Zukunftslabor Universität - Tübinger Beiträge zur Hochschuldidaktik - ESIT
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Tübinger Beiträge zur Hochschuldidaktik Zukunftslabor Universität ESIT – Erfolgreich studieren in Tübingen Ideen und Entwicklungen für Studium und Lehre Sabine Merkens (Hrsg.) Band 16/1 · Tübingen 2020 Dezernat III – Studium und Lehre Arbeitsstelle Hochschuldidaktik
Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://ddb.de abrufbar. Bitte zitieren Sie dieses Dokument als: http://hdl.handle.net/10900/110591 http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-dspace-1105910 http://dx.doi.org/10.15496/publikation-51967 ISSN: 1861-213X Überarbeitete und aktualisierte Auflage Titelbild: Redaktion und Satz dieses Bandes: © gremlin – istockphoto.com Andrea Fausel, Heiko Heil Layout: Heiko Heil © Universität Tübingen Dieses Dokument wird bereitgestellt von TOBIAS-lib Eberhard Karls Universität Tübingen Eberhard Karls Universität Tübingen Universitätsbibliothek Dezernat III – Studium und Lehre Hochschulpublikationen/Dissertationen Arbeitsstelle Hochschuldidaktik Wilhelmstr. 32 Sigwartstr. 20 72074 Tübingen 72076 Tübingen Tel.: +49 (0) 7071 29-76999 Tel.: +49 (0) 7071 29-78385 Fax: +49 (0) 7071 29-3123 Fax: +49 (0) 7071 29-5615 hochschuldidaktik@uni-tuebingen.de hochschuldidaktik@uni-tuebingen.de edl-publ@ub.uni-tuebingen.de www.uni-tuebingen.de/hochschuldidaktik http://tobias-lib.uni-tuebingen.de
Editorial Mit den Tübinger Beiträgen zur Hochschuldidaktik haben wir uns zum Ziel gesetzt, den hochschuldidaktischen Dis- kurs an der Universität Tübingen zu fördern und zugleich öffentlich zu machen. Die Zeitschrift ist ein Ort für fach- wissenschaftliche Überlegungen, begleitet aber auch bewusst den interdisziplinären Dialog. Dabei wurden in den letzten Jahren eine Reihe von Themen angesprochen, Perspektiven beleuchtet und Impulse zur Gestaltung der Lehre gegeben. Die Tübinger Beiträge zur Hochschuldidaktik bieten zum einen ein Forum für Abschlussarbeiten, die in der Qualifizie- rung für Lehrende im Rahmen des Hochschuldidaktikzentrums Baden-Württemberg entstehen. Die hohe Qualität dieser Arbeiten und das Ziel, diese einer hochschuldidaktisch interessierten Öffentlichkeit bekannt zu machen, führ- te 2005 zur Gründung der Zeitschrift. Zum Zweiten werden in der Zeitschrift in einem weiteren Rahmen aktuelle hochschuldidaktische Fragestellungen, Projekte aus der Praxis und innovative Lehrformate aufgegriffen. Die Beiträ- ge sollen Lehrenden, die didaktischen Herausforderungen begegnen, Reflexionsansätze und praktische Hilfestellun- gen bieten. In einer Zeit sich verändernder Rahmenbedingungen für das Lehren und Lernen können auch erfahrene Lehrende neue Anregungen finden. Der vorliegende Band widmet sich den Erfahrungen und Ergebnissen aus dem Projekt ESIT – Erfolgreich studieren in Tübingen, das von 2011 bis 2020 im Rahmen des Qualitätspakts Lehre durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde. Das Projekt zeichnete sich durch ein breites Spektrum an Themen und Maßnahmen aus – was sich auch im Inhalt dieses Bandes widerspiegelt, beginnend mit erfolgreichen Methoden und Formaten in der Lehre über Lehrentwicklung und Qualifizierung bis zum Übergang von der Universität ins Berufsleben. Vielfalt und Vernetzung sowie wichtige Impulse für die Weiterentwicklung der Lehr- und Lernkultur haben die ESIT-Jahre geprägt und Spuren hinterlassen. Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre mit interessanten Ein- und Ausblicken. Andrea Fausel, Regine Richter Tübingen, im November 2020
Inhalt ESIT – Erfolgreich studieren in Tübingen: Eine neue Kultur des Lehrens und Lernens 7 Sabine Merkens Erfolgreiche Methoden und Formate in der Lehre Tafel 2.0 – Vorlesungen mit Grafiktablets 11 Sebastian Slama Das Projektseminar Forschung – Eine Veranstaltung zur Profilbildung 13 eines forschungsorientierten Masters in der Informatik Britta Dorn Die „Math Hour“ – Lernzentrum mit Pfiff Studienbegleitende Kurse und Vorkurse 16 Ivo Radloff Umfangreichen und komplexen Lehrstoff kompakt vermitteln – Studentische 18 Osmose und die Bedeutung von Initialzündungen Ursula Offenberger Service Learning und gesellschaftliches Engagement 20 Petra Kleinser und Franziska Müller Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) in die Hochschullehre integrieren – 23 Ein Tübinger Praxisbericht Birgit Hoinle, Amelie Schönhaar und Thomas Potthast Lehrentwicklung und Qualifizierung Online-Formate als selbstverständlicher Bestandteil 27 hochschuldidaktischer Weiterbildung Andrea Fausel Tutorienarbeit zur Stärkung der Lehre 30 Mihaela Pommerening und Manuel Halseband
Student Peer Teaching – Profit für Fakultät, Lehrende und Studierende 34 Miriam Rothdiener, Teresa Loda, Lene Herrigel, Anne Herrmann-Werner, Stephan Zipfel und Jan Griewatz Die Begleitung von Studiengangentwicklungsprozessen an der Universität Tübingen: 37 Entwicklung innovativer Curricula und praxisorientierter Lehrmodule fördern (ICPL) Carolin Niethammer, Sabine Schöb und Josef Schrader Von der Universität ins Berufsleben Chancen und Grenzen von Online-Formaten bei Beratung und Coaching 41 zur Berufsorientierung Ruven Wiljan Anregungen zu Berufsorientierung und Praxisbezug in der Lehre 44 Ramona Gresch, Barbara Jaeger, Antonia Platten und Caecilie Weissert Das Praxisportal – die Stellenbörse der Universität Tübingen 47 als Werkzeug zur Berufsorientierung Philipp Brugger, Katrin A. Dela Fonte und Barbara Jaeger ESIT-Vernetzungswoche: Beitr äge externer Referenten Digitalisierung in Hochschulen Tübingen – neue Lehr-/Lernwege 51 benötigen andere Finanzierungsstrukturen Dieter Dohmen Das Orientierungsstudium MINTgrün an der TU Berlin 54 Überblick und Erfahrungen Christian Schröder Employability an Universitäten 57 Andreas Eimer und Jan Knauer Im Rahmen des ESIT-Projekts erschienene Publikationen 60 Autorinnen und Autoren 66
Erfolgreich studieren in Tübingen (ESIT): Potentiale erkennen und fördern – Chancen eröffnen – Verantwortung übernehmen BMBF-Programm für bessere Studienbedingungen und mehr Qualität in der Lehre (Qualitätspakt Lehre) Maßnahmenlinien, Teilprojekte und Ziele Erfolgreich studieren lernen – Erfolgreich studieren lernen – 3.3 Erfolgreich lehren lernen – Entwicklung Innovativer Curricula und 3.1 Beratung & Praxisorientierung optimieren 3.2 Studienerfolg sichern Förderung besserer Lehre 3.4 praxisorientierter Lehrmodule fördern 3.1 a Self Assessment 3.2 a Propädeutika/Coaching-Kurse 3.3 Hochschuldidaktik: 3.4 Innovative Curricula: in MINT-Fächern – Juniordozenturen Qualifizierungskonzept und Bildungsforschung 3.1 b Beratung/Coaching/Berufswege Mathematik, Informatik, Chemie, Physik Tutorenausbildung 3.4 Innovative Curricula: 3.1 c Praktikums- und Masterbörse 3.2 b Propädeutika SoWi – 3.3 Medizindidaktik: Jährlich geförderte Konzepte Juniordozentur Methoden Student Peer Teaching 3.4 Innovative Curricula: 3.2 c Peer Learning – Juniordozenturen Bildung für