Bern, Brechbühlerstrasse 4-18, Schönberg Ost - Die bernische Richtstätte "untenaus"
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50 Fundberichte Bern Bern, Brechbühlerstrasse 4–18, Schönberg Ost Die bernische Richtstätte «untenaus» Abb. 1: Bern, Brechbühler- Armand Baeriswyl, Susi Ulrich-Bochsler strasse 4–18, Schönberg Ost. Freilegungsarbeiten an der Grube 53 mit zehn dicht ge- packten Individuen, die in Im Jahr 2009 fuhren am Hügelzug «Schönberg unterschiedlichem Verwe- Ost» die Bagger auf, um auf das stadtnahe Ge- sungszustand in diese Grube hineingeworfen worden lände in der Nähe des berühmten Paul-Klee- waren. Zentrums ein komplett neues Stadtquartier mit 17 Mehrfamilienhäusern samt Erschlies- sungsstrasse und Park zu errichten. Dieses Bau- vorhaben führte zu einer vorgängigen Notgra- bung durch den Archäologischen Dienst. Die eigentliche Grabung umfasste ca. 350 m2. Zu- nächst wurden aber Sondagen vorgenommen, die sich über die gesamte Hügelkuppe erstreck- ten. Ausserdem wurden sämtliche bauseitigen Humusabträge archäologisch begleitet. Eines der wichtigsten Ergebnisse der Grabung war Abb. 2: Bern. Lage der Richt- die Wiederauffindung der bernischen Richt- stätte «obenaus». Müller-At- las von 1797/98 (Ausschnitt stätte «untenaus» (Abb. 1). mit Galgen und Rabenstein).
Fundberichte Archäologie Bern/Archéologie bernoise – 2010 51 Abb. 3: Bern, Brechbühlerstrasse 4–18, Schönberg Ost. Lage der Richtstätte «untenaus»: a Katasterplan 2009 (vor dem Bau der Häuser); b Müller-Atlas von 1797/98 (Ausschnitt mit Rabenstein und Galgen); M 1:7500. Die Stadt Bern besass im Mittelalter zwei Richtstätten. Ihre Lage ist bis auf wenige Meter genau bekannt, da sie auf der ältesten Grund- buchaufnahme der Stadt und ihrer Umgebung aus den Jahren 1797/98 zu finden sind. Beide Richtstätten befanden sich an erhöhten Stand- orten, auf langgezogenen Moränerücken, ent- lang der Hauptausfallstrassen der Stadt. Das eine Hochgericht befand sich ausserhalb des oberen Stadtausgangs (Abb. 2) und wurde deshalb «obenaus» genannt, das andere, aus- serhalb des unteren Stadttors und der Unter- torbrücke, hiess dementsprechend «untenaus» (Abb. 3a und b). a b
52 Fundberichte Bern Abb. 4: Bern, Richtstätte «obenaus». Galgen «oben- aus» mit gemauertem Sockel und drei Stempeln, links, bei der Weggabelung, die sog. «Hauptgrube». Federzeich- nung von Abraham Dünz von 1667 (Ausschnitt, Plan gesüdet). Das Alter der beiden Richtstätten ist nicht reits seit dem 13. Jahrhundert ein Hochgericht Abb. 5: Bern. Der «Raben- bekannt. Schriftlich werden sie erstmals 1384 gab. Das sagt allerdings noch nichts über Zahl stein», vermutlich derjenige erwähnt. Da Bern aber bereits im 13. Jahr- oder Standort(e) der Richtstätte(n) aus. Dazu der Richtstätte «obenaus». Anonyme kolorierte Bleistift- hundert, wahrscheinlich seit Gründung, ein müsste man den Umfang und die Grenzen des zeichnung auf der Deckelin- Blutgerichtsbezirk war – der städtische Schult- Blutgerichtsbezirks im 13. Jahrhundert ken- nenseite eines Verzeichnis- heiss übte die Blutsgerichtsbarkeit in Vertre- nen, was aber nicht der Fall ist. Die Tatsache, ses aller Hinrichtungen im Kanton Bern zwischen 1807 tung des Stadtherrn, des deutschen Königs, dass auf beiden Seiten der Aare – vor der Stadt- und 1861. aus – ist davon auszugehen, dass es auch be- gründung eine Rechtsgrenze – je eine von den Funktionen her identische Hochgerichtsstätte existierte, lässt sogar fragen, ob diese nicht äl- ter als die Stadt sein könnten und Rudimente präurbaner Rechtszustände darstellen. Jedenfalls wurden seit dem 14. Jahrhundert beide Hochgerichte nebeneinander benutzt. Nach dem Untergang des Alten Bern durch die französische Besetzung im Jahr 1798 wurde der Standort «untenaus» aufgegeben, während die Richtstätte «obenaus» noch einige Jahre in Betrieb war. 1817 wurde erstere, 1826 letzterer abgetragen. Bis 1861 wandte Bern weiterhin die Todesstrafe an, aber es wurden nur noch Enthauptungen vollzogen, für die man jeweils ein hölzernes Schafott auf der vor den Toren gelegenen Schützenmatt errichtete.
