HOCHGESCHWINDIGKEITSZÜGE - Ein Vergleich - Felix Thoma

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HOCHGESCHWINDIGKEITSZÜGE - Ein Vergleich - Felix Thoma
HOCHGESCHWINDIGKEITSZÜGE

                                 Ein Vergleich
            FRANKREICH                             DEUTSCHLAND
Andreas Tsiakkaris:                        Alexander Urich:
infrastrukturelle und technische Aspekte   infrastrukturelle und technische Aspekte

Felix Thoma:                               Gunnar Heide:
betriebliche und ökonomische Aspekte       betriebliche und ökonomische Aspekte

                                       1
HOCHGESCHWINDIGKEITSZÜGE - Ein Vergleich - Felix Thoma
Inhaltsverzeichnis

1      Einleitung                                            3
1.1    Definitionen                                          3
1.2    Ziel dieser Arbeit                                    4
2      Frankreich                                            5
2.1    Infrastrukturelle und technische Aspekte              5
       (Andreas Tsiakkaris)
       2.1.1   Historische Aspekte                           5
       2.1.2   Raumstruktur                                  6
       2.1.3   Netzstruktur                                  7
       2.1.4   Infrastruktur                                 8
       2.1.5   TGV-Fahrzeuge                                 8
2.2    Betriebliche und ökonomische Aspekte                  13
       (Felix Thoma)
       2.2.1   Organisation                                  13
       2.2.2   Betrieb                                       13
       2.2.3   Konkurrenz                                    17
       2.2.4   Ökonomische und ökologische Bilanz            18
3      Deutschland                                           21
3.1    Infrastrukturelle und technische Aspekte              21
       (Alexander Urich)
       3.1.1   Netzstruktur                                  21
       3.1.2   Netzausrüstung                                23
       3.1.3   Neu- und Ausbauprojekte der DB                24
       3.1.4   ICE-Fahrzeuge                                 26
3.2    Betriebliche und ökonomische Aspekte                  29
       (Gunnar Heide)
       3.2.1   Organisation                                  29
       3.2.2   Betrieb                                       32
       3.2.3   Konkurrenz                                    35
       3.2.4   Ökonomische und ökologische Bilanz            37
4      Fazit                                                 39
Quellenverzeichnis                                           42

Titelbild: TGV und ICE (und einer der Autoren) an der Pariser Gare de l’Est, 2010

                                          2
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1           Einleitung

Die Technik, Bewegungsmittel mithilfe von Spurrillen zu führen, ist seit
prähistorischer Zeit bekannt. Dies stellt auch heute noch das grundlegende Prinzip
des Schienenverkehrs dar. Aber auf dem Weg zu den uns heute bekannten Zügen
(z.B. ICE, TGV, …) hat sich viel getan.

Der Schienenverkehr entwickelte sich im Bergbau, diente ab dem 19. Jahrhundert
auch im großen Maße dem Güterverkehr und erstmals auch dem Personenverkehr.
Im 20. Jahrhundert erreichten die Züge immer höhere Geschwindigkeiten.
Größtenteils waren diese durch Weiterentwicklungen der Antriebstechnik möglich,
von Dampflokomotiven über Dieselzüge bis hin zum elektrischen Antrieb.

Der            heutige              Stand    der       Technik    spiegelt        sich     im
Hochgeschwindigkeitsschienenverkehr                wider.   Der   deutsche   ICE    und   der
französische TGV transportieren hunderte Personen mit über 200 km/h quer durch
Europa.1 Als weitere europäische Hochgeschwindigkeitszüge sind vor allem der
durch den Kanaltunnel fahrende Eurostar, der Thalys zwischen Frankreich und den
Benelux-Staaten, der spanische AVE, der italienische Frecciarossa und der
schwedische X2000 zu nennen.

1.1         Definitionen

Eine offizielle Definition von Hochgeschwindigkeitszügen lautet: „[...]Technisch
moderne Hochgeschwindigkeitszüge müssen so ausgelegt sein, dass sie bei
folgenden Geschwindigkeiten einen sicheren Fahrbetrieb ohne Unterbrechung
erlauben:
- bei mindestens 250 km/h auf eigens für Hochgeschwindigkeitszüge gebauten oder
zu bauenden Strecken, wobei es möglich sein muß [sic], in geeigneten Fällen
Geschwindigkeiten                   von     mehr   als      300    km/h      zu      erzielen;
- bei rund 200 km/h auf eigens ausgebauten oder auszubauenden bestehenden
Strecken;
- bei der jeweils höchstmöglichen Geschwindigkeit auf den übrigen Strecken.[...]“

Man nennt die dadurch charakterisierten Strecken Hochgeschwindigkeits- oder
Schnellfahrstrecken (in Frankreich LGV – Lignes à Grande Vitesse). Grundsätzlich
also zählt jeder Zug, der auf einer speziell dafür ausgerüsteten Strecke mehr als
250 km/h schnell fährt, als Hochgeschwindigkeitszug. Allgemein spricht man vom
Hochgeschwindigkeitsschienenverkehr oder kurz HGV.

1   vgl. Hecht et al. 2008, S.29f

                                                   3
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1.2    Ziel dieser Arbeit

Gerade Hochgeschwindigkeitsprojekte sind in Deutschland starken Diskussionen
unterworfen, wie man am Bahnprojekt Stuttgart 21 sehen kann. In Frankreich
dagegen scheint der Bau neuer TGV-Strecken gesellschaftlicher Konsens zu sein. Es
stellt sich die Frage, welche Unterschiede noch zwischen den beiden Ländern im
Hinblick auf ihre Hochgeschwindigkeitsschienenverkehrssysteme bestehen. Bei den
häufigen technischen Problemen und den schlechten Pünktlichkeitswerten beim
deutschen ICE dient der französische TGV natürlich eher als Vorbild für ein
technisch gelungenes und konsequent umgesetztes Hochgeschwindigkeitssystem.
Wegen der schwächelnden französischen Wirtschaft und der ansteigenden
Staatsverschuldung müssen aber die hohen staatlichen Ausgaben für das TGV-
System auf den Prüfstand gestellt werden, weshalb neben den technischen auch
ökonomische Aspekte dort eine immer wichtigere Rolle spielen werden.

In dieser Arbeit werden die Hochgeschwindigkeitssysteme von Frankreich und
Deutschland zunächst analysiert und dann verglichen. Im Hauptteil werden dabei
zuerst die geographischen, infrastrukturellen und technischen Gegebenheiten
untersucht. Es werden also Aspekte wie Raumstruktur, Netzstruktur, technische
Ausrüstung und Fahrzeugtypen betrachtet. Danach folgt eine spezifische
Betrachtung der staatlichen Eisenbahngesellschaften, also der SNCF und der DB, der
Betriebsdurchführung, der Konkurrenz und zu jedem Land auch eine ökonomische
sowie ökologische Bilanz. Im Fazit sollen in einem direkten Vergleich die
Unterschiede beider Systeme dargelegt werden. Auch die Möglichkeit eines
Transrapids wird für beide Länder kurz untersucht.

                                        4
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2        Frankreich

2.1      Infrastrukturelle und technische Aspekte
         Andreas Tsiakkaris

2.1.1 Historische Aspekte

Im Jahr 1950 eröffnete SNCF (Societé Nationale des Chemins de Fer Français –
Nationale Eisenbahngesellschaft) die neue Strecke zwischen Paris und Lyon mit dem
Zug Mistral. Der Zug schaffte Geschwindigkeiten von 140 km/h (durchschnittlich
120 km/h) und reduzierte die benötigte Zeit von fünf auf etwa vier Stunden.2

Die Franzosen konnten schon seit 1955 Geschwindigkeiten von mehr als 300 km/h
erreichen: Am 29. März 1955 kam der BB 9004 auf einer 85 km langen Wegstrecke
südlich von Bordeaux im Département Landes auf eine Geschwindigkeit von 331
km/h. Dies war ein wichtiger Meilenstein, denn es wurde gezeigt, dass
Hochgeschwindigkeiten doch realisierbar waren.3

Diese Geschwindigkeitsrekorde waren nur ein Erfolg aus dem Standpunkt der
Ingenieure. Damals hatte Komfort Priorität über die Geschwindigkeit.

