BRSO HARDING HARDENBERGER ADÈS BIRTWISTLE SCHUBERT - SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS

 
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BRSO HARDING HARDENBERGER ADÈS BIRTWISTLE SCHUBERT - SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS
SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS   Freitag 26.2.2021
                                               Herkulessaal
                                               20.30 – ca. 21.45 Uhr

    BRSO
   HARDING
HARDENBERGER
   ADÈS
 BIRTWISTLE
    SCHUBERT
                                                                       1
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BRSO HARDING HARDENBERGER ADÈS BIRTWISTLE SCHUBERT - SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS
MITWIRKENDE                                                          PROGRAMM

DANIEL HARDING                                                       THOMAS ADÈS
Leitung                                                              »Three Studies from Couperin«
                                                                     für Kammerorchester
HÅKAN HARDENBERGER                                                     • Les Amusemens
Trompete                                                               • Les Tours de Passe-passe
                                                                       • L’Âme-en-Peine
SYMPHONIEORCHESTER DES
BAYERISCHEN RUNDFUNKS                                                HARRISON BIRTWISTLE
                                                                     »Endless Parade« für Solo-Trompete, Streicher und Vibraphon
                                                                     Vibraphon: Guido Marggrander

                                                                     FRANZ SCHUBERT
                                                                     Symphonie Nr. 7 h-Moll, D 759 »Unvollendete«
                                                                       • Allegro moderato
                                                                       • Andante con moto

LIVE-ÜBERTRAGUNG IN SURROUND
im Radioprogramm BR-KLASSIK
Freitag, 26. Februar 2021
20.05 Uhr Julia Schölzel im Gespräch mit Daniel Harding
20.30 Uhr Konzertübertragung

ON DEMAND
Das Konzert ist in Kürze auf www.br-klassik.de als Audio abrufbar.

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                                                    Mitwirkende                                               Programm
BRSO HARDING HARDENBERGER ADÈS BIRTWISTLE SCHUBERT - SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS
WIE FRÜHLINGSWIND AUS SÜDEN
Zu Thomas Adès’ Three Studies from Couperin

Rafael Rennicke          In diesen Wochen und Mo-       Entstehungszeit
                         naten der Pandemie mag         2006
                                                        Uraufführung
die Sehnsucht nach besseren Zeiten groß sein –          21. April 2006 in Basel
und auch nach Musik, die uns trägt oder tröstet,        durch das Kammerorchester
aufmuntert oder beschwingt. Die Cembalostücke           Basel
                                                        Geburtsdatum des
von François Couperin – Hauskomponist und               Komponisten
»Maître de Musique« am Hofe des »Sonnenkönigs«          1. März 1971 in London
Louis XIV. – sind bis auf den heutigen Tag ein
solches Vademecum unauf hörlicher Wonnen ge-
blieben. Man lausche etwa nur dem Stück Les
Amusemens (Die Vergnügungen) aus dem zweiten
Buch der Pièces de Clavecin von 1717, um einzu-
tauchen in einen sich ständig neu erfindenden Quell
des Wohllauts und der Poesie: Musik als verschnör-
keltes Perpetuum mobile, lustvoll changierend zwi-
schen heiterem Dur und lieblichem Moll, als könnte
sie das Glück über ihr Dasein selbst kaum fassen.
Eine »L’art pour l’art«, so reizend und nobel, so
                                                                                                      Thomas Adès
fein ziseliert und gleichzeitig sensitiv, wie sie auf
französischem Boden erst wieder in der Klavier-
musik Frédéric Chopins Gestalt gewinnen sollte:                                         Umfeld einer Ballett-Aufführung am Münchner Nationaltheater entstanden
eine Welt der Schönheit, die sich über die Abgründe                                     und ihrerseits eine Erinnerung an bessere Zeiten waren, als Strauss 1923
des Alltags genauso zart wie machtvoll erhebt.                                          eine mit allem klanglichen Raffinement gespickte orchestrale Tanzsuite aus
Kein Wunder, dass sich spätere Komponistenge-                                           Klavierstücken von François Couperin komponiert hatte. Claude Debussy
nerationen immer wieder zu dieser Kunst der Sub-                                        hatte Couperin zu diesem Zeitpunkt bereits längst zum »größten Poeten« un-
limierung bekannten. Johannes Brahms brachte                                            ter den Clavecinisten des 18. Jahrhunderts ausgerufen, dessen »sanfte Me-
Ende der 1880er Jahre die vier Bücher der Pièces                                        lancholie wie ein wunderbares Echo aus der geheimnisvollen Tiefe der Land-
de Clavecin neu heraus. Maurice Ravel kompo-                                            schaften herauftönt«. Couperins Cembalostücke seien »wunderbare Modelle«
nierte während des Ersten Weltkriegs Le Tombeau                                         und »von einer Anmut und Natürlichkeit, die wir nicht mehr kennen«.
