Schnelles Internet in ländlichen Räumen im internationalen Vergleich - Bund.de
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Inhalt Kurzfassung .................................................................................................................................................................... 7 Summary.............................................................................................................................................................................................................................................. 9 1 Einleitung............................................................................................................................................................... 11 2 Schnelles Internet im ländlichen Raum........................................................................................................... 12 2.1 Ländliche Räume im Umbruch...................................................................................................................................................................................12 2.2 Bedeutung von Breitband für den ländlichen Raum........................................................................................................................................15 2.3 Chancen einer verbesserten Breitbandversorgung und -nutzung für den ländlichen Raum.......................................................18 2.4 Versorgung ländlicher Räume in Deutschland mit Breitband ....................................................................................................................21 2.5 Gründe für das Versorgungsdefizit............................................................................................................................................................................26 3 Internationale Erfahrungen zur Bereitstellung und Nutzung von Breitbandinternet in ländlichen Räumen............................................................................................................................................. 29 3.1 Breitbandversorgung im internationalen Vergleich..........................................................................................................................................29 3.2 Internationale Erfahrungen zur Breitbandversorgung und spezifischen Breitbandnutzung ländlicher Räume................31 Rahmenbedingungen in den Vergleichsländern.................................................................................................................................................32 Internationale Beispiele für regionalen Breitbandausbau..............................................................................................................................35 Internationale Beispiele für innovative Breitbandnutzung in ländlichen Räumen..........................................................................35 3.3 Ländersteckbriefe...............................................................................................................................................................................................................36 Dänemark...............................................................................................................................................................................................................................37 Estland.....................................................................................................................................................................................................................................41 Finnland..................................................................................................................................................................................................................................46 Frankreich..............................................................................................................................................................................................................................49 Schweiz....................................................................................................................................................................................................................................53 Südkorea.................................................................................................................................................................................................................................57 USA............................................................................................................................................................................................................................................61 Vereinigtes Königreich.....................................................................................................................................................................................................65 4 Zusammenfassung und Fazit............................................................................................................................. 68 Abbildungsverzeichnis................................................................................................................................................ 70 Tabellenverzeichnis...................................................................................................................................................... 70 Abkürzungsverzeichnis............................................................................................................................................... 71 Literaturverzeichnis..................................................................................................................................................... 72 Quellenübersicht Ländersteckbriefe........................................................................................................................ 75