Die Änderung der Richtung kam vom anderen Ende der Welt. Am 1. Oktober 1964,
gerade rechtzeitig für die XVIII. Olympischen Sommerspiele, wurde in Japan die
Strecke Tokio – Osaka eröffnet. Die Züge, die sogenannten Shinkansen, fuhren mit
210 km/h Geschwindigkeitsbegrenzung. Trotz der zusätzlichen Stunde Fahrzeit
wegen unvollendeten Baus war diese neue Strecke ein durchschlagender Erfolg. Das
hat die Franzosen schwer in ihrem Stolz getroffen.4 Der TGV wurde auch als
Prestigeprojekt entworfen, damit die Franzosen die technische Überlegenheit über
den japanischen Shinkansen nachweisen konnten. Die Japaner hatten die Franzosen
in deren eigener Stärke geschlagen: Geschwindigkeit.5

Im Jahr 1967 stellte SNCF eine neue mit 200km/h befahrbare Strecke Paris –
Toulouse vor. Das war jedoch nur ein cleverer Marketingtrick. Eigentlich war
200 km/h nur auf kurzen und geraden Teilstrecken erreichbar, nämlich durch die
Ebene von La Beauce. Dann wurde es kurvig und hügelig und da rollte dann der
Schnellzug wieder ganz vorsichtig und vorwiegend gemächlich. Dann sank die
Geschwindigkeit oft auf 140 km/h oder sogar auf nur 110 km/h. Der Zug war ein

2 vgl. Meunier 2002, S.3
3 vgl. Meunier 2002, S.84
4 vgl. Meunier 2002, S.88
5 vgl. Meunier 2002, S.232

                                         5
konventioneller Zug, aber rot bemalt und Capitole genannt.6 Trotzdem war dies ein
Beweis, dass SNCF an einen Fernverkehr mit dichtem Takt und mit wenigen
Haltestellen zu denken begann, ähnlich einer Fluglinie.

Mitte der 70er Jahre sah der TGV wie eine beschlossene Sache aus. 1977 wurden 87
TGVs bei Alsthom-Francorail-MTE bestellt und es wurde mit dem Bau der ersten
Teilstrecken begonnen.7

Sonntag, 27. September 1981, Paris, 6h30: Eine ungewöhnliche Menschenmenge
stürmt die Gare de Lyon und strebt zu dem Bahnsteig, an dem der erste TGV seinen
Regeldienst aufnehmen wird. Der Zug Nr. 807 setzt sich um Punkt 7h15 feierlich in
Richtung Lyon Perrache in Bewegung und 300 Fahrgäste reisen zum ersten Mal mit
260 km/h.

Der TGV hält den Weltrekord für den schnellsten konventionellen Zug. Am 18. Mai
1990 erreichte die TGV-Garnitur 325 in der Nähe des Bahnhofs von Vendôme
515,3 km/h. Neun Jahre nach Einführung des TGVs auf der Strecke Paris – Lyon
stellte SNCF die Beherrschung der Hochgeschwindigkeit eindrucksvoll unter Beweis.
Am      3.   April     2007   erreichte   ein   speziell   konstruierter   TGV   eine
Höchstgeschwindigkeit von 574,8 km/h.

2.1.2 Raumstruktur

Das TGV-Netz ist offensichtlich auf Paris konzentriert. Paris war, historisch, immer
gut bedient (komfortable Züge, dichtes Angebot).8 Von einer Provinzstadt in eine
andere musste man mit dem Zug oft über Paris fahren und folglich eine höhere
Reisezeit in Kauf nehmen. Dies war das Erbe aus Jahrhunderten zentraler
Administration in Frankreich und vor allem das Ergebnis der Entscheidungen im
Eisenbahnbau während des 19. Jahrhunderts.9 1966 und 1967 gab der Pariser
Verkehrsbetrieb RATP (Régie Autonome des Transports Parisiens) so viel für die
Pariser S-Bahnen und U-Bahnen aus wie ganz Frankreich für den Bau von
Autobahnen.10 Diese Tendenz wird durch die Tatsache verschärft, dass die Planer oft
die Interessen von Paris vor die des Landes stellten.11

Frankreich ist relativ dünn besiedelt und so gibt es große Entfernungen zwischen
den großen Städten, deswegen sind Hochgeschwindigkeitszüge sinnvoll, im

6 vgl. Lamming 1993, S.181
7 vgl. Meunier 2002, S.6
8
  vgl. Meunier 2002, S.77
9
  vgl. Meunier 2002, S.80
10 vgl. Meunier 2002, S.81
11
   ebd.

                                           6
Vergleich zu Deutschland, wo mehr mittelgroße Städte existieren. Im Ruhrgebiet
gibt es 5 Städte, die zwischen 400.000 bis 600.000 Einwohner haben: Düsseldorf,
Dortmund, Essen, Duisburg und Bochum. Deutschland hat keinen Metropolraum,
der so bevölkerungsreich wie Paris ist; 12 Millionen Leute wohnen in dem
Metropolraum von Paris, dagegen hat Berlin 4 Millionen in der Metropolregion. Es
ist folglich in Deutschland schwerer, alle wichtigen Verkehrsknoten durch
Hochgeschwindigkeitszüge          zu      verbinden.       Außerdem         müssen
Hochgeschwindigkeitszüge schnelle Reisezeiten bieten, um in Wettbewerb mit
anderen Arten des Reisens zu sein. Das gilt besonders in Deutschland, wo ein gutes
Netz von Flughäfen und außergewöhnlich gut gebauten Autobahnen besteht, auf
denen es keine oder wenige Geschwindigkeitsbegrenzungen gibt.

2.1.3 Netzstruktur

Für das TGV-Netz kennzeichnend ist die Tatsache, dass Frankreich ein „getrenntes“
Modell verwendet, bei dem Züge bei hohen Geschwindigkeiten meist auf speziellen
Hochgeschwindigkeitsstrecken (LGV) fahren und in kleineren Städten nur wenige
Halte machen. Im Folgenden werden einzelnen LGVs genauer betrachtet, die
Nummern hinter den Namen entsprechen dabei denen auf Abb. 2.1.3.1 und 2.1.3.2.

Die erste eingeweihte LGV war die Linie zwischen Paris und Lyon, die LGV Sud-Est
. Sie wurde im September 1981 eingeführt. Mit dieser Linie wurden auch die TGVs
feierlich vorgestellt.12 Die Züge auf der LGV Sud-Est in Richtung Lyon und teilweise
weiter Richtung Marseille (LGV Rhône-Alps und LGV Méditerranée) beginnen ihre
Fahrt in Paris an der Gare de Lyon.

Die LGV Atlantique  verbindet Paris einerseits mit den Pays de la Loire im
Westen, andererseits mit der Region Centre im Südwesten des Landes. Die Strecke
besitzt die Form eines liegenden Y, dessen Äste in Le Mans in den Pays de la Loire
und Tours im Centre enden. Die Strecke soll bis Bordeaux in südwestliche Richtung
und bis nach Rennes verlängert werden. Die Züge auf der LGV Atlantique Richtung
West- und Südwestfrankreich beginnen in Paris am Bahnhof Montparnasse. Die
betriebliche Höchstgeschwindigkeit auf der für 320 km/h ausgelegten Strecke ist
300 km/h. Der TGV Atlantique wurde auf der Strecke nach Le Mans im September
1989 und nach Tours im September 1990 eingeführt.

12
     vgl. Meunier 2002, S.207

                                         7
Französisches Eisenbahnnetz (mit verschiedenen Stromsystemen)13

Die nächste errichtete Strecke war die LGV Nord . Im Jahre 1993 wurde diese
Schienenstrecke zur öffentlichen Nutzung freigegeben. Diese LGV führt von Paris
nach Lille und von dort zu verschiedenen europäischen Zielen. Die TGV-Züge auf der
LGV Nord Richtung Lille, die Thalys-Züge weiter nach Belgien und in die
Niederlande sowie die Eurostar-Züge durch den Kanaltunnel nach England beginnen
an der Pariser Gare du Nord. Die Strecke wird also neben den TGVs auch vom

13
 Zeichnung von Boris Chomenko, Stand 2011, leicht bearbeitet
Quelle: http://www.bueker.net/trainspotting/map.php?file=maps/france/france.gif

                                                      8
Eurostar und dem Thalys genutzt. In Belgien ist die Strecke mittlerweile weiter nach
Brüssel und von dort weiter nach Lüttich (Liège) gebaut. Die LGV Nord ist 329km
lang.