de Couperin, eine Klaviersuite aus dem Geiste des
großen Vorgängers, die er 1919 in eine kaleido-                                         Auch der britische Komponist Thomas Adès hat sein Faible für die Musik
skophaft-blitzende Orchesterfassung überführte.                                         Couperins früh bezeugt. 1994, als 23-Jähriger, überführte er dessen Cemba-
Und noch der alte Richard Strauss sollte sich auf                                       lostück Les Barricades mystérieuses in eine faszinierende, farbenreiche Ge-
Couperin besinnen, als er inmitten des Zweiten                                          stalt für Klarinette, Bassklarinette, Bratsche, Cello und Kontrabass. Und in
Weltkriegs sein Divertimento op. 86 schrieb: Cou-                                       einem Interview bekannte er unumwunden: »Mein idealer Tag wäre: Zuhause
perin-Bearbeitungen für Kammerorchester, die im                                         bleiben und die Cembalowerke von Couperin spielen – neue Inspiration auf
                                                        4                                                                                   5
                                                        Thomas Adès                                                                         Thomas Adès
                                                        »Three Studies from Couperin«                                                       »Three Studies from Couperin«
BRSO HARDING HARDENBERGER ADÈS BIRTWISTLE SCHUBERT - SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS
jeder Seite!« 2006, als der Auftrag des Kammerorchesters Basel kam, griff
Adès den Faden seiner Couperin-Begeisterung wieder auf. Drei Stücke aus
den Pièces de Clavecin sollten nun ganz programmatisch Anlass für kom-
positorische »Studien« sein: Die Three Studies from Couperin nehmen das
Original zutiefst ernst – die Stücke bleiben in Form, Rhythmus und Har-
monik unangetastet, sogar die von Couperin vorgeschriebenen Verzierungen
werden bis ins kleinste Detail ausnotiert. Und dennoch: Wie ein wahrhaft
Forschender und wahrhaft Liebender nimmt Adès die Vorlagen Couperins
nicht einfach nur hin, sondern tritt in einen Dialog mit ihnen, befragt und
befühlt sie. Und aus seiner Beziehung zu ihnen, aus den hinzutretenden Stim-
men, Stimmungen, Licht- und Schattenspielen, entsteht etwas Neues.
