Bildungsleistungen von Migranten und deren Determinanten - Teil II: Primar-, Sekundar- und Tertiärbereich
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Bildungsleistungen von Migranten und deren Determinanten – Teil II: Primar-, Sekundar- und Tertiärbereich 25 Jens Ruhose Der geringe Schulerfolg von Kindern mit Migrationshintergrund in Deutschland ist weitgehend bekannt. In diesem Literaturüberblick werden mögliche Determinanten des Schulerfolgs von Kin- dern mit Migrationshintergrund diskutiert. Während im ersten Teil des Literaturüberblicks (ifo Schnelldienst 9/2013) der Vorschulbereich thematisiert wurde, befasst sich dieser zweite Teil mit den späteren Bildungsstufen. Zunächst werden länderübergreifende Studien im Primar- bzw. Se- kundarbereich vorgestellt. Diese Studien zeigen, dass Migranten in einigen Ländern recht gut ab- schneiden, in anderen Ländern hingegen sehr schlecht. Somit kann ein Land von den Erfahrungen anderer Länder lernen und, wenn notwendig, Politikentscheidungen anpassen. Anschließend wer- den die Ergebnisse länderspezifischer Studien vorgestellt. Diese berücksichtigen gewöhnlich mehr Details des jeweiligen Landes und können daher weitere Wirkungsmechanismen für den Bildungs- erfolg aufzeigen. Anschließend erfolgt ein Überblick über Studien im Hochschulbereich. Der Arti- kel schließt mit einer Zusammenfassung sowie einer Bewertung der Befunde. Primar- und Sekundarschul- Status quo bereich Im Fokus des Status quo liegt zunächst Komparative Länderstudien das Abbilden der aktuellen Situation des durchschnittlichen Bildungsstandes von Die meisten internationalen Studien zu Migranten. Es wird dabei die Leistung den Determinanten des Schulerfolgs von Migranten im Verhältnis zu Nicht- von Kindern mit Migrationshintergrund1 Migranten beschrieben. Darüber hinaus vergleichen die Schülerkompetenzen in wird ein Verweis zur Assimilation von Mig- den international durchgeführten Bil- ranten gegeben. Dies beschreibt die Ent- dungstests wie z.B. PISA (Programme wicklung des Bildungserfolgs von Mig- for International Student Assessment), ranten von der ersten zur zweiten Ge- TIMSS (Trends in International Mathe- neration. matics and Science Study) und IGLU (Internationale Grundschul-Lese-Un - Ein Ergebnis fast aller komparativer Län- tersuchung).2 Der Vorteil dabei liegt in derstudien für Europa ist, dass Migranten den vergleichbaren Bildungsergebnis- einen signifikanten Bildungsnachteil ge- sen, die einen Vergleich über Länder- genüber Einheimischen aufweisen (vgl. grenzen hinweg erlauben. Allerdings be- u.a. Algan et al. 2012; Dustmann et al. schränken sich diese Studien auf Bil- 2012). Allerdings ist dieser Nachteil nicht dungskompetenzen als Maß für den Bil- in allen europäischen Ländern gleich stark dungserfolg eines Kindes. Eine Analy- ausgeprägt. Entorf und Minoiu (2005) fin- se nach dem höchsten Bildungsab- den zum Beispiel, dass der Bildungs- schluss ist in der Regel international nachteil der am stärksten benachteilig- nicht möglich, da Zensusdaten aufgrund ten Migrantengruppe im Vergleich zu ein- unterschiedlicher Fragestellungen nur heimischen Kindern in Deutschland mit schwer vergleichbar sind. 106 PISA-Punkten am größten ist. Län- der wie Frankreich mit 84, Schweden mit 64 Punkten oder England mit einer Lücke 1 Im weiteren Verlauf wird der Begriff »Person mit Mi- von nur 27 Punkten zeigen eine starke Va- grationshintergrund« und »Migrant« synonym ver- riabilität der Integration von Migranten in- wendet. Dabei stützt sich die Definition auf die De- finition des Statistischen Bundesamtes, die zur Per- nerhalb der EU.3 Ein weiteres Indiz dafür sonengruppe der Menschen mit Migrationshinter- bieten Algan et al. (2010). Im Gegensatz grund alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der zu den meisten anderen Studien nutzen Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten zählt sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Aus- 3 Die Werte für klassische Länder mit gezielter Ein- länder in Deutschland geborenen Elternteil. wanderungspolitik, wie z.B. die USA (70) und ins- 2 Vgl. Heath et al. (2008) sowie Crul und Vermeulen besondere Kanada (26) und Australien (28), sind (2003) für Übersichtsartikel. im Vergleich zu europäischen Ländern relativ klein. ifo Schnelldienst 10/2013 – 66. Jahrgang – 29. Mai 2013
26 Forschungsergebnisse sie Zensusdaten aus Frankreich, England und Deutschland4 Da die meisten Eltern über weniger Bildung verfügen, er- und finden, dass der Bildungsunterschied zwischen Migran- klärt dies auch einen großen Teil der Benachteiligung (vgl. ten der ersten Generation und Nicht-Migranten am stärks- Fuchs und Wößmann 2007; Dustmann et al. 2012; Entorf ten in England ist. Allerdings finden sie auch, dass gerade und Minoiu 2005; Levels und Dronkers 2008; Marks 2006). in England das relative Bildungsniveau der zweiten Gene- Die Erklärungskraft der elterlichen Herkunft ist allerdings von ration am stärksten ansteigt. Land zu Land unterschiedlich. So erklärt sie einen höheren Anteil des Bildungsnachteils in Deutschland, England und Der Unterschied in den Testdaten ist aber umso größer, wenn den USA, aber wesentlich weniger in skandinavischen Län- man englischsprachige Länder berücksichtigt. Schnepf dern und Kanada (vgl. Entorf und Minoiu 2005). Dustmann (2007) untersucht IGLU-, PISA- und TIMSS-Daten und et al. (2012) finden, dass der Bildungsnachteil der Migran- kommt zu dem Ergebnis, dass die englischsprachigen Län- ten für manche Länder komplett erklärt wird, sobald man der eine wesentlich bessere Integration von Migranten, d.h. für die elterliche Bildung kontrolliert. Allerdings ist dies ge- geringere Differenzen in den Testresultaten zwischen Mig- rade in Deutschland nicht der Fall. ranten und Nicht-Migranten, aufzeigen als kontinentaleuro- päische Länder. Die Resultate werden unterstützt von Hu- Bildungsinstitutionen ang (2000), der sich explizit die Bildungserfolge von Mig- ranten mittels TIMSS-Daten in englischsprachigen Ländern Auch der institutionelle Rahmen ist von großer Bedeutung anschaut und für Australien und Neuseeland keine Unter- für die Assimilationsmöglichkeiten von Migranten. Buchmann schiede zu Einheimischen feststellen kann. Nur in den USA, und Parrado (2006) argumentieren, dass die Integration von England und Kanada sind die Migranten im Nachteil. Dust- Migranten generell von der Haltung des Landes gegenüber mann und Glitz (2011) nutzen PISA-Daten und stellen fest, dieser Gruppe abhängt. Im Laufe der Zeit haben sich ver- dass die Ergebnisse zwischen Migranten und Einheimischen schiedene Systeme entwickelt, die Integration entweder in Australien, Kanada sowie in England vergleichbar sind. hemmen (»exclusionary immigration regime«) oder fördern (»inclusionary immigration regime«). Beispiele für die erst- Die meisten Studien gehen auch der Frage der Assimilati- genannten Länder sind u.a. Deutschland, Schweiz, Öster- on von der ersten zur zweiten Generation nach. Einheitlich reich