Obwohl die LGV Rhône-Alpes  eigentlich eine Verlängerung der LGV Sud-Est ist,
wird sie als eine getrennte Linie betrachtet. Sie wurde in zwei Etappen eröffnet. Die
38km lange Umgehungsstrecke von Lyon zwischen Monanay und Saint Quentin-
Fallavier ging am 13. Dezember 1992 in Betrieb. Der zweite Teil, zwischen Saint
Quentin-Fallavier und Saint-Marcel-lès-Valence, wurde am 3. Juli 1994 eingeweiht.
Insgesamt ist die Strecke mit 115km Länge relativ kurz.14

Wo die LGV Rhône-Alpes aufhört, führt die LGV Méditerranée  weiter.
Offensichtlich wählte man diesen Name, weil sie bis ans Mittelmeer läuft. Sie beginnt
in Valence und teilt sich kurz vor Avignon in zwei Strecken nach Marseille und
Nîmes. Die Strecke wurde in Anwesenheit von Staatspräsident Chirac im Juni 2001
feierlich eingeweiht. Mit der LGV Sud-Est und mit der LGV Rhône-Alpes bildet die
LGV Méditerranée eine zusammenhängende Schnellfahrstrecke von Paris ans
Mittelmeer.15

Die zweite Linie, die Frankreich mit dem Rest Europas verbindet, ist die LGV Est .
Wie die LGV Nord ist auch die LGV Est sehr wichtig für internationalen Verkehr. Sie
dient dem Inlandverkehr vom Pariser Ostbahnhof (Gare de l’Est) ausgehend nach
Reims, Metz, Nancy und zukünftig nach Strasbourg, aber auch dem internationalen
Verkehr nach Frankfurt am Main über Saarbrücken sowie nach München über
Stuttgart.16 Bisher ist nur der erste Abschnitt fertig (2007), er führt derzeit von Paris
nach Baudrecourt. Der zweite Abschnitt von Baudrecourt nach Strasbourg soll erst
ca. 2016 eröffnet werden.

Im Dezember 2010 ging die wohl kürzeste LGV in Betrieb. Sie ist nur 44 km lang, ist
aber mit der Höchstgeschwindigkeit 350 km/h befahrbar. Die LGV Perpignan-
Figueres  verbindet die französische Stadt Perpignan mit der spanischen Stadt
Figueres, seit Dezember 2013 fahren die Züge auf spanischer Seite weiter bis
Barcelona.

Die LGV Rhin-Rhône  teilt sich in drei Abschnitte. Als erstes wurde der
Ostabschnitt zwischen Dijon und Mulhouse fertiggestellt. Die anderen beiden
Abschnitte, und zwar Auxonne – Bourg-en-Bresse im Süden und Dijon – Aisy als

14
   vgl. Papazian 2007, S.60
15 vgl. Papazian 2007, S.63
16
   vgl. Papazian 2007, S.73

                                           9
Anschluss an die LGV Sud-Est im Westen, befinden sich derzeit noch in der Planung.
Ende 2016 sollen dann die beiden Abschnitte zur Verfügung stehen.

Diese LGV ist auch für Deutschland sehr wichtig, mit ihr gibt es eine weitere TGV-
Verbindung nach Frankfurt. Die Züge beginnen in Frankfurt und fahren über
Mannheim und Karlsruhe und nach Überqueren der französischen Grenze über
Strasbourg, Mulhouse und Dijon bis Marseille.

2.1.4 Infrastruktur

Das französische Hochgeschwindigkeitssystem verwendet das traditionelle Rad-
Schiene-System. Die Schienen aus Hybrid-Stahl sind zusammenschweißt und liegen
auf Betonschwellen. Was sie von den anderen Schienen unterscheidet, ist das
Schotterbett, das dicker als normal ist. Die LGV weisen höhere Kurvenradien auf,
sodass die Zentrifugalkraft minimiert wird. Die Gleise sind auch weiter auseinander
gelegen als normal, um den Luftstoß von zwei entgegengesetzt fahrenden Zügen zu
reduzieren.

Beim französischen Netz gibt es hauptsächlich zwei Arten von Stromsystemen. Das
nordfranzösische Eisenbahnnetz sowie alle Schnellfahrstrecken sind mit 25 kV 50
Hz Wechselstrom elektrifiziert, auf einigen Strecken in Südfrankreich wird
allerdings mit 1,5 kV Gleichstrom gefahren. Alle TGV-Züge können in beiden
Stromsystemen laufen.

2.1.5 TGV-Fahrzeuge

TGVs waren von Anfang an als Hochgeschwindigkeitszüge konstruiert. Sie sind
leichte Züge mit einer Achslast von 17 Tonnen. Jakobsdrehgestelle bieten mehr
Platz, bessere Federung und Reduzierung der Innenraumgeräusche. Außerdem
bieten sie zusätzliche Aerodynamik, geringere Höhe und kleinere Lücken zwischen
den Wagen. Ihre Konstruktion ermöglicht es, dass Wagen aneinander gekoppelt
werden können und so ein glatter und ruhiger Durchgang von einem Wagen zum
anderen besteht. Die Bremsen sind auch speziell für Hochgeschwindigkeit gebaut.
Die Wagen sind mit vier Scheiben pro Achse ausgestattet.

Aufgrund der Hochgeschwindigkeit können die Fahrer die herkömmlichen Signale
nicht sehen. Eine Innovation beim Bau der TGVs war die sogenannte Transmission
Voie-Machine (TVM): Die Signale werden über die Gleise auf den Zug und dann in
die Fahrerkabine übertragen.

Es gibt sechs Baureihen des TGV. Sie sind teilweise für bestimmte TGV-Strecken

                                        10
vorgesehen und nach diesen benannt:

Von der ersten Generation des TGV Paris Sud-Est (PSE) wurden 109 anfangs
orange lackierte Züge gebaut. Sie sind 200,2 m lang und die meisten verfügen über
jeweils 386 Sitzplätze. Normalerweise fahren sie auf der LGV Sud-Est, der LGV
Rhône-Alpes und der LGV Méditerranée. Man kann die ursprünglichen Züge an ihrer
Nummerierung erkennen: 01 bis 98, 100 bis 118; Nr. 99 wurde nicht vergeben. Jede
Einheit hat 8 Mittelwagen und 2 getrennte Triebköpfe, einer vor und der andere
hinter den Mittelwagen.17

SNCF wollte die zweite TGV-Generation farblich nicht der ersten Generation
angleichen, deshalb wurde der neue TGV Atlantique silberfarben und blau lackiert.
Allmählich wurde dieser Anstrich bei der ganzen SNCF-Flotte vorherrschend. Ab
1989 wurden 105 Züge gebaut mit einer Nummerierung von 301 bis 405. Die Züge
dieser Generation sind fähig, Geschwindigkeiten von 300km/h zu erreichen. Ein TGV
Atlantique besteht aus 10 Mittelwagen statt wie die anderen TGVs aus 8. Im Zug
können 485 Reisende befördert werden. Der TGV Atlantique ist mit 237,6 m der
längste der TGV-Familie mit Ausnahme des Eurostar.18

Da der TGV Atlantique nicht für den landesweiten Einsatz geeignet war, kam es zur
Entwicklung der dritten Generation unter dem Namen TGV Réseau (Netz). Ab 1991
wurden 80 Züge mit 8 Mittelwagen gebaut. Es gibt sie in zwei Varianten: die Züge
501 bis 550 mit Zweistromsystem und die Züge 4501 bis 4530 mit
Dreistromsystem, so dass diese Züge auch nach Belgien, Italien und Luxemburg
fahren können. Sie haben die gleiche Länge wie der TGV Paris Sud-Est (200,2m) und
erreichen 320 km/h. Es gibt bis zu 377 Sitzplätze.19

Die LGV Sud-Est (Paris-Lyon) ist die am meisten belastete Linie in Frankreich,
folglich brauchte SNCF eine Lösung dafür. Die Verbreiterung des Lichtraumprofils
wäre umständlich und mehr Züge zusammenzukuppeln setzt eine Verlängerung der
Bahnsteige voraus. Aus diesen Gründen konnten die Züge nur höher werden; aus
einem veränderten TGV Réseau wurde eine neue Generation des TGV entwickelt,
der sogenannte TGV Duplex. Diese Züge verfügen über zwei Ebenen und sie können
545 Fahrgäste transportieren. Gleichzeitig können sie in allen Bahnhöfen leicht
halten, da sie genauso lang wie die anderen TGVs (außer dem TGV Atlantique) sind
(220,2 m).20

17 vgl. Papazian 2007, S.87
18 vgl. Papazian 2007, S.90
19 vgl. Papazian 2007, S.92
20
   vgl. Papazian 2007, S.100

                                         11
Der TGV Eurostar ist eine besondere Version des TGV. Er wurde speziell gebaut, um
den Kanaltunnel zu durchfahren. Sein weiß-gelber Anstrich differenziert ihn von
den anderen Zügen und die Eurostar-Züge gehören nicht ausschließlich zur SNCF.
Eine Kooperation zwischen SNCF (55%), SNCB (Belgien) (5%) und LCR (London &
Continental Railways) (40%) wurde gegründet, um diese Züge zu betreiben.