Das verdankt sich allein schon der Überführung der Cembalo-Originale ins
Orchestrale – genauer: jener auserlesenen Fassung, die Adès für sie vorge-
sehen hat. Durchgängig ist ein doppeltes Streichorchester vorgeschrieben,                                                                            François
das mal zusammen, mal im Wechsel spielt und sich die Melodie- oder Be-                                                                               Couperin
                                                                                                                                                     Kupferstich von
gleitstimmen oft auf engstem Raum hellhörig zu- und zurückspielt und auf                                                                             Jean Jacques
diese Weise dem Streicherklang eine flexible, luftige Anmutung verleiht.                                                                             Flipart nach
Überhaupt überwiegt der Eindruck des Sanft-Beschwingten und Schwere-                                                                                 André Bouys
                                                                                                                                                     (1735)
los-Schwebenden, zu dem zwei Flöten, eine Klarinette, ein Fagott, zwei Hör-
ner und eine Trompete ihr Übriges tun. Der vollgriffig-voluminöse, unver-
gleichlich herrliche Cembaloklang Couperins erscheint wie von Zauberhand            spielertricks) bespielen die teils in engster Lage geführten Hände bewusst
in eine neue, fast unwirkliche, flüchtig-schöne Gestalt verwandelt.                 nicht die beiden Cembalo-Manuale, sondern nur eines – was dazu führt, dass
                                                                                    die linke immer wieder über die rechte Hand greifen muss und die Hervor-
Und so weht einem Couperins Les Amusemens in der Study des Briten wie               bringung der Töne dabei so undurchsichtig bleibt, als säße da kein Claveci-
Frühlingswind aus Süden entgegen. Überall Pianissimo-Töne und in mildes             nist an den Tasten, sondern ein trickreicher Taschenspieler. Für Adès eine
Licht getauchte Farben. Die Streicher spielen mit Dämpfer und nah am                willkommene Vorlage, um als komponierender Interpret nun selbst zum Illu-
Griff brett, die Bläser steuern zarte Linien bei, die von einer Stimme zur          sionskünstler zu werden und ein kleines, spitzzüngelndes Feuerwerk an
andern wechseln, während sich auf leisen Sohlen eine Marimba ins Klangge-           Klängen zu entfachen, bei dem die Melodiepartikel wie Funken durchs Or-
schehen einschleicht. Die unnennbaren »Vergnügungen« – schon bei Cou-               chester stieben.
perin ein Kleinod an Anmut und Grazie, Zartheit und Zauber – feiern in
Adès’ 300 Jahre späterem Orchestertraum eine artistisch instrumentierte             Wird Adès’ Komponieren hier regelrecht zu einem Experimentierfeld – und
Wiederauferstehung. »Musik zu schreiben und zu spielen«, so der Kom-                erinnert dabei mitunter mehr an Igor Strawinskys Neoklassizismus der Pul-
ponist, »ist völlig surreal. Man ist eine Art Bildhauer der Luft, die einem         cinella-Suite denn an Couperins Original –, so kehrt der Komponist in seiner
die völlige Freiheit gibt, das zu tun, was man will.«                               dritten Study wieder zurück zu jenem introvertierten Blick, den bereits sein
                                                                                    Dialog mit Les Amusemens ausgezeichnet hatte. Couperins L’Âme-en-Peine
Das unverzichtbare Gegenstück zur traumverhangenen ersten Study liefert             (Die betrübte Seele) ist ein hochexpressives, tieftrauriges Lamento, das von
Adès im zweiten Stück gleich mit. Denn wie beim erwähnten Chopin sollte             Adès unter Verzicht auf jegliche Avantgarde-Manieren mit beeindruckender
man sich auch bei Couperin angesichts aller Sinnlichkeit und Sensitivität           Dezenz in einen orchestralen Klagegesang überführt wird. »Sul ponticello«
seiner Musik nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie hier und da gespickt            (nah am Steg) der Streicher erzeugte Klänge lassen den der Musik eingeschrie-
ist mit plötzlichen, filouartigen Wendungen und »en passant« eingestreuten          benen Schmerz mehr erahnen als zum Vorschein kommen – eine Kunst der Be-
technischen Effekten. In Couperins Les Tours de Passe-passe (Die Taschen-           rührung, wie sie zu Couperins »L’art de toucher« kongenialer nicht sein könnte.
