Beschluss der STIKO für die Empfehlung der COVID-19-Impfung und die dazugehörige wissenschaftliche Begründung STIKO-Empfehlung zur ...

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Epidemiologisches Bulletin      2 | 2021      14. Januar 2021 (online vorab)                                 3

  Mitteilung der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut
  Beschluss der STIKO für die Empfehlung
  der COVID-19-Impfung und die dazugehörige
  wissenschaftliche Begründung

  STIKO-Empfehlung zur COVID-19-Impfung

  Die STIKO empfiehlt die Impfung gegen ­COVID-19.          gefährdet und sollten, trotz schwerer Erreichbarkeit,
                                                            zu Beginn der Impfaktionen geimpft werden.
  Die Empfehlung tritt in Kraft, sobald ein erster
  Impfstoff zum Schutz vor COVID-19 zugelassen              Bei zunehmender, aber weiterhin limitierter Impf-
  und in Deutschland verfügbar ist. Aufgrund be-            stoffverfügbarkeit sollen Personengruppen der
  grenzter Impfstoffverfügbarkeit soll die Impfung          2.  Stufe geimpft werden, gefolgt von den Menschen
  zunächst nur Personengruppen angeboten werden,            in der jeweils nachfolgenden Stufe. Zu welchem
  die ein besonders hohes Risiko für schwere oder           Zeitpunkt von einer Stufe zur nächsten gewechselt
  tödliche Verläufe einer COVID-19-Erkrankung ha-           werden kann, soll lokal entschieden werden und
  ben oder die beruflich entweder besonders expo-           richtet sich nach der Verfügbarkeit der Impfstoffe.
  niert sind oder engen Kontakt zu vulnerablen Per-         Neue Evidenz zu den Risikogruppen wird fortlau-
  sonengruppen haben.                                       fend weiter bewertet.

  Da in Bezug auf die Höhe des Risikos und die ange-        Diese STIKO-Empfehlung setzt sich aus der allge-
  strebten Impfziele Unterschiede bestehen, emp-            meinen Impfempfehlung und einer Empfehlung
  fiehlt die STIKO ein stufenweises Vorgehen (Priori-       zur Priorisierung zusammen. Die Priorisierungs-
  sierungsempfehlung). In der 1. Stufe sollen folgen-       empfehlung hat nur solange Gültigkeit, bis genü-
  de Personengruppen geimpft werden:                        gend Impfstoff verfügbar ist. Mittelfristig ist es das
  ▶▶ BewohnerInnen von Senioren- und Altenpfle-             Ziel, allen Menschen einen gleichberechtigten Zu-
       geheimen                                             gang zu einer Impfung gegen COVID-19 anbieten
  ▶▶ Personen im Alter von ≥ 80 Jahren                      zu können.
  ▶▶ Personal mit besonders hohem Expositions­
       risiko in medizinischen Einrichtungen (z. B. in      Für die Impfung gegen COVID-19 wird die Zulas-
       Not­aufnahmen, in der medizinischen Betreu-          sung und Verfügbarkeit eines ersten Impfstoffs
       ung von COVID-19-PatientInnen)                       (BNT162b2 der Firma BioNTech/Pfizer) in Europa
  ▶▶ Personal in medizinischen Einrichtungen mit            bis spätestens Ende 2020 erwartet. Für eine voll-
       engem Kontakt zu vulnerablen Gruppen (z. B. in       ständige Impfserie sind bei diesem mRNA-Impf-
       der Onkologie oder Transplantationsmedizin)          stoff zwei intramuskulär (i. m.) zu applizierende
  ▶▶ Pflegepersonal in der ambulanten und stationä-         Impfstoffdosen in einem Mindestabstand von 21 Ta-
       ren Altenpflege                                      gen notwendig.
  ▶▶ Andere Tätige in Senioren- und Altenpflege­
       heimen mit Kontakt zu den BewohnerInnen              Sobald weitere Impfstoffe zugelassen und verfügbar
                                                            sind oder neue relevante Erkenntnisse mit Einfluss
  Innerhalb der Stufe 1 sind die ≥ 80-Jährigen und die      auf diese Empfehlung bekannt werden, wird die
  BewohnerInnen von Altenpflegeheimen besonders             STIKO ihre COVID-19-Impfempfehlung aktualisie-
Epidemiologisches Bulletin      2 | 2021      14. Januar 2021 (online vorab)                                                  4

  ren und ggf. Indikationsgruppen anpassen. Die              Stufe   Personengruppen
  ­Publikation jeder Aktualisierung erfolgt im Epide-        1       ▶▶ BewohnerInnen von Senioren- und Altenpflegeheimen
                                                                        Personen im Alter von ≥ 80 Jahren
   miologischen Bulletin (Epid Bull) und wird auf der                ▶▶

                                                                     ▶▶ Personal mit besonders hohem Expositionsrisiko in

   RKI-Webpage bekannt gegeben.                                         medizinischen Einrichtungen*
                                                                     ▶▶ Personal in medizinischen Einrichtungen mit engem

                                                                        Kontakt zu vulnerablen Gruppen*
                                                                     ▶▶ Pflegepersonal in der ambulanten und stationären
  Hinweise zur praktischen Umsetzung:                                   Altenpflege
  ▶▶ Für die Umsetzung der Empfehlung sind die                       ▶▶ Andere Tätige in Senioren- und Altenpflegeheimen mit

                                                                        Kontakt zu den BewohnerInnen
  Bundesländer bzw. die von ihnen beauftragten Stel-
                                                             2       ▶▶ Personen im Alter von ≥75 – 79 Jahren
  len verantwortlich.                                                ▶▶ Personal mit hohem Expositionsrisiko in medizinischen
                                                                        Einrichtungen*
  ▶▶ Eine COVID-19-Impfung setzt eine sorgfältige                    ▶▶ Personen mit einer Demenz oder geistigen Behinderung

  Aufklärung der zu impfenden Person bzw. des ver-                      in Institutionen
                                                                     ▶▶ Tätige in der ambulanten oder stationären Versorgung

  antwortlichen Vorsorgebevollmächtigten voraus. Die                    von Personen mit Demenz oder geistiger Behinderung
                                                                     ▶▶ Personen mit Down-Syndrom (Trisomie 21)
  STIKO verweist hierzu auf Kapitel 4.1 der S  ­ TIKO-­
                                                             3       ▶▶ Personen im Alter von ≥70 – 74 Jahren
  Empfehlung 2020/2021 (Epid Bull 34/2020).                          ▶▶ Personen nach Organtransplantation
                                                                     ▶▶ Personen mit Vorerkrankungen mit hohem Risiko**
  ▶▶ Eine begonnene Impfserie muss zunächst mit                      ▶▶ BewohnerInnen und Tätige in Gemeinschafts­

  dem gleichen Produkt abgeschlossen werden, auch                       unterkünften
                                                                     ▶▶ Enge Kontaktpersonen von Schwangeren
  wenn zwischenzeitlich andere Impfstoffe zugelas-                   ▶▶ Enge Kontaktpersonen bzw. Pflegende von Personen

  sen worden sind. Die Vervollständigung der Impf-                      mit hohem Risiko
                                                                     ▶▶ Personal mit moderatem Expositionsrisiko in medizini-

  serie bei Personen, die bereits die erste der beiden                  schen Einrichtungen* und in Positionen, die für die
                                                                        Aufrechterhaltung der Krankenhaus­infrastruktur
  notwendigen Impfstoffdosen erhalten haben, hat                        besonders relevant sind
                                                                     ▶▶ Teilbereiche des ÖGD
  Priorität vor dem Beginn der Impfung neuer Perso-
                                                             4       ▶▶ Personen im Alter von ≥ 65 – 69 Jahren
  nen, die noch keine Impfung erhalten haben. Dafür                  ▶▶ Personen mit Vorerkrankungen mit moderat erhöhtem
  soll entsprechend Impfstoff zurückgelegt werden.                      Risiko** und deren engste Kontaktpersonen
                                                                     ▶▶ Personal mit niedrigem Expositionsrisiko in medizini-

  ▶▶ Zur Frage, wann Personen mit nachgewiesener-                       schen Einrichtungen*
                                                                     ▶▶ LehrerInnen
  maßen durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion eine                     ▶▶ ErzieherInnen

  Impfung angeboten werden sollte, kann die STIKO                    ▶▶ Personen mit prekären Arbeits- und/oder Lebens­