Kurzfassung Ländliche Räume sehen sich zunehmend mit struk- Südkorea, die USA und das Vereinigte Königreich. Der turellen Umbrüchen konfrontiert. Die Attraktivität Blick über die Ländergrenzen hinaus macht dabei deutlich, urbaner Räume führt zu einer Abwanderungsbewe- dass die Herausforderungen einer regionalen Versorgung gung insbesondere junger und hochqualifizierter mit leistungsfähigem Breitband zwar in allen Vergleichs- Personen. Der demografische Wandel trägt gleich- ländern ähnlich sind, es aber dennoch keine einfache und umfassende Lösung für die Versorgung und Nutzung von zeitig zu einer stetig alternden Bevölkerung bei. Breitbandinternet in ländlichen Räumen gibt. Regionen, die nicht über eine stabile Wirtschafts- struktur verfügen und außerhalb der Pendeldistanz Vielmehr kommt ein breites Spektrum von Maßnahmen städtischer Räume liegen, sind der Gefahr ausge- zur Anwendung. Dabei bedarf es auch auf nationaler und setzt, von der wirtschaftlichen Entwicklung mittel- europäischer Ebene entsprechender Gesetze und Re- fristig abgehängt zu werden. gulierungsmaßnahmen, die beispielsweise die Vergabe von Mobilfunklizenzen an Ausbaubedingungen knüpfen Um diesen Abwärtstrend zu stoppen und gleichzeitig die oder den Zugang zu passiver Infrastruktur erleichtern. bestehenden Erreichbarkeitsdefizite ländlicher Räume zu Zur Schließung möglicher Wirtschaftlichkeitslücken ist verringern, werden große Hoffnungen in den Ausbau einer die Bereitstellung hinreichend hoher finanzieller Mittel leistungsfähigen Breitbandinfrastruktur gesetzt. Sowohl für gefragt. Dabei können auch zinsvergünstigte Kredite und Bewohnerinnen und Bewohner als auch für Unternehmen Steuererleichterungen für Ausbauprojekte helfen (vgl. ist der Zugang zu Breitbandinternet inzwischen ein ent- Südkorea). Wie hoch die notwendigen öffentlichen För- scheidender Faktor für die Wahl des Wohn- und Produk- dersummen sein werden, ist dabei zunächst unklar. Neben tionsorts geworden. Auch die Gemeinden sind zur Bereit- kostengünstigeren Ausbaualternativen wird es vor allem stellung öffentlicher Dienstleistungen darauf angewiesen. wichtig sein, für die Nutzung innovativer Breitbandan- Darüber hinaus ergeben sich über digitale Anwendungen wendungen zu werben, damit die private Nachfrage nach in den Bereichen E-Government, E-Learning, E-Health und hohen Bandbreiten und damit die Zahlungsbereitschaft Telearbeit gerade für ländliche Räume Chancen, Defizite steigt. Auf diese Weise können Wirtschaftlichkeitslücken gegenüber urbanen Räumen abzubauen. beim Breitbandausbau verringert und öffentliche Zuschüs- se reduziert werden. Allerdings sind es gerade die ländlichen Regionen in Deutschland, die nur mangelhaft mit leistungsfähigem Deutschland hat sich vergleichsweise hohe Ziele für den Breitband versorgt werden. Die Gründe hierfür liegen flächendeckenden Breitbandausbau gesetzt. Die Zielvor- sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite: gabe einer flächendeckenden Versorgung von mindestens Während die Anschlusskosten in ländlichen Regionen 50 Mbit/s bis zum Jahr 2018 liegt sogar über den Zielen der deutlich höher sind als in Städten, fehlt es bei den Nut- Europäischen Union. Da der gegenwärtige Versorgungsgrad zern an einer hinreichend hohen Zahlungsbereitschaft für gerade in ländlichen Regionen noch deutlich hinter den schnelle Bandbreiten. Hinzu kommt, dass Monopolisie- Zielvorgaben liegt, werden diese ambitionierten Ziele mög- rungstendenzen im Telekommunikationsmarkt Regulie- licherweise nicht mehr erreicht. Dass ambitionierte Ziele rungsmaßnahmen nach sich ziehen, die einen marktge- nicht zwingend nötig sind, zeigt beispielsweise die Schweiz, triebenen Ausbau durch private Netzbetreiber erschweren. die gänzlich auf die Formulierung von Ausbauzielen ver- Um diesem Marktversagen zu begegnen, sind innovative zichtet und dennoch eine Spitzenposition bei der Versor- Lösungen in allen drei Bereichen „Angebot“, „Nachfrage“ gung mit leistungsfähigem Breitbandinternet einnimmt. und „Regulierung“ notwendig. Die Schaffung eines regulativen Umfelds auf nationaler Um einen Überblick über mögliche innovative Lösungen Ebene allein führt nicht zwingend zu der gewünschten zu erlangen, werden internationale Erfahrungen aus acht flächendeckenden Versorgung. So wird auch in Deutsch- Vergleichsländern, die sich für Deutschland als Ideengeber land immer wieder die Einführung einer Universaldienst- eignen, zusammengetragen. Untersucht werden die Länder verpflichtung für den flächendeckenden Breitbandausbau Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Schweiz, diskutiert. Allerdings zeigen die existierenden Universal- Kurzfassung 7
dienstverpflichtungen in den Vergleichsländern Schweiz Die Nachfrage von Gemeinden nach Breitbandinternet und Finnland, dass damit allenfalls ein Mindestangebot mit zur kosteneffizienten und hochqualitativen Bereitstellung relativ geringen Bandbreiten garantiert wird. öffentlicher Leistungen kann selbst als Katalysator für den Breitbandausbau wirken. In den Ausbauprojekten in Däne- In den betrachteten Good-Practice-Beispielen dominieren mark und Finnland war es gerade die öffentliche Nachfrage mit wenigen Ausnahmen regionale Ausbaustrategien, der Kommunen nach Breitbandinternet, die zunächst die die von Gemeinden vorangetrieben werden und auf diese eigene Versorgung und danach auch die Versorgung der spezifisch zugeschnitten sind. Dabei werden diese Gemein- Bewohner- und Unternehmerschaft ermöglichte. Über den häufig selbst unternehmerisch aktiv und bauen – in Kosteneinsparungen in den Kommunen kann ein Beitrag Zusammenarbeit mit Unternehmen – die notwendige zur Deckung der Wirtschaftlichkeitslücke refinanziert Infrastruktur aus. Sie bringen in diese öffentlich-privaten werden. Partnerschaften – unter anderem mit lokalen Stromver- sorgern (vgl. Schweiz, Dänemark) – über gemeindeeigene In der Nutzung innovativer Breitbandanwendungen Unternehmen sowohl Fördermittel als auch den Zugang zu liegen hohe Chancen für den ländlichen Raum. Gelingt der passiver Infrastruktur ein. Häufig führen die Gemeinden Ausbau in den Regionen, stehen insbesondere den Gemein- dabei die Glasfaserinfrastruktur näher an die Endkunden den viele Möglichkeiten offen, einerseits Kosteneinsparun- heran, überlassen den Ausbau der dadurch „verkürzten“ gen in der Verwaltung zu erzielen, andererseits öffentliche letzten Meile aber wieder „technologieneutral“ dem Markt Dienstleistungen in höherer Qualität anzubieten (vgl. (vgl. Dänemark, Finnland). Bei der genauen rechtlichen, Dänemark). Durch die Einrichtung von Telearbeitszentren betriebswirtschaftlichen und technischen Ausgestaltung (vgl. Großbritannien) oder die Förderung von Angeboten der Ausbaubemühungen lohnt es sich, auch innovative bei E-Schooling (vgl. Estland) und E-Health (vgl. Schweiz) Wege zu gehen, wie beispielsweise ein Solidarmodell in der kann eine Aufwertung ländlicher Räume gelingen. Schweiz zeigt. Der Blick über die Ländergrenzen macht deutlich, dass – Mitentscheidend für den Erfolg der regionalen Projekte obwohl es keinen „goldenen Weg“ zur Versorgung länd- sind vor allem engagierte Personen sowie der politische licher Räume mit Breitbandinternet gibt – alle Länder, die Wille der Verantwortlichen in den Gemeinden und deren in dieser Studie betrachtet wurden, ähnlichen Herausforde- Bereitschaft, unternehmerisch aktiv zu werden. Wenn rungen gegenüberstehen. Daher lohnt es sich, aus positiven