Berliner Ärzt:innen - Bis zuletzt. Wie können Ärzt:innen Menschen am Lebensende beistehen?
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Berliner MITGLIEDERZEITSCHRIFT ÄRZTEKAMMER BERLIN AUSGABE 1 / 2023 Ärzt:innen Bis zuletzt. Wie können Ärzt:innen Menschen am Lebensende beistehen?
BERLINER ÄRZT:INNEN EDITORIAL AUSGABE 1 / 2023 Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie ein Regenbogen erhebt sich das Leben von der Geburt und senkt sich hin zum Tod. Er schillert in vielen Farben, erscheint mal klar und groß oder auch verklärt Prof. Dr. med. und fern. Anfang und Ende gleichen sich in ihrer Unbestimmtheit. Und immer ist Jörg Weimann (DEAA) es vorübergehend. Die eigene Geburt geschieht mit uns – aber wie ist das mit Ster- ist Facharzt für Anästhesiologie ben und dem Tod? und Vorsitzender des Arbeits- kreises „Ärztlich assistierter Suizid“ der Ärztekammer Berlin. Im Februar 2020 erklärte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem Urteil Foto: Kathleen Friedrich den § 217 Strafgesetzbuch (StGB) zur geschäftsmäßigen Suizidhilfe für verfassungs- widrig. Damit definierte es, dass zum Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht nur die Entscheidung gehört, wie ich leben möchte, sondern auch, wie und wann ich sterben möchte. Die Unbestimmtheit weicht also einer Verfügbarkeit. Und noch weitergehend habe ich explizit das Recht, mir Hilfe bei anderen zu suchen, sollte ich bei der Umsetzung meines Todeswunsches Hilfe benötigen. Aber an wen sollte ich mich dazu wenden? Das BVerfG hat dem Gesetzgeber auch aufgegeben, sicherzustellen, dass Men- schen nur dann Hilfe zum Suizid erhalten können, wenn ihre Entscheidung frei- verantwortlich und dauerhaft getroffen wird. Erst dann steht der Umsetzung nichts mehr im Weg. Und hier richtet sich der Fokus gemäß der drei vorliegenden Ge- setzentwürfe auf uns, die Ärzt:innenschaft in Deutschland. Nun betont das BVerfG, dass diese gesetzlichen Regelungen – im Gegensatz zu denen unserer Nachbarländer – keineswegs nur auf die Situation einer schweren, unheilbaren und absehbar zum Tode führenden Erkrankung beschränkt sein dür- fen, sondern die Suizidassistenz ebenso auch Gesunden zusteht. Ärztliche Assis- tenz bei der Umsetzung eines Suizidwunsches eines gesunden Menschen? Es besteht kein Zweifel, dass die Äußerung eines Suizidwunsches Ausdruck einer Notlage ist, in der wir als Ärzt:innen unsere Hilfe anbieten werden. Auch gehört selbstverständlich die Begleitung Sterbender inklusive der Linderung ihrer Be- schwerden und Leiden zu den ärztlichen Aufgaben. Und es mag bei schwerer oder unerträglicher Erkrankung nach wohlabgewogener ärztlicher Gewissensentschei- dung im Einzelfall die Mitwirkung an einem Suizid möglich sein. Aber es dürfte kaum mit dem ärztlichen Berufsethos vereinbar sein, dass Ärzt:innen, die dem Leben und der Gesundheit der Patient:innen verpflichtet sind, Personen bei der Umsetzung ihrer Suizidwünsche helfen, die im Wesentlichen körperlich und see- lisch gesund sind. Wie definiert sich also unsere Rolle beim assistierten Suizid? Wir müssen unsere Haltung finden. Ihr 3
Inhalt EDITORIAL POLITIK & PRAXIS Begrüßung von Jörg Weimann 3 An wen kann ich delegieren? 34 Nicht-ärztliche:r Praxisassistent:in – eine Fortbildung im Porträt KURZ NOTIERT Überprüfung, Beratung und 36 Aktuelles / Nachrichten 6 fachlicher Austausch Ehrenamtliche Gutachter:innen für die ÄSQSB gesucht AUS DER KAMMER „Für uns sind die ‚Babylotsen‘ Teil des 37 Therapieziel Tod – von der Herausforderung 22 medizinischen Gesundheitssystems“ des ärztlich assistierten Suizids Von Heike Grosse Bericht von der Delegiertenversammlung am 16. November 2022 Personalien 41 Von Ole Eggert Christoph Seidler zum 80. Geburtstag Weiterbilden mit der 26 CIRS Berlin 42 neuen Weiterbildungsordnung Verabreichung von Metamizoltropfen Veranstaltungen zur ärztlichen Weiterbildung 27 „Das Leben ist zu kurz fÜr 43 langweile Fortbildungen“ Bestandene Facharztprüfungen 28 Von René Pschowski November und Dezember 2022 Ärztliche Fortbildung 31 KULTUR & GESCHICHTE Veranstaltungen zur ärztlichen Fortbildung Freitagabend. 44 Tischgespräche von Eva Mirasol Medizinische Fachangestellte 33 Veranstaltungshinweise Impressum 45 Titelbild und fotografische Begleitung des Titelthemas Dr. med. Thomas Schindler ist Arzt für Allgemeinmedizin mit Schwerpunkt Palliativmedizin. Er betreut mehrere Tage pro Woche unheilbar Kranke in ihrem häuslichen Umfeld. OSTKREUZ-Fotografin Sibylle Fendt hat ihn begleitet. → www.instagram.com/aekberlin → www.twitter.com/aekberlin 4
BERLINER ÄRZT:INNEN AUSGABE 1 / 2023 IM FOKUS Bis zuletzt. Wie können Ärzt:innen 12 Menschen am Lebensende beistehen? Was juristisch und politisch zum Thema „assistier ter Suizid“ entschieden wird, ist für Ärzt:innen von höchster Bedeutung. Drei Gesetzentwürfe und etliche Stellungnahmen liegen inzwischen dazu vor. Zudem diskutiert ein Arbeitskreis der Ärzte kammer Berlin offene Fragen und bereitet berufs rechtlich relevante Empfehlungen vor. Von Dr. Adelheid Müller-Lissner Die meisten Patient:innen be- sucht Dr. med. Thomas Schindler in ihrem Zuhause. Sein Anliegen ist es, dass sie den letzten Ab- schnitt ihres Lebens in ihrem gewohnten Umfeld verbringen können, möglichst schmerzfrei und selbstbestimmt. 5
KURZ NOTIERT Kammerwahl 2023 Personalisierte Wahlwerbung erhalten? So können Sie der Auskunftserteilung widersprechen Im Herbst 2023 findet die Wahl zur 16. Delegiertenversamm- In diesem Fall werden Ihre Daten nicht herausgegeben. Sie lung (DV) der Ärztekammer Berlin statt. Verschiedene be- erhalten keine postalische Wahlwerbung, können sich aber rufspolitische Listen werden als sogenannte Wahlvorschläge auf unserer Webseite → www.aekb.de oder in der Mitglieder- um die 45 zur Wahl stehenden Sitze in der DV konkurrieren. zeitschrift „Berliner Ärzt:innen“ über die Wahlvorschläge und ihre Bewerber:innen informieren. Um sich und ihr Wahlprogramm zu präsentieren und so Stim- men für ihren Wahlvorschlag zu sammeln, werden die Listen So können Sie der Auskunftserteilung Wahlwerbung machen. Gegebenenfalls möchten sie hierfür widersprechen wahlberechtigte Kammermitglieder anschreiben. Dazu kön- Sie können Ihren Widerspruch bis zum 31. August 2023 on- nen sie von der Ärztekammer Berlin die nachfolgend aufge- line vornehmen. Dazu benötigen Sie einen personalisierten führten Daten von Gruppen von Wahlberechtigten verlangen, Zugriffscode. Diesen Code und eine Anleitung zum Vorgehen soweit diese der