                                                                        bedingungen
  auf Basis der aktuell vorliegenden Evidenz noch kei-       5       ▶▶ Personen im Alter von ≥ 60 – 64 Jahren
  ne endgültige Aussage machen. Nach überwiegen-                     ▶▶ Personal in Schlüsselpositionen der Landes- und
                                                                        Bundesregierungen
  der ExpertInnenmeinung sollten Personen, die eine                  ▶▶ Beschäftigte im Einzelhandel

                                                                     ▶▶ Beschäftigte zur Aufrechterhaltung der öffentlichen
  ­labordiagnostisch gesicherte Infektion mit SARS-
                                                                        Sicherheit mit erhöhtem Expositionsrisiko
   CoV-2 durchgemacht haben, zunächst nicht geimpft                  ▶▶ Berufsgruppen der kritischen Infrastruktur

   werden.                                                   6       ▶▶   Alle übrigen Personen im Alter von < 60 Jahren

   ▶▶ Nach den bisher vorliegenden Daten gibt es kei-       Tabelle | Stufenplan und Impfindikationsgruppen zur
   nen Hinweis darauf, dass die Impfung nach bereits        Priorisierung der COVID-19-Impfung in Deutschland
   unbemerkt durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion            Zur Einteilung des Personals in medizinischen Einrichtun-
                                                            gen* und der Personen mit Vorerkrankungen** wird auf die
   eine Gefährdung darstellt. Entsprechend besteht kei-
                                                            wissenschaftliche Begründung verwiesen (Tabelle 12,
   ne Notwendigkeit, vor Verabreichung einer                Kapitel 10.2.1 bzw. Kapitel 10.1.2)
   COVID-19-Impfung das Vorliegen einer akuten
   ­
   asymptomatischen oder unerkannt durchgemachten
   SARS-CoV-2-­  Infektion labordiagnostisch auszu-         ▶▶ Zu anderen planbaren Impfungen soll ein Min-
   schließen.                                               destabstand von 14 Tagen vor Beginn und nach Ende
   ▶▶ Auch wenn der Mindestabstand zwischen 1. und          der Impfserie eingehalten werden (Notfallimpfun-
   2. Impfstoffdosis überschritten wurde, kann die          gen sind davon ausgenommen).
   Impfserie fortgesetzt werden und muss nicht neu          ▶▶ Im Allgemeinen wird eine Nachbeobachtungs-                         geändert am
   begonnen werden.                                         zeit nach der COVID-19-Impfung von mindestens                         22.12.2020
                                                                                                                                  aufgrund der
   ▶▶ Wird nach Verabreichung der 1. Impfstoffdosis         15 5 Minuten empfohlen. Längere Nachbeobachtungs-                     Zulassung
   eine SARS-CoV-2-Infektion labordiagnostisch gesi-        zeiten von bis zu 15 – 30 Minuten sollten vorsichts-
   chert (positive PCR), soll die 2. Impfung vorerst        halber bei bestimmten Risikopersonen eingehalten
   nicht gegeben ­werden.                                   werden, z. B. bei Personen mit Gerinnungshem-
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  mung, anaphylaktischen oder stärkeren Reaktionen                             ▶▶ Die bisher vorliegenden Daten erlauben noch
  auf Impfungen in der Anamnese. Maßgeblich für                                nicht, die Wirksamkeit der COVID-19-mRNA-Impf-
  diese Entscheidungen sind die Angaben der Person                             stoffe hinsichtlich einer Verhinderung oder Reduk-
  selbst sowie der ärztliche Eindruck des Gesundheits­                         tion der Transmission abschließend zu bewerten.
  zustands.                                                                    Bis zum Vorliegen neuer Daten zum Schutz der
  ▶▶ Die Impfung ist strikt intramuskulär (i. m.) und                          Impfung vor Transmission müssen deshalb auch
  keinesfalls intradermal, subkutan oder intravas­                             nach Impfung die allgemein empfohlenen Schutz-
  kulär zu verabreichen. Bei PatientInnen unter Anti-                          maßnahmen (Beachtung von Abstands- und Hygie-
  koagulation soll die Impfung ebenfalls i. m. mit ei-                         neregeln) weiterhin eingehalten werden.
  ner sehr feinen Injektionskanüle und einer an-                               ▶▶ Für die Meldungen von über das übliche Maß
  schließenden festen Komprimierung der Einstich-                              ­hinausgehenden Impfreaktionen und -komplikatio-
  stelle über mindestens 2 Minuten erfolgen.                                    nen soll das etablierte Verfahren verwendet werden
  ▶▶ Bisher liegen noch keine Daten zur Sicherheit und                          (siehe Kapitel 4.9 „Impfkomplikationen und deren
  Wirksamkeit der Impfung in der Schwangerschaft                                Meldung“ in den STIKO-Impfempfehlungen
  und Stillzeit vor. Die Impfung ist daher vorerst in der                       2020/2021; Meldeformular des Paul-Ehrlich-Insti-
  Schwangerschaft und Stillzeit nicht empfohlen.                                tuts: https://www.pei.de/DE/arzneimittelsicherheit/
  ▶▶ Es ist aktuell nicht bekannt, ob man nach                                  pharmakovigilanz/meldeformulare-online-mel-
  SARS-CoV-2-Exposition durch eine postexpositionel-                            dung/meldeformulare-online-meldung-node.html).
  le Impfung den Verlauf der Infektion günstig beein-
  flussen oder die Erkrankung noch verhindern kann.