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                                                    Thomas Adès                                                                           Thomas Adès
                                                    »Three Studies from Couperin«                                                         »Three Studies from Couperin«
BRSO HARDING HARDENBERGER ADÈS BIRTWISTLE SCHUBERT - SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS
PROZESSION UND ROLLENSPIEL
Zu Harrison Birtwistles Endless Parade für Solo-Trompete,
Streicher und Vibraphon

Susanne Schmerda          In seinem 1987 vollende-     Entstehungszeit
                          ten Stück Endless Parade     1987
                                                       Uraufführung
lässt Harrison Birtwistle die Solo-Trompete über       1. Mai 1987 in Zürich durch
viele Oktaven hinweg virtuos tanzen. Das Vibra-        Håkan Hardenberger und
phon folgt ihr dabei wie ein Schatten und bettet       das Collegium Musicum
                                                       Zürich unter der Leitung
ihr schneidend-scharfes und zugleich lyrisches Spiel   von Paul Sacher
in leuchtende Harmonien, während die Streicher         Geburtsdatum des
in vielfältigster innerer Auffächerung, etwa in bis    Komponisten
                                                       15. Juli 1934 in Accrington /
zu 14 einzelne Violinstimmen, einen schillernden       Lancashire
Klangteppich als Grundierung beisteuern. Solche
instrumentalen Rollenspiele, in denen jedes In-
strument und jede Instrumentengruppe einen spe-
zifischen Part übernimmt, sind ein typisches Kenn-
zeichen von Birtwistles Musiksprache. In vielen
seiner Werke – die von Solostücken, Gedichtverto-
nungen Paul Celans oder elisabethanischer Dichter
bis zu großen Orchesterwerken und Opern wie
                                                                                                   Harrison Birtwistle (2012)
Punch and Judy und The Mask of Orpheus rei-
chen – begegnen wir ihnen, exemplarisch verdich-
tet etwa in Secret Theatre aus dem Jahr 1984 mit                                       oszillieren diese Klanggebilde: »Wäre ich ein Bildhauer, dann würde man
der Konfrontation von Solo-Stimme und Chorus                                           in meinen Skulpturen die Spuren des Meißels erkennen«, hat Birtwistle ein-
oder in Ritual Fragment von 1990 mit individuel-                                       mal gesagt. Der 1934 im County Lancashire im Nordwesten Englands ge-
len Gesten einzelner Instrumente über einer Klang-                                     borene Farmersohn ist fasziniert von der Präsenz des Tones, von der Kör-
fläche.                                                                                perlichkeit der Klänge und den rituellen Beziehungen zwischen Klang und
                                                                                       Bewegung. Prozesshafte Abläufe, die in der Strenge ihres Vollzugs an ab-
Noch mehr Charakteristika seiner Musiksprache                                          strakte Rituale denken lassen, ein ausgeprägter Sinn für Dramatik und präg-
finden sich in Endless Parade, das der Schweizer                                       nante, an musikalischen Techniken des Mittelalters geschulte Gegenüber-
Dirigent und Musikmäzen Paul Sacher für sein                                           stellungen von Vers und Refrain sind weitere Bestandteile, die seine Musik
Collegium Musicum Zürich und den Trompeter                                             unverwechselbar machen.
Håkan Hardenberger in Auftrag gegeben hatte und
am 1. Mai 1987 in Zürich uraufführte. Neben dem                                        Birtwistles Werke besitzen eine starke visuelle Vorstellungskraft und ar-
instrumentalen Rollenspiel, in dem die Instru-                                         chaische Energie, sind altertümlich und modern zugleich, gewaltsam und
mente wie Protagonisten eine Klangbühne betre-                                         fragil, tragisch und auch fröhlich. Magie und Mythos, eine Vorliebe für die
ten, zählt dazu etwa die bohrende Beharrlichkeit                                       griechische Tragödie und für strenge lineare Entwicklungen sind bestim-
der Klänge. Wie rohe ungeschliffene Diamanten                                          mend. Und schließlich die Faszination für die Zeit: In seinem frühen Or-
                                                       8                                                                                  9
                                                       Harrison Birtwistle                                                                Harrison Birtwistle
                                                       »Endless Parade«                                                                   »Endless Parade«
BRSO HARDING HARDENBERGER ADÈS BIRTWISTLE SCHUBERT - SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS
das kreisförmig ist: Man nähert sich bestimmten Stellen aus verschiedenen
                                                                                   Ecken«, so hat es der Komponist im Sommer 2004 beim Lucerne Festival
                                                                                   in einem Interview beschrieben.