Auskunftserteilung nicht widersprochen erhalten Sie zusammen mit Ihren Beitragsunterlagen. haben: Sie können Ihren Widerspruch über den 31. August → Vor- und Nachnamen 2023 hinaus auch mit einem Widerspruchsformular → derzeitige Anschriften schriftlich erklären. Weitere Informationen dazu entnehmen → Weiterbildungsanerkennungen Sie bitte ebenfalls Ihren Beitragsunterlagen. → akademische Grade und Titel Sofern Ihr Widerspruch nach dem 31. August 2023 bei uns Die Daten dürfen nur für Zwecke der Wahlwerbung verwen- eingeht, kann eine Auskunftserteilung bereits stattgefunden det werden; sie sind spätestens einen Monat nach dem Ende haben. Ihr Widerspruch kann dann gegebenenfalls erst für des Wahlzeitraums zu löschen. Die Rechtsgrundlage für diesen folgende Auskunftserteilungen berücksichtigt werden. Vorgang findet sich in § 5 Absatz 9 Berliner Heilberufekammer- gesetz in Verbindung mit § 14 Absatz 4 und 5 Ordnung für die Ihr Widerspruch gilt für sämtliche Wahlen zur Delegierten- Wahl zur Delegiertenversammlung der Ärztekammer Berlin versammlung der Ärztekammer Berlin, solange, bis Sie ihn (Wahlordnung). wieder zurücknehmen. Die Widerspruchserklärung kann nur einheitlich abgegeben und nicht auf bestimmte Wahl- Widerspruch vorschläge beschränkt werden. ∕ Wenn Sie nicht möchten, dass Ihre Daten von der Ärztekam- mer Berlin an die Wahllisten zum Zwecke der Wahlwerbung Kammermitgliedschaft / Berufsbildung / herausgegeben werden, können Sie dem widersprechen. EU- und Kammerrecht (KBR) Anzeige 6
STELLENANGEBOT Zur Verstärkung unserer Abteilung 2 - Fortbildung / Qualitätssicherung suchen wir zum nächstmöglichen Zeitpunkt einen Arzt (m/w/d) für die ärztliche Fortbildung in Teilzeit (50 Prozent), zunächst befristet für 24 Monate. Eine langfristige Zusammenarbeit wird angestrebt. Ihre Aufgaben: → Erstellung von Bescheiden und Bearbeitung von Widersprüchen bei Anträgen zur CME-Anerkennung ärztlicher Fortbildungsmaßnahmen entsprechend der Fortbildungsregularien der Ärztekammer Berlin → fachliche Unterstützung der Sachbearbeitung bei der Bearbeitung von CME-Anträgen und Fortbildungspunktekonten der Kammermitglieder → Entwicklung neuer Fortbildungsangebote im Kontext der ärztlichen Berufsausübung → Bearbeitung fortbildungsrelevanter Themen und Anfragen sowie weiterer Fragestellungen im Kontext der ärztlichen Berufsausübung → Vorbereitung und Umsetzung von Entscheidungen der zuständigen Gremien der Ärztekammer Berlin Sie arbeiten in einem engagierten Team. Gelegentlich sind Abend- und Samstagstermine wahrzunehmen. Ihre persönlichen und beruflichen Kompetenzen: → abgeschlossenes Hochschulstudium der Humanmedizin, idealerweise mit mehrjähriger Berufserfahrung → hohes Interesse an qualitativ hochwertigen ärztlichen Fort- und Weiterbildungsangeboten sowie an Verwaltungs- und Gremienarbeit → hohes Verantwortungsbewusstsein, methodisches Vorgehen sowie eine strukturierte ergebnisorientierte und sorgfältige Arbeitsweise → sehr gute Deutschkenntnisse mit einer sicheren Ausdrucksfähigkeit in Wort und Schrift → kompetentes und teamorientiertes Auftreten mit hoher Dienstleistungsorientierung → sicherer Umgang mit Standardsoftware, insbesondere MS Office-Produkten Unser Angebot: → anspruchsvolle selbstständige Tätigkeit in einem wertschätzenden Arbeitsumfeld → Teilzeit mit 19,25 Std./Woche sowie 30 Tage Urlaub im Jahr (bei einer 5-Tage-Woche) → im öffentlichen Dienst angemessene Vergütung, Urlaubsgeld und „Weihnachtsgeld“, betriebliche Altersvorsorge (VBL), Kinderzulage, vermögenswirksame Leistungen → flexible Arbeitszeiten zur Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben unter Berücksichtigung dienstlicher Belange → gründliche Einarbeitung sowie bedarfsgerechte Fortbildungsangebote → modern und kommunikativ ausgerichtetes Arbeitsplatzkonzept → gute Verkehrsanbindung sowie ein Arbeitgeberzuschuss zum Firmenticket → Beschäftigung bei einer zuverlässigen und sicheren Arbeitgeberin Haben wir Ihr Interesse geweckt? Die vollständige Anzeige finden Sie auf unserer Website → www.aekb.de/stellenangebote. Dort können Sie sich bis zum 28. Februar 2023 direkt online über unser Bewerbungsportal bewerben. Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung! Hinweise: Die Ärztekammer Berlin gewährleistet unabhängig vom Geschlecht die berufliche Gleichstellung und fördert die Vielfalt unter den Beschäftigten. Schwerbehinderte werden bei gleicher Eignung, Befähigung und Leistung besonders berücksichtigt. 7
KURZ NOTIERT Veranstaltung Medizinische Versorgung von Wohnungslosen – Was kann ich konkret tun? Fast 50.000 Menschen in Ber- Termin: lin sind Schätzungen zufolge Mittwoch, 22. März 2023 von 19:30 bis 21:00 Uhr wohnungslos. Oft haben sie keinen Zugang zu einer ange- Programm: messenen medizinischen Ver- → 19:30–19:40 Uhr Foto: Johanna Maria Fritz, sorgung. Und obwohl viele Grußwort OSTKREUZ / Ärztekammer Berlin Ärzt:innen Interesse und Be- PD Dr. Peter Bobbert, Präsident der Ärztekammer Berlin reitschaft haben, sich in die- → 19:40–19:55 Uhr sem Bereich zu engagieren, fehlen oftmals Informationen Clearingstelle für nicht krankenversicherte Menschen über die Möglichkeiten dazu. Nicht selten bestehen auch Be- Louise Zwirner, Leitung Clearingstelle, Berliner Stadt- denken zum richtigen Umgang mit den Betroffenen. mission, und Dr. med. Volker Westerbarkey MScIH, Facharzt für Allgemeinmedizin Daher möchten wir Ihnen die Möglichkeit geben, sich unver- → 19:55–20:10 Uhr bindlich zu informieren und in den Austausch zu gehen. Sie Mitarbeit in der Ambulanz der Berliner Stadtmission sind daher herzlich zur Teilnahme an der Informationsver- Svetlana Krasovski-Nikiforovs, Leitung Ambulanz, anstaltung eingeladen: Berliner Stadtmission → 20:10–20:25 Uhr Mitarbeit im Arztmobil der Caritas Martin Weber, Projektleitung Caritas Ambulanz & Anzeige Arztmobil → 20:25–20:40 Uhr Erfahrungsbericht Dr. med. Peter Schüller, Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten → 20:40–21:00 Uhr Fragen Die Veranstaltung findet in der Ärztekammer Berlin statt: Friedrichstraße 16, 10969 Berlin. Um vorherige Anmeldung per E-Mail an E stabsstelle@aekb.de wird gebeten. ∕ Anzeige 8
