Berufsabschluss durch Weiterbildung - Zur Wirksamkeit beruflicher Nachqualifizierung - Bertelsmann Stiftung

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Berufsabschluss durch Weiterbildung - Zur Wirksamkeit beruflicher Nachqualifizierung - Bertelsmann Stiftung
Berufsabschluss
durch Weiterbildung
Zur Wirksamkeit beruflicher
    Nachqualifizierung
Berufsabschluss
durch Weiterbildung
Zur Wirksamkeit beruflicher
    Nachqualifizierung
Berufsabschluss durch Weiterbildung

                                      Inhalt

                                      1   Zusammenfassung                                                                6

                                      2   Einleitung                                                                     8

                                      3   Abschlussorientierte Weiterbildung                                             11

                                      4   Empirische Analyse                                                            13

                                          4.1   Datengrundlage                                                          13

                                          4.2   Effekte des nachträglichen Erwerbs eines Berufsabschlusses               14

                                      		        4.2.1   Effekte eines „nachgeholten” ersten Berufsabschlusses über 25   16
                                      		        4.2.2   Effekte eines zweiten Berufsabschlusses                         18

                                          4.3   Effekte der Förderung der beruflichen Weiterbildung (FbW)                19

                                       4.4 Zusammenfassung: Empirische Ergebnisse auf Basis der
                                      		 NEPS-ADIAB-DATEN                                                               21

                                          4.5   Effekte der abschlussorientieren Weiterbildung                           22

                                      		        4.5.1   Weiterbildungsteilnahmen                                        22
                                      		        4.5.2   Verbleib nach der Weiterbildung                                 25

                                      			               4.5.2.1   Vergleich nach Subgruppen                              28
                                      			               4.5.2.2   Vergleich nach Maßnahmen                               28

                                      5   Fazit                                                                         31

                                      Über die Autor:innen                                                              34

                                      Literatur35

                                      Impressum38

4
Inhalt und Abbildungen

Abbildungen

ABBILDUNG 1      Beschäftigungsquote von Menschen ohne Berufsabschluss deutlich geringer                 15

ABBILDUNG 2      Durchschnittliches Brutto-Monatseinkommen bei Menschen ohne Berufsabschluss
                 bedeutend niedriger                                                                     16

ABBILDUNG 3      Nachgeholter Berufsabschluss erhöht Beschäftigungswahrscheinlichkeit
                 langfristig positiv                                                                     17

ABBILDUNG 4      Nachgeholter Berufsabschluss erhöht monatliches Brutto-Einkommen langfristig
                 positiv                                                                                 17

ABBILDUNG 5      Zweiter Berufsabschluss geht wegen hoher Ausgangsbasis nicht mit positivem
                 Beschäftigungseffekt einher                                                             18

ABBILDUNG 6      Zweiter Berufsabschluss erhöht monatliches Brutto-Einkommen deutlich                    19

ABBILDUNG 7      Teilnahme an FbW-Maßnahmen mit langfristig positivem Beschäftigungseffekt               20

ABBILDUNG 8      Brutto-Monatseinkommen nach Teilnahme an FbW-Maßnahme langfristig deutlich
                 höher                                                                                   21

ABBILDUNG 9      FbW-Teilnahmen im SGB III mit positiver Tendenz, im SGB II stagnierend bis rückläufig   22

ABBILDUNG 10 Nicht abschlussorientierte Weiterbildungen dominieren die FbW-Teilnahmen                    23

ABBILDUNG 11 Teilqualifizierungen in den letzten Jahren immer häufiger nachgefragt                       23

ABBILDUNG 12 Maßnahmearten werden in den Bundesländern sehr unterschiedlich eingesetzt                   24

ABBILDUNG 13 Übergang in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im SGB II nach einer
             FbW-Teilnahme sehr langsam                                                                  25

ABBILDUNG 14 Übergang in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im SGB III nach einer
             FbW-Teilnahme bereits auf hohem Niveau                                                      26

ABBILDUNG 15 SGB II: Teilqualifizierungen mit nahezu deckungsgleichen Eingliederungsquoten in
             sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wie Umschulungen                                27

ABBILDUNG 16 SGB III: Teilqualifizierungen und Umschulungen bei den Eingliederungsquoten in
             sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gleichauf                                       27

ABBILDUNG 17 Deutliche Unterschiede bei den Eingliederungsquoten nach 12 Monaten bei
             verschiedenen Subgruppen                                                                    29

                                                                                                                                   5
Berufsabschluss durch Weiterbildung

                        1 Zusammenfassung

                        Geringqualifizierte haben in Deutschland schlechte berufliche Perspektiven.
                        Ohne einen anerkannten Berufsabschluss arbeiten sie nicht nur zu geringeren
                        Löhnen, sondern sind auch häufiger arbeitslos als Menschen mit einem Abschluss.
                        Mit Blick auf die Entwicklung am Arbeitsmarkt wird ihre Situation auch nicht besser.
                        Globalisierung und technologischer Wandel sorgen dafür, dass sich die Erwerbschancen
                        geringqualifizierter Menschen zunehmend verringern. Ein möglicher Weg aus der
                        Misere ist die berufliche Nachqualifizierung. Sie soll helfen, dass Geringqualifizierte
                        auch nachträglich, also in späten Jahren, noch einen Berufsabschluss erwerben und
                        dadurch ihre Arbeitsmarktsituation verbessern können. Doch wie erfolgreich bzw.
                        wirksam sind Maßnahmen der beruflichen Nachqualifizierung?

                        Die vorliegende Studie geht genau dieser Frage        Im zweiten Teil analysieren wir, wie sich speziell
                        nach und untersucht den Einfluss beruflicher          die Maßnahmen zur Förderung der beruflichen
                        Weiterbildung auf Einkommen und Beschäf-              Weiterbildung (FbW) der Bundesagentur für Ar-
                        tigung. Die ihr zugrunde liegende empirische          beit auswirken. Auch hier liefern die NEPS-IAB-
                        Analyse gliedert sich in drei Teile: Im ersten Teil   Daten die notwendige Datengrundlage. Unsere
                        analysieren wir auf Basis der Daten des Natio-        Analyse zeigt: Die Effekte auf Einkommen und
                        nalen Bildungspanels (NEPS) und des Instituts         Beschäftigung sind langfristig positiv. Das ent-
                        für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB),          spricht auch den Ergebnissen anderer Studien.
                        wie sich das Nachholen eines ersten oder zweiten
                        Berufsabschlusses auf Beschäftigung und Ein-          Im dritten Teil vergleichen wir schließlich die
                        kommen auswirkt. Die Ergebnisse dazu sind             Effekte der vier abschlussorientierten FbW-Maß-
                        eindeutig: Wer im Alter von über 25 Jahren sei-       nahmen – der betrieblichen Einzelumschulung,
                        nen ersten Berufsabschluss erwirbt, der erhöht        der Umschulung bei einem Bildungsträger, des Vor-
                        sowohl seine Beschäftigungswahrscheinlichkeit         bereitungslehrgangs für die Externenprüfung sowie
                        als auch sein Einkommen. Der Erwerb eines             der Teilqualifikationen (auf die wir auch einen
                        zweiten Abschlusses steigert das Einkommen            besonderen Fokus legen). Für den Vergleich
                        noch weiter.                                          greifen wir auf Daten einer Sonderauswertung

6
1 Zusammenfassung

der BA-Förderstatistik zurück. Sie gibt die abso-    Einen Berufsabschluss nachzuholen, zahlt sich
luten Zahlen aller Teilnahmen wieder sowie den       somit aus. Zunächst aber muss investiert wer-
Verbleib der Teilnehmenden nach Ende der Maß-        den, denn mehrjährige Berufsausbildungen oder
nahme (jeweils für den Zeitraum 2010-2020).          Umschulungen bedeuten immer auch Einkom-
                                                     menseinbußen für die Zeit bis zum Abschluss.
Die Auswertung zeigt, dass die Umschulung bei        Vor diesem Hintergrund können die sehr viel
einem Träger die mit Abstand meistbesuchte ab-       kürzeren und kostengünstigen (aber ähnlich
schlussorientierte Maßnahme ist. 2020 entfielen      erfolgreichen) Teilqualifikationen ein attraktives,
auf sie mehr als die Hälfte aller abschluss-         alternatives Angebot darstellen, sowohl für
orientierten Weiterbildungsteilnahmen. Am            den Einzelnen als auch die öffentliche Hand.
deutlichsten gestiegen sind in den letzten Jahren    Unsere Ergebnisse deuten allerdings darauf hin,
allerdings die Teilnahmezahlen der Teilqualifi-      dass die Teilqualifikationen für verschiedene
kationen. Bei der Frage, wo die Teilnehmenden        Personengruppen sehr unterschiedlich wirken.
nach ihrer Maßnahme verbleiben, fokussieren          Um die genauen Ursachen dafür feststellen zu
wir uns auf die Eingliederung in eine sozialversi-   können, braucht es eine umfassendere Datenlage
cherungspflichtige Beschäftigung. Für die meis-      und weitergehende Analyse. Gleiches gilt für die
ten der untersuchten Personengruppen zeigt           Frage nach dem langfristigen Erfolg der ver-
sich, dass sie durch Teilqualifikationen ähnlich     schiedenen Weiterbildungsmaßnahmen.
schnell in eine sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung finden wie durch längerfristige
Weiterbildungen, (z. B. Umschulungen).