Die Züge sind relativ lang (394 m) und verfügen über 18 Mittelwagen je Einheit. Sie
sind seit 1994 in Betrieb und 750 Reisende können im Zug Platz finden. Obwohl der
TGV Eurostar maximal 300km/h fahren kann, wird die Geschwindigkeit während
der Durchfahrt des Kanaltunnels auf 160km/h begrenzt.21

„Infolge des Baus der LGV Nord mit Anschluss zum Kanaltunnel und zum belgischen
Schienennetz bis Brüssel wurden auch international einsetzbare Triebzüge
benötigt.“22 Für den Betrieb dieser Strecke wurde wie beim Eurostar eine neue
Bahngesellschaft „Thalys“ gegründet, eine Kooperation zwischen SNCF, SNCB, NS
(Niederlande) und später auch der DB AG. Die TGV Thalys sind für drei
Stromsysteme ausgerüstete TGV Réseau. Es gibt zwei Varianten der Thalys-Züge:
PBA und PBKA. PBA steht für Paris-Brüssel-Amsterdam und PBKA für Paris-Brüssel-
Köln-Amsterdam. Im Gegensatz zur Bezeichnung PBKA fahren diesen Züge aber nur
nach Deutschland, und zwar bis Köln und zeitweise bis Düsseldorf.23

Neben den personenbefördernden TGV steht ein spezieller Güterzug, der TGV La
Poste, der Post transportiert. Er wurde aus der Serie TGV Paris Sud-Est
abgewandelt und es stehen 3,5 Züge zur Verfügung, d.h. 3 Züge plus einen
Reservetriebkopf. In seinen 8 Mittelwagen können 61 Tonnen Post befördert
werden. Alle TGV La Poste sind weithin zu erkennen, da sie einen gelben Anstrich
haben.24

21
   vgl. Papazian 2007, S.94
22
   Papazian 2007, S.96
23
   vgl. Papazian 2007, S.9
24 vgl. Papazian 2007, S.93

                                        12
2.2       Betriebliche und ökonomische Aspekte
          Felix Thoma

2.2.1. Organisation

In Frankreich wurde 1997 die von der Europäischen Kommission angestrebte
Trennung von Netz und Betrieb verwirklicht, in dem der vorher bestehende
integrierte Konzern in zwei Teile aufgespalten wurde. Für den Betrieb der Fern- und
Regionalzüge blieb die zu 100% staatliche SNCF (Societé nationale de chemins de
fer – Nationale Eisenbahngesellschaft) zuständig, während sich das Schienennetz im
Eigentum des ebenfalls staatlichen Netzbetreibers RFF (Réseau ferré de France -
Französisches Eisenbahnnetz) befindet. Nach und nach sind jedoch einige
Kompetenzen, wie die Instandhaltung und Betriebsleitung des Schienennetzes und
das Bahnhofsmanagement, wieder zurück unter die Kontrolle der SNCF gekommen,
wodurch die Trennung von Netz und Betrieb nur noch oberflächlich vorhanden ist
und die Organisationsstrukturen beider Unternehmen in Wirklichkeit eng
miteinander verwoben sind.25 26

Das Ziel der Trennung von Netz und Betrieb, privaten Konkurrenten der SNCF einen
einfacheren Zugang zu gewährleisten, wurde bislang ohnehin nicht erreicht, beim
Liberalisierungsindex Bahn schneidet Frankreich schlecht ab.27 Im Personenverkehr
werden bis auf den Nachtzug Thello nach Italien alle Züge von der SNCF betrieben,
also      insbesondere             im   Fernverkehr      der    TGV.   Grenzüberschreitende
Fernverkehrslinien werden z.T. in Kooperation mit den angrenzenden Staatsbahnen
betrieben, im Einzelnen der Eurostar nach England, der Thalys nach Belgien und in
die Niederlande, der TGV Lyria in die Schweiz sowie die abwechselnd mit ICE und
TGV bediente Linie Richtung Deutschland über Saarbrücken.

2.2.2. Betrieb

Das TGV-Netz ist klar auf die französische Hauptstadt ausgerichtet: Fast alle Linien
beginnen in Paris oder passieren den Großraum der Stadt. Die TGV-Linien enden in
Paris     an     verschiedenen          Kopfbahnhöfen,    was    das   Umsteigen   zwischen
unterschiedlichen TGV-Linien dort zu einer umständlichen Angelegenheit macht,
weil dazu in den meisten Fällen die Pariser U-Bahn (Métro) oder S-Bahn (RER)
benutzt werden muss.

25 vgl. SNCF 2012, S. 15
26 vgl. Mitusch/Liedtke 2013
27 vgl. IBM/Kirchner 2011, S. 30

                                                 13
Es werden daher auch durchgehende TGV-Linien z.B. von Lille im Norden nach
Lyon/Marseille oder Bordeaux im Süden angeboten, die die sog. LGV Interconnexion
Est benutzen und daher nicht in Paris selbst, sondern am Flughafen Charles de
Gaulle und in der Vorstadt Marne-la-Vallée halten.

Von Paris aus erreichen die TGV-Züge (teilweise nach kurzer Benutzung
traditioneller Bahnstrecken) recht schnell die Schnellfahrstrecken (siehe Kapitel
2.1.3). Im Anschluss an die jeweilige Hochgeschwindigkeitsstrecke fahren die TGVs
meist auf traditionellen Eisenbahnstrecken weiter. Dabei verzweigt sich das
Streckennetz, da neben den Hauptzielen wie Marseille, Strasbourg oder Bordeaux
mit einzelnen Zügen am Tag auch abseits der Hauptstrecken liegende Orte erreicht
werden, z.B. Urlaubsorte an der Atlantik- oder Mittelmeerküste oder in den
französischen Alpen.

Auf kürzeren Strecken mit Fahrzeiten bis zu 2,5 Stunden (z.B. Paris-Lyon oder Paris-
Rennes) fahren die TGVs den Tag über meist im Stundentakt. In den
Hauptverkehrszeiten wird der Takt aber auf einen Halbstundentakt verdichtet
(siehe Tab. 2.2.2.2), morgens (6-8 Uhr) vor allem in Richtung Paris und nachmittags
(17-19 Uhr) vor allem aus Paris hinaus (im kleineren Umfang gilt dies auch für die
Gegenrichtung). Mit Ausnahme der morgendlichen Züge setzt sich das auch am
Wochenende fort.

     Abfahrt        Sparpreis        Normalpreis          Abfahrt           Sparpreis         Normalpreis
        -                -                  -               06:46              20€               28€
     07:16              34€               47€               07:46              26€               38€
     08:16              26€               38€               08:46              34€               47€
       -                 -                 -                09:46              20€               28€
       -                 -                 -                10:46              25€               35€
       -                 -                 -                11:46              25€               35€
       -                 -                 -                12:46              26€               38€
     13:16              26€               38€                 -                 -                 -
       -                 -                 -                14:46              34€               38€
       -                 -                 -                15:46              25€               35€
     16:16              26€               38€               16:46              34€               38€
     17:16              26€               38€               17:46               -                61€
     18:16               -                61€               18:46              34€               47€
     19:16              26€               38€               19:46              25€               35€
       -                 -                 -                20:52              25€               35€
     22:21              15€               44€                 -                 -                 -

Abfahrten/Preise aus der Pariser City Richtung Lille (Do. 20.02.2014)28

28
  Datenquelle: http://de.voyages-sncf.com/ (abgerufen am 23.01.2014),
nur Züge von Paris Gare du Nord, sowohl Züge nach Lille Flandres als auch über Lille Europe

                                                    14
Ein Taktfahrplan längeren Strecken wie Paris-Marseille oder Paris-Bordeaux
allerdings kann das Angebot etwas unregelmäßiger sein, denn es gibt sowohl
Nonstop-TGVs, die direkt in der Konkurrenz zum Luftverkehr stehen, als auch TGV-
Fahrten, die an diversen Unterwegsstationen halten (siehe Tab. 2.2.2.3).

     Abfahrt        Sparpreis        Normalpreis                         Bemerkung
     05:36             40€                73€
     06:06            40€                 73€
     07:36            40€                 73€
     08:36            37€                 60€                       Nonstop-TGV
     09:36            35€                  -              iDTGV, an normalen TGV gekoppelt
     09:36            57€                 73€
     10:36            37€                 60€                           Nonstop-TGV
     11:31              -                 73€
     13:36           39,90€                -              iDTGV, an normalen TGV gekoppelt
     13:36            40€                 73€
     14:36            45€                 60€                           Nonstop-TGV
     15:36            57€                 73€
     17:36              -                 91€
     18:06              -                 73€
     18:36            37€                 60€                       Nonstop-TGV
     19:36            35€                                 iDTGV, an normalen TGV gekoppelt
     19:36            37€                 60€
     20:06            37€                 60€

Abfahrten/Preise von Marseille in die Pariser City (Do. 20.02.2014)29

In Deutschland selten, aber in Frankreich sehr üblich sind dabei Stationen außerhalb
der Städte „auf der grünen Wiese“, die über Shuttlezüge oder -busse mit den
umgebenden Städten verbunden sind, die aber oft über große Parkplätze verfügen.
Ein Beispiel hierfür ist Reims, wo nur manche TGV-Züge den Hauptbahnhof
erreichen, andere dagegen nur am 5 km entfernten TGV-Bahnhof Champagne-
Ardenne halten, ähnlich ist das z.B. in Besançon und in Avignon (vgl. Abb. 2.2.2.1).
Bei manchen TGV-Bahnhöfen liegen überhaupt keine Städte in der Nähe, z.B. bei
TGV Haute-Picardie. Auf eine Verknüpfung des Hochgeschwindigkeitsnetzes mit
dem öffentlichen Regional- und Stadtverkehr wird (meist zugunsten höherer
Fahrgeschwindigkeiten) in Frankreich also weniger Wert gelegt als in Deutschland.