und die nordischen Länder, Schweden und Norwegen. stellen die Studien fest, dass die zweite Generation höhere Hingegen werden die USA, Kanada und Australien als eher Bildungsabschlüsse erlangt als die erste Generation. Aller- inclusionary bezeichnet. Als ein Beispiel für die Sortierung dings scheint eine komplette Assimilation aus Bildungs- von Ländern nach diesem Schema führen die Autoren die sicht in den meisten Ländern nicht stattzufinden (vgl. Algan Art der Einbürgerung an. So wird in den USA die Staats- et al. 2010; Huang 2000; Gang 1997). Dieses Thema wird bürgerschaft nach dem Geburtstort gewährt. In Deutsch- im Teil der länderspezifischen Studien weiter vertieft. land ist hier die Staatsbürgerschaft der Eltern entscheidend. Und in der Tat finden Buchmann und Parrado (2006) anhand Bestimmungsfaktoren von TIMSS-Daten, dass Länder mit einem »exclusionary im- migration regime«, d.h. einem System, das Migranten eher Die in den internationalen Studien untersuchten Bestim- von der Integration abhält, geringere Bildungserfolge für die mungsfaktoren für den Integrationserfolg von Migranten lie- Zugewanderten bereithalten, als Länder mit »inclusionary gen vor allem in den sozioökonomischen Unterschieden von immigration regimes«. Migrantenfamilien und Nicht-Migrantenfamilien, unterschied- lichen Bildungsinstitutionen, Problemen von Migranten mit Neben diesen sehr allgemeinen institutionellen Formen, wie der jeweiligen Landessprache sowie Peergroup-Effekten. dem Umgang mit der Einbürgerungsfrage, steht auf der Ebe- Alle vier Punkte werden im Folgenden näher erläutert. ne der Bildungsinstitutionen ein sehr viel pragmatischeres Instrument der Integrationsförderung bereit. So ist ein be- Sozioökonomische Unterschiede sonderes Augenmerk auf die Schule zu richten, da dort, neben dem familiären Umfeld, der Großteil der Bildung ver- In den Studien werden als Gründe für die unterschiedlichen mittelt wird. Obwohl das Schulsystem teilweise bereits in- Leistungen von Migranten und Nicht-Migranten vor allem nerhalb eines Landes variiert, kann man im internationalen sozioökonomische Unterschiede angeführt. So erklärt in den Kontext einige gemeinsame Determinanten des Assimilati- meisten Ländern die Herkunft, gemessen anhand der Bil- onserfolgs feststellen, auch wenn manche Autoren die Be- dung der Eltern, wie das Kind in der Schule abschneidet. deutung sozioökonomischer Faktoren als wichtiger erach- ten (vgl. Marks 2006; Schnepf 2007). So geht beispielswei- 4 Gang (1997) verwendet Zensusdaten aus Deutschland, Ungarn und den se ein frühzeitiger Eintritt in die Schule des Einwanderungs- früheren Sowjetrepubliken. Er findet ein gewisses Maß an Assimilation landes, und somit ein längerer Aufenthalt im Schulsystem von der ersten zur zweiten Generation, allerdings keine komplette Anglei- chung an die einheimischen Bildungsniveaus. Ebenfalls findet er starke Ur- des aufnehmenden Landes, mit sinkenden Leistungsunter- sprungsländereffekte sowie Effekte bedingt durch die ethnische Herkunft. schieden einher (vgl. Schneeweis 2011). Ebenso profitieren ifo Schnelldienst 10/2013 – 66. Jahrgang – 29. Mai 2013
Forschungsergebnisse 27 Migranten von zentralen Abschlussprüfungen (vgl. Schnee- ten zum heutigen Zeitpunkt ausfällt. Im nächsten Unterab- weis 2011) sowie von einer späteren Aufteilung in die wei- schnitt wird dann die Assimilation, d.h. die Veränderung terführenden Schularten (vgl. Lüdemann und Schwerdt 2013; der Leistungserfolge von der ersten zur zweiten Genera- Entorf und Lauk 2008). tion, abgebildet. Sprache Aktueller Stand der Integration von Migranten Ein weiterer entscheidender Faktor, der länderübergreifend Die existierenden Studien über den Integrationserfolg von gefunden wurde, ist die Beherrschung der Sprache des Ziel- Migranten in Deutschland ergeben ein überwiegend ne- landes als Erfolgskriterium, die teils sogar als das Erfolgs- gatives Bild. So haben Migranten eine niedrigere Wahr- kriterium für eine erfolgreiche Assimilation bezeichnet wird scheinlichkeit das Gymnasium zu besuchen (vgl. Frick und (vgl. Dustmann und Glitz 2011; Entorf und Minoiu 2005; Wagner 2001; Büchel und Wagner 1996; Kristen 2002: Se- Huang 2000; Schneeweis 2011). Limbird und Stanat (2006) geritz et al. 2010; Relikowski et al. 2010; Haisken-DeNew stellen im Bereich der Sprachförderung bzw. der Unterstüt- et al. 1997; Ditton et al. 2005), erreichen weniger Schuljah- zung von Migranten bei der Spracherlernung fest, dass re (vgl. Gang und Zimmermann 2000), haben niedrigere Deutschland im internationalen Vergleich Aufholbedarf hat.5 Mathematik- und Leseleistungen (vgl. Segeritz et al. 2010; Im nächsten Abschnitt (länderspezifische Studien) wird aus- Ammermüller 2007; Lüdemann und Schwerdt 2013; Kiss führlicher auf die Bedeutung der Beherrschung der Sprache 2011) sowie niedrigere Schulabschlüsse (vgl. Riphahn 2003; des Ziellandes als wichtige Determinante für den Bildungs- 2005; Gang und Zimmermann 2000; Kristen und Granato erfolg eingegangen. 2007; Luthra 2010a). Besonders schwierig scheint die In- tegration von Mitbürgern mit türkischer Abstammung zu Peergroup-Effekte sein, was unter anderem daran liegen könnte, dass Deutschland für Türken das bevorzugteste Auswande- Auch Peergroup-Effekte, also der Einfluss von Mitschülerin- rungsziel ist, auch wenn andere europäische Länder be- nen und Mitschülern6 auf die individuelle schulische Leistung, züglich der räumlichen und kulturellen Distanz günstigere und die Segregation von Schülern nach ethnischer Herkunft Charakteristika aufweisen (vgl. Grogger und Hanson 2011). haben Auswirkungen auf die Integrationswahrscheinlichkeit Ähnliche Befunde wie für Deutschland liegen auch für das und wurden länderübergreifend als wichtige Determinanten europäische Ausland vor.7 für den Schulerfolg beschrieben. Schnepf (2007) findet z.B., dass die Segregation innerhalb der Schule einen Teil der Leis- Allerdings gibt es auch, je nach Land und Herkunft der Mig- tungsunterschiede zwischen Migranten und Einheimischen ranten, große Unterschiede. So sind beispielsweise in erklären kann. Außer in Australien, Kanada und in den USA Schweden Migranten unter den guten Schülern überreprä- führt eine stärkere Segregation zu größeren Bildungsunter- sentiert (vgl. Westin 2003). In Norwegen weisen indische schieden zwischen den beiden Gruppen. Migranten ein höheres Bildungsniveau auf als Einheimische (vgl. Fekjær 2007). Sonderstellungen in der Integration von Migranten nehmen auch Kanada und England ein. In Ka- Länderspezifische Studien nada sind französische, italienische, polnische und ukrai- nische Einwanderer unterdurchschnittlich gebildet. Jüdi- Im Gegensatz zu internationalen Vergleichsstudien liefern sche und britische Migranten hingegen übertreffen die ka- länderspezifische Studien ein umfassenderes Bild der Wir- nadische Bevölkerung, und gebürtige Deutsche sowie kungsmechanismen, da sie die institutionellen und sozialen Skandinavier erreichen ein ähnliches Bildungsniveau