BEINAHE MAGISCH: Paul Scherrer Institut ...
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Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 0 2 / 2021 2 2 5 3 SCHWERPUNKTTHEMA MAGNETISMUS BEINAHE MAGISCH:
SCHWERPUNKT THEMA BEINAHE MAGISCH: MAGNETISMUS HINTERGRUND Magische Kraft mit grosser Wirkung Am PSI arbeiten Forschende daran, die letzten Geheimnisse des Magnetismus zu entschlüsseln. Dabei nutzen sie Magnete, um Elektronen und Protonen in den Grossforschungsanlagen zu beschleunigen. Das ermöglicht wiederum, Nanoroboter oder Materialien mit Formgedächtnis zu entwickeln oder magnetische Wirbel für den Einsatz in der Elektronik zu erforschen. Seite 10 1 INFOGRAFIK Magnetismus Was macht Materialien magnetisch? Was sind Domänen? Was zeichnet Ferro-, Ferri- und Antiferromagnetismus aus? Die Grafik erklärt anschaulich, was es mit Magnetismus auf sich hat. Seite 16 2 2
NACHGEFRAGT Was machen Sie da, Herr Rüegg? 4 A L LTA G Hässlich und lästig 6 FORSCHUNG Schön und nützlich 7 SCHWERPUNKTTHEMA BEINAHE MAGISCH: MAGNETISMUS 8 HINTERGRUND Magische Kraft mit grosser Wirkung 10 INFOGRAFIK Magnetismus 16 R E P O R TA G E Magnetische Nanowelt 18 IM BILD Effizientere Elektrolyseure 21 IN DER SCHWEIZ Der Corona-Dunkelziffer auf der Spur 22 I N H A LT Mit Proteinen made in Villigen untersucht das Univer- sitätsspital Zürich, wie viele Menschen sich in der Schweiz tatsächlich mit Sars-CoV-2 infiziert haben. 3 IN KÜRZE Aktuelles aus der PSI-Forschung 26 R E P O R TA G E 1 Gesundheitsrisiko Feinstaub Magnetische 2 3 Heliumkern genau vermessen Bessere Quantenbits Nanowelt 4 Tresor gegen Magnetismus GALERIE Ein tiefer Blick in die Materie liefert über- raschende Erkenntnisse zum Magnetismus. Das PSI bei Nacht 28 Forschende erklären, wie Skyrmionen Bilder von einem Nachtspaziergang über das PSI-Gelände oder frustrierte Magnete beispielsweise zeigen das Institut in einem nicht alltäglichen Licht. die Informationstechnologie von morgen besser machen könnten. ZUR PERSON «Die Versprechen halten, die wir uns Seite 18 selbst geben» 34 Vaida Auzelyte hat in Lausanne ein Start-up gegründet, das Kunststoffprodukte mit Hologrammen versieht. Die litauische Physikerin profitiert dabei bis heute von ihren Erfahrungen am PSI. WIR ÜBER UNS 38 IMPRESSUM 40 AUSBLICK 41 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 3
Herr Rüegg, Magnetismus ist etwas, das eigentlich jeder schon einmal in seinem Alltag erlebt hat. Aber was hat dieses beinahe magische Phänomen mit dem PSI zu tun? Magnetismus ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Phänomene der Phy- sik alles durchdringen, vom Alltag bis zur Grundlagenforschung. Der Mag netismus, den man aus dem Alltag zum Beispiel von Verschlüssen von Handy-Etuis oder Handtaschen, oder von Kinderspielzeug kennt, beruht auf denselben Grundlagen, die wir für unsere Forschung nutzen. Das PSI ist ein Paradebeispiel für die Forschung an und mit Magnetismus, denn ohne ihn könnten wir unsere Grossforschungsanlagen nicht betreiben. So nutzen alle unsere Teilchenbeschleuniger Magnete, um Protonen oder Elektronen zu beschleunigen oder auf bestimmte Bahnen zu lenken. Für den Upgrade der SLS entwickeln wir gerade komplett neue Magnete basierend auf stark ma- gnetischen Materialien. Mithilfe der Teilchenbeschleuniger betreibt das PSI dann Forschung – unter anderem zum Magnetismus. Richtig. Wir nutzen den Magnetismus für die Forschung und erforschen an- dererseits den Magnetismus selbst. Beispielsweise nutzen wir Neutronen, die zu den Grundbausteinen von Atomkernen gehören. Sie besitzen ein ma- gnetisches Moment, verhalten sich also quasi wie eine Kompassnadel. Wenn wir diese winzigen Teilchen durch ein Material schiessen, dann werden sie auf ihrem Weg durch die magnetischen Eigenschaften der Atome des Mate- rials beeinflusst. Das können wir messen und so auf die Eigenschaften des Materials schliessen – und das, ohne die Probe zu beeinflussen oder zu zer- stören. Das tun wir hier an der SINQ, zu der auch das Spektrometer CAMEA gehört, an dem ich stehe, das wir zusammen mit der EPFL gebaut gaben und mit dem ich selbst forsche. In vielen Experimenten erforschen wir den Ma- gnetismus selbst, zum Beispiel, wenn wir mit der SLS im Bereich weniger Nanometer, also weniger Milliardstelmeter, die Vorgänge in einem Magneten beobachten und damit besser verstehen, wie Magnetismus überhaupt zu- stande kommt und wie man ihn kontrollieren kann. Mit diesem Wissen hoffen wir, beispielsweise Elektronik und Informationstechnologie in Zukunft noch leistungsfähiger machen zu können. Gibt es auch Bereiche, bei denen Magnetismus stört? Solche Forschung betreiben wir auch. So stört Magnetismus beispielsweise bei der Suche nach dem elektrischen Dipolmoment der bereits erwähnten Neutronen. Bislang wurde ein solches noch nirgendwo gemessen. Wenn wir dieses Dipolmoment nachweisen könnten, dann wäre das ein Hinweis auf ein Problem im bekannten Standardmodell der Teilchenphysik und würde neue Erkenntnisse dazu liefern, was ganz am Anfang bei der Entstehung unseres Universums passiert ist. Wir arbeiten derzeit an einem sehr emp- findlichen Experiment dazu, das durch äussere magnetische Einflüsse ge- stört würde. Am PSI werden wir deshalb bis Ende dieses Jahres einen Raum gebaut haben, der in seiner Grösse der am besten magnetisch abgeschirm- te Raum der Welt ist. Und dann können wir damit beginnen, die Geräte und Sensoren für das Experiment zu installieren. Diese sind so empfindlich, dass man das magnetische Signal eines Lastwagens detektieren kann, der in zwei Kilometer Entfernung am PSI vorbeifährt. 4
NACHGEFRAGT Was machen Sie da, Herr Rüegg? NACHGEFRAGT Wenn man das PSI besucht, denkt man zunächst nicht an Magnetismus. Doch ohne dieses physikalische Phänomen gäbe es das Institut gar nicht. Direktor Christian Rüegg erklärt, weshalb das so ist und weshalb Magnetismus trotzdem manchmal stört. 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 5
