BERICHT der Medienanstalten - der Bayerischen ...
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Impressum Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Publikation in der Regel das generische Maskulinum verwendet. Die Angaben beziehen sich immer auf Angehörige aller Geschlechter. Herausgeber die medienanstalten – ALM GbR Friedrichstraße 60 10117 Berlin Tel: + 49 30 206 46 90 0 Fax: + 49 30 206 46 90 99 E-Mail: info@die-medienanstalten.de Website: www.die-medienanstalten.de Verantwortlich Dr. Wolfgang Kreißig – Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) Projektleitung und Redaktion Dagmar Grigoleit, Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) Copyright © 2020 by die medienanstalten – ALM GbR Stand: Oktober 2020 Alle Rechte vorbehalten ISBN: 978-3-948350-04-8 Design, Bildkonzept, Illustrationen und Satz Rosendahl Borngräber GmbH Website: www.rosendahl-berlin.de Bildnachweise: Illustrationen: © Rosendahl Borngräber GmbH Fotos: Cover, Victor Garcia, Unsplash S. 6, Fotos Prof. Dr. Uwe Hasebrink und Dr. Sascha Hölig: Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI) S. 6, Foto Dr. Wolfgang Kreißig: David Matthiessen Fotografie/LFK S. 6, Foto Dr. Kristian Kunow: Falk Weiß/mabb S. 6, Foto Bettina Pregel: Gabriele Hartmann/BLM S. 6, Foto Dr. Tobias Schmid: Landesanstalt für Medien NRW S. 6, Foto Siegfried Schneider: Helmuth Seisenberger/BLM S. 6, Foto Eva Spittka: privat S. 6, Foto Dr. Anja Zimmer: Falk Weiß/mabb S. 20, Jarrod Reed, Unsplash S. 27, Fotos Daniela Beaujean und Frank Giersberg: Vincent Mosch/VAUNET S. 58, Anna Sullivan, Unsplash S. 63, Foto Prof. Dr. Thorsten Quandt: privat S. 82, Martin Woortmani, Unsplash Druck PIEREG Druckcenter Berlin GmbH
Vorwort Medienvielfalt und Verantwortung im Wandel Dr. Wolfgang Kreißig Vorsitzender der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) und der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) Medienvielfalt ist für das Funktionieren einer Marktakteure adressiert, die mit den ihnen eige- Demokratie fundamental. Medien versorgen die nen Funktionalitäten neben linearen Medienan- Bevölkerung mit verlässlichen Informationen. geboten einen erheblichen Einfluss auf die Mei- Ohne gut recherchierte Informationen und ver- nungsvielfalt ausüben. lässliche Fakten gibt es keine objektive Debatte und damit auch keine demokratische Meinungs- Der im dritten Jahr erscheinende Vielfaltsbericht bildung. Indem Medien das gesellschaftliche enthält die aktuellen Ergebnisse der Medienge- Geschehen einordnen, Werte vermitteln und Ori- wichtungsstudie und des Medienvielfaltsmoni- entierung bieten beeinflussen sie das Verhalten tors der Medienanstalten. Beide Studien erfassen ihrer Nutzerinnen und Nutzer. Ihre Systemrele- die Machtverhältnisse auf dem Meinungsmarkt vanz stellen Medien jeden Tag in ihrer Vielfalt un- gattungsübergreifend. Die Mediengewichtungs- ter Beweis. studie erfasst zudem die Nutzung von Informa- tionsintermediären wie zum Beispiel Google, Seit mehr als 35 Jahren sichern die Medienanstal- YouTube und Facebook. Sie zeigt die Bedeutung ten als unabhängige, staatsferne Institutionen von Informationsintermediären für die Meinungs- diese Medienvielfalt. Mit der Unterzeichnung des bildung in Deutschland und unterstreicht damit Medienstaatsvertrages, der voraussichtlich Ende die Notwendigkeit medienrechtlicher Regulierung 2020 in Kraft treten wird, haben die Ministerprä- in diesem Bereich. sidentinnen und -präsidenten einen weiteren, wichtigen Schritt in Richtung eines kohärenten Der diesjährige Bericht geht auch auf die Corona- und zukunftsfesten Ordnungsrahmens gemacht. Krise ein, die die Medienbranche in den letz- Mit Medienplattformen, Benutzeroberflächen ten Monaten empfindlich getroffen hat. Seit und Medienintermediären werden erstmals auch Beginn dieses Jahres bestimmt sie den Alltag der 4
Menschen und das Umfeld, in dem die Medien identifizieren und Vorkehrungen zu treffen, um arbeiten. Innerhalb der zwei Monate des Corona- ihnen wirksam entgegentreten zu können. Mit Lockdowns zwischen März und Mai 2020 muss- Initiativen wie dem Digital Services Act und dem te die Rundfunkbranche in Deutschland erhebli- European Democracy Action Plan der EU-Kom- che Umsatzeinbußen hinnehmen. Viele Anbieter mission kann es gelingen, für Plattformen und standen und stehen immer noch vor großen wirt- Intermediäre einen Regulierungsrahmen auf der schaftlichen Herausforderungen. Dank der Bemü- Grundlage europäischer Werte wie Demokratie hungen aller Akteure auf Bundes- und Länderebe- und Rechtsstaatlichkeit zu schaffen. ne konnten Wege zur finanziellen Unterstützung und Stabilisierung der Veranstalter gefunden wer- Noch nie zuvor war Vielfaltssicherung so wichtig den. Die weitere Entwicklung ist nicht vorherseh- wie jetzt. Die Medienanstalten bieten mit dieser bar. Sollten die Krise und deren wirtschaftliche Publikation aktuelle und gebündelte Ein- und Aus- Folgen andauern, wäre womöglich über einmali- blicke zur Medienvielfalt. Wir möchten damit die ge finanzielle Unterstützungsmaßnahmen hinaus Debatte zur Ausgestaltung einer zukunftsfesten über grundsätzliche regulatorische Lösungen zum Medienregulierung weiter vorantreiben und freu- Erhalt einer vielfältigen Medienlandschaft nach- en uns auf eine breite Diskussion auf der Basis zudenken. tragfähiger Forschungsergebnisse. Meinungsfreiheit zu sichern bedeutet für die Medienanstalten aber auch, Phänomene wie Des- information im Internet im Blick zu haben. Es ist heute mehr denn je geboten, die daraus erwach- senden Bedrohungen für die Meinungsbildung zu 5
Autorinnen und Autoren Prof. Dr. Uwe Hasebrink ist Direktor des Dr. Tobias Schmid ist Direktor der Leibniz-Instituts für Medienforschung | Landesanstalt für Medien Nordrhein- Hans-Bredow-Instituts und Professor für Westfalen, Europabeauftragter der DLM Empirische Kommunikationsforschung sowie Vize-Vorsitzender der European an der Universität Hamburg. Er forscht im Regulators Group for Audiovisual Media Bereich Mediennutzung und –wirkung. Services (ERGA). Zuvor war er Bereichsleiter Medienpolitik bei der Mediengruppe RTL Deutschland. Dr. Sascha Hölig ist Senior Researcher am Siegfried Schneider ist seit 1. Oktober 2011 Leibniz-Institut für Medienforschung | Präsident der Bayerischen Landeszentrale Hans-Bredow-Institut in Hamburg. Sein für neue Medien (BLM). Von 2008 bis Forschungsschwerpunkt ist die informati- Februar 2011 gehörte er als Leiter der bayeri- onsorientierte Mediennutzung in neuen schen Staatskanzlei bereits dem Medienrat Medienumgebungen. an. Davor war er Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus. Dr. Wolfgang