                                                                                                                          7
Berufsabschluss durch Weiterbildung

2 Einleitung

                        Globalisierung und technologischer Wandel             Interaktion eine entscheidende Rolle spielen
                        haben den deutschen Arbeitsmarkt in den letzten       (Eichhorst und Buhlmann, 2015; Bertelsmann
                        Jahrzehnten massiv beeinflusst. Der stete tech-       Stiftung, 2015; Frey und Osborne, 2017). Ausmaß
                        nologische Fortschritt sorgt dafür, dass Compu-       und Geschwindigkeit dieser Entwicklung sind
                        ter und Maschinen die Arbeit von Menschen in          allerdings schwer abzuschätzen und unter Ex-
                        vielen Bereichen übernehmen. Zudem werden             perten umstritten. Eichhorst et al. (2019) merken
                        Tätigkeiten, die nicht so leicht automatisiert        beispielsweise an, dass allein die Tatsache, dass
                        werden können, in Länder mit geringeren Lohn-         ein Computer eine bestimmte Tätigkeit ausüben
                        stückkosten ausgelagert („Offshoring”). Diese         kann, nicht gleich impliziert, dass er den Men-
                        Trends trugen maßgeblich dazu bei, dass die           schen darin auch ersetzen wird. Letzteres hängt
                        Anzahl der Beschäftigten in der Produktion in         vielmehr davon ab, ob Computer und Maschinen
                        Deutschland massiv zurückgegangen ist – seit          in der Lage sind, die Tätigkeit kosteneffizienter
                        den 80er Jahren um etwa 30 Prozent (Eichhorst         als der Mensch auszuüben.
                        et al., 2019). Technologischer Fortschritt und
                        Globalisierung haben aber auch neue Jobs ge-          Grundsätzlich aber sind für viele Menschen die
                        schaffen, besonders im Dienstleistungssektor.         Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt unsicherer
                        Das Beschäftigungswachstum bei den Dienst-            geworden. Tätigkeiten, die vormals ein dauer-
                        leistungsjobs hat den Rückgang der Industrie-         haft sicheres Einkommen versprachen, könnten
                        arbeitsplätze sogar mehr als kompensiert. So          künftig besonders stark vom technologischen
                        sind seit den 80er Jahren zwar knapp 30 Prozent       Wandel oder Offshoring bedroht sein. Eine Mög-
                        aller Industriearbeitsplätze verlorengegangen,        lichkeit, sich gegen solche Arbeitsmarktrisiken
                        gleichzeitig haben sich aber die Arbeitsplätze        abzusichern, ist Bildung. Das belegen auch die
                        im Dienstleistungssektor verdoppelt (Eichhorst        Statistiken: So lag die Arbeitslosenquote von
                        et al., 2019).                                        Hochschulabsolventen 2019 bei 2,0 Prozent und
                                                                              die von Menschen mit abgeschlossener Berufs-
                        Und die Entwicklung geht weiter: Durch maschi-        ausbildung bei 3,3 Prozent (Bundesagentur für
                        nelles Lernen, künstliche Intelligenz und mobile      Arbeit, 2021). Ganz anders sieht es bei Menschen
                        Robotik werden Maschinen auch künftig immer           ohne Berufsabschluss aus. Diese Gruppe umfasst
                        mehr Tätigkeiten übernehmen, die bisher von           ca. 15 Prozent der 30- bis 60-Jährigen (Statisti-
                        Menschen verrichtet werden. Besonders leicht          sches Bundesamt, 2020). Ihre Arbeitslosenquote
                        automatisierbar sind manuelle und kognitive           lag 2019 bei 17 Prozent (Bundesagentur für
                        Routinetätigkeiten, also repetitive Tätigkeiten,      Arbeit, 2021). Die enormen Unterschiede bei den
                        die kodifizierbar und damit leicht von Computern      Arbeitsmarktchancen nach Bildungsabschluss
                        auszuführen sind. Auf der anderen Seite steigt        zeigen sich auch bei den Lebenseinkommen und
                        die Nachfrage nach Nicht-Routinetätigkeiten.          besonders eindrucksvoll für Männer: Bönke et
                        Das sind Tätigkeiten, in denen der Mensch             al. (2020) errechneten für Männer ohne Berufs-
                        einen Vorteil gegenüber Computern besitzt,            abschluss einen Lebensverdienst von knapp
                        weil hier z. B. Kreativität, Intuition oder soziale   unter einer Million Euro, während Männer mit

8
2 Einleitung

Berufsausbildung 1,5 Millionen und Männer mit        in dieser Gruppe aber ist die Weiterbildungs-
Hochschulabschluss 2 Millionen Euro verdienen        beteiligung gering. So haben 2015 z. B. nur 5,6
(siehe auch Schmillen und Stüber, 2014; Union        Prozent der Menschen ohne Berufsabschluss an
Investment, 2017).                                   einer Weiterbildung teilgenommen, während die
                                                     Beteiligungsquote der Durchschnittsbevölkerung
Angesichts dieser nachteiligen Arbeitsmarkt-         bei 12,2 Prozent lag (Bertelsmann Stiftung,
perspektiven richtet sich die berufliche Nach-       2018). Hinzu kommt, dass auch die öffentlichen
qualifizierung in Deutschland an Menschen            Ausgaben für die Weiterbildung zwischen 1995
ohne einen „verwertbaren” Berufsabschluss            und 2015 stagnierten (und als Anteil am Brutto-
(Bundesinstitut für Berufsbildung, 2018). Sie soll   inlandsprodukt sogar deutlich gesunken sind),
deren Qualifikationsdefizite verringern, wobei       während die Ausgaben für die anderen Bildungs-
das Hauptziel darin liegt, Geringqualifizierte       bereiche deutlich erhöht wurden – beispielsweise
über Maßnahmen der abschlussorientierten Wei-        die Ausgaben für Schulbildung um 41 Prozent
terbildung zum Berufsabschluss zu führen (z. B.      und die für Hochschulbildung sogar um 78 Pro-
durch eine Umschulung). Gleichzeitig beinhaltet      zent (Bertelsmann Stiftung, 2019).
die abschlussorientierte berufliche Weiterbildung
die Möglichkeit, modulare Teilqualifikationen        Für die Teilnehmenden selbst ergibt sich die
zu erwerben, die zusammengefasst zu einem            Attraktivität einer beruflichen Nachquali-
Berufsabschluss führen (können).                     fizierung direkt aus der Frage, inwieweit sich
                                                     ihre Beschäftigungschancen und Einkommens-
Angesichts des anhaltenden Fachkräftemangels         aussichten dadurch verbessern. So zeigen Dietz
in Deutschland nützt die berufliche Nachquali-       und Osiander (2016) beispielsweise, dass die
fizierung auch den Betrieben. Laut dem DIHK-         Bereitschaft, an einer beruflichen Weiterbildung
Report „Fachkräfte 2021“ konnte beispielsweise       teilzunehmen, maßgeblich dadurch beeinflusst
die Hälfte der befragten Unternehmen offene          wird, welche Verbesserung der eigenen Be-
Stellen aufgrund fehlender Fachkräfte länger-        schäftigungschancen man sich davon erwartet.
fristig nicht besetzen (DIHK, 2021). Hier kann die   Der Weiterbildungsbericht des Bundesminis-
berufliche Nachqualifizierung den Wechsel einer      teriums für Bildung und Forschung (Bilger et
Person in andere Branchen erleichtern. Auch in       al., 2016) ergänzt diesen Befund und zeigt, dass
diesem Kontext ist der Erwerb modularer Teil-        ein beträchtlicher Teil der Weiterbildungs­
qualifikationen bedeutsam. In einer Studie der       teilnehmenden die Verbesserung beruflicher
Bertelsmann Stiftung gaben mehr als 80 Prozent       Chancen (29 Prozent) und die Sicherung des
der befragten Arbeitgeber an, dass sie Menschen      Arbeitsplatzes (22 Prozent) als Grund für die
ohne Berufsabschluss einstellen würden, wenn         Weiterbildungsteilnahme angibt.
sie Kompetenzen in mindestens einem rele-
vanten Tätigkeitsfeld mitbringen (Bertelsmann        Die vorliegende Studie beschäftigt sich daher
Stiftung, 2020).                                     mit der Frage, in welchem Maße eine berufliche
                                                     Nachqualifizierung die Beschäftigung und das
Weiterbildung ist eine (Bildungs-)Investition        Einkommen der Teilnehmenden verbessern
aus individueller wie auch volkswirtschaftlicher     kann. Die zugrunde liegende empirische Analyse
Sicht. Sie erhöht potenziell die Erwerbschancen      besteht aus drei Teilen: Im ersten Teil ana-
sowie das Einkommen des einzelnen Menschen           lysieren wir die Effekte später Berufsabschlüsse
und kann das Risiko, arbeitslos zu werden,           auf Beschäftigung und Einkommen über die Zeit.
verringern. Aus Sicht der öffentlichen Hand          Wir unterschieden dabei zwischen dem Erwerb
verspricht eine Weiterbildung zusätzlich höhere      eines ersten Berufsabschlusses im Alter von
Steuereinnahmen und geringere Transferleis-          über 25 Jahren und dem Erwerb eines zweiten
tungen, die mit den Kosten der Weiterbildung         Berufsabschlusses. Hierzu nutzen wir die ver-
abzuwägen sind.                                      knüpften Daten des Nationalen Bildungspanels
                                                     (National Educational Panel Study, NEPS) und
Experten gehen davon aus, dass Weiterbildung         Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Be-
vor allem den Geringqualifizierten nützt. Gerade     rufsforschung (IAB). Im zweiten Teil der Studie

