten Selbstverantwortung der Kommunen, die Entschei- Kindern, sind Maßnahmen, die Pflege in der dungsspielräume für die Ausgestaltung konkreter Familie unterstützen, als prioritär förderwürdig Sozialräume erhalten. Das Landesprogramm formu- auszuweisen. liert einen Familienbegriff, in dem die solidarischen Beziehungen in jedem Lebensalter im Mittelpunkt » Ganz generell sollte eine Förderung unbürokra- stehen. Familien, in denen Pflege-, Betreuungs- und tisch erfolgen, so dass auch niedrigschwellige Hilfeverantwortung übernommen wird, gehören Vorhaben und Initiativen im ländlichen Raum, ausdrücklich zur Zielgruppe des Landesprogramms. die Pflege innerhalb der Familie ermöglichen, Seine Handlungsfelder sind so definiert, dass alle nicht behindert, sondern motiviert werden. präventiven und auf Gesundheitsförderung orien- tierten Betreuungs-, Unterstützungs-, Beratungs- leistungen, die das familiäre Umfeld von Familien, in denen gepflegt wird, stärken, die das nichthospi- talisierte Wohnen von alten Menschen unterstützen und die Vereinbarkeit von Beruf und Sorgetätigkei- ten unterstützen, förderfähig sind. 12 ASPEKTE EINER MODERNEN PFLEGEPOLITIK
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8. Diversität in der Pflege grafie und Lebenslagen von Menschen betrifft, sind außerordentlich unterschiedlich. In struktur- Diversität bezieht sich einerseits auf die unter- schwachen ländlichen Regionen insbesondere in schiedlichen Lebenslagen von Familien mit Pfle- ostdeutschen Bundesländern sind einerseits der gebedarf sowie die unterschiedlichen lebens- Altenquotient, der Anteil der Pflegebedürftigen an biografisch gewachsenen Bedürfnisse von der Gesamtbevölkerung, die Pflegequote, die Ent- pflegebedürftigen Menschen. Andererseits bezieht fernung zu Versorgungseinrichtungen z. T. deutlich sie sich auf die regionalen Unterschiede, die Ein- höher, andererseits sind die wohnortnahe Ver- fluss auf die Lebenssituation von Menschen haben. fügbarkeit von Haus- und Fachärzten, Apotheken, pflege- und pflegeunterstützenden Leistungen Die Diversität von und in Familien, in denen gepflegt sowie die Personalausstattung mit Pflegekräften in wird, ist eklatant. Erwerbstätige Eltern mit behinder- ambulanten Diensten geringer.7 ten Kindern haben eine andere Bedarfssituation als die hochaltrige Frau, die ihren hochaltrigen Ehemann Pflegepolitik sollte auf die Diversität von Lebens- pflegt. Eltern oder Elternteile mit mehrfach und bedingungen und Lebenslagen in den jeweiligen schwerbehinderten Kindern sind häufig Jahrzehnte Regionen eine adäquate Antwort finden. Pflege- mit Pflege- und Betreuungsaufgaben beschäftigt, strukturen, Pflegeleistungen und Pflegeangebote die systemisch auf Familien wirken und die hoch- sowie pflegeunterstützende Infrastrukturen sollten belastend sind oder sein können. Sie sind häufig mit auf regionale Unterschiede sowie unterschiedliche einem Verlust an Einkommen und an beruflicher Ent- Lebenslagen angepasst sein. wicklung, mit Teilhabebeschränkungen und -gefähr- dungen sowie gesundheitlichen Risiken verbunden, Die Landesregierung sollte ein Diversitätskonzept weil die zeitliche Präsenz total ist und es an auf die innerhalb einer Landespflegepolitik formulieren individuellen Bedürfnisse angepassten Unterstüt- und sich dafür einsetzen, dass das Leistungsrecht zungs- und Entlastungsangeboten