A L LTA G & Hässlich und lästig Wer kennt das nicht? Schon wieder sind die Bad eben Kalk – alle diese Substanzen bestehen aus armaturen verkrustet – dabei liegt die letzte Reini- Kristallen. Wenn sie auch nicht immer so hübsch gung noch gar nicht so lange zurück. Auch den anzusehen sind wie der Bergkristall im geologi- Boden und die Wände des Wasserkochers bedeckt schen Museum. eine dicke weisse Schicht. Kalzium- und Magnesiumkarbonate entstehen, Dieser hartnäckige Kalk, der sich da scheinbar wenn Leitungswasser lange steht oder erhitzt wird. aus dem Nichts niederschlägt, ist eine Mischung Dabei entweicht gelöstes Kohlendioxid aus dem aus Kalzium- und Magnesiumkarbonat. Diese Salze Wasser. Als Folge wandelt sich das ursprünglich bilden erst kleine, dann immer grössere Kristalle. vorliegende Kalzium- und Magnesiumhydrogenkar- Sie setzen sich als weisser Feststoff an den Wän- bonat zu Karbonaten um. Hydrogenkarbonate sind den der Geräte und an den Badarmaturen ab. löslich, Karbonate nicht – und diese Verbindungen Typisch für Kristalle ist, dass sich ihre Baustei- setzen sich dann als unbeliebte weisse Kruste ab. ne in einer sehr regelmässigen dreidimensionalen Struktur anordnen. Das ist in der Natur extrem häu- fig: Egal, ob Kochsalz, Zucker, Schnee, Metalle oder 6
FORSCHUNG Schön und nützlich Am PSI durchleuchten Forschende die Kristalle von Überredungskunst. Denn sie sind komplexe Mole- Proteinen an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz küle mit einer komplizierten dreidimensionalen SLS mit Röntgenlicht. Beispielsweise auch die Pro- Struktur. Nur sehr zögerlich ordnen sie sich zu re- teine des neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2. Aus gelmässigen, immer noch recht lockeren Verbänden dem entstehenden Beugungsmuster können sie auf zusammen – einem Kristall eben. den Aufbau der lebenswichtigen Biomoleküle zu- Ein Patentrezept fürs Züchten der Proteinkris- rückrechnen. Die Strukturen helfen beispielsweise talle gibt es bis heute nicht. Der Erfolg beruht auf dabei, neue Medikamente zu entwickeln. Versuch und Irrtum – und vor allem auf viel Erfah- Die Struktur der Proteine lässt sich aber nur rung. In der Kristallproduktionsstätte des PSI un- dann ermitteln, wenn ein Kristall vorliegt. Sprich: terstützen Expertinnen Forschende aus der ganzen Wenn sich die Proteinmoleküle in einem regelmäs- Welt, aus «ihren» Proteinen wunderhübsche Kris- sigen dreidimensionalen Muster angeordnet haben. talle zu zaubern, die sich für die Untersuchungen Und das ist nicht immer selbstverständlich. Was bei eignen. Kochsalz, Haushaltszucker und Kalk recht einfach und schnell funktioniert, braucht bei Proteinen viel 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 7
HINTERGRUND Magische Kraft mit grosser Wirkung Seite 10 2 1 INFOGRAFIK Magnetismus Seite 16 Beinahe magisch: SCHWERPUNKTTHEMA Magnetismus Ohne Magnete und Magnetismus wäre das PSI gar nicht denkbar, denn mithilfe der fast magisch wirkenden Kraft entschlüsseln Forschende die letzten Rätsel der Materie und dringen bis zum Ursprung unseres Universums vor. 8
MAGNETISMUS R E P O R TA G E Magnetische Nanowelt Seite 18 3 Mit einer einfachen 3-D-Magnetsonde lässt sich beispielsweise die Richtung eines Magnet- feldes um einen Stabmagneten, einen Draht oder eine Spule feststellen. In der Mitte der Sonde ist ein kleiner Magnet kardanisch aufgehängt, also an zwei sich schneidenden, zueinander rechtwinkligen Drehlagern. Er richtet sich in einem Magnetfeld entsprechend aus. 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 9
Die Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS erhält ein Upgrade. Magische Kraft mit grosser Wirkung In Beschleunigern bringen starke Magnete Elementarteilchen auf Kurs und beliefern Experimentierstationen mit den benötigten Strahlen, um tief ins Innere von Materialien zu schauen. Mit dem damit gewonnenen Wissen entwickeln PSI-Forschende neue Anwendungen für Technik oder Medizin. Text: Barbara Vonarburg Mitten in einer grossen Werkhalle steht ein solider, Schweizer Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL, 50 Zentimeter hoher Metallrahmen, montiert auf das COMET-Zyklotron für die Protonentherapie einem Betonblock. Es ist die Halterung, das soge- oder eben die SLS. In den Beschleunigern lenken nannte Joch, für einen neuen Magneten – einen Pro- normalerweise Elektromagnete die Teilchen auf ihre totypen, der am PSI zusammengebaut wird. «Wir Bahn. Sie bestehen aus einer Spule aus aufgewi- füllen das Joch mit kleinen Blöcken von Permanent- ckeltem Kupferdraht. Fliesst Strom durch die Spu- magneten, wobei wir sehr vorsichtig sein müssen», le, bildet sich ein Magnetfeld. Der Vorteil der Elek- sagt Stéphane Sanfilippo, Leiter der Sektion Mag- tromagnete: Im Gegensatz zu Permanentmagneten nete am PSI: «Die Kräfte, die hier wirken, sind lassen sie sich ein- und ausschalten, und ihre Feld- enorm. Man kann sich schnell die Hand brechen.» stärke kann durch den Stromfluss geregelt werden. Die Kraft, mit denen zwei dieser kleinen Magnete Ein Teil der Magnete für die SLS 2.0 werden nach aneinanderkleben, entspricht einem Gewicht von wie vor Elektromagnete sein wie in der ursprüng- 180 Kilogramm. Die Blöcke aus einer Legierung der lichen Maschine. «Es ist allerdings das erste Mal, Elemente Neodym, Eisen und Bor sind Teil des De- dass wir für einen grossen Beschleuniger am PSI signs, das PSI-Spezialisten am Computer entwi- auch Permanentmagnete in Serie bauen», sagt ckelt haben. Die Permanentmagnete gehören zu Sanfilippo. «Dadurch können wir Platz sparen.» insgesamt fast 1000 Magneten, die für das Upgra- Denn die Permanentmagnete brauchen weder einen de der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS gebaut Stromanschluss noch Wasser, das bei Elektromag- werden. Der Teilchenbeschleuniger, der seit 2001 neten zur Kühlung dient. Zudem kann so der Strom- im grossen, Ufo-förmigen Gebäude in Villigen un- verbrauch für die Magnetspeisungen der SLS 2.0 im tergebracht ist, wird erneuert, um ab 2025 als SLS Vergleich zur SLS massiv reduziert werden. Dank 2.0 noch besseres Röntgenlicht für die Forschung der Permanentmagnete lassen sich pro Betriebstag zu liefern. Ende des vergangenen Jahres gab der rund 10 000 Kilowattstunden oder 1000 Franken Schweizer Bundesrat grünes