                                                                                                                  9
Berufsabschluss durch Weiterbildung

                        untersuchen wir, welchen Einfluss die Teilnahme      Der Beitrag der vorliegenden Studie besteht
                        an Maßnahmen der Förderung der beruflichen           darin, die verschiedenen Formen der beruflichen
                        Weiter­bildung (FbW) auf Einkommen und               Nachqualifizierung empirisch zu untersuchen.
                        ­Beschäftigung haben. Auch dafür nutzen wir die      Trotz ihrer offenkundigen Bedeutung gibt es nur
                        Kombination aus den Daten des NEPS und des           wenige empirische Analysen, die die Wirkung
                        IAB (vgl. Kapitel 4.1).                              von verschiedenen, öffentlich geförderten Inst-
                                                                             rumenten der Weiterbildung auf Beschäftigung
                        Im dritten Teil der Studie differenzieren wir zwi-   und Einkommen erforschen. Diese Studien
                        schen den verschiedenen Maßnahmen der Förde-         (z.B. Bernhard, 2016; Kruppe und Lang, 2015)
                        rung der beruflichen Weiterbildung und richten       beschränken sich zudem auf die Teilnahme an
                        einen detaillierten Blick auf die so genannten       geförderter beruflicher Weiterbildung allgemein,
                        „abschlussorientierten“ Maßnahmen. Wir ver-          ohne zwischen den sehr unterschiedlichen
                        gleichen diese Maßnahmen hinsichtlich ihrer          Formen der abschlussorientierten Weiterbildung
                        Häufigkeiten sowie ihrer Eingliederungsquoten        differenzieren zu können. Bernhard (2016)
                        vor allem in eine sozialversicherungspflichtige      unterscheidet beispielsweise Weiterbildungen,
                        Beschäftigung. Von besonderem Interesse ist          die länger als ein Jahr dauern, von kürzeren
                        dabei der Vergleich zwischen Maßnahmen, die          Weiterbildungen mit dem Argument, dass erstere
                        zu einem Berufsabschluss führen (z. B. Umschu-       mit großer Wahrscheinlichkeit Umschulungen
                        lungen) und Maßnahmen, in denen zunächst             sind und letztere nicht. Kruppe und Lang (2015)
                        Teilqualifikationen erworben und zertifiziert        analysieren hingegen generell die Effekte von
                        werden. Hierfür nutzen wir Sonderauswertungen        Umschulungen auf die Beschäftigungswahr-
                        der Förderstatistik der Bundesagentur für Arbeit     scheinlichkeit.
                        (vgl. Kapitel 4.1).

10
3 Abschlussorientierte Weiterbildung

3 Abschlussorientierte
          Weiterbildung

Im Mai 2020 wurde das „Gesetz zur Förderung                                 Eine Bildungsepisode startet mit dem Zugang
der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel                             zu der Maßnahme und endet mit dem Austritt
und zur Weiterentwicklung der Ausbildungs-                                  aus der Maßnahme. Je nach Art und Umfang der
förderung“ („Arbeit-von-morgen-Gesetz“)                                     Maßnahme schließt die Bildungsepisode eine
verabschiedet (BMAS, 2021). Dieses Gesetz                                   parallele Erwerbsarbeit aus.
garantiert Menschen ohne verwertbaren Berufs-
abschluss einen Rechtsanspruch auf Förderung                                Umschulungen bei einem Bildungsträger (Punkt
einer abschlussorientierten Weiterbildung. Dabei                            1) oder in einem Betrieb (Punkt 2) machen
wird zwischen vier unterschiedlichen Arten der                              den mit Abstand größten Teil der beruflichen
„abschlussorientierten Weiterbildung”1 unter-                               Nachqualifizierung aus (siehe Kapitel 4.4.1). Wie
schieden, die jeweils überwiegend aus Mitteln                               konventionelle Berufsausbildungen führen sie zu
der Bundesagentur für Arbeit oder der Jobcenter                             einem anerkannten Berufsabschluss. Während
(DGB, 2017) finanziert werden:                                              die betriebliche Einzelumschulung in Betrieb
                                                                            und Berufsschule stattfindet, erfolgt die über-
     1.     Umschulung bei einem Träger in                                  betriebliche Umschulung komplett bei einem
            ­anerkannten Ausbildungsberufen                                 Bildungsträger. Die Dauer einer Umschulung,
            (Umschulung)                                                    also die Bildungsepisode, liegt generell bei zwei
                                                                            Dritteln der Erstausbildungszeit. In den meisten
     2.     Betriebliche Einzelumschulung in                                Fällen entspricht das zwei Jahren. Es wird dabei
            Berufen nach BBiG/HwO                                           vorausgesetzt, dass die Umschulenden mehr
            (Betriebliche Einzelumschulung)                                 als 4 Jahre in einer Helfer- oder Angelernten-
                                                                            tätigkeit beschäftigt waren und ein eventuell
     3.     Vorbereitungslehrgang auf Externen-/                            vorhandener Berufsabschluss nicht mehr ver-
            Schulfremdenprüfungen                                           wertbar ist.2
            (Externenprüfung)
                                                                            Wie die Umschulungen so führt auch die Exter-
     4.     Weiterbildung mit zertifizierter                                nenprüfung (Punkt 3) zu einem anerkannten
            ­Teilqualifikation (TQ)                                         Berufsabschluss. Um für die Prüfung zugelassen
                                                                            zu werden, muss eine Person mindestens das
Zugang und Dauer der vier Maßnahmen unter-                                  Eineinhalbfache der beruflichen Ausbildungszeit
scheiden sich erheblich. Die Dauer bezeichnen                               im entsprechenden Beruf tätig gewesen sein
wir in diesem Kontext als Bildungsepisode.                                  (z. B. 4,5 Jahre bei einer 3-jährigen Berufsaus-

1   Daneben gibt es noch weitere Maßnahmen der Förderung der beruflichen Weiterbildung, die nicht „abschlussorientiert” sind wie die Vermittlung von
    Grundkompetenzen oder die Teilnahme an Übungsfirmen, -werkstätten bzw. -einrichtungen.
2   Ihrem Namen nach setzt eine „Umschulung” bereits einen Berufsabschluss voraus, woraus sich auch die „2/3-Regel” ableitet (Ausbildungszeit beträgt
    zwei statt der üblichen drei Jahre). Es ist jedoch gängige Praxis, dass auch Menschen ohne Berufsabschluss an einer Umschulung teilnehmen. Nach
    unseren Berechnungen aus den Sonderauswertungen der Förderstatistik der Bundesagentur für Arbeit (siehe Teil zur empirischen Analyse) hat bei
    Beginn der Umschulung sogar nur ungefähr die Hälfte der Teilnehmenden bereits einen Berufsabschluss.