KURZ NOTIERT Bundesinstitute Forum für den Öffentlichen Gesundheitsdienst Das Forum für den Öffentlichen Gesundheitsdienst wird vom den Teilnehmenden und Fachleuten anderer Institute zum 19. bis 21. April 2023 gemeinsam vom Robert Koch-Institut Themenkomplex Klimaschutz/Klimaanpassung und Gesund- (RKI), dem Umweltbundesamt (UBA) und dem Bundesinsti- heit ins Gespräch kommen. Weiterhin informiert das UBA tut für Risikobewertung (BfR) angeboten. An der Veranstal- unter anderem über den Entwurf zur neuen EU-Luftqualitäts- tung können Interessierte online teilnehmen. Die Möglichkeit Direktive, das BfR über den Nutzen und die Risiken von Vita- einer Teilnahme vor Ort ist geplant. Sollte diese möglich sein, min D-Präparaten und das RKI über Integrierte Molekulare ist der Veranstaltungsort der Hörsaal des BfR im Dieders- Surveillance (IMS) verschiedener Krankheitserreger. Zudem dorfer Weg 1, 12277 Berlin-Marienfelde. bietet das RKI am Mittwochmorgen einen Online-Workshop zur Kommunikations- und Kollaborationsplattform Agora an Die Veranstaltung richtet sich an Mitarbeitende von Gesund- (Anmeldung erforderlich) an. heitsämtern, Medizinalämtern, veterinärmedizinischen und chemischen Untersuchungsämtern, an Hygienebeauftragte Die Anerkennung als Fortbildung für Ärztinnen und Ärzte und von Krankenhäusern sowie an Mitarbeitende anderer staat- die ATF-Anerkennung für Tierärztinnen und Tierärzte werden licher Einrichtungen. In den drei Tagen stellen die Bundes- beantragt. Weiterhin ist die Zertifizierung durch die Apothe- institute Arbeitsergebnisse, Forschungen und aktuelle The- kerkammer und die Zertifizierungsstelle für die Fortbildung men aus ihren jeweiligen Aufgabenbereichen vor: das Um- von Lebensmittelchemiker:innen geplant. Die Teilnahme ist weltbundesamt zu umweltbedingten Gesundheitsrisiken, kostenfrei, aber nur nach einer Anmeldung möglich. Das voll- das Robert Koch-Institut zu Public Health, Infektionen und ständige Programm des Forums für den Öffentlichen Gesund- Hygiene und das Bundesinstitut für Risikobewertung zur heitsdienst 2023 sowie das Anmeldeformular finden Inter- Sicherheit von Lebensmitteln und verbrauchernahen Pro- essierte unter → www.bfr-akademie.de/deutsch/ dukten. oegd2023.html. Geplant sind institutsübergreifende Themenblöcke zu den Bei weiteren Fragen wenden Sie sich gerne per E-Mail an die Themen Antibiotikaresistenz, Salmonellen sowie der Nut- BfR-Akademie: E akademie@bfr.bund.de. ∕ zung aufbereiteter Abwässer in der Landwirtschaft. Bei ei- ner Podiumsdiskussion wollen die Veranstalter:innen mit Anzeige 10
BERLINER ÄRZT:INNEN AUSGABE 1 / 2023 Leitungswechsel und neue Strukturen Aus Berliner Krankenhäusern wurden Berliner uns folgende Änderungen gemeldet: Ärzt:innen können Sie auch auf Informationen über Veränderungen bitte an: E redaktion@aekb.de unserer Website lesen: → www.aekb.de/mitgliederzeitschrift St. Joseph Krankenhaus Berlin Tempelhof Dr. med. Caroline Schmitt hat zum an verschiedenen Universitätsklini- 1. Januar 2023 die Position der Chef- ken tätig. An der Mariahilf Klinik leite- ärztin der Klinik für Kinder- und Jugend- te Schmitt die Arbeitsgruppe Neona- medizin im St. Joseph Krankenhaus tologie des Helios Konzerns und war Berlin Tempelhof übernommen. Sie Erste Vorsitzende der Vereinigung folgt auf Dr. med. Beatrix Schmidt, Hamburger Kinderärzte. Schmitt ver- Sagen Sie uns Ihre Meinung zu den die in den Ruhestand gegangen ist. Seit fügt über die Schwerpunktbezeichnun- Artikeln in „Berliner Ärzt:innen“. Was 2014 war Schmitt Chefärztin der Pä- gen Neonatologie sowie Kinderkardi- gefällt Ihnen, was nicht und vor allem, diatrie an der Helios Mariahilf Klinik ologie und die spezielle Weiterbildung welche Themen fehlen Ihnen? Hamburg und davor rund 20 Jahre Pädiatrische Intensivmedizin. ∕ Schreiben Sie uns: E redaktion@aekb.de Anzeige 11
IM FOKUS Bis zuletzt. Was juristisch und politisch zum Thema „assistierter Suizid“ entschieden wird, ist für Ärzt:innen von höchster Bedeutung. Drei Gesetzentwürfe und etliche Stellung nahmen liegen inzwischen dazu vor. Ein Arbeitskreis der Ärztekammer Berlin dis kutiert die offenen Fragen und bereitet berufsrechtlich relevante Empfehlungen vor. Text: Dr. Adelheid Müller-Lissner Fotos: Sibylle Fendt, OSTKREUZ / Ärztekammer Berlin Dr. med. Thomas Schindler be- treut seit 1995 unheilbar Kranke in ihrer vertrauten häuslichen Umgebung. Berlin war damals Vorreiter in der ambulanten Palliativmedizin. Seit 2007 haben Betroffene in Deutschland einen gesetzlichen Anspruch auf „Spezialisierte Ambulante Pallia- tivversorgung“ (SAPV). Neben der medizinischen Versorgung bringt Schindler vor allem Zeit mit. Er hört zu und spricht mit seinen Patient:innen über deren Alltag, über Schmerzen und kör- perliche Schwäche, über ihre Ängste. 12
BERLINER ÄRZT:INNEN AUSGABE 1 / 2023 Es ist erst sieben Jahre her, dass der Deutsche Bundestag Schutz des Lebens auflöst.“ Dazu will diese Gruppe um Prof. dieses Gesetz verabschiedete: Am 3. Dezember 2015 wurde Dr. Lars Castellucci (SPD) und Ansgar Heveling (CDU) einen Bei- mit dem „Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen För- trag mit ihrem Entwurf leisten. Es treibt sie die starke Sorge, derung der Selbsttötung“ dem deutschen Strafgesetzbuch die „autonome Selbstbestimmung Dritter“ könne negativ (StGB) der Paragraf 217 hinzugefügt. Nicht zuletzt wegen der beeinflusst werden, wenn es in einer Gesellschaft leicht vielen gesellschaftlichen – auch ärztlich-berufspolitischen – möglich ist, geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung in An- Debatten, die dem vorausgingen, ist das noch vielen Ärzt:in- spruch zu nehmen. Und wenn das Erwartungshaltungen ge- nen sehr präsent. genüber Schwerkranken beeinflusst. „Das Ausschlagen von Suizidangeboten darf nicht rechtfertigungsbedürftig werden.“ Wahrscheinlich ist es durch die Wirren der Corona-Anfangs- Die Abgeordneten schlagen deshalb vor, einen veränderten, zeit zu erklären, dass ein Urteil des Bundesverfassungsge- mit einer Ausnahmeregelung versehenen Paragrafen 217 im richtes (BVerfG) vom 26. Februar 2020 zunächst weniger Auf- Strafgesetzbuch zu behalten. Das verschafft ihnen eine Son- sehen erregte. Angesichts seines Inhalts ist das dennoch er- derstellung unter den drei vorliegenden Gesetzentwürfe zu staunlich. Denn durch das Urteil wurde das Gesetz von 2015 diesem Thema. samt der Ergänzung im StGB als mit dem Grundgesetz und dem dort formulierten Schutz der Persönlichkeitsrechte un- Nur wenn folgende Bedingungen erfüllt sind, soll es straffrei vereinbar und damit für nichtig erklärt. Somit ist die „ge- möglich sein, einem anderen Menschen beim Suizid zu helfen: schäftsmäßige“ Suizidhilfe, also eine auf wiederholte Hilfe Zunächst müsse „nach einer in der Regel zweimaligen Un- zur Selbsttötung angelegte Tätigkeit von