  Inhaltsverzeichnis
  Zusammenfassung................................................         6     10.3. Öffentlicher Gesundheitsdienst und weitere
  Vorbemerkung.......................................................     7           Berufsgruppen der kritischen Infrastruktur. 36
                                                                                10.4. Personengruppen, die aufgrund ihrer
  1.     Hintergrund..................................................    8
                                                                                      Wohn-/Lebens- und/oder Arbeits-
  2.     Öffentliches Interesse..................................         8           verhältnisse besonders gefährdet sind........ 37
  3.     SARS-CoV-2-Erreger und Übertragung........                       8     11. Ethik.............................................................. 40
  4.     COVID-19-Krankheitsbild.............................             9     12. Mathematische Modellierung...................... 40
  5.     Immunität..................................................... 10      12.1. Hintergrund zur Modellierung..................... 40
                                                                                12.2. Methodik....................................................... 40
  6.   COVID-19-Epidemiologie in Deutschland...                          11
                                                                                12.3. Ergebnisse der Modellierung....................... 43
  6.1. IfSG-Meldedaten..........................................         11
  6.2. Epidemiologische Daten aus anderen                                       13. Impfstrategie und Priorisierung der zu
       Datenquellen................................................      16           impfenden Bevölkerungsgruppen................ 45
  6.3. Seroprävalenzdaten......................................          16     14. Implementierung.......................................... 49
  7.   COVID-19-Impfstoffe.................................... 17               14.1. Alternative Maßnahmen für das
                                                                                      Erreichen des Impfziels im Vergleich zur
  7.1. mRNA-Impfstoffe......................................... 17
                                                                                      Impfung sowie deren Effektivität und
  7.2. Vektorbasierte Impfstoffe............................. 20
                                                                                      Umsetzbarkeit.............................................. 49
  8.   Systematischer Review zur Sicherheit und
                                                                                15. Impfakzeptanz in der Bevölkerung und
       Wirksamkeit.................................................. 22
                                                                                      der Ärzteschaft.............................................. 50
  8.1. Methodik des systematischen Reviews....... 22
  8.2. Ergebnisse des systematischen Reviews..... 23                            16. Monitoring-Systeme zur Evaluation der
                                                                                      Impfung bzw. der Impfempfehlung............. 51
  9.     Impfziele....................................................... 26    16.1. Impfquoten-Monitoring............................... 51
  10.   Risiko- und Indikationsgruppen für die                                  16.2. Evaluierung von Wirksamkeit und
        Impfempfehlung........................................... 26                  Sicherheit der Impfstoffe.............................. 51
  10.1. Risikofaktoren für einen schweren                                              Literatur........................................................ 53
        Krankheitsverlauf.......................................... 26
  10.2. Personen mit einem erhöhten
        arbeitsbedingten Infektionsrisiko................ 32
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  Zusammenfassung                                             hinsichtlich der Verhinderung der Transmission
                                                              von V­ irus durch Geimpfte lässt mit Berechtigung
  SARS-CoV-2 wurde Anfang 2020 erstmals nachge-               vermuten, dass auch durch die COVID-19-Impfstof-
  wiesen und hat sich seither pandemisch ausgebrei-           fe die Transmission von SARS-CoV-2 in der Bevöl-
  tet. Die leichte Übertragbarkeit und die Infektiosität      kerung reduziert wird.
  in der prä- und asymptomatischen Phase begüns­
  tigen dessen Ausbreitung. In Deutschland sind bis           Um die Dynamik der Ausbreitung von SARS-CoV-2
  Mitte Dezember über 1,3 Millionen Menschen an               deutlich abzuschwächen, muss ein Großteil der
  COVID-19 erkrankt und mehr als 22.000 Menschen              ­Bevölkerung eine Immunität gegen das Virus ent-
  daran gestorben.                                             wickeln. Effektive und sichere Impfstoffe können
                                                               ­einen entscheidenden Beitrag bei der Bekämpfung
  Die übergeordneten Ziele, die mit einer COVID-19-­            der Pandemie leisten und werden es ermöglichen,
  Impfung erreicht werden sollen, wurden frühzeitig             Kontaktbeschränkungen mittelfristig zu lockern.
  definiert und in einer gemeinsamen Stellungnahme
  der STIKO, des deutschen Ethikrates und der Leo-            Zunächst wird in Europa ein Impfstoff zugelassen
  poldina wie folgt veröffentlicht.1                          sein (BNT162b2). In der Zulassungsstudie4 wurde
  ▶▶ Verhinderung schwerer COVID-19-Verläufe                  für diesen eine Wirksamkeit gegen laborbestätigte
       (Hospitalisierung) und Todesfälle                      COVID-19-Erkrankung von 94 % über alle Alters-
  ▶▶ Schutz von Personen mit besonders hohem                  gruppen ermittelt. Die häufigste lokale Reaktion wa-
      ­arbeitsbedingten SARS-CoV-2-Expositionsri­             ren Schmerzen an der Einstichstelle (Impfung:
       siko (berufliche Indikation)                           83 %; Placebo: 14 %). Unter den systemischen Reak-
  ▶▶ Verhinderung der Transmission von SARS-                  tionen waren Abgeschlagenheit (Impfung: 47 %;
       CoV-2 sowie Gewährleistung von Schutz in               Placebo: 33 %), Kopfschmerzen (42 % vs. 34 %) so-
       Umgebungen mit hohem Anteil vulnerabler                wie Muskelschmerzen (21 % vs. 11 %) die häufigsten
       Personen und in solchen mit hohem Ausbruchs­           Ereignisse. Über das übliche Ausmaß einer Impf­
       potenzial                                              reaktion hinausgehende gesundheitliche Schädi-
  ▶▶ Aufrechterhaltung staatlicher Funktionen und             gungen durch die Impfung wurden in den Zulas-
       des öffentlichen Lebens                                sungsstudien nicht beobachtet. Wie bei anderen
                                                              neuen Impfstoffen auch, können durch Zulassungs-
  Das erste oben angegebene Ziel einer COVID-19-­             studien selten auftretende Nebenwirkungen nicht
  Impfempfehlung folgt grundsätzlichen ethischen              ausgeschlossen werden.
  Überlegungen, ergibt sich aber zudem aus der Not-
  wendigkeit, mit den verfügbaren Impfstoffdosen              Mittelfristig ist es das Ziel, allen Menschen einen
  möglichst viel gesundheitlichen Schaden durch die           gleichberechtigten Zugang zu einer Impfung gegen
  COVID-19-Pandemie abzuwenden. Dieses Ziel ist               COVID-19 anbieten zu können. Da initial der
  aufgrund der Datenlage zu den zur Zulassung an-             COVID-19-­Impfstoff nur in sehr begrenzten Men-
  stehenden Impfstoffen erreichbar. Das zweite Ziel           gen zur Verfügung stehen wird, sollten diese dafür
  ist im Hinblick auf die Vermeidung von Erkrankun-           genutzt werden, möglichst schnell die Anzahl an
  gen entsprechend auch erreichbar. Die Unterbre-             Sterbefällen und schwere Krankheitsverläufen zu
  chung oder Verminderung der Transmission im                 senken.
  Ziel drei ist auf der Basis der verfügbaren Daten zur
  Wirkung der Impfstoffe derzeit nicht sicher beur-           Gemäß der gesetzten Ziele, der verfügbaren wissen-
  teilbar. Ergebnisse aus Tiermodellen (sog. Challenge-­      schaftlichen Evidenz und den Ergebnissen aus einer
  Studien) und Beobachtungen in einer ersten Pha-             mathematischen Modellierung empfiehlt die S    ­ TIKO
  se  3 Studie mit einem COVID-19 Vektor­impfstoff            zunächst die stufenweise Impfung von Personen-
  lassen vermuten, dass die Impfstoffe auch die Trans-        gruppen, um bei begrenzten Impfstoffressourcen
  mission reduzieren werden.2,3 Für die mRNA-­                diesen mit dem besten Effekt und gerecht zu vertei-
  Impfstoffe liegen hierzu bislang bei Menschen kei-          len. Innerhalb einer Stufe sind die dort aufgeführten
  ne Daten vor. Die Wirksamkeit anderer Impfstoffe            Personengruppen gleich priorisiert, so dass empfoh-
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  len ist, unter Berücksichtigung der lokalen Gegeben-        und zu den Impfstoffen, bereits zur Anwendung
  heit mit den Impfungen parallel zu beginnen. Dabei          kommenden aber auch kurz vor Zulassung stehen-
  ist es wichtig, dass unbedingt die Personen erreicht        den, fortlaufend prüfen und ihre Empfehlung gege-
  werden, die das höchste Risiko haben, an COVID-19           benenfalls anpassen.
  schwer zu erkranken oder zu versterben.

  Der alles entscheidende Risikofaktor für eine schwe-        Vorbemerkung
  re COVID-19-Erkrankung ist das zunehmende A     ­ lter      Die „coronavirus-induced disease 2019“ (COVID-19)-­
  > 60 Jahre. Modellierungsergebnisse belegen, dass           Pandemie stellt die Gesellschaft vor besondere
  die größtmögliche Verhinderung von schweren Er-             Herausforderungen. Um die Übertragung von
                                                              ­
  krankungsfällen und Tod erzielt werden kann, wenn           ­„severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“
  die Impfung zuerst Menschen im Alter ≥ 80 Jahren             (SARS-CoV-2) zu reduzieren und die Pandemie ein-
  angeboten wird. Zudem trat ein großer Anteil an              zugrenzen bzw. zu beenden, muss ein Großteil der
  ­Todesfällen und Ausbrüchen unter BewohnerInnen              Bevölkerung eine Immunität gegen das Virus er-
   von Alten- und Pflegeheimen auf. Durch eine ziel-           werben. Bisher hat nur ein geringer Anteil der Be-
   gerichtete Impfung dieser beiden Personengruppen            völkerung eine SARS-CoV-2-Infektion durchge-
   werden auch die meisten Hospitalisierungen ver-             macht. Im August 2020 lag die Seroprävalenz von
   hindert und es wird die größte Anzahl an Lebens-            spezifischen SARS-CoV-2-Antikörpern in einer Be-
   jahren gewonnen. Personen mit bestimmten Vorer-             völkerungsstichprobe (30.000 BlutspenderInnen)
   krankungen haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko,             in Deutschland bei 1,25 %.5 Bisher ist nicht geklärt,
   schwer an COVID-19 zu erkranken. Die Risikoerhö-            wie lange ein Schutz nach Infektion besteht. Durch
   hung ist allerdings je nach Vorerkrankung sehr un-          den Einsatz sicherer und effektiver Impfstoffe sol-
   terschiedlich und meist deutlich geringer als die al-       len Einzelne und die Bevölkerung vor einer
   tersbedingte Risikoerhöhung. Personen mit Vorer-            SARS-CoV-2-Infektion und/oder einer COVID-19-­
   krankungen sind aufgrund ihres Risikos unter-               Erkrankung geschützt werden. Durch Impfung soll
   schiedlichen Priorisierungsstufen zugeordnet                eine relevante Bevölkerungsimmunität ausgebildet
   (Stufe 2, 3 und 4). Die Auswertung der Literatur zu         und somit die weitere Ausbreitung des Virus verhin-
   Vorerkrankungen wird fortlaufend aktua­lisiert und          dert oder zumindest begrenzt werden. Mit der
   die Empfehlung bzw. die Zugehörigkeit zu be-                Zu­
                                                               ­  lassung erster Impfstoffe wird zum Jahres­
   stimmten Stufen ggf. angepasst.                             wechsel 2020/21 gerechnet. Trotz aller Bemühun-
                                                               gen die Impfstoffproduktion voranzutreiben, wer-
  Gleichzeitig empfiehlt die STIKO die Impfung dem             den zu ­Beginn nicht ausreichend Impfstoffdosen
  Personal in medizinischen Einrichtungen und in               verfügbar sein, um allen impfbereiten Menschen
  der Altenpflege, die ein hohes Expositionsrisiko ha-         eine Impfung anzubieten. In Deutschland hat die
  ben. Ein indirekter Schutz von besonders gefährde-           Ständige Impfkommission (STIKO) auch während
  ten Menschen wird erwartet, wenn die Transmissi-             einer Pandemie die Aufgabe, Impfempfehlungen
  on auf diese vulnerablen Gruppen verhütet wird               für die Bevölkerung zu geben, sofern mindestens
  und Personal in der ambulanten und stationären               ein Impfstoff zugelassen ist. Bei Impfstoffknapp-
  ­Altenpflege und z. B. in der Onkologie einen Impf-          heit muss entschieden werden, welchen Personen
   schutz haben. In Abhängigkeit von der Impfstoff-            oder Personengruppen vorrangig die Impfung an-
   verfügbarkeit soll die Impfung in weiteren Stufen           geboten ­werden soll. Unter Berücksichtigung der
   auf Personengruppen mit geringerem Risiko und               medizinisch-epidemiologischen Erkenntnisse zur
   systemrelevante Personen ausgeweitet werden.                COVID-19-­Pandemie und ethischer Grundsätze hat
                                                               die STIKO Impfziele aufgestellt (siehe Kapitel 9
  Unter der Berücksichtigung der Impfquoten, der               und das Positionspapier des Deutschen Ethikrates,
  Erhebungen zur Impfakzeptanz sowie der Studien               der Leopoldina und der STIKO1). Bezogen auf die
  zur Impfeffektivität und -sicherheit wird die STIKO          einzelnen Impfziele wurden unter Berücksich­
  die Empfehlung regelmäßig evaluieren. Sie wird die           tigung des Erkrankungs-, Sterblichkeits- und Infek-
  wissenschaftliche Evidenz zum Erkrankungsrisiko              tionsrisikos Personengruppen identifiziert, die prio­
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  ritär durch Impfung geschützt werden sollten. Die            200  Impfstoffkandidaten geforscht; 52 Kandidaten
  Personengruppen sind unter Berücksichtigung die-             befinden sich ­in der klinischen und 162 in der präkli-
  ser Ziele in einer Matrix (s. Tab. 14) aufgelistet.          nischen Evaluation.11