Fundberichte Archäologie Bern/Archéologie bernoise – 2010 53 Abb. 6: Bern, Richtstätte «obenaus». Auch hier rechts im Bild der Galgen mit ge- mauertem Sockel und drei Stempeln, links, bei der Weg- gabelung, die sog. «Haupt- grube». Federzeichnung von Josef Plepp und Valen- tin Friedrich um 1620–1623 (Ausschnitt, Plan gesüdet). Gemäss Bildquellen und Beschreibungen wa- wahrscheinlich von der neogotischen Inselka- ren mindestens seit dem 17. Jahrhundert beide pelle in den Jahren 1906–1907. Der an den Hochgerichte ähnlich eingerichtet (Abb. 4) Ort erinnernde Name «Galgenfeld» für den und bestanden aus einem dreistempeligen Gal- Bereich nordwestlich davon verschwand spä- gen auf einem hohen gemauerten, im Grund- testens bei der Einrichtung des Bremgarten- riss dreieckigen Sockel, einem daneben aufge- friedhofes 1865. Das Gelände des Hochge- richteten Rad und einer in einiger Entfernung richtes «untenaus» blieb hingegen weitgehend stehenden gemauerten Plattform, auf die Trep- unberührt. An der Westseite entstanden 1909 penstufen führten, dem sog. Rabenstein für das Schosshalden-Schulhaus und die Bizius- Enthauptungen (Abb. 5). Als Besonderheit strasse, die den Westbereich des ehemaligen ist für das Hochgericht «obenaus» ferner die Hochgerichtes mit dem Rabenstein zerstört ha- «Hauptgrube» zu erwähnen, ein kleines, mit ben dürfte. Der Rest des Geländes hinter den einer halbhohen Mauer umgebenes Areal, in Häusern entlang der Ostermundigenstrasse im dem die Hingerichteten verscharrt wurden. Norden und der Schosshaldenstrasse im Süden Wahrscheinlich handelt es sich dabei um eine wurde landwirtschaftlich genutzt, verwilderte Wegkapelle des 14. Jahrhunderts, die man aber später. Der Name «Galgenfeld» umfasste nach der Reformation 1528 bis auf Hüfthöhe bereits im frühen 19. Jahrhundert das ganze abgebrochen und ihrem neuen schaurigen Areal zwischen Schönberg-Gut, Bolligen- Zweck zugeführt hatte (Abb. 4 und 6). strasse, Schosshalden-Strasse und Schosshal- denwald. Weil man den genauen Standort des Nach dem Abbruch der beiden Hochgerichte alten Galgens nicht mehr kannte, vermutete ging das Wissen über deren genaue Lage offen- die Lokalgeschichte des 20. Jahrhunderts ihn bar verloren. Der Standort des Hochgerichtes fälschlicherweise entweder auf dem Hügel im «obenaus» wurde ab 1881 vom sich sukzessive Park des Schönberg-Gutes oder auf dem Hügel ausbreitenden Inselspital überbaut, konkret am Südrand des Schosshaldenfriedhofes.