Organisationen, tersuchung durch einen Facharzt / eine Fachärztin für Psy- Vereinen und Einzelpersonen, grundsätzlich wieder straf- chiatrie und Psychotherapie im Abstand von drei Monaten“ frei möglich. festgestellt werden, dass die Entscheidung zur Selbsttötung frei verantwortlich getroffen wurde. Zweitens sei dann eine Für den Gesetzgeber ging es in gewisser Weise wieder zu- „umfassende ergebnisoffene Beratung in einem auf die Si- rück zum Start, wenn auch auf einer neuen Ebene, denn das tuation des/der Betroffenen angepassten interdisziplinären BVerfG hat klare Worte zum Recht auf eine selbstbestimmte Ansatz“ erforderlich. Insbesondere bei Vorliegen einer nicht Sterbeentscheidung gesprochen. Auch die Ärzt:innenschaft heilbaren, fortschreitenden und weit fortgeschrittenen Er- ist von den Entwicklungen unmittelbar betroffen. „Wenn krankung und einer begrenzten Lebenserwartung könne die wir gar nichts täten, hätten wir den Status quo ante, ohne Freiverantwortlichkeit der Entscheidung über die Selbsttö- ein Schutzkonzept. Das können wir als Ärzte nicht wollen“, tung im Ausnahmefall auch nach einem einzigen Untersu- sagte der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. med. chungstermin getroffen werden. Drittens sieht dieser Ent- Klaus Reinhardt im Oktober bei einer Veranstaltung der Reihe wurf flankierend ein strafbewehrtes Verbot für bestimmte „BÄK im Dialog“. Formen der Werbung der Hilfe zu Selbsttötung vor, „um der gesellschaftlichen Normalisierung der Hilfe zur Selbsttötung Drei Gesetzentwürfe wirksam entgegenzuwirken“. Bei einer öffentlichen Anhörung Auch der Staat könne das nicht wollen, denn er habe in dieser des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags Ende Frage eine Schutzpflicht gegenüber den Sterbewilligen, be- November 2022 wurde allerdings deutlich, dass dieser „Cas- tont eine Gruppe von mehr als 100 Bundestagsabgeordneten tellucci“-Entwurf nach Ansicht mehrerer juristischer Expert:in- in der Einleitung zu einem von ihnen eingebrachten Gesetz- nen nur schwer mit dem Verständnis des BVerfG von einem entwurf mit dem sperrigen, aber informativen Titel „Ent- Recht auf selbstbestimmtes Sterben in Einklang zu bringen wurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen ist – im Unterschied zu den beiden anderen Entwürfen. Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung der Freiverant- wortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung“. Die Schutz- Kriterium „gegenwärtige medizinische Notlage“ pflicht des Staates beinhalte es, „dafür Sorge zu tragen, dass Unter den Kurztitel „Selbstbestimmtes-Sterben-Gesetz“ stel- der Entschluss zur Selbsttötung nicht nur auf einer vorüber- len rund 50 Abgeordnete um Renate Künast (Bündnis 90 / gehenden Lebenskrise oder auf einer psychosozialen Ein- Die Grünen) und Dr. Nina Scheer (SPD) ihren Gesetzesvor- flussnahme beruht und keine psychische Erkrankung oder schlag. Als Ziel wird gleich zu Beginn der sichere Zugang zu eine mangelnde Aufklärung und Beratung dem Selbsttötungs- bestimmten Betäubungsmitteln genannt, mit denen sich Be- entschluss zugrunde liegt“. troffene ihren Suizidwunsch erfüllen können. Dabei unter- scheiden die Autor:innen deutlich zwischen zwei Gruppen Diese staatliche Schutzpflicht bedürfe der Ausgestaltung und von Betroffenen: Menschen, die ihren Tod aufgrund einer Konkretisierung. „Es ist daher Aufgabe des Gesetzgebers, schweren Krankheit, also aus einer „gegenwärtigen medi- ein konsistentes Regelungskonzept zu entwickeln, welches zinischen Notlage“ heraus anstreben, und anderen, die das das Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmung und ohne eine solche Lebenssituation tun. Nur im ersten Fall 13
IM FOKUS soll die Ärzt:innenschaft bei der Prüfung der Frage, ob das festzulegen. Staatlich anerkannte, wohnortnahe Beratungs- „benötigte Hilfsmittel“ zur Verfügung gestellt werden sollte, stellen, die auch von freien Trägern oder von Ärzt:innen ein- eine entscheidende Rolle spielen. Als Hilfsmittel wird hier gerichtet werden können, aber auf jeden Fall unabhängig ausdrücklich das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital von Einrichtungen mit dem Angebot zur Suizidhilfe arbeiten genannt. müssen, sollen Suizidwillige umfassend informieren und be- raten. Ärztinnen und Ärzte wiederum dürften, anschließend Den Initiator:innen dieses Entwurfes ist es wichtig, dass im an eine höchstens acht Wochen, mindestens aber zehn Tage zweiten Fall, also bei gesunden Sterbewilligen, höhere An- zurückliegende Beratung, einer Person, „die aus autonom forderungen an die Betroffenen gestellt werden, was die gebildetem, freiem Willen ihr Leben im Sinn des § 3 beenden glaubhafte Darlegung des Sterbewunsches, seiner Ursache möchte“, ein Arzneimittel zum Zweck der Selbsttötung ver- und seiner Dauerhaftigkeit betrifft. Schon wegen des „Selbst- schreiben. Details dieser Suizidhilfe per Rechtsverordnung bildes der Ärzteschaft“ dürften diese in solchen Fällen ohne zu regeln, etwa zur fachlichen Qualifikation der Ärzt:innen, medizinische Notlage nicht in eine entscheidende Rolle ge- zu Meldepflichten und zur Vergütung, soll nach dem Willen drängt werden. Wichtig seien dagegen zugelassene Bera- dieser Gruppe von Abgeordneten Aufgabe des Bundesge- tungsstellen und eine Landesstelle, die jeweils für den Zu- sundheitsministeriums sein. Das Betäubungsmittelgesetz gang zum Betäubungsmittel zuständig ist. soll so verändert werden, dass es die ärztliche Verschreibung der nötigen Medikamente ermöglicht. Neben einem jährlichen Das „Selbstbestimmte-Sterben-Gesetz“ enthält zudem eine Bericht der Bundesregierung über vorgenommene Beratun- Pflicht zur Evaluierung: Spätestens drei Jahre nach Inkraft- gen und Verschreibungen sieht der Gesetzentwurf ebenso treten soll nach dem Willen der Verfasser:innen die Bundes- wie der von Künast und Scheer eine Evaluierung der Wirk- regierung dem Parlament über die Auswirkungen Bericht samkeit des Gesetzes vor, erstmals nach drei Jahren. Als ein- erstatten. Werbung in grob anstößiger Weise für Leistungen ziger Entwurf enthält der von Helling-Plahr, Lauterbach und im Rahmen des Gesetzes soll als Ordnungswidrigkeit ge- Sitte auch die Einschränkung der Gültigkeit für Menschen ahndet werden. „mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Deutsch- land“. So möchte man verhindern, dass die Bundesrepub- Suizidhilfe per Rechtsverordnung lik zum „Land des internationalen Sterbetourismus“ wird. Der dritte Entwurf, vorgebracht