                                                                                   Genau diese multi-perspektivische Annäherung war die Initialzündung für
                                                                                   das rund 20-minütige Stück Endless Parade: Aus verschiedenen Blickwin-
                                                                                   keln wird ein vorbeiziehender Klangstrom beleuchtet. Zugrunde liegt das
                                                                                   Bild einer Karnevalsparade in den labyrinthisch-verschachtelten, engen Gas-
                                                                                   sen des toskanischen Städtchens Lucca. Bei einem Besuch dort erlebte der
                                                                                   Komponist, wie sich je nach Standort sein Höreindruck von diesem schein-
                                                                                   bar endlosen Karnevalszug immer wieder veränderte: »Als Zuschauer, der
                                                                                   die Musikband vorbeiziehen sah. Oder ich konnte durch die Seitengassen
                                                                                   wandern, die Parade eine Straße entfernt hören, sie an einer Ecke erleben
                                                                                   oder die Musik von vorne hören, die ich gerade noch von hinten wahrgenom-
                                                                                   men hatte. Der Blickpunkt war jedes Mal ein anderer, und doch war alles
                                                                                   als Teil eines Ganzen erkennbar.«
Der Triumph der Zeit, Stich von Philipp Galle nach Pieter Bruegel d. Ä. (1574)

                                                                                   Es gibt in Endless Parade ein kleines absteigendes Vierton-Motiv ›h-ais-g-
chesterstück The Triumph of Time von 1972 nach einem Stich von Pieter              fis‹, fordernd-auftrumpfend gleich im Eröffnungstakt exponiert, das un-
Bruegel, sieht man gleichsam den Wagen der Zeit, die alles verschlingt und         verändert insgesamt achtmal im Stück wiederkehrt und als akustisches Si-
letztlich triumphiert, prozessionsartig vorbeifahren.                              gnet allein von der Trompete gespielt wird. Auch andere Motive reihen sich
Oft entwirft Birtwistle, der 1988 in den Adelsstand erhoben wurde und 1995         ein in den vielschichtigen pulsierenden Klangstrom, werden jedoch abge-
den Ernst von Siemens Musikpreis erhielt, in seiner Musik Bilder vom Krei-         wandelt, vergrößert oder wieder aufgegeben. Es ist eine Prozession von Er-
sen der Zeit, die eine sogartige Wirkung entfalten. In Theseus Game für            eignissen und Begegnungen der Instrumente, die – wie schon in The Tri-
großes Ensemble und zwei Dirigenten arbeitet er 2003 mit labyrinthischen           umph of Time – keinesfalls zufällig sind. Neben dem Trompetenmotiv ist der
Zeitströmen, aus denen als »Ariadne-Faden« eine endlose Melodie heraus-            Ton ›d‹ ein weiteres strukturgebendes Element von bezwingender Kraft: Er
führt. In komplexer Dichte werden hier bis zu drei verschiedene Tempi gleich-      erklingt zu Beginn in den Streichern, am Ende in der grellen Schlussgeste
zeitig verwendet, realisiert von zwei Instrumentalgruppen, ihren dazuge-           von Trompete und Vibraphon, dazwischen tritt dieses ›d‹ mindestens 15 mal
hörigen Dirigenten sowie einer Reihe Solisten. Dass diese Solisten die             in Erscheinung, als Klanggrund, als Tutti-Pizzicato-Fläche oder als Start
»Ariadne«-Melodie weiterspinnen und für die Dauer ihres Spiels aus dem             und Ziel von Klangkaskaden.
übrigen Ensemble hervortreten, ist ein auskomponiertes, auch optisch sinn-
fälliges Ritual.                                                                   Birtwistle, der ausgebildete Klarinettist, lässt in Endless Parade die Trompete
                                                                                   mit fantastischem Glanz singen statt Fanfaren spielen, befreit das Instru-
In immer neuen Varianten thematisieren Birtwistles Werke die Vorstellung           ment von festgelegten Assoziationen. Fast das gesamte Stück ist die Trompete
der vergehenden Zeit und erhalten so eine existenzielle Dringlichkeit. Auch        in anspruchsvoller Führungsrolle zu hören, schlüpft in verschiedene Charak-
in Gesprächen über seine Musik sind die Kategorie der Zeit, die Differenz          tere, ist forsch und selbstgewiss, dann grüblerisch, gedämpft, schwebend. Ihre
zwischen Höreindruck und Wahrnehmung, die Täuschungen in unserem                   bravourösen, oft blendend-metallischen Solo-Linien spiegelt das Vibraphon
Zeitempfinden allgegenwärtig: »Ich glaube, die Zeit in der Musik spielt uns        als ihr Alter Ego mit gleichberechtigter Virtuosität und verleiht ihrem Spiel