Nachhaltige Entwicklung/ Biochemie und Biologie Studium Oecologicum 3.2 c Mittel für Peer Learning und Arbeit in Kleingruppen 3.2 d Diversitätsorientiertes Schreibzentrum 3.2 d Service Learning 3.2 d Optionale individuelle Studien im Studium Professionale Ziele: Ziele: Ziele: Ziele: Übergang Schule/Hochschule: - Unterstützung der Studieneingangsphase - Unterstützung und Qualifizierung der - Studiengangsentwicklung: Lehrende - Verbesserung der Orientierung und Ent- für Studierende der MINT-Fächer. Lehrenden in unterschiedlichen Status- unterstützen und ihnen Freiräume gewäh- scheidungshilfe für Studieninteressierte. - Behebung von Wissensdefiziten. bzw. Zielgruppen (Tutoren, Lehrende). ren für grundlegende Neukonzeption von Beratung und Berufsorientierung: - Vermittlung von fächerübergreifenden - Differenzierte Formatentwicklung. Lehr-/Lern-/Prüfungsformen sowie von - Auf- und Ausbau einer Beratungs- und Grundkenntnissen. - Qualifizierungsmaßnahmen für Tutoren/ Curricula. Coaching-Struktur, Unterstützung der - Verbesserung von Lehrangebot, Betreu- Peer Learning, begleitende Überprüfung - Begleitung, Beratung und Qualifizierung Studierenden im Studienverlauf sowie ung und Betreuungsverhältnis. der Effektivität und bedarfsgerechte von Lehrenden im Bereich Curriculums- in Entscheidungs-/Abschlussphasen - Unterstützung des Übergangs Bachelor/ Weiterentwicklung der Maßnahmen entwicklung. (Bewerbung). Master (WiSo: Angebote zu quantitativen (Medizin). - Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) - Ermöglichung der individuellen Profil- und qualitativen Methoden). als Querschnittsthema der Curriculums- bildung (Berufs-/Arbeitsmarktorientierung, - Förderung des gemeinsamen Lernens. entwicklung etablieren. berufliche Qualifizierung in Praktika, - Sicherung der Qualität der Lehre in labor- - Begleitforschung und Transfer der Ergeb- Unternehmenskontakte). intensiven Fächern (MINT). nisse in die Universität. - Persönlichkeitsentwicklung. - Aufbau eines diversitätsorientierten Schreibzentrums. - Übernahme gesellschaftlicher Verant- wortung, Verbindung Service Learning und forschendes Lernen. - Schaffung von Gelegenheitsstrukturen für individuelle Profilbildung, Verbindung von Theorie und Praxis.
Sabine Merkens ESIT – Erfolgreich studieren in Tübingen: Eine neue Kultur des Lehrens und Lernens Kontext des Projekts Verbesserung der Studienbedingungen und mehr Qualität in der Lehre Als Volluniversität mit aktuell etwa 28.000 Studie- renden, 528 Professorinnen und Professoren und ei- Verbesserung der Studienbedingungen und mehr Qua- ner großen Vielfalt an Fächern ist sich die Universität lität in der Lehre – um dies zu erreichen, wurden insge- Tübingen ihrer Verantwortung für gute Studienbe- samt 15 Teilprojekte sowohl in den Fakultäten als auch dingungen und eine qualitativ hochwertige Lehre be- in der zentralen Verwaltung der Universität verankert. wusst. Die Universität bietet ihren Studierenden ne- In vier Maßnahmenlinien adressierten die Teilprojekte ben einer hohen wissenschaftlichen Fachqualifikation übergeordnete Ziele (siehe auch Grafik auf Seite 6). auch ein Angebot an überfachlichen berufsfeldorien- Linie 1 „Erfolgreich studieren lernen – Beratung tierten Kompetenzen und bereitet sie sowohl auf eine und Praxisorientierung optimieren“ nahm die Heraus- wissenschaftliche Laufbahn als auch auf den Einstieg forderungen des Übergangs von der Schule in die Uni- in einen außeruniversitären Beruf vor. Neue Lehr- und versität in den Blick, verbesserte die Studienorientie- Veranstaltungsformate sowie Beratungsangebote be- rung und ermöglichte eine fundierte Studienfachwahl, rücksichtigen die unterschiedlichen Voraussetzungen u.a. durch Self Assessment-Angebote. Beim Übergang und Bedürfnisse einer diversen Studierendenschaft vom Studium in den Beruf unterstützen professionelle und unterstützen den individuellen Studienerfolg in Beratungs- und Coachingangebote des Career Service allen Phasen des student life cycle. Lehrende auf allen die Studierenden beim erfolgreichen Berufseinstieg. Ebenen werden hochschuldidaktisch weitergebildet Die neu entwickelte Praktikums- und Masterbörse bie- und erhalten Unterstützung bei der Entwicklung inno- tet den Studierenden die Möglichkeit, Unternehmens- vativer und praxisorientierter Lehrmodule. kontakte zu knüpfen und Praxiserfahrungen in geeig- Dass dies heute so ist, daran hatte das Projekt neten Berufsfeldern zu sammeln. Zur Information über „ESIT – Erfolgreich studieren in Tübingen“ einen we- mögliche Berufswege ist ein eigenes Veranstaltungs- sentlichen Anteil. In neun Jahren Projektlaufzeit hat angebot etabliert. die Universität Tübingen erfolgreich eine neue Kultur Linie 2 „Erfolgreich studieren lernen – Studiener- des Lehrens und Lernens auf den Weg bringen kön- folg sichern“ setzte an der Verbesserung des Lehr- und nen. Die lange Laufzeit erlaubte es, neue Strukturen zu Serviceangebots an. Insbesondere in den MINT-Fä- schaffen und Angebote für Studierende und Lehrende chern galt es, der Heterogenität der Studierenden und zu etablieren, die heute im universitären Alltag selbst- deren unterschiedlichen fachlichen Vorkenntnissen verständlich erscheinen. Quasi unter Laborbedingun- mit einem diversitätsorientierten Angebot in der Stu- gen reiften neue Formate und Methoden von der Idee dieneingangsphase zu begegnen und die Durchfall- zur Umsetzung. Vieles wurde angestoßen, auspro- und Abbruchquoten gering zu halten. Dazu wurden biert, professionalisiert und implementiert. Dieses Heft u.a. sechs Juniordozenturen eingerichtet, die innovati- möchte dazu einladen, die Neuentwicklungen in allen ve didaktische Formate und Lehrmethoden einsetzen. Fächern und für die eigene Lehre zu nutzen. Peer Learning-Angebote in zahlreichen Fächern unter- Das Bundesministerium für Bildung und Forschung stützten die genannten Ziele. förderte das Projekt von Oktober 2011 bis Dezember Im überfachlichen Bereich wurde das Diversitäts- 2020 im Rahmen des BMBF-Programms für bessere orientierte Schreibzentrum neu gegründet. Es bietet Studienbedingungen und mehr Qualität in der Lehre Beratungs- und Unterstützungsangebote zum wis- („Qualitätspakt Lehre“), in der ersten Förderphase senschaftlichen Schreiben für Studierende, sowie für (2011-2016) mit ca. 13,4 Mio. Euro, in der zweiten Lehrende Unterstützung in der Begleitung des wis- Förderphase (2016-2020) mit ca. 11 Mio. Euro. senschaftlichen Schreibens ihrer Studierenden. Die Bereiche Service Learning und Optionale individuelle Studien im Studium Professionale bieten im Schlüssel- qualifikationsbereich (SQ) die Möglichkeit, Wissen und TBHD 16/1 | 2020 Zukunftslabor Universität 7