engagierte Personen fehlen oder es am nötigen Fachwissen Erfahrungen in diesen Ländern zu lernen. mangelt, kann der Ausbau nur schwer gelingen. Beratungs- dienstleistungen für Gemeinden finanziell zu unterstützen, dürfte in diesem Zusammenhang ein wichtiger Schritt sein. Wenn der Anschluss peripherer Regionen mit hochleis- tungsfähigem Internet nicht ohne Weiteres möglich ist, sind flexible Lösungen – auch zu Lasten der Bandbreite – gefragt. Nahezu alle Länder setzen bei ihren Ausbaubemühungen auf die Nutzung von Glasfaser, da diese Technologie nach- haltig schnelles Internet garantiert. Allerdings sind einige Länder in Fällen, in denen der Ausbau besonders kostenin- tensiv ist, auch bereit dazu, langsamere Ausbaualternativen einzusetzen (vgl. Satellitenverbindungen in Frankreich und Südkorea). Dies kann mit Blick auf den rasanten techno- logischen Fortschritt von Nutzen sein, von dem weitere Effizienzsteigerungen bei bestehenden Technologien und kostengünstige neue Technologien zu erwarten sind. 8 Schnelles Internet in ländlichen Räumen im internationalen Vergleich
Summary Rural areas are increasingly confronted with struc- Instead, a broad variety of applications can be found. To tural changes. Firstly, the attractiveness of urban compliment individual solutions, there is a need for na- areas leads to a migratory outflow of mostly young tionwide and European laws. For instance, laws which facil- and highly qualified people. Secondly, demographic itate the conditioning of frequency licenses on expansion changes lead to an aging society. Thus, especially strategies, or enable the access to passive infrastructure. To economically underdeveloped rural areas, which enhance demand and usage, the individual projects have to be well funded. Loans and tax reductions for broad- are located outside of commuting distance to urban band deployment projects, for example, have shown to be centers, are in danger of falling behind in economic successful (see South Korea). Next to cheaper alternatives development. for broadband deployment it will be extremely crucial to advertise innovative broadband services and their usage. To improve the demographic and economic situation, as well This will be necessary to ensure an increase in demand, as to increase accessibility of rural areas, high hopes are be- through an increase of the rural residents’ willingness to ing placed on broadband deployment. Indeed, broadband ac- pay for broadband access. Thereby, the need for public cess has a crucial impact on the choice of place of residence grants can be reduced. and production, for residents and companies alike. Even municipalities and communities hinge on the availability Germany’s nationwide broadband deployment objectives of broadband access when offering public services online. are relatively ambitious. The aim to provide a nationwide In addition, digital applications in the areas of e-learning, broadband connection with a minimum of 50 Mbit/s until e-government, e-health and telework provide further oppor- 2018 is more ambitious than the European broadband de- tunities to reduce the gap between urban and rural areas. ployment goals. Especially in rural areas this ambitious aim will be difficult to meet in time. In contrast, for example Nevertheless, it is precisely the rural areas that have little Switzerland shows that ambitious goals are not an absolute access to fast broadband connections. The reasons can be prerequisite in achieving outstanding broadband coverage found on the supply side, as well as on the demand side. rates. While access costs are especially high in rural areas, the willingness to pay by rural area residents does not match Yet, the provision of a favorable regulatory environment the additional costs of connecting rural areas to the back- alone is not sufficient either. While Germany recurrently bone infrastructure. The tendency of monopolization in discusses the necessity of a universal service provision to the telecommunication market, which is followed by regu- reach nationwide broadband coverage, experiences from latory measures, further complicates broadband roll-out by Switzerland and Finland say otherwise. Their existing uni- private operators. To correct market failure, it must follow versal service obligations only ensure a minimum of supply that innovative solutions on the supply, demand and regu- with relatively slow speed requirements. latory sides have to be found and implemented. Most of the considered good practice examples have one To allow for an extensive overview on innovative broad- common characteristic: regional broad-band deployment band solutions, this report collects international experi- strategies are induced and expedited by public, mainly ences from eight countries which can serve as an inspi- local initiatives. By doing so, most municipalities act as rational source for Germany’s future efforts in broadband entrepreneurs and provide, in cooperation with (local) pri- deployment. The efforts of the following countries are vate partners, the necessary infrastructure (see for example analyzed: Denmark, Estonia, Finland, France, Switzerland, Switzerland and Demark). Within these public-private South Korea, the USA, and the United Kingdom. By look- partnerships, municipally owned companies allow the ing beyond the boundaries of our own borders it becomes municipal authorities to offer passive infrastructure and clear that there is no generally optimal way to deal with funding. The examples of Denmark and Finland ascertain the supply and efficient utilization of high-performing that bringing fibre optic cables closer to the residents and broadband internet, while the challenges with broadband leaving the deployment of the reduced last mile to tech- roll-out remain similar across countries. nology-neutral, market-based solutions seems promising. Summary 9