mangelt. der sozialen Pflegeversicherung stärker ausdifferen- ziert wird, dass mehr Kombinationsmöglichkeiten Die Pflege hochaltriger Menschen, insbesondere bei Pflegeleistungen zugelassen werden können von Menschen mit Demenzerkrankungen, kann mit und individuelle Lösungsansätze für konkrete ähnlichen Belastungen verbunden sein, wobei sich Pflegesituationen möglich werden. Das schließt ein, familiäre Bedarfssituationen erheblich unterschei- dass es auch im Leistungsrecht flexiblere Regelun- den können. Eine erwerbstätige pflegende Angehö- gen zur Inanspruchnahme von Leistungen geben rige muss ihre beruflichen Verpflichtungen mit der muss, die den konkreten Bedarfen von Pflegebe- Pflege vereinbaren können. Bei einer hochaltrigen dürftigen gerecht werden. Pflegenden geht es um gesundheitliche Einschrän- kungen, die Pflege und Betreuung mit zunehmen- Insofern sind bundes- und landeseinheitlich stan- dem Alter immer schwieriger werden lassen. dardisierte Leistungen und Qualitätsstandards nur eine Seite der Pflegepolitik. Die andere würdigt die Diversität kann sich des Weiteren auf die lebensbio- disparaten Lebensverhältnisse und -situationen. grafisch gewachsenen Merkmale und Bedürfnisse von Pflegebedürftigen beziehen, die in kultur- und geschlechtersensiblen Konzepten der Pflege zum 9. Pflege und die Rolle der Kommunen Ausdruck kommen. Diverse Lebenslagen sind jedenfalls adäquat zu beschreiben und in den Blick Die Rolle der Kommunen in der Pflege ist zentral. zu nehmen. Für sie müssen Konzepte entwickelt Sie soll u. a. durch das Pflegestärkungsgesetz III und eine entsprechende Praxis gefördert werden. gestärkt werden. Die Aufgabe der Kommunen beste- hen u. a. darin, innovative Versorgungsangebote zu Auch die regionalen Bedingungen, was wirtschaft- fördern und abzusichern, dass eine adäquate Ange- liche Leistungsfähigkeit, Infrastrukturausstattung, botsstruktur flächendeckend vorgehalten wird, eine Mobilitätsanbindung, soziokulturelle, gesundheits- Sorgekultur zu etablieren, quartiersnahe Wohnpro- und pflegebezogene Dienstleistungen, Demo- jekte, Pflegekonferenzen, -netzwerke 7 Siehe auch Vereinbarkeit von Sorgearbeit und Beruf als Beitrag zur Sicherung des Fachkräftebedarfs – Familienfreundliches Thüringen, Halle 2018, S. 25 ff. 14 ASPEKTE EINER MODERNEN PFLEGEPOLITIK
und Beratungsangebote zu fördern. Das Pflege- regeln sein, sondern über die Stärkung kommunaler stärkungsgesetz trägt der Tatsache Rechnung, dass Handlungsfähigkeit.8 Das impliziert, dass Kommu- Pflege eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. nen auch vor dem Hintergrund der kommunalen Ermöglicht wird u. a. der Ausbau lokaler Beratung. Haushaltssituationen in die Lage versetzt werden, Außerdem können regionale Pflegeausschüsse diese Aufgaben wahrzunehmen. Aufgabe des und -konferenzen etabliert werden. Die Pflege und Landes ist es, diese Handlungsfähigkeit auch für damit einhergehend die pflegeflankierende Ver- den Bereich der Pflege prioritär zu fördern. Kommu- sorgungsgestaltung sind Bestandteil der kommu- nen brauchen in diesem Sinne gerade für diesen nalen Daseinsvorsorge. Nur auf der kommunalen existentiellen Bereich der Prävention vor Pflegebe- Handlungsebene können mit Bezug auf Pflege die dürftigkeit und Pflege eine strategische Förderung, konkreten sozialräumlichen, institutionellen und Begleitung und Unterstützung.9 