Einführung Kompetenzen in Gebieten zu erwerben, die außerhalb Workshops zu den Projektzielen, zur Evaluation und der engeren disziplinären Grenzen des Fachstudiums zum Transfer der Projektergebnisse wurde Erreichtes liegen. Zertifikate im Rahmen des SQ stärken die Pro- reflektiert und das weitere Vorgehen durchdacht. Re- filbildung der Studierenden. Die Lehrveranstaltungen gelmäßige Projekttreffen führten zur Vernetzung der fördern berufsorientierte Kompetenzen und besitzen Teilprojekte untereinander, Kooperationen wurden Praxisrelevanz. angestoßen, die Zusammenarbeit intensiviert, Syn- Linie 3 „Erfolgreich lehren lernen – Förderung bes- ergien genutzt. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: serer Lehre“ konzentrierte sich auf die individuelle Tutoren der MINT-Fächer wurden im Tutorenprogramm Weiterbildung für Lehrende. Durch gezielte hochschul- der Hochschuldidaktik – teils im Tandem mit einer Ju- didaktische Qualifizierungskonzepte, Tutorenausbil- niordozentur – auf ihre Rolle vorbereitet. Mitarbeite- dung und ein medizindidaktisches Tutorenprogramm rinnen des Diversitätsorientierten Schreibzentrums fördert die Universität Tübingen aktiv die Qualität der boten Weiterbildungen für Lehrende im Rahmen des Lehre. Die Arbeitsstelle Hochschuldidaktik hält für alle Baden-Württemberg-Zertifikats für Hochschuldidak- Ebenen in der Lehre ein passendes Weiterbildungs- tik an. Die Teilprojekte Service Learning und Bildung und Beratungsangebot bereit. für nachhaltige Entwicklung realisierten in Kooperati- Linie 4 „Entwicklung Innovativer Curricula und pra- on mit dem Teilprojekt Optionale Studien die Zertifi- xisorientierter Lehrmodule fördern“ (ICPL) unterstütz- katsangebote „Gesellschaftliches Engagement“ bzw. te mit jährlichen Ausschreibungen die systematische „Studium Oecologicum“ im Studium Professionale. Entwicklung von Curricula. Die Mitglieder der geförder- Der Career Service stellte Unternehmensvertretern das ten Teams erhielten für die Entwicklung innovativer Zertifikatsangebot vor und erhielt konstruktives Feed- Studiengänge / Module zeitliche Freiräume durch eine back von Arbeitgeberseite. Voraussetzung für all dies Lehrdeputatsreduktion und Personalmittel zur Kom- war, dass die Teilprojekte voneinander wussten und so pensation ihrer Lehre. Bildungsforscher und univer- gemeinsame Ziele identifizierten. sitätsinterne Experten begleiteten die Konzeptteams Als sehr fruchtbar für den Projekterfolg erwiesen bei ihrer praktischen Arbeit. In dieser Linie wurde au- sich zudem frühzeitige Gespräche mit der Universi- ßerdem das Studium Oecologicum gefördert mit dem tätsleitung sowie den Dekanen der Fakultäten zur Ver- Ziel, Bildung für nachhaltige Entwicklung in Fachcurri- stetigung von Maßnahmen und zur Entfristung und cula und überfachlichen Lehrangeboten zu verankern. Übernahme von Personal in die Finanzierung durch universitäre Haushaltsmittel. Bereits während der Antragstellung für die zweite Förderphase führte die Erfahrungen und Lessons learned Projektleitung entsprechende Verhandlungen. Vielen Teilprojekten konnte so eine langfristige Perspektive Zum Ende der Projektlaufzeit dürfen wir resümieren: eröffnet werden. Alle Projektziele wurden erreicht. Mehrere Teilprojek- Als diffizil erwies sich wie in vielen „Qualitäts- te entwickelten Alleinstellungsmerkmale, die sie zum pakt Lehre“-Projekten, dass im Projektantrag keine Vorreiter und Taktgeber in der deutschen Hochschul- systematische Evaluation oder Begleitforschung des landschaft machten. Beispiele sind die Coaching-For- Gesamtprojektes vorgesehen war. So gab es keine mate des Career Service, die Ausgestaltung des über- systematische Erhebung von Daten zu Beginn der Pro- fachlichen Lehrangebots im Studium Professionale, jektlaufzeit und in der Folge dann keine belastbaren der diversitätsorientierte Ansatz des Schreibzent- Vergleichszahlen, um die Wirkung von Maßnahmen rums, die wissenschaftliche Begleitung von Service zu messen. Zwar wurden Lehr-, Beratungs- und Fort- Learning-Angeboten im Zusammenspiel mit dem For- bildungsangebote im laufenden Betrieb evaluiert, so schenden Lernen sowie die Kombination von Maßnah- dass die Zufriedenheit der Zielgruppe mit ermittelt men im Bereich ICPL. werden konnte. Langfristige Effekte der Maßnahmen Den eingerichteten Juniordozenturen gelang eine können jedoch nicht nachgewiesen werden und ent- gute Unterstützung von Studienanfängern in den ziehen sich z.T. auch der statistischen Messbarkeit. MINT-Fächern, vormals hohe Durchfallquoten in den Servicefächern Mathematik, Chemie und Physik be- wegen sich inzwischen im normalen universitären Ausblick Rahmen. Neue Lehrmethoden hatten nachweisbar po- sitive Effekte auf die Motivation, die Konzentrationsfä- Während zu Beginn des Projektes vor allem die Ent- higkeit und das fachliche Verstehen der Studierenden. wicklung und Implementierung der neuen Angebote Die Maßnahmen waren insbesondere in ihrem Zu- im Vordergrund stand, war es später wichtig, die Maß- sammenspiel sehr erfolgreich. Eine strategische nahmen qualitativ weiterzuentwickeln, zu konsolidie- Projektsteuerung beförderte dies: In thematischen ren und die bewährten Konzepte nachhaltig zu veran- 8 TBHD 16/1 | 2020 Zukunftslabor Universität
Einführung kern. Dies gelang nicht zuletzt durch die Verstetigung zahlreicher Stellen. Nun rückt der Transfer in den Fokus: Erfolgreich er- probte Konzepte konnten und können adaptiert und für weitere Bereiche und Fächer fruchtbar gemacht werden. Auf diese Weise kann sich die mit ESIT ange- stoßene neue Kultur des Lehrens und Lernens fortset- zen und weiterentwickeln. Literatur Vennarini, L. & Merkens, S. (2017): ESIT – Erfolgreich studieren in Tübingen. Abschlussbericht der ersten Förderphase. Laufzeit: 01.10.2011-30.09.2016. Tü- bingen. 86 Seiten. Verfügbar über TIB Hannover. Merkens, S. & N.N.: ESIT – Erfolgreich studieren in Tü- bingen. Abschlussbericht der zweiten Förderphase. Laufzeit: 01.10.2016-31.12.2020. In progress. Was leistet das ESIT-Projekt? https://youtu.be/OCgXWdevQQg TBHD 16/1 | 2020 Zukunftslabor Universität 9
Themenbereich Erfolgreiche Methoden und Formate in der Lehre 10 TBHD 16/1 | 2020 Zukunftslabor Universität
Sebastian Slama Tafel 2.0 – Vorlesungen mit Grafiktablets Einleitung Eines der Merkmale, die man unvermeidlich mit einem Hörsaal verbindet, ist neben den ansteigenden Sitz- reihen für die Studierenden die große Tafel ganz vor- ne. Damit der Prof möglichst viel Wissen auf die Tafel packen kann, besteht diese meist aus mehreren Ele- menten nebeneinander, die jeweils noch zwei oder drei vertikal verschiebbare Ebenen besitzen. Wir alle haben die Bilder im Kopf, in denen diese Tafeln von links oben bis rechts unten mit Formeln, Beweisen und Skizzen vollgeschrieben sind. Die Studierenden schreiben eifrig mit, während der Prof in Richtung der Tafel doziert, und machen sich gerade noch die letzten Aufzeichnungen, bevor dieser den Aufschrieb mithilfe eines riesigen Ta- felabziehers wieder löscht. Diese Beschreibung einer „klassischen Tafelvorlesung“ ist zugegebenermaßen Abb. 1: Schreiben auf dem Grafiktablet (© Slama) ein wenig überspitzt. Es gibt viele Kollegen, die auch an der Tafel hervorragende Lehre leisten. Mit Blick auf die technischen Möglichkeiten, die heute