Licht für die Förderung Stromkosten sparen. Das heisst, die SLS 2.0 wird dieses Projektes mit 99 Millionen Franken. Damit im Betrieb «grüner». können neue Fragestellungen beispielsweise in der Biomolekül- oder der Materialforschung besser und Entwickeln, bauen und testen vor allem schneller bearbeitet werden. Starke Magnete stecken in jedem Teilchenbe- Im hinteren Teil der Werkhalle entwickelt Sanfilippos schleuniger am PSI, sei es im weltweit stärksten Team einen dritten Typ von Magneten, mit dem sich Protonenbeschleuniger HIPA, der die Grossfor- besonders starke Felder erzeugen lassen. Dabei schungsanlagen Schweizer Spallations-Neutronen- wird supraleitendes Material eingesetzt. Dieses quelle SINQ, Schweizer Myonenquelle SµS und die transportiert den Strom verlustfrei, muss dafür aber Schweizer Forschungsinfrastruktur für Teilchen- auf tiefste Temperaturen gekühlt werden. Kompak- physik CHRISP mit Protonen versorgt, sei es der te, supraleitende Magnete werden nicht nur bei der 10
MAGNETISMUS Stéphane Sanfilippo, Leiter Sektion Magnete, mit einem der Magnete, mit denen die Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS aufgerüstet wird. Ausschnitt des Elektronen- speicherrings der SLS, der neu mit Magneten bestückt wird. SLS 2.0 zum Zuge kommen, sondern auch bei der bessern. Darauf freut sich Valerio Scagnoli schon Design-Studie für den grossen geplanten Beschleu- jetzt. Der erfahrene Wissenschaftler und sein Team niger «Future Circular Collider» (FCC) am europäi- nutzen die SLS, um magnetische Strukturen in Ma- schen Teilchenforschungszentrum CERN bei Genf. terialien im Kleinsten sichtbar zu machen und zwar Im Rahmen des Schweizerischen Forschungsnetz- in 3-D. «Heute benötigen wir für ein Experiment ein werks CHART (Swiss Accelerator Research and oder zwei Tage; in Zukunft werden wir zehn- oder Technology) trägt das PSI zur Technologieentwick- gar hundertmal schneller sein», sagt Scagnoli. «Und lung bei. «Wir bauen hier die Infrastruktur und das dank des Upgrades wird sich die räumliche Auflö- Wissen für die Entwicklung supraleitender Be- sung der Bilder drastisch erhöhen.» schleunigermagnete auf», sagt Sanfilippo, «dabei nutzen wir die Synergien zwischen den Projekten Ein Kompass, der nach Westen zeigt für das PSI und das CERN.» Auf der anderen Seite, abgetrennt vom Rest der Valerio Scagnoli ist Mitglied der Gruppe «Mesosko- Werkhalle, befindet sich ein Raum mit verschie- pische Systeme», einem gemeinsamen Labor von densten Installationen, die auf den ersten Blick PSI und ETH Zürich, geleitet von Laura Heyderman. exotisch anmuten. Eine Tafel warnt Leute mit einem Unter «mesoskopisch» verstehen die Fachleute den Herzschrittmacher vor starken Magnetfeldern. «In Grössenbereich zwischen Millionstelmillimeter diesem Zoo von Messgeräten testen wir sämtliche (Nanometer) und Tausendstelmillimeter (Mikrome- Magnete, sowohl die selbst hergestellten wie auch ter). Forschende aus Heydermans Gruppe entdeck- die von Firmen gelieferten Elektromagnete», erklärt ten mithilfe der SLS eine besondere magnetische Sanfilippo. Erst wenn die Magnete die Spezifikatio- nen tatsächlich erfüllen, werden die Techniker sie in die SLS 2.0 einbauen. «Die Kräfte, die hier wirken, Die vielen, kompakten Magnete im erneuerten Beschleuniger werden die Elektronen auf eine bes- sind enorm. Man kann sere Kreisbahn mit weicheren Kurven leiten als zu- vor. So lässt sich die Qualität der Röntgenstrahlen, sich schnell die Hand brechen.» die jeweils bei einem Richtungswechsel der Elekt- ronen erzeugt werden, um Grössenordnungen ver- Stéphane Sanfilippo, Leiter der Sektion Magnete 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 11
Wechselwirkung auf der Ebene nanoskopischer kung, die die beiden Physiker Igor Dzyaloshinskii Strukturen aus wenigen Atomschichten. und Toru Mariya vor mehr als 60 Jahren vorherge- Magnete zeichnen sich üblicherweise dadurch sagt haben. Bei dieser Wechselwirkung richten sich aus, dass sie einen Nordpol und einen Südpol ha- die Atomkompassnadeln nicht nur in Nord-Süd- ben. Werden zwei Magnete nahe aneinandergehal- Richtung, sondern auch in Ost-West-Richtung aus. ten, ziehen sich deren entgegengesetzte Pole an Wohin sie zeigen, hängt davon ab, wie sich die Ato- und die gleichen stossen sich ab. Deshalb richten me in ihrer Nachbarschaft orientieren. Wenn bei- sich magnetische Nadeln, wie sie beispielsweise in spielsweise eine Gruppe von Atomen nach Norden einem Kompass vorkommen, im Erdmagnetfeld so zeigt, weist die benachbarte Gruppe immer nach aus, dass damit die Kardinalrichtungen Nord und Westen. Wenn eine Gruppe von Atomen nach Sü- Süd und daraus abgeleitet Ost und West bestimmt den zeigt, dann orientieren sich die benachbarten werden können. In der Welt, die wir jeden Tag mit Atome nach Osten. unseren Sinnen erleben, ist diese Regel richtig. Diese Orientierungen können durch Magnetfel- Wenn man jedoch die makroskopische Welt verlässt der oder elektrische Ströme die Richtung ändern, und in die Tiefen viel kleinerer Dimensionen ein- das heisst von Nord nach Süd und umgekehrt. Die taucht, ändert sich das. benachbarten Atomgruppen orientieren sich dann Die Atome wirken dort wie winzige Kompassna- entsprechend neu, entweder von West nach Ost deln und entfalten ihre Wirkung über äusserst kur- oder umgekehrt. Aussergewöhnlich dabei ist, dass ze Entfernungen im Nanometerbereich, also einige sich diese Wechselwirkung lateral, also seitlich in Millionstelmillimeter. Deshalb sprechen die For- einer Ebene abspielt. Bislang konnten vergleich- schenden auch von Nanomagneten. bare Kopplungen zwischen Nanomagneten nur ver- Das Phänomen, das die Forschenden des PSI tikal, also bei übereinander angeordneten Atom- beobachten konnten, basiert auf einer Wechselwir- gruppen festgestellt werden. Mithilfe des neu Laura Heyderman leitet das Labor für Mesoskopische Systeme und erforscht unter anderem, wie man mithilfe von Magnetismus intelligente Mikroroboter bauen oder Materialien mit Formgedächtnis entwickeln kann. Hier hält sie ein stark vergrössertes Modell des vogelartigen Mikroroboters, den sie mitentwickelt hat.