unter dem Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Suizidhilfe“ von rund 80 Änderung der (Muster-)Berufsordnung Abgeordneten um Katrin Helling-Plahr, Prof. Dr. med. Karl Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes bestand Lauterbach (SPD) und Dr. Petra Sitte (Die Linke), setzt schon auch berufspolitisch Handlungsbedarf. Am 5. Mai 2021 wurde in seiner Wortwahl und mit der vorangestellten Problem- beim 124. Deutschen Ärztetag beschlossen, das ausdrück- beschreibung einen deutlich anderen Akzent: Wenngleich liche berufsrechtliche Verbot ärztlicher Suizidhilfe aus der seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes die Beihilfe (Muster-)Berufsordnung der Bundesärztekammer heraus- zur Selbsttötung (wieder) legal ist, bestünden noch immer zunehmen. Der Satz „Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung faktische Hürden, betonen die Autor:innen. „Menschen, die leisten“ entfiel damit. In der (Muster-)Berufsordnung der Bun- sehnlichst sterben möchten und Menschen, die bereit sind, desärztekammer heißt es nun unter § 16: „Ärztinnen und Hilfe zur Selbsttötung zu leisten, sehen sich insoweit einer Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und nicht hinreichend geregelten Rechtsmaterie ausgesetzt. So unter Achtung ihres Willens beizustehen.“ Und, mit ausdrück- ist es beispielsweise weiterhin nicht möglich, Medikamente lichem Bezug auf die strafbare „Tötung auf Verlangen“: „Es zur Selbsttötung zu erhalten.“ Ziel des Gesetzentwurfes sei ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Ver- es, unter diesen Umständen das Recht auf einen selbstbe- langen zu töten.“ stimmten Tod legislativ abzusichern und klarzustellen, dass die Hilfe zur Selbsttötung straffrei möglich ist. Mit dem Gesetz- Zudem dürfe es niemals Aufgabe der Ärzt:innenschaft sein, entwurf wolle man den vom Bundesverfassungsgericht dar- für Nichterkrankte eine Indikation, Beratung oder gar Durch- gebotenen Normierungsspielraum nutzen, „um Menschen, führung eines Sterbewunsches zu vollziehen. Der Antrag die ernstlich sterben möchten und diesen Wunsch frei und hierzu kam aus Berlin. eigenverantwortlich im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte ge- bildet haben, ebenso wie Personen, die zur Hilfe bereit sind, Rein gesetzestechnisch betrachtet befindet sich unser Land einen klaren Rechtsrahmen zu bieten.“ nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes auf dem Stand vor der Verabschiedung des Gesetzes von 2015. Doch in Den „Normierungsspielraum“ nutzen die Abgeordneten, der Diskussion hat sich viel getan. Zum Beispiel liegt seit dem die hinter diesem dritten Entwurf stehen, um gesetzlich 22. September 2022 eine ausführliche Stellungnahme des eine durch die Länder organisierte Beratungsinfrastruktur Deutschen Ethikrates mit dem Titel „Suizid – Verantwortung, 14
BERLINER ÄRZT:INNEN AUSGABE 1 / 2023 „Weniger als ein Prozent der in der SAPV versorgten unheilbaren Patient:innen verlangt ernsthaft eine vorzeitige Lebensbeendigung im Sinne eines assistierten Suizides. Palliativmediziner:innen sind der Linderung von Leid am Lebensende verpflichtet – sie sind keine Suizid-Expert:innen, werden aber immer häufiger in diesem Kontext angesprochen. Allein ihrem Gewissen werden sie zu folgen haben bei der Frage, ob sie einem unheilbar kranken Menschen am Lebensende tödlich wirkende Mittel verschreiben. In ihrer Entscheidung für oder gegen eine solche Hilfestellung sind sie zu respektieren.“ Dr. med. Thomas Schindler In der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) arbeiten Ärzt:innen, Pflegekräfte und andere an der Betreuung beteiligte Bereiche eng zusammen, um die Lebensqualität und Selbstbestimmung unheilbar kranker Menschen so gut wie möglich zu erhalten, zu fördern und zu verbessern. SAPV-Ärzt:innen wie Dr. med. Thomas Schindler ermöglichen ihnen ein menschenwürdiges Leben in ihrer vertrauten Umgebung. Koordiniert und gefördert wird die spezialisierte ambulante Palliativversorgung unter anderem vom Home Care Berlin e. V., der seit 30 Jahren in der Hauptstadt aktiv und dessen Vor- sitzender Schindler ist. Der Verein macht Betroffenen, Angehörigen und professionellen Helfenden vielfältige Unterstüt- zungsangebote. Am 28. April 2021 hat sein Vorstand eine Stellungnahme zur gesellschaftlichen Debatte über die gesetz- lichen Regelungen im Zusammenhang mit Suizidhilfe abgegeben. Diese wird im Februar 2023 in Bezug auf die aktuell vor- liegenden Gesetzentwürfe aktualisiert und ist dann auf der Website → www.homecareberlin.de einsehbar. 15
IM FOKUS Suizide verhindern Zeitgleich mit den drei Anträgen zur Regelung der Suizid- zur Fortbildung über Hintergründe der Suizidalität und in beihilfe wurde dem Deutschen Bundestag ein fraktions- der ärztlichen Gesprächsführung bekommen. „Man sollte übergreifender Gruppenantrag „Suizidprävention stärken das Recht haben zu sagen: Ich will nicht mehr leben. Aber und selbstbestimmtes Leben ermöglichen“ vorgelegt. man sollte dann Hilfe bekommen“, forderte Hegerl. Dieses Anliegen wurde auch in einer Veranstaltung der Reihe „BÄK im Dialog“ der Bundesärztekammer im Oktober 2022 Der Psychiater lenkte den Blick auch auf die Situation in deutlich. Auf keinen Fall dürfe der assistierte Suizid als Aus- den Niederlanden, wo seit 2002 ein Gesetz die Zulässigkeit gleich von Versorgungsdefiziten dienen, wurde hier ge- von assistiertem Suizid und Tötung auf Verlangen regelt. fordert. Der Psychiater Prof. Dr. med. Ulrich Hegerl, Vor- Auch dort war die Zahl der „harten“, gewaltsamen Suizide standsvorsitzender der „Stiftung Deutsche Depressionshilfe in den Jahrzehnten zuvor zurückgegangen. Seit 2002 sind und Suizidprävention“ sowie der „European Alliance Against die Zahlen jedoch gleich geblieben. Depression“ (EAAD) und Mitglied des Wissenschaftlichen Bei- rats der BÄK, machte bei der Veranstaltung deutlich, dass der „Der assistierte Suizid und die dort ebenfalls mögliche Tö- überwiegende Teil aller Suizide vor dem Hintergrund einer tung auf Verlangen kommen in der Statistik dann noch oben- psychischen Erkrankung, zumeist einer schweren Depres- drauf“, erläutert Prof. Dr. med. Jörg Weimann, Vorsitzender sion, erfolgt. Dass man dagegen etwas tun kann, beweisen des Arbeitskreises „Ärztlich assistierter Suizid“ der Ärzte die Zahlen: Seit dem Jahr 1980 ist die Zahl der Selbsttö- kammer Berlin. Der weit überwiegende Teil der Menschen, tungen erheblich zurückgegangen, zugleich suchen mehr die von einer dieser