Die     Strategie      der      SNCF       bestand       bei     der     Eröffnung        der     ersten
Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Lyon darin, den Tarif der alten Strecke
beizubehalten, um breitere Bevölkerungsschichten für den neuen TGV zu gewinnen.
Wegen der hohen Auslastung der Strecke und der dadurch geringen Kosten pro

29
 Datenquelle: http://de.voyages-sncf.com/ (abgerufen am 23.01.2014), nur Züge Richtung Paris Gare de Lyon.
Es gibt weitere TGV/Ouigo-Züge Richtung Paris, die aber nur in den Pariser Vororten halten.

                                                   15
einzelnen Passagier ging die Rechnung auf. Seit der Eröffnung der LGV Nord im
Jahre 1993 ist das Tarifsystem der französischen Eisenbahn an der Auslastung der
einzelnen Züge ausgerichtet, da mit dem im Luftverkehr weit verbreiteten
Ertragsmanagement versucht wird, über einen variablen Preis die tatsächliche
Nachfrage an das Angebot anzupassen, also eine möglichst hohe Auslastung zu
erreichen.        Diese      liegt   bei    etwa      80%.30      Andererseits     ist    wegen    einer
Reservierungspflicht, wie es sie in Deutschland nicht gibt, theoretisch garantiert,
dass jeder Reisende einen Sitzplatz bekommt.

Frühzeitig gebuchte Tickets sind also deutlich günstiger als kurzfristig gebuchte,
man hat einige Wochen oder Monate im Voraus noch Chancen, ein günstiges
Sparpreisticket vom „TARIF PREM’S“ zu erwerben. Ansonsten gibt es vergleichbar
wie in Deutschland auch teurere Normalpreistickets („TARIF LOISIR“), die dafür
aber auch rückerstattet werden können.

       Mo              Di             Mi             Do              Fr            Sa             So
                                                                                     1          2
                                                                                   38€        51€
                                                                                   20€        15€
        3               4              5               6              7              8          9
      57€             64€            64€             57€            61€            38€        38€
      15€             15€            15€             15€            15€            15€        15€
       10              11             12              13             14             15         16
      57€             57€            57€             57€            64€            64€        64€
      15€             15€            10€             15€            25€            45€        45€
       17              18             19              20             21             22         23
      38€             38€            38€             38€            64€            64€        38€
      15€             10€            15€             10€            20€            30€        25€
       24              25             26              27             28
      38€             38€            38€             38€            42€
      20€             10€            10€             10€            15€

Günstigste Fahrpreise Paris – Lyon mit TGV/Ouigo im Monat Februar31

Um        noch     preissensiblere         Kunden     zu    gewinnen,     bietet    die    SNCF        zwei
unterschiedliche TGV-Ableger an: den iDTGV und den Ouigo. Der iDTGV wurde 2004
von der SNCF eingerichtet und wurde genutzt, um neue Entwicklungen in einem
kleinen Umfeld auszuprobieren, wie z.B. ein wirtschaftlicheres Preissystem
(Ertragsmanagement). Die Fahrscheine können beim iDTGV grundsätzlich nur
online erworben werden (ein Kauf im Zug ist jedoch auch manchmal möglich) und
es werden Stornierungsgebühren erhoben. Der iDTGV fährt auf einigen
Verbindungen innerhalb Frankreichs etwa 2 Mal am Tag.
30
     vgl. Schabas 2012, S.90
31   Datenquelle: http://de.voyages-sncf.com/ (abgerufen am 23.01.2014)

                                                      16
2013 wurde mit dem Ouigo ein weiterer Hochgeschwindigkeitszug eingerichtet, der
zwar auch von der SNCF betrieben wird, aber sich allein schon im Markennamen
klarer vom TGV abgrenzt. Der Ouigo ist als Reaktion auf die Liberalisierung des
europäischen Bahnverkehrs zu verstehen, die die traditionellen Staatsbahnen
insbesondere    auch    im     Hochgeschwindigkeitspersonenverkehr        verstärkter
Konkurrenz durch private oder ausländische Bahngesellschaften aussetzen könnte.
Um sich auf diesen Wettbewerb vorzubereiten, wurde ein im Vergleich zum TGV
günstigeres System konzipiert, das auch mit möglichen neuen Billiganbietern
konkurrieren kann.

Das Geschäftsmodell wurde dabei an das der Billigflieger wie Ryanair oder easyJet
angelehnt, die im Luftverkehr schon seit mehr als 15 Jahren erfolgreich sind. Beim
Ouigo sind die Fahrkarten deutlich günstiger als beim TGV (siehe Tab. 2.2.2.4) und
können nur online gekauft werden, was zuvor schon beim iDTGV umgesetzt wurde.
Dadurch fallen die Kosten der herkömmlichen Vertriebswege (Schalter, Automaten,
…) weg. Durch Optimierung der Kapazität (20% mehr Sitzplätze im Vergleich zum
klassischen TGV), weniger Personal und längere Einsatzzeiten der Fahrzeuge pro
Tag können weitere Kosten eingespart werden. Für Sonderleistungen werden
Zuschläge fällig, z.B. für die Mitnahme von zusätzlichen Gepäckstücken.

Der Ouigo verkehrt von der Île-de-France, also dem Großraum Paris, bislang nur auf
einer Hochgeschwindigkeitsstrecke, und zwar der LGV Sud-Est Richtung Lyon und
Marseille sowie in weitere Städte im Südosten Frankreichs. Neu ist allerdings, dass
die Züge nicht mehr an den stark ausgelasteten Kopfbahnhöfen in Paris selbst,
sondern im weniger genutzten Bahnhof Marne-la-Vallée in einer Pariser Vorstadt
beginnen. Dadurch können die an den Netzbetreiber RFF zu zahlenden
Stationsgebühren reduziert werden.

2.2.3 Konkurrenz

Neben dem TGV gibt es auch in Frankreich Intercité- und Regionalzüge, die aber im
Vergleich zu Deutschland wegen der höheren Entfernungen zwischen den großen
Städten nicht als direkte Konkurrenz zum TGV angesehen werden können, wie auch
der hohe Anteil des TGV von über 60% an der Schienenpersonenverkehrsleistung
zeigt. Die Rolle der Intercité-Linien liegt eher in der Erschließung verschiedener
Regionen, die noch nicht an das TGV-Netz angebunden sind, insbesondere dem
Zentralmassiv um Clermont-Ferrand oder der Normandie um Rouen. Tangentiale
Verbindungen zwischen einzelnen Regionen werden oft aber auch nur mit
Regionalzügen (TER) bedient.

                                        17
Ähnlich wie in Deutschland sind Fernbusse auch in Frankreich eher eine neue
Erfindung. Seit dem 12. November 2010 ist die Mitnahme von Fahrgästen auf
innerfranzösischen Teilstrecken internationaler Busverbindungen gestattet, was
von Bussen des Eurolines-Verbundes genutzt werden konnte.32 Die SNCF bietet seit
2012 mit dem neu gegründeten iDBUS auch Fernbusse an, was als ein Zeichen
gewertet werden kann, dass der Fernbusmarkt im Aufwind ist und sich die SNCF –
mit einer ähnlichen Strategie wie beim Ouigo – durch einen frühzeitigen
Markteintritt einen Vorsprung vor potentiellen privaten Konkurrenten sichern will.
Die Preise für eine Fernbusfahrt von Paris nach Lyon mit iDBUS betragen in der
Regel etwa 35€.

Gerade auf den längeren Strecken wie Paris – Marseille spielt traditionell auch die
Konkurrenz zum Luftverkehr eine wichtige Rolle. Durch die Eröffnung der LGV
Méditerranée im Jahr 2001 benötigt die Bahn nur 3 Stunden Fahrzeit auf dieser
Strecke, was immer noch fast 2 Stunden länger ist als die reine Flugzeit, wobei die
Anfahrt zu einem weit außerhalb von Paris liegenden Flughafen aber nicht
berücksichtigt wird.33 Deshalb konnte der Marktanteil der Bahn auf über 60% im
Jahr 2006 angehoben werden, er lag damals sogar bei über 80% bei Punkt-zu-
Punkt-Verbindungen.34 Auch wenn der damals prognostizierte Markteintritt von
Billigfliegern noch nicht erfolgt ist, macht der eigentlich einem höheren
Preissegment zuzuordnende Flagcarrier Air France auf dieser Strecke zunehmend
mit günstigen Preisen (ab etwa 50€) auch bei kurzfristiger Buchung der Bahn
Konkurrenz.