bestehen, ist eines Tablets keinen Kreidestaub und muss die Tafel es aber die Mühe wert, über neue Konzepte nachzu- nicht mehr putzen, wodurch ebenfalls Zeit frei wird. denken und diese zu erproben. Nicht zu unterschätzen ist auch die Tatsache, dass der Dozent beim Schreiben auf dem Tablet – anders als an der klassischen Tafel – den Studierenden nicht mehr Grafiktablets als Alternative zum den Rücken zudrehen muss, sondern in Richtung der klassischen Tafelanschrieb Zuhörer blickt auch näher an den Hörsaalreihen steht. Dadurch entsteht ein sehr viel direkterer Kontakt, und Was ist eine Vorlesung mit Grafiktablet? Die lehrende der Dozent kann schneller reagieren, wenn eine Zwi- Person schreibt ihre Vorlesungsnotizen nicht mehr mit schenfrage aufkommt. Kreide an die Tafel, sondern mit einem speziellen Stift Neben diesen Vorteilen besitzt das Tablet aber auch auf ein Tablet, welches vorne im Hörsaal steht (s. Abb. einige Nachteile gegenüber der klassischen Tafel. Zu- 1). Ihr Aufschrieb wird gleichzeitig über einen oder nächst sind Anschaffungskosten im Bereich von meh- zwei Beamer an die frühere Tafelfläche projiziert (s. reren tausend Euro damit verbunden. Ein Risiko bei der Abb. 2). Nutzung von Grafiktablets ist der Umstand, dass man Diese Methode besitzt mehrere Vorteile gegenüber sich von der Technik abhängig macht und auf deren dem klassischen Tafelanschrieb: Zum einen hat der Do- Funktionieren angewiesen ist. Außerdem muss man zent alle technischen Hilfsmittel eines Computers zur sich als Dozent vor der erstmaligen Benutzung des Hand. Er kann mit verschiedenen Farben und Stiftdi- Tablets mit der Technologie auseinandersetzen. Dies cken arbeiten, Bilder per Mausklick einfügen, und zu kann eine Hürde darstellen. Hat man diese Hürde ein- beliebigen Tafelflächen zurückspringen. Besonders mal gemeistert, besteht die Versuchung zu schnellem hervorzuheben ist die Möglichkeit, den Tafelaufschrieb Schreiben. Hierbei wird die Informationsdichte erhöht, am Ende als pdf abzuspeichern und zur Verfügung was es für die Studierenden schwieriger macht, der stellen zu können. Dadurch sind die Studierenden Vorlesung zu folgen. Außerdem leidet die Leserlichkeit nicht mehr gezwungen, unter Zeitdruck alles mitzu- der Handschrift unter zu schnellem Schreiben. Falls der schreiben, da sie im Nachgang die Notizen des Dozen- Dozent es jedoch schafft, das Tablet unter Beachtung ten ansehen können, und es wird Zeit frei, während der dieser Punkte sinnvoll einzusetzen, bietet es die Chan- sie sich besser auf den Inhalt der Vorlesung konzent- ce, Vorlesungen moderner und interaktiver zu gestal- rieren können. Darüber hinaus hat man beim Benutzen ten. TBHD 16/1 | 2020 Zukunftslabor Universität 11
Erfolgreiche Methoden und Formate in der Lehre die gerade aktuelle Tafelseite an, während der zwei- te die vorherige Tafelseite projiziert. Diese Form der Projektion hat sich als wichtig für die Akzeptanz bei den Studierenden herausgestellt, da ansonsten der Aufschrieb der vorherigen Seite nicht mehr sichtbar ist und oftmals wichtige Informationen zum Verständnis der aktuellen Seite fehlen. Bisherige Erfahrungen und möglicher Transfer Das erste Grafiktablet wurde 2012 installiert. Wie in Abb. 3 ersichtlich ist, ist die Anzahl der Vorlesungen, Abb. 2: Projizierung über zwei Beamer (© Slama) in denen Grafiktablets genutzt werden, wie auch die Anzahl der Studierenden, die davon profitieren, weit- gehend kontinuierlich angestiegen. Nur im letzten Technische Umsetzung Jahr gab es kleinen Rückgang aufgrund eines Perso- nalwechsels in einer Vorlesung. Im Rahmen des ESIT Projektes wurden zwei große Hör- Der Einsatz hat sich insbesondere in den Grundkur- säle im Hörsaalzentrum Morgenstelle der Universität sen Physik 1 und 2 und in den Physikveranstaltungen Tübingen mit Grafiktablets ausgestattet (Hörsaal N03 für Naturwissenschaftler bereits fest etabliert. Auf- und N07). Hierbei handelt es sich um die Tablets Wa- grund von Gesprächen mit den beteiligten Dozenten com Cintiq 22 HD bzw. Wacom Cintiq Pro 24 mit Bild- und Studierenden, und aus den Vorlesungsevaluatio- schirmdiagonalen von 22 Zoll bzw. 24 Zoll. Die Größe nen lässt sich schließen, dass der Einsatz des Tablets der Tablets ist hierbei ein wichtiger Faktor für ein an- als sehr gute Lehrmethode angesehen wird, insbe- genehmes Arbeiten an den Geräten. Sie sind auf einem sondere in großen Kursen und in den großen Hörsä- höhenverstellbaren Tisch bzw. Untersatz aufgebaut, len. Exemplarisch wird hier eine Rückmeldung aus der damit die Schreibhöhe anpassbar ist. Ein weiteres Tab- Evaluation der Vorlesung „Physik 1 für Naturwissen- let (Wacom Cintiq 24HD) wurde als mobile Einheit auf schaftlerInnen“ aus dem WS 19/20 angeführt: „Ich einem Rollwagen eingerichtet und wird in verschiede- finde es toll, dass Sie … handschriftlich über das Tablet nen kleineren Hörsälen genutzt. mitschreiben, wodurch es einem sehr viel leichter fällt Die Tablets in den großen Hörsälen sind an Compu- mitzuschreiben und gleichzeitig mitzudenken.“ ter angeschlossen, die eine Grafikkarte mit 3 unabhän- In kleinen Hörsälen ergab sich das Problem, dass gigen Ausgängen besitzen. Dadurch kann das Tablet meist nur ein Beamer vorhanden ist, wodurch jeweils gleichzeitig mit zwei Beamern angeschlossen wer- nur eine Tafelseite angezeigt werden konnte. Tech- den. Als Software wird das kostenlose Open-Source nisch haben die Tablets mit wenigen Ausnahmen ein- Programm „OpenBoard“ verwendet. Darin schreibt wandfrei funktioniert. man auf einer virtuellen Tafel. Ein Beamer zeigt hierbei Die meisten der Veranstaltungen mit Tablets ha- ben im Fachbereich Physik stattgefunden. Prinzipiell 2500 können Tablets aber genauso gut in anderen Fachrich- tungen eingesetzt werden. Ein Beispiel dafür ist die 9 Veranstaltung „Mathematik 1 für Informatiker“, in de- 2000 8 nen zwei Dozierende aus dem Fachbereich Informatik Anzahl Studierender 7 die Grafiktablets genutzt haben. Eine Nutzung durch Anzahl Kurse 1500 6 weitere Dozierende wäre in den Hörsälen, in denen die Grafiktablets fest installiert sind, sofort möglich. Ein 5 Einsatz in weiteren Hörsälen erfordert zunächst die 1000 4 Installation der entsprechenden Geräte. Dies ist jedoch 3 nur dann zu empfehlen, wenn bereits eine Perspektive 500 2 für den Einsatz des entsprechenden Tablets besteht. 1 0 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Jahr Grafiktablet in der Lehre https://youtu.be/Zmt8uWPc9sc Abb. 3: Entwicklung seit 2012 12 TBHD 16/1 | 2020 Zukunftslabor Universität