                                                                                                                                                                      11
Berufsabschluss durch Weiterbildung

                        bildung). Interessenten an der Externenprüfung                             Berufe sind in Modulen abgebildet, die einzeln
                        haben die Möglichkeit, sich zuvor in einem von                             zertifiziert werden. Der Abschluss aller Module
                        der Bundesagentur für Arbeit geförderten Lehr-                             führt schließlich nach Bestehen der Externen-
                        gang auf die Prüfung vorzubereiten. Er dauert                              prüfung zu einem anerkannten Berufsabschluss.
                        in der Regel 6 Monate.3 Schreiber und Gutschow
                        (2013) schätzen, dass etwa zwei Drittel aller                              Die Teilqualifikationen stehen im Fokus der
                        Prüfungsteilnehmenden einen solchen Lehrgang                               vorliegenden Studie. Befürworter sehen ihre
                        absolvieren.                                                               Stärke in der Flexibilität für die Teilnehmenden.
                                                                                                   Diese könnten ihre Erwerbschancen schritt-
                        Die vierte Weiterbildungsmöglichkeit ist der                               weise verbessern, ohne sich für eine längere
                        Erwerb modularer Teilqualifikationen (Punkt                                Ausbildungszeit verpflichten zu müssen.
                        4). Teilqualifikationen sind „Bildungsangebote,                            Dadurch würden sie auch keine Einbußen bei
                        die in systematischen, aufeinanderfolgenden                                ihrem Einkommen erleiden. Der Berufsabschluss
                        Schritten auf einen Berufsabschluss vorbereiten”                           kann dann sukzessive in individuell gewählten
                        (Bundesagentur für Arbeit, 2022). Die einzelne                             Etappen erfolgen. Kritiker am Modell der Teil-
                        Teilqualifikation dauert zwischen zwei und sechs                           qualifikationen befürchten hingegen, dass ein
                        Monaten und muss mindestens zu einem Viertel                               großer Anteil der Teilnehmenden am Ende
                        ihres Umfangs aus betrieblichen Praxisinhalten                             keinen Berufsabschluss erreicht und weiter in
                        bestehen (Fischer et al., 2020). Die einzelnen                             Helfertätigkeiten arbeitet (DGB, 2020).

                        3   Den Teilnehmenden an der Externenprüfung steht es aber auch offen, sich autodidaktisch auf die Prüfung vorzubereiten.

12
4 Empirische Analyse

4 Empirische Analyse

Die verschiedenen Instrumente der beruflichen                                17.140 Personen der Geburtskohorten 1944-1986
Weiterbildung geben den institutionellen Rah-                                umfasst. Für 12.621 Personen dieser Stichprobe
men für unsere empirische Analyse vor. Eine                                  gibt es dabei eine Verknüpfung mit den admi-
besondere Herausforderung war dabei die Frage                                nistrativen Daten des Instituts für Arbeitsmarkt-
nach der geeigneten Datengrundlage. Um den                                   und Berufsforschung (IAB). Die administrativen
unterschiedlichen Möglichkeiten der einzelnen                                Daten wiederrum sind eine Stichprobe aus den
Datenquellen Rechnung zu tragen, gliedert sich                               integrierten Erwerbsbiografien (IEB) des IAB.
die empirische Analyse in drei Teile. Im ersten                              Dabei handelt es sich um die zusammengefass-
Teil untersuchen wir, wie sich ein erster oder                               ten Einträge aus der Beschäftigten-Historik, der
auch zweiter Berufsabschluss ab einem Alter von                              Leistungsempfänger-Historik, der Leistungs-
25 Jahren auf die Erwerbsbiografie auswirkt. Im                              Historik Grundsicherung, der Arbeitssuchenden-
zweiten Teil analysieren wir, inwiefern sich die                             Historik sowie der Maßnahmenteilnahme-His-
Teilnahme an einer Maßnahme zur Förderung                                    toriken.
der beruflichen Weiterbildung auf Einkommen
und Beschäftigung auswirkt. Im dritten Teil                                  Die Nutzung des verknüpften Datensatzes
differenzieren wir schließlich zwischen verschie-                            (NEPS-SC6-ADIAB)5 hat den Vorteil, Erwerbs-
denen Maßnahmen der abschlussorientierten                                    einkommen erfassen zu können, welche im NEPS
Weiterbildung und analysieren deren Effekte auf                              selbst erst ab 2009 abgefragt (und damit auch
eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt.                                      nicht administrativ erfasst) werden. Die IAB-
                                                                             Daten hingegen stehen für den Gesamtzeitraum
                                                                             1975-2017 zur Verfügung und erlauben eine
4.1 Datengrundlage                                                           genaue Erstellung der Erwerbsbiografien über
                                                                             die Zeit. Die Längsschnittperspektive der NEPS-
Die Teile 1 und 2 unserer Analyse benötigen                                  ADIAB-Daten hat zudem den Vorteil, dass sich
detaillierte Informationen über die Erwerbs-                                 alle Personen über einen langen Zeitraum unter-
biografie eines Individuums, wie sie der NEPS-                               suchen lassen. Dadurch können wir analysieren,
Datensatz für Deutschland zur Verfügung stellt.                              wie sich späte Berufsabschlüsse und die Teilnah-
Das NEPS (NEPS-Netzwerk, 2021; Bachbauer                                     me an der Förderung der beruflichen Weiterbil-
und Wolf, 2020)4 ist eine Längsschnittbefragung                              dung kurz- und auch langfristig auswirken. Die
zu Bildungs- und Erwerbsverläufen, Bildungs-                                 NEPS-ADIAB-Daten haben jedoch den Nachteil,
entscheidungen sowie weiteren biographischen                                 dass sie nur relativ wenige Teilnehmende in der
und soziodemographischen Merkmalen. Für                                      beruflichen Weiterbildung erfassen. Das macht
unsere Studie nutzen wir die so genannte „Er-                                es unmöglich, zwischen einzelnen Maßnahmen
wachsenenkohorte” (Starting Cohort 6, SC6), die                              der beruflichen Weiterbildung zu differenzieren.

4   Diese Arbeit nutzt Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS; vgl. Blossfeld & Roßbach, 2019). Das NEPS wird vom Leibniz-Institut für Bildungsver-
    läufe (LIfBi, Bamberg) in Kooperation mit einem deutschlandweiten Netzwerk durchgeführt.
5   Der Datenzugang erfolgte über einen Gastaufenthalt am Forschungsdatenzentrum der Bundesagentur für Arbeit im Institut für Arbeitsmarkt- und
    Berufsforschung (FDZ) und anschließend mittels kontrollierter Datenfernverarbeitung beim FDZ.

                                                                                                                                                                          13
Berufsabschluss durch Weiterbildung

                        In Teil 3 können wir zwar nicht auf individuelle                               Schätzung nicht durch ein Problem der Stich-
                        Daten zurückgreifen, haben aber die Möglich-                                   probenselektion verzerrt wird. Dann betrachten
                        keit, die Gesamtheit der unterschiedlichen                                     wir die Beschäftigungsquote, die den Anteil
                        Maßnahmen auszuwerten – besonders die der                                      der sozialversicherungspflichtig beschäftigten
                        abschlussorientierten Weiterbildung. Grundlage                                 Personen angibt. Dabei beschränken wir uns auf
                        sind die Sonderauswertungen der Förderstatistik                                Personen im Hauptberufsalter von 18-65 Jahren
                        der Bundesagentur für Arbeit (Bundesagentur                                    und auf den verfügbaren Beobachtungszeitraum
                        für Arbeit, 2021). Sie erfassen alle Teilnahmen                                von 1975 bis 2017.6
                        an beruflicher Weiterbildung von 2010 bis 2020.
                        Dazu gehören die absoluten Zahlen der Ein- und                                 Wir beginnen mit einer deskriptiven Unter-
                        Austritte sowie Informationen zum individuellen                                suchung der durchschnittlichen Beschäftigungs-
                        Verbleib bis zu 2 Jahre nach Austritt aus den                                  quoten und der Monatseinkommen über den
                        Maßnahmen der Förderung der beruflichen                                        Lebensverlauf7 verschiedener Personengruppen.
                        Weiterbildung (FbW). Die Statistik differenziert                               Dabei unterscheiden wir folgende Gruppen:
                        dabei zwischen Bundesländern sowie ver-
                        schiedenen Personenmerkmalen wie Bildung,                                      1. Geringqualifizierte: Menschen ohne
                        Geschlecht, Alter oder vorherige Arbeitslosigkeit.                                  Berufsabschluss

                                                                                                       2. Menschen mit einem Berufsabschluss,
                        4.2 Effekte des ­nachträglichen                                                    erworben bis zum Alter von 25 Jahren

                             ­Erwerbs eines
                                                                                                       3. Menschen mit einem Berufsabschluss,
                              Berufsabschlusses
                                                                                                            erworben im Alter von über 25 Jahren