2.2.4 Ökonomische und ökologische Bilanz

Die wirtschaftliche Bilanz des TGV ist sehr differenziert zu betrachten. Schon bei der
betriebswirtschaftlichen Bilanz (aus der Sichtweise von SNCF und RFF) gibt es
erhebliche Unterschiede zwischen den Schnellfahrstrecken. Die Strecke Paris-Lyon
wurde gerade deshalb als erste Strecke gebaut, da man die Wirtschaftlichkeit der
Strecke sehr hoch einschätzte: Die Strecke war einerseits kostengünstig zu bauen
und war andererseits mehr als Ergänzung denn als Ersatz der bestehenden Strecke
gedacht, auf der durch die Eröffnung der Neubaustrecke Kapazitäten frei wurden.
Auch die prognostizierte hohe Nachfrage trat ein, die Zahl der Fahrgäste stieg um

32
     vgl. SNCF 2012, S.13
33
     vgl. Steer Davis Gleave 2006, S. 9
34
     vgl. Steer Davis Gleave 2006, S. 11

                                           18
50%, vor allem auf Kosten des Luftverkehrs. Dadurch amortisierte sich die Strecke
bereits nach 10 Jahren.35 36

Die zuerst gebauten Hochgeschwindigkeitsstrecken wie die LGV Sud-Est, LGV
Atlantique sind mit teils über 20 Millionen Fahrgästen gut ausgelastet, nach anderen
Quellen auch die LGV Nord, bei der die überzogenen Erwartungen aus der Zeit vor
der Eröffnung jedoch nicht erfüllt wurden.37 Bei den zuletzt gebauten
Hochgeschwindigkeitsstrecken, der LGV Est und der tangentialen LGV Rhin-Rhône,
sehen die Prognosen aber schlechter aus: Hier wurden schon im Voraus nur
Fahrgastzahlen von knapp über 10 Millionen pro Jahr38 erwartet und daher dürfte
auch der Kostendeckungsgrad dieser Strecken geringer sein.

Der Preis für den Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecken für die SNCF war die
Aufnahme von Krediten, die später auf die neu gegründete Netzgesellschaft RFF
übertragen wurden. Die Kosten für den Bau einer Schnellfahrstrecke lassen sich mit
etwa 20 Mio. €/km beziffern. Die Netzgesellschaft hat heute Schulden von 29 Mrd. €,
dazu kommen noch 9 Mrd. € Schulden bei der SNCF. Da bislang nur 48% der Kosten
für das Netz durch die von der SNCF an RFF zu zahlenden Trassengebühren gedeckt
werden, wurden diese zunehmend erhöht, was wiederum die Wirtschaftlichkeit der
SNCF beeinträchtigt. Angesichts dessen ist unter der sozialistischen Regierung sogar
wieder die Fusion von SNCF und RFF vorgesehen.39

Man kann sich aber fragen, ob die wirtschaftliche Situation für die französische Bahn
ohne den TGV besser gewesen wäre. Vor allem auf den längeren Verbindungen wäre
der Marktanteil wohl deutlich geringer. Mit den Schnellfahrstrecken dagegen ist die
Bahn mindestens ebenbürtiger Konkurrent zum Flugzeug und wegen günstiger
Tarifangebote braucht die SNCF in Zukunft auch Billigkonkurrenz, z.B. durch
Fernbusse, nicht allzu groß zu befürchten. Ein gutes Bahnangebot zu einem geringen
Preis ist aber eben nur mit erheblichen Kosten für den Staat zu haben.

Es wäre jedoch falsch, den TGV nur aus betriebswirtschaftlicher Sicht zu betrachten,
da er viele externe Effekte für die französische Volkswirtschaft zur Folge hat, auch
wenn diese oft nur schwer zu beziffern sind. Dazu gehören neben den bereits
genannten Aspekten u.a. auch die wirtschaftlichen Verluste für die anderen
Verkehrsträger genauso wie zusätzliche Arbeitsplätze im Bahnsektor.40 Als Beispiel
ist die Verkürzung der Reisezeit von bislang peripheren Städte in das politische,

35
   vgl. Zeilinger 2003, S.128f
36 vgl. Schabas 2012, S.91
37
   vgl. RGCF 2011, S.66
38
   ebd.
39
   vgl. Mitusch/Liedtke 2013
40
   vgl. RGCF 2011, S.65

                                         19
wirtschaftliche und gesellschaftliche Zentrum des Landes, Paris, zu nennen, die die
Wettbewerbsfähigkeit dieser Städte erhöht hat, andererseits wurde die zentrale
Stellung von Paris zementiert. Durch den TGV sind Städte wie Tours oder Lille in
etwa einer Stunde zu erreichen, was das Pendeln, üblicherweise zwischen dem
Wohnsitz in einer solchen Stadt und dem Arbeitsplatz in Paris, ermöglicht. Mit der
LGV Rhin-Rhône wurde dagegen die erste Strecke eröffnet, die der seit den 1980er
Jahren bestehenden französischen Dezentralisierungspolitik folgt. Diese fand ihren
Anfang in der Einrichtung der Regionen, einer zwischen den Départements und dem
Zentralstaat angesiedelten Verwaltungsstruktur.

Zuletzt sind aber auch die Investitionen in den TGV auch ein wichtiges Standbein der
französischen Eisenbahnindustrie. Zwar lag die Entwicklung des TGV gerade in der
Anfangsphase stark in der Hand des Staates.41 Andererseits muss auch die
französische Firma Alstom genannt werden, die bislang alle TGV-Züge gefertigt hat.
Vom TGV abgeleitete Züge konnten sich besonders in den 1990er Jahren auch in
anderen Ländern gut verkaufen und sind heute auch beim Eurostar, beim Thalys,
beim spanischen Hochgeschwindigkeitszug AVE als Baureihe 100 und beim Korean
Train Express in Südkorea unterwegs.42

Ökologisch gesehen ist der TGV insofern als Erfolg zu werten, als der Marktanteil der
umweltfreundlicheren Bahn gegenüber dem Flugzeug und dem Auto gestiegen ist.
Beispielhaft soll hier noch der Effekt des TGV auf die CO2-Emissionen kurz erläutert
werden: Der Großteil des französischen Stroms wird in Kernkraftwerken erzeugt,
wodurch radioaktive Abfälle entstehen, andererseits fallen so für den laufenden
Betrieb des TGVs vergleichsweise geringe CO2-Emissionen an. Am Beispiel der LGV
Rhin-Rhône wurde in einer von der SNCF in Auftrag gegebenen „Bilan Carbone“
berechnet, dass beim Bau der Strecke fast doppelt so viele Emissionen anfallen wie
nach 30 Jahren Betrieb der Strecke. Die durch weniger Fahrgastkilometer im
Straßen- und Luftverkehr eingesparten Emissionen sollen jedoch dann fast doppelt
so hoch sein wie die bei Bau und Betrieb zusammen neu verursachten Emissionen,
so dass die CO2-Bilanz letztendlich positiv ist. Allerdings sind diese Angaben stark
von der technischen Entwicklung der einzelnen Verkehrsträger abhängig und wie
jede von dem betroffenen Unternehmen selbst in Auftrag gegebene ökologische
Bilanz kritisch zu hinterfragen.

41
     vgl. Zeilinger 2003, S.129
42
     ebd.