Möglichkeiten Gebrauch machen, leidet Menschen Hilfe wegen einer Depression. Diese Hilfen müss- an einer Krebserkrankung. Weimann hat diese Entwicklung ten aber auf verschiedenen Ebenen weiter ausgebaut wer- für „Berliner Ärzt:innen“ mit einer eigenen Grafik veran- den. Ärztinnen und Ärzte müssten verstärkt Möglichkeiten schaulicht (siehe Seite 21). Prävention und Freiverantwortlichkeit“ und schon etwas Debatten im Arbeitskreis „Ärztlich assistierter Suizid“ länger, seit Juli 2021, ein Diskussionspapier der Nationalen Auch in der Ärztekammer Berlin wird intensiv diskutiert, wie Akademie der Wissenschaften Leopoldina zur „Neuregelung sich die Lage nach dem Urteil des Bundesverfassungsge- des assistierten Suizids“ als „Beitrag zur Debatte“ vor. Die richtes darstellt. Im Herbst 2021 wurde beschlossen, dass Akademie wünscht sich einen „breiten gesellschaftlichen die Berufsordnung der Kammer unverändert bestehen Diskurs“ zu dem Thema. bleibt, bis die Gesetzeslage klar ist. Da die Berufsordnung im Unterschied zu den Festlegungen anderer Landesärzte- Die Bundesärztekammer wiederum hat sich am 23. Novem- kammern eine „Sollbestimmung“ und kein ausdrückliches ber 2022 mit einem Papier zur Bewertung der drei neuen Verbot enthält („Ärzte sollen keine Hilfe zur Selbsttötung Gesetzentwürfe und mit detaillierten Änderungswünschen leisten“ statt „Ärzte dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leis- eingebracht. Sie begrüßt ausdrücklich, dass alle Entwürfe ten“), besteht nach Auskunft der Juristin Martina Jaklin, Lei- eine verpflichtende Beratung sowie ein Schutzkonzept vor- terin der Abteilung Berufs- und Satzungsrecht der Ärzte- sehen und dass im Castellucci-Vorschlag die Fachlichkeit kammer Berlin, etwas mehr Spielraum und kein akuter Hand- von Psychiater:innen einbezogen ist. Am Künast-Entwurf lungsbedarf. Die Ärztekammer Berlin hat also bisher noch wird die deutliche Unterscheidung zwischen schwer kran- keine Änderungen an ihren Regelungen zum ärztlich assis- ken Menschen mit Sterbewunsch und solchen, die sich aus tierten Suizid vorgenommen. Sie hat aber einen Arbeitskreis anderen Gründen Assistenz beim Suizid wünschen, lobend eingerichtet, der Vorschläge zur Anpassung der Berufsord- hervorgehoben. Die Bundesärztekammer begrüßt, dass nung erarbeitet. Ärzt:innen nur bei der Prüfung von Fällen aus der ersten Grup- pe eine entscheidende Rolle spielen sollen. Generell spricht Diskussionsbedarf besteht durchaus: Prof. Dr. med. Jörg sie sich dafür aus, auch ältere, schwerkranke Jugendliche Weimann, Chefarzt der Anästhesie und Intensivmedizin am in die Überlegungen einzubeziehen, und auf jeden Fall sei Sankt Gertrauden-Krankenhaus, berichtet von zum Teil kon- eine umfassende und fortlaufende Evaluation nötig, die im troversen Debatten im interfraktionellen Arbeitskreis „Ärzt- Castellucci-Entwurf nicht vorgesehen ist. Kurz: Keiner der lich assistierter Suizid“ der Ärztekammer Berlin, dessen Vor- vorgelegten Entwürfe genügt allen Anforderungen, die im sitzender er ist. Als besonders aufwühlend empfindet er, Papier der Bundesärztekammer gestellt werden. dass nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, 16
BERLINER ÄRZT:INNEN AUSGABE 1 / 2023 „Suizidprävention muss Normalität werden, Suizidassistenz absolute Ausnahme bleiben“ Ein Gespräch mit Dr. med. Bernd Oliver Maier, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) und Chefarzt Palliativmedizin und Onkologie am St. Josefs-Hospital in Wiesbaden. bleiben werden, in denen der Suizid die Wichtig ist dafür ein erweitertes Ver- tragische und unausweichliche Option ständnis der sozialen und psychischen darstellt. Klar ist: Suizidprävention muss Situation der Betroffenen, denen wir Normalität werden, Suizidassistenz ab- durch das gemeinsame Tragen von Leid solute Ausnahme bleiben. Wenn ein Rückhalt geben müssen. Auf keinen Fall Mensch, der als Arzt oder Ärztin die „Me- wollen wir die „Spezialisten für Sterbe- thodenkompetenz“ für den Umgang mit hilfe“ sein. BOM Dr. med. Bernd Oliver Maier Foto: Reinhard Berg Medikamenten mitbringt, einem ande- ren Menschen dabei hilft, so ist das fak- Welche Gefahren sehen Sie in neuen tisch heute nicht verboten. Diesem Aus- gesetzlichen Regelungen nach dem AML Herr Dr. Maier, was sollten nahmefall wurde mit der Änderung der Urteil des Bundesverfassungsgerich- Ärzt:innen tun, wenn Pati- (Muster-)Berufsordnung ja schon Rech- tes? ent:innen Todeswünsche äußern? nung getragen. Persönlich möchte ich Alle drei Ansätze bieten eine einfache BOM Es gilt zuallererst genau hinzuhö- aber berichten: Ich habe sicher schon Lösung für ein kompliziertes Problem. ren und herauszufinden, was die tausende Menschen beim Sterben be- Schutzkonzepte lassen sich nicht so konkrete Situation ausmacht. Wir soll- gleitet, die Suizidassistenz hat mir im leicht operationalisieren. Man hat dann ten einen solchen Wunsch nicht als Auf- „Repertoire“ meiner ärztlichen Mög- zwar Rechtssicherheit, aber die indivi- trag verstehen, das wäre fast so etwas lichkeiten dabei nicht gefehlt. duelle Bedeutung der Situation erfährt wie ein ärztlicher Kunstfehler. Wir müs- keine Würdigung. Dabei wissen und wür- sen derartige Äußerungen unserer Pa- Ihre Fachgesellschaft bezeichnet digen wir, dass viele Abgeordnete kons- tient:innen auch ein Stück weit diagnos- Palliativmedizin als Teil der Suizid- truktiv um Lösungen ringen. tisch betrachten. Wenn wir als Ärztin- prävention. Warum? nen und Ärzte zum Ausdruck bringen, Es ist ein Teil unserer Arbeit, dass wir Aus unserer Erfahrung heraus erkennen dass ein Todeswunsch uns berührt, und Menschen in Not erleben. Ihre größte wir aber, wie schwierig dieses Unterfan- wenn wir empathisch nachfragen, dann Sorge ist oft eine Zukunft in Abhängig- gen ist. Wir sind aktuell nicht in der Situ- antworten Patient:innen in den aller- keit, mit Schmerzen und mit Demütigun- ation, dass wir schnellstmöglich gesetz- meisten Fällen: Ich will so nicht mehr gen. Wir wissen, dass wir ihnen viel anzu- liche Regelungen brauchen. Die Ärzt:in- leben. Das ist auch als versteckter Auf- bieten haben, wir können ihren Lebens- nen gewinnen dadurch nichts für ihre trag zu verstehen, etwas an der Situa- mut trotz der herausfordernden Situ- praktische Arbeit. Gesetze sollten vor- tion zu verbessern. Allein das Darüber- ation, die durch ihre Krankheit entsteht, dringlich den Regelfall normieren und Sprechen-Dürfen hat für viele Betrof- stärken. Das muss aber viel bekannter nicht einen Ausnahmefall. Also