                        Wir beginnen unsere empirische Analyse mit der                                 4. Menschen mit zwei Berufsabschlüssen
                        Frage, wie sich ein nachgeholter Berufsabschluss
                        auf Einkommen und Beschäftigung auswirkt.                                      Abbildung 1 und 2 stellen die durchschnittlichen
                        Dabei unterscheiden wir zwischen dem Erwerb                                    Beschäftigungsquoten und Monatseinkommen
                        des ersten Berufsabschlusses über 25 und dem                                   dieser vier Gruppen über ihr Erwerbsleben dar.
                        Erwerb eines zweiten Berufsabschlusses. Bei den                                Dabei ist zu beachten, dass jede Person über
                        nachgeholten Berufsabschlüssen handelt es sich                                 ihren gesamten Erwerbsverlauf nur einer Gruppe
                        nicht notwendigerweise um vollständige Berufs-                                 zugeordnet ist. Menschen mit zwei Berufsab-
                        ausbildungen. Wie bereits erläutert, führen                                    schlüssen gehören dieser Gruppe z. B. schon
                        auch abschlussbezogene Weiterbildungen wie                                     mit Anfang 20 an, also bevor sie ihre beiden
                        Umschulungen oder Teilqualifikationen zu einem                                 Abschlüsse erworben haben.
                        Berufsabschluss. Tatsächlich dauert knapp die
                        Hälfte der im Nationalen Bildungspanel erfassten                               Die Analyse der Beschäftigungsquoten zeigt,
                        Bildungsepisoden, die mit einem Berufsabschluss                                dass Menschen mit einem Berufsabschluss
                        über 25 enden, nicht länger als zwei Jahre.                                    vor dem 25. Lebensjahr über den größten Teil
                                                                                                       ihres Erwerbslebens eine stabile und hohe Be-
                        Um Einkommens- und Beschäftigungseffekte er-                                   schäftigungsquote aufweisen: über 90 Prozent
                        kennen zu können, untersuchen wir zunächst die                                 (vgl. Abbildung 1). Menschen, die bis zum Alter
                        realen monatlichen Bruttoerwerbseinkommen.                                     von 25 noch keinen Beruf erlernt haben, zeigen
                        Grundlage dafür ist der Verbraucherpreisindex                                  eine deutlich niedrigere Beschäftigungsquote:
                        aus dem Jahr 2015. Ist eine Person in einem Mo-                                80-90 Prozent. Ab Mitte 40 divergiert dann die
                        nat nicht beschäftigt, setzen wir ihr Einkommen                                Entwicklung der mittleren Beschäftigungsquoten
                        gleich null. Damit wird sichergestellt, dass die                               von Geringqualifizierten und Menschen, die ih-

                        6   Bei der folgenden deskriptiven Analyse gilt es zu bedenken, dass die dargestellten Mittelwerte (für jedes Altersjahr) implizit nach der Verteilung der
                            Beobachtungs- und Geburtsjahre gewichtet sind.
                        7   Wir beschränken uns hier auf den Lebensverlauf im Haupterwerbsalter, also zwischen 20 und 60 Jahren, um Verzerrungen (z. B. durch Rentenein-
                            tritte) zu vermeiden.

14
4 Empirische Analyse

ren Berufsabschluss mit über 25 gemacht haben.                                                  – auf dem aktuellsten Stand sind und deshalb gut
Während die Beschäftigungsquote der Gruppe                                                      nachgefragt werden. Darüber hinaus beweisen
mit nachgeholtem Berufsabschluss grundsätzlich                                                  Menschen, die ihren Abschluss im Alter von
stabil bleibt, fällt die Beschäftigungsquote der                                                30-40 Jahren nachholen, eine hohe Mobilität und
Geringqualifizierten mit dem Alter stark ab.8                                                   Flexibilität – Eigenschaften, die ihnen auf dem
                                                                                                Arbeitsmarkt selbst gegenüber Jüngeren einen
Auch bei den Einkommen (Abbildung 2) zeigen                                                     Vorteil verschaffen könnten, die ihre Ausbildung
sich Unterschiede. Zunächst einmal haben Men-                                                   bis zum Alter von 25 Jahren absolviert haben.
schen mit Berufsabschluss ein im Schnitt deutlich
höheres Monatseinkommen als Menschen ohne                                                       Der deskriptive Vergleich von durchschnitt-
Berufsabschluss. Ein zweiter Berufsabschluss                                                    lichen Einkommen und Beschäftigungsquoten
geht dann noch mal mit einem zusätzlichen Ein-                                                  legt nahe, dass sich späte Berufsabschlüsse (im
kommenssprung einher. Im Durchschnitt halten                                                    Vergleich zu keinem Berufsabschluss) positiv
die Nachholer ihren Berufsabschluss mit 33 in                                                   auf Erwerbsbiografien auswirken. Das bedeutet
der Hand. In diesem Alter holen dann auch ihre                                                  jedoch nicht automatisch, dass die späten Be-
durchschnittlichen Monatseinkommen gegenüber                                                    rufsabschlüsse ursächlich für die Unterschiede
denen auf, die ihren Abschluss bereits vor 25 er-                                               zwischen den beiden Gruppen sind. Der positive
worben haben. Danach übertreffen sie diese Ein-                                                 Effekt könnte auch daraus resultieren, dass vor
kommen sogar. Das könnte unter anderem daran                                                    allem motivierte und/oder begabte Menschen
liegen, dass die Ausbildungsinhalte – und damit                                                 ihren Berufsabschluss nachholen.
auch die Kompetenzen der „Spätqualifizierten“

     ABBILDUNG 1 Beschäftigungsquote von Menschen ohne Berufsabschluss deutlich geringer

     Personen: 8.306

                                     100

                                     95
    Beschäftigungsquote in Prozent

                                     90

                                     85

                                     80

                                     75
                                           20       25             30             35             40             45             50             55             60

                                                         ohne Berufsabschluss                  Alter                 Berufsabschluss unter 25
                                                         Berufsabschluss über 25                                     zwei Berufsabschlüsse

     Quelle: NEPS-SC6-ADIAB (2020)

8                        Zwei Gründe dürften maßgeblich dazu beitragen, warum die Beschäftigungsquoten der beiden Gruppen erst ab Mitte 40 divergieren: Einerseits die
                         geringen Fallzahlen und die damit verbundenen Schwankungen der Mittelwerte im Altersverlauf. Und andererseits die Tatsache, dass in der Gruppe
                         derjenigen, die mit über 25 einen Berufsabschluss erhalten haben, auch ein Teil diesen Abschluss erst zwischen 30 und 40 macht.

                                                                                                                                                                                           15
Berufsabschluss durch Weiterbildung

                           ABBILDUNG 2 Durchschnittliches Brutto-Monatseinkommen bei Menschen ohne Berufsabschluss
                                       bedeutend niedriger
                           Personen: 8.306

                                                           3.500

                                                           3.000
                          Brutto-Monatseinkommen in Euro

                                                           2.500

                                                           2.000

                                                           1.500

                                                           1.000

                                                            500
                                                                   20   25          30          35       40         45          50          55      60

                                                                             ohne Berufsabschluss      Alter             Berufsabschluss unter 25
                                                                             Berufsabschluss über 25                     zwei Berufsabschlüsse

                           Quelle: NEPS-SC6-ADIAB (2020)

                        Um das zu erkennen, schätzen wir den Effekt                                    raum wieder auf die Jahre 1975-2017 beschränkt,
                        der Berufsabschlüsse auf Beschäftigung und                                     beziehen wir hier die Altersgruppen 18-65 mit
                        Einkommen zusätzlich mit Hilfe sogenannter                                     ein. Ist eine Person nicht beschäftigt, setzen wir
                        Fixe-Effekte-Regressionen mit Eventstudien-                                    das Einkommen gleich null.
                        Design. Die Regressionen benutzen fixe Effekte
                        pro Person, die das durchschnittliche zeitkons-                                4.2.1 Effekte eines „nachgeholten” ersten
                        tante Verhalten der Person aufgreifen. Dadurch                                        Berufsabschlusses über 25
                        werden die übrigen Regressionskoeffizienten um
                        den zeitkonstanten Einfluss bereinigt. Die ge-                                 Zunächst analysieren wir die Effekte eines
                        schätzten Fixe-Effekte-Koeffizienten entsprechen                               „nachgeholten” ersten Berufsabschlusses über
                        intuitiv also einem Vorher-Nachher-Vergleich                                   25 auf Einkommen und Beschäftigung. Die
                        für jedes Individuum.                                                          Stichprobe umfasst alle geringqualifizierten
                                                                                                       ­Personen und solche, die mit über 25 Jahren
                        So berechnet sich beispielsweise der Einkom-                                   einen Berufsabschluss erworben haben. Die
                        menseffekt des ersten Berufsabschlusses aus der                                Event-Koeffizienten werden für den Zeitraum
                        individuellen Differenz zwischen dem Einkom-                                   2 Jahre vor bis 5 Jahre nach dem Berufsabschluss
                        men vor und dem Einkommen nach dem Berufs-                                     geschätzt. Die letzten beiden Punkte der Event-
                        abschluss. Mithilfe des Eventstudien-Designs                                   Grafik geben den langfristigen Durchschnitt der
                        wird der differentielle Effekt für verschiedene                                Personen mit einem späten Berufsabschluss 5-10
                        Zeitperioden vor und nach dem Berufsabschluss                                  Jahre und mehr als 10 Jahre nach dem Abschluss
                        (dem „Event”) geschätzt. Gleichzeitig kontrol-                                 dar. Die Koeffizienten sind als Differenz zum
                        lieren die Regressionsschätzungen für weitere                                  langfristigen Durchschnitt aller Geringquali­
                        Faktoren, die Einkommen und Beschäftigung                                      fizierten zu interpretieren.
                        beeinflussen (wie z. B. das Beobachtungsjahr, das
                        Bildungsniveau, die Anzahl der Kinder oder der                                 Abbildung 3 und 4 stellen die geschätzte Wir-
                        Ehestatus). Während sich der Beobachtungszeit-                                 kung des ersten Berufsabschlusses nach 25 auf

16
4 Empirische Analyse

die Beschäftigungswahrscheinlichkeit und das                                                         stellen die Monate vor Eintritt in die Bildungs-
Monatseinkommen dar. Die Bildungsepisode                                                             episode dar. Analog stehen die „Monate nach
selbst ist dabei nicht mit abgebildet, das heißt,                                                    der Bildungsepisode“ für die Monate nach dem
die „Monate vor der Bildungsepisode über 25”                                                         Austritt aus der Bildungsepisode.