wie Begebenheiten eines Landes in der Regel detaillierter be- die Kanadier (vgl. Shamai 1992). In England sind Migran- leuchten (können). Der Fokus liegt hier wiederum vor allem ten im Durchschnitt sogar besser ausgebildet als Einhei- auf deutschen Studien, die mit Ergebnissen für andere Län- mische (vgl. Dustmann und Theodoropoulos 2010), was der verglichen werden. vor allem an der Komposition der Migrantenpopulation liegt (vgl. Bell 1997). Status quo Auch hier wird zunächst der Frage nachgegangen, wie die 7 Studien für die Niederlande (vgl. van Ours und Veenman 2003; Crul und Einschätzung über Migranten im Vergleich zu Nicht-Migran- Doomemik 2003; Van De Werfhorst und Van Tubergen 2007), Schweden (vgl. Westin 2003), Frankreich (vgl. Simon 2003; Vallet und Caille 1999; Brinbaum und Cebolla-Boado 2007), Belgien (vgl. Timmerman et al. 2003; Phalet et al. 2007), Norwegen (vgl. Fekjær 2007), Österreich (vgl. Herzog- 5 Vgl. ebenfalls Limbird und Stanat (2006) für eine Diskussion zur Wirksam- Punzenberger 2003; Kogan 2007), Finnland (vgl. Kilpi-Jakonen 2011), keit von Sprachförderung bei Schülerinnen und Schüler mit Migrationshin- Dänemark (vgl. Colding 2006; Jakobsen und Smith 2003), die Schweiz tergrund. (vgl. Beck et al. 2010) und England (vgl. Dustmann et al. 2010; Bell 1997) 6 Im weiteren Verlauf wird ausschließlich der neutrale Begriff »Schüler« ver- zeigen, dass Migranten in der Regel ein Bildungsniveau aufweisen, wel- wendet, der sich durchgehend auf beide Geschlechter bezieht. ches unterhalb dem der Einheimischen liegt. ifo Schnelldienst 10/2013 – 66. Jahrgang – 29. Mai 2013
28 Forschungsergebnisse Frühe Studien für die USA bestätigen ebenfalls, dass der (1997) stellt gerade in der Gruppe der Migranten mit dunk- durchschnittliche Migrant schlechter ausgebildet ist als der ler Hautfarbe Assimiliationstendenzen fest. Auch Dustmann durchschnittliche Nicht-Migrant (vgl. Schultz 1984; Chiswick und Theodoropoulos (2010) bestätigen höhere Bildungs- 1988). Dabei beziehen sich die Untersuchungen zumeist auf niveaus der zweiten Generation im Vergleich zur ersten Ge- den ethnischen Hintergrund, wobei vor allem Amerikaner neration und auch im Vergleich zu Einheimischen. Gene- mit mexikanischem, afro-amerikanischem, philippinischem rell scheint in England der Bildungsnachteil von Migran- oder indianischem Hintergrund schlecht abschneiden. Aber tenkindern bereits in sehr jungen Jahren sehr schnell zu auch neuere Studien finden besonders für die letztgenann- verschwinden. Bereits am Ende der Schulzeit findet man ten Bevölkerungsgruppen Bildungsnachteile (vgl. Glick und kaum noch Unterschiede bei den meisten Migrantengrup- White 2003; Harris et al. 2008; Cohen et al. 1997). Hinge- pen zu den Einheimischen (vgl. Dustmann et al. 2010; Sam- gen gehören tendenziell asiatische Migranten, Migranten mit mons 1995). einem jüdischen Hintergrund und Migranten aus Europa zur Bevölkerungsgruppe mit hohen Bildungsabschlüssen. Ein ähnliches Bild zeigt sich für die USA. Auch hier ist ge- Sie haben meistens bessere Noten (vgl. Fuligni 1997; Har- nerell eine Assimilationstendenz von der ersten zur zweiten ris et al. 2008; Fejgin 1995), höhere High School-Abschluss- Generation erkennbar (vgl. Schultz 1984; Betts und Lofstrom raten (vgl. Harris et al. 2008) sowie mehr absolvierte Schul- 2000; Perreira et al. 2006; Cortes 2006; Smith 2003: jahre (vgl. Smith 2006; Cohen et al. 1997).8 Dies führt da- Borjas 1994a; Alba et al. 2001; Borjas 2001). Aufgrund der zu, dass Migranten in den USA sowohl in der untersten als sehr heterogenen Zusammensetzung der Migrantenpopu- auch in der obersten Bildungsverteilung überrepräsentiert lation ergeben sich aber unterschiedliche Assimilationsbe- sind (vgl. Smith 2006). wegungen. Kao und Tienda (1995) und Hirschman (2001) finden z.B. Belege für eine segmentierte Assimilation sowie Verlauf der Assimilation von Migranten Belege für die »immigrant optimism« Hypothese, wonach Migrantenkinder sehr gute Bildungsergebnisse erzielen, da Wie bereits oben angedeutet, ist die Assimilation von Mig- die Eltern überdurchschnittlich motiviert sind sowie die Kin- ranten in Deutschland als nicht zufriedenstellend einzuord- der durch den frühen Schulbesuch keine Sprachschwierig- nen. So holen die meisten Migranten der zweiten Genera- keiten aufweisen. Sie schneiden dementsprechend besser tion gegenüber deutschen Kindern zwar auf (vgl. Gang und ab als ihre Eltern, aber vermutlich auch besser als die je- Zimmermann 2000; Worbs 2003; Segeritz et al. 2010; Frick weilige einheimische Vergleichsgruppe. Bestätigung findet und Wagner 2001; Kalter und Granato 2007), erreichen al- dies ebenfalls bei Perreira et al. (2006) und Landale et al. lerdings nicht das Bildungsniveau der einheimischen Kin- (1998), die finden, dass die Kinder der Migranten bildungs- der (vgl. Segeritz et al. 2010; Riphahn 2003).9 mäßig gegenüber Nicht-Migranten aufholen, die nächste Generation sich allerdings tendenziell wieder dem Niveau Österreich und Kanada sind in ihren Assimilationstenden- der ethnischen Kommune anpasst. Die Anpassung wird da- zen mit Deutschland vergleichbar. In Österreich haben ins- durch erklärt, dass die Eltern der dritten Einwanderergene- besondere türkische Migranten Probleme mit der sozialen ration nicht mehr die hohe Motivation zeigen, wie dies bei Aufwärtsmobilität (vgl. Herzog-Punzenberger 2003; Kogan ihren Eltern der Fall gewesen ist. Eine direkte Assimilations- 2007). Auch in Kanada sind relativ wenig Assimilationsbe- tendenz kann deshalb für die USA verworfen werden. wegungen zu erkennen (vgl. Sweetman und Dicks; Sha- mai 1992). Dies kann aber auch daran liegen, dass Kana- Bestimmungsfaktoren da bereits jetzt schon gute Integrationserfolge vorweisen kann. In den Niederlanden findet eine gewisse Assimilati- Wie schon bei den komparativen Länderstudien identifiziert on von der ersten zur zweiten Generation statt (vgl. Crul die Literatur vier Hauptdeterminanten der Leistungsdifferenz und Doomernik 2003; van Ours und Veenman 2003; Tols- zwischen Migranten und Nicht-Migranten: sozioökonomi- ma et al. 2007). Belgien verzeichnet starke Aufwärtsten- sche Unterschiede, Auswirkungen von Bildungsinstitutio- denzen unter den marokkanischen Migranten (vgl. Timmer- nen, mangelnde Sprachfähigkeit der Sprache des Ziellan- man et al. 2003). des sowie Peergroup-Effekte. Ferner fasst der letzte Ab- schnitt einige Evidenz zur Diskriminierung von Migranten in Die bereits erwähnte gute Integration für England ist ver- der Schule zusammen. mutlich durch sehr gute Assimilationswerte zu erklären. Bell Sozioökonomische Unterschiede 8 Hirschman und Wong (1986) führen als einen Punkt für die bessere Bil- dung die starke positive Selektion der asiatischen Migranten nach dem jeweiligen Bildungsabschluss an. So wurden hauptsächlich Migranten mit Unterschiede in den verfügbaren Ressourcen zwischen Mig- Qualifikationen aufgenommen, die teilweise erheblich über denen der Nicht- rantenfamilien und deutschen Familien, wie etwa die Bildung Migranten lagen. 9 Für Übersichtsartikel über die Assimilation von Migranten in den USA vgl. der Eltern, bilden eines der entscheidenden Kriterien für den Schmid (2001); Kao und Thompson (2003) und Zhou (1997). Integrations(miss)erfolg. Generell kann der familiäre Hinter- ifo Schnelldienst 10/2013 – 66. Jahrgang – 29. Mai 2013