Britta Dorn Das Projektseminar Forschung – Eine Veranstaltung zur Profilbildung eines forschungsorientierten Masters in der Informatik Einleitung Ein wichtiger Punkt bei der Gestaltung des Seminars war die Abgrenzung zum sonst im Masterstudium Hintergrund und Ziele üblichen Seminar, in dem jeder Teilnehmende einen In den Masterstudiengängen des Fachbereichs Infor- Fachartikel erhält, den er inhaltlich aufarbeiten und im matik der Universität Tübingen wurde die Möglich- Vortrag präsentieren soll. Nach den bisherigen Erfah- keit einer individualisierten Profilbildung gewünscht, rungen interessierten sich die Teilnehmenden meist die thematisch entweder forschungsorientiert oder nur für ihren eigenen Vortrag und hatten Schwierig- anwendungsorientiert ausgerichtet ist. Als Angebot keiten und auch keinen besonderen Anreiz, den Vor- und neuartige Lehrform für eine forschungsorien- trägen ihrer Kommilitonen zu folgen. Zudem fehlte tierte Ausrichtung des Masterstudiums wurde das hier der Aspekt, die verschiedenen Phasen des wissen- „Projektseminar Forschung“ entworfen, in dem die schaftlichen Forschens und Lehrens erleben zu können. Teilnehmenden die Gelegenheit zur Erstellung einer eigenen Forschungsarbeit in Kleingruppen haben und ihre Kenntnisse des wissenschaftlichen Arbeitens und Umsetzung und Erfahrungen Schreibens vertiefen. Sie nehmen dabei auch die Rol- le von Lehrenden wahr, indem sie ihren Kommilitonen Aufbau des Seminars Inhalte vermitteln und erklären. Das Seminar bietet Das Seminar gliedert sich in fünf Phasen: zudem Möglichkeiten zum Einsatz von Blended-Le- arning-Methoden. Den Abschluss bildet eine interne 1. Grundlagenphase: Aufarbeitung des Seminarma- Konferenz, auf der die eigenen Forschungsbeiträge terials mittels Vorlesungen und Gruppenarbeit mittels Vorträgen, Posterpräsentationen und wissen- 2. Tutorial-Phase: Gegenseitige Präsentationen mit- schaftlichen Fachartikeln vorgestellt werden. tels von den Studierenden angefertigten Tutorials 3. Praxisphase: praktisches Arbeiten oder Praxisvor- trag Inhaltliche und didaktische Überlegungen 4. Forschungsphase: Erarbeiten eines eigenen Pro- Das Hauptziel des Seminarkonzepts war es, mög- jekts in Gruppen, Darstellung der Ergebnisse in lichst viele Aspekte des wissenschaftlichen Arbeitens einem Fachartikel und Forschens abzudecken: Die Studierenden sollten 5. Interne Konferenz: Vermittlung der eigenen Er- ein ihnen unbekanntes, anspruchsvolles Forschungs- gebnisse mittels wissenschaftlichen Vortrags und thema kennen lernen und ihre Fähigkeiten des wis- Posterpräsentation senschaftlichen Arbeitens und Lehrens vertiefen, an- gefangen von der Aufarbeitung relevanter Literatur, Die einzelnen Phasen werden im nächsten Abschnitt über die Vermittlung des Stoffs als Lehrende, bis hin am Beispiel einer konkreten Umsetzung erläutert. zum eigentlichen Forschen sowie wissenschaftlichen Schreiben und Veröffentlichen der eigenen Ergebnis- se als Fachartikel und im wissenschaftlichen Vortrag Konkrete Umsetzung oder Streitgespräch. Dabei sollten verschiedene Blen- Das Projektseminar Forschung im Umfang von 4 Se- ded-Learning-Methoden erprobt und sinnvoll einge- mesterwochenstunden (6 ECTS) wurde im Sommerse- setzt werden. Ein weiteres Ziel war die Erstellung von mester 2016 zum ersten Mal angeboten und von zwei Blended-Learning-Material durch die Studierenden, Lehrenden betreut. Es richtete sich an Studierende der das für zukünftige Veranstaltungen genutzt werden verschiedenen Masterstudiengänge der Informatik. In kann. diesem ersten Durchgang wurden nur acht Plätze ver- TBHD 16/1 | 2020 Zukunftslabor Universität 13
Erfolgreiche Methoden und Formate in der Lehre geben, um eine angemessene Betreuung garantieren wurden mehrere Besprechungen mit den Lehren- zu können. den angeboten, um die Forschungsideen in die Inhalt dieses Seminars mit dem Titel „Projektse- richtige Richtung zu lenken und auszuschließen, minar Forschung: Gaming is a hard job, but someone dass sich die Gruppen eine zu schwierige Aufga- has to do it! – Komplexität von Computerspielen“ war be suchten. In der anschließenden Forschungs- eine Analyse gängiger Computerspiele aus komplexi- arbeit wurde das ausgesuchte Spiel mit den er- tätstheoretischer Sicht. Dabei werden Computerspie- lernten Methoden analysiert. Auch hierzu wurden le mittels Methoden der Komplexitätstheorie aus der Diskussionen angeboten, die sowohl betreut in theoretischen Informatik auf ihre Schwierigkeit hin einem Onlineforum als auch im Rahmen von di- untersucht. rekten Treffen mit den Betreuenden stattfanden. Die Gruppen fassten ihre Ergebnisse in einem kur- Konkret wurden die oben genannten Phasen in diesem zen wissenschaftlichen Artikel (mit dem üblichen Seminar wie folgt umgesetzt: Aufbau eines Fachartikels) zusammen. Auch hier gab es Betreuung und Feedback durch die Lehren- 1. Ziel der Grundlagenphase war es, durch Aufar- den. beitung des Seminarmaterials eine gemeinsame 5. Interne Konferenz: Die Teilnehmenden stellten sich theoretische Grundlage zu schaffen. Zu Beginn ihre Ergebnisse in einem wissenschaftlichen Fach- gab es eine Vorlesungseinheit. Hier wurden zu vortrag gegenseitig vor. Zusätzlich entwarf jede ausgewählten Themen auch Video-Lectures ge- Gruppe ein Poster, das präsentiert wurde. nutzt, etwa aus den Kursen des Massachusetts In- stitute of Technology zur Komplexitätstheorie, die die Teilnehmenden im Inverted-Classroom-Ver- Ergebnisse und Erfahrungen fahren als Vorbereitung anschauen sollten und die Das Engagement der Studierenden in diesem Seminar dann in der Vorlesungsstunde diskutiert wurden. war beeindruckend. Besonders die Tutorial-Phase war Im Anschluss wurden mehrere Fachartikel sowie ein voller Erfolg: Die Vorgabe, der anderen Gruppe die weitere Video-Lectures zur Verfügung gestellt. Die Inhalte besonders verständlich zu vermitteln und da- Teilnehmenden wurden in zwei Gruppen aufge- bei nach Möglichkeit Blended Learning einzubringen, teilt, die sich jeweils ihr Thema erarbeiten und die- wurde von den Studierenden sehr ernst genommen. ses der jeweils anderen Gruppe gut verständlich So entwarf und implementierte eine Gruppe ein Com- im Rahmen von Tutorials vermitteln sollten. Aus- puterspiel, anhand dessen das andere Team ein Be- schlaggebend war hier, dass die Inhalte nicht wie rechnungsmodell erlernen konnte. Im Tutorial wurden sonst üblich nur im Rahmen eines Fachvortrags die Grundlagen erklärt und Übungen durchgeführt, an- vermittelt werden, sondern ausdrücklich Lernma- schließend konnten die Teilnehmer anhand des Spiels terialien (Übungen, Tests, Lernkontrollen) für die die zu lernenden Inhalte verinnerlichen – erst wenn andere Gruppe erstellt werden sollten. Dabei wur- man alle Level des Spiels erfolgreich abgeschlossen den Vorschläge zur Gestaltung dieser Tutorials be- hatte, durfte man sich vorbereitet fühlen. reitgestellt und die Studierenden ermuntert, auch Ebenso steckten die Teilnehmenden viel Mühe und Blended-Learning-Methoden zu nutzen. Arbeit in ihre eigenen Forschungsarbeiten und deren 2. Tutorial-Phase: Zu den folgenden Seminartermi- Präsentationen durch Poster und Artikel. Die Projekt- nen tauschten die beiden Gruppen ihr Wissen mit- arbeiten führten zu Abschlussarbeiten in den Folge- tels der selbst gestalteten Tutorials untereinander semestern. aus. Das Feedback durch die Teilnehmenden war durch- 3. Praxisphase: Hier hatten wir die Möglichkeit, einen