Kreißig ist seit Januar 2020 Eva Spittka ist Referentin für Programm und Vorsitzender der Kommission für Zulassung Forschung in der Gemeinsamen Geschäfts- und Aufsicht (ZAK) und der Direktorenkon- stelle der Landesmedienanstalten. Hier ferenz der Landesmedienanstalten (DLM). befasst sie sich insbesondere mit der Seit April 2017 ist er Präsident und Vorsit- Weiterentwicklung der gemeinschaftlichen zender des Vorstandes der Landesanstalt Inhalteforschung. Zuvor hat sie verschie- für Kommunikation Baden-Württemberg. dene kommunikationswissenschaftliche Projekte im Bereich Fernsehen geleitet. Dr. Kristian Kunow ist stellvertretender Dr. Anja Zimmer ist Direktorin der Medien- Direktor der Medienanstalt Berlin-Bran- anstalt Berlin-Brandenburg. Zuvor war sie denburg (mabb) und Leiter des Bereichs Geschäftsführerin des DJV-NRW, Senior Förderung und Projekte. Er verantwortet Manager Government Relations bei der u. a. die Forschungsprojekte der mabb und Telekom sowie Rechtsanwältin mit Schwer- begleitet gemeinsame Projekte wie den punkt Medien- und Telekommunikations- Medienvielfaltsmonitor. recht bei Beiten Burkhardt und Lovells. Bettina Pregel ist stellvertretende Bereichs- leiterin im Bereich Technik, Medienwirt- schaft und Öffentlichkeitsarbeit in der BLM. Die gelernte Redakteurin und Presserefe- rentin arbeitete zuvor bei Zeitungen und Fachzeitschriften. 6
Inhalt 1 Meinungsvielfalt ist keine Selbstverständlichkeit – weniger denn je! 8 Ergebnisse der aktuellen Mediengewichtungsstudie Siegfried Schneider 2 Corona-Krise: Chance oder Gefahr für die Medienvielfalt 20 Dr. Wolfgang Kreißig 3 Anteile der Medienunternehmen am Meinungsmarkt 30 Die Ergebnisse des Medienvielfaltsmonitors 2020-I Eva Spittka 4 Medienintermediäre und Meinungsbildung 44 Dr. Anja Zimmer und Dr. Kristian Kunow 5 „Pandemic Populism“ und die Manipulation digitalisierter Öffentlichkeiten 58 Gespräch mit Prof. Dr. Thorsten Quandt Interview: Bettina Pregel 6 Soziale Medien, Falschinformationen und ihr Einfluss auf die Meinungsbildung 64 Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die USA im Vergleich Dr. Sascha Hölig und Prof. Dr. Uwe Hasebrink 7 Z ugang und Auffindbarkeit – Mechaniken zur Sicherung der Vielfalt, auch eine europäische Diskussion 76 Dr. Tobias Schmid und Thomas Wierny 8 Medienpolitischer Ausblick 82 Dr. Wolfgang Kreißig 7
45,5 55,6 Radio 53,6 63,2 38,6 57,5 Fernsehen Internet 29,1 31,4 4,7 6,9 Zeitschriften* Tageszeitung Informierende Tagesreichweite Vergleich 2019 vs. „Corona-Zeitraum“ März – Juni 2020 Jahresdurchschnitt 2019 März – Juni 2020 Angaben in Prozent; *) Zeitschriften, Nachrichtenmagazine, Wochenzeitungen; Basis: 70,598 Mio. Personen ab 14 Jahren in Deutschland, 2019-II: n = 4.396; Corona-Zeitraum: n = 1.667. Quelle: die medienanstalten: Mediengewichtungsstudie 2020-I (Kantar)
Meinungsvielfalt ist keine Selbstver- ständlichkeit – weniger denn je! Ergebnisse der aktuellen Mediengewichtungsstudie Siegfried Schneider Dass Meinungsvielfalt keine Selbstverständlichkeit ist, war schon den Vätern und Müttern unserer Verfassung bekannt. Als unerlässliche Voraussetzung der demokratischen Willensbildung wurde daher das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung in Artikel 5 des Grundgesetzes verankert. Aus ihm leitet sich unmittelbar der verfassungsrechtliche Auftrag her, durch gesetzgeberi- sche Maßnahmen Medienvielfalt zu gewährleisten. Gut 70 Jahre später, „in der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg“, führt uns die Corona-Pande- mie schonungslos vor Augen, wie wenig immun unsere vielfältige Medien- landschaft gegen die Auswirkungen des Coronavirus ist. Wir müssen erken- nen, dass sich Systemrelevanz und Vielfalt, auch und gerade in qualitativer Hinsicht, nicht allein durch Werbeeinnahmen sichern lassen. Wir müssen uns trotz der umfassenden Hilfsmaßnahmen und ersten Anzeichen einer teilweisen Erholung des Werbemarktes weiter um den Fortbestand zahlrei- cher Medienangebote sorgen. Wir müssen damit rechnen, dass der durch die Corona-Krise ausgelöste Digitalisierungsschub viele klassische Medien- häuser nachhaltig unter Druck setzen wird. Im selben Zuge sehen wir, dass die rasante Bedeutungszunahme des Internets und insbesondere der sozia- len Medien die spezifischen Herausforderungen an die Vielfaltssicherung in verschärfter Form zutage bringt. Das Coronavirus führte nicht nur zu einer Pandemie. In die Flut seriöser Medienberichte mischten sich auch zahlrei- che Falschinformationen und Verschwörungserzählungen, die mitunter eine toxische Wirkung auf die Meinungsfreiheit und damit den demokratischen 9
Diskurs haben. All dies zeigt: Meinungsvielfalt ist Antwort auf die Fragen, welche Mediengattungen auch heute keinesfalls eine Selbstverständlichkeit, sie am Vortag genutzt haben und ggf. ob sie dort vielleicht weniger denn je. Informationen zum Zeitgeschehen aus Deutsch- land und der Welt wahrgenommen haben. Zudem Um im Sinne einer positiven Medienordnung mög- geben sie Auskunft darüber, welche Mediengat- liche Gefahren für die Meinungsvielfalt frühzei- tung für sie persönlich die wichtigste Informati- tig erkennen und bewerten zu können, beobach- onsquelle ist. ten die Landesmedienanstalten seit Jahren die Medienlandschaft in Deutschland und schaffen Informierende Nutzung steigt über alle Gattun- Transparenz hinsichtlich der Verteilung medialer gen hinweg, Internet wächst am stärksten Meinungsmacht. Eine wichtige Datengrundlage Zweimal pro Jahr berichten die Landesmedienan- bildet dabei neben dem Medienvielfaltsmonitor stalten über die Entwicklung der Relevanz der Me- (siehe Kapitel 3) die Mediengewichtungsstudie, dien für die Meinungsbildung in Deutschland. Die die repräsentativ für die deutschsprachige Bevöl- Ergebnisse beruhen dabei immer auf den Daten kerung ab 14 Jahren die Relevanz der einzelnen Me- eines ganzen Jahres, um saisonale Effekte auf die diengattungen für die Meinungsbildung ermittelt. Mediennutzung oder einen verzerrenden Einfluss plötzlicher, kurzfristiger Ereignisse zu glätten. Mit Ein zentrales Ergebnis der Mediengewichtungs- Blick auf die kumulierten Ergebnisse 2020-I, die studie ist nach wie vor – daher auch der Name – also das 2. Halbjahr 2019 und das 1. Halbjahr 2020 die Ermittlung eines Bedeutungsgewichts der umfassen, lassen sich Status Quo und Entwick- Mediengattungen Fernsehen, Hörfunk, Tageszei- lung der informierenden Tagesreichweite in drei tung, Publikumszeitschriften und Internet für die Punkten zusammenfassen (Abb. 1): Meinungsbildung. Die Befragten geben hierzu Abbildung 1 Informierende Tagesreichweite im Trend (in Prozent) 80 61,1 60,9 58,4 57,7 57,5 58,1 58,1 56,9 60 55,4 53,8 53,6 50,8 49,2 48,6 48,9 50,7 47,5 47,6 48,6 47,6 48,1 45,5 38,8 39,5 40,1 38,9 39,4 38,6 40 34,6 35,0 34,4 33,9 44,6 32,7 30,8 30,5 29,1 29,6 34,3 33,5 33,5 28,9 29,6 29,3 20 6,7 4,9 5,3 6,8 6,3 4,8 5,0 6,1 5,7 4,7 5,6 0 2015-I 2015-II 2016-I 2016-II 2017-I 2017-II 2018-I 2018-II 2019-I 2019-II 2020-I Fernsehen Radio Internet Tageszeitung Zeitschriften* *) Zeitschriften, Nachrichtenmagazine, Wochenzeitungen Basis: 70,598 Mio. Personen ab 14 Jahren in Deutschland, n = 4.294; Quelle: die medienanstalten: Mediengewichtungsstudie 2020-I (Kantar) 10