MAGNETISMUS – HINTERGRUND entdeckten Phänomens könnte es möglich sein, seine ursprüngliche Form an. Bislang bestehen ver- neue, effizientere Computerspeicher und -schalter gleichbare Materialien aus einem Polymer und ein- zu bauen, was wiederum die Leistungsfähigkeit von gelagerten Metallpartikeln. Die Forschenden des Mikroprozessoren erhöhen würde. PSI und der ETH Zürich fügten stattdessen die ma- gnetischen Partikel mithilfe von Tröpfchen aus Was- Intelligente Mikroroboter ser und Glyzerin in das Polymer. Dadurch erzeugten sie eine Dispersion, ähnlich wie sie von Milch be- Ebenfalls in Heydermans Gruppe haben Forschen- kannt ist. In dem neuen Material verteilen sich die de winzige, magnetische Systeme mit neuartigen Tröpfchen der Flüssigkeit mit den magnetischen Eigenschaften entwickelt. «Intelligente Mikrorobo- Partikeln ähnlich fein. «Da es sich bei der im Poly- ter könnten in Zukunft durch die Blutgefässe im mer dispergierten magnetisch empfindlichen Phase menschlichen Körper navigieren und biomedizini- um eine Flüssigkeit handelt, sind die Kräfte, die sche Aufgaben übernehmen», sagt Jizhai Cui, der beim Anlegen eines Magnetfeldes erzeugt werden, als Postdoc vier Jahre in Heydermans Gruppe ge wesentlich grösser als bisher bekannt», erklärt arbeitet hat und jetzt an der chinesischen Fudan- Laura Heyderman. Wirkt ein Magnetfeld auf den Universität in Shanghai ein eigenes Forschungs- Verbundstoff, versteift dieser. team aufbaut. Die winzigen Maschinen könnten Für formerinnernde Stoffe sind zahlreiche An- beispielsweise gezielt Krebszellen töten. wendungen in Medizin, Raumfahrt, Elektronik oder Wie dies im Prinzip funktionieren soll, demons- Robotik denkbar. So könnten Katheter, die bei mi- trierten die Forschenden am PSI bereits anhand nimalinvasiven Operationen durch Blutgefässe zum eines nur wenige Mikrometer grossen Roboters in Operationsort im Körper geschoben werden, ihre Gestalt eines Vogels, der flattern, seinen Hals krüm- Steifigkeit verändern. Das bietet den Vorteil, dass men und zur Seite gleiten konnte. Auf dünnen sie nur dann fest werden müssen, wenn das benö- Schichten von Siliziumnitrid hatten sie winzige Ko- tigt wird, und sie deshalb – zum Beispiel beim Glei- baltmagnete platziert. «Stattet man Mikroroboter ten durch ein Blutgefäss – weniger Nebenwirkungen mit Nanomagneten aus, können sie auf von aussen wie Thrombosen erzeugen. In der Raumfahrt sind angelegte Magnetfelder reagieren wie ein Kompass», formerinnernde Materialien als eine Art Reifen für erklärt Cui: «Wie von einem Motor angetrieben, kön- Erkundungsfahrzeuge gefragt, die sich eigenständig nen sich die Mikroroboter so vorwärtsbewegen, aufblähen oder wieder zusammenfalten. In der Elek- wenn das Magnetfeld rotiert.» Nun gelte es in einem tronik dienen weiche Funktionsmaterialien als fle- der nächsten Schritte, die Mikroroboter biologisch xible Strom- oder Datenleitungen, beispielsweise in abbaubar zu machen, sagt der Forscher und meint: sogenannten Wearables, also Geräten, die man in «Ich freue mich sehr auf eine Zusammenarbeit zwi- der Kleidung oder direkt am Körper trägt. Formge- schen der Fudan-Universität und dem PSI.» dächtnis eröffnet auch neue Möglichkeiten, bei- Ein weiteres Material mit erstaunlichen Eigen- spielsweise können formerinnernde Materialien in schaften entwickelten PSI-Forschende in Koopera- der Robotik mechanische Bewegungen ohne einen tion mit der ETH Zürich: einen Stoff mit Formge- Motor ausführen. dächtnis. Zwingt man den Verbundstoff in eine bestimmte Form und setzt ihn dann einem Magnet- feld aus, so behält er diese Form bei. Erst wenn man das Magnetfeld entfernt, nimmt das Material wieder Mithilfe von magnetischen Feldern lassen sich Mikro- roboter wie der Prototyp in Form eines Vogels pro- grammieren und steuern. Die winzigen Helferlein könnten einst in der Blutbahn zu Gewebe schwimmen, das sie operieren sollen. Neue Materialien, deren Formgedächt- nis mithilfe von Magnetismus an- oder abgeschaltet wird, könnten beispielsweise als sogenannte Stents Blutgefässe stabilisieren. 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 13
«Das Material, mit dem einer österreichischen Firma untersucht, wie man die Schneidetechnik verbessern und damit Energie- ich arbeite, ist sehr speziell.» verluste vermeiden kann», sagt Strobl. Die Studien an den Elektrostählen sollen jetzt in Zusammenar- beit mit der deutschen Fraunhofer-Gesellschaft Marisa Medarde, Leiterin der Gruppe Physikalische weitergeführt werden. Eigenschaften von Materialien Kleine Spiralen mit grossem Potenzial Die Abbildungen von Strobl und seiner Gruppe ha- ben eine Auflösung von Tausendstel Millimeter bis Zentimeter. Die Längenskala, für die sich Marisa 250 Tonnen schwere Kolosse Medarde interessiert, liegt im Bereich von Millions- tel Millimeter, der Grössenordnung von Atomen. Gerade beim Thema Magnetismus sind die Sprünge «Das Material, mit dem ich arbeite, ist sehr speziell», über die verschiedenen Dimensionen von ultraklein sagt die Leiterin der Gruppe Physikalische Eigen- bis gigantisch gross am PSI gewaltig. Das sieht man schaften von Materialien. Es enthält winzige Mag- sofort, wenn man den Gebäudekomplex betritt, der nete, die sich spiralförmig anordnen. Mithilfe der gleich neben der Werkhalle liegt, in der das Team Neutronen an der SINQ lassen sich diese Spiralen von Stéphane Sanfilippo die neuen Magnete für das nachweisen. Forschende vermuten, dass damit eine Upgrade der SLS entwickelt. Dort befindet sich die besonders wünschenswerte Eigenschaft einher- älteste, noch voll funktionstüchtige, grosse For- geht: Die Magnetisierung des Materials lässt sich schungsanlage des PSI – der Hochintensitäts-Pro- durch ein elektrisches Feld steuern, was viel einfa- tonenbeschleuniger HIPA. Die acht riesigen, türkis- cher und energiesparender ist, als wenn man dazu farbenen Elektromagnete des Ringbeschleunigers ein magnetisches Feld benötigt. wiegen je 250 Tonnen und stammen aus dem Jahr Solche Materialien gelten deshalb als Kandida- 1974. «Der Unterhalt dieser sowie sämtlicher ande- ten für künftige Datenspeicher. Medardes Material rer Magnete in den Beschleunigern und den Labors mit der chemischen Formel YBaCuFeO5 ist beson- am PSI zählt ebenfalls zu unseren Aufgaben», sagt ders vielversprechend. Denn bisher wurden solche Sanfilippo: «Unser Ziel ist es, Stillstandzeiten magnetischen Spiralen nur bei extrem tiefen Tem- möglichst kurz zu halten.» peraturen nachgewiesen. «Unsere Spiralen existie- ren bei Raumtemperatur», sagt die Forscherin. «Zu- Elektrobleche optimal schneiden dem kann man sie relativ einfach verändern, was völlig unerwartet ist.» Ihr Trick: Sie heizt das Mate- Die Protonen aus HIPA treffen unter anderem in der rial zuerst auf über 1000 Grad auf und wirft es dann Spallations-Neutronenquelle SINQ auf einen Blei direkt in fast minus 200 Grad kalten, flüssigen block und schlagen dabei Neutronen aus den Atom- Stickstoff. In einem nächsten Schritt will Medarde kernen. «Neutronen können die Materie leicht mit ihrem Team zeigen, dass das Material tatsäch- durchdringen und eignen sich deshalb gut, um ins lich die erhofften Eigenschaften hat. Vom Einsatz Innere von Materialien zu schauen», erklärt Markus derartiger