gehend äußerst positiv. Spieleentwickler einzuladen, der den Teilnehmen- Die Möglichkeit der intensiven Betreuung durch die den im Rahmen eines Gastvortrags Einblick in sei- kleine Teilnehmerzahl erwies sich als sehr wertvoll. Ge- ne Arbeit gab und eine Praxisstunde anbot, in der rade die Phase, in der ein eigenes Thema für die For- die Studierenden die Inhalte direkt am Computer schungsarbeit gefunden werden soll, ist kritisch und ausprobieren durften. Diese Phase lieferte weite- braucht Unterstützung oder bereits vorhandene und ren Input und diente als zusätzliche Hilfe für das durchführbare Ideen der Lehrenden. Möglicherwei- Arbeiten in der folgenden Phase. se ist es sinnvoll, mehr Betreuende einzubinden und 4. Forschungsphase: Die Gruppen sollten eine eigene mehr Gruppen zu bilden – das Format der Konferenz Forschungsleistung erbringen, die darin bestand, als Abschluss könnte dadurch noch stimmiger werden. die Komplexität eines bislang noch nicht unter- suchten Spiels zu analysieren. Dabei mussten sie die erworbenen Kenntnisse einbringen. Hier 14 TBHD 16/1 | 2020 Zukunftslabor Universität
Erfolgreiche Methoden und Formate in der Lehre Transfer, Ausblick und Weiterentwicklung menden durch die aufwendig gestalteten Tutorials Die Idee des Projektseminars Forschung lässt sich auf mühelos den unbekannten Stoff der anderen Gruppe andere Veranstaltungen der Informatik – bestimmt und konnten die neu gelernten Methoden in ihre For- aber auch auf andere Fächer – übertragen und anpas- schungsarbeit einbringen. sen. Ein wichtiger Aspekt des Seminarkonzepts ist es, Ebenso lässt sich angepasst an das übliche Vorge- die Teilnehmenden stark einzubinden und unter ande- hen im eigenen Fach der Rahmen für eine Forschungs- rem dafür verantwortlich zu machen, dass ihre Kom- arbeit mit dem dort verwendeten Forschungs- und militonen den durch sie präsentierten Stoff nachvoll- Veröffentlichungsprozess umsetzen. ziehen und verinnerlichen können. Die Tutorial-Phase Ein weiterer Aspekt, der sich im Seminarkonzept stellte sich aus mehreren Gründen als wertvoll heraus: noch ergänzen ließe, wäre der Prozess des Peer-Re- Zum einen mussten die Gruppen ihr Thema sehr gut viewing für die Fachartikel, um den Studierenden auch verstehen, um eigene Beispiele und sinnvolle Übungen hier die Grundlagen guter wissenschaftlicher Praxis erstellen zu können, zum anderen lernten die Teilneh- aufzeigen zu können. TBHD 16/1 | 2020 Zukunftslabor Universität 15
Ivo Radloff Die „Math Hour“ – Lernzentrum mit Pfiff Studienbegleitende Kurse und Vorkurse Einleitung Übungsblätter eine Woche Zeit, allein oder in Gruppen, ehe sie diese bei ihrem Tutor abgeben. Viele Studie- Studiengänge mit Mathematikbezug, seien es na- rende, zumal in der Studieneingangsphase, sind so- turwissenschaftliche Studiengänge an Universitäten wohl mit den mathematischen Inhalten als auch mit oder Ingenieursstudiengänge an Hochschulen für an- der Niederschrift der Lösungen überfordert. Ein Frust, gewandte Wissenschaften, stehen seit Jahren vor der der zum Studienabbruch führen kann. Hinzu kommt Herausforderung, dass die an Schulen vermittelten die spezielle räumliche Situation in Tübingen mit nur Grundkenntnisse in Mathematik für einen problemlo- wenigen studentischen Arbeitsplätzen. Die Bildung sen Wechsel von der Schule an die Hochschule nicht von Lerngruppen und der Austausch der Studieren- mehr ausreichen. Die Problematik wird als einer der den untereinander wird so zusätzlich erschwert. Hier Gründe für hohe Abbrecherzahlen in MINT-Studien- setzt die „Math Hour“ an: Sie findet derzeit zweimal gängen angesehen. Die Hochschulen reagieren mit wöchentlich nachmittags statt, schließt zeitlich an mathematischen Vorkursen und studienbegleitenden die Mittagspause nach den Grundvorlesungen an. Die Stützkursen. „Math Hour“ wird vom Autor und - in den letzten Jah- In Tübingen wurden durch die ESIT-Juniordozentur ren - 2 bis 3 wissenschaftlichen Hilfskräften betreut. Mathematik zum Wintersemester 2011 verschiedene Die Veranstaltung ist als offenes Lernzentrum konzi- Maßnahmen eingeführt, darunter die studienbeglei- piert, die Studierenden können kommen und gehen, tende „Math Hour“ – ein offenes, aktives Lernzentrum wann sie möchten. Sie können sich mit Fragen direkt für Studierende der Mathematisch-Naturwissenschaft- an die Betreuer wenden, in Ruhe mit ihren Übungsblät- lichen Fakultät. Die „Math Hour“, der erste Kurs dieser tern beginnen oder ihre Vorlesungen wiederholen. Art in Tübingen, läuft inzwischen seit fast zehn Jahren und das sehr erfolgreich. Nach Ende des ESIT-Projekts Die Betreuer wird die „Math Hour“ getragen vom Fachbereich Ma- thematik fortgesetzt werden. Die „Math Hour“ dürf- • geben „Hilfe zur Selbsthilfe“, d.h. Ideen zur Aufga- te ihren Beitrag zur hervorragenden Platzierung der benlösung, keine fertigen Lösungen, Mathematik in Tübingen in der Kategorie „Studienein- • helfen bei der Niederschrift, gangsphase“ in den letzten CHE Rankings geleistet ha- • gehen aktiv auf Studierende zu, fördern Lerngrup- ben. Inzwischen gibt es auch Nachahmer an anderen penbildung. Standorten wie der Hochschule Heilbronn. Das Hauptziel der „Math Hour“ ist die nachhaltige Die Zahl der Studierenden, die das Angebot nutzen, fachliche Unterstützung von Studienanfängerinnen schwankt im Laufe des Semesters abhängig z. B. von und Studienanfängern speziell in Mathematik. Im Fol- Klausurterminen. Zu Spitzenzeiten, in denen es um 60 genden sollen das Konzept und die Zielsetzung der werden können, erreicht die „Math Hour“ mit ihrem „Math Hour“ vorgestellt und das Für und Wider im Ver- Konzept der Individualbetreuung ihre Grenze. Etwa gleich zu anderen Maßnahmen angesprochen werden. zwei Drittel sind „Stammkundschaft“, andere kom- men nur genau einmal mit einer speziellen Frage. Die „Math Hour“ ist offen für mathematische Fach- Umsetzung, Herausforderungen fragen aller Art – von Bruchrechnung bis Numerik. Sie richtet sich an leistungsbereite Studierende, denen für In mathematischen Vorlesungen, egal ob im Fach Ma- ihr Studium ein Anschub fehlt. Aus Sicht der Studie- thematik oder im „Service“, z.B. als Vorlesung „Ma- renden „bringt“ der Besuch natürlich nur dann etwas, thematik für Biologen“, werden üblicherweise wö- wenn sie auf kompetente Ansprechpartner treffen. chentlich Übungsblätter ausgegeben, mit denen der Ihre Fragen gehen mathematisch in alle Richtungen behandelte Stoff wiederholt, geübt, teilweise vertieft und haben erfahrungsgemäß nahezu jeden Schwie- wird. Die Studierenden haben für die Bearbeitung ihrer rigkeitsgrad. Hieraus entsteht die größte Heraus- 16 TBHD 16/1 | 2020 Zukunftslabor Universität