           ABBILDUNG 3 Nachgeholter Berufsabschluss erhöht Beschäftigungswahrscheinlichkeit
                       langfristig positiv

           N = 343.083, Personen: 3.102

                                                    30
        Beschäftigungseffekt in Prozentpunkten

                                                    20
                                                                                                                                               + 10 Jahre
                                                                                                                                             5–10 Jahre

                                                    10

                                                     0

                                                    -10

                                                    -20

                                                    -30
                                                          -24   -12             0            12            24            36             48                 60

                                                                      Monate vor und nach Bildungsepisode mit Berufsabschluss über 25

              Quelle: NEPS-SC6-ADIAB (2020)

           ABBILDUNG 4 Nachgeholter Berufsabschluss erhöht monatliches Brutto-Einkommen langfristig positiv

           N = 343.083, Personen: 3.102

                                                  1.500
 Veränderung des Brutto-Monatseinkommen in Euro

                                                  1.000
                                                                                                                                              + 10 Jahre

                                                                                                                                             5–10 Jahre
                                                   500

                                                     0

                                                  -500

                                           -1.000

                                           -1.500
                                                          -24   -12             0            12            24            36             48                 60

                                                                      Monate vor und nach Bildungsepisode mit Berufsabschluss über 25

              Quelle: NEPS-SC6-ADIAB (2020)

                                                                                                                                                                                 17
Berufsabschluss durch Weiterbildung

                        Vom Zeitpunkt „zwei Jahre vor dem Eintritt“                                                 zu sein, um etwa 10 Prozentpunkte im Vergleich
                        in die Bildungsepisode bis zum tatsächlichen                                                zum durchschnittlichen Geringqualifizierten.
                        Eintritt sehen wir einen negativen Effekt auf die                                           Zudem zeigen die Schätzungen, dass der erste
                        Beschäftigungswahrscheinlichkeit und das Ein-                                               Berufsabschluss das Einkommen um ca. 500
                        kommen. Beide Größen sinken im Vergleich zu                                                 Euro im Vergleich zum durchschnittlichen
                        der Zeit zwei Jahre vor der Bildungsepisode. Das                                            Geringqualifizierten erhöht. Es gilt jedoch zu
                        liegt hauptsächlich daran, dass einige Menschen                                             beachten, dass ein Teil dieses Einkommens-
                        arbeitslos oder nicht erwerbstätig sind, bevor sie                                          effekts auf den positiven Beschäftigungseffekt
                        einen Berufsabschluss anstreben. Durch die Er-                                              zurückzuführen ist: Zuvor Nicht-Beschäftigte
                        werbs- bzw. Arbeitslosigkeit haben sie in diesen                                            hatten schließlich ein Einkommen von null Euro.
                        Monaten kein Einkommen. Es wird sich hier um                                                Durch die Aufnahme einer neuen Beschäftigung
                        Menschen handeln, die arbeitslos geworden sind                                              fließen sie mit einem positiven Einkommen in
                        oder sich beruflich umorientieren möchten und                                               die Schätzungen ein.
                        deshalb einen Berufsabschluss nachholen.
                                                                                                                    4.2.2 Effekte eines zweiten Berufsabschlusses
                        Der erfolgreiche Berufsabschluss zeigt dann
                        sowohl für die Beschäftigung als auch für das                                               Abbildungen 5 und 6 zeigen den Effekt eines
                        Einkommen einen langfristig positiven Effekt.                                               zweiten Berufsabschlusses über 25 mit der glei-
                        Mit zunehmendem Abstand zum Abschluss wird                                                  chen ökonometrischen Analyse. Die Stichprobe
                        dieser Effekt noch stärker. So beträgt der Be-                                              beinhaltet alle Personen, die vor 25 ihren ersten
                        schäftigungseffekt 5 Jahre nach Berufsabschluss                                             Berufsabschluss erworben haben. Die Schätzung
                        ca. 10 Prozentpunkte. Der erste „nachgeholte”                                               untersucht den differentiellen Event-Effekt bei
                        Berufsabschluss erhöht also die Wahrschein-                                                 Personen, die zusätzlich einen zweiten Berufsab-
                        lichkeit, 5 Jahre nach Berufsabschluss in einer                                             schluss erworben haben.
                        sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung

                            ABBILDUNG 5 Zweiter Berufsabschluss geht wegen hoher Ausgangsbasis nicht mit positivem
                                        Beschäftigungseffekt einher

                            N = 1.881.905, Personen: 9.532

                                                                   20
                          Beschäftigungseffekt in Prozentpunkten

                                                                   10

                                                                                                                                                                + 10 Jahre
                                                                                                                                                            5–10 Jahre
                                                                    0

                                                                   -10

                                                                   -20
                                                                         -24   -12             0            12            24           36              48                60

                                                                                     Monate vor und nach Bildungsepisode mit zweitem Berufsabschluss

                              Quelle: NEPS-SC6-ADIAB (2020)

18
4 Empirische Analyse

                   ABBILDUNG 6 Zweiter Berufsabschluss erhöht monatliches Brutto-Einkommen deutlich

                   N = 1.881.905, Personen: 9.532

                                                  1.500
 Veränderung des Brutto-Monatseinkommen in Euro

                                                                                                                                               + 10 Jahre
                                                  1.000
                                                                                                                                              5–10 Jahre

                                                    500

                                                      0

                                                   -500

                                                  -1.000

                                                  -1.500
                                                           -24   -12             0            12            24           36              48                60

                                                                       Monate vor und nach Bildungsepisode mit zweitem Berufsabschluss

                      Quelle: NEPS-SC6-ADIAB (2020)

Ein zweiter später Berufsabschluss zeigt ­                                                            den ersten und zweiten Berufsabschluss gefun-
mittel- und langfristig keinen Beschäftigungs-                                                        denen Lohneffekte sich mit der internationalen
effekt. Das überrascht nicht, denn das Event­                                                         Literatur. Auch hier werden für das Nachholen
studien-Design vergleicht die Beschäftigungs-                                                         von Berufsabschlüssen im Erwachsenenalter
quote nach dem zweiten Berufsabschluss mit                                                            positive Effekte auf das Einkommen beschrieben
dem langfristigen Durchschnitt von Menschen                                                           (Bratsberg et al., 2020).
mit nur einem Abschluss. Wie aber schon
­festgestellt wurde, liegt die Beschäftigungs-
quote von Menschen mit einem Berufsabschluss                                                          4.3 Effekte der Förderung der
im Haupterwerbsalter bereits deutlich über 90                                                              beruflichen Weiterbildung
Prozent (siehe Abbildung 1). Es ist also nicht
                                                                                                           (FbW)
verwunderlich, dass ein weiterer, zweiter Be-
rufsabschluss diese Beschäftigungsquote nicht
weiter steigert.                                                                                      Zuletzt analysieren wir, welche Effekte es hat, an
                                                                                                      Maßnahmen der Förderung der beruflichen Wei-
Im Vergleich zum späten Erstabschluss, bei dem                                                        terbildung (FbW) teilzunehmen. Das geschieht
wir sowohl einen Beschäftigungseffekt als auch                                                        mit Hilfe der NEPS-SC6-ADIAB-Daten und der
einen Einkommenseffekt feststellen konnten, hat                                                       gleichen ökonometrischen Methodik wie oben
der Zweitabschluss also einen reinen Einkom-                                                          beschrieben.
menseffekt: Er erhöht das Monatseinkommen
langfristig um mehr als 500 Euro. 10 Jahre nach                                                       Die in den Daten erfassten Maßnahmen der
Abschluss erreicht der Effekt sogar knapp 1.000                                                       Förderung der beruflichen Weiterbildung (FbW)
Euro. Die Effekte sind statistisch hochsigni-                                                         umfassen alle Weiterbildungsmaßnahmen, die
fikant. Diese Größe ist umso bemerkenswerter,                                                         von der Bundesagentur für Arbeit gefördert
da es sich um einen reinen Einkommenseffekt                                                           werden. Darunter fallen zum einen die ab-
handelt und nicht auf einen Beschäftigungseffekt                                                      schlussorientierten Maßnahmen, die auf einen
zurückzuführen ist. Insgesamt decken die für                                                          anerkannten Berufsabschluss abzielen – wie