Furthermore, Switzerland’s solidarity model provides community. By facilitating cost reduction among public reasoning to allow for innovative business and technical services, the lack of full economic viability of broadband solutions in order to reach broadband deployment goals. deployment in rural areas can be compensated for. Also of decisive importance for the success of regional Innovative broadband applications provide a great variety projects is the political intent, the commitment and of opportunities for rural areas. If broad-band deployment the willingness to act entrepreneurially by the people succeeds, several new ways of cost reduction in adminis- involved on municipality level. Broadband deployment in trative services are opening up to municipalities, while at rural areas can fail if a community does not fulfil the above the same time administrative services can be offered more named characteristics or does not dispose of the necessary frequently or even in a higher quality (see Denmark). In expertise. In this regard, providing funding for consulting addition, the introduction of teleworking centers (see services to municipalities will be an important first step. United Kingdom), the support of e-schooling services (see Estonia), as well as e-health services (see Switzerland) can In case the deployment of broadband to rural areas is not all help to valorize rural areas as a work and living space. successful, innovate solutions have to be employed, even at the expense of bandwidth. Nearly all countries are making International experience shows that while the challenges use of fibre optic cables to allow for a fast and high-per- with broadband deployment remain similar across borders, forming broadband roll-out. However, some countries no best-practice example leads the way. Therefore, it is seem willing to provide alternative technologies with less important to learn from all international applications. bandwidth, in case the deployment via fibre optic cables is too costly (see South Korea and France). This can be espe- cially helpful in the light of technological development, as one can expect new cheap technologies, as well as improve- ments in existing technologies in the future. Further, the examples have shown that municipality demand for cost-efficient and high-performance pub- lic services is a catalyst to broadband deployment in its own right. Especially the provided roll-out examples in Denmark and Finland go to show that the demand by the municipalities themselves eventually allowed for the pro- vision of broadband to all residents and companies in the Quelle: atene KOM GmbH 10 Schnelles Internet in ländlichen Räumen im internationalen Vergleich
1 Einleitung Die zunehmende Digitalisierung aller Lebensbe- Cloud Computing reiche verändert das Arbeiten und Wirtschaften weltweit: Arbeits- und Produktionsabläufe werden Als Cloud Computing bezeichnet man das Speichern effizienter aufeinander abgestimmt. Digitaler In- von Daten und die Ausführung von Programmen auf formationsaustausch und Cloud Computing er- externen Rechenzentren. möglichen ein zunehmendes orts- und zeitflexibles Arbeiten. Online-Shopping und Plattformdienstleis- faktor" unterstützt das Bundesministerium für Verkehr tungen verändern das Konsumentenverhalten und und digitale Infrastruktur (BMVI) die Entwicklung neuer eröffnen neue Absatzmärkte. Noch ist nicht voll- Lösungsansätze zur Verbesserung der regionalen Breit- ständig abzusehen, welche Möglichkeiten sich in Zu- bandversorgung. Diese sollen sich unter anderem auf kunft ergeben. Allerdings wird bereits jetzt deutlich, vorhandene internationale Erfahrungen des Ausbaus dass eine leistungsfähige Breitbandinfrastruktur zu leistungsfähiger Breitbandinfrastruktur in peripheren einem zentralen Standortfaktor geworden ist. ländlichen Räumen stützen können. Aus diesem Grund hat das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung Bislang konnten vor allem Metropolen und urbane (BBSR), das dieses Aktionsprogramm betreut, eine Studie Siedlungsräume von der Digitalisierung profitieren. Doch zu schnellem Internet in ländlichen Räumen im interna- gerade für dünn besiedelte Regionen außerhalb verdich- tionalen Vergleich ausgeschrieben. teter Ballungsräume existieren zahlreiche unerschlossene Potenziale. Aufgrund struktureller Erreichbarkeitsdefizite Im Rahmen dieser vorliegenden Studie wird auf die Be- sind diese ländlichen Räume besonders von den Folgen deutung von Breitbandinternet für den ländlichen Raum des demografischen Wandels auf die allgemeine Daseins- eingegangen sowie die aktuelle Versorgungslage ländli- vorsorge betroffen. Neben der Entwicklung innovativer cher Räume in Deutschland präsentiert (vgl. Kapitel 2). Anwendungen, die auf die spezifischen Bedürfnisse länd- Eine kurze Diskussion der Gründe für das Versorgungsde- licher Regionen ausgerichtet sind, setzt die Überwindung fizit in ländlichen Regionen schließt diesen einführenden der Erreichbarkeitsdefizite allerdings eine flächendeckende Teil ab. Anschließend werden internationale Erfahrungen, Versorgung mit leistungsfähigem Breitbandinternet vor- einerseits bei der Erschließung ländlicher Räume mit aus. Andernfalls werden die Standortnachteile noch weiter Breitbandinternet und andererseits bei der Nutzung inno- verstärkt. vativer Breitbandanwendungen in ländlichen Räumen, aufbereitet. Zusätzlich werden die bestehenden Rahmen- Im Rahmen des Modellvorhabens der Raumordnung bedingungen in den einzelnen Ländern beschrieben (vgl. "Digitale Infrastruktur als regionaler Entwicklungs- Kapitel 3). 11
2 Schnelles Internet im ländlichen Raum 2.1 Ländliche Räume im Umbruch Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig: Immer mehr junge Menschen erzielen einen höheren Bildungs- Ländliche Räume befinden sich aktuell in vielerlei Hinsicht abschluss und ziehen für die weitere Ausbildung in die im Umbruch. Eine alternde Gesellschaft und der andauern- Städte (vgl. IREUS 2014). Diese bieten mit Universitäten, de Wegzug junger Menschen stellen ihre Bewohner, Un- Kultureinrichtungen und Unternehmen eine Umgebung ternehmen und staatlichen Einrichtungen zunehmend vor mit Perspektive auch über die Dauer der Ausbildung Herausforderungen. Daten des BBSR zeigen, dass zwischen hinaus. Verstärkend wirkt der strukturelle Wandel hin zu 2000 und 2013 etwa zwei Drittel aller Gemeinden und wissensintensiven Industrien und Dienstleistungen, deren Gemeindeverbände in Deutschland Einwohner verloren Unternehmen häufig in urbanen Räumen ansässig sind haben. Während sich die Bevölkerung in den größeren und Beschäftigung für Fachkräfte bieten (Slupina/Sütter- Städten konzentriert, schrumpfen bereits dünn besiedel- lin/Klingholz 2015: 8). Regionen, die nicht in Pendeldistanz te und entlegene Regionen weiter (vgl. Abbildung 1). zu wirtschaftsstarken Städten liegen, verlieren dadurch zunehmend an Attraktivität. Quelle: atene KOM GmbH 12 Schnelles Internet in ländlichen Räumen im internationalen Vergleich
Abbildung 1: Bevölkerungsentwicklung (2000–2013; links) und Bevölkerungskonzentration (Einwohner pro km², 2013; rechts) bis unter 70 bis unter 100 70 bis unter 80 100 bis unter 200 80 bis unter 90 200 bis unter 300 90 bis unter 100 300 bis unter 400 100 bis unter 110 400 bis unter 500 110 und mehr 500 und mehr Quelle: © BBSR Bonn 2015, Bearbeitung: G. Lackmann, S. Maretzke Schnelles Internet im ländlichen Raum 13
Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass ländliche Räume he- Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Landkreise in terogen sind und es auch hier Regionen gibt, die vergleichs- Ostdeutschland sind hingegen verhältnismäßig struktur- weise erfolgreich sind (vgl. Maretzke 2016 und Abbildung 2). schwach aufgestellt. Das bedeutet unter anderem, dass sie vergleichsweise peripher gelegen sind und die verfügbaren Die strukturstärkeren Landkreise finden sich vor allem Einkommen privater Haushalte sowie die Bruttowert- in Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und in Teilen von schöpfung je erwerbstätige Person geringer ausfallen. Abbildung 2: Typisierung ländlicher Räume nach ökonomischen, sozialen und siedlungsstrukturellen Merkmalen (2011/2012) Hinweis: Die Klassifikation der Kreise basiert unter anderem auf Daten zur Produktivität, zu Beschäftigungsanteilen des produzierenden Gewerbes bzw. des Dienstleistungssektors, zu Lage/Erreichbarkeit, zum Bevölkerungspotenzial, zur Ar- beitslosigkeit und zum Tourismus. Quelle: Maretzke, Steffen, 2016: Demografischer Wandel im ländlichen Raum. So vielfältig wie der Raum, so verschieden die Entwicklung. In: Informationen zur Raumentwicklung 2.2016, S. 169-187, BBSR 2016. Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBSR. Geometrische Grund- lage: BKG, BBSR-Kreisregionen 2011, Bearbeitung: G. Lackmann, S. Maretzke. 14 Schnelles Internet in ländlichen Räumen im internationalen Vergleich
2.2 Bedeutung von Breitband für den ländlichen Kempermann/Lichtblau 2013, HMWVL 2011, Gebauer/ Raum Luley/Breuninger 2009). Dabei geht es inzwischen nicht mehr darum, ob ein Unternehmen überhaupt Internet Neben den zuvor beschriebenen Aspekten kommt hinzu, nutzt, sondern welche Geschwindigkeiten zur Verfü- dass in den strukturschwächeren Landkreisen die Anbin- gung stehen. Fehlt eine leistungsfähige Breitbandinfra- dung an eine leistungsfähige Breitbandinfrastruktur deut- struktur in der Region, wird deren Wirtschaft nachhaltig lich schlechter ausgebaut ist als in den strukturstärkeren geschädigt mit der Folge, dass Unternehmen abwandern Landkreisen (vgl. Maretzke 2015). oder schließen müssen. →→ Die oben genannten Probleme einer mangelhaften Die asymmetrische Verbreitung von schnellem Breit- Breitbandversorgung und -nutzung, die sich für Ein- bandinternet in Deutschland insbesondere zu Lasten struk- wohner und Unternehmen ergeben, treffen nicht zuletzt turschwächerer ländlicher Regionen (vgl. Abschnitt 2.4) auch die Gemeinden. So beschränken geringere Gewer- – auch als „digitale Spaltung“ bezeichnet – verstärkt diese besteuereinnahmen einerseits, und höhere Ausgaben prekäre Lage für die betroffenen Personen, Unternehmen aufgrund einer zunehmend älter werdenden Gesell- und Gemeinden zusätzlich: schaft andererseits, die finanziellen Spielräume der von Abwanderung betroffenen Kommunen. Für die Gemein- →→ Digitale Anwendungen spielen für einen Großteil der den kommt dies einer relativen Kostensteigerung gleich. Bevölkerung in Deutschland eine zunehmende Rolle. Aufgrund schwindender Perspektiven können gerade Fast 80 % der Menschen in Deutschland nutzen Internet die betroffenen Gemeinden nicht mit der Ansiedlung jeden oder fast jeden Tag (vgl. Slupina/Sütterlin/Kling- neuer Unternehmen rechnen. Auch ist es den Behörden holz 2015: 69). Erwartungsgemäß liegen der Anteil und in diesen Gemeinden nicht möglich, Rationalisierungs- die Nutzungsintensität bei Personen zwischen 16 und potenziale durch die Nutzung digitaler Anwendungen 44 Jahre noch höher. Ob Informationsbeschaffung, (unter anderem für Bürgerdienste) zu heben. Online-Shopping oder die Nutzung von Multimediaan- wendungen – viele Tätigkeiten lassen sich inzwischen online erledigen oder werden zumindest dadurch Arbeiten 4.0 erleichtert. Fehlt den Haushalten ein leistungsfähiger Internetanschluss, hat dies merkliche Konsequenzen Unter „Arbeiten 4.0“ werden die Auswirkungen der für Lebensqualität und gesellschaftliche Teilhabe. Es ist Digitalisierung auf die Arbeitswelt subsumiert. Dies zu erwarten, dass dieses Thema mit Blick auf neuere betrifft unter anderem Automatisierung, Crowd-, Entwicklungen im Bereich „Arbeiten 4.0“ noch weiter an Tele- und Clickworking. Mehr Informationen unter Relevanz gewinnt. Daher dürfte die Attraktivität ländli- www.arbeitenviernull.de. cher Regionen, die über keine hinreichende Breitband- versorgung verfügen, als Wohnorte insbesondere für junge Menschen weiter sinken. Neben den Auswirkungen auf die Bevölkerung, die Unter- →→ Durch die zunehmende Digitalisierung können Unter- nehmen und die Gemeinden im Einzelnen ballen sich in nehmen Arbeits- und Produktionsabläufe effizienter ländlichen Räumen besonders die negativen Auswirkungen aufeinander abstimmen und mit Vorleistungsunter- des Zusammenspiels verschiedener Faktoren. Durch eine nehmen und Konsumenten in Kontakt treten. Digitaler mangelhafte Breitbandinfrastruktur wird eine Abwärts- Informationsaustausch und Cloud Computing ermögli- spirale in Gang gesetzt, die mit der Abwanderung von chen ein zunehmendes orts- und zeitflexibles Arbeiten. jungen und qualifizierten Menschen beginnt und mit dem Zusätzlich schafft das Internet gänzlich neue Märkte Weggang von Unternehmen fortgesetzt wird (vgl. Abbil- für innovative Produkte und Anwendungen („Kreativ- dung 3, Seite 16). Dies hat wiederum Konsequenzen auf wirtschaft“). Verschiedene Unternehmensbefragungen die Wirtschaftskraft und sorgt für eine Überalterung der haben bereits in der Vergangenheit übereinstimmend Bevölkerung. Immobilien verlieren aufgrund der mangeln- die wichtige Bedeutung leistungsfähigen Breitbandin- den Nachfrage an Wert. Dies gefährdet die Alterssicherung ternets für Unternehmen unterstrichen (vgl. Fritsch/ der Bewohnerinnen und Bewohner in der Region. Schnelles Internet im ländlichen Raum 15
Abbildung 3: Abwärtsspirale bei mangelhafter Eine mangelhafte Breitbandversorgung verringert somit Breitbandversorgung die Standortattraktivität ländlicher strukturschwacher Re- gionen für Unternehmen. Dadurch verschlechtert sich die Abwanderung Arbeitsmarkt- und Versorgungslage in den ohnehin schon von Unternehmen strukturell benachteiligten und vom demografischen Wan- del besonders betroffenen ländlichen Regionen. Abschreckung von externen Der Abwanderungstrend wird verstärkt und die Daseins- Unternehmen Rückgang der vorsorge zusätzlich beeinträchtigt. Eine Vielzahl von Verschlechterung Immobilienpreise der Standortqualität Lebensbereichen wird dadurch beeinflusst (vgl. Tabelle 1). durch mangelhafte Infrastruktur Neben den offensichtlichen Einschränkungen für Unter- Rückgang der nehmen und Handel leiden auch staatliche Dienste oder Überalterung Wirtschaftskraft Dienstleistungen der Kommunen und Länder, wie die der Bevölkerung medizinische Betreuung, die öffentliche Verwaltung und die Bildung, unter einer schwachen Breitbandinfrastruktur. Quelle: DIW Econ in Anlehnung an Fornefeld/Logen 2013: 12 Eine mangelnde Breitbandversorgung beeinflusst zudem das alltägliche Leben: die Wohnungssituation, die Arbeit, den Urlaub und den virtuellen Konsum. Quelle: Fotolia © Stihl024 16 Schnelles Internet in ländlichen Räumen im internationalen Vergleich