einige lustige Streiche, aber sie ist der Kern der Musik. Meine Stücke be-         eine weiche, schimmernde harmonische Aura. Beide Solo-Instrumente be-
wegen sich kreisförmig und nicht von einem Anfang auf ein Ende hin. Es             gegnen sich als ebenbürtige Partner in einem vielgestaltigen Wechsel aus
gibt nicht diese Art von Entwicklung, es ist eher wie in einem Labyrinth,          Licht und Schatten, Führung und Widerhall. Ganz ähnlich ist Sir Harrison
                                                             10                                                                          11
                                                             Harrison Birtwistle                                                         Harrison Birtwistle
                                                             »Endless Parade«                                                            »Endless Parade«
BRSO HARDING HARDENBERGER ADÈS BIRTWISTLE SCHUBERT - SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS
DIE UTOPIE DES SINGENS
                                                                                   Zu Franz Schuberts Symphonie Nr. 7 h-Moll, der Unvollendeten

                                                                                   Vera Baur                  »Hier ist, außer meisterli-   Entstehungszeit
                                                                                                              cher musikalischer Technik    1822, die autographe Par-
                                                                                                                                            titur trägt auf der Titelseite
                                                                                   der Composition, noch Leben in allen Fasern, Co-         den Vermerk »Wien, den
                                                                                   lorit bis in die feinste Abstufung, Bedeutung über-      30. Octob. 1822«.
                                                                                   all, schärfster Ausdruck des einzelnen, und über das     Das Datum bezeichnet
                                                                                                                                            vermutlich den Beginn der
                                                                                   Ganze endlich eine Romantik ausgegossen, wie man         Partiturreinschrift. Das
                                                                                   sie schon anderswo an Franz Schubert kennt.« Diese       Manuskript enthält noch
                                                                                   berühmten Worte veröffentlichte Robert Schumann          neun vollständig instrumen-
                                                                                                                                            tierte Takte eines 3. Satzes
                                                                                   1840 in der Neuen Zeitschrift für Musik über             (Allegro), die unvollständig
                                                                                   Schuberts letzte Symphonie, die Große C-Dur-Sym-         notierten Takte 10–20
                                                                                   phonie, ein Jahr nachdem er diesen Schatz »freu-         desselben Satzes wurden
                                                      Håkan Hardenberger und                                                                von dem Rest der Partitur
                                                                                   deschauernd« selbst aus dem Nachlass von Schu-           abgetrennt und erst 1968
                                                      Harrison Birtwistle (2018)
                                                                                   berts Bruder Ferdinand in Wien gehoben hatte.            im Archiv des Wiener Män-
                                                                                   Was hätte er wohl geschrieben, wenn er auch die          nergesangvereins wieder-
                                                                                                                                            gefunden.
übrigens in seinem 1976 komponierten Stück Melencolia vorgegangen: Auch            beiden Sätze der Unvollendeten gekannt hätte?            Uraufführung
hier ist der Solo-Klarinette als gleichberechtigtes Gegenüber ein weiteres         Sicher wäre Schumann über deren »Colorit« nicht          17. Dezember 1865 im
Solo-Instrument zur Seite gestellt, eine Harfe, und auch hier gibt es als dritte   weniger ins Schwärmen geraten. Schleichen dort           Großen Redoutensaal der
                                                                                                                                            Wiener Hofburg unter der
Partei und Mediator einen Streicherapparat.                                        nicht auch »himmlische Gäste« im Orchester herum         Leitung von Johann Herbeck