Forschungsergebnisse 29 grund des Migrantenkindes einen wesentlichen Teil der Bil- Die unterschiedlichen Ergebnisse begründen sich teilweise dungslücke erklären (vgl. Büchel und Wagner 1996; Am- aus ungleichen Charakteristika der Einwanderergruppen. So mermüller 2007; Schnepf 2002; Gang und Zimmermann scheinen sich in Deutschland gerade Spanier und Griechen, 2000). Die Literatur ist aber nicht eindeutig, wie viel Prozent gegeben einen vergleichbaren sozioökonomischen Hinter- des Bildungsunterschiedes erklärt werden können. Der über- grund wie deutsche Kinder, sehr gut zu integrieren (vgl. Kris- wiegende Teil der Arbeiten für Deutschland findet aber, dass ten und Granato 2007; Alba et al. 1994). Dagegen befin- eine Leistungslücke auch nach der Kontrolle für den sozio- den sich Türken auch nach Kontrolle für den familiären Hin- ökonomischen Hintergrund bestehen bleibt (vgl. Becker und tergrund im Nachteil (vgl. Dustmann et al. 2012). Biedinger 2006; Alba et al. 1994; Worbs 2003; Kristen und Granato 2007; Müller und Stanat 2006). Daneben gibt es Ein Erklärungsansatz für höhere Bildungserfolge von Fa- aber auch eine Reihe von Studien, die feststellen, dass kei- milien mit vergleichbarem sozioökonomischem Status könn- ne signifikanten Unterschiede zwischen Migranten und Ein- ten höhere Bildungsaspirationen sein. Ditton et al. (2005) heimischen verbleiben (vgl. Schnepf 2002) bzw. die Mig- zeigt beispielsweise, dass Migrantenfamilien in der Tat re- ranten die Einheimischen in ihren Leistungen sogar übertref- lativ hohe Bildungserwartungen für ihre Kinder haben, die fen (vgl. Relikowski et al. 2010; Luthra 2010a; Kristen und allerdings entgegengesetzt der Einschätzung der Lehrer Granato 2007), sobald man für den familiären Hintergrund verläuft. Die Autoren setzen aber die Aspiration der Eltern kontrolliert. nicht in das Verhältnis von Bildungsaspirationen deutscher Eltern. Aber auch Becker (2011) kann keine Indizien dafür Der Erklärungsgehalt sozioökonomischer Unterschiede zwi- finden, dass kulturelle Differenzen, z.B. ausgedrückt durch schen Migranten und Einheimischen ist im internationalen unterschiedliche Bildungserwartungen, die Leistungsunter- Vergleich relativ heterogen. Einheitlich kann aber festgehal- schiede zwischen Migranten und Nicht-Migranten erklären ten werden, dass auch in anderen Ländern der Faktor Fa- können. milienhintergrund einen wesentlichen Bestandteil des Bil- dungsunterschieds ausmacht. In den Niederlanden kann z.B. Im französischen Bildungssystem erzielen Kinder von Mig- keine Differenz mehr zwischen den Gruppen festgestellt wer- ranten mit vergleichbarem Hintergrund zur einheimischen den, sobald die Bildung der Eltern als erklärende Variable Bevölkerung einen höheren Bildungserfolg, der u.a. auf hö- mit aufgenommen wird (vgl. van Ours und Veenman 2003; here Bildungsaspirationen zurückgeführt wird (vgl. Vallet und Van De Werfhorst und Van Tubergen 2007). In Belgien (vgl. Caille 1999; Brinbaum und Cebolla-Boada 2007). Ähnliche Phalet et al. 2007) und Norwegen (vgl. Fekjæer 2007) spie- Ergebnisse finden Kao und Tienda (1995) sowie Ainsworth len der sozioökonomische Hintergrund ebenfalls eine starke und Downey (1998) für die USA. Hao und Bonstead-Bruns Rolle. So ist der Effekt der sozialen Herkunft in Belgien teil- (1998) argumentieren, dass der höhere Bildungserfolg von weise stärker als der Effekt der ethnischen Herkunft. In Nor- asiatischen Einwanderern gegenüber dem relativen Miss- wegen spielt dieser hingegen hauptsächlich für türkische und erfolg der mexikanischen Migranten zum Teil von den hö- pakistanische Migranten eine Rolle. Indische Migranten, die heren Erwartungen der asiatischen Eltern und Kindern ge- bereits relativ gut abschneiden, profitieren von einer besse- trieben wird. In den Niederlanden findet man, dass unter ren sozioökonomischen Herkunft weniger als die zuvor ge- sonst vergleichbaren familiären Verhältnissen Migranten- nannten Gruppen. In Frankreich zeigen Migranten höhere kinder aus der Türkei, Marokko, Surinam und den Antillen Leistungen nach Kontrolle für den familiären Hintergrund (vgl. höhere Schulzweige in der holländischen Sekundarstufe be- Vallet und Caille 1999) oder zumindest keine Unterschiede suchen als Kinder von Nicht-Migranten (vgl. Van De Werf- mehr (vgl. Brinbaum und Cebolla-Boado 2007). Auch Schul- horst und Van Tubergen 2007). Vergleichbares kann man in abbrecherquoten in Finnland (vgl. Kilpi-Jakonen 2011) und Finnland feststellen. Dort, ebenfalls nach Kontrolle der so- niedrigere Eintrittsquoten in den Sekundarbereich in Däne- zioökonomischen Verhältnisse, sieht man, dass Migranten mark (vgl. Colding 2006) und in der Schweiz (vgl. Beck et al. eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, den allgemeinbilden- 2010) lassen sich durch den sozioökonomischen Hintergrund den Teil der Sekundarstufe zu besuchen als den berufsbil- von Migranten und Nicht-Migranten erklären. Zudem findet denden Teil (vgl. Kilpi-Jakonen 2011). Rothon (2007) die Zugehörigkeit der sozialen Klasse als ei- nen erklärenden Faktor für Leistungsunterschiede in Eng- Ein letzter Grund für die Leistungsdifferenz zwischen Mig- land. Die Eltern und der sozioökonomische Hintergrund ranten und Nicht-Migranten am Ende der Sekundarstufe spielen auch in den USA eine entscheidende Rolle (vgl. könnte sein, dass Migrantenkinder bereits beim Eintritt in die Roscigno 2000). So kann die soziale Herkunft einen Groß- Grundschule ein Leistungsdefizit gegenüber deutschen Kin- teil, wenn nicht sogar die gesamte Leistungsdifferenz zwi- dern aufzeigen (vgl. Becker und Biedinger 2006). Dieses schen Migranten und Nicht-Migranten im High-School-Ab- könnte auf eine negative Selektion der Migranten hinweisen, schluss (vgl. Lutz 2007), absolvierte Schuljahre (vgl. Schultz wonach eher Familien mit geringeren Fähigkeiten nach 1984) sowie Kompetenzen in Mathematik und Lesen (vgl. Deutschland einwandern würden. Luthra (2010b) zeigt aber Portes und MacLeod 1996) erklären. anhand von PISA-Daten, dass Migrantenkinder in Deutsch- ifo Schnelldienst 10/2013 – 66. Jahrgang – 29. Mai 2013