  Diverse COVID-19-Impfstoffe befinden sich aktuell
  noch in der Entwicklung, von denen einige im Lau-            2. Öffentliches Interesse
  fe des kommenden Jahres möglicherweise zugelas-              Die bisher ergriffenen Infektionsschutzmaßnah-
  sen werden. Daten aus Zulassungsstudien sowie                men zur Bekämpfung der Pandemie wirken sich in
  aus der Impfstoffüberwachung nach der Zulassung              fast allen Lebensbereichen einschneidend auf die
  werden sukzessive veröffentlicht werden und die              Bevölkerung aus, v. a. in den Bereichen des Gesund-
  Evidenzbasis verbreitern. Falls Impfstoffe mit unter-        heitswesens, des sozialen Lebens und der Wirt-
  schiedlichem Profil zur Verfügung stehen, wird die           schaft. Im Mittelpunkt der Bemühungen steht der
  STIKO gegebenenfalls differentielle Empfehlungen             Schutz von Personengruppen mit einem besonders
  zu den einzelnen Produkten geben. Daher wird die             hohen Risiko für einen schweren und ggf. tödlichen
  vorliegende Empfehlung im Sinne einer living                 Verlauf von COVID-19. Effektive und sichere Imp-
  ­guideline fortlaufend aktualisiert werden. Aktualisie-      fungen stellen einen wichtigen Baustein zum
   rungen von STIKO-Empfehlungen werden entspre-               Schutz der Bevölkerung und zur Eindämmung der
   chend der STIKO-Geschäftsordnung in ein Stel-               Pandemie dar und können dazu beitragen, die Not-
   lungnahmeverfahren gegeben.                                 wendigkeit von Kontaktbeschränkungen mittelfris-
                                                               tig zu reduzieren. Das öffentliche Interesse an einer
                                                               COVID-19-Impfempfehlung wird daher als sehr
  1. Hintergrund                                               hoch eingeschätzt.
  Im Dezember 2019 wurde erstmals über die Häu-
  fung von Pneumonien unklarer Genese in Wuhan,
  in der Provinz Hubei in China berichtet.6 Am 7. Ja-          3. SARS-CoV-2-Erreger und -Übertragung
  nuar 2020 konnte das verantwortliche Virus, ein              Coronaviren sind 60 bis 160 nm große, behüllte
  neues Beta-Coronavirus, erstmals aus dem Rachen-             einzelsträngige RNA-Viren, die beim Menschen
  abstrich eines Patienten isoliert werden.7 Das Virus         und anderen Säugetieren (z. B. Hunde, Katzen, Dro-
  erhielt den Namen „Schweres Akutes Respirato­                medaren, Fledertiere) sowie bei Vögeln vorkom-
  risches Syndrom Coronavirus 2“ (Severe Acute                 men.12,13 SARS-CoV-2 ist neben SARS-CoV und
  ­Respiratory Syndrome Corona Virus 2, SARS-CoV-2)            MERS-(Middle East Respiratory Syndrome-)CoV das
   und die Erkrankung den Namen coronavirus-induced            dritte zoonotische Coronavirus, bei dem im 21. Jahr-
   disease 2019 (COVID-19).8 Bis Ende Januar 2020 wa-          hundert erstmalig eine Übertragung vom Tier auf
   ren in China fast 8.000 COVID-19-Erkrankungen               den Menschen nachgewiesen wurde mit der Folge
   labordiagnostisch bestätigt worden und aus 18 wei-          lebensbedrohlicher Erkrankungen. Im Gegensatz
   teren Ländern wurde über das Auftreten von SARS-            zu SARS-CoV und MERS-CoV kam es bei SARS-
   CoV-2-Infek­tionen berichtet. Daraufhin erklärte die        CoV-2 zu einer sehr raschen und globalen Ausbrei-
   Weltgesundheitsorganisation (WHO) COVID-19 am               tung.8,14 Die Massenverbreitung erfolgt durch die
   30. Januar 2020 zu einer Gesundheitlichen Notlage           Übertragung von Mensch zu Mensch via Tröpfchen-
   Internationaler Tragweite (Public Health Emergency          infektion und über Aerosole. Die Infektion mit
   of International Concern, PHEIC).9 Am 11. März 2020         SARS-CoV-2 erfolgt über die Aufnahme virushal­
   erklärte die WHO COVID-19 zur Pandemie. Zu die-             tiger Partikel, die beim Atmen, Husten, Sprechen,
   sem Zeitpunkt hatte sich SARS-CoV-2 bereits auf             Singen und Niesen einer infizierten Person entste-
   über 114  Länder ausgebreitet, mit über 118.000 bestä-      hen. Menschen geben v. a. beim Husten und Niesen
   tigten COVID-19-Fällen und mehr als 4.291 Todes-            Speicheltröpfchen ab,15 die sich in einem Abstand
   fällen.10 Bis zum 11. Dezember 2020 wurden weltweit         von etwa 1 – 2 m von der Infektionsquelle ausbrei-
   69 Mio. COVID-19-Fälle und 1,6 Mio. Todesfälle ­an          ten.16 Gleichzeitig werden virushaltige Partikel in
   die WHO gemeldet (https://covid19.who.int/). Mit            Form von Bioaerosolen ausgeschieden, die z. B.
   Stand 10.    Dezember 2020 wird an mehr als                 auch bereits beim Atmen, Sprechen, Schreien, Sin-
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  gen entstehen.17–22 Bioaerosole verbleiben länger in        Für die Basisreproduktionszahl (R0) von SARS-
  der Luft, während sich größere Partikel auf Oberflä-        CoV-2 wurde in mehreren systematischen Reviews
  chen ablagern. Nach experimentellen Studien bleibt          ein mittlerer Wert (Median) von 3,3 bis 3,8 ermit-
  das Virus in Aerosolen bis zu 3 Stunden infek­              telt.45 – 47 Durch infektionspräventive Maßnahmen,
  tiös.23,24 In Stuhlproben von COVID-19-PatientIn-           wie z. B. Abstand halten, das Tragen von Mund-­
  nen wurde mittels PCR die wochenlange Persistenz            Nase-Bedeckungen, regelmäßigem Lüften geschlos-
  von Virus-RNA nachgewiesen. Ob hierbei tatsäch-             sener Räume, Isolation Infizierter und Quarantäne
  lich infektiöse Viruspartikel vorliegen und es zu fä-       von Kontaktpersonen, kann die natürliche Übertra-
  kalen Infektionsübertragungen kommen kann, ist              gungsrate deutlich gesenkt werden.45,46 Im Gegen-
  bisher nicht abschließend geklärt.25 – 30 Bei jedem         satz zu SARS (Severe Acute Respiratory Syndrome)
  Einzelfall einer infizierten Person gibt es zahlreiche      kann SARS-CoV-2 bereits durch infizierte, aber
  Faktoren, die auf die Transmission Einfluss haben,          (noch) asymptomatische Personen übertragen wer-
  z. B. Höhe der Infektionsdosis und Viruslast, Größe         den.38,48,49 Dies erschwert die Eindämmung einer
  der Partikel, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Umge-           Pandemie wesentlich. Umso bedeutender ist bei
  bung, Raumluftwechselrate und das Tragen einer              COVID-19 der Schutz der Bevölkerung durch eine
  Mund-Nase-Bedeckung.31 Übertragungen im Außen­              präventive Impfung.
  bereich kommen insgesamt selten vor.32 Bei Wah-
  rung des Mindestabstandes sorgt die Luftbewegung
  im Freien für eine sehr geringe Übertragungswahr-           4. COVID-19 Krankheitsbild
  scheinlichkeit. Im Vergleich zu einer Transmission          COVID-19 ist primär eine Erkrankung des Respira-
  in geschlossenen Räumen schätzt eine im Preprint            tionstraktes, die nach der Infektion mit dem SARS-
  erschienene japanische Studie das Risiko für eine           CoV-2-Erreger auftreten kann. Das klinische Bild
  Übertragung im Freien 19-mal niedriger ein.33               von COVID-19 ist zwar individuell sehr unterschied-
                                                              lich ausgeprägt, aber kennzeichnend sind Fieber,
  Eine Übertragung durch kontaminierte Oberflä-               Schnupfen, trockener anhaltender Husten, Atem-
  chen ist theoretisch vorstellbar,34 da SARS-CoV-2-­         not, Müdigkeit sowie eine Störung des Geruchs-
  Viren unter Laborbedingungen auf Flächen eine               und/oder Geschmackssinns bis hin zur vorüberge-
  ­gewisse Zeit lang infektiös bleiben können.24,35 Im        henden Anosmie. Es können eine Vielzahl weiterer
   Vergleich zur aerogenen SARS-CoV-2-Übertragung             Symptome und klinischer Zeichen vorkommen, wie