Erstens, die Rangreihe der Mediengattungen stärksten steigt dabei die Nutzung des Internets bleibt gleich, und das seit drei Jahren. Mit einem als Informationsquelle, nämlich um 6 Prozent- Anteil von 56,9 Prozent der deutschen Bevölke- punkte, gefolgt von Fernsehen (3,3 Prozentpunkte) rung ab 14 Jahren, der durchschnittlich pro Tag im und Radio (2,6 Prozentpunkte). Tageszeitung und Fernsehen Informationen über das Zeitgesche- Publikumszeitschriften gewinnen mit 0,5 bzw. 0,9 hen in Politik, Wirtschaft und Kultur aus Deutsch- Prozentpunkten vergleichsweise wenig dazu. land und aller Welt wahrnimmt, ist das Fernsehen nach wie vor die am häufigsten genutzte Informa- Drittens zeigt sich mit Blick auf die Entwicklung tionsquelle. Mit ähnlichem Abstand wie zuletzt über die letzten drei Jahre zudem, dass das Inter- folgt das Radio, über das sich rund jeder zweite net einen neuen Spitzenwert erreicht. Bei allen an- an einem Durchschnittstag informiert (48,1 Pro- deren Gattungen liegt der jeweilige Peak trotz des zent). Auf dem dritten Rangplatz liegt das Inter- erneuten Anstiegs länger zurück. Über die letzten net, das mittlerweile von 44,6 Prozent auch infor- fünf Jahre betrachtet sind deren informierende mierend genutzt wird, vor der Tageszeitung mit Tagesreichweiten insgesamt rückläufig. Am einer Info-Reichweite von 29,6 Prozent. Die Pub- stärksten ist der Rückgang mit jeweils rund 15 Pro- likumszeitschriften spielen mit 5,6 Prozent bei der zent bei Tageszeitungen bzw. Publikumszeitschrif- informierenden Nutzung nach wie vor eine unter- ten ausgeprägt, aber auch TV und Radio haben geordnete Rolle. seit der ersten Veröffentlichung der Medienge- wichtungsstudie 2015-I Verluste von minus sieben Zweitens, bei allen Mediengattungen liegt die bzw. minus fünf Prozent zu verbuchen. Das Inter- informierende Tagesreichweite aktuell über der net hingegen hat in diesem Zeitraum seine tägli- der letzten Berichtslegung (2019-II), die sich auf che Nutzung als Informationsquelle um 54 Pro- das gesamte Jahr 2019 bezieht. Mit Abstand am zent steigern können. Abbildung 2 Subjektiv wichtigstes Informationsmedium im Trend (in Prozent) 40 37,2 37,9 37,1 37,9 35,0 34,3 34,1 35,6 33,5 33,3 33,8 28,8 29,1 29,0 32,5 32,8 30 27,1 30,6 31,5 24,7 26,1 30,5 21,4 21,3 20,9 20,7 19,6 18,9 18,5 18,1 20 22,3 17,7 16,7 11,2 10,7 10,0 9,9 10,8 10,8 10,4 10,6 10,1 10,0 9,5 10 1,8 1,7 2,0 2,3 2,2 1,8 1,8 1,5 1,5 1,7 1,3 0 2015-I 2015-II 2016-I 2016-II 2017-I 2017-II 2018-I 2018-II 2019-I 2019-II 2020-I Fernsehen Radio Internet Tageszeitung Zeitschriften* *) Zeitschriften, Nachrichtenmagazine, Wochenzeitungen Basis: 70,598 Mio. Personen ab 14 Jahren in Deutschland, n = 4.294; Quelle: die medienanstalten: Mediengewichtungsstudie 2020-I (Kantar) 11
Mit der Zunahme der informierenden Nutzung Corona-Hype oder New Info-Normal: Deutlicher des Internets ist erwartungsgemäß auch dessen Anstieg der informierenden Tagesreichweite subjektiv empfundene Bedeutung als Informati- Die standardmäßige, jeweils ein ganzes Jahr um- onsquelle angestiegen. Für 37,9 Prozent der Bevöl- fassende, Berichterstattung zum Informationsver- kerung ab 14 Jahren ist mittlerweile das Internet halten greift angesichts der bis heute andauern- am wichtigsten. Der Zugewinn um 2,9 Prozent- den Corona-Pandemie an vielen Stellen zu kurz. punkte im Vergleich zum Jahresdurchschnitt 2019 Wir alle haben erkennen müssen, dass es sich da- geht dabei weiterhin zulasten von TV (30,5; − 1,0), bei nicht um ein kurzfristiges Ereignis handelt. Tageszeitung (16,7; − 1,0) und Publikumszeitschrif- Vielmehr hat die Corona-Krise Mitte März unseren ten (1,3; − 0,4). Das Radio hält mit aktuell 10 Pro- Alltag auf den Kopf gestellt und beeinflusst ihn zent der Stimmen als wichtigstes Info-Medium seither nachhaltig. So viel Zeit wie in den Wochen seinen Anteil mehr als stabil (+ 0,5) (Abb. 2). des Lockdowns haben wir wohl selten vorher zu Hause verbracht, und selten zuvor war aufgrund Novum: 30- bis 49-Jährige informieren sich am der herrschenden Unsicherheit und der sich stän- häufigsten im Internet – auch ohne Corona dig ändernden Nachrichtenlage das Bedürfnis Seit Jahren berichtet die Mediengewichtungsstu- nach Informationen und Einordnung so groß. Dass die eine zunehmende Bedeutung des Internets für dieser Informationshunger vor allem durch die die Meinungsbildung in allen Altersgruppen und Medien gestillt wurde, belegt eine monatsweise seine herausragende Relevanz in der jüngsten, der Analyse der Daten des ersten Halbjahrs 2020 14- bis 29-Jährigen. Bei den 30- bis 49-Jährigen hat- (Abb. 3): Im Januar liegt die Nettosumme der infor- te bislang das Radio die höchste informierende Ta- mierenden Tagesreichweite insgesamt, also der gesreichweite, auch wenn der Abstand zum „auf- Anteil derer, die bei mindestens einer der fünf Me- strebenden“ Internet in den letzten Jahren immer diengattungen Informationen aus Deutschland kleiner wurde und bei der letzten Veröffentlichung und der Welt wahrgenommen haben, noch bei 2019-II auf zwei Prozentpunkte geschrumpft war 84 Prozent und damit auf ähnlichem Niveau wie (Radio 47,7 Prozent; Internet 45,7 Prozent). Nun ist im Jahr 2019 (84,4 Prozent). Im Februar klettert sie der absehbare Führungswechsel eingetreten. Mit bereits auf durchschnittlich 87,3 Prozent, und im 54,3 Prozent belegt das Internet im Jahresdurch- März steigt sie sprunghaft auf 93,5 Prozent an. Tat- schnitt 2020-I (2. Halbjahr 2019 plus 1. Halbjahr sächlich zeigen sich auch in den Folgemonaten 2020) bei den 30- bis 49-Jährigen jetzt die klare April bis Juni weitere Zuwächse von 94 über 96,1 Spitzenposition als täglich genutzte Informati- auf 96,5 Prozent. Was die Tagesreichweite betrifft, onsquelle weit vor dem Radio mit 48,6 Prozent lässt sich also bis Mitte 2020 keine Informations- auf dem zweiten Rangplatz. Das Ausmaß, mit dem müdigkeit feststellen, auch wenn mit der schritt- das Internet in Führung gegangen ist, ist zwar weisen Lockerung der Kontaktbeschränkungen auch Corona zuzuschreiben. Der Wechsel an der und sukzessiven Öffnung von Schulen, Kitas und Spitze hätte wohl aber auch in „normalen“ Zeiten Arbeitsstätten die Art und Anzahl der informie- stattgefunden. rend genutzten Medien und die Dauer der Nut- zung durchaus zurückgegangen sein kann. 12