30 Forschungsergebnisse land die jeweilige Schüler-Vergleichsgruppe im vormaligen ferenzierte Sicht nach der Herkunft des Kindes eingenommen Heimatland leistungsmäßig übertreffen. Diese Befunde deu- werden. So zeigen Portes und MacLeod (1996), dass der ten eher auf eine positive Selektion gepaart mit schlechter Schulkontext eher eine Auswirkung auf relativ benachteiligte Integration in Deutschland hin.10 haitianische und mexikanische Schüler hat als auf relativ be- vorteilte kubanische und vietnamesische Schüler. Bildungsinstitutionen Sprache In Deutschland spielt das mehrgliedrige Schulsystem ei- ne wichtige Rolle bei der Festlegung der individuellen Le- Wie bereits erwähnt, kommt der Beherrschung der Lan- benschancen (vgl. Schnepf 2002).11 Für eine wichtige Rol- dessprache eine entscheidende Rolle zu.12 So ist der öko- le der Schule kann man aber auch Belege in England fin- nomische Erfolg eines Migranten maßgeblich durch seine den. So schreibt Tomlinson (1991), dass Schuleffekte ver- Sprachfähigkeit bestimmt (vgl. Dustmann und Van Soest mutlich wichtiger für den Bildungserfolg sind als die eth- 2002; Casey und Dustmann 2008; Aldashev et al. 2009; nische Herkunft. Dagegen schreibt Roscigno (2000), dass Chiswick und Miller 2010). Aber auch die Schulleistungen vermutlich die Familie der entscheidende Faktor in den werden negativ beeinflusst, wenn das Kind eine andere USA ist. Sprache zu Hause spricht (vgl. Ammermüller 2007). Eine positive Korrelation zwischen Bildung und Sprachfähigkeit Migrantenkinder haben in Deutschland eine niedrigere Wahr- ist einfach herzustellen (vgl. McManus et al. 1983). Wang scheinlichkeit, einen höheren Sekundarschultyp zu besu- und Goldschmidt (1999) zeigen für Kalifornien, dass Schü- chen als Nicht-Migrantenkinder (siehe Teil I dieses Litera- ler mit geringeren Englischkenntnissen schlechter in Ma- turüberblicks im ifo Schnelldienst 9/2013). Eine kontinuier- thematik abschneiden. Gleichwohl ist die Literatur wesent- liche Schulausbildung in Deutschland kann aber die Wahr- lich aufschlussreicher im Hinblick auf die Effekte der Spra- scheinlichkeit eines Hauptschulbesuchs verringern (vgl. che auf Löhne und Arbeitsmarktmöglichkeiten als auf den Alba et al. 1994). Gerade die frühzeitige Aufteilung der Schü- Bildungserfolg. ler nach ihren Leistungen auf verschiedene Schulzweige kann die langfristigen Aufstiegschancen und damit die In- Im Folgenden werden die wesentlichen Determinanten tegration hemmen. Lüdemann und Schwerdt (2013) un- für einen erfolgreichen Spracherwerb beschrieben. Ge- tersuchen in diesen Zusammenhang, ob es einen doppel- nerell hängt das Erlernen einer neuen Sprache nach Es- ten Nachteil für Migranten gibt, d.h. ob niedrigere Schul- ser (2006) von vier entscheidenden Faktoren ab: Erstens noten zu niedrigeren Schulempfehlungen für den Übertritt ist dies die Motivation, die Sprache zu lernen. Nach Chis- in die Sekundarstufe führen. Im Einklang mit der Literatur wick und Miller (1995) spielen hier vor allem die ökonomi- finden sie, dass Migranten zwar schlechter benotet werden schen Anreize einer höheren Entlohnung eine Rolle. Der als einheimische Kinder (vgl. auch Kiss 2011), dies aber zweite Punkt ist der Kontakt mit der Fremdsprache. Der wiederum nicht zwangsläufig dazu führt, dass die Kinder Lernende muss als drittes aber auch die Fähigkeit besit- eine Empfehlung für einen niedrigeren Schulzweig erhalten. zen, die Sprache aufzunehmen und zu verarbeiten. Als Hier spielt der sozioökonomische Hintergrund eine stärke- letzter Punkt spielen noch die Kosten des Spracherwerbs re Rolle. eine Rolle. Die Punkte drei und vier können auch generel- ler als Effizienz des Spracherwerbs zusammengefasst wer- Hao und Pong (2008) weisen darauf hin, dass der soziale Auf- den. Chiswick und Miller (1995) zeigen, dass die Sprach- stieg von Migranten in den USA maßgeblich von der Schule fähigkeit mit dem Kontakt sowie mit der Effizienz der Ver- beeinflusst wird. Sie finden etwa, dass Kinder mit mexikani- arbeitung zunimmt. Becker (2007) zeigt für Deutschland, schem Hintergrund eine niedrigere Wahrscheinlichkeit haben, und Chiswick (1991) für die USA, eine Komplementarität eine Schule mit einer guten Schulumgebung zu besuchen und zwischen Kontakt und Effizienz auf. D.h. der reine Kon- sie deshalb niedrigere Bildungserfolge erzielen. Roscigno takt zur Fremdsprache hat kaum Auswirkungen auf die (2000) kann darüber hinaus für die USA eine positive Korre- Sprachfähigkeit, wenn der Migrant nicht in der Lage ist, lation eines Besuchs von Privatschulen mit dem Bildungser- die Sprache zu erfassen. Espenshade und Fu (1997) be- folg von Migranten herstellen. Aber auch hier muss eine dif- stätigen für die USA, dass das Bildungsniveau, gleich ob in den USA oder im Ausland erworben, für das Sprachni- veau des Migranten förderlich ist. Die US-basierte Bil- 10 Borjas (1987) würde dies damit erklären, dass die Fertigkeiten zwischen dung hat aber einen größeren Einfluss. Deutschland und der Türkei nicht oder nur sehr schwer übertragbar sind. So kann der türkische Einwanderer etwa der oberen Leistungsverteilung in der Türkei angehören, findet sich in Deutschland aber am unteren En- de der Leistungsverteilung wieder, da er seine erworbenen Fähigkeiten in 12 Vgl. Stanat und Edele (2011) und insbesondere Esser (2006) zur Bedeu- der neuen Heimat nicht effektiv anwenden kann. tung des Spracherwerbs und zum Zusammenhang zwischen Integration 11 In Österreich identifiziert Herzog-Punzenberger (2003) das selektive Schul- und Sprache sowie außerdem Limbird und Stanat (2006) für eine Diskus- system als einen Grund für die sehr langsame Assimilation der zweiten sion der Wirksamkeit von Sprachförderung bei Schülerinnen und Schü- Generation bezüglich der Bildungsabschlüsse. lern mit Migrationshintergrund. ifo Schnelldienst 10/2013 – 66. Jahrgang – 29. Mai 2013
Forschungsergebnisse 31 Einhergehend mit der bereits erwähnten sinkenden Quali- Peergroup-Effekte im Schulbereich auf die Bildungsleis- tät an Einwanderern in die USA, beobachtet Carliner (2000), tungen von Migranten in Deutschland wurden z.B. von Sta- dass auch die Sprachfähigkeit der Migranten von 1980 bis nat (2006), Kristen (2002) und Schnepf (2007) gefunden. 1990 abgenommen hat. Für Deutschland kann eine ähnli- Stanat (2006) beobachtet einen negativen Zusammenhang che Tendenz weder bestätigt noch widerlegt werden. Es zwischen dem Anteil der Schüler, deren Familiensprache kann aber gezeigt werden, dass die zweite Generation üb- nicht Deutsch ist, und der Lesekompetenz. Der Effekt ist licherweise über bessere Sprachkenntnisse verfügt als die für Migranten – sowie für Nicht – Migrantenkinder vergleich- erste Generation (vgl. Haug 2005). Türken haben aber die bar. Sie nutzt für ihre Analysen die detaillierten PISA-Da- geringsten Deutschkenntnisse unter allen Migrantengrup- ten für Deutschland. Das Ergebnis wird ebenfalls von pen (vgl. Dustmann 1994; Haug 2005). Schnepf (2007) mit TIMSS- und IGLU-Daten bestätigt. Ein höherer Migrantenanteil in der Klasse führt ebenfalls zu ge- Ein strittiges Thema ist, ob Bilingualismus einen positiven ringeren Übergangsraten in höhere Stufen der Sekundar- Effekt auf den Bildungserfolg ausübt oder nicht. Die Frage schulen (vgl. Kristen 2002).13 Kristen (2008) untersucht den ist also, ob neben der fremden Sprache, die unweigerlich po- Zusammenhang zwischen Schulwahl und ethnischer sitive Effekte hat, die Muttersprache ebenfalls weiter verfolgt Schulsegregation in Essen. Sie findet, dass