   wird die Bedeutung der Verbreitung des Virus durch         z. B. Hals- und Kopfschmerzen, Glieder- und Mus-
   kontaminierte Flächen aktuell gering einge-                kelschmerzen, Appetitlosigkeit, ­Gewichtsverlust,
   schätzt.36,37 Die Inkubationszeit beträgt 2 – 14 Tage      Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Diarrhö,
   (im Durchschnitt 5 – 6 Tage).38,39 Als Haupteintritts-     Konjunktivitis, Thromboembolien oder ein akutes
   pforten für SARS-CoV-2 gelten die Schleimhäute             Koronarsyndrom.50 – 52
   des Nasen-Rachen-Raums; eine Aufnahme via Kon-
   junktiven und Tränennasengang wird diskutiert,             Der Krankheitsverlauf variiert hinsichtlich Sympto-
   konnte allerdings bislang nicht eindeutig belegt           matik und Schwere: Es können asymptomatische,
   werden.40–42                                               symptomarme oder schwere Infektionen mit Pneu-
                                                              monie und weiteren Organbeteiligungen auftreten,
  Zielzellen von SARS-CoV-2 sind unter anderem                die zum Lungen- und Multiorganversagen bis zum
  ­nasale und bronchioalveoläre Epithelzellen, an die         Tod führen können. Prä- und asymptomatische
   das Spike-(S)-Glykoprotein des Virus über den              SARS-CoV-2-Infektionen sind epidemiologisch be-
   ­A ngiotensin-Converting-Enzym-(ACE-)2-Rezeptor            deutsam, da sie unbemerkt zur Weiterverbreitung
    bindet, um in die Wirtszelle einzudringen.43,44 Für       von SARS-CoV-2 beitragen. In jüngeren Altersgrup-
    etliche Impfstoffkandidaten ist das Glykoprotein S        pen, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen,
    eine zentrale Zielstruktur. Eine hohe ACE-2-Rezep-        sind schwere Verläufe seltener53 und asymptomati-
    tor-Dichte besteht z. B. im Atemwegstrakt, aber auch      sche SARS-CoV-2-Infektionen häufiger. Insgesamt
    im Darm, an Gefäßzellen, in der Niere und im              gibt es unterschiedliche Angaben über den Anteil
    Herzmuskel.                                               an asymptomatischen Infektionen. Basierend auf
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  Daten des COVID-19-Ausbruches auf dem Kreuz-                 noch nicht wieder erholt und leidet weiterhin unter
  fahrtschiff Diamond Princess mit überwiegend älte-           schweren Allgemeinsymptomen. Daten aus Eng-
  ren Menschen liegt der Anteil asymptomatischer               land deuten darauf hin, dass etwa 40 % der hospita-
  ­Infektionen bei 18 %.54 Mittels serologischer Unter-        lisierten Erkrankten längerfristige Unterstützung
   suchungen, die im Anschluss an den COVID-19-­               benötigen und bei etwa 10 % der nicht hospitalisier-
   Ausbruch in Heinsberg durchgeführt wurden, wur-             ten, mild Erkrankten Symptome länger als 4 Wo-
   de ein Anteil von 22 % asymptomatischer Infektio-           chen andauern.62
   nen bestimmt.55 Ein systematischer Review ergab
   eine Rate von asymptomatischen Infektionen von              Besonders häufig wird über Luftnot, Muskelschmer-
   bis zu 45 %.56 Die Analyse von 44.415 COVID-19-­            zen, Gedächtnisstörungen, Schlaf- und Konzentra-
   PatientInnen in Wuhan/China ergab bei 81 % der              tionsstörungen, eine ausgeprägte Erschöpfung und
   PatientInnen einen milden, bei 14 % einen schwe-            Müdigkeit berichtet.63 – 65 Unter diesen PatientInnen
   ren und bei 5 % der PatientInnen einen intensiv­            sind nicht nur diejenigen, die sich von einer schwe-
   pflichtigen Verlauf.57 Nehmen die respiratorischen          ren stationär behandelten oder intensivpflichtigen
   Symptome an Schwere zu, führt die Hypoxie, ein-             Erkrankung erholen, sondern auch solche mit ei-
   hergehend mit einer ausgeprägten Luftnot, zur sta-          nem eher milden Krankheitsverlauf. In einer pros-
   tionären Aufnahme. Besonders betroffen sind ältere          pektiven Beobachtungsstudie wurden zwischen
   Personen > 60  Jahre und Personen mit Vorerkran­            ­April und Juni 2020 100 Rekonvaleszenten unab-
   kungen.58 Durch die Testhäufigkeit in unterschied-           hängig von der Ausprägung der Symptomatik im
   lichen Gruppen wird das Alter der diagnostizierten           Durchschnittsalter von 49 Jahren nach einer durch-
   COVID-19-PatientInnen beeinflusst. Zu Beginn der             gemachten COVID-19-Erkrankung untersucht und
   Pandemie war das Durchschnittsalter der erkrank-             mit gesunden Alters-gepaarten Kontrollen vergli-
   ten PatientInnen höher, da vor allem symptomati-             chen. In der kardiovaskulären Magnetresonanz­
   sche PatientInnen getestet wurden. Im Zeitraum               tomografie (CMR), die zwei bis drei Monate (im Mit-
   von März/April 2020 bis Juni/Juli 2020 hat sich das          tel 71 Tage (Spanne: 64– 92)) nach der COVID-19-­
   mediane Alter der diagnostizierten SARS-CoV-2-­              Diagnose erfolgte, zeigten 78 % eine Herzbeteili-
   Infizierten signifikant reduziert und ist von 40,8  Jah-     gung und 60 % eine fortbestehende myokardiale
   ren (Interquartilsabstand [IQR]: 29,0 – 54,1) auf            Entzündung, unabhängig von vor der COVID-19-­
   35,8  Jahre (IQR: 24,0–50,2) in den USA zurückge-            Erkrankung bestehenden Symptomen.66 Ein syste-
   gangen.59 In einer Metaanalyse, in die Daten aus             matischer Review, der die Folgen von COVID-19 auf
   34 geografischen Regionen einflossen, wurde die al-          die psychische ­Gesundheit untersuchte, stellte fest,
   tersspezifische Fallsterblichkeitsrate berechnet. Der        dass ein hoher Anteil der Rekonvaleszenten an post-
   Zusammenhang zwischen Alter und Fallsterblich-               traumatischen Belastungsstörungen, Angststörun-
   keitsrate war exponentiell: 0,002 % im Alter von             gen oder Depressionen leidet. PatientInnen, die
   10  Jahren; 0,01 % im Alter von 25 Jahren; 0,4 % im          schon vor der C
                                                                              ­ OVID-19-Erkrankung eine psychiat-
   Alter von 55 Jahren; 1,4 % im Alter von 65 Jahren;           rische Erkrankung hatten, berichteten über eine
   4,6 % im Alter von 75 Jahren; 15 % im Alter von              Symptomverschlechterung.67 Die Ursachen der
   85  Jahren.60 In einer weiteren Metanalyse wurde das         Langzeitfolgen von COVID-19 sind unklar und hin-
   geschlechtsspezifische COVID-19-Sterberisiko in              sichtlich der Prog­nose und möglicher Therapie­
   Europa ermittelt. Daten von 23 Ländern, die die Zahl         optionen besteht dringender Forschungsbedarf.63
   von C ­ OVID-19-Fällen und -Todesfällen nach Ge-
   schlecht berichteten, wurden gepoolt. Die Stichprobe
   schloss 484.919 Männer und 605.229 Frauen mit               5. Immunität
   ­COVID-19 ein. Das Risiko an COVID-19 zu sterben            Eine SARS-CoV-2-Infektion induziert innerhalb von
    war bei Männern signifikant erhöht (RR  =  1,6; 95%        zwei Wochen nach Symptombeginn die Bildung
    KI 1,53 – 1,68).61                                         von Antikörpern.68 Neutralisierende Antikörper sind
                                                               im Median in der zweiten Woche nach Symptom­
  Ein Teil der COVID-19-PatientInnen hat sich auch             beginn nachweisbar.69 – 71 Bei der Mehrzahl der un-
  Wochen oder Monate nach Beginn der Erkrankung                tersuchten Personen bleiben die Antikörperkonzen-
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  trationen über einen Zeitraum von mindestens fünf             6. COVID-19-Epidemiologie
  Monaten relativ stabil. Niedrigere Antikörperkon-             in Deutschland
  zentrationen und ein schnellerer Rückgang wurden
  bei Personen beobachtet, die einen asymptomati-               6.1 IfSG-Meldedaten
  schen oder sehr milden Verlauf hatten, im Vergleich           Die Daten zur COVID-19-Epidemiologie beruhen