Abbildung 3 Informierende Tagesreichweite Januar bis Juni 2020 (in Prozent) 100 93,5 94,0 96,1 96,5 87,3 84,0 80 60 „Corona-Zeitraum“ März – Juni 2020 40 Ø 94,9 Prozent 20 0 Januar Februar März April Mai Juni Basis: 70,598 Mio. Personen ab 14 Jahren in Deutschland, n = 2.469 Quelle: die medienanstalten: Mediengewichtungsstudie 2020-I (Kantar) Insbesondere unter 50-Jährige informieren sich studie dokumentierte positive Zusammenhang mehr, alle informieren sich vielfältiger zwischen Alter und informierender Nutzung hat sich im Zuge der Corona-Krise auch nivelliert Corona betrifft alle. Das verdeutlicht die verglei- (Abb. 4). Bestand haben hingegen die altersgrup- chende Betrachtung der informierenden Tages- penspezifischen Unterschiede hinsichtlich der An- reichweite gesamt nach Alter. Im Zeitraum März zahl der Mediengattungen, die als Informations- bis Juni (im Folgenden „Corona-Zeitraum“ ge- quelle an einem Durchschnittstag herangezogen nannt, auch wenn der Begriff eine abgeschlossene werden. Sie liegt mit durchschnittlich 2,3 nach wie Phase vermuten lassen könnte) informieren sich vor bei ab 50-Jährigen am höchsten und mit 1,9 mit jeweils rund 95 Prozent in allen Altersgrup- bei unter 30-Jährigen am niedrigsten. Die 30- bis pen anteilig ähnlich viele pro Tag über mindestens 49-Jährigen liegen mit 2,1 informierend genutzten eine Mediengattung. Das war bislang anders. Im Gattungen hier nicht nur altersmäßig in der Mitte. Jahr 2019 nahmen pro Tag durchschnittlich nur je- Das wichtigere Ergebnis dabei ist aber vielmehr, weils vier von fünf 14- bis 29-Jährigen bzw. 30- bis dass alle Altersgruppen im Corona-Zeitraum In- 49-Jährigen Informationen zum Zeitgeschehen formationen über durchschnittlich 0,5 Mediengat- aus Deutschland und der Welt wahr, während tungen mehr als im Jahr 2019 und damit deutlich diese täglich rund 89 Prozent der ab 50-Jähri- „vielfältiger“ bezogen haben. gen erreichten. Die informierende Tagesreichwei- te gesamt ist also nicht nur von 84,4 Prozent im Jahr 2019 auf durchschnittlich 94,9 Prozent an- gewachsen, der seit Jahren in der Gewichtungs- 13
Abbildung 4 Informierende Tagesreichweite gesamt – 2019 vs. Corona-Zeitraum März – Juni 2020 (in Prozent) 100 95,3 95,1 94,9 94,0 88,6 80 84,4 80,4 80,2 60 40 20 0 Bev. ab 14 Jahren 14 – 29 Jahre 30 – 49 Jahre ab 50 Jahre Jahresdurchschnitt 2019 März – Juni 2020 Basis: 70,598 Mio. Personen ab 14 Jahren in Deutschland, 2019-II: n = 4.396; Corona-Zeitraum: n = 1.667 Quelle: die medienanstalten: Mediengewichtungsstudie 2020-I (Kantar) TV feiert eine Renaissance bei den Jüngeren – in den jüngeren Altersgruppen die Reichweite in oder doch nur ein kurzes Comeback die Höhe. Die höchste relative Steigerung zeigt die Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen mit einem Der Anstieg der genutzten Informationsquellen Plus von 29 Prozent und liegt damit deutlich über pro Tag lässt es vermuten, ein Blick auf die Daten dem relativen Zuwachs bei den 30- bis 49- Jähri- bestätigt es: Wie andere der zahlreichen seit Ende gen (+ 22 Prozent) und der Gesamtbevölkerung März erschienenen Studien berichtet auch die (+ 18 Prozent). Mediengewichtungsstudie steigende Reichwei- ten. Alle Gattungen werden in den als „Corona- Ob TV allerdings tatsächlich eine Renaissance Zeitraum“ zusammengefasst betrachteten Mona- in den jüngeren Zielgruppen erlebt, wie die AGF ten März bis Juni von deutlich mehr Personen ab Videoforschung bereits Anfang April vermelde- 14 Jahren (auch) zu informierenden Zwecken ge- te, bleibt abzuwarten. Aktuellere AGF-Zahlen ge- nutzt als im Jahr 2019. Eine herausragende Rolle ben vielmehr Anlass zur Vermutung, dass sich die spielt das lineare Fernsehen, über das sich fast Nutzung des linearen Fernsehens nach einem be- zwei Drittel der Bevölkerung ab 14 Jahren (63,2 Pro- merkenswerten Comeback wieder dem Niveau zent) täglich zum aktuellen Geschehen informie- vor dem Lockdown nähert. Zudem zeigen die Er- ren (Abb. 5). Das sind fast 10 Prozentpunkte bzw. gebnisse der Gewichtungsstudie, dass die 14- bis rund 7 Millionen tägliche Zuschauer und Zuschau- 29-Jährigen ihren Bedarf nach schnellen und zu- erinnen mehr als im Jahr 2019. Wie bei der infor- verlässigen Informationen nicht nur vermehrt im mierenden Nutzung gesamt, treibt auch beim Fernsehen gedeckt haben. Tageszeitungen und Fernsehen ein überproportional starker Zuwachs 14
Radio zeigen in dieser Altersgruppe deutlich hö- Tagesreichweite um 10,1 Prozentpunkte im Ver- here Wachstumsraten und weisen ebenfalls auf gleich zum Vorjahr. Dies bedeutet nicht nur, dass eine Hinwendung zu den traditionell als seriös sich in den Monaten März bis Juni im Durchschnitt geltenden Anbietern hin. Informationen über das 7,1 Millionen ab 14-Jährige mehr täglich über das Radio erreichen zudem täglich im Durchschnitt Radio informiert haben, sondern auch den größ- jeden zweiten 14- bis 29-Jährigen, über das linea- ten Publikumsgewinn unter den klassischen Me- re Fernsehen nur gut jeden dritten (50,4 bzw. 35,2 diengattungen im Zuge der Corona-Krise. Das li- Prozent). neare Fernsehen kann für sich „nur“ 6,8 Millionen mehr tägliche Zuschauer und Zuschauerinnen Information via Audio: Radioanbieter mit dem verbuchen, die im Fernsehen (auch) Informatio- größten Zugewinn – auch dank Coronacasting nen zum aktuellen Geschehen wahrgenommen haben. In jedem Fall unterstreichen die hohen In- Seit der ersten Veröffentlichung der Medienge- fo-Reichweiten und Zugewinne von TV und Radio wichtungsstudie 2015 hält das Radio hinter dem die Relevanz des Rundfunks als Lieferant schneller Fernsehen und vor dem Internet seine Stellung und zuverlässiger Informationen allgemein und als „feste Informationsgröße“ für die Bevölkerung insbesondere in Krisenzeiten. in Deutschland. Welch großen Informationsbei- trag das Radio auch im Corona-Zeitraum leistet, verdeutlicht der Anstieg seiner informierenden Abbildung 5 Informierende Tagesreichweite im Vergleich (in Prozent) Bevölkerung ab 14 Jahren Bevölkerung 14 bis 29 Jahre 100 80 79,7 60 65,2 63,2 57,5 55,6 53,6 50,4 40 45,5 38,6 36,1 35,2 31,4 29,1 27,3 20 10,5 6,9 18,8 5,6 4,9 4,7 0 Fernsehen Radio Internet Tages Zeit Fernsehen Radio Internet Tages Zeit zeitung schriften* zeitung schriften* Jahresdurchschnitt 2019 März – Juni 2020 *) Zeitschriften, Nachrichtenmagazine, Wochenzeitungen Basis: 70,598 Mio. Personen ab 14 Jahren in Deutschland, 2019-II: n = 4.396; Corona-Zeitraum: n = 1.667 Quelle: die medienanstalten: Mediengewichtungsstudie 2020-I (Kantar) 15