                                                                                                                                                                                 19
Berufsabschluss durch Weiterbildung

                        die bereits dargestellten Umschulungen, Vor-                                                            nach der Maßnahme bleibt die Beschäftigungs-
                        bereitungslehrgänge zur Externenprüfung und                                                             quote zunächst unterdurchschnittlich. Ungefähr
                        Teilqualifikationen. Zusätzlich gibt es noch nicht                                                      zwei Jahre nach der Weiterbildung wird die
                        abschlussorientierte FbW-Maßnahmen wie die                                                              ursprüngliche Beschäftigungsquote erst wieder
                        Vermittlung von Grundkompetenzen oder die                                                               erreicht: Das Vorzeichen des Beschäftigungs-
                        Teilnahme an einer Übungswerkstatt.                                                                     effekts kippt nach diesem Zeitraum ins Positive
                                                                                                                                und steigt dann weiter an: Drei Jahre nach der
                        Für die Analyse betrachten wir alle Personen, die                                                       FbW-Maßnahme haben die Teilnehmenden eine
                        in den Jahren 2009-2017 an solchen Weiterbil-                                                           (im Vergleich zum langjährigen Vorniveau) um
                        dungsmaßnahmen teilgenommen haben. Abbil-                                                               3,1 Prozentpunkte höhere Beschäftigungsquote.
                        dung 7 und 8 stellen die entsprechenden Ergeb-
                        nisse dar. Die Stichprobe umfasst nur Personen,                                                         Die Einkommen (Abbildung 8) folgen dabei
                        die an einer FbW teilgenommen haben. Somit                                                              einem ähnlichen Muster wie die Beschäftigung:
                        sind die Eventkoeffizienten stets als Differenz                                                         Im Jahr vor der FbW brechen die Einkommen
                        zum langjährigen Durchschnitt mehr als 2 Jahre                                                          stark ein. Das lässt sich durch die bei vielen
                        vor der Weiterbildung zu interpretieren.9                                                               Teilnehmenden eintretende Arbeitslosigkeit
                                                                                                                                erklären. Nach der FbW erholen sich die Ein-
                        Abbildung 7 zeigt, dass die Beschäftigungswahr-                                                         kommen. Etwa ein Jahr nach Abschluss der Maß-
                        scheinlichkeit im Jahr vor der Maßnahme stetig                                                          nahme entsprechen sie im Schnitt wieder dem
                        sinkt. Das ist der Logik der FbW-Maßnahmen                                                              langfristigen Niveau zwei Jahre vor dem Besuch
                        geschuldet: Sie werden häufig von Arbeitslosen                                                          der Maßnahme. Im weiteren Verlauf steigen die
                        besucht. Beschäftigungslosigkeit ist gewisserma-                                                        Einkommen deutlich an. Langfristig liegen sie ca.
                        ßen eine Vorbedingung für die Teilnahme. Auch                                                           700,- € höher als vor der Weiterbildung.

                              ABBILDUNG 7 Teilnahme an FbW-Maßnahmen mit langfristig positivem Beschäftigungseffekt

                              N = 78.019, Personen: 343

                                                                     20
                            Beschäftigungseffekt in Prozentpunkten

                                                                     10

                                                                                                                                                                                5–10 Jahre
                                                                      0

                                                                     -10

                                                                     -20

                                                                     -30

                                                                     -40
                                                                           -24    -12                0                12               24                36                48                60

                                                                                                      Monate vor und nach Weiterbildung (FbW)

                                Quelle: NEPS-SC6-ADIAB (2020)

                        9                              Da wir hier nur den Zeitraum 2009-2017 betrachten, beschränkt sich der langfristige Effekt auf den durchschnittlichen Effekt mehr als 5 Jahre nach
                                                       der Weiterbildung.

20
4 Empirische Analyse

                         ABBILDUNG 8 Brutto-Monatseinkommen nach Teilnahme an FbW-Maßnahme langfristig deutlich höher

                         N = 78.019, Personen: 343

                                                   1.500
 Veränderung des Brutto-Monatseinkommens in Euro

                                                   1.000

                                                                                                                                 5–10 Jahre

                                                     500

                                                       0

                                                    -500

                                                   -1.000

                                                   -1.500
                                                            -24   -12   0              12           24           36         48                60

                                                                            Monat vor und nach Weiterbildung (FbW)

                           Quelle: NEPS-SC6-ADIAB (2020)

4.4 Zusammenfassung: Empirische                                                              begründen: ­Während der Maßnahme suchen

     Ergebnisse auf Basis der                                                                 die Teilnehmenden weniger intensiv nach
                                                                                              einer ­Beschäftigung. Im Vergleich zu ihren
     NEPS-ADIAB-DATEN
                                                                                              statistischen Zwillingen haben sie daher auch
                                                                                              eine ­geringere Wahrscheinlichkeit, eine Beschäf-
Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass                                                     tigung zu finden. Langfristig stehen die Teil-
späte Berufsabschlüsse und die Teilnahme an                                                   nehmenden bzgl. Einkommen und Beschäftigung
beruflichen Weiterbildungen einen positiven                                                   allerdings besser da als die Kontrollgruppe. Das
Effekt auf Beschäftigung und Einkommen haben.                                                 heißt, berufliche Weiterbildung hat langfristig
Es gilt jedoch zu beachten, dass berufliche                                                   einen positiven Effekt (Bernhard, 2016; Kruppe
Weiterbildungen häufig bei Arbeitslosigkeit ge-                                               und Lang, 2015).
fördert werden. Die geschätzten Effekte dieser
Maßnahme können daher von der selektiven                                                      Es gilt allerdings zu bedenken, dass unsere Ana-
Wahrscheinlichkeit arbeitslos zu sein sowie den                                               lyse der FbW-Maßnahmen durch zwei Restrik-
kurz- und langfristigen Effekten von Arbeits-                                                 tionen eingeschränkt ist: Erstens ist die Fallzahl
losigkeit verzerrt sein.                                                                      relativ klein und zweitens werden unter dem
                                                                                              Begriff „Förderung betrieblicher Weiterbildung”
Unsere Ergebnisse decken sich jedoch mit den                                                  verschiedene Formen geförderter Maßnahmen
bisherigen Erkenntnissen der empirischen                                                      zusammengefasst – abschlussorientierte und
Forschung: Die Teilnahme an einer Weiter-                                                     nicht abschlussorientierte. Es ist anzunehmen,
bildung führt kurzfristig zu einer niedrigeren                                                dass die abschlussorientierten Maßnahmen
Beschäftigungswahrscheinlichkeit und einem                                                    deutlich effektiver sind als diejenigen, die nicht
niedrigeren Einkommen als bei vergleich-                                                      auf einen Berufsabschluss abzielen. Um das zu
baren Personen („statistischen Zwillingen“),                                                  überprüfen, widmen wir uns im nächsten Kapitel
die keine Maßnahme besucht haben. Das lässt                                                   einer differenzierten Analyse der unterschied-
sich mit dem sogenannten „Investitionseffekt”                                                 lichen Maßnahmen.

                                                                                                                                                                    21
Berufsabschluss durch Weiterbildung

                            4.5 Effekte der abschlussorientieren                                        nenmerkmalen wie Bildung, Geschlecht, Alter
                                 Weiterbildung                                                           oder vorherige Arbeitslosigkeit.

                            Die folgende Analyse beruht auf der Sonderaus-                               4.5.1 Weiterbildungsteilnahmen
                            wertung der Förderstatistik der Bundesagentur
                            für Arbeit. Die Statistik erfasst Förderungen und                            Abbildung 9 stellt die Teilnahmezahlen an Maß-
                            Teilnahmen an den Maßnahmen der aktiven                                      nahmen der FbW (linkes Panel) und die Teilnah-
                            Arbeitsmarktförderung nach dem SGB III sowie                                 men relativ zu den Leistungsbeziehern (rechtes
                            Leistungen zur Eingliederung des Bundes nach                                 Panel) über die Jahre 2010-2020 nach SGB II
                            dem SGB II.                                                                  und SGB III dar.10 Es wird deutlich, dass sich
                                                                                                         die Teilnahmezahlen über das SGB III zwischen
                            Im Ergebnis liefert die Sonderauswertung für                                 2010 und 2012 zunächst fast halbiert haben (von
                            die Jahre 2010 bis 2020 die absoluten Zahlen der                             273.000 auf 139.000). Der Hauptgrund lag darin,
                            Weiterbildungsteilnahmen sowie Informationen                                 dass die Bundesagentur für Arbeit im Zuge der
                            zum Verbleib der Teilnehmenden bis zu 2 Jahre                                Finanzkrise und dem damit verbundenen Druck
                            nach Austritt aus einer FbW-Maßnahme. Die                                    auf ihren Haushalt die Eingliederungstitel kürz-
                            Auswertung differenziert dabei zwischen einzel-                              te, wodurch die Teilnahmezahlen an beruflicher
                            nen Bundesländern und verschiedenen Perso-                                   Weiterbildung stark sanken.