sollten fene eine sehr entlastende Wirkung. Wir gemacht werden, denn noch bestehen wir lieber Maßnahmen anstoßen, mit müssen dem Thema Raum geben, den hier viele falsche Vorstellungen. denen die palliativmedizinische Versor- Äußerungen der Patient:innen respekt- gung und die Suizidprävention verbes- voll begegnen. Wir dürfen Sterbe- und Was ist mit den Menschen, die Unter- sert werden. Neue gesetzliche Gegeben- Todeswünsche nicht banalisieren. stützung beim Suizid wünschen, deren heiten könnten in der aktuellen Situa- Lebenserwartung aber nicht durch tion übrigens den professionell agieren- Werden diese Wünsche durch eine eine schwere Krankheit verkürzt ist? den Sterbehilfeorganisationen nützen, optimale palliativmedizinische Be- Als Palliativmediziner sprechen wir vor denn sie sind am ehesten dazu in der treuung bedeutungslos? allem für lebensbedrohlich Erkrankte. Lage, sich darauf einzustellen. Bevor wir Wir müssen aufpassen, dass wir keine Die Situation ist sicher noch schwieriger, ein schlechtes Gesetz haben, sollten wir palliativmedizinisch motivierten Heils- wenn keine schwere Krankheit Grund für die Diskussion fortsetzen. Die Ärzt:in- versprechen geben. Egal, wie gut wir den Suizidwunsch ist. Das Grundrecht, nenschaft sollte sich aus ihrer eigenen sind, wir werden den Wunsch nach Sui- sich selbst das Leben zu nehmen, be- Meinungshoheit dem Thema stellen und zidassistenz nicht ganz und gar über- steht zwar unabhängig davon, doch der in die Diskussion einsteigen. Wir dürfen flüssig machen. Ich glaube tatsächlich, Mitwirkungsvorbehalt des Arztes spielt uns nicht wegducken. ∕ dass auch dann einige wenige Fälle übrig in diesem Fall eine stärkere Rolle. 17
IM FOKUS oben und unten Der Palliativmediziner ist fast täglich kreuz und quer im Westen der Stadt unterwegs. Seine Patient:innen leben in ihren Wohnungen, in Pflegeeinrichtungen und Hospizen. Schindler kennt ihre Krankheitsverläufe und Tablettendosierungen, genauso wie Interessen und frühere Hobbys. rechte Seite Zusammen mit weiteren Kolleg:innen arbeitet Schindler im „Palliativteam Berlin“. Bei den Team besprechungen zünden sie für jede und jeden Verstorbene:n der vergangenen Woche eine Kerze an. 18
BERLINER ÄRZT:INNEN AUSGABE 1 / 2023 anders als in anderen europäischen Ländern, Menschen un- Sinne der Inkaufnahme einer Nebenwirkung – beschleunigen abhängig von schwerer, lebensbedrohlicher Krankheit ein könnten, die sogenannte indirekte Sterbehilfe. „Der kleine, Recht auf (ärztliche) Assistenz beim Suizid zugesprochen aber gewichtige Unterschied liegt in der Zielrichtung meines wird, auch gesunden Menschen, die keine Patient:innen sind. Tuns“, erläutert Weimann. „Ist das Therapieziel der Tod, oder Weimann hält das eindeutig nicht für eine ärztliche Aufgabe. ist es Schmerz- und Leidensminderung?“ Sein Eindruck von den bisherigen Diskussionen im Arbeits- kreis: „Ärztinnen und Ärzte wollen bei schwer kranken Pa- Derweil sehen sich Ärztinnen und Ärzte in Kliniken und Pra- tient:innen im Einzelfall wohlabgewogene Entscheidungen xen immer wieder mit der Frage nach dem assistierten Suizid treffen können, sie sehen es aber nicht als ihre ärztliche Auf- konfrontiert. „Ich bin froh über jeden, der mich auf das Thema gabe an, gesunden Menschen bei deren Suizid zu assistieren.“ anspricht“, sagt die hausärztlich tätige Internistin und De- legierte Dr. med. Irmgard Landgraf, deren Steglitzer Praxis Die politischen Überlegungen zu einem neuen Gesetz könnten eng mit dem Agaplesion Bethanien Sophienhaus zusammen- die Arbeit von Mediziner:innen konkret betreffen. „Am Ende arbeitet und die seit sieben Jahren palliativmedizinisch tätig gibt es bei allen drei Entwürfen eine Art Papier, mit dem kom- ist (siehe Interview Seite 20). Man müsse sich dann die Zeit men die Menschen dann zu Ihnen“, macht Weimann seinen nehmen, um genau zu erfahren, was hinter dem Sterbewunsch ärztlichen Kolleg:innen die Dringlichkeit der Diskussion deut- steckt. Und man brauche den aufmerksamen Blick für die lich. „Wir werden in der Ärztekammer Berlin beschließen müs- Ambivalenz, die diesen Wunsch in vielen Fällen kennzeichnet. sen, welche Haltung wir dazu einnehmen.“ Im Arbeitskreis werde man weiter diskutieren und überlegen, welche Rege- Problematische Rolle der Sterbehilfeorganisationen lungen man der Delegiertenversammlung und dem Vorstand Der Berliner Internist Dr. med. Michael de Ridder, langjähriger der Ärztekammer Berlin vorschlagen wolle, ergänzt Martina Leiter der Rettungsstelle am Vivantes Klinikum am Urban Jaklin. Tendenziell hält die Juristin stärkere Regulierungen und Mitbegründer des Vivantes Hospizes in Berlin-Tempel- bei Suizidwünschen von Gesunden für nötig. „Was die Schwer- hof, hat im Jahr 2016 gemeinsam mit anderen gegen den 2015 kranken betrifft, so nutzen Ärztinnen und Ärzte die heute be- eingeführten Paragrafen 217 des StGB geklagt. Nach dem reits bestehenden rechtlichen Spielräume.“ Urteil des Bundesverfassungsgerichtes erschien 2021 sein Buch mit dem programmatischen Titel „Wer sterben will, „Diese Begleitung Schwerkranker ist nichts anderes als das, muss sterben dürfen – Warum ich schwer kranken Menschen was wir Palliativmedizin nennen“, ergänzt Weimann. Auch helfe, ihr Leben selbstbestimmt zu beenden“. In einem großen hier werden Medikamente gegeben, etwa im Rahmen der Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ bekennt de Ridder „palliativen Sedierung“, die in einigen Fällen den Tod – im Mitte Juni 2022 freimütig, in einigen Fällen schon Suizidhilfe 19