türkische Mig- werden sollte. Die Theorie sagt hierzu, dass die Fremdspra- ranten eher Grundschulen auswählen, die bereits eine ho- che abhängig von der Muttersprache sein kann, so dass die he Migrantenquote besitzen. Dies liegt aber vor allem an Beherrschung der Muttersprache eine Voraussetzung für die einer räumlichen Segregation, die dann zu einer Segrega- Beherrschung der Fremdsprache ist oder diese zumindest tion im Schulbereich führt. Gegenüber negativen Segrega- vereinfacht (vgl. Cummins 1979; Verhoeven 1994). Für tionseffekten in der Schule beobachten Gang und Zimmer- Deutschland gibt es hier kaum Befunde. Für die USA zeigt mann (2000) ebenfalls für Deutschland positive Effekte ei- sich, dass Bilingualismus entweder nur sehr geringe (vgl. nes größeren sozialen Netzwerks in der Gesellschaft für Mouw und Xie 1999; Kamphoefner 1994) oder positive Ef- den Bildungserfolg. fekte (vgl. Fernandez und Nielsen 1986) auf das Bildungsni- veau oder zukünftige Arbeitsmarktchancen des Kindes hat. Sweetman und Dicks (1999) können für Kanada einen po- Mouw und Xie (1999) argumentieren dabei, dass das Erler- sitiven Zusammenhang zwischen dem durchschnittlichen nen der Muttersprache nur einen kurzfristigen positiven Ef- Bildungsstand der eigenen ethnischen Gruppe und dem fekt hat, und zwar nur solange, bis die Eltern noch nicht in Bildungserfolg der nächsten Generation herstellen. Den- der neuen Sprache geschult sind. In diesem Fall kann ein noch scheint eine ethnische Segregation in den Schulen, effektiverer Austausch zwischen Kind und Eltern stattfinden. wenn überhaupt, einen negativen Effekt auf den Bildungs- Portes und Schnauffler (1994) finden ohnehin, dass das Bei- erfolg zu haben. So finden Cebolla-Boado (2007) für Frank- behalten der Heimatsprache im Zeitablauf unwahrscheinli- reich und Fekjæer und Birkelund (2007) für Norwegen kei- cher wird. Dennoch argumentieren sie, dass Bilingualismus ne robust signifikanten Auswirkungen von Migrantenkon- eine intellektuelle und kulturelle Ressource ist. zentrationen in Schulen oder Klassen der Sekundarstufe auf den Bildungserfolg. Für Belgien hingegen bestätigen Peergroup-Effekte Timmerman et al. (2003), dass Schulen mit hohem Mig- rantenanteil ebenfalls hohe Schulabbrecherquoten ver- Zuletzt wird der Einfluss von Peergroups auf den Bildungs- zeichnen. erfolg beschrieben. Theoretisch können Peergroups negativ oder positiv auf den Bildungserfolg wirken. Negative Effekte Für die USA schreibt Roscigno (1998), dass Schüler, die würde man erwarten, wenn die Peers eine geringere Quali- Schulen mit einem hohen Anteil von Schülern mit dunkler Hautfarbe besuchen, generell weniger Leistung zeigen als tät aufweisen oder eine Behinderung für die Assimilation, z.B. Schüler in Schulen mit mehrheitlich Schülern heller Haut- durch Verhinderung des Erlernens der Sprache, bedeuten farbe. Caldas und Bankston (1998) finden ebenfalls, dass würden. Positive Effekte durch eine größere Peergroup wür- die Schulsegregation negative Effekte auf den Schulerfolg den sich dann einstellen, wenn diese Gruppe wertvolle Un- hat. Dies tritt allerdings erst signifikant bei Schulen mit ei- terstützungsleistungen, z.B. durch Hilfe in der Übergangs- nem relativ großen Anteil an Kindern aus Minderheitspopu- phase direkt nach der Einwanderung, erbringen würden. lationen auf.14 Für Deutschland finden Danzer und Yaman (2010) sowie Dustmann (1997) einen kleinen, aber statistisch signifikan- 13 Es ist aber festzuhalten, dass der negative Einfluss einer erhöhten Mig- ten negativen Effekt der ethnischen Konzentration auf den rantenkonzentration in der Schule nicht primär ein Problem einer Migran- tenkonzentration per se ist, sondern sich eher als ein Problem einer Kon- Spracherwerb von Migranten. Ähnliche Effekte finden sich zentration von Schülern mit ungünstigen Lernvoraussetzungen darstellt auch für Australien (vgl. Chiswick und Miller 1996), England (vgl. Ditton und Aulinger 2011). 14 Weitere Schulstudien finden sich bei Entwisle und Alexander (1992) und (vgl. Dustmann und Fabbri 2003) und die USA (vgl. Chis- Rumberger und Willms (1992) mit ähnlichen Ergebnissen, d.h. ein positiver wick und Miller 2005). Zusammenhang von Desegregation mit höheren Leistungen aller Schüler. ifo Schnelldienst 10/2013 – 66. Jahrgang – 29. Mai 2013
32 Forschungsergebnisse Hingegen finden Portes und MacLeod (1996), dass mehr Literatur zu keinen eindeutigen Ergebnissen für oder gegen Schüler mit einem hispanischen Hintergrund zu besseren diesen Erklärungsansatz. Kiss (2011) z.B. findet, dass ein Ergebnissen von mexikanischen Schülern führt. Die Auto- Migrantenkind zweiter Generation in der Grundschule ren erklären dies damit, dass die höhere Anzahl an hispani- schlechter benotet wird als ein deutsches Kind, das die glei- schen Schülern zu weniger Wettbewerb führt. Eine homo- chen sozioökonomischen Merkmale und die gleichen Le- genere Umgebung scheint die Leistungen der mexikani- se- und Mathematikkompetenzen aufweist. Für Schüler in schen Schüler also zu fördern. Für asiatische Schüler, die der Sekundarstufe bestehen aber keine signifikanten Unter- traditionell bessere Leistungen zeigen als einheimische Schü- schiede in der Benotung. ler, führt allerdings ein größerer Anteil von asiatischen Schü- lern in der Schule zu niedrigeren Ergebnissen (vgl. Portes Diskriminierung kann aber auch für die Übergangsemp- und Hao 2004). Die Autoren erklären dies wiederum über fehlungen zur Sekundarschule bedeutsam sein. Kristen einen Wettbewerbseffekt, der nun in die entgegengesetzte (2006) findet allerdings keine unterschiedlichen Empfehlun- Richtung wirkt. So führe eine höhere Anzahl von ähnlich fä- gen für vergleichbare Kinder in sechs Mannheimer Grund- higen Schülern zu mehr Druck in der Schule, der sich wie- schulen, sobald für kognitive Fähigkeiten mittels Klausur- derum negativ auf die Schulleistung auswirkt. noten kontrolliert wird. Ähnliche Ergebnisse ergeben auch Studien von Kristen (2002) für Grundschulen in Baden-Würt- Ein weiterer wichtiger Beitrag findet sich bei Borjas (1992), temberg und von Schnepf (2002) mit TIMSS- und PISA-Da- der den Effekt einer ethnischen Gruppe auf das Bildungs- ten. Diskriminierung als treibender Faktor der Bildungsun- niveau des Einzelnen formalisierte. Er nennt diese Determi- gleichheit in Deutschland wird auch von Becker (2011) eher nante des Bildungserfolgs das ethnische Kapital und ope- verneint. Einen direkten Test der Diskriminierung von türki- rationalisiert dies durch das durchschnittliche Bildungsni- schen Schülern führte Sprietsma (2009) durch, indem sie veau einer ethnischen Gruppe. Seine Befunde zeigen, dass identische Aufsätze mit deutschen bzw. türkischen Schü- höheres ethnisches Kapital zu höheren Bildungsleistungen lernamen an verschiedene Lehrer verschickte. Aufsätze, die führt. Weiterhin führt er aus, dass diese Externalität über län- einen türkischen Namen trugen, wurden signifikant schlech- gere Zeiträume bestehen bleiben könnte und schließlich