multiferroischer Materialien verspricht Strobl, Leiter der Gruppe Angewandte Materialien man sich energiesparsamere Computer. am PSI und Professor an der Universität Kopenha- So verbindet die beinahe magisch anmutende gen: «Und obwohl die Neutronen elektrisch neutral Kraft des Magnetismus sehr viele Forschungsarbei- sind, haben sie ein magnetisches Moment und ten am PSI – gleichgültig, ob sie sich mit den Struk- wechselwirken mit Magnetfeldern.» So lassen sich turen in Computern beschäftigen oder mit neu- in einem Material die Bereiche oder Domänen sicht- artigen Materialien für Medizin und Technik oder bar machen, in denen die Magnetisierung in einer mit den riesigen Anlagen, die winzige Teilchen be- gleichmässigen Richtung erfolgt, zum Beispiel in schleunigen. sogenannten elektrischen Stählen, die für Elektro- motoren, Generatoren und Transformer verwendet werden – ein Produkt mit grossem Marktanteil. «Das Design der magnetischen Domänen in die- sen Stählen ist wichtig für die Effizienz der Maschi- nen», sagt Strobl. Abbildungen des Materialinnern zeigten, dass das Zuschneiden von Elektroblechen die magnetischen Eigenschaften an den Rändern negativ beeinflusst. «Wir haben dann im Auftrag 14
MAGNETISMUS – HINTERGRUND Ferromagnetisches Bit 0 1 Spiral-Bit 0 1 Marisa Medarde, Leiterin der Gruppe Physikalische Eigenschaften von Materia- lien, erforscht winzige Magnete in speziellen Materialien, die sich spiralförmig anord- nen. Dabei heizt sie das Material zuerst in einem Spezialofen auf über 1000 Grad Celsius auf und wirft es dann direkt in fast minus 200 Grad kalten, flüssigen Stickstoff, den ein Kollege schon bereithält. 15
Magnetismus Die aus dem Alltag bekannten magnetischen Felder entstehen entweder durch Elementarmagnete in magnetischen Materialien oder durch elektrischen Strom. Verbreitete Anwendungen davon sind Haft- magnete, Elektromagnete oder die Magnetresonanz- tomografie in Medizin und Forschung. Domänen Antiferromagnetismus Elementarmagnete tendieren dazu, sich Im einfachsten Fall sind beim Antiferromagneten zwei verschiedene zumindest in bestimmten Bereichen Untergitter aus Elementarmagneten antiparallel ausgerichtet, deren mag- gleichförmig auszurichten. Solche Bereiche netische Momente sich gegenseitig aufheben. Solche Materialien weisen heissen Domänen. Die Domänengrenzen kein externes permanentes magnetisches Moment auf. Sind die magneti- sind hier gelb eingezeichnet. schen Momente der gegenläufig ausgerichteten Untergitter ungleich stark, so kann es zum Ferrimagnetismus kommen. Nach aussen wirkt eine Am PSI konnten Forscher die Wirbel, die an magnetische Kraft, aber schwächer als beim Ferromagnetismus. den Domänengrenzen auftreten, in einer Art 3-D-Film aufnehmen. Der Ausschnitt zeigt ein Bild daraus. Die Domäne, hier durch rote Pfeile eingezeichnet, erstreckt sich nur über wenige Nanometer. Ferrimagnetismus Ferrimagnetische Materialien werden beispielsweise bei Haftmagneten für Kühlschrank- sticker genutzt. 16
MAGNETISMUS – INFOGRAFIK Elementarmagnet Zum Beispiel: ein Eisenatom Magnetresonanztomografie Jeder Atomkern besitzt einen Bei der Magnetresonanztomografie sogenannten Spin, eine Art nutzt man das magnetische Moment Drehimpuls, der sich aus der mancher Atomkerne, zum Beispiel Summe der Spins der Kern- das des Wasserstoffs. Dadurch sind bausteine ergibt. Daraus folgt hochauflösende Abbildungen orga- ein magnetisches Moment. nischen Gewebes möglich. Ferromagnetismus Die einzelnen Elementarmagnete richten sich gleichförmig aus. Das kann bei- Elektromagnetismus spielsweise durch ein äusseres Magnet- feld ausgelöst werden. Elektromagnete: Elektromagnete besitzen den Vor- Eine stromdurchflossene Spule teil, dass sie über den elektrischen Das magnetisierte Material bleibt erzeugt das Magnetfeld. Strom einfach an- und abgeschal- in diesem Zustand und wird zu einem tet werden können und ihre Stärke Dauermagneten. über die Stromstärke regulierbar ist. Der stärkste, dauerhaft arbeiten- de Magnet ist ein Elektromagnet. 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 17
Magnetische Nanowelt Am PSI untersuchen Forschende den Magnetismus im Bereich von Millionstel Millimeter. Dabei stossen sie auf exotische Phänomene wie frustrierte Magnete und Nanowirbel, mit denen vielleicht dereinst Daten besser gespeichert werden können. Autor: Barbara Vonarburg Woher stammt die scheinbar magische Kraft, die noch weniger Energie verbrauchen – ein spannen- den Magneten am Kühlschrank festhält? Um diese des Feld für zukünftige Untersuchungen am Frage zu beantworten, muss man tief in die Materie SwissFEL. Eine Anwendung dieser neuen Methode hineinblicken. «Stellen Sie sich ein Atom vor mit liege aber noch in weiter Ferne, warnt der Physiker. den Elektronen, die den Kern umkreisen», sagt Ihn interessieren vor allem die grundlegenden Er- Frithjof Nolting, Leiter des PSI-Labors für konden- kenntnisse, die man beim Vordringen in die Nano- sierte Materie und Professor an der Universität welt, also in die Dimension von Millionstel Millime- Basel. «Dieses klassische Bild ist streng wissen- ter, gewinnen kann. «Dort kommt es zu exotischen schaftlich betrachtet zwar falsch, aber als Gedan- Phänomenen, die zu lustigen Eigenschaften dieser kenstütze äusserst hilfreich.» Denn es sind die Nanomagnete führen.» Elektronen, die ein Magnetfeld produzieren. Die elektrisch geladenen Teilchen bewegen sich auf Frustrierte Magnete ihrer Bahn um den Atomkern und haben zusätzlich einen Eigendrehimpuls, genannt Spin. Diese bei- Ein Beispiel sind die frustrierten Magnete. Der den Komponenten erzeugen ein magnetisches Mo- spontane Gedanke, dass es bei der Übertragung ment, das man sich vereinfacht als kleinen Stab- eines menschlichen Gemütszustandes in die physi- magneten vorstellen kann. kalische Welt darum geht, dass ein angestrebter «Damit ein Material nach aussen magnetisch Zustand nicht erreicht werden kann, ist nicht falsch. wird, müssen sich die magnetischen Momente der Doch was die Fachleute wirklich darunter verstehen, einzelnen Atome alle in die gleiche Richtung orien- ist nicht einfach zu erklären. Frithjof Nolting nimmt tieren – ein sehr komplizierter Mechanismus», er- seine Hände zu Hilfe und deutet mit dem rechten klärt Nolting. Sind die magnetischen Momente tat- Zeigfinger nach oben, mit dem linken nach unten. sächlich alle gleich ausgerichtet, spricht man von «Angenommen die magnetischen Momente in ei- Ferromagnetismus, zeigen benachbarte magneti- nem Material sollen antiparallel ausgerichtet sein», sche Momente in entgegengesetzte Richtung, ist erklärt er: «Das funktioniert mit zwei Elementen, das Material antiferromagnetisch und gegen aussen wie man hier sieht. Doch wenn dazwischen in der nicht magnetisch. Bereiche, in denen sich die mag- Mitte ein drittes dazu kommt, weiss es nicht, wo es netischen Momente aller Atome gleich ausrich- hinzeigen soll; es ist frustriert.» ten, heissen Domänen, dazwischen gibt es jeweils Frustrierte Magnete sind das Spezialgebiet von eine Domänenwand. Oksana Zaharko, Leiterin der Forschungsgruppe für Bei der magnetischen Datenspeicherung auf Festkörperstrukturen am PSI. Sie führt den Ver- Festplatten werden die Informationsbits in Form gleich mit den drei Elementen weiter: «Wir haben von Domänen in dünnen Schichten gespeichert. Ein ein System, in dem sich zwei starke Kräfte bekämp- Elektromagnet als Schreibkopf ändert jeweils die fen. Und wenn zwei Grosse Krieg führen, dann Magnetisierungsrichtung. Nolting und seine For- profitiert der kleine Dritte. Genau das passiert in schungsgruppe fanden heraus, wie man auf dieses frustrierten Systemen.» Zaharkos System ist ein Magnetfeld zum Schreiben verzichten könnte: Die winziger Kristall – ein hübsches, metallisches Ok Magnetisierungsrichtung von kleinen Strukturen tae der, das vom blossen Auge noch knapp er- lässt sich auch durch einen Laserpuls gezielt schal- fasst werden kann, geformt aus den Elementen ten. Dieser Prozess wäre viel schneller als derjenige Mangan, Scandium und Schwefel. Weil in diesem mithilfe eines Elektromagneten und würde auch antiferromagnetischen Kristall die Ausrichtungen 18