                                         20
3           Deutschland

3.1         Infrastrukturelle und technische Aspekte
            Alexander Urich

3.1.1 Netzstruktur

Historisch         bedingt       gibt     es    in    Deutschland   mehrere      Bahnknoten   des
Personenverkehrs. In der Regel sind die größten Städte gleichzeitig die wichtigsten
Bahnknoten. Um eine leistungsfähige und schnelle Verbindung zwischen diesen
Punkten          zu    gewährleisten,          sind   Hochgeschwindigkeitsstrecken     notwendig.
Idealerweise               ist         eine       Hochgeschwindigkeitsstrecke         nur      für
Hochgeschwindigkeitszüge vorgesehen, was heutzutage in Deutschland nicht der
Fall ist. Zum großen Teil fahren ICE-Züge auf gleichen Gleisen mit Nahverkehr- und
Güterzügen                 und            erreichen         deswegen          nur        geringere
Durchschnittsgeschwindigkeiten. Allerdings gibt es auch Neubaustrecken mit
zulässiger Geschwindigkeit von 300 km/h. Die Begriffe „Neubaustrecke“ und
„Ausbaustrecke“ sind wie folgt definiert:

"Ausbaustrecken sind Eisenbahnstrecken, die durch größere Aus- und
Umbaumaßnahmen auf einen zeitgemäßen Stand gebracht werden bzw. worden
sind oder entsprechend eines konkreten Bedürfnisses ausgebaut werden bzw.
worden sind, zum Beispiel von einer Nebenbahn zu einer Hauptbahn zwecks
Geschwindigkeitserhöhung. Im engeren Sinn versteht man darunter Strecken, deren
Höchstgeschwindigkeit auf 200 km/h angehoben und deren Leistungsfähigkeit
gesteigert wird bzw. wurde."43

"Neubaustrecken im weiteren Sinn sind alle neu gebauten Eisenbahnstrecken, auch
Nahverkehrsbahnen oder Flughafenbahnen. Im engeren Sinn sind es Strecken, die
für den Hochgeschwindigkeitsverkehr gebaut wurden und durch diesen exklusiv
oder         gemeinsam           mit     anderen      Verkehrsarten    genutzt      werden.   Ihre
Streckenhöchstgeschwindigkeit beträgt mehr als 200 km/h."44

Die ersten Neubaustrecken in der Bundesrepublik waren: Hannover-Würzburg
und Stuttgart-Mannheim. Der Abschnitt Fulda-Würzburg wurde im Mai 1988 in
Betrieb genommen. Da es zur damaligen Zeit noch keinen serienmäßigen deutschen
Hochgeschwindigkeitszug gab, wurde dieser Abschnitt zunächst mit IC- und
Güterzügen in Betrieb genommen. Nach drei Jahren waren beide Strecken in voller

43   Hecht et al. 2008, S.343
44
     Hecht et al. 2008, S.344

                                                       21
Länge fertig. Seit September 1998 ist die Schnellfahrstrecke Berlin-Hannover in
Betrieb.45 Zwischen Wolfsburg und Berlin wurde die Strecke aber auf eigenen
Gleisen parallel zu bestehenden Strecken trassiert und zwischen Wolfsburg und
Hannover handelt es sich um eine Ausbaustrecke.
Die 2002 eröffnete Neubaustrecke Köln – Rhein/Main ist für ICE-3-Züge
konzipiert, was die Trassierung sowie die Umsetzung von einigen technischen
Lösungen für Hochgeschwindigkeitsstrecken erleichtert hat. So zum Beispiel hat die
Strecke Steigungen bis zu 40 Promille, die nur für den ICE 3 beherrschbar sind,
sowie eine feste Fahrbahn, was eine Geschwindigkeit bis 300 km/h erlaubt. Wie in
Frankreich üblich, befinden sich einige Zwischenhalte an dieser Strecke außerhalb
der Stadtzentren, so halten die Züge statt in Bonn Hbf und Limburg an den
Bahnhöfen Siegburg/Bonn bzw. Limburg Süd Richtung Mannheim weiterführende
Züge halten außerdem nur am Frankfurter Flughafen statt am Hauptbahnhof.

In Köln beginnt außerdem die bis 2003 zur Schnellfahrstrecke ausgebaute
Bahnstrecke Köln-Aachen an, auf der die Züge Richtung Brüssel verkehren.

Die 2006 eröffnete Neubaustrecke Nürnberg-Ingolstadt             ist ein Teil der
Verbindung Nürnberg-München. Eine Geschwindigkeit bis zu 300 km/h ist auch hier
möglich, obwohl der Ausbauabschnitt zwischen Ingolstadt und München nur für 200
km/h vorgesehen ist.

Eine der wichtigsten Verbindungen in Deutschland ist Hamburg-Berlin. In der 90er
Jahren wurde eine Transrapidstrecke zwischen beiden Großstädten geplant, aber
das Projekt wurde im Jahr 200046 abgebrochen. Stattdessen wurde die alte Strecke
bis zum Jahr 2004 ausgebaut und zwar für eine Geschwindigkeit bis 230 km/h statt
200 km/h für andere Ausbaustrecken. Da die Trasse an einigen Stellen starke
Kurven besitzt, werden hier nur ICE T-Züge mit Neigetechnik eingesetzt, die eine
schnelle und komfortable Fahrt, auch in Kurven, ermöglichen.47

Da nicht alle Neubau- und Ausbaustrecken in Deutschland miteinander verbunden
sind, gibt es kein separates Hochgeschwindigkeitsnetz, stattdessen ist der deutsche
Hochgeschwindigkeitsverkehr ein Teil des gesamten Eisenbahnnetzes.

45   vgl. Hecht et al. 2008, S.45
46
     vgl. Hecht et al. 2008, S.44
47
     vgl. Heinisch et al. 2005, S.7

                                        22
3.1.2 Netzausrüstung

In Deutschland verkehren Hochgeschwindigkeitszüge hauptsächlich auf Neubau-
und Ausbaustrecken. Damit können mehrere technische Aspekte sowie
Sicherheitsvorschriften für Hochgeschwindigkeitsverkehr eingehalten werden.

Einzige artreine Strecke in Deutschland ist die Schnellfahrstrecke Köln-Rhein/Main.
Bei der Planung wurden hier nur Fahreigenschaften des ICE 3 berücksichtigt. Große
Längsneigungen und Gleisüberhöhungen ermöglichen kleinere Gleisbogenradien.
Die Besonderheiten dieser Trasse verlangen nur wenige Talbrücken und Tunnel.

Ein Netz kann nicht aus nur einer Strecke bestehen. So fahren ICE-Züge auf anderen
Strecken mit Regional- und Güterzügen zusammen. Um auch auf diesen
Eisenbahnverbindungen                 möglichst       hohe   Durchschnittsgeschwindigkeiten   zu
erreichen, werden folgende Anforderungen berücksichtigt:

Ausbaustrecken:

            Gleisabstand 4,00m;
            Linienzugbeeinflussung;
            Überholungsgleise;
            keine Bahnübergänge.

Neubaustrecken:

            Gleisabstand 4,50m;
            keine Bahnsteigkanten an durchgehenden Hauptgleisen;
            Weichen mit beweglichen Herzstückspitzen;
            Überholungsbahnhöfe (alle 20km) und Überleitstellen (alle 7km).48

Außerdem              ist      die    feste      Fahrbahn       eine   bessere    Lösung      für
Hochgeschwindigkeitsstrecken, weil sie den Schotterflug verhindert und auch
stabiler als Schotteroberbau ist.

Während der Fahrten mit höherer Geschwindigkeit kann die Information vom
ortsfesten Signalsystem nicht vom Fahrer wahrgenommen werden. So braucht ein
modernes Hochgeschwindigkeitsnetz ein System, das rechtzeitig Informationen an
das        Fahrzeug         übermitteln       kann.    Linienförmige   Zugbeeinflussung    macht

48
     vgl. Hecht et al. 2008, S.343f

                                                       23
kontinuierliche Informationsübertragung von Fahrweg zum Fahrzeug möglich.
Obwohl            die    Deutsche        Bahn     Linienförmige      Zugbeeinflussung        (LZB)     mit
Kabellinienleitern verwendet, wird künftig die Funkzugbeeinflussung diese Rolle in
Europa übernehmen.49

3.1.3 Neu- und Ausbauprojekte der DB

Der Ausbau von vorhandenen Strecken sowie Neubaustrecken sind notwendig, um
ein zukunftsgerechtes und leistungsstarkes Netz zu haben. Neue Projekte der
Deutschen Bahn sollten das bestehende Netz modernisieren und erweitern. Da
Deutschland ein Transitland ist, spielen viele Streckenabschnitte eine große Rolle
für das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz.

Die Neubaustrecke Rhein/Main – Rhein/Neckar soll künftig eine schnelle
Verbindung zwischen den Ballungsräumen Rhein/Neckar und Rhein/Main aufbauen
und         den     Lückenschluss         im     Transeuropäischen        Netz     (TEN)     bilden.   Die
Höchstgeschwindigkeit für Fernverkehrszüge soll 300 km/h betragen. Mit dem
Projekt sollen folgende Ziele erreicht werden:

            "bedarfsorientierte           und     zukunftsgerechte          Weiterentwicklung         des
             Bahnnetzes unter Berücksichtigung der Gesamtstruktur sowie ökologischer
             und ökonomischer Aspekte;
            kürzeste Fahrzeit zwischen den Schnellfahrstrecken Köln-Rhein/Main und
             Mannheim - Stuttgart;
            größtmögliche Fahr- und Reisezeitgewinne im Korridor;
            Bereitstellung zusätzlicher Kapazitäten im Schienenpersonennahverkehr
             (SPNV) und im Schienenpersonenfernverkehr (SPFV);
            Kapazitätserweiterung               mit     Potential     für       die       Zukunft     im
             Schienengüterverkehr (SGV)."50

Die         Strecke         soll       entlang    der        Autobahnen       A5       und     A67     als
Hochgeschwindigkeitsstrecke verlaufen. Ein eingleisiger Ast soll die Strecke mit
Darmstadt Hbf verbinden. Diese Lösung soll die Belastung der Anwohner sowie die
Eingriffe in die Natur minimieren. Die Inbetriebnahme der 85 km langen Strecke
war für 2017 geplant, das Projekt wurde aber in den letzten Jahren auf unbestimmte
Zeit verschoben.