In Endless Parade vermitteln zwischen den beiden Protagonisten, Trompete           – wie das Horn im zweiten Satz der C-Dur-Sym-            Lebensdaten des
und Vibraphon, die insgesamt 24 Streicher, die mal als massive Tutti-Klang-        phonie? Klarinette und Oboe sind solche »himmli-         Komponisten
                                                                                                                                            31. Januar 1797 am Himmel-
wand, dann mit nervösen filigranen Rhythmus-Floskeln im Stile Strawin-             schen Gäste« in der h-Moll-Symphonie. Im Haupt-          pfortgrund in Wien (heute
skys in Erscheinung treten oder auch in knapper zeitlicher Verschiebung mit        thema des ersten Satzes verschmelzen sie zu einer        im Gemeindebezirk Alser-
thematischen Bezügen und Imitationen auf die Solisten reagieren. Horizon-          einzigen, sehnsüchtig singenden Stimme. Noch ver-        grund) – 19. November 1828
                                                                                                                                            in Wien
tale Linien durchziehen wie ein »Cantus das Kontinuum vertikaler Schich-           langender, noch wehmütiger leuchtet die Klarinette
tungen«, so der Komponist. Eine verwirrende Klangvielfalt wird geschickt           im Seitenthema des zweiten Satzes aus dem leisen
erzielt durch differenzierte Spielweisen. Die Violinen sorgen dabei mit ver-       Klangrund auf – die im ersten Satz so bedeutsame
schiedenen Besetzungsstärken und immer neuen Stimm-Unterteilungen für              Verschwisterung mit der Oboe wirkt bis hierhin
raffinierte Vorder- und Hintergrund-Effekte.                                       fort, nun teilen sie sich ihren entrückten Gesang
                                                                                   im zeitlichen Nacheinander. Auch Hörner und Fa-
Zwar zieht dieser Karnevalszug, der unvermittelt beginnt und abrupt endet,         gotte sind in beiden Sätzen zu einer magischen
ohne Unterbrechung vorüber, doch finden sich klar erkennbare Abschnitte:           Klangeinheit zusammengebunden und geleiten den
etwa in der Mitte des Stückes ein wehmütiges, einsames Innehalten der              Hörer in jeweils neues Terrain: Im Kopfsatz (Allegro
Trompete nach einer langen Strecke quecksilbriger Interaktion. Oder ein            moderato) öffnen sie wie von Zauberhand den Vor-
faszinierendes Gleichgewicht aus Verebben und Anschwellen mit gläsernen            hang zum Seitenthema, im zweiten Satz (Andante
Klängen von Trompete und Vibraphon, in die sich gegen Ende noch zarte              con moto, E-Dur) bereiten sie mit einem warm tö-
Violintöne mischen.                                                                nenden Naturklang dem ersten Thema den Boden.
                                                      12                                                                                    13
                                                      Harrison Birtwistle                                                                   Franz Schubert
                                                      »Endless Parade«                                                                      Symphonie Nr. 7 h-Moll
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Feil formulierte. Nicht weniger verstörend ist, wenn im zweiten Satz das volle
                                                                                Orchester die unendlich zarte Kantilene von Klarinette und Oboe mit jäh ein-
                                                                                setzendem Getöse beendet und in ein grobschlächtiges Stampfen verwandelt.

                                                                                Wie die Zeitgenossen das Werk aufgenommen hätten, wissen wir von der
                                                                                Unvollendeten ebenso wenig wie von der Großen C-Dur-Symphonie. Beide
                                                                                blieben zu Schuberts Lebzeiten unaufgeführt. Die h-Moll-Symphonie erklang
                                                                                erst 37 Jahre nach Schuberts Tod zum ersten Mal, der C-Dur-Symphonie
                                                                                immerhin war es deutlich früher vergönnt, ins Licht der Öffentlichkeit zu
                                                                                treten. Bei ihrer durch Schumann in die Wege geleiteten Uraufführung am
                                                                                21. März 1839 in Leipzig unter der Leitung von Felix Mendelssohn Bartholdy
                                                                                hat sie »denn unter uns gewirkt, wie nach den Beethoven’schen keine noch«,
                                                                                und die »völlige Unabhängigkeit, in der die Symphonie zu denen Beethoven’s