Tabelle 1: Wechselwirkungen einer (mangelhaften) Breitbandversorgung mit anderen Lebensbereichen (Auswahl) Wechselwirkungen Probleme Unternehmen und →→ Fehlende Neuansiedlung von Unternehmen Handel →→ Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit bereits ansässiger Unternehmen → Zusätzlicher Image- verlust der ländlichen Unternehmen →→ Abwanderung von Betrieben →→ Verlust von Steuereinnahmen und Arbeitsplätzen →→ Lücken in den Haushalten von Kommunen (→ Verstärkung regionaler Disparitäten) →→ Verstärkter Fachkräftemangel aufgrund unattraktiver Infrastruktur Energieversorgung →→ Dezentrale Energieversorgung für intelligente Netze benötigt, die Schwankungen erneuerbarer Energien auch lokal auffangen Immobilien →→ Vermietung oder Verkauf von Immobilien in unterversorgten Regionen schwierig oder nur zu verringerten Preisen möglich Arbeit →→ Telearbeit nicht möglich → Auswirkungen auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und/oder die flexible Arbeitsorganisation Verwaltung und →→ Fehlende Möglichkeiten zu Kosteneinsparungen bei kommunalen Verwaltungsprozessen in Bürgerdienste ländlichen Regionen (zum Beispiel durch die Nutzung von Online-Services) →→ Erschwerter Zugang zu Bürgerdiensten Medizinische Betreuung →→ Einsatz von Telemedizin-Angeboten nicht möglich →→ Flächendeckende Grundversorgung vor allem älterer Patienten nicht vollständig realisierbar Schule/Bildung →→ Verringerte Medienkompetenz unter Schülern →→ Erschwerte Unterrichtsvorbereitung und -durchführung für Lehrer/erschwerte Nutzung der Onlinedienste von Lehrbuchverlagen →→ Erschwerte Teilnahme an Fernlehrgängen/-weiterbildungen Tourismus →→ Erschwertes Marketing über soziale Netzwerke und kompliziertere Abwicklung von Online- Buchungen Virtueller Konsum →→ Fehlender Zugang zu Online-Shopping-Diensten → Erschwerte Überwindung von Erreichbar- keitsdefiziten ländlicher Räume und Benachteiligung vor allem von Personen mit eingeschränk- ter Mobilität Quelle: DIW Econ Schnelles Internet im ländlichen Raum 17
2.3 Chancen einer verbesserten Breitbandversor- Städten auszugleichen. Auch für Deutschland zeigt sich be- gung und -nutzung für den ländlichen Raum reits, dass Landkreise mit hoher Abdeckung an schnellem Internet ab 50 Mbit/s tendenziell auch mit einem relativ Die Vielzahl von Wechselwirkungen einer (mangelhaften) hohem Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner aufwarten Breitbandversorgung mit anderen Lebensbereichen bietet können. Gerade dünn besiedelte ländliche Kreise ermangelt jedoch auch eine Vielzahl von Chancen für ländliche Räu- es allerdings an beidem (vgl. Abbildung 4). Die Aufwertung me. Gerade der Ausbau der digitalen Infrastruktur auf dem ländlicher Regionen durch ein flächendeckendes Angebot Land könnte helfen, die Erreichbarkeitsdefizite ländlicher von schnellem Internet bietet somit viel Potenzial. Regionen und die fehlenden Agglomerationsvorteile von Abbildung 4: Vergleich BIP und Haushalte mit > 50 Mbit/s nach Besiedlungsstruktur (2014) 140 Bruttoinlandsprodukt je Einwohner (1.000 Euro, 2014)* 120 Kreisfreie Großstädte 100 80 Städtische Kreise 60 Ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen 40 20 Dünn besiedelte ländliche Kreise 0 0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 % Anteil der Haushalte mit mindestens 50 Mbit/s (2014) kreisfreie Großstädte städtische Kreise ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen dünn besiedelte ländliche Kreise Quelle: DIW Econ auf Basis von BBSR 2015 und zusätzliche Datenlieferung des BBSR (*eigene Fortschreibung der zuletzt verfügbaren Daten) Zudem bietet der Ausbau die Chance, den Herausforde- Raum gewürdigt (vgl. BMUB 17.09.2015). Auch das BBSR rungen des demografischen Wandels zu begegnen und identifiziert sogenannte „Aufwertungspotenziale“ für die strukturelle Engpässe zu überwinden. So erhofft sich regionalen Wohn- und Wirtschaftsstandorte hinsichtlich beispielsweise die Bundesregierung mit digitalen Anwen- des Ausbaus und der Verbesserung der Erreichbarkeit dungen einen „echten Nachteilsausgleich vor allem für und Versorgungsqualität, der Wettbewerbsfähigkeit der die ländlichen Regionen zu etablieren“ (vgl. Bundesregie- Unternehmen sowie der Unterstützung der Kommunen bei rung 17.09.2015). Um dieses Ziel zu erreichen, wurden unter der Bewältigung demografischer Herausforderungen und anderem im Wettbewerb „Menschen und Erfolge“ des für die Sicherung gleichwertiger Lebensbedingungen (vgl. Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und BBSR 2012). Abbildung 5 greift dazu eine Bandbreite an in- Reaktorsicherheit im Jahr 2011 beispielhafte Lösungsan- novativen Breitbandanwendungen heraus. Anschließend sätze für eine bessere Breitbandversorgung im ländlichen werden die jeweiligen Nutzungspotenziale skizziert. 18 Schnelles Internet in ländlichen Räumen im internationalen Vergleich
Abbildung 5: Innovative Breitbandanwendungen – Weitere Informationen Chancen für ländliche Regionen www.bergheim.de/selbstbedienungsterminal.aspx E-Government Auch E-Learning-Produkte, wie Online-Kurse (auch als „Massive Open Online Courses (MOOCs)“ bekannt), bieten Ländlicher einen Lösungsansatz für gesellschaftliche Herausforde- E-Learning rungen wie Integration, Inklusion und Chancengleichheit Tourismus durch ortsunabhängiges und individualisiertes Lernen. Ge- Innovative rade im Bereich Fort-und Weiterbildung eröffnen sie ganz Breitbandanwendung neue Möglichkeiten für ländliche Räume. In der Gemeinde Veitshöchheim (Bayern) wurde 2003 eine eigenständige Internetfachschule für den Garten- und Landschaftsbau Tele- ins Leben gerufen, welche es den Studenten ermöglicht, arbeitsplätze E-Health tagsüber weiterhin im Beruf tätig zu sein (BLE 2014). Eine zusätzliche Chance für die Aufwertung von ländlichen Quelle: DIW Econ in Anlehnung an BLE 2014 Räumen birgt die Errichtung von Telearbeitsplätzen. Auf diese Weise erhalten Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- Zu den bedeutenden innovativen Breitbandanwendungen, mer mit Familien die Möglichkeit, unter anderem durch die besonders das Leben in ländlichen Regionen erleich- ortsunabhängiges Arbeiten, Familie und Arbeit zu vereinen. tern könnten, zählen beispielsweise E-Government- und Das erhöht die Attraktivität des ländlichen Wohnraums und E-Health-Services. senkt möglicherweise bestehende Abwanderungstendenzen. Unter E-Government wird die webbasierte Organisation, Ein weiterer