Erfolgreiche Methoden und Formate in der Lehre forderung bei der Organisation, denn der Erfolg des Biologen“ eingeführten Repetitorien „Letzte Fragen Konzepts steht und fällt mit der Qualität der Betreuer, zu…“ liegen beispielsweise bisher zeitlich als Block vor denen einiges abverlangt wird: der jeweiligen Wiederholungsprüfung im März/April, somit außerhalb der Vorlesungszeit und der „Math • hohe fachliche Kompetenz, Hour“. Zielgruppe sind Studierende der jeweiligen Vor- • hohe didaktische Kompetenz. lesung, die die erste Prüfung nicht geschafft haben, und sich auf den zweiten Versuch vorbereiten. Letzteres zeigt sich vor allem beim Wechsel zwischen Vereinfacht formuliert ist das fachliche Ziel aller verschiedenen Lerngruppen mit unterschiedlichem Ni- genannten Maßnahmen die Verbesserung des indivi- veau, Motivation und Leistungswille. Fehlende Kompe- duellen mathematischen Wissens und Könnens. Im Fall tenz der Betreuer hat sich in der Vergangenheit sofort von Repetitorien kann die Effizienz leicht anhand von auf die Zahl der teilnehmenden Studierenden nieder- Prüfungsergebnissen gemessen werden. Im Fall von geschlagen. Lernzentren wie der „Math Hour“ und bei Vorkursen Der Autor, Ivo Radloff, möchte an dieser Stelle den ist dies naturgemäß schwieriger. vielen äußerst engagierten Hilfskräften danken, die Evaluationen gelten im universitären Umfeld als durch ihren mitunter mehr-semestrigen Einsatz mit- Mittel der Wahl. Hier nennen spätere MINT-Studieren- halfen, die „Math Hour“ zu einem Erfolg zu machen. de als großen Pluspunkt von Vorkursen oft die Mög- Nicht wenige waren bereit, ihre eigene, freie Zeit einer lichkeit zur frühen Vernetzung unter Kommilitonen „Open-End Math Hour“ zu opfern. und die Gewöhnung an das universitäre Lerntempo. Der mögliche Gewinn durch Auffrischung mathemati- scher Inhalte wird seltener genannt. Die „Math Hour“ und andere Formate: Die „Math Hour“ fördert die Lerngruppenbildung Vorkurse und Repetitorien ebenfalls. Ihre zentrale Kompetenz ist aber die enga- gierte mathematische Fachberatung im Studienver- Durch die ESIT Juniordozentur Mathematik wurden lauf. Die fachliche Unterstützung steht im Mittelpunkt. neben der „Math Hour“ auch andere Formate mathe- Als Fazit kann festgehalten werden, dass alle For- matischer Stützkurse organisiert: ein mathematischer mate ihre Berechtigung haben. Aus mathematisch Vorkurs „Math Base Camp“, sowie regelmäßige Repeti- fachlicher Sicht haben Repetitorien das klarste Ziel, torien zu Vorlesungen wie „Mathematik für Naturwis- gefolgt von Lernzentren wie der „Math Hour“. Der senschaftler“, „Mathematik für Biologen“ oder Staats- mathematische Wissenstransfer durch Vorkursen wird examenskurse. Ziele, Zielgruppe, Konzepte und Inhalte dagegen zu Recht kritisch gesehen. Diese punkten sind verschieden. Ein Vergleich zur Einordnung: aber bei der Möglichkeit zur Vernetzung. Hier folgt die Mathematische Vorkurse sind als universitäre „Math Hour“, Repetitorien haben dieses Ziel in der Re- Maßnahme gegen zu hohe Studienabbrecherzahlen gel nicht. aufgrund ihrer leuchtturmhaften Werbewirksamkeit In Tübingen ist die „Math Hour“ derzeit die einzi- beliebt. Zeitlich finden Vorkurse zumeist als ein- oder ge dauerhaft geöffnete offene Anlaufstelle dieser Art. zweiwöchige Blockkurse vor Semesterstart statt, Ziel- Der dringende Bedarf zeigt sich am Zuspruch der Stu- gruppe sind Studienanfängerinnen und Studienan- dierenden. fänger vor dem ersten Semester. Der Vorkurs „Math Base Camp“ richtete sich beispielsweise speziell an alle potentiellen MINT-Studienanfänger. Inhaltlich werden ausgewählte Themen vom Dozenten als Frontalunter- richt wiederholt, anschließend wird in Kleingruppen Literatur geübt. Die Auswahl der Themen hängt vom Dozenten ab. Die Teilnehmerzahl ist in der Regel hoch, Hetero- CHE Ranking of German Universities (2018): Erhält- genität bei Wissensstand, Leistungsfähigkeit und -be- lich über zeit.de. reitschaft der Teilnehmer ist enorm. Individuelle Be- treuung ist aufgrund der Teilnehmerzahl oft schwierig Dürr, R. et al. Hrsg. (2015): Mathematik zwischen und meist auch nicht das Ziel. Schule und Hochschule, Wiesbaden: Springer Spekt- Mathematische Repetitorien sind zumeist an spe- rum. zielle Vorlesungen geknüpft. Studienbegleitend im Semester oder als Block vor Prüfungen wird spezieller Hoppenbroch, A. et al. Hrsg. (2016): Lehren und Ler- Stoff wiederholt. Die ebenfalls von der Juniordozentur nen von Mathematik in der Studieneingangsphase, Mathematik speziell zu den Veranstaltungen „Mathe- Wiesbaden: Springer Spektrum. matik für Naturwissenschaftler“ bzw. „Mathematik für TBHD 16/1 | 2020 Zukunftslabor Universität 17
Ursula Offenberger Umfangreichen und komplexen Lehrstoff kompakt vermitteln – Studentische Osmose und die Bedeutung von Initialzündungen Einleitung: Studieren als Osmose besten Fall sind solche Lehr-Lernsettings wie Initial- zündungen, die in den Beteiligten Neugierde, das Be- Im Rahmen des Projektes „Erfolgreich studieren in Tü- dürfnis nach Vertiefung und den Wunsch danach we- bingen“ (ESIT) wurde an der Fakultät für Wirtschafts- cken, einmal Begonnenes fortzusetzen und sich (etwa und Sozialwissenschaften die Methodendozentur ge- im folgenden Masterstudium) nach geeigneten Mög- schaffen, eine Juniorprofessur mit Schwerpunkt Lehre, lichkeiten dafür umzusehen. In diesem Geist zielt das die seit dessen Gründung im Jahr 2019 dem Metho- Veranstaltungsangebot der ESIT-Methodendozentur denzentrum zugeordnet ist, und bei der die Leitung darauf ab, Studierende zur Planung und Umsetzung des Arbeitsbereiches Qualitative Methoden und inter- eigener Projekte zu befähigen, Mini-Forschungen, die pretative Sozialforschung am Methodenzentrum liegt. sich an Grundprinzipien und Vorgehensweisen quali- Die Angebote der ESIT-Methodendozentur zielen tativer Sozialforschung orientieren, die Studierende darauf ab, den Übergang zwischen Bachelor- und Mas- in den ESIT-Veranstaltungen kennenlernen. Dadurch terstudium dahingehend zu erleichtern, dass Studie- soll theoretisches Wissen über die eigene praktische rende die für ein Masterstudium notwendigen Grund- Erprobung und Anwendung angeeignet, vertieft und kenntnisse in Methoden empirischer Sozialforschung verstehbar werden. Der Herausforderung, in kurzer in kompakten Veranstaltungen vor dem Semesterbe- Zeit umfangreichen und komplexen Lehrstoff zu ver- ginn erwerben bzw. auffrischen können. Was manche mitteln, wird damit auf eine Weise begegnet, die sich Bachelorstudierende im Verlauf mehrerer Studienjahre nicht dem Lehrmodell des Nürnberger Trichters ver- lernen, soll also im Schnelldurchlauf angeeignet wer- schreibt (also dem Ziel, möglichst effizient möglichst den – man könnte auch sagen: Das ist ein bisschen wie viele Informationen zu übermitteln, unabhängig von die Quadratur des Kreises. Denn Studieren ist ja eine der Frage, ob die Lernenden in der Lage sind, das Ge- Sozialisationserfahrung. Indem ich studiere, werde ich hörte in eine Verbindung mit ihrem Vorwissen zu brin- vertraut mit den Denkgewohnheiten wissenschaftli- gen und daraus Implikationen für (forschungs-)prakti- cher Felder, ich werde Teil einer wissenschaftlichen Ge- sches Tun abzuleiten). meinschaft, ich lerne ihre Arbeitsweisen kennen und Vielmehr zielen die Lehrveranstaltungen