Auch wenn das Internet nach den aktuellen Ergeb- ming und on-Demand-Nutzung bei den Rund- nissen der Gewichtungsstudie 2020-I im Bevölke- funkanbietern einmal außer Acht gelassen, infor- rungsdurchschnitt in puncto Info-Tagesreichweite miert sich in den Monaten März bis Juni im noch auf dem dritten Rangplatz liegt, wird es vor- Durchschnitt täglich mehr als jeder fünfte ab aussichtlich bereits im nächsten Jahr das Radio 14-Jährige in Deutschland (22,1 Prozent) online überholen. Das wird schon deshalb passieren, weil über die Angebote eines Fernsehsenders und immer mehr Menschen auch oder ausschließlich mehr als jeder zehnte (11,2 Prozent) nimmt Infor- die Online-Angebote der klassischen Medien nut- mationen über ein Online-Angebot eines Radio- zen. Der durch die Corona-Pandemie ausgelöste senders wahr. In beiden Fällen bedeutet das in Digitalisierungsschub hat die „normale“ Entwick- etwa eine Verdopplung im Vergleich zum Vorjahr. lung Richtung Internet zusätzlich beschleunigt. Im Fall der Radioanbieter leisten hier sicher auch Über alle klassischen Mediengattungen hinweg Podcasts ihren Beitrag, die seit Februar in steigen- schlägt er sich in einem überproportional starken der Anzahl Detailinformationen zur Covid-19-Pan- Anstieg der Nutzung der Internetangebote oder demie und deren Auswirkungen auf Wirtschaft Apps der TV-Sender, Radiostationen und im Fall und Gesellschaft anbieten. Als bekanntester Ver- der Printmedien zusätzlich der e-Paper nieder treter ist auch hier das anfangs täglich sendende (Abb. 6). Die Unterscheidung zwischen Livestrea- „Coronavirus-Update“ mit dem Charité-Chefviro- Abbildung 6 Informierende Tagesreichweite Rundfunkanbieter und Printmedien (in Prozent) Fernsehen 2019-II 48,1 5,5 5,2 58,8 Corona-Zeitraum 48,0 15,2 6,9 70,1 Radio 1,8 2019-II 41,6 3,9 47,3 Corona-Zeitraum 48,5 7,1 4,1 59,6 Tageszeitung 2019-II 23,7 5,5 11,3 40,4 Corona-Zeitraum 22,3 9,1 14,5 45,9 Zeitschriften* 1,8 2019-II 2,9 11,5 16,2 Corona-Zeitraum 3,8 3,1 16,1 23,0 0% 20 % 40 % 60 % 80 % Gestern Fernsehen, Radio, Tageszeitung bzw. Zeitschriften* genutzt Gestern auch Online-Angebote(e) eines Fernsehsenders, Radiosenders, einer Tageszeitschrift, einer Zeitschrift genutzt Gestern ausschließlich Online-Angebote(e) eines Fernsehsenders, Radiosenders, einer Tageszeitschrift, einer Zeitschrift genutzt *) Zeitschriften, Nachrichtenmagazine, Wochenzeitungen Basis: 70,598 Mio. Personen ab 14 Jahren in Deutschland, 2019-II: n = 4.396; Corona-Zeitraum: n = 1.667; Quelle: die medienanstalten: Mediengewichtungsstudie 2020-I (Kantar) 16
logen Prof. Christian Drosten zu nennen, das das Corona-Zeitraum pro Tag ausschließlich über die Format einem großen und teilweise auch ganz Webseite, App oder das e-Paper einer Publikums- neuen Publikum schmackhaft gemacht hat. zeitschrift, weitere 3,1 Prozent lesen sowohl Digi- Durchschnittlich 1,3 Millionen ab 14-Jährige in talangebote als auch eine Druckausgabe. Rechnet Deutschland hören im Corona-Zeitraum täglich man auch hier die Leserschaft unabhängig vom Podcasts (auch) zu informierenden Zwecken. Das Zugang zusammen, versorgen die Publikumszeit- sind über 500.000 tägliche Podcast-Hörer mehr schriften von März bis Juni durchschnittlich pro als im Jahresdurchschnitt 2019 (762.000). Tag rund jeden vierten der Bevölkerung ab 14 Jah- ren (23 Prozent) mit Informationen aus Deutsch- Printmedien in Krisenzeiten: Digitale Nutzung land und der Welt. Das sind täglich im Schnitt treibt die Leserzahlen in die Höhe 11,4 Millionen Informationsinteressierte und da- mit 4,8 Millionen mehr als im Jahresdurchschnitt Noch relevanter als beim Fernsehen und Radio ist 2019. Da verwundert es wenig, dass ein promi- die Berücksichtigung der digitalen Nutzung von nenter Vertreter mit Blick auf die Leserzahlen eine Tageszeitungen und Publikumszeitschriften. An RekordZEIT vermeldet. einem durchschnittlichen Wochentag nutzen im Corona-Zeitraum 23,6 Prozent der ab 14-Jährigen Es klingt paradox und ist doch leider Realität: Die in Deutschland die Website, eine App oder ein e- Reichweiten der Printmedien – wie auch der Rund- Paper einer Tageszeitung. Das entspricht einem re- funkangebote – sind sprunghaft angestiegen und lativen Zuwachs von 40 Prozent im Vergleich zum belegen, wie wichtig glaubwürdiger Journalismus Vorjahr. Mehr noch: Die digitale Info-Reichweite in Zeiten großer Unsicherheit ist. Aber die Einnah- der Tageszeitung ist im Corona-Zeitraum nicht nur men bleiben aus. Dabei führt die digitale Trans- deutlich angestiegen, es gibt auch zunehmend formation für die klassischen Medien schon seit mehr Tageszeitungsleserinnen und -leser, die sich Jahren zu sinkenden Werbeerlösen. Neue Erlösmo- an einem Durchschnittstag ausschließlich über delle haben sich am Markt noch nicht ausreichend die Online-Angebote informieren (14,5 Prozent). etabliert, auch weil die Zahlungsbereitschaft bei Fasst man die analoge und digitale Leserschaft zu- den Nutzerinnen und Nutzern für qualitativ hoch- sammen, liegt die informierende Tagesreichweite wertige Inhalte noch zu gering ist. Der Übergang in den Monaten März bis Juni bei durchschnitt- in die digitale Welt birgt also insbesondere für die, lich 45,9 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahr sind die von Werbeeinnahmen abhängen, ein hohes das 5,5 Prozentpunkte bzw. 3,9 Millionen tägliche Risiko. Das liegt vor allem daran, dass ein Großteil Leser mehr. der digitalen Werbespendings von den Plattform- giganten Google und Facebook abgeschöpft wird. Noch deutlicher stellt sich dieser Sachverhalt bei den Publikumszeitschriften dar. Während Google und Facebook – Superspreader Zeitschriften, Wochenzeitungen und Nachrich- der Infodemie tenmagazine – allein ihre analoge Relevanz be- trachtend – nur von wenigen täglich als Informa- Nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, auch in Be- tionsquelle genutzt werden, zeigt sich mit Blick zug auf die publizistische Relevanz findet im In- auf deren digitale Nutzung ein völlig anderes Bild. ternet eine Umverteilung statt: Die traditionellen 16,1 Prozent der ab 14-Jährigen informieren sich im Medienunternehmen verlieren zunehmend ihre 17