individuellen Rahmenbedingungen und Möglichkei- ten der Hilfe und Unterstützung gestaltet werden. Anzustreben ist (nach dem Vorbild von Nordrhein- Kommunen haben diesbezüglich eine Koordinie- Westfalen) ein umfassendes Seniorenmitwirkungs- rungs-, Management- und Transferaufgabe von und Teilhabegesetz bzw. ein Gesetz zur Entwicklung sozialstaatlichen Leistungen und ihrer Erbringung und Stärkung einer demografiefesten, teilhabe- und dem konkreten sozialen Umfeld. orientierten Infrastruktur in den Kommunen. In ihm sind als Pflichtaufgaben zu formulieren: In Thüringen gibt es mit Bezug auf Pflege seitens der Landespolitik und -verwaltung kaum spürbare » die Gewährleistung einer pflegerischen Inf- Unterstützungsaktivitäten für die Kommunen. Es rastruktur als Bestandteil der kommunalen besteht kein Überblick darüber, in welchen Land- Daseinsvorsorge (auch und insbesondere im kreisen Pflegenetzwerke und Pflegekonferenzen ländlichen Raum). Das bedeutet nicht, dass bestehen, welche Bedarfssituationen es in länd- Kommunen Pflegeleistungen anbieten, sondern lichen Regionen gibt und inwiefern Kommunen eine dass sie Voraussetzungen dafür schaffen, dass kommunale Alten- oder Altenhilfeplanung durchfüh- freie Träger adäquat agieren und neue und inno- ren. Die Impulse seitens des Landes zur Stärkung vative Pflegeangebote entstehen können. der Verantwortungsübernahme der Kommunen in der Pflege etwa zur Etablierung von Pflegenetz- » eine kommunale Senioren- bzw. Altenhilfe- oder werken, von Pflegeausschüssen oder Pflegekon- Pflegeplanung, die sich nicht nur auf Pflegean- ferenzen sind gering. Es gibt keine Fortschritte bei gebote, sondern auf den Fachkräftebedarf sowie der Etablierung von Pflegestützpunkten oder von zur Pflege komplementäre Hilfen, Quartiers- und pflegepräventiven Unterstützungsstrukturen für Stadtentwicklung, Mitwirkungs- und Teilhabe- hochaltrige Menschen. Die Versorgung im ländli- möglichkeiten u. a. m. bezieht und die im Rah- chen Bereich, die pflegeflankierend maßgeblich für men einer integrierten Sozial(raum)planung, wie die Lebenssituation bei Pflegebedarf und Pflege- sie das Landesprogramm für Familie vorsieht unterstützung ist, wird bislang kaum betrachtet. Da bzw. des Weiteren einer Daseinsvorsorgepla- bei pflegeflankierenden Maßnahmen der größte nung stattfindet. Dieses Planungsanliegen kann Gestaltungsspielraum für Kommunen besteht, ist durch ein Instrument wie eine Pflegeplatzbörse dieser Bereich deutlich zu stärken. auf Landesebene unterstützt werden (wie sie etwa in Leipzig besteht). Eine Landespflegepolitik unterstützt die Kommunen in ihrer Verantwortungsrolle für die Pflege. Sie wird » die Etablierung von kommunalen Konferenzen für die Kommunen sichtbar. Sie stärkt die Rolle der zum Alter und zur Pflege, wie sie in anderen Kommunen in ihrer Verantwortung für die Lebens- Bundesländern seit vielen Jahren flächende- qualität all der Menschen, die vom Thema Pflege ckend etabliert sind. betroffen sind. Das bedeutet auch: Die Sicherung der Daseinsvorsorge wird angesichts der unter- » pflegepräventive Beratungs-, Unterstützungs-, schiedlichen kommunalen Bedingungen nicht (aus- Hilfe- und Vermittlungsangebote und -infrastruk- schließlich) über gültige Mindeststandards zu tur für ältere, hochaltrige und pflegebedürftige Menschen und pflegende Angehörige 8 Siehe Siebter Altenbericht, S. 40 9 Vgl. Siebter Altenbericht, S. 42 ERLÄUTERUNGEN ZU DEN THESEN UND FORDERUNGEN 15