der eigne mir ihre Methoden an. Als solches ist Studieren ESIT-Methodendozentur darauf ab, in einer Mischung eine Osmose. Osmose benötigt Zeit, weil sie sich gra- aus mitgeteiltem Überblickswissen und der Aktivie- duell entwickelt. Und aus diesem Grund erfolgt Osmo- rung der Teilnehmenden eine Werkstattatmosphäre se tendenziell unmerklich. Niemand hat diesen Pro- zu schaffen. Denn der Transfer und die Anwendung zess, den Bücher lesende Menschen (und somit auch von Gelerntem an einem eigenen praktischen Beispiel Studierende) durchlaufen, treffender beschrieben als versetzt Studierende in die Lage, eigene Fragen zu Patrick Süskind in seiner Betrachtung mit dem Titel stellen und Wissens- und Verständnislücken zu iden- „Amnesie in litteris“ (zuletzt veröffentlicht in „Drei tifizieren. Dies wiederum zeigt Lehrenden überhaupt Geschichten“, Zürich 2005). erst, wo die Studierenden stehen und auf welche Weise der Lehrstoff angeeignet wurde. Ein solches Vorgehen erfordert, dass den von Teilnehmenden einzeln oder in Zur Konzeption der Veranstaltungen der Kleingruppen entwickelten Ideen im Rahmen der Lehr- Methodendozentur veranstaltung Raum zur Vorstellung, Diskussion und Weiterentwicklung eingeräumt wird. Im Fall der Me- Kompaktveranstaltungen zur Vermittlung umfangrei- thodendozentur bedeutete dies, dass die Teilnehmen- chen und komplexen Lehrstoffes, Osmose im Schnell- den Forschungsdesigns für qualitativ-empirische Pro- durchlauf? Welche Funktion können solche Veran- jekte entwickelten, d.h. mögliche Forschungsthemen staltungsformate haben? Eine mögliche Antwort: Im auswählten, dazu passende Fragestellungen sowie für 18 TBHD 16/1 | 2020 Zukunftslabor Universität
Erfolgreiche Methoden und Formate in der Lehre die Beantwortung der Fragen geeignete Methoden der wert enthält. All diese Elemente sind notwendige und Datengewinnung und Datenanalyse kennenlernten. integrale Bestandteile einer Qualitätssicherung (nicht In einer Atmosphäre, die von Interesse aneinander nur) für qualitativ-empirische Forschungsprojekte und und von Wertschätzung füreinander geprägt ist, wird somit zentrale Bestandteile einer von Studierenden an die Lehrveranstaltung dazu genutzt, vorgestellte Ide- der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaf- en durch die gemeinsame Seminardiskussion und ins- ten zu erwerbenden Methodenkompetenz im Bereich besondere die Anmerkungen der anderen Teilnehmen- der qualitativen und interpretativen Sozialforschung. den zu präzisieren, Unklarheiten herauszuarbeiten, die Um über die kompakten Einführungsveranstaltungen Verbindung zum Lehrstoff zu schärfen und die weite- hinaus auch eine Prozessbegleitung studentischer ren Schritte für die Fortentwicklung des Projektes zu Forschungen bieten zu können, wurde im Rahmen der bestimmen. Dass die Teilnehmenden sich dabei in kur- Methodendozentur auch ein individuelles und grup- zer Zeit in zunächst fremde Themen und Projektide- penspezifisches semesterbegleitendes Beratungsan- en eindenken müssen und dabei die Umsetzung des gebot etabliert (die „offenen Methodenwerkstätten“), Lehrstoffes in verschiedene, auch disziplinär unter- das Studierende hinsichtlich der methodischen Um- schiedlich gerahmte, Beispiele erleben, wird zwar von setzung bei der Durchführung eigener Projekte unter- den Studierenden einerseits als herausfordernd erlebt. stützt. Andererseits aber wird dies als ein bereichernder Ein- blick in die Familienähnlichkeit der verschiedenen Dis- ziplinen der WISO-Fakultät betrachtet – ein Einblick, Fazit: Initialzündungen als günstige der verdeutlicht, dass qualitativ-empirische Sozialfor- Bedingungen für Osmosen schung in verschiedenen Fachkulturen verortet ist. Die Aktualisierung und Konkretisierung der Semi- Die studentische Osmose, das Hineinwachsen in und nardiskussion an den von den Studierenden entwi- das Vertrautwerden mit den Gepflogenheiten wis- ckelten Forschungsideen schafft die Gelegenheit, den senschaftlicher communities of practice, kann durch zuvor überblickartig vermittelten Lehrstoff exempla- Crashkurse allein nicht geschehen, dafür bedarf es risch zu vertiefen, Wesentliches zu wiederholen und kollektiver Anstrengungen einer Gemeinschaft aus Implikationen des Lehrstoffs zu veranschaulichen. Ein Lehrenden. Bestenfalls lösen Angebote wie diejeni- solches Vorgehen zielt ganz wesentlich darauf ab, die gen der ESIT-Methodendozentur Initialzündungen aus, Teilnehmenden dort abzuholen, wo sie stehen, und sie die in Studierenden die Begeisterung für das weitere von diesem Ort aus dazu zu befähigen, neues Wissen Studium – in diesem Fall: der Wirtschafts- und Sozi- und neue Fertigkeiten zu erwerben. Studierenden zu alwissenschaften und ihrer empirischen Forschungs- ermöglichen, auf den jeweiligen Lehrstoff bezogene ei- methoden – wecken. Die Planung eigenständiger gene Projektideen zu entwickeln, ist somit dem Bemü- Projekte spielt spätestens bei der Masterarbeit eine hen geschuldet, weniger das Lehren in den Mittelpunkt zentrale Rolle, in einzelnen Studiengängen auch be- des Seminargeschehens zu stellen als das Lernen. Und reits bei individuellen Studienprojekten. Studierende, Lernen findet dann statt, wenn Bezüge zur eigenen die für diese Vorhaben mit Methoden qualitativ-em- Lebenswelt hergestellt, eigene Fragen formuliert, eige- pirischer Sozialforschung arbeiten möchten, erhalten ne Handlungen im Lichte neuer Einsichten reflektiert durch das Programm der ESIT-Methodendozentur be- werden können. Das Anknüpfen an diejenigen thema- reits zu einem frühen Zeitpunkt ihres Masterstudiums tischen Interessen, die die Studierenden aus ihren Stu- die Möglichkeit, die dafür erforderlichen Fähigkeiten dienfächern oder aus ihren Lebenswelten mitbringen, einzuüben und weiterzuentwickeln. Die hier angeleg- vermittelt darüber hinaus eine Wertschätzung für die te Verzahnung zwischen den Angeboten des Metho- Wissensbestände und Relevanzstrukturen, die Studie- denzentrums und den Methodenausbildungen der rende in die Veranstaltungen hineintragen. einzelnen Studiengänge der WISO-Fakultät wird auch Auf diese Weise, durch die Kombination aus dar- in Zukunft weitergeführt werden. Insofern stellt die gebotenem Überblickswissen und der Anwendung auf ESIT-Projektförderung selbst eine Initialzündung für selbstgewählte Beispiele, bieten die Veranstaltungen die nachhaltige Verankerung der Methodenausbildung der Methodendozentur die Möglichkeit, das Hand- an der WISO-Fakultät und darüber hinaus dar. werkszeug für die Durchführung qualitativ-empiri- scher Forschungsprojekte zu erwerben. Im Einzelnen umfasst dies Kompetenzen zur Datenanalyse und Interpretation, Schreib- sowie Methodenkompeten- Comics in der Lehre zen zur Gewinnung reichhaltiger Daten und fortlau- https://youtu.be/3-3xT47otbI fende („rollende“) Projektplanung, bei der auch die forschungsethische Reflexion einen zentralen Stellen- TBHD 16/1 | 2020 Zukunftslabor Universität 19
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