«Wir haben ein System, in dem sich zwei starke Kräfte bekämpfen.» Oksana Zaharko, Leiterin der Forschungsgruppe für Festkörperstrukturen der magnetischen Momente miteinander streiten, entsteht eine Richtungsabhängigkeit, eine soge- nannte Anisotropie. «Sie ist unsere lachende Dritte», erklärt Zaharko. Die Anisotropie bewirkt, dass sich in der Ausrichtung der magnetischen Momente winzige Wirbel bilden. Winzige Wirbel Diese wundersamen Nanostrukturen sind das Re- sultat der Frustration und haben einen entspre- Oksana Zaharko erforscht am PSI frustrierte Systeme und chend exotischen Namen: Skyrmionen. «In der Skyrmionen. Sie nutzt dabei die unterschiedliche magne- Wissenschaft verbreiten sich manche Ideen wie ein tische Ausrichtung von Elementarmagneten. Was sich kryptisch Virus – allerdings ein gutmütiges», sagt die Physi- anhört, könnte einmal Computer wesentlich leistungs- kerin: «Mit den Skyrmionen ist dies so; es wird welt- fähiger machen. weit intensiv auf diesem Gebiet geforscht und auch ich habe mich anstecken lassen von der Begeiste- rung für diese Objekte mit ihren interessanten Ei- genschaften.» Mit ihrem Kristall gelang es Zaharko und ihrer Gruppe 2020, erstmals antiferromagne- tische Skyrmionen zu erschaffen und nachzuwei- sen – ein wichtiger Schritt für mögliche, künftige Anwendungen dieser Nanowirbel in der Informa tionstechnologie. Skyrmionen gelten als vielversprechende Ein- heiten für eine neuartige Datenspeicherung. Sie sind bedeutend kleiner als die Domänen, die in her- kömmlichen Speichermedien als Bits dienen. Damit könnte man die Daten enger packen sowie schneller schreiben und lesen. «Unsere Skyrmionen sind win- zig und erfüllen diese Anforderung besonders gut», sagt Zaharko. Zudem sind die neu entdeckten Nanowirbel – wie der Kristall selber – antiferromag- netisch. Das heisst, benachbarte magnetische Mo- mente sind so ausgerichtet, dass einer nach oben und der nächste nach unten zeigt, während die Mo- mente bei den bisher bekannten Skyrmionen paral- lel sind. «Antiferromagnetische Skyrmionen lassen sich einfacher steuern, weil sie beim Anlegen von Strom weniger von ihrem geraden Weg abgelenkt werden als ferromagnetische Skyrmionen», erklärt 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 19
liegt in der Röntgenmikroskopie mit Ortsauflösun- gen bis zu 20 Nanometer», sagt Jörg Raabe, Leiter der Mikrospektroskopie-Gruppe. Sein Team produ- ziert aber nicht nur höchstaufgelöste Bilder, son- dern auch Filme: «Bei einigen Experimenten arbei- ten wir zusätzlich mit Zeitauflösungen im Bereich von 100 Pikosekunden, also 100 Billionstel Sekun- den», sagt der Physiker. So lässt sich zeigen, wie magnetische Skyrmionen erzeugt werden und wie sie sich bewegen. Dies interessiert Teams aus Grossbritannien, Deutschland, Korea, China, Russ- land und den USA. In ihren Experimenten am PSI konnten die Forschenden unter anderem zeigen, dass die Skyrmionen in einem Material aus mehre- ren Lagen Iridium-Kobalt-Platin auch ohne äusse- res magnetisches Feld stabil sind, was für poten- zielle Anwendungen wichtig ist. Mit frustriertem Magnetismus befassen sich auch Forschende am PSI, die Materialien mithilfe der Schweizer Myonenquelle SµS untersuchen. Myonen sind instabile Elementarteilchen, die den Elektronen ähneln, aber gut 200-mal so schwer sind. Schiesst man sie in ein Material, können sie als lokale Sonden ihre magnetische Umgebung er- kunden. «Diese Methode ist um einen Faktor hun- dert bis tausend empfindlicher als andere Verfah- ren», sagt Hubertus Luetkens, Gruppenleiter im Skyrmionen sind Nanostrukturen: winzige Wirbel in der magne- Labor für Myonspin-Spektroskopie und ist über- tischen Ausrichtung der Atome. PSI-Forschende haben erst- zeugt: «Am PSI haben wir hervorragende For- mals sogenannte antiferromagnetische Skyrmionen erschaffen. schungsmöglichkeiten mit teilweise weltweit einzig- Darin sind entscheidende Spins gegenläufig ausgerichtet. Hier artigen Experimentieranlagen.» Damit untersuchten eine künstlerische Darstellung dieses Zustands. die Forschenden einen Kristall aus den Elementen Kobalt, Zinn und Schwefel, der ein seltsames mag- netisches Verhalten zeigt. Bei tiefen Temperaturen sind die Kobaltatome ferromagnetisch ausgerichtet, die Forscherin: «Das ist sehr nützlich, wenn man bei höheren Temperaturen nimmt eine antiferroma- damit ein Produkt herstellen möchte.» gnetische Ausrichtung überhand. Die rivalisieren- Noch ist dies Zukunftsmusik. Denn damit die den magnetischen Ordnungen beeinflussen das winzigen Wirbel entstehen, müssen die Forschen- elektronische Verhalten der Materialien und lassen den ihren Kristall bis fast zum absoluten Nullpunkt sich zudem über die chemische Zusammensetzung, abkühlen und in ein sehr starkes Magnetfeld brin- den Druck und das äussere Magnetfeld steuern. gen. «Wir haben eine millimeterkleine Probe und Auch ein solches Material könnte sich dereinst darum herum eine riesige Apparatur mit einem ton- für neuartige elektronische Bauteile eignen. Der nenschweren Magneten – ein unglaublicher Gegen- Weg dahin ist aber noch weit. «Von der Physik her satz», beschreibt Zaharko die Messstelle an der sind all diese Studien sehr spannend», sagt Grossforschungsanlage SINQ. Hier werden Neutro- Frithjof Nolting: «Praktisch würde dies aber einen nen auf den Kristall geschossen und gestreut. Aus kompletten Wechsel der Technologie bedeuten – den so gewonnenen Daten berechnen Algorithmen, eine gigantische Ingenieursarbeit und eine extrem wie es im Material aussieht. «So können wir die hohe Hürde. Aber wer weiss, wir haben schon vie- Skyrmionen nachweisen», sagt die Forscherin: «Se- le Hürden genommen und manchmal ging es hen können wir sie nicht direkt.» schneller als erwartet.» Hochaufgelöste Bilder und Filme Skyrmionen direkt sichtbar machen können For- schende an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS. «Der Schwerpunkt unserer Arbeit an der SLS 20
IM BILD Effizientere Emiliana Fabbri entwickelt im Labor Materialien, die dazu dienen, Wasser mit Strom aus Sonnen- und Elektrolyseure Windkraft in sogenannten Elektrolyseuren effizient in Sauerstoff und Wasserstoff aufzuspalten. Die Materia lien sollen kostengünstig sein, damit die Gewinnung von Wasserstoff ökonomisch attraktiv wird. Hilfreich bei der Materialanalyse ist die Synchrotron Lichtquel- le Schweiz SLS, mit der Reaktionsabläufe genau beob- achtet und in der Folge optimiert werden können. In Kürze, so hofft Fabbri, wird sie ein Material mit einer speziellen Zusammensetzung entwickelt haben, das Wasserstoff als langfristigen Energiespeicher noch interessanter machen dürfte. 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 21