» die Partizipationsverpflichtung der Kommunen humane Hilfestrukturen. Es geht um das vertrau- für alle in die Betreuung und Pflege eingebunde- ensvolle Miteinander, um soziale Kompetenz und nen Menschen gesellschaftliche Verantwortung. Der Leitbegriff, der sich international für diesen Ansatz durchge- » das besondere Fördergebot für alle Wohn- und setzt hat, ist der der Caring Community11, für die Pflegesettings, die eine Alternative zur stationä- der 6. Altenbericht vier anthropologische Leitbilder ren Unterbringung sind für das Altern bzw. das Alter formulierte: Selbst- ständigkeit, Selbstverantwortlichkeit, Mitverant- » das Zusammenwirken von Krankenhäusern, wortlichkeit, die das Glück des Lebens nicht nur Vorsorge- und Rehaeinrichtungen, Pflegeeinrich- selbstreferentiell, sondern mit Bezug auf Andere tungen und quartiersbezogenen Akteuren und den öffentlichen Raum bestimmt, sowie die Akzeptanz von Abhängigkeit, die aber Grundlage » unabhängige Beratungsmöglichkeiten über für eine solidarische Gesellschaft darstellt. Eine Pflegeleistungen, Pflegeangebote, Pflegeprä- moderne Pflegepolitik würdigt und stärkt die Rolle vention, Wohnformen, Unterstützungs- und der Sorgearbeit. Eine zukunftsorientierte Pflege- Hilfemöglichkeiten politik zielt auf eine bessere Vereinbarkeit von familiärer Sorge- und Erwerbsarbeit für Frauen und » die Möglichkeit einer Fachberatung durch eine Männer. Sie ermöglicht und fördert familiale Pflege, Fachstelle seitens des Landes für Einrichtungen in dem sie neben sozialen Dienstleistungen andere und Träger der Pflege sowie für die Kommunen Formen der Hilfe, der Unterstützung, Betreuung und sozialen Einbindung in Wohnquartieren etabliert. Die Formulierung genau solcher Aufgaben im Sie fördert sorgende Nachbarschaften und ehren- Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge sind amtliche Besuchsdienste. Es geht nicht um eine Bestandteil von Handlungsempfehlungen an die staatlich organisierte Nachbarschaftshilfe, sondern Landesregierung Thüringens, die in einer vom um unterstützende Rahmenbedingungen und ein- Sozial- und Infrastrukturministerium in Auftrag fache Zugänge, wie sie beispielsweise Sachsen und gegebenen Studie erarbeitet wurden.10 Sie sind als Mecklenburg-Vorpommern mit dem Anerkennungs- Pflichtaufgabe zu formulieren, wobei nach dem verfahren von Nachbarschaftshelfern für Entlas- Konnexitätsprinzip das Land die finanziellen Auf- tungsleistungen nach § 45b SGB XI umsetzen. Es wendungen mit zu tragen hat. geht um das Ermöglichen niedrigschwelliger Hilfe- leistungen wie Haushaltsleistungen innerhalb von Das Anliegen solcher Infrastrukturen und Partizipa- Nachbarschaft, die sich anderweitig und insbeson- tionsansätze ist nicht die Etablierung weiterer Ver- dere im ländlichen Raum nicht realisieren lassen. sorgungssettings zu Lasten der Pflegekassen und Sozialleistungsträger, sondern die Stärkung von In diese Förderung von sozialen Gemeinschaften, subsidiären Selbsthilfe- und Partizipationspotentia- die pflege- und sozial unterstützend im Sinne der len, die sich kostendämpfend für alle in die Pflege häuslichen Pflege wirken, sind Pflegeeinrichtun- Involvierte auswirkt. gen ausdrücklich mit einzubeziehen. Menschen in Pflegeeinrichtungen sind teilhabegefährdet, weil ihnen Kontakte zum sozialen Umfeld häufig fehlen. 