49
     vgl. Hecht et al. 2008, S.531ff
50   Mencke 2007, S.1

                                                        24
Ein weiteres internationales Projekt ist die Ausbaustrecke Paris – Ostfrankreich –
Südwestdeutschland (POS). Deutscher Teil ist der Abschnitt Saarbrücken –
Ludwigshafen         mit     einer     Gesamtlänge     von       127,8   km    und      einer
Entwurfsgeschwindigkeit von 200 km/h. Hauptziel des Projekts ist die
Fahrzeitreduzierung (von 88 min auf 71 min).

Das Bahnprojekt Stuttgart – Ulm ist ein umfangreiches Projekt mit großer
Bedeutung auf regionaler sowie internationaler Ebene. Die alte Strecke Stuttgart –
Ulm wurde 1850 in Betrieb genommen. Die Trasse ist sehr kurvig und eng und somit
nicht für den Hochgeschwindigkeitsverkehr geeignet. Da die Eisenbahnverbindung
Stuttgart – Ulm Bestandteil des europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes ist, soll
hier eine moderne, leistungsfähige Strecke entstehen.

Das Projekt besteht aus drei großen Teilen:

          Stuttgart 21;
          Neu-Ulm 21;
          Neubaustrecke Wendlingen – Ulm.

Das Teilprojekt Stuttgart 21 umfasst den Bau von je einem neuen Fernbahnhöfen
am Stuttgarter Hauptbahnhof und am Flughafen (beide im Tunnel), einen
Abstellbahnhof       sowie     eine    57km    lange      Bahnstrecke    (davon    30    km
Schnellfahrstrecke). Voraussichtliche Inbetriebnahme ist 2021. In Wendlingen
schließt Stuttgart 21 an die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm an. Diese ist 60km
lang, davon 30km im Tunnel. Die Gesamtlänge ist fast 10km kürzer als die der alten
Strecke, die auf einigen Stellen eine zulässige Geschwindigkeit von nur 70km/h hat.
Nach der Fertigstellung werden TGV- und ICE-Züge mit 250km/h verkehren,
wodurch sich die Fahrzeit verkürzen wird. In Neu-Ulm wurden die Bauarbeiten
pünktlich im Jahr 2007 abgeschlossen. Dadurch ist ein neuer Bahnhof entstanden.
Das       Gesamtprojekt    Stuttgart    –   Ulm    wird    ein    Teil   der   europäischen
Hochgeschwindigkeitsachse "Magistrale für Europa", das von Paris über Strasbourg,
Karlsruhe, Stuttgart, Ulm, München, Wien nach Budapest bzw. Bratislava führen und
so West- und Osteuropa verbinden soll.

Das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr.8 (VDE 8) soll die Fahrzeit von Berlin
nach München von sechs auf vier Stunden verkürzen. Außerdem ist dieses Projekt
für das Transeuropäische Verkehrsnetz von großer Bedeutung, da die geplanten
Neu- und Ausbaustrecken mit rund 500 km Länge ein Teil der Verbindung zwischen
Italien und Skandinavien sind. Das VDE 8 besteht aus drei Teilen. Teil VDE 8.1 hat

                                              25
zwei Abschnitte: Nürnberg – Ebensfeld als Ausbaustrecke mit 83 km und Ebensfeld
– Erfurt als Neubaustrecke mit einer Gesamtlänge von 107 km und einer zulässigen
Geschwindigkeit von 300 km/h. Dazu gibt es neue Gleise für S-Bahn und
Güterverkehr. Teil VDE 8.2 ist eine 123 km lange Neubaustrecke Erfurt –
Leipzig/Halle. Hier werden Verkehrsströme aus Frankfurt am Main und München in
Richtung Leipzig/Halle und Berlin verbunden. Der Ausbauabschnitt Leipzig – Berlin
(VDE 8.3) ist seit 2006 im Betrieb.

Streckenverlauf VDE 8 Nürnberg – Erfurt – Leipzig/Halle - Berlin51

Große Verkehrsprojekte verlangen viel Zeit, deswegen ist es wichtig, so früh wie
möglich die Tendenzen im Eisenbahnverkehr zu erkennen und somit eine
rechtzeitige und passende Lösung anzubieten.

3.1.4 ICE-Fahrzeuge

Die Geschichte des deutschen Hochgeschwindigkeitsverkehrs begann mit der
Einführung des ICE 1 im Juni 1991. Drei Jahre zuvor war mit dem
InterCityExperimental (Versuchsfahrzeug) auf der Strecke Fulda – Würzburg eine
Geschwindigkeit von 406 km/h erreicht worden.52 Die Serienzüge der 1. Generation
verkehren jedoch mit geringerer Geschwindigkeit (280 km/h). Der ICE 1 besteht aus

51
     Quelle: http://www.vde8.de/likecms.php#&desc=VDE+8.3+AUSBAU%3A+%C3%9Cberblick&t&nav=44
52
     vgl. Hecht et al. 2008, S.44f

                                                26
zwei Triebköpfen und bis zu 14 Mittelwagen (später 12 Mittelwagen). Insgesamt
sind 59 Züge im Betrieb, die bis 2008 modernisiert wurden.

Der ICE 2 ist seit 1996 im Betrieb. Im Gegensatz zum ICE 1 gibt es die Möglichkeit,
zwei ICE-2-Züge miteinander zu verbinden und somit schnell und unkompliziert das
Angebot der Verkehrsnachfrage anzupassen oder Züge zu trennen („flügeln“), damit
auf unterschiedlichen Strecken weiterfahren können. Ein Halbzug besteht aus einem
Triebkopf, einem Steuerwagen (teilweise mit Sitzplätzen ausgestattet) und sechs
Mittelwagen. Im Einsatz befinden sich 44 Halbzüge.

Der ICE 3 (Baureihe 403) ist als Triebwagenzug gebaut. Bei dieser Bauweise werden
die Hilfstechnik und die Motoren über den Zug verteilt, so dass es keinen Triebkopf
im klassischen Sinne gibt. Dadurch entsteht mehr Raum für Passagiere. Mehrere
angetriebene Achsen sorgen für bessere Fahreigenschaften, so z.B. können nur ICE-
3-Züge Steigungen bis 40 Promille ohne Geschwindigkeitsverlust beherrschen.
Außerdem besitzt die 3. Generation eine verschleißfreie Wirbelstrombremse, die
eine perfekte Lösung für Züge mit Betriebsgeschwindigkeit von bis zu 330 km/h
sind. Damit die Züge auch im Ausland fahren können, wurden 13 mehrsystemfähige
Zugeinheiten der Baureihe 406 gebaut. Diese Variante kann alle vier europäischen
Stromsysteme nutzen. Seit 2000 wurden 63 Halbzüge gebaut und in Betrieb
genommen. Noch im Jahr 2008 wurden von der Deutschen Bahn 15 Züge der
nächsten Generation (Baureihe 407) bestellt.53 Dieser "neue" ICE 3 stellt eine
Weiterentwicklung der Velaro-Plattform von Siemens dar, zu der auch der ICE 3
sowie dessen russische, spanische und chinesische Varianten gehören.

Bis zu 8° kann sich der ICE T in die Kurve legen und so ist er auf kurvenreichen
Strecken fast 20% schneller als herkömmliche Züge. Triebzüge dieser Baureihe sind
seit 1999 im Betrieb. Das Konstruktionskonzept ist dem ICE 3 ähnlich, er ist aber mit
Neigetechnik von Alstom-Fiat ausgerüstet, wie sie auch im italienischen Pendolino
eingesetzt wird. Die zugelassene Höchstgeschwindigkeit des ICE T beträgt 230
km/h.        Für    nicht      elektrifizierte   Strecken   wurden   einige   Exemplare   mit
dieselelektrischem Antrieb gebaut (ICE TD). Alle ICE T-Züge sind genauso wie der
ICE 2 und der ICE 3 kuppelbar. Der Einsatz von Zügen dieser Generation erfolgt auf
kurvenreichen Strecken, vor allem zwischen Hamburg und München via Berlin.

Als Ersatz für zunächst IC- und EC-Züge und später für den ICE 1 und den ICE 2
wurde der ICx entwickelt. Die ersten Züge sollen ab 2017 zum Einsatz kommen.

53
     vgl. Siemens 2012, S.14

                                                   27
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