da- ter benotet als solche mit deutschen Namen. Allerdings zu führt, dass die Bildungsniveaus der einzelnen ethnischen wurde das Resultat nur von wenigen Lehrern getrieben, wo- Gruppen niemals konvergieren. Davon losgelöst betrachtet hingegen die meisten Lehrer keine signifikant unterschied- er die Verbindung von ethnischem Kapital und räumlicher lichen Noten vergaben.17 Segregation (vgl. Borjas 1995). Er findet eine direkte Ver- bindung zwischen beiden und führt dies darauf zurück, dass das ethnische Kapital einen Teil des sozioökonomischen Hin- Tertiärbereich tergrundes der Nachbarschaft abbildet. Wie aus den vorhergehenden Abschnitten deutlich wurde, Daran anknüpfend beschreiben Perreira et al. (2006), dass haben Migranten in den meisten Ländern generell Schwie- das Leben in einer Region mit Menschen gleicher Herkunft rigkeiten, in das Hochschulsystem zu gelangen. Deshalb zu leicht höheren Schulabbrecherraten führt. Die fehlenden ist die Literatur über den Erfolg von Migranten im Tertiärbe- starken Effekte lassen sich eventuell durch das Ergebnis von reich sehr dünn. Einige Studien behandeln dies implizit, wenn Kasinitz et al. (2002) erklären, die festhalten, dass die zwei- sie als Ergebnisvariable den höchsten erreichten Schulab- te Generation sich nicht mehr so stark in Regionen konzen- schluss oder die absolvierten Schuljahre heranziehen (vgl. triert wie die erste Generation. Dies trägt dann auch zur As- z.B. Gang und Zimmermann 2000). Allerdings ist dann ei- similation bei. Lazear (1999) beschreibt beispielsweise, dass ne spezifische Aussage für die einzelnen Schulstufen nicht Migranten von kleinen Minderheiten sich schneller assimi- mehr möglich. lieren als Migranten von größeren Minderheiten.15 Interessanterweise zeigt Abbildung 1, dass die Quote der Diskriminierung Studienberechtigten, die ein Studium aufnehmen, für Per- sonen mit Migrationshintergrund höher ist als für Abiturien- Ein weiterer Erklärungsansatz für die unterschiedlichen Bil- ten ohne Migrationshintergrund. Kristen et al. (2008) zeigen dungserfolge von Migranten und Einheimischen kann auch ebenfalls, dass die Wahrscheinlichkeit, sich in einer Univer- die systematische Diskriminierung von Kindern mit Migrati- sität einzuschreiben, unter türkischen Personen mit Abitur onshintergrund sein.16 Da sich Diskriminierung in der Regel gut dreimal so hoch ist wie unter Deutschen mit Abitur. Als nur sehr schwer nachweisen lässt, kommt die vorliegende 16 Gillborn (1997) findet Rassismus als einen erklärenden Faktor der Bildungs- 15 Vgl. Cutler und Glaeser (1997), Cutler et al. (2008), Leon (2005) und Kro- ungleichheit zwischen Minderheiten und Einheimischen in England. neberg (2006) für weitere Segregationsstudien, die überwiegend eben- 17 Vgl. Bertrand und Mullainathan (2004) und Carlsson und Rooth (2007) für falls einen negativen Effekt von Enklaven oder erhöhter Segregation auf ähnliche Namensexperimente im Arbeitsmarkt und Dee (2005) und van die Bildungsleistung feststellen. Ewijk (2011) für weitere Diskriminierungsstudien über Lehrer. ifo Schnelldienst 10/2013 – 66. Jahrgang – 29. Mai 2013
Forschungsergebnisse 33 Abb. 1 nen mit Migrationshintergrund, die in Übergangsquotena) in die Hochschule nach Migrationshintergrund, 2004–2008 Deutschland leben. Dies stützt die These von Tarvenkorn (2011), dass seine Zahlen stark % 82 81 durch Bildungsausländer getrieben sind. Ei- Migrant ne erfolgreiche Integration ist aus diesen Wer- 80 79 Nicht-Migrant ten nicht (direkt) abzuleiten. Eine aussage- 78 kräftigere Studie von Fekjæer (2007) unter- sucht explizit Abschlusswahrscheinlichkei- 76 75 75 ten von Migranten in Norwegen. Sie findet, dass türkische und pakistanische Kinder un- 74 73 terdurchschnittliche Abschlussraten aufwei- 72 sen. Dies kann aber zu einem großen Teil 72 71 71 durch den sozioökonomischen Hintergrund 70 erklärt werden. Hingegen gehören in Norwe- 2004 2005 2006 2008 gen die indischen Migranten zu den Studen- a) Anteil der Studienberechtigten, die ein Studium an einer Hochschule begonnen haben. ten mit überdurchschnittlichem Erfolg. In die- Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2010), S. 289 auf Grundlage des HIS-Studienberechtigten- sem Fall ist die soziale Herkunft weniger gut panels (einfache Mittelwerte aus den angegebenen Intervallwerten). als Prädiktor geeignet. Grund führen die Autoren die fehlenden Kenntnisse der tür- kischen Eltern über das deutsche duale Ausbildungssystem Zusammenfassung und Diskussion an, weshalb es auch seltener gewählt wird. Darüber hinaus besuchen türkische Migranten überdurchschnittlich oft Uni- Die Integration von Migranten in Deutschland beschäftigt versitäten im Vergleich zu den eher praktisch ausgerichte- in zunehmendem Maße sowohl die Politik als auch die Wis- ten Fachhochschulen. senschaft. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels sowie des Geburtenrückgangs ist eine gelungene Integration un- Migranten wählen auch in Schweden häufiger eine Univer- abdingbar für die Wirtschaft und die sozialen Sicherungs- sitätskarriere als die Aufnahme einer beruflichen Ausbildung systeme. Für Deutschland lässt sich festhalten, dass es (vgl. Jonsson und Rudolphi 2011). In den Niederlanden ist einen beträchtlichen Leistungsunterschied zwischen Mig- es hingegen eher der Fall, dass die Universität mehr von Ein- ranten und Nicht-Migranten gibt. So haben Migrantenkin- heimischen besucht wird (vgl. Tolsma et al. 2007). In Eng- der bereits im Vorschulalter einen signifikanten Nachteil ge- land sind ethnische Minderheiten unterrepräsentiert in Stu- genüber Nicht-Migranten, welcher sich in einem höheren dienfächern, die in Richtung des Lehrerberufs oder der For- Förderbedarf in Deutsch sowie geringeren kognitiven Kom- schung abzielen, aber nicht in den Masterstudiengängen, petenzen niederschlägt. Auch in der Primar- und Sekun- die auf den Beruf vorbereiten (vgl. Wakeling 2009). Dort sind darstufe schneiden Migrantenkinder schlechter ab: Sie er- es vor allem asiatische Studenten sowie Studenten mit ei- zielen weniger Punkte in internationalen Schülervergleichs- ner dunklen Hautfarbe, die in der Hochschule überrepräsen- tests, verzeichnen höhere Abbrecherquoten und erhalten tiert sind. Die gleichen Befunde können auch für die USA weniger Empfehlungen für das Gymnasium. Nur im Terti- festgehalten werden (vgl. Harris et al. 2008; Bennett und Xie ärbereich ist die Studierendenquote unter den Migranten 2003). höher als unter den Nicht-Migranten. Allerdings hat vor dem Tertiärbereich bereits ein starker Selektionsprozess statt- Diese Erkenntnisse lassen aber keine Schlüsse über das Ab- gefunden. Auch wenn es gerade türkische Migranten sind, schlussverhalten von Studenten mit Migrationshintergrund die höhere Studierendenquoten als Anteil an den Studien- zu, auch wenn Tarvenkorn (2011) generell einen Anstieg berechtigten aufweisen, so ist es gerade diese Migranten- der Absolventenquoten von ausländischen Studenten fest- gruppe, die in Deutschland