  ABBILDUNG 9 FbW-Teilnahmen im SGB III mit positiver Tendenz, im SGB II stagnierend bis rückläufig

  Anzahl der Teilnahmen
                                    Teilnahmen FbW                                                               Teilnahmen pro Leistungsbezieher

  300.000                                                                                 0,25

                                                                                            0,2

  200.000
                                                                                          0,15

                                                                                            0,1
  100.000

                                                                                          0,05

         0                                                                                    0
             2010         2012        2014          2016         2018          2020               2010        2012          2014          2016         2018          2020
                                             Jahr                                                                                  Jahr
                                                                                SGB II        SGB III
  Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2021)

                            10   Die Abbildungen stellen die Teilnahmezahlen an FbW-Maßnahmen insgesamt dar, unabhängig davon, ob diese abschlussorientiert sind oder nicht. Die
                                 Teilnahmezahlen an abschlussorientierten FbW-Maßnahmen weisen sehr ähnliche Tendenzen auf.

22
4 Empirische Analyse

     ABBILDUNG 10 Nicht abschlussorientierte Weiterbildungen dominieren die FbW-Teilnahmen

     Anzahl der Weiterbildungsteilnahmen, 2010 bis 2020

      berufsbezogene übergreifende Weiterbildung                                                                                                     2.638.628

                                            Umschulung                                                      438.131

                                      Teilqualifizierung                  94.705

                               Betr. Einzelumschulung                     89.141

                   Vobereitung zur Externenprüfung                   64.889

                Vermittlung von Grundkompetenzen                  27.257

                                      Übungswerkstatt            21.148

                   berufliche Aufstiegsweiterbildung             16.016

                                            Übungsfirma          15.905

                                                             0     100.000    200.000   300.000   400.000   500.000           2,5 Mio.    2,6 Mio.   2,7 Mio.

     Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2021)

Ab 2012 ist die Tendenz wieder steigend, um                                  im Jahr 2010 auf „nur noch” 2,1 Teilnahmen im
2020 (vermutlich bedingt durch die Coronakrise)                              Jahr 2019 gesunken.
erneut abzufallen. Weder der starke Rückgang
an Weiterbildungsteilnahmen zwischen 2010                                    Abbildung 10 listet die Anzahl der FbW-Teil-
und 2012 noch die positive Tendenz von 2012 bis                              nahmen im Zeitraum 2010-2020 nach Maß-
2019 sind indes durch die Menge an Leistungs-                                nahme-Unterart auf.11 Mit ca. 2,6 Mio. fällt der
beziehern zu erklären: Die Teilnahmen pro                                    mit Abstand größte Teil der Weiterbildungsteil-
Leistungsbezieher (linkes Panel) zeigen sehr                                 nahmen in die Kategorie der berufsbezogenen
ähnliche Tendenzen.                                                          übergreifenden Weiterbildungen. Dahinter folgen
                                                                             die oben schon diskutierten vier abschluss-
Die Teilnahmezahlen über das SGB II verzeich-                                orientierten Weiterbildungen. Die größte davon
nen dagegen seit 2010 einen abnehmenden Trend                                ist mit ca. 440.000 Teilnahmen die Umschulung
und sind zwischen 2010 und 2020 um mehr als                                  bei einem Bildungsträger. Die ebenfalls bereits
die Hälfte gefallen (von ca. 226.000 auf 88.000,                             erläuterten Teilqualifikationen, betrieblichen
linkes Panel). Zumindest teilweise ist das ein                               Einzelumschulungen sowie die Vorbereitung auf
Ergebnis des Rückgangs an Leistungsbeziehern                                 die Externenprüfung haben mit Teilnahmezahlen
im SGB II: Pro 100 Leistungsbezieher sind die                                zwischen 65.000 und 95.000 dagegen eine deut-
Teilnahmezahlen nämlich von 3,3 Teilnahmen                                   lich geringere Beteiligung.

11    Hinweis: Es sind nur Maßnahme-Unterarten mit mehr als 15.000 Teilnahmen dargestellt.

                                                                                                                                                                23
Berufsabschluss durch Weiterbildung

                           ABBILDUNG 11 Teilqualifizierungen in den letzten Jahren immer häufiger nachgefragt

                                                  50.000

                                                  40.000
                          Anzahl der Teilnahmen

                                                  30.000

                                                  20.000

                                                  10.000

                                                      0
                                                           2010    2011     2012   2013    2014    2015     2016     2017     2018     2019      2020

                                                                                                   Jahr

                                                  Betriebliche Einzelumschulung    Umschulung      Vorbereitung Externenprüfung      Teilqualifizierung

                           Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2021)

                        Im Folgenden legen wir den Fokus auf die vier                             Abbildung 12 zeigt schließlich die Teilnahme-
                        abschlussorientieren Weiterbildungen (vgl.                                zahlen nach Bundesländern separat für die vier
                        Kapitel 3). Abbildung 11 stellt die zeitliche Ent-                        abschlussorientierten Weiterbildungen und
                        wicklung der Teilnahmen an diesen Maßnahmen                               kumuliert von 2010 bis 2020.
                        zwischen 2010 und 2020 dar. Mit jährlichen
                        Teilnahmezahlen zwischen 30.000 und 50.000                                Generell wurden in den südlichen Bundesländern
                        ist die „Umschulung bei einem Träger“ die                                 Baden-Württemberg und Bayern mit jeweils
                        meistbesuchte Maßnahme-Unterart. Die drei                                 knapp 3.000 Teilnahmen pro 100.000 Arbeits-
                        anderen Maßnahme-Typen haben ähnliche                                     lose die meisten Maßnahmen absolviert. Die
                        Teilnahmestärken, wobei die Teilqualifikationen                           wenigsten Maßnahmen-Teilnahmen verbuchten
                        als einzige Maßnahme einen starken Anstieg                                Thüringen und Brandenburg mit rund 1.600 bzw.
                        verzeichnen (zwischen 2014 und 2019): Hier hat                            1.400 Eintritten pro 100.000 Arbeitslose.
                        sich die Zahl der Teilnahmen von ca. 5.000 auf
                        15.000 verdreifacht.

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4 Empirische Analyse

  ABBILDUNG 12 Maßnahmearten werden in den Bundesländern sehr unterschiedlich eingesetzt

  Teilnahmen pro 100.000 Arbeitslose von 2010 bis 2020

         Baden-Württemberg                   320                                        1.674                                                   501              369

                         Bayern                456                                        1.493                                              423           374

                          Berlin        22                                     1.791                                        152 78

                  Brandenburg           170                        1.097                       48        54

                        Bremen       95                                                1.998                                                 109100

                       Hamburg          11                                 1.824                                                      366          144

                         Hessen           285                                    1.352                               214        112

  Mecklenburg-Vorpommern                     286                                1.287                               214    154

                Niedersachsen                       558                                  1.190                            114        279

         Nordrhein-Westfalen              277                                     1.503                                    166                 531

               Rheinland-Pfalz               380                           1.043                              277                    533

                       Saarland                    482                          1.054                      28       308

                        Sachsen           257                                    1.514                                     135 126

               Sachsen-Anhalt           190                                     1.610                                 50        69

           Schleswig-Holstein           236                            1.058                         242            335

                      Thüringen         195                            1.199                        50        185

                                    0                        500                1.000                     1.500                      2.000               2.500              3.000

      Betriebliche Einzelumschulung                       Umschulung             Vorbereitung Externenprüfung                               Teilqualifizierung

  Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2021)

Auch bei den Maßnahme-Unterarten finden                                         Bei den Teilqualifikationen finden sich noch
sich große Unterschiede zwischen den Ländern:                                   deutlichere Länderunterschiede: Hier verbuchten
Bei den Umschulungen sind die Stadtstaaten                                      Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz
Bremen, Hamburg und Berlin ganz vorne: Sie                                      mit jeweils über 500 Teilnahmen pro 100.000
verzeichneten zwischen 1.800 und 2.000 Teil-                                    Arbeitslose die meisten Teilnahmen. Dem gegen-
nahmen pro 100.000 Arbeitslose. Die Schluss-                                    über stehen die Länder Brandenburg, Sachsen-
lichter bei den Umschulungen sind das Saarland                                  Anhalt und Berlin, von denen jedes deutlich
und Rheinland-Pfalz mit knapp über 1.000                                        unter 100 Teilnahmen pro 100.000 Arbeitslose
Teilnahmen pro 100.000 Arbeitslose.                                             verzeichnet.

                                                                                                                                                                                        25
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