  zu moderat oder schwer Erkrankten.72 Zur Persis-              auf den Meldedaten, die nach dem Infektions-
  tenz von Antikörpern über diesen Zeitraum hinaus              schutzgesetz (IfSG) erhoben und an das Robert
  lassen sich im Moment noch keine Aussagen tref-               Koch-Institut (RKI) übermittelt werden. Alle labor-
  fen. Zusätzlich wurde bei Erkrankten eine T-Zell-             diagnostischen PCR-Nachweise von SARS-CoV-2
  Reaktivität gegen unterschiedliche SARS-CoV-2-                werden unabhängig vom Vorhandensein oder der
  Proteine festgestellt, die sowohl an der Schutzver-           Ausprägung einer klinischen Symptomatik als
  mittlung als auch an der pulmonalen Immunpatho-               ­COVID-19-Fälle gewertet. Die Infektionsausbrei-
  logie beteiligt sein kann.73 – 77 SARS-CoV-2-spezifi-          tung hat in Deutschland und auch weltweit eine
  sche-T-Zellen konnten auch bei Infizierten nachge-             wechselhafte Dynamik und daher gibt die Darstel-
  wiesen werden, die keine Antikörpertiter aufwiesen             lung der Epidemiologie vielfach nur eine Moment-
  und asymptomatisch waren.78 Ob spezifische T-Zel-              aufnahme wieder. Die ersten COVID-19-Fälle traten
  len auch bei fehlendem Antikörpernachweis Schutz               in Deutschland im Januar 2020 auf. Mit Datenstand
  bieten, ist noch unklar.                                       08.12.2020 wurden 1.197.709 labordiagnostisch
                                                                 ­bestätigte COVID-19-Fälle an das RKI übermittelt,
  Seltene Fälle von Reinfektionen und Zweiterkran-                knapp 82.000 Fälle (7,0 %) wurden hospitalisiert,
  kungen sind beschrieben, bei denen mittels                      19.342 Personen (1,6 %) sind verstorben. Dies ent-
  ­Genomsequenzierung nachgewiesen werden konn-                   spricht einer kumulativen Inzidenz von 1.440
   te, dass die Viren, die während der Krankheitsepiso-           ­COVID-19-Fällen/100.000 Einwohnern (Einw.). Im
   den nachgewiesen wurden, unterschiedlich waren,                 März haben die täglich übermittelten Fallzahlen in
   es sich also nicht um eine protrahierte Virusaus-               Deutschland deutlich zugenommen und die erste
   scheidung derselben Infektion handelte.79–83 Re­                Infektionswelle erreichte ihr Maximum Mitte März
   infektionen bei endemischen Coronaviren (HCoV)                  mit knapp 6.000 täglich übermittelten Fällen. Um
   kommen vor und die HCoV-Immunität nimmt mit                     die Pandemie einzudämmen, wurde Mitte März
   der Zeit ab.84,85 Es ist nicht bekannt, ob eine Reinfek-        2020 auf Basis eines Bund-Länder-Beschlusses ent-
   tion mit einer Transmission einhergehen kann.                   schieden, eine weitgehende Einschränkung des
   Zweiterkrankungen sind nach bisherigem Kenntnis-                ­öffentlichen Lebens umzusetzen. Der erste „Lock-
   stand selten und wurden vor allem im Zusammen-                   down“ führte zu einem deutlichen Rückgang der
   hang mit Immundefizienz/-suppression beobachtet.                 ­Infektionsfallzahlen, die sich zwischen Mitte Mai
                                                                     und Mitte Juli auf einem niedrigen Niveau stabili-
  In-vitro-Untersuchungen lassen die Vermutung zu,                   sierten. Seit Anfang September nehmen die Fallzah-
  dass es nach vorangegangenen Infektionen mit                       len wieder deutlich zu. Aktuell ereignet sich eine
  HCoV zu einer kreuzreaktiven Immunantwort auf                      zweite, weit intensivere Infektionswelle. Ab Anfang
  SARS-CoV-2 kommen kann.86 Zur Frage, ob es nach                    November galt bundesweit ein zweiter „Teil-Lock-
  HCoV-Infektionen zur Bildung neutralisierender                     down“, der ab Mitte Dezember ausgeweitet wurde.
  Antikörper gegen SARS-CoV-2 kommt, liegen kont-                    Das bisherige Maximum der zweiten Infektions­
  roverse Daten vor.86,87 Klinische Daten zu einem (par-             welle wurde in der 3.  Novemberwoche mit knapp
  tiellen) Schutz vor COVID-19 durch früher durchge-                 24.000 Fällen täglich erreicht (s. Abb. 1).
  machte HCoV-Infektionen wurden bislang nicht er-
  hoben. Präexistente SARS-CoV-2-reaktive CD4+ Ge-              Bezüglich der regionalen Verteilung kann man ak-
  dächtnis-T-Zellen bei Menschen ohne bisherige                 tuell feststellen, dass sich SARS-CoV-2 flächen­
  SARS-CoV-2-Exposition, die möglicherweise auf vo-             deckend im Bundesgebiet ausgebreitet hat. Mitte
  rangegangene HCoV-Infektionen zurückzuführen                  November (Stand: 08.12.2020) wurden aus allen
  sind, können sowohl an der Kontrolle als auch an der          412  Kreisen COVID-19-Fälle gemeldet. Die 7-Tage-­
  Pathologie von COVID-19 beteiligt sein.88–90                  Inzidenz liegt in 297 Kreisen (72%) bei > 100 Fällen/
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  100.000 Einw. und davon in 28 Kreisen bei > 250                   COVID-19 tritt in allen Altersgruppen auf. In
  Fällen/100.000. Aktuelle Inzidenzwerte der Land-                  Deutschland sind Männer und Frauen ähnlich häu-
  kreise können dem RKI-Dashboard entnommen                         fig betroffen. Die höchsten altersspezifischen Inzi-
  werden (https://corona.rki.de/).                                  denzen werden bei den 20 – 29-Jährigen und den
                                                                    > 90-Jährigen gemessen und die niedrigsten
  Im Rahmen der ersten SARS-CoV-2-Infektionswelle                   Inzidenzen bei Kindern im Alter von < 10 Jahren,
  wurden die höchsten wöchentlichen Inzidenzen bei                  und den 60 – 79-Jährigen (s. Abb. 3). Die niedrigen
  den > 80-Jährigen mit 81 Fällen/100.000 Einw.                     Inzidenzen bei den 60 – 79-Jährigen lassen vermu-
  ­gemessen. Bei den 15 – 69-Jährigen lag das wöchent-              ten, dass Personen in dieser Altersgruppe sich be-
   liche Maximum niedriger und betrug 44 – 53 Fälle/                ständiger an die empfohlenen Kontaktbeschränkun-
   100.000 Einw. Bei Kindern und Jugendlichen lagen                 gen halten und so Infektionen verhindern können.
   die wöchentlichen Inzidenzen zwischen 7 – 10/                    In den höheren Altersgruppen steigt der Anteil an
   100.000 und waren damit am niedrigsten von allen                 Menschen, die in Pflegeheimen leben, und hier ist
   Altersgruppen. Im Mai und Juni gingen die Infek­                 das Risiko für COVID-19-Ausbrüche und damit das
   tionszahlen in allen Altersgruppen zurück. Ab An-                Infektionsrisiko hoch.
   fang Juli nahmen die Fallzahlen leicht zu; blieben
   aber, bis auf die erhöhten Werte bei den 15 – 34-Jäh-            Für 747.900 (62 %) der übermittelten Fälle liegen
   rigen bis Mitte September, auf einem stabilen Niveau             klinische Informationen vor. Hiervon wurde für
   mit wöchentlich weniger als 20 Fällen/100.000                    16 % angegeben, dass keine, bzw. keine für
   Einw. Danach setzte eine exponentielle Zunahme in                ­COVID-19 bedeutsamen Symptome vorliegen. In
   allen Altersgruppen ein. Die wöchentlichen Inzi-                  Tabelle 1 werden die Anzahl und Anteile der bei
   denzen der 47. Meldewoche liegen zwischen 60/                     ­COVID-19 häufig genannten Symptome, bzw. klini-
   100.000 bei den 0 – 4-Jährigen und 201/100.000 bei                 schen Zeichen dargestellt. Seit der 17. Kalenderwo-
   den 15 – 34-Jährigen (s. Abb. 2).                                  che (KW) kann für COVID-19-Fälle auch Geruchs-
                                                                      und ­Geschmacksverlust als Symptom in einer eige-