seltener eine Studienberechti- stellt. So stieg der Anteil ausländischer Absolventen an Uni- gung erreicht. Probleme der Integration sind im europäi- versitäten von ca. 4% im Jahre 1975 auf knapp unter 12% schen Ausland ähnlich gelagert. Nur die englischsprachi- im Jahre 2005. Der Absolventenanteil von Ausländern in den gen Länder, wie England, die USA, Kanada und auch Aust- Fachhochschulen stieg wesentlich langsamer und lag im ralien haben einen relativ guten Integrationserfolg vorzuwei- Jahre 2005 bei nur 6%. Der Autor führt aber diesen Anstieg sen, der aber teilweise durch die selektivere Migranten- zu einem großen Teil auch auf Bildungsausländer, d.h. aus- auswahl erreicht wird. Es darf auch nicht verschwiegen wer- ländische Studenten, die nur zum Zwecke des Studiums den, dass auch dort ethnische Minderheiten mit erhebli- eingereist sind, zurück. Abbildung 5 in Teil I dieses Litera- chen Integrationsproblemen existieren. Ein Beispiel ist die turüberblicks aus dem ifo Schnelldienstartikel (Nr. 9/2013) hispanische und insbesondere die mexikanische Bevölke- impliziert wesentlich geringere Abschlussquoten für Perso- rung innerhalb der USA. ifo Schnelldienst 10/2013 – 66. Jahrgang – 29. Mai 2013
34 Forschungsergebnisse Nur geringer Handlungsbedarf würde für die Politik beste- Das Problem der Bildungsungleichheit zwischen Migranten hen, wenn eine automatische Assimilation in das neue Hei- und Nicht-Migranten setzt sich auch auf dem Arbeitsmarkt matland stattfinden würde. Dies kann für Deutschland nicht fort.18 Migranten erhalten üblicherweise einen geringeren festgestellt werden. Wenn es das Ziel ist, den Bildungsnach- Lohn und besetzen schlechtere Positionen in schlechteren teil der in Deutschland lebenden Migranten und deren Kin- Berufen. Als Erklärung können neben Unterschieden in der der in Zukunft zu verringern, besteht daher Handlungsbe- Bildung wiederum größtenteils die oben genannten Deter- darf für Politik und Gesellschaft. minanten herangezogen werden. Eine Verbesserung ent- lang der genannten Dimensionen würde somit auch tenden- Die Literatur zeigt mehrere mögliche Ursachen für den Bil- ziell den Arbeitsmarkterfolg von Migranten verbessern. dungsnachteil von Migranten auf: Verfügbare Datenquellen zeigen allerdings einige Schwä- 1. Sprache: Die wohl wichtigste Determinante für den In- chen der Migrationsforschung auf. So sammeln die meis- tegrationserfolg ist das Erlernen der Landessprache. Oh- ten Befragungen nur sehr inkonsistent Daten über das Ge- ne solide Sprachkenntnisse ist eine erfolgreiche Teilnah- burtsland. Häufig wird nur die Nationalität genannt, die nicht me am gemeinschaftlichen und beruflichen Leben nicht zwingend mit dem Geburtsland übereinstimmen muss (vgl. möglich. Kerr und Kerr 2011). Ein verwandtes Problem ist, dass vie- 2. Sozioökonomische Unterschiede: Nicht weniger be- le Befragungen nicht das Ursprungsland erfragen (vgl. Buch- deutsam sind Unterschiede in der sozialen Herkunft der mann und Parrado 2006). Die Abbildung der Migrations- Kinder. Wichtige Determinanten sind insbesondere die historie, d.h. z.B. mehrmalige Einreise in ein Land, ist häu- Bildung und der Beruf bzw. die Arbeitsmarktpartizipati- fig nur unzureichend dokumentiert, kann aber in den Schät- on der Eltern. Die Integration der Kinder wird also hoch- zung zu erheblichen Verzerrungen führen, für den Fall, dass gradig durch die Integration der Eltern beeinflusst. dieser Migrant als neuer Einwanderer gewertet wird. Eine 3. Institutionen: Kindergarten und sonstige vorschulische Unterscheidung zwischen erster und zweiter Generation, Maßnahmen sind sehr effektive Instrumente zur Be- bzw. dem Generationenstatus generell, ist ebenfalls sehr kämpfung der Bildungsnachteile der Migranten. Aber schwierig zu erzielen (vgl. Riphahn 2003). auch im späteren Lebenslauf zeigt sich, dass die Schu- le wesentlich zur Integration beitragen kann. So ist ins- Schließlich muss konstatiert werden, dass über viele weite- besondere die frühe Aufteilung in die Hauptschule, Re- re mögliche Determinanten der Bildungsnachteile von Mig- alschule oder Gymnasium ein Problem für Migranten ranten derzeit empirisch wenig bekannt ist. Dies gilt insbe- in Deutschland. sondere für deutsche Evidenz zu gezielten politischen Maß- 4. Ethnische Konzentration: Ethnische Konzentrationen im nahmen wie z.B. Sprachförderprogramme im frühkindlichen Wohngebiet wie auch in der Schule zeigen überwiegend Stadium bis hin zum Elternbereich, Mentoring, Ausgestal- negative Auswirkungen auf die schulischen Erfolge von tung von Bildungsprozessen und Lehrinhalten sowie Maß- Migranten. Auch hat ein interkultureller Austausch mit nahmen der Lehreraus- und -fortbildung. In diesen Berei- Nicht-Migranten im Kindesalter auf den späteren Schul- chen besteht erheblicher Forschungsbedarf, um die Ursa- erfolg positive Effekte. Generell gilt, dass kleine Minder- chen und möglichen Maßnahmen zur Verringerung der Bil- heiten sich wesentlich besser und schneller integrieren. dungsnachteile von Migranten besser zu verstehen. 5. Diskriminierung: Diskriminierung ist generell sehr schwer zu messen und nachzuweisen. Allerdings scheint eine spezifische Diskriminierung von Migranten nur eine un- Literatur tergeordnete Rolle für den Bildungserfolg von Migran- ten einzunehmen. Ainsworth-Darnell, J.W. und D.B. Downey (1998), »Assessing the Oppo- sitional Culture Explanation for Racial/Ethnic Differences in School Per- formance«, American Sociological Review 63(4), 536–553. Allerdings muss bei der Interpretation dieser in der empi- rischen Literatur aufgezeigten möglichen Ursachen im- Alba, R.D., J. Handl und W. Müller (1994), »Ethnische Ungleichheiten im deut- schen Bildungssystem«, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsycho- mer bedacht werden, dass es nicht in allen Bereichen der logie 46(2), 209–237. Migrationsforschung gelungen ist, die Kausalitätsbezie- Alba, R.D., A. Lutz und E. Vesselinov (2001), »How Enduring Were the Ine- hungen zu identifizieren. Inwiefern die aufgezeigten Kor- qualities among European Immigrant Groups in the United States?«, Demo- relationszusammenhänge tatsächlich mögliche Wirkungs- graphy 38(3), 349–356. kanäle politischer Maßnahmen wiedergeben, muss daher Aldashev, A., J. Gernandt und S.L. Thomsen (2009), »Language Usage, beim derzeitigen Stand der Forschung oftmals als offen Participation, Employment and Earnings: Evidence for Foreigners in West gelten. Germany with Multiple Sources of Selection«, Labour Economics 16(3), 330–341. 18 Zum Arbeitsmarkterfolg von Migranten, vgl. die folgenden Übersichtsar- Algan, Y., C. Dustmann, A. Glitz und A. Manning (2010), »The Economic tikel: Kerr und Kerr (2011); Heath et al. (2008); Dustmann et al. (2008); Situation of First- and Second-Generation Immigrants in France, Germany, Borjas (1994b; 1999). and the UK«, Economic Journal 120(542), F4–F3. ifo Schnelldienst 10/2013 – 66. Jahrgang – 29. Mai 2013
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