Alleinstellung als Gatekeeper an die Intermediä- einer „massiven Infodemie“ begleitet werde, die re, allen voran Google und Facebook. Auch wenn die Menschen mit einer Masse an Informationen – diese selbst keine Inhalte produzieren, bestim- darunter auch viele irreführende und falsche – zu men sie maßgeblich darüber, welche Inhalte ihre erschlagen drohe. Tatsächlich mischten sich im Nutzerinnen und Nutzer auffinden und verbreiten Nachgang unter die zahlreichen sachlichen und können. Dass insbesondere soziale Netzwerke und wissenschaftlich fundierten Berichte der Medien, Messengerdienste schon allein zu kommunikati- Podcast-Episoden oder Social-Media-Posts viele ven Zwecken während der Kontaktbeschränkun- Desinformationen und Verschwörungstheorien. gen mehr genutzt werden als zuvor, war zu er- Ihre Verbreitung finden sie nicht nur, aber insbe- warten. Aber auch die informierende Nutzung der sondere, in den sozialen Medien. Schon im Mai Intermediäre ist im Corona-Zeitraum in die Höhe hatte das Recherchezentrum CORRECTIV YouTu- geschnellt. Mehr als jeder zweite ab 14-Jährige in be als die am häufigsten gemeldete Plattform für Deutschland (54 Prozent) informiert sich täglich fragwürdige Informationen und Whatsapp als ih- (auch) über Suchmaschinen, soziale Netzwerke, ren wichtigsten Verbreitungskanal ausgemacht. Videoplattformen oder Messengerdienste. Unter Beide Vertreter zeigen in der Gewichtungsstu- den unter 50-Jährigen sind es sogar drei von vier die die höchsten Zuwächse unter den sozialen (75,2 Prozent). Im Jahresdurchschnitt 2019 lag de- Medien als täglich genutzte Informationsquelle ren informierende Tagesreichweite noch bei 32,1 im Corona-Zeitraum. bzw. 47,4 Prozent. So abstrus einzelne Verschwörungserzählun- Ein besonderes Augenmerk gilt in der Gewich- gen für die einen auch klingen mögen, so schnell tungsstudie den sozialen Medien, weil sie allen – füllen sie bei anderen die Wissenslücken zu be- auch nicht-publizistischen – Akteuren und allen stimmten Themen, die man nicht vollends erklä- Meinungen eine Plattform bieten. Ihrem wach- ren kann. Harmlos sind sie in keinem Fall. Insbe- senden Einfluss auf die Meinungsbildung und sondere Verschwörungsmythen, die von einer den damit verbundenen Herausforderungen für angeblichen Medienverschwörung handeln oder die Vielfaltssicherung haben wir deshalb ein ei- sogar in Hassrede münden, sind Gift für den de- genes Kapitel gewidmet (siehe Kap. 4). Nur so viel mokratischen Diskurs. Wer Journalisten mit „Sys- sei an dieser Stelle erwähnt: Die Relevanz der so- temmedien“ oder „Lügenpresse“ gleichsetzt, ist zialen Medien als Informationsquelle ist im Coro- mit Faktenchecks nicht zu bekehren und nutzt – na-Zeitraum deutlich angestiegen. Weit mehr als wie die zunehmenden Einschüchterungen und jeder dritte ab 14-Jährige nimmt in den Monaten Angriffe auf Journalisten und Redaktionsteams März bis Juni täglich auch Informationen in sozia- zeigen – Verschwörungstheorien mitunter sogar len Medien wahr (38,6 Prozent). Im Jahr 2019 war dazu, Gewalt außerhalb des Internets zu legiti- es durchschnittlich nur gut jeder fünfte (22,4 Pro- mieren. Gegen Hassrede vorzugehen, heißt also zent). Meinungsfreiheit zu schützen. Den immer größer werdenden Einfluss der sozialen Medien auf die Bereits Anfang Februar hatte WHO-Generaldirek- Meinungsbildung konnten die Väter und Mütter tor Tedros Adhanom Ghebreyesus die Warnung der Verfassung zwar nicht vorhersehen, dass aber ausgesprochen, dass die Covid19-Pandemie von demagogisch aufgehetzte Gruppen eine Bedro- 18
hung für die Menschenwürde und Demokratie sein können, war als solches 1949 wohlbekannt. Unter dem Eindruck dieser Erfahrung wurde die Meinungsfreiheit schließlich in Art. 5 als beson- ders schützenswertes Grundrecht verbrieft. Die Herausforderungen an die Sicherung der Mei- nungsvielfalt sind nicht erst seit Corona bekannt. Die Pandemie hat sie aber noch offensichtlicher gemacht und unterstreicht die Dringlichkeit der Aufgabe – oder vielmehr der Aufgaben, denn Viel- faltssicherung hat viele Facetten: Sie muss die rich- tige Balance finden zwischen der Unterbindung von Hate Speech und Bekämpfung von Desinfor- mation einerseits und dem Schutz der Meinungs- freiheit und der Unterstützung von journalistisch hochwertigen Angeboten andererseits. 19
Corona-Krise: Chance oder Gefahr für die Medienvielfalt Dr. Wolfgang Kreißig Digitale Medienvielfalt auf dem Prüfstand durch Corona Die Sicherung der Medienvielfalt ist ein Grundpfeiler unserer demokratischen Grundordnung. Einen wichtigen Teil der Verantwortung dafür tragen die Me- dienanstalten. In einer pluralistischen, demokratischen Gesellschaft sollen Informationen in Radio, TV und Online journalistisch-redaktionell aufberei- tet, sorgfältig recherchiert, glaubwürdig und transparent auffindbar sein. Aktuell ist die Medienbranche allerdings mit der größten Krise seit der Exis- tenz der dualen Rundfunkordnung konfrontiert und blickt auf herausfor- dernde Monate zurück. Der Erlass tiefgreifender Maßnahmen zur Eindäm- mung des SARS-CoV-2-Virus im März 2020 löste zu Beginn in Wirtschaft und Gesellschaft eine Schockstarre aus und brachte in der Folge weite Teile des gesellschaftlichen Lebens zum Erliegen. Innerhalb der zwei Monate des Co- rona-Lockdowns zwischen März und Mai 2020 wurde auch die Rundfunkland- schaft in Deutschland durch erhebliche Umsatzeinbußen schwer getroffen. Viele Anbieter standen und stehen immer noch vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen. Dank der Bemühungen aller Akteure auf Bundes- und Länderebene konnten Wege zur finanziellen Unterstützung und Stabilisie- rung der Veranstalter und damit der Vielfalt im Markt gefunden werden. Gleichzeitig hat die Krise aber auch neue Impulse gegeben, allen voran einen weiteren Digitalisierungsschub in vielen Bereichen. 21
Da die weitere Entwicklung nicht vorhersehbar Auf den folgenden Seiten beschreiben wir die ist, bleibt abzuwarten, ob alle bisherigen Anstren- Folgen der Corona-Krise für die Medienvielfalt und gungen ausreichen, um die Branche nachhaltig geben eine Einordnung, wie hoch die Resilienz un- zu stabilisieren. Sollte die Krise andauern, wäre seres Mediensystems ist, mit Krisen von derarti- womöglich über einmalige finanzielle Unterstüt- gem Ausmaß umzugehen. zungsmaßnahmen hinaus über grundsätzliche re- gulatorische Weichenstellungen nachzudenken, Corona-Peak verändert die Mediennutzung um passende Rahmenbedingungen für den Erhalt Die Nachfrage nach Unterhaltungs- und Informa- einer vielfältigen Medienlandschaft zu schaffen. tionsinhalten ist in den Wochen des Lockdowns signifikant angestiegen. Es wurde wieder mehr Meinungsfreiheit zu sichern bedeutet auch, lineares Fernsehen geschaut, Streaming-Ange- Medienphänomene wie Desinformation gleicher- bote wie Netflix und Podcasts erlebten innerhalb maßen im Blick zu haben. Es ist heute mehr denn weniger Wochen ungeahnte Zuwachsraten. je geboten, die daraus erwachsenden Bedrohun- gen für die Meinungsbildung zu identifizieren und Auch hat das Informationsbedürfnis der Menschen Vorkehrungen zu treffen, um ihnen wirksam ent- mit Beginn der Pandemie über alle Mediengattun- gegentreten zu können. gen hinweg deutlich zugenommen. Inhaltlich hat Abbildung 1 Informierende Tagesreichweite während der Corona Pandemie (in Prozent) 100 94,9 84,4 80 63,2 + 9,6 60 53,6 57,5 + 18,9 45,5 55,6 + 10,1 40 38,6 29,1 31,4 + 2,3 20 4,7 6,9 + 2,2 0 2019-II „Corona-Zeitraum“ (März – Juni 2020) Informierende Nutzung gesamt Fernsehen Radio Internet Tageszeitung Zeitschriften* *) Zeitschriften, Nachrichtenmagazine, Wochenzeitungen Basis: 70,598 Mio. Personen ab 14 Jahren in Deutschland, n = 4.396 / Corona-Zeitraum, Mar – Jun, n = 1.667; Quelle: die medienanstalten: Mediengewichtungsstudie 2020-I (Kantar) 22