  Anzahl übermittelte COVID-19-Fälle
  20.000
                  Erkrankungsbeginn          Meldedatum
  18.000

  16.000

  14.000

  12.000

  10.000

   8.000

   6.000

   4.000

   2.000

      0

                                                                                  Erkrankungsbeginn, ersatzweise Meldedatum (2020)

  Abb. 1 | Anzahl der an das RKI übermittelten COVID-19-Fälle nach Erkrankungsbeginn, ersatzweise nach Meldedatum seit dem
  01.03.2020 (Stand 08.12.2020)
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                                      COVID-19-Fälle/100.000 Einwohner

                                      250,0              0 – 4 Jährige               35 – 59 Jährige
                                                         5 – 14 Jährige              60 – 79 Jährige
                                                         15 – 34 Jährige             80 + Jährige
                                      200,0
COVID-19 Fälle/ 100.000 Einwohner

                                      150,0

                                      100,0

                                       50,0

                                        0,0
                                               10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47

                                                                                                                                                                   Meldewoche
                                                                                           Meldewoche
                                      Abb. 2 | Übermittelte COVID-19-Fälle/100.000 Einwohner in Deutschland nach Altersgruppen und Meldewoche
                                      (KW 10 – 47; Stand 08.12.2020)

                                      COVID-19-Fälle/100.000 Einw.

                                       3.500
                                                        männlich               weiblich
                                       3.000

                                      2.500

                                      2.000

                                       1.500

                                       1.000

                                        500

                                          0
                                                  0–9         10 – 19      20 – 29        30 – 39      40 – 49   50 – 59   60 – 69   70 – 79   80 – 89   90 – 99      100 +

                                                                                                                                                           Altersgruppe (Jahre)

                                      Abb. 3 | Übermittelte COVID-19-Fälle/100.000 Einwohner (kumulative Inzidenz) in Deutschland nach Altersgruppen und
                                      Geschlecht (Stand 8.12.2020).
Epidemiologisches Bulletin              2 | 2021              14. Januar 2021 (online vorab)                                                14

   Klinisches Merkmal        Grundgesamtheit        Anzahl (%)
                                                                                weiter steigendem Alter geht der Anteil stationär
   Husten                         747.900           297.331 (40)
                                                                                versorgter COVID-19-Fälle wieder zurück, er beträgt
   Fieber                         747.900           216.187 (29)
                                                                                bei den ≥ 90-Jährigen knapp 18 % (s. Abb. 4). Män-
   Schnupfen                      747.900           191.537 (26)                ner (7,1 %) werden etwas häufiger hospitalisiert als
   Halsschmerzen                  747.900           159.283 (21)                Frauen (6,0 %). Der Rückgang des Anteils stationär
   Pneumonie*                     747.900            10.436 (1)                 behandelter PatientInnen bei den Hochbetagten ist
   Geruchs- oder                  603.113           128.825 (21)                möglicherweise darauf zurückzuführen, dass man
   Geschmacksverlust**                                                          aufgrund des hohen Alters eine Krankenhausein-
  Tab. 1 | COVID-19-relevante oder häufig genannte Symptome,                    weisung vermeiden möchte.
  bzw. klinische Zeichen (Stand 08.12.2020)
  * Aufgrund mangelnder Diagnostik und ggf. unterlassener                       Insgesamt wurden bis zum 08.12.2020 19.342
  Meldungen wird von einer deutlichen zahlenmäßigen                             ­COVID-19-Todesfälle an das RKI übermittelt. Von
  Untererfassung ausgegangen.
  ** Geruchs und Geschmacksverlust werden seit der                               den Todesfällen sind 16.851 (87 %) Personen 70 Jah-
  17. Kalenderwoche erfasst.                                                     re und älter; das mediane Alter der Verstorbenen
                                                                                 beträgt 83 Jahre (s. Tab. 2). Der extrem hohe Anteil
                                                                                 an Todesfällen bei den ≥ 70-Jährigen wird deutlich,
  nen Übermittlungskategorie angegeben werden.                                   wenn man im Vergleich dazu ihren Anteil von 13 %
  Von 603.113 Fällen, die neu in dieser Kategorie er-                            an der Gesamtzahl der übermittelten COVID-19-­
  fasst wurden und Angaben zur Klinik enthalten, ha-                             Fälle betrachtet.
  ben 128.825 (21 %) mindestens eines dieser beiden
  Symp­tome angegeben.                                                          Der Anteil verstorbener Personen an allen übermit-
                                                                                telten COVID-19-Fällen liegt bei den ≤ 59-Jährigen
  Der Anteil stationär versorgter Fälle steigt mit dem                          unter 0,3 %. Die Zahl der Verstorbenen nimmt mit
  Alter kontinuierlich an; er beträgt bei den 50 – 59-                          zunehmendem Alter kontinuierlich zu und steigt
  Jährigen 5 % und bei den 80 – 89-Jährigen 29 %. Mit                           von 1,6 % bei den 60 – 69-Jährigen, auf 5,8 % bei

  Anzahl übermittelter COVID-19-Fälle                                                                                        Anteil Hospitalisierte

  250.000                                                                                                                                        30 %

                   Hospitalisierung         Ja     Nein                      Anteil Hospitalisierter

                                                                                                                                                 25 %
  200.000

                                                                                                                                                 20 %

   150.000

                                                                                                                                                 15 %

   100.000

                                                                                                                                                 10 %

   50.000
                                                                                                                                                 5%

        0                                                                                                                                        0
                0–9         10 – 19     20 – 29     30 – 39        40 – 49       50 – 59       60 – 69   70 – 79   80 – 89        90 +

  Abb. 4 | Relativer Anteil der hospitalisierten COVID-19-Fälle in Deutschland nach Altersgruppen (Stand 08.12.2020).
Epidemiologisches Bulletin                     2 | 2021              14. Januar 2021 (online vorab)                                                        15

                      Altersgruppe (in Jahren)
   Geschlecht
                        0–9           10 – 19         20 – 29        30 – 39       40 – 49        50 – 59       60 – 69       70 – 79       80 – 89      90 +
   männlich               2               3               15           29           106            427          1.167         2.666         4.573       1.415
   weiblich               5               –               9            17            47            168           468          1.381         4.165       2.651
   gesamt                7*               3*              24           46           153            595          1.635         4.047         8.738       4.066