Der Corona-Dunkelziffer auf der Spur IN DER SCHWEIZ In den PSI-Laboren stellen Forschende Proteine des neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 her. Damit untersucht das Universitätsspital Zürich in einer Langzeitstudie, wie viele Menschen sich in der Schweiz tatsächlich mit dem Virus infiziert haben. Text: Brigitte Osterath 22
IN DER SCHWEIZ PSI-Biologe Jacopo Marino überprüft, ob seine Zellkulturen gut gewachsen sind. In ihnen entstehen Coronavirusproteine fürs Universitätsspital Zürich. 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 23
Es ist März 2020 – der Monat, in dem sich die Welt seinen Mitarbeiter Jacopo Marino, ein Team zusam- endgültig verändert: Experten ist klar geworden, menzustellen, um Coronavirusproteine für den Zür- dass sich das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 zu cher Forscherkollegen zu produzieren. einer Pandemie ausbreitet. Der Bundesrat erklärt Die PSI-Forschenden machen sich trotz Lock- die ausserordentliche Lage gemäss Epidemienge- down sofort an die Arbeit. Eigentlich darf zu der Zeit setz, schliesst nicht lebensnotwendige Geschäfte niemand im Labor arbeiten, denn das PSI befindet und Dienstleistungen sowie die Schweizer Grenzen. sich in der dritthöchsten Stufe der Betriebsein- Kurz darauf erhält Gebhard Schertler, Leiter schränkungen. «Aber für unsere Arbeiten zum Co- des Bereichs Biologie und Chemie am PSI und Pro- ronavirus haben wir eine Ausnahmeerlaubnis be- fessor für Strukturbiologie an der ETH Zürich, eine kommen», erzählt Marino. Das PSI unterstützt die Anfrage von Adriano Aguzzi. Der ist Direktor des Forschungen zu Covid-19 auch finanziell. Instituts für Neuropathologie am Universitätsspital Zürich (USZ) und plant eine gross angelegte Studie: Vom Gen zum Protein Er will im Hochdurchsatzverfahren das Blut vieler Menschen im Grossraum Zürich auf Antikörper tes- Das Erbgut von Sars-CoV-2 besteht aus einem ein- ten, die das Immunsystem Infizierter im Kampf ge- strängigen RNA-Molekül, das den Bauplan für un- gen das Virus produziert. Das Forschungsprojekt terschiedliche Proteine des Virus enthält. Drei die- soll ans Licht bringen, wie hoch die Dunkelziffer bei ser Proteine hatten bei Vortests in Aguzzis Labor Ansteckungen ist. «Viele Corona-Infektionen ver- starke Immunreaktionen hervorgerufen – sprich, der laufen symptomlos, die Personen merken gar nicht, menschliche Körper produziert nach Kontakt damit dass sie infiziert sind», erläutert Aguzzi. «Sie unter- viele Antikörper, die sich in Bluttests gut nachwei- ziehen sich daher auch keinem Test. Eine Antikör- sen lassen. Nach Absprache mit dem Forscherkol- perstudie aber verrät die wahre Durchseuchung der legen beschliesst das Team um Jacopo Marino, sich Bevölkerung.» der Herstellung des sogenannten Nukleokapsid- Der Mediziner benötigt für seine Versuchsrei- Proteins zu widmen. hen dringend Teile des Virus in Reinform, genauer Dieses Protein bildet eine schützende Hülle um gesagt: dessen Proteine. Denn der Kontakt mit sol- das Erbgut des Virus und ist damit essenziell für chen Virusproteinen verursacht im menschlichen dessen Funktion und Vermehrung. In seinem natür- Immunsystem die Bildung von sogenannten Anti- lichen Zustand bildet es mit dem Erbmaterial des körpern – grossen Biomolekülen, die an Proteine Virus grosse Komplexe aus vielen Molekülen. von Krankheitserregern wie Sars-CoV-2 binden und Die Forschenden bauen das Erbgut für das diese unschädlich machen. Antikörper lassen sich Nukleokapsid-Protein in die DNA von Säugetierzel- auch noch Monate nach dem Kontakt mit dem Virus len ein – ein Vorgang, den das Virus bei einer Infek- im Blut nachweisen, und praktischerweise docken tion auch vornimmt. Anschliessend dürfen diese sie ebenso an künstlich hergestelltes Virusprotein Zellen in einer Nährlösung in Glaskolben einige Tage wie an natürliches. lang wachsen und gedeihen. Dabei stellen sie das Protein her. Nächste Hürde ist es, das Protein in Keine Minute gezögert reiner Form aus der Zellkultur zu gewinnen. Der PSI- Doktorand Filip Karol Pamula entwickelt schliess- Die Proteine des Coronavirus sind zum damaligen lich ein Verfahren dafür. Zeitpunkt allerdings noch nicht in ausreichender «Wir mussten buchstäblich innerhalb weniger Qualität und Quantität kommerziell erhältlich. Wochen Coronavirusexperten werden – wie so vie- Adriano Aguzzi wendet sich deshalb an sein grosses le andere Forschungsgruppen auch», sagt Marino. Netzwerk von Forschenden in der Schweiz und der «Nur gut, dass es bereits so viele wissenschaft ganzen Welt, unter anderem auch ans PSI. «Es ist liche Informationen über andere Typen von Corona- nicht überraschend, dass in einer solchen Notsitu- viren gab.» ation ausgerechnet Gebhard Schertler angefragt wurde», sagt Jacopo Marino, Postdoc im PSI-Labor 4000 Tests in 24 Stunden für biomolekulare Forschung. «Wir arbeiten hier seit vielen Jahren mit sehr herausfordernden Proteinen.» Innerhalb von einigen Monaten stellen die Forschen- Gebhard Schertler zögert nicht: «Wir kooperie- den rund fünf Milligramm Nukleokapsid-Protein her, ren schon länger mit dem USZ, ursprünglich im frieren es in flüssigem Stickstoff ein und liefern es Bereich der neurodegenerativen Erkrankungen, ans USZ. Gleichzeitig arbeiten Forschungsgruppen um bestimmte Proteine des Nervensystems zu er an der ETH Zürich, an der EPFL in Lausanne, im bri- forschen», sagt er. «Es stand ausser Frage, dass tischen Oxford und im US-amerikanischen Yale auf wir diese Erfahrung nutzen würden, um Adriano Hochtouren, um andere für die Studie benötigte Aguzzis Studie zu unterstützen.» Schertler bittet Eiweissmoleküle zu produzieren. 24
Test zum Nachweis von Sars-CoV-2-Antikörpern Coronavirusprotein Antikörper gegen Sars-CoV-2 Nachweis-Antikörper gekoppeltes Enzym Zugabe eines weiteren Nachweis des zweiten Beschichtung der Näpfchen Zugabe von Blutplasma Antikörpers, der an Antikörpers durch eine einer Mikrotiterplatte mit → Antikörper gegen Sars-CoV-2-Antikörper Farbreaktion, ausgelöst Sars-CoV-2-Virusprotein Sars-CoV-2 binden bindet durch ein Enzym Mit den Lösungen dieser Proteine versetzt das gehabt. Dann fällt die Zahl wieder bis auf 0,7 Pro- Team um Adriano Aguzzi Blutproben, um zu sehen, zent im Juli. Die Antikörper gegen das Coronavirus ob sich darin Antikörper gegen das Virus befinden. lassen sich lediglich um die 100 Tage lang im Blut Lassen sich diese nachweisen, war die Person, von nachweisen. der die Probe stammt, bereits mit dem Coronavirus «Dass die Durchseuchung der Bevölkerung wäh- infiziert. Da die Tests mit sehr geringen Flüssigkeits- rend der ersten Welle nur so gering war, hat uns mengen stattfinden, braucht der Mediziner auch alle überrascht», sagt Adriano Aguzzi. In anderen entsprechend wenig Protein. Zudem geht das Gan- Regionen der Schweiz war sie weiteren Studien ze sehr schnell: 4000 Tests können die Forschen- zufolge