Anwendungsbereich ist der ländliche Touris- Koordinierung und Bereitstellung öffentlicher Dienstleis- mus. Besonders im Bereich der Online-Vermarktung bieten tungen für Bürgerinnen und Bürger (zum Beispiel elekt- sich Möglichkeiten, den ländlichen Tourismus anzukurbeln. ronische Akteneinsicht etc.) verstanden. Laut Fornefeld/ So hat eine Umfrage aus dem Jahr 2012 ergeben, dass 55 % Logen (2013) nehmen diese Online-Angebote eine immer der Deutschen das Internet für das Buchen, Planen und Re- größere Rolle ein. Die Kundenzufriedenheit wird erhöht cherchieren von Urlaubsreisen benutzen (FUR 2012: 4). Zu- und die Kosten werden verringert. So kann beispielsweise sätzlich erhöht die Verfügbarkeit von Internet am Urlaubsort in Bergheim (Nordrhein-Westfalen) ein neuer Personalaus- die Attraktivität der Unterkunft. Auch Konferenzen, (Weiter- weis über ein Selbstbedienungsterminal digital beantragt bildungs-)Seminare und Kundenmeetings (Geschäftstouris- werden, was die benötigte Bearbeitungszeit durch einen mus) könnten dadurch auf dem Land stattfinden. Sachbearbeiter beträchtlich verringert. Ein Blick in die Forschungsliteratur scheint der Hoffnung Des Weiteren tragen E-Health-Anwendungen dazu bei, auf positive Wachstumsimpulse mit Breitbandausbau und die Patientenversorgung gerade in ländlichen Gebieten -nutzung im Prinzip Recht zu geben (vgl. Infokasten auf zu verbessern beziehungsweise aufrechtzuerhalten. Neue Seite 20). Gleichwohl der Breitbandausbau allein weitere Möglichkeiten der Ferndiagnostik und des Gesundheit-Mo- begleitende Maßnahmen in der Förderung ländlicher nitorings helfen Ärzten, Diagnosen zu stellen und Behand- Regionen nicht ersetzen kann, dürfte die Verfügbarkeit von lungsentscheidungen zu treffen, ohne hierfür vor Ort sein Breitbandinfrastruktur die wirtschaftliche Entwicklung zu müssen. Beispielsweise in Seehausen (Nordbrandenburg) einer Region verbessern. Allerdings ist es deshalb wichtig, werden auf diese Weise radiologische Untersuchungen aus dass neben dem Ausbau der Breitbandinfrastruktur vor der Ferne ermöglicht. Dies senkt die Kosten vor Ort und allem deren Nutzung, zum Beispiel mittels innovativer vereinfacht die Betreuung der Patienten (vgl. BLE 2014). Breitbandanwendungen, angeregt wird. Schnelles Internet im ländlichen Raum 19
Literaturüberblick Eine Vielzahl von Studien beschäftigt sich mit der empirischen An alyse der Auswirkung des Breitbandausbaus auf nationale und regionale Wirtschaftsfaktoren, sowie mit den Wechselwirkungen zwischen speziellen innovativen Anwendungen und der regionalen Wirtschaft. So finden beispielsweise Czernich et al. (2011) heraus, dass ein Anstieg der Breitbandversorgung um 10 % das jährli- che Pro-Kopf-Wachstums um 0,9-1,5 Prozentpunkte erhöht und auch in anderen Studien werden positive Effekte berichtet (vgl. EU KOM 2013a, Roller/Waverman 2001 sowie Choudrie/Middleton 2014). Dass die Verfügbarkeit von Breitbanddiensten zum gesellschaftlichen Ausgleich beiträgt, wird ebenfalls durch die Forschung belegt (vgl. Grant/Middleton 2012, Troulos/Maglairs 2011, California Broadband Task Force 2008, Jin 2005 und OECD 2001). Dabei wird auch die Bedeutung des Ausbaus von Breitbandnetzen betont, um den stetig wachsenden Anforde- rungen an die Übertragung von Daten in Zukunft gerecht zu werden (Tahon et al. 2013). Einer Schätzung zufolge, könnte das Bruttoinlandsprodukt der Europäischen Union durch innovative Anwendung von Cloud Computing in den nächsten fünf Jahren um fast 600 Mrd. € gesteigert werden (vgl. EU KOM 2012a: 6). Einige US-Studien legen dabei einen besonderen Fokus auf Breitbandversorgung in ländlichen Räumen: Whitacre/ Gallardo/Strover (2014) zum Beispiel untersuchen den Einfluss der Verfügbarkeit und der Nutzung von Breitband auf die wirtschaftliche Entwicklung ländlicher Regionen in den Vereinigten Staaten. Sie finden heraus, dass ein hoher Nutzungsgrad von Breitbandinternet zwischen 2001 und 2010 sowohl die Einkommensentwicklung als auch die Arbeitslosigkeit positiv beeinflusst hat. Zudem beobachten sie in Regionen mit einer vergleichsweise geringen Breitbandnutzung einen Rückgang in der Anzahl der Firmen und der Beschäftigung. Allerdings finden sie diese Ergebnisse nicht in gleichem Maße für die Verfügbarkeit von Breitband. Daraus schließen die Autoren, dass zukünftige Politikmaßnahmen stärker nachfrageorientiert sein sollten. Auch eine Ausgabe der Ordnungspo- litischen Perspektiven des DICE (Falck et al. 2013) diskutiert die Bedeutung der Nachfrageseite für eine wachstum- sorientierte Telekommunikationspolitik und unterstützt die Schlussfolgerung von Whitacre/Gallardo/Strover. Innovative Breitbandanwendungen haben einen positiven wirtschaftlichen Nutzen für die Region: Whitacre (2011) geht im Speziellen auf die ökonomische Bedeutung von Telemedizin für die lokale Wirtschaft ein. Auf Basis von amerikanischen Fallstudien zeigt Whitacre auf, dass neben der Verbesserung von E-Health-Services auf dem Land auch die Wirtschaftlichkeit der jeweiligen Region steigt. Die Anwendung von Telemedizin in den 24 untersuchten Krankenhäusern trägt durchschnittlich 0,5 Mio. $ zur lokalen Wirtschaft bei. Über das gesteigerte Wohlergehen der Patienten hinaus unterstreicht dieses Ergebnis die Wirtschaftlichkeit möglicher innovativer Anwendungsformate. Eine weitere Studie, von Stenberg et al. (2009) mit Fokus auf unterschiedlichste innovative Anwendungen, fasst unter anderem zusammen, wie ländliche Gemeinden und deren Firmen in den USA von Breitband profitieren kön- nen, darunter E-Learning, E-Health und Telearbeit. Auch hier kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass ländliche Kommunen mit vermehrtem Breitbandzugang höheres Wirtschaftswachstum aufweisen. Die zuvor genannten Untersuchungen stellen allesamt die Relevanz der Nachfrageseite in den Vordergrund. Aller- dings warnen auch einige Studien vor überhöhten Erwartungen: So findet Malecki (2003) – ebenfalls in einer Studie für die USA – heraus, dass eine Verbesserung der Telekommunikation keine schnelle Lösung für die Entwicklung ländlicher Räume darstellt und die erhofften Verbesserungen nur für einen Teil der Gebiete zu erwarten sind. Entscheidend sei die Rückkehr von Menschen, die auf dem Land leben und arbeiten möchten. Auch wenn Breit- bandanwendungen die Arbeit erleichtern, können sie den persönlichen Kontakt, der in ländlichen Räumen nur zu höheren Kosten zu realisieren ist, nicht ersetzen. In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Galloway (2007), die andere Faktoren für die ökonomische Entwicklung einer Region verhältnismäßig wichtiger einschätzt als die Verfügbarkeit von Breitband. Auf Basis einer Literaturstudie kommt die Autorin zu dem Schluss, dass es vor allem an Wachstum und Diversifizierung fehlt. Aus diesem Grund könne der angestrengte Breitbandausbau nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen. 20 Schnelles Internet in ländlichen Räumen im internationalen Vergleich