  Tab. 2 | Übermittelte COVID-19-Todesfälle nach Altersgruppe und Geschlecht (Angaben verfügbar für 19.314 Todesfälle
  (Stand 08.12.2020)
  * Sieben der Fälle werden derzeit noch validiert.

  den 70 – 79-Jährigen, auf 12,0 % bei den 80 – 89-                                   schiede. Bei den hospitalisierten COVID-19-Fällen
  Jährigen und 15,6 % bei den ≥ 90-Jährigen an                                        überwog der Anteil der Männer mit 55 %. Noch
  (s. Abb. 5). Männer versterben etwas häufiger als                                   deutlicher war der Unterschied in Bezug auf Patient­
  Frauen (1,8 % versus 1,5 %). Der Anteil Verstorbener                                Innen, die intensivmedizinisch behandelt wurden;
  an allen Fällen ist im Verlauf der Pandemie zurück-                                 hier betrug der Anteil der Männer 70 %.91
  gegangen. Zu Beginn war der Anteil an Personen,
  die ohne COVID-19-spezifische Symptome oder                                         Ausbruchsgeschehen
  milde Symptome getestet wurden, aufgrund der                                        Die Epidemiologie von COVID-19 wird aufgrund
  eingeschränkten Testmöglichkeiten gering. Das hat                                   der hohen Infektiosität von Ausbrüchen in verschie-
  sich inzwischen geändert, so dass durch das große                                   denen Situationen bzw. Umfeldern bestimmt. Etwa
  Testangebot auch Fälle entdeckt werden, die zu Be-                                  ein Viertel der insgesamt gemeldeten COVID-19-­
  ginn der Pandemie nicht diagnostiziert worden wä-                                   Fälle lässt sich Ausbrüchen zuordnen, wobei die An-
  ren. In der deskriptiven Analyse der deutschen                                      gaben zum Umfeld häufig unvollständig waren. Bei
  ­COVID-19-Meldedaten zeigen sich hinsichtlich der                                   ca. 35 % der Ausbrüche handelt es sich um kleinere
   Krankheitsschwere geschlechtsspezifische Unter-                                    Ausbrüche mit 2 – 4 Fällen. In der ersten Infektions-

  Anzahl übermittelter COVID-19-Fälle                                                                                                          Anteil Verstorbener

  250.000                                                                                                                                                   18,0 %

                 Verstorben          Ja           Nein                      Anteil Verstorbener
                                                                                                                                                            16,0 %

  200.000
                                                                                                                                                            14,0 %

                                                                                                                                                            12,0 %

  150.000
                                                                                                                                                            10,0 %

                                                                                                                                                            8,0 %
  100.000

                                                                                                                                                            6,0 %

                                                                                                                                                            4,0 %
   50.000

                                                                                                                                                            2,0 %

       0                                                                                                                                                    0,0 %
                0–9        10 – 19        20 – 29          30 – 39      40 – 49       50 – 59         60 – 69       70 – 79       80 – 89        90 +

  Abb. 5 | Relativer Anteil der verstorbenen COVID-19-Fälle in Deutschland nach Altersgruppen (Stand 08.12.2020)
Epidemiologisches Bulletin      2 | 2021       14. Januar 2021 (online vorab)                                16

  welle konnten viele COVID-19-Fälle Ausbrüchen in           zahl der intensivmedizinisch behandelten Patien-
  Senioren- und Pflegeheimen, Krankenhäusern und             tinnen keine speziellen Risikofaktoren vorlagen. In
  Flüchtlingsunterkünften zugeordnet werden. In              neun der damals 14 registrierten Fälle hatte die
  den KW  23 – 32, zwischen den Infektionswellen,            SARS-CoV-2-Infek­tion die Entscheidung zur Been-
  wurde häufiger der Arbeitsplatz oder der private           digung der Schwangerschaft oder den Geburtsmo-
  Haushalt als wahrscheinliches Infektionsumfeld             dus beeinflusst.92 Die Raten von Frühgeburten und
  angegeben. Zu den Ausbrüchen am Arbeitsplatz ge-           Kaiserschnittentbindungen lagen im Vergleich zum
  hören auch Ausbrüche in fleischverarbeitenden Be-          bundesdeutschen Durchschnitt vergangener Jahre
  trieben, die einen großen Anteil an den Fällen zu          leicht höher, jedoch geringer im Vergleich zu inter-
  Beginn des Sommers ausmachten. Ab Mitte August             national publizierten Daten.95
  war der größte Anteil der Fälle durch Ausbrüche in
  privaten Haushalten verursacht. In den letzten Wo-         6.3 Seroprävalenzdaten
  chen nimmt die Zahl der Ausbrüche in Alten- und            Erste Ergebnisse (Datenstand vom 19.08.2020) ei-
  Pflegeheimen wieder stetig zu.                             ner vom RKI überregional durchgeführten Seroprä-
                                                             valenzstudie, in der Seren von 30.000 erwachsenen
  Für weitere detaillierte Informationen und aktuelle        BlutspenderInnen untersucht wurden, zeigten
  Daten wie z. B. die regionale Verteilung von               ­einen Positivenanteil mit spezifischen Antikörpern
  ­COVID-19 und Angaben zu den intensivmedizi-                gegen SARS-CoV-2 von 1,25 %.5 In dieser Zwischen-
   nisch behandelten COVID-19-PatientInnen wird auf           analyse war die Seroprävalenz bei Männern signifi-
   die täglichen Situationsberichte des RKI zu                kant höher als bei Frauen (1,48 bzw. 0,96 %). Eine
   ­COVID-19 verwiesen.                                       Seroprävalenzstudie mit Blutentnahmen zwischen
                                                              Ende Mai und Ende Juni 2020 unter 1.538 Schüler­
  6.2 Epidemiologische Daten aus anderen                      Innen der Klassenstufen 8 bis 11 von 13 Schulen in
  Datenquellen                                                Sachsen ermittelte einen Positivenanteil von 0,7 %.96
  Die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektio-        In Bayern wurden zwischen Januar und Juli 2020
  logie (DGPI) sammelt seit Mitte März 2020 die               über 11.000 Blutproben von Kindern und Jugend­
  ­Daten hospitalisierter Kinder und Jugendlicher mit         lichen auf SARS-CoV-2-Antikörper untersucht. Es
   COVID-19 in Deutschland in einem Register mit              zeigten sich erhebliche regionale Unterschiede, je-
   dem Ziel, die Epidemiologie und klinischen Charak-         doch keine signifikanten Unterschiede bzgl. Alter
   teristika dieser Fälle zu untersuchen.92,93 In der         oder Geschlecht. Der Anteil seropositiver Kinder
   Mehrzahl der Fälle blieb der Verlauf ohne wesentli-        und Jugendlicher lag für den Zeitraum von April bis
   che Komplika­tionen.                                       Juli im Durchschnitt bei 0,87 %. Die Autoren postu-
                                                              lierten, dass die Zahl seropositiver Kinder und Ju-
  Die Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin            gendlicher in Bayern sechsmal höher läge, als die
  erforscht mit der am 03.04.2020 gestarteten                 Zahl der gemeldeten SARS-CoV-2-Infektionen mit
  CRONOS Register-Studie Auswirkungen einer
  ­                                                           PCR-Nachweis für diese Altersgruppe im selben
  ­Infektion mit SARS-CoV-2 auf die Gesundheit von            Zeitraum.97 Allerdings muss bedacht werden, dass
   Müttern und ihren Neugeborenen mit dem Ziel,               zum angegeben Zeitraum Tests nur eingeschränkt
   eine Grundlage für die Beratung infizierter Schwan-        verfügbar waren und dementsprechend Untersu-
   gerer und die Betreuung der Neugeborenen zu                chungen mit hoher Wahrscheinlichkeit prioritär bei
   schaffen, die auf in Deutschland erhobenen Daten           Personen mit schweren Symptomen durchgeführt
   beruht und durch regelmäßige Updates auf die Dy-           wurden. Kinder und Jugendliche mit leichteren Be-
   namik der Entwicklung einzugehen.94 Mit Stand              schwerden hatten möglicherweise nur einge-
   vom 5. Dezember 2020 waren 643 Patientinnen                schränkten Zugang zu PCR-Testungen.
   ­registriert, von denen 473 bereits entbunden waren;
    427 waren zwischenzeitlich von COVID-19 genesen.
    24 (5,1 %) Frauen wurden wegen COVID-19 intensiv­
    medizinisch behandelt. Eine Zwischenauswertung
    der Daten vom 01.10.2020 zeigte, dass bei der Mehr-
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