10. Die Bedeutung sozialer Umfelder Nach § 8 ThürWTG (Einbeziehung in das Gemein- wesen) sollen sich stationäre Einrichtungen öffnen Pflegepolitik stärkt soziale Umfelder und soziale und in das Umfeld integrieren. Die Teilhabe von Strukturen, in denen Menschen Leben. Von ihnen Bewohnern am Leben in der Gemeinschaft und der gehen präventive Wirkungen aus und sie generieren Gesellschaft soll durch die Einbeziehung von Ange- hörigen, Betreuern, sonstigen Vertrauenspersonen 10 Siehe Vereinbarkeit von Sorgearbeit und Beruf, S. 132 11 Eindrucksvoll sind die Berichte etwa aus Indien, wo in einigen Bundesstaaten in kurzer Zeit nachbarschaftliche palliative Care -Netzwerke auf- gebaut wurden, die inzwischen 40 % aller Sterbenden erreichen und begleiten. Zu den interessanten Ergebnissen der interdisziplinären Forschung in der Gerontologie gehört in diesem Zusammenhang die Erkenntnis, dass die Prädiktoren für die fernere Lebenserwartung nicht vorrangig im unproblematischen Blutdruck und Cholesterinspiegel zu suchen sind, sondern in der Qualität sozialer Netzwerke und ihrer Bedeutung im Alltag. D. h., ob Menschen gesund bleiben, hängt weniger davon ab, ob Menschen dick oder dünn sind, ob sie einen Sportkurs besuchen oder sich gesund ernähren, sondern ob sie im Leben Sinn empfinden. Damit wird eine Vorsorgedimension ins Bewusstsein gerückt, die auch in Richtung eines Verständnisses von Sorge weist, in dem es nicht (primär) um „synthetische“ Vorsorge in und durch Versicherungen geht, sondern um soziale Netz- werke. 16 ASPEKTE EINER MODERNEN PFLEGEPOLITIK
der Bewohner, bürgerschaftlich Engagierten und » Notwendig ist aus unserer Sicht eine starke Institutionen der Gemeinde, des Sozialwesens, der Interessenvertretung von Menschen mit Pflege- Kultur, des Sports sowie der Kirchen und Religions- bedarf, die in allen Pflegethemen betreffenden gemeinschaften gefördert werden. Bei der geplan- Gremien mitwirkt und die Beteiligung von pfle- ten Evaluation des ThürWTG wird man konstatieren gebedürftigen Menschen und ihren Angehörigen müssen, dass die Öffnung von Pflegeeinrichtungen befördert. nicht systematisch von den Trägern verfolgt wird, da hierfür in der Regel keine personellen und finan- » Notwendig sind Konzepte und eine entspre- ziellen Ressourcen vorhanden sind. Die Kommunen chende Praxis, die die Mitwirkung von pflege- tragen hier gleichermaßen eine Verantwortung, in bedürftigen Menschen programmatisch fördern. dem sie in Wohngebieten Voraussetzungen und Zu denken ist auch an inklusive Modelle, wie sie Angebote dafür schaffen, dass sich Einrichtungen bei Kindern mit Behinderung in der Praxis von öffnen können. Schulbegleitern zur Anwendung kommen. Das Herbstzeitlosenprojekt der Seniorenbegleiter, wie es seit Jahren in Saalfeld etabliert ist, oder 11. Interessenvertretungen die Seniorengenossenschaft in Suhl verdienten eine flächendeckende Ausdehnung und unbüro- Menschen mit Pflegebedarf gehören zu der Gruppe kratische Förderung. von Menschen, die von Teilhabebeschränkungen am stärksten bedroht sind. Kommunikationsredu- » Angesichts der Teilhabe- und Sicherheitsge- zierte, betreuungsarme und relativ geschlossene fährdungen erscheint uns die Etablierung eines Pflegesettings (die häusliche Pflege ist hier aus- Landespflege- (in Verbindung mit einem Patien- drücklich