Abbildung 2 das Thema Corona vornehmlich in informierenden Formaten und vor allem regional und lokal statt- Wichtigkeit Information über lokale Situation gefunden. Die von den Medienanstalten durchge- bzgl. Corona führte Schwerpunktstudie zum Informationsver- »Wie wichtig ist es Ihnen, in der derzeitigen Krisensituation halten während der Corona Pandemie zeigt eine auch Informationen über die Lage zur Corona-Krise in Ihrem Zunahme der informierenden Mediennutzung um Wohnort oder Ihrer direkten Umgebung zu bekommen?« 11 Prozent. 1,6 % 5,3 % Lokale Information über die Corona-Krise sehr wichtig 11,5 % 40,9 % Gerade der lokale Rundfunk hat in der Krisenzeit seine orientierende Funktion gezeigt. Vier von fünf Personen in Deutschland gaben an, dass es ihnen 40,7 % wichtig oder sehr wichtig sei, Informationen über die Corona-Krise aus ihrem Wohnort oder ihrer di- rekten Umgebung zu bekommen. Die Rundfunk- veranstalter vor Ort haben mit ihren elementaren 82,0 % Sehr wichtig Information über Angeboten während des Lockdowns gesellschaft- Eher wichtig lokale Situation liche Teilhabe ermöglicht und ihre Systemrelevanz Eher unwichtig sehr / eher wichtig Überhaupt nicht wichtig unter Beweis gestellt. Keine Angabe Basis: 70,598 Mio. Personen ab 14 Jahren in Deutschland, n = 943 Umsatzrückgänge infolge Werbeeinbruch und (Zeitraum, in dem Corona spezifische Fragen gestellt wurden, Wegfall des Eventgeschäfts Apr – Jun); Quelle: die medienanstalten: Mediengewichtungsstudie 2020-I (Kantar) Der erhöhten Nutzernachfrage standen abrupt wegbrechende Werbeerlöse gegenüber, bei kons- tanten Fixkosten insbesondere für die technische schen März und Mai. Mit der Öffnung erster Ge- Verbreitung und den Betrieb der Senderstandorte. schäfte im Mai erholte sich die Einnahmesituation im lokalen Werbemarkt auf verhaltenem Niveau. Es hat sich gezeigt, dass in der Krise Werbebudgets oftmals umgehend reduziert und zum Teil kom- Rasche Stabilisierung der Medienvielfalt plett gestrichen wurden, was unmittelbar auf die Die Medienanstalten haben in der Krise sehr Umsätze der privaten, werbefinanzierten Rund- schnell reagiert und vielfältige Gespräche mit funkveranstalter durchschlug. Für diese ergaben Veranstaltern, Infrastrukturbetreibern, Bund und sich durch den Einbruch von Werbeeinahmen und Ländern aufgenommen und für gemeinsame An- den gleichzeitigen Wegfall des Eventgeschäfts strengungen geworben, entlastende Wege zur kurzfristig teilweise existentielle Herausforderun- Stabilisierung der privaten Medienlandschaft zu gen. Von bis zu 80-prozentigen Einbrüchen bei finden. Erreicht werden konnten Stundungen bei den Werbeeinnahmen berichteten einzelne pri- Lizenz- und Distributionskosten, die zumindest bei vate Radiosender während des Corona-Peaks zwi- unmittelbaren Liquiditätsengpässen entlasteten. 23
In vielen Bundesländern wurden zügig Hilfspro- Nutzerseitig pendelte sich der lineare TV-Konsum gramme auf Landesebene initiiert. So wurden vor bereits im Juni wieder auf Vorkrisenniveau ein. allem lokale Strukturen unterstützt. Nachrichten-Websites und Podcasts werden hin- gegen weiterhin verstärkt genutzt1. Streaming- In gemeinsamen Bemühungen haben Länder, Plattformen haben ihre zahlenden Kunden nach- Verbände und Medienanstalten erreicht, dass der haltig vergrößert. private Hörfunk in dem Rettungs- und Zukunfts- programm des Bundes NEUSTART KULTUR berück- Gut ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland sichtigt wurde. Darin ist eine Summe von bis zu hat neu geschaffene Online-Angebote genutzt. 20 Millionen Euro vorgesehen, mit der die Verbrei- Ob Online-Kurse, Online-Bildungsangebote oder tungskosten der Veranstalter gefördert werden Live-Streams von Konzerten, Gottesdiensten und können. Dies soll die in Zuge der Krise erlittenen anderen Events – sie alle haben angesichts der Ab- Umsatzeinbußen ausgleichen und somit helfen, sage von gesellschaftlichen Präsenzveranstaltun- den Hörfunk als unerlässliches Element der Medi- gen zur Eindämmung des Corona-Virus stark an envielfalt zu sichern. Bedeutung gewonnen. Insbesondere die Übertra- gungen von kirchlichen und kulturellen Veranstal- Auf Basis von Verwaltungsvereinbarungen zwi- tungen haben in den ersten Wochen die Bürger schen Bund und Ländern sowie – im Regelfall – über den Weg des Streamings erreicht. von Ländern und Landesmedienanstalten werden diese Mittel nun im Wege einer Projektförderung Die Direktorenkonferenz der Landesmedienan- den Sendern zugeleitet. stalten hatte sich bereits im April auf ein verein- fachtes Anzeigeverfahren beim Live-Streaming Aufrechterhaltung von Anbieter- und Mei- von kulturellen oder religiösen Veranstaltungen nungsvielfalt: Chancen und Herausforderungen sowie Bildungsangeboten geeinigt und damit schnell und pragmatisch gesellschaftliche Teil- Dank der gemeinsamen Anstrengungen aller habe während des Lockdowns ermöglicht. Dieses Akteure konnte vorläufig ein Weg aus der Krise Vorgehen stellt eine vorläufige Maßnahme wäh- gefunden werden. Die weitere wirtschaftliche rend der Corona-Krise dar, die jedoch nicht das ge- Entwicklung des Medienmarkts wird in den kom- setzliche Erlaubnisverfahren ersetzt. menden Monaten jedoch genauestens zu beob- achten sein. Die Sorge vor weiteren Lockdowns Aus der Krise lernen und die Ungewissheit, wie schwer die zu erwar- tende (globale) Rezession – und damit auch der Die Corona-Krise hat uns bereits zuvor vorhan- Rückgang des Werbemarktes – ausfällt, bedeutet dene Herausforderungen noch eindringlicher vor allerdings ein latentes Risiko für eine erneute Ver- Augen geführt: Das gilt vor allem für die Refinan- schlechterung der Lage. Auch davon unabhängig zierung des Qualitätsjournalismus, der eine der deutet alles darauf hin, dass sich der Erholungs- Kernaufgaben der Anbieter ist. Die Krise hat ein- prozess in der Branche eher langsam und schlep- drücklich gezeigt, wie sensibel und verwundbar pend entwickeln dürfte. unser Rundfunksystem in Deutschland ist. Umso 1 Deloitte Media Consumer Survey 2020: https://www.deloitte-mail.de/u/register.php?CID=141631293&f=22800 24