2.4 Versorgung ländlicher Räume in Deutschland Vom Ziel der Bundesregierung, bis 2018 eine flächende- mit Breitband ckende Versorgung mit einer Bandbreite von 50 Mbit/s zu erreichen, ist die gegenwärtige Situation noch weit Nach Angaben des aktuellen Berichts zum Breitbandatlas entfernt. So hatte Mitte 2015 nur circa jeder vierte Haushalt folgt die Entwicklung des Breitbandangebots in Deutsch- auf dem Land Zugang zu dieser Breitbandkategorie. Die land einem kontinuierlich positiven Trend. So hatten Mitte Karte in Abbildung 7 (Seite 22) zeigt darüber hinaus die un- 2015 mehr als drei Viertel der deutschen Haushalte Zugang terschiedliche regionale Versorgungslage für Bandbreiten zu Breitbandanschlüssen mit mindestens 30 Mbit/s. mit mehr als 50 Mbit/s auf. Es wird deutlich, dass vor allem Allerdings werden auch starke Diskrepanzen zwischen (dünn besiedelte) Regionen in den neuen Bundesländern, städtischen und ländlichen Gebieten deutlich: So hatten aber auch in Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz 2,2 % der Haushalte in der Peripherie überhaupt keinen nahezu vollständig keine entsprechend leistungsfähige Breitbandzugang, weitere 11 % sind auf Geschwindigkeiten Breitbandinfrastruktur aufweisen können. unter 6 Mbit/s angewiesen (vgl. Abbildung 6). Abbildung 6: Breitbandversorgung in Deutschland nach Gemeindeprägung (Mitte 2015) 0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 % 2,2 % Ländlich 8,4 % 10 %% 31,7 14,8 % 16,4 % 26,1 % 0,7 % Halbstädtisch 3,0 % 18,9 % 11,6 % 10,2 % 55,8 % Städtisch 5,6 % 4,9 % 85,3 % 3,6 % keine Verfügbarkeit > 1 Mbit/s > 2 Mbit/s > 6 Mbit/s > 16 Mbit/s > 30 Mit/s > 50 Mbit/s Quelle: DIW Econ auf Basis der TÜV Rheinland Consulting GmbH 2015 Schnelles Internet im ländlichen Raum 21
Abbildung 7: Breitbandverfügbarkeit Deutschland ≥ 50 Mbit/s (alle Technologien, Stand: Mitte 2015) Quelle: BMVI/ TÜV Rheinland. Geoinformation © Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (www.bkg.bund.de)/ © Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur/ © TÜV Rheinland 22 Schnelles Internet in ländlichen Räumen im internationalen Vergleich
Hintergrund: Bandbreiten und Technologien Die Diskussion zu Ausbau und Nutzung von Breitbandinternet ist von einer Vielzahl an technologischen Begriffen und Konzepten geprägt. Der folgende Abschnitt soll eine kurze Einführung in die technischen Hintergründe zu Übertragungsgeschwindigkeiten und -technologien liefern. Übertragungsgeschwindigkeiten und deren Bedarf Der Begriff der Bandbreite des Internetzugangs beschreibt die verfügbare Geschwindigkeit der Datenübertragung, die anhand der Datenmenge pro Zeiteinheit, die durch das Netz übertragen werden kann, gemessen wird. Dieser Datendurchsatz wird üblicherweise in Bit je Sekunde (bit/s) angegeben, wobei die Angaben je nach Technologie in Kilobit, (Kbit) Megabit (Mbit) oder Gigabit (Gbit) erfolgen. Die technologische Entwicklung internetbasierter Anwendungen und die damit einhergehenden Anforderungen an die Übertragungsleistungen unterliegen einer derart hohen Dynamik, dass die Einordnung der Geschwindig- keiten im zeitlichen Kontext erfolgen muss. Während noch um die Jahrtausendwende die Datenübertragungsraten für Breitbandinternet in Bereichen einiger 100 Kbit/s lagen, werden sie heute in mehrstelligen Mbit/s-Werten angegeben. So definiert die für Funkdienste und Kommunikation zuständige US-Behörde, die Federal Communica- tions Commission (FCC), im Jahr 2015 eine Mindestübertragungsrate für Breitband von 25 Mbit/s (vgl. FCC 2015).1 Vergleichbar formuliert die Europäische Kommission das Ziel, bis 2020 allen EU-Bürgern „schnelles Internet“ und mindestens 50 % „ultraschnelles Internet“ bereitzustellen, und nennt hierfür Übertragungsgeschwindigkeiten von 30 Mbit/s beziehungsweise 100 Mbit/s (vgl. EU-KOM 2010). Eine Breitbandinfrastruktur, die diese hohen Übertra- gungsraten ermöglicht, wird auch als „Next Generation Access (NGA) Network“ bezeichnet.2 Schnelle Internetverbindungen werden in erster Linie für datenintensive Anwendungen, die zum Beispiel hoch- auflösendes Bild- oder Videomaterial enthalten, benötigt. Für einfache Kommunikationsanwendungen wie E-Mail, Fax, Telefonie oder E-Banking reichen Übertragungsraten von deutlich unter 100 Kbit/s aus (vgl. Abbildung 8, Seite 24). Die Nutzung von Audio- und Sofortnachrichtendiensten, die Übertragung von Animationen oder der Versand von E-Mails mit angehängten Text- oder Bilddateien überschaubaren Umfangs erfordert hingegen weitaus höhere Raten von bis zu 1 Mbit/s. Die höchsten Anforderungen an die Geschwindigkeit der Datenübertragung stellen Videokonferenzen, Anwendungen wie Internetfernsehen oder hochauflösende Videoübertragung (beispielsweise für medizinische Lehrvorführungen) sowie die Übermittlung von hochauflösendem oder 3D-Bildmaterial. Für die Nutzung derartiger Angebote sind Übertragungsraten von 16 und mehr Mbit/s sinnvoll (vgl. BLE 2014: 7). Übertragungstechnologien Bezüglich der Bereitstellung des Datenverkehrs kann grundsätzlich zwischen kabelgebundenen und kabellosen Übertragungen unterschieden werden. Kabellose Lösungen umfassen beispielsweise die Übertragung über Satellit, die jedoch störungsanfällig ist und nur vergleichsweise geringe Geschwindigkeiten unter 10 Mbit/s erreicht sowie den Mobilfunk, der große Potenziale auch gerade für die ländliche Versorgung aufweist und einer rasanten Ent- wicklung unterliegt. Die modernsten Lösungen mit der Bezeichnung 4G oder LTE („Long Term Evolution“) sind technisch in der Lage, hohe Download-Geschwindigkeiten von 50 Mbit/s zu bieten. Problematisch ist jedoch, dass die tatsächliche Verfügbarkeit stark von baulichen und topografischen Gegebenheiten beeinträchtigt wird und sich die Kapazität auf alle aktiven Nutzer aufteilt (vgl. Fornefeld/Logen 2013). Dies gilt auch für Richtfunk-Lösungen, in denen das Signal über weite Strecke zwischen stationären Sendern beziehungsweise Empfängern übertragen wird. Eine weitere kabellose Übertragungsmöglichkeit bietet die WLAN-Technologie („Wireless Local Area Network“), 1 Grundsätzlich wird in dieser Studie mit dem Begriff „Geschwindigkeit“ die Download-Rate bezeichnet. Diese ist für die Nutzung von Breitbandinternet derzeit weitestgehend noch entscheidend. In Zukunft dürfte allerdings auch der Upload-Rate eine höhere Bedeu- tung zukommen, wenn beispielsweise Cloud-Computing eine gewichtigere Rolle spielt. 2 Technische Abgrenzung siehe EU KOM 2013b. Schnelles Internet im ländlichen Raum 23
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