IM FOKUS „Jeder Mensch braucht einen Arzt seines Vertrauens, mit dem er auch über Todeswünsche sprechen kann“ Ein Gespräch mit der Internistin und Hausärztin Dr. med. Irmgard Landgraf. Die Delegierte der Ärztekammer Berlin betreut seit Jahren auch Bewohner:innen von Pflegeeinrichtungen hausärztlich. Ihnen ein sprechendes Beispiel: Ein alter der früher gern jeden Abend ein Glas Herr, dessen Ehefrau vor einiger Zeit Wein getrunken hatte, in der Sterbe- verstorben war, hat sich bei mir recht phase die Mundpflege mit ein wenig dringlich nach Möglichkeiten zur Hilfe Rotwein gemacht. Sie konnte etwas für bei der Selbsttötung erkundigt. Nach ihn tun, was niemand sonst konnte. dem ausführlichen Gespräch über die Dr. med. Irmgard Landgraf Gründe für seine Lebensmüdigkeit, in Wie ist Ihre Haltung zum ärztlich IL Foto: Kathleen Friedrich dem er von seiner Einsamkeit und Trau- assistierten Suizid? rigkeit erzählte, wollten wir uns gerade Ich biete den Menschen eine Alternative verabschieden. Da fiel dem Patienten an. Damit bin ich in 30 Jahren hausärzt- AML Frau Dr. Landgraf, wie häufig hö- noch etwas ein: Er hatte in diesem Jahr licher Tätigkeit gut zurechtgekommen. ren Sie Wünsche wie: „Ich möchte seine Grippeschutzimpfung noch nicht Ich denke aber, wenn ein Mensch trotz nicht mehr leben, ich möchte am liebs- bekommen und fragte nach einem Ter- guter Beratung keine Alternative zum ten gleich sterben!“ oder „Frau Doktor, min dafür. Spätestens da war klar: Er assistierten Suizid für sich sieht, sollten können Sie mir dabei helfen?“ wollte nicht wirklich aus dem Leben ge- Ärzt:innen ihm dabei helfen, den rich- IL Bei hochbetagten und alten, hin- hen, er wollte nur seiner Frau nach- tigen Weg zu finden, auch um harte Sui- fälligen Menschen kommt es öfter gehen. zide zu vermeiden. Auch das gehört zu vor, dass sie fragen: Wie lange muss ich einer patientenzentrierten Medizin. Ich noch leben? Oder: Muss ich die ganzen Was können Sie direkt nach einer bin aber sicher, dass es nicht so häufig Medikamente nehmen? Es kommt auch schlimmen Diagnose für Ihre Pati- ist. Jeder Mensch braucht eine Ärztin immer wieder vor, dass Patientinnen ent:innen tun? oder einen Arzt, mit dem er vertrauens- und Patienten sich nach Sterbehilfe- Wenn Patient:innen mit einer solchen voll auch über solche Wünsche und Ge- organisationen erkundigen. Diagnose kommen, nutze ich das, um danken sprechen kann. Dafür benötigen zu fragen, was ihnen noch wichtig ist. wir Zeit. Mir ist ganz wichtig, dass wir Wie gehen Sie damit um? Es hilft meist, gleich zu Beginn einen diese Zeit bekommen. Solche präven- Ich rate ganz deutlich von diesem Weg richtigen Plan zu machen, wie sie ihre tiven Gespräche sollten als besondere ab und erkläre gleichzeitig: Sie können Lebenszeit nutzen und einen guten Aus- Beratungsgespräche in unsere Gebüh- hier palliativmedizinisch versorgt wer- stieg aus ihrem Leben finden können. renordnung aufgenommen werden. ∕ den, ich begleite Sie dabei. Ich kann Oft gibt es ungeklärte Fragen mit lieben Ihnen versprechen, dass Sie sich nicht Menschen. Dann ist es wichtig, dass quälen müssen. Dafür könnte ich viele auch die Kinder in das Pflegeheim kom- Beispiele anführen, etwa das der Frau men – in vielen Fällen kann man wirk- Mitte 90, die ihre Familie zusammen- lich noch etwas anbahnen. Viele Betrof- gerufen hat, um den Angehörigen zu fene wollen bilanzieren. Man kann sie erklären, sie werde nach einer Kranken- und ihre Familien als Hausärztin gut hausbehandlung nicht mehr auf die auffangen. Beine kommen. Sie wolle nun nicht mehr essen und trinken und ihre Medi- Einige haben Angst vor einem langen kamente nicht mehr nehmen. Sie ist Leiden und einem qualvollen Tod. Als dabei geblieben, langsam schwächer Ärztin signalisiere ich, dass ich sie da- geworden und schließlich mit guter me- bei nicht im Stich lasse, ich versuche, dizinischer Begleitung sanft gestorben. ihnen Mut zu machen. Wenn es wirk- lich darum geht, dass der Abschied an- So dezidiert ist aber nicht jeder Todes- steht, kann ich Angehörigen Ratschläge wunsch. für dessen Gestaltung geben. Das kann Das ist sehr wichtig: In vielen Fällen sind recht unkonventionelle Formen anneh- Todeswünsche ambivalent. Ich nenne men: So hat die Ehefrau eines Mannes, 20
BERLINER ÄRZT:INNEN AUSGABE 1 / 2023 Suizide(D) Suizide (NL) ass. Suizid (NL) Tötung auf Verlangen (NL) 50 Rate (Fälle pro 100.000 Einwohner) 40 30 20 10 0 1990 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 … In der Zeit von 1990 bis 2020 nahm die Suizidrate in Deutschland um 37 Prozent ab. Seit 2015 liegt sie auf dem (gleichbleibenden) Niveau der Niederlande. Die Einführung des Suizid-Gesetzes 2002 in den Niederlanden führte nicht etwa zu einer Abnahme der „harten“ Suizide zugunsten der Suizidassistenz, vielmehr addieren sich die Fälle von Suizidassistenz in jährlich steigender Zahl zu diesen on-top. Die Suizidassistenz machte 2020 in den Niederlanden 4 Prozent aller Todesfälle aus – hochgerechnet für Deutschland wären dies ca. 40.706 Fälle von Suizidassistenz pro Jahr. (Daten zuletzt abgerufen am 15.11.2022 von → https://de.statista.com, → www.destatis.de und → www.euthanasiecommissie.nl ) Text und Grafik: Prof. Dr. med. Jörg Weimann geleistet zu haben – nachdem er alle Alternativen zur Selbst- spricht sich dagegen aus, einen der drei vorliegenden Ent- tötung ausführlich mit den Patient:innen besprochen habe. würfe umzusetzen – zumal es mit einem Gesetz zum assis- Seinen Patient:innen „in schwerster Not zu helfen, unerträg- tierten Suizid keine Eile habe: „Die aktuell bestehende Ge- liches Leid zu beenden“, gehöre für ihn dazu. Und noch etwas setzeslage bietet bereits einen Handlungsspielraum, der die ist de Ridder wichtig: „Mir wäre es lieber, wenn die Sterbe- Umsetzung der Suizidassistenz prinzipiell ermöglicht.“ hilfeorganisationen mit dem neuen Gesetz überflüssig wür- den, denn die Vereine haben gerade nicht das Vertrauens- Stattdessen solle die gesellschaftliche Diskussion zu dem verhältnis zu den Patienten wie wir Ärzte. Auch sollte sich Thema fortgesetzt werden. Dass diese teilweise sehr kon- niemand mehr wie heute im Ausland Hilfe suchen müssen.“ trovers geführt wird, zeigte sich auch bei der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages Ende No- Nicht zuletzt an diesem Punkt setzt die Grundsatzkritik der vember 2022. Dort blieb kein Zweifel: Die Frage, wie ärztliche Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) an den Sterbebegleitung gestaltet werden kann, wird uns weiter beschriebenen Gesetzentwürfe an. Eine Eingrenzung uner- begleiten. ∕ wünschter Aktivitäten von Suizidhilfeorganisationen sehe man in keinem der drei Entwürfe, schreibt der Vorstand in einer Stellungnahme vom 23. November 2022. Zudem seien viele der vorgeschlagenen Regelungen mangelhaft, unscharf oder auch missverständlich formuliert. Jeder der Entwürfe führe zu einer „Juristisierung“ des Lebensendes, „in der per- sönliche Einlassungen fast keine Rolle mehr spielen“, so DGP- Vizepräsident Dr. med. Bernd Oliver Maier (siehe Interview Seite 17). Die gewählten Fristen und die Konzepte, mit denen die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit der Sterbewünsche Dr. Adelheid Müller-Lissner ermittelt werden sollen, bezeichnen die Palliativmediziner:in- Freie Wissenschaftsjournalistin nen in ihrer Grundsatzkritik als „willkürlich“. Kurz: Die DGP Foto: privat 21
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