inbegriffen) sind verbreitet. Gewaltphä- ten-) beauftragten und regionalen Ombudsleu- nomene sind keine marginale Erscheinung. Die ten sinnvoll, wie sie in anderen Bundesländern Selbstvertretungsmöglichkeiten in sozialen Orga- (wie Bayern) etabliert sind, die die Interessen nisationen sind gering und entfalten entsprechend von Menschen mit Pflegebedarf und ihren wenig Wirkung. Ein Abbild dieser Situation ist, dass Angehörigen in die Politik einbringen.12 Auch Pflegebedürftige in keinen außerstationären Gre- Seniorenbeiräte können und sollten hier qua mien mitwirken und dass sie während der Corona- Gesetz Verantwortung übernehmen, in dem krise auf einen Objektstatus staatlicher Maßnah- sie in kommunalen Gremien zur Pflege und in men reduziert wurden. Sie sind politisch nicht aktiv. Heimbeiräten mitwirken und als Patienten- und Ihre Vertretungsorganisationen (ausgenommen die Pflegebeauftragte Verantwortung übernehmen. von pflegenden Angehörigen) sind in Landesgre- mien kaum aktiv. Vergleichbares könnte man über die Interessenvertretung von beruflich Pflegenden 12. Landesgremien für Pflege konstatieren. Es gibt zwei landespolitisch relevante Gremien, die » Notwendig ist aus unserer Sicht, dass sich auf Pflegepolitik Einfluss nehmen können: Der Lan- Pflegepolitik konsequent an den Lebensbedürf- despflegeausschuss sowie der Thüringer Pflegepakt. nissen von Menschen mit Pflegebedarf und inklusiven Pflegesettings orientiert, die außer Der Landespflegeausschuss der Pflege das Leben und Wohnen in den Mittel- Das Zweite Pflegestärkungsgesetz (PSG II) vom 21. punkt stellt. Dezember 2015 verpflichtet die Länder, Landespfle- 12 Die Bundesregierung hat einen Pflegebevollmächtigten. Er soll nicht nur die Belange der Pflegebedürftigen, sondern auch ihrer Angehörigen, der Pflegekräfte sowie aller in der Pflege Beschäftigten wahren. Er setzt sich dabei u. a. für die Umsetzung der Qualitätssicherung in der Pflege, für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen sowie für die Teilhabe Pflegebedürftiger und die Unterstützung pflegender Angehöriger ein. Auch ver- schiedene Bundesländer haben Pflegebeauftragte. Bayern hat einen Patienten- und Pflegebeauftragter der Bayerischen Staatsregierung. Berlin hat eine Patientenbeauftragte. Sie ist Ansprechpartnerin für die Anliegen, Belange und Beschwerden von kranken und pflegebedürftigen Menschen, pflegenden Angehörigen und ihren Organisationen sowie von Nutzerinnen und Nutzern der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung. Das Saarland hat einen gewählten Pflegebeauftragten, der In einem kontinuierlichen Informationsaustausch mit den Trägern der Pflege und mit den die Pflegetätigkeit im Saarland überwachenden Organen steht. Er ist für eine Weiterentwicklung und Optimierung der Pflege im Saarland zustän- dig, so in den Bereichen des eingeführten Qualitätsmanagements oder der effektiveren, berufsbegleitenden psychosozialen Betreuung der in der Pflege tätigen Menschen. Des Weiteren wirkt er darauf hin, dass die Belange pflegebedürftiger Menschen, deren Angehörige und der die Pflege ausführenden Personen in allen relevanten gesellschaftlichen Bereichen beachtet werden, um so eine breitere Akzeptanz und Wertschätzung in der Gesellschaft zu erreichen. ERLÄUTERUNGEN ZU DEN THESEN UND FORDERUNGEN 17
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