54 Fundberichte Bern Bei der Ausgrabung fanden sich am höchsten Punkt des Hügelzuges die Fundamentreste des Galgens. Der gemauerte Sockel, dessen Höhe sich nicht mehr ermitteln liess, hatte die Grundrissform eines Dreiecks mit gekapp- ten Spitzen. Unmittelbar daneben wurde eine kreisrunde Grube mit einem Durchmesser von rund 2 m freigelegt. Auf der Sohle dieser Grube, die mit massiven Steinbrocken gefüllt war, konnte ein Pfostenabdruck erkannt wer- den. Die Grube diente wohl zur Fixierung ei- ner senkrechten Stange. Diese wiederum trug wahrscheinlich das Rad, auf das die Geräder- ten geflochten worden waren. Um den Galgen herum kamen neun Einzel- gräber zum Vorschein, eines davon in Bauch- lage (Abb. 7). Ein weiteres wies zerschlagene Langknochen in unnatürlicher Lage auf; es Abb. 7: Bern, Brechbühler- strasse 4–18, Schönberg Ost. handelt sich dabei wohl um einen Geräderten. Einer der beim Galgen Ver- Weiter fanden sich beim Galgen drei Gruben. scharrten fand sich in Bauch- lage, die Arme auf dem Rü- cken gefesselt. Abb. 8: Bern, Brechbühler- strasse 4–18, Schönberg Ost. Der obere Abschluss der Grube 33 mit vielen einzel- nen und losen Knochentei- len, die mit schweren Steinen beschwert worden waren.
Fundberichte Archäologie Bern/Archéologie bernoise – 2010 55 Eine davon befand sich im Innern des Galgen- Abb. 9: Bern, Brechbühler- sockels und enthielt Überreste von vermutlich strasse 4–18, Schönberg Ost. Bei drei Hingerichteten fan- vier Individuen, wobei noch nicht sicher ist, ob den sich randlich auf den es sich um gestörte Gräber oder um Leichen- Beckenschaufeln Schnal- teile handelt. Eine zweite Grube war mit zehn lenpaare, die wohl zur Be- festigung der Beinlinge (ty- mehr oder weniger vollständigen Individuen pisches Kleidungsteil des 13. gefüllt, die offenbar in unterschiedlichem Ver- bis 15. Jahrhunderts) dien- wesungszustand und vermutlich in zwei Etap- ten. M. 1:2. pen hineingeworfen und dicht gepackt wor- den waren (vgl. Abb. 1). Eine dritte Grube schliesslich war im unteren Teil ebenfalls mit Literatur eng gepackten Skeletten gefüllt. Darüber lag Armand Baeriswyl, Die Friedhöfe. In: Ellen J. Beer et al. eine kompakte Schicht mit vielen einzelnen (Hrsg.), Berns grosse Zeit. Das 15. Jahrhundert neu ent- und losen Knochenteilen (Abb. 8). Pflock- deckt. Berner Zeiten. Bern 1999, 74–82. löcher am Grubenrand lassen vermuten, die Armand Baeriswyl, Wie aus der Kapelle zum Elenden Grube sei bis zu ihrer vollständigen Füllung Kreuz ein städtischer Richtplatz wurde. In: Céline Dupeux offen bzw. lediglich mit einem Holzdeckel ver- et al. (Hrsg.), Bildersturm – Wahnsinn oder Wille Gottes, schlossen gewesen. Ausstellungskatalog. Bern 2000, 122–124. Armand Baeriswyl, Stadt, Vorstadt und Stadterweiterung Generell war zu beobachten, dass die Toten im Mittelalter. Archäologische und historische Studien auf dem Rücken gefesselte Hände aufwiesen zum Wachstum der drei Zähringerstädte Burgdorf, Bern und Freiburg im Breisgau. Schweizer Beiträge zur Kul- und dass sie sehr unterschiedlich orientiert la- turgeschichte und Archäologie des Mittelalters 30. Ba- gen. Anthropologisch bemerkenswert ist die sel 2003. Tatsache, dass es sich ausschliesslich um Ske- Paul Hofer 1952. Die Kunstdenkmäler des Kantons Bern, lette von Männern handelt, und dass viele da- Die Stadt Bern. Band 1, Stadtbild, Wehrbauten. Die von Jugendliche waren. Aufgrund der Funde Kunstdenkmäler der Schweiz 28. Basel 1952. (Gewandnestel, paarige Beinling-Schnallen Hans A. Michel, Beiträge zur Todesstrafe im Kanton Bern bei mindestens drei Hingerichteten, Abb. 9) im 19. Jahrhundert. Berner Zeitschrift für Geschichte und dürften die meisten Toten aus dem Spätmit- Heimatkunde, 127–150. telalter stammen. C14-Datierungen wurden in Berchtold Weber, Historisch-Topographisches Lexikon Auftrag gegeben, die Ergebnisse stehen aber der Stadt Bern. Schriften der Berner Burgerbibliothek. noch aus. Bern 1976.
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