höher: Im Kanton Genf etwa waren Anfang den innert 24 Stunden durchführen. Mai Antikörper bei knapp zehn Prozent aller Per- Die Blutproben stammen aus ganz unterschied- sonen nachweisbar. «Der Lockdown hat demnach lichen Abteilungen des USZ, wurden also für Unter- erfolgreich eine schweizweite Ausbreitung des suchungen unabhängig von einer Covid-19-Erkran- Virus verhindert.» kung verwendet. Auch greifen die Forschenden auf Ab November 2020 sieht die Situation dann Blutspenden zurück – von Menschen also, die zum ganz anders aus: Die positiv getesteten Blutproben Zeitpunkt der Blutabnahme völlig gesund gewesen im Kanton Zürich erreichen Mitte Dezember rund sein sollten. Das ist der grosse Unterschied zu den 6 Prozent. «Die zweite Welle hat massiv eingeschla- Coronatests aus einem Nasen-Rachen-Abstrich, gen», sagt Aguzzi. Im Kanton Genf liegt die Zahl die Menschen normalerweise nur dann machen las- aber auch hier mit 21 Prozent wieder höher. Allge- sen, wenn sie bereits Symptome haben – oder zu- mein zeige die Studie Folgendes: «Die wahre mindest nahen Kontakt mit einem Infizierten hatten. Durchseuchung der Bevölkerung mit dem Corona- Da die Blutproben unabhängig von der Antikör- virus ist gut dreimal so hoch, wie die offiziellen perstudie genommen wurden, lässt sich das Infek- Tests aus Abstrichen es vermuten lassen.» tionsgeschehen auch später noch bis auf seinen Inzwischen hat das Team um Adriano Aguzzi Anfang zurückverfolgen. Die Forschenden messen über 80 000 Blutproben auf Antikörper gegen das selbst Proben aus dem Jahr 2019, um sicherzuge- Coronavirus getestet. Die Studie wird noch mindes- hen, dass ihr Test nicht positiv auf Antikörper ge- tens zwei Jahre weiterlaufen. Und das Versprechen gen andere Coronaviren anschlägt und so das Er- steht: Wenn der Mediziner dafür neues Nukleokap- gebnis verfälscht. sid-Protein benötigt, ist das PSI erneut zur Stelle. Die zweite Welle schlägt richtig zu Nachdem Coronavirusproteine aus Laboren rund «Wir mussten buchstäblich um den Globus in Zürich eingetroffen sind, beginnt das Team am USZ mit den eigentlichen Antikörper- innerhalb weniger Wochen tests. Wie sich dabei zeigt, steigt die Zahl der posi- tiven Blutproben im Laufe des März 2020 langsam Coronavirusexperten werden.» an und erreicht im April ein Maximum. Zu dem Zeit- punkt haben demnach rund 1,5 Prozent der Bevöl- Jacopo Marino, Biologe im Labor für biomolekulare kerung im Grossraum Zürich Kontakt mit dem Virus Forschung am PSI 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 25
Aktuelles aus der PSI-Forschung 1 Gesundheitsrisiko Feinstaub Forschende des PSI haben gemeinsam mit Kollegen mehrerer europäischer Ins- titutionen untersucht, ob Feinstaub aus bestimmten Quellen besonders gesund- heitsschädlich sein kann. Dabei fanden sie Hinweise darauf, dass die Menge des Feinstaubs allein nicht das grösste Ge- sundheitsrisiko darstellt. Vielmehr kann es sein, dass das sogenannte oxidative Potenzial den Feinstaub besonders schädlich macht. Als oxidatives Potenzi- al des Feinstaubs wird die Fähigkeit be- zeichnet, Antioxidantien abzubauen, was zur Schädigung von Körperzellen und -gewebe führen kann. Das oxidative Po- tenzial des Feinstaubs bestimmen vor allem sogenannte anthropogene sekun- däre organische Aerosole, die haupt- sächlich aus Holzfeuerungen stammen, und Metallemissionen aus Bremsenab- Feinstaub zählt zu den5 Todesursachen weltweit. häufigsten rieb des Strassenverkehrs. Feinstaub in urbanen Regionen besitzt den Studien ergebnissen zufolge ein höheres oxida tives Potenzial und ist deswegen ge- sundheitsschädlicher als Feinstaub im 10 Partikel, die kleiner sind als werden zum Feinstaub gezählt. Mikrometer, ländlichen Raum. Weitere Informationen: http://psi.ch/de/node/42438 Von 25,8 Tonnen im Jahr 1990 auf 14,2 Tonnen im Jahr 2019 sanken die Feinstaub emissionen in der Schweiz. 26
IN KÜRZE 3 Bessere Quantenbits 4 Tresor gegen Magnetismus Quantencomputer versprechen für ge- Am PSI wird derzeit ein Raum aufgebaut, wisse Anwendungen eine enorme Be- der in seiner Grösse den weltweit besten schleunigung der Rechenleistung. Auf Abschirmraum gegen Magnetismus dar- dem Weg zu diesen neuartigen Compu- stellt. In einem nächsten Schritt werden 2 Heliumkern genau tern sind zunächst sogenannte Quanten- Forschende in der Kammer ein Experi- vermessen bits nötig: Speicher-Bits, die anders als ment installieren, das nach einer bisher die klassischen Bits nicht nur die binä- unentdeckten physikalischen Grösse In Experimenten am PSI hat eine interna- ren Werte Null und Eins annehmen kön- suchen soll, dem elektrischen Dipolmo- tionale Forschungszusammenarbeit den nen, sondern auch jede beliebige Kom- ment des Neutrons. Das Neutron ist zwar Radius des Atomkerns von Helium fünf- bination dieser Zustände. nach aussen ein elektrisch neutrales mal präziser gemessen als jemals zuvor. Forschende am PSI haben nun einen Teilchen, doch im Inneren könnte es eine Danach beträgt der sogenannte mittlere detaillierten Plan vorgelegt, wie sich Ladungstrennung geben. Zerrt man eine Ladungsradius des Heliumkerns 1,67824 schnellere und genauere Quantenbits positive und eine negative Ladung aus- Femtometer (1 Billiarde Femtometer er- erschaffen liessen. Die zentralen Ele- einander und gibt diesen Dipol in ein geben 1 Meter). Mithilfe des neuen Werts mente sind dabei magnetische Atome elektrisches Feld, so richtet er sich aus, lassen sich fundamentale physikalische aus der Klasse der sogenannten Sel so wie die Kompassnadel im Magnetfeld Theorien testen und Naturkonstanten tenen Erden, die gezielt in das Kristall- die Nord-Süd-Richtung anzeigt. Das Ex- noch genauer bestimmen. Für die Grund- gitter eines Materials eingebracht wür- periment will feststellen, ob sich das lagenphysik ist es ausserdem entschei- den. Jedes dieser Atome stellt dann ein Neutron in einem elektrischen Feld ein dend, die Eigenschaften des Helium- Quantenbit dar. Die Forschenden haben wenig dreht, also ob es ein solches Di- kerns zu kennen, unter anderem um die genaue theoretische Berechnungen er- polmoment gibt oder nicht. Gemäss der Vorgänge auch in anderen Atomkernen, stellt und gezeigt, wie diese Quantenbits gängigen Theorie der Elementarteilchen- die schwerer als Helium sind, zu verste- mittels Laserpuls aktiviert, miteinander physik würde das Neutron kein messba- hen. Für ihre Messungen benötigten die verschränkt, als Speicher-Bits genutzt res elektrisches Dipolmoment aufwei- Forschenden Myonen – diese Teilchen und ausgelesen werden könnten. sen. Doch dieses sogenannte Standard- ähneln Elektronen, sind aber rund 200- modell der Teilchenphysik kann wichtige mal schwerer. Das PSI ist weltweit der Weitere Informationen: Beobachtungen nicht erklären. Liesse einzige Forschungsstandort, an dem ge- http://psi.ch/de/node/43488 sich ein elektrisches Dipolmoment des nügend sogenannte niederenergetische Neutrons messen, könnten sich neue Myonen für solche Experimente produ- Erkenntnisse über den Anfang des Uni- ziert werden. versums ergeben. Weitere Informationen: Weitere Informationen: http://psi.ch/de/node/43551 http://psi.ch/de/node/43373 5232 Das Magazin des Paul Scherrer Instituts 27
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