Abbildung 3 Nutzung von neuen Online-Angeboten während Corona (in Prozent) Online-Kurse oder Bildungsangebote wie z. B. Sport-, Musik-, 20,6 Sprachkurse oder Lernangebote für Schüler 37,0 % haben mindestens Livestreams von kulturellen oder religiösen Veranstaltungen 17,7 ein neues Online- (z. B. Konzerte, Oper, Gottesdienste …) Angebot während der Corona-Zeit genutzt Online-Angebote, die Firmen oder Mitbürger unterstützen, 10,8 z. B. der Verkauf von Gutscheinen oder Hilfe beim Einkaufen für Risikopatienten Nichts davon 62,9 Weiß nicht / keine Angabe 0,5 Basis: 70,598 Mio. Personen ab 14 Jahren in Deutschland, n = 943 (Zeitraum, in dem Corona spezifische Fragen gestellt wurden); Quelle: die medienanstalten: Mediengewichtungsstudie 2020-I (Kantar) wichtiger wird es sein, die Folgen der Krise zu ana- Den höchsten Zugewinn an informierender lysieren, um daraus Schlussfolgerungen zu ziehen, Tagesreichweite seit Krisenbeginn verzeichnete wie die Branche zukünftig womöglich besser für das Internet mit plus 19 Prozent. Als Anlaufstel- Krisen gerüstet werden kann. le für Informationen lagen die Webseiten tradi- tioneller Medien mit 47 Prozent und Internetsei- Desinformation im Netz eindämmen ten offizieller Stellen wie der Webpage des Robert Koch Instituts (RKI) oder der Bundesregierung mit Die Coronakrise hat uns allerdings auch vor Au- 48 Prozent in ihrer Nutzung noch weit vor sozia- gen geführt, wie sich über soziale Netzwerke und len Netzwerken, Podcasts oder Videoplattformen. Messenger-Dienste Verschwörungstheorien und Desinformationen verbreiten können. Die Debat- Dies spricht eine klare Sprache: Gerade in Krisen te erreichte zumindest während der Pandemie zeigt sich, dass mediale Glaubwürdigkeit auf der mehr Menschen als zuvor. Welche Entscheidung Basis journalistisch professioneller Recherche Bürger in unterschiedlichen Lebensbereichen tref- fußt. fen, hängt maßgeblich von Ihrem Zugang zu Infor- mationen ab. Denn auf deren Grundlage werden Nach Ausbruch der Corona-Krise muss noch Meinungen gebildet, die unser Handeln beeinflus- klarer sein: Desinformation ist keine Meinung, sen. In einem Ausnahmezustand wie der Corona- Fake-News sind keine Nachrichten, für Hass und Pandemie beeinflusst dieses Handeln auch direkt Rassismus kann es keine Toleranz geben. Diese den weiteren Verlauf der Pandemie. Phänomene haben ein enormes gesellschaftliches Schädigungspotenzial. Es gilt deshalb, geltendes 25
Recht konsequent durchzusetzen, um damit den dingungen, um Anbieter- und Angebotsvielfalt Prozess der freien Meinungsbildung als funda- mit Qualitätsangeboten zu sichern. Wir brauchen mentale Voraussetzung unseres demokratischen geschützte Meinungsbildungsprozesse, transpa- Gemeinwesens zu schützen. Eine Aufgabe des Di- rente Angebote und einen entsprechenden Zu- gital Services Act auf europäischer Ebene wird es gang. Die Medienanstalten wollen und werden sein müssen, Klarheit zu schaffen, welche Verant- diesen Prozess als relevanter Player zielführend wortung Plattformen wie Google, Facebook, Twit- und e ngagiert mitgestalten. ter und Co. zukünftig für die durch sie verbreiteten Inhalte tragen. Lösungen für die Zukunft gestalten Die Ungewissheit, wie die globale Pandemie in Deutschland weiter verlaufen wird, bleibt. Und damit auch die Unwägbarkeit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung privater Medienange- bote und den öffentlichen Diskurs im Netz. Den- noch sollten wir die Krise auch als Chance sehen. Wir haben es nun der Hand, in den aufgezeigten Handlungsfeldern Lösungen für die Zukunft zu gestalten. Wir brauchen zeitgemäße Rahmenbe- Abbildung 4 Nutzung von Internetangeboten zur Information über Corona (in Prozent) Internetseiten öffentlicher Stellen wie z. B. des Robert 47,8 Koch Instituts oder des Bundesgesundheitsministeriums Internetseiten / Apps traditioneller Medien, z. B. von 46,8 11,0 % Tageszeitungen, Zeitschriften oder TV- bzw. Radiosendern haben soziale Soziale Netzwerke Netzwerke auch 21,0 wie z. B. Facebook, Twitter oder Instagram zur lokalen Information über Podcasts zum Thema Corona, Corona genutzt. 18,6 z. B. von Experten (Ärzte, Virologen) Videoplattformen wie z. B. YouTube 17,7 Sonstige Internetangebote 4,2 Basis: 70,598 Mio. Personen ab 14 Jahren in Deutschland, n = 943 (Zeitraum, in dem Corona spezifische Fragen gestellt wurden); Quelle: die medienanstalten: Mediengewichtungsstudie 2020-I (Kantar) 26
Daniela Beaujean Frank Giersberg Die Juristin Daniela Beaujean Frank Giersberg, Kaufmann und verantwortet als Geschäftsfüh- Politikwissenschaftler, ist als rerin den Bereich „Recht und Re- Geschäftsführer für den Bereich gulierung“ des VAUNET. Darüber „Markt- und Geschäftsentwick- hinaus ist sie auch Justiziarin des lung“ im VAUNET zuständig Verbandes. und kaufmännischer Leiter des Verbandes. Gespräch mit denVAUNET- Geschäftsführern Daniela Beaujean und Frank Giersberg » Reichweiten lassen sich nicht ausreichend kapitalisieren Die Coronavirus-Pandemie hat die Rund- tigen Informations- und Unterhaltungsprogram- funkbranche vor enorme Herausforderungen men ist in der Krise zwar deutlich gestiegen, aber gestellt. Wie stellt sich die Situation für die die Reichweiten lassen sich am Werbemarkt der- Anbieter nach den Lockerungen der Präven zeit einfach nicht ausreichend kapitalisieren. Das tionsmaßnahmen dar? Eventgeschäft der Sender steht praktisch still und Programmproduktionen sind wegen der notwen- Frank Giersberg: Private Radio- und TV-Sender digen Sicherheitsvorkehrungen in der Pandemie hatten in den letzten fünf Monaten dramatische deutlich aufwändiger geworden und mit unkal- Umsatzeinbrüche zu verzeichnen und auch die kulierbaren Ausfallrisiken verbunden. Die Sen- Lockerung der Maßnahmen hat noch längst kei- der stemmen in der Krise also nach wie vor Zu- ne Erholung gebracht. Niemand kann im Augen- satzinvestitionen, während die Einnahmen weit blick sagen, wie sich die Situation in den kom- unter Normalniveau liegen und die Fixkosten für menden Monaten weiter entwickeln wird und Redaktionen und technische Verbreitung unverän- dementsprechend zurückhaltend bleiben aktu- dert bleiben. Wirtschaftlich kann das nur eine be- ell die Verbraucher und Werbekunden bei ihren grenzte Zeit gut gehen. Die Situation stellt sich als Investitionsentscheidungen. Die Krise ist für die ernste Gefahr für die Medienvielfalt in Deutsch- privaten Medienunternehmen also noch lange land dar. nicht überwunden. Die Nachfrage nach hochwer- 27
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