                                                                                steht« (Schumann) war es schließlich auch, die sie zu einem wichtigen Be-
                                                                                zugspunkt für das symphonische Schaffen späterer Komponisten werden
                                                                                ließ, allen voran für Schumann selbst. Einen eigenen Weg neben Beethoven
                                                                                hatte Schubert aber bereits in den beiden Sätzen seiner h-Moll-Symphonie
   Johann Baptist Jenger, Anselm Hüttenbrenner und Franz Schubert               auf beispiellose Weise gefunden. Die Suche nach kompositorischer Selbst-
   Aquarell von Josef Teltscher (1827)                                          vergewisserung und alternativen Lösungen in der Instrumentalmusik jen-
                                                                                seits von Beethoven dürfte jedenfalls der Grund gewesen sein, warum nach
Es ist unüberhörbar: Die »Materialität des Klangs« ist kein Beiwerk in dieser   der Vollendung der Sechsten Symphonie im Februar 1818 seine bis dahin so
Symphonie, sondern die »kompositorische Substanz« selbst (Hans-Joachim          mühelose Produktion ins Stocken geriet. Bis 1822 setzte Schubert vier Mal
Hinrichsen). Zu dem besonderen orchestralen Gepräge der Unvollendeten
zählt auch das extreme Gegeneinander von hell und dunkel, leicht und wuch-
tig, idyllisch und unheilvoll. Die Themen beider Sätze erklingen in freund-
lichem Piano, je eines in den Holzbläsern und eines in den Streichern. Es
sind zarte, lyrische Gebilde, basierend auf dem Modell von Melodie und
Begleitung. »Da jauchzt jede Brust«, schrieb Eduard Hanslick etwas verharm-
losend nach der Uraufführung 1865 in Wien. Aber so ungefährdet, wie es
Hanslick sehen wollte, ist der »süße Melodienstrom« nicht. Die Melodien blei-
ben in sich zwar weitgehend unversehrt, dafür konfrontiert sie Schubert umso
mehr mit der Bedrohung von außen. In diesen dramatischen Einbrüchen, die
den Hörer zum Teil völlig unvorbereitet treffen, zeigt sich das zweite Klang-
gewand der Unvollendeten. Mit unerbittlichem Forte peitscht das volle, blech-
bewehrte und durchgängig mit drei Posaunen besetzte Orchester auf die
liedhaften Landschaften ein oder reißt das Geschehen gänzlich an sich. So
vertraut ist uns heute dieses Werk, dass man die Gewalt und Brutalität die-
ser Stellen nur noch schwer ermessen kann. Für den c-Moll-Akkord, der im
ersten Satz dem plötzlichen Verstummen des behaglichen Ländler-Seiten-
themas folgt, müsste man »einen Zwölftonakkord […] einsetzen, um heute
der Wirkung nahezukommen, die Schubert beabsichtigt hat«, wie es Arnold         Wiener Hofburg, kolorierter Kupferstich (1812)

                                                       14                                                                            15
                                                       Franz Schubert                                                                Franz Schubert
                                                       Symphonie Nr. 7 h-Moll                                                        Symphonie Nr. 7 h-Moll
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zu einer Symphonie an, ohne das Be-      Natürlich ist jede Beschäftigung mit der Unvollendeten unweigerlich mit der
                                       gonnene zu Ende zu führen, zwei          Frage verbunden, warum Schubert sein so wegweisendes Fragment so sorg-
                                       Mal in D-Dur, einmal in E-Dur und        los beiseitelegen konnte. Doch hütet diese Frage ihr Geheimnis ebenso wie
                                       – als letztes Fragment vor der dann      das »Wunder dieses Werkes« selbst (Peter Gülke), das sich in keinem der
                                       gelingenden Großen C-Dur-Sympho-         vorherigen Ansätze angekündigt hatte. In diesem Punkt herrscht in der Schu-
                                       nie – in h-Moll, wofür es in der sym-    bert-Forschung Einigkeit: Die h-Moll-Symphonie ist in Konzeption, Charak-
                                       phonischen Literatur kein Vorbild gab.   ter und kompositorischer Ausführung »ohne jede Parallele« (Stefan Kunze).
                                       Die Skizzen der ersten drei dieser       Dies zeigt sich bereits in der auffallenden Nähe der beiden Sätze zueinander.
                                       Entwürfe behielt Schubert bis zu sei-    Der sanfte Bewegungsduktus des Dreiertakts, das gemäßigte Tempo und
                                       nem Lebensende bei sich, die zwei        der liedhafte Zuschnitt der Themen sind ihnen gemeinsam, und so bilden sie
                                       Sätze der Unvollendeten indes gelang-    nicht den Kontrast aus, den man üblicherweise erwarten würde. Vor allem
                                       ten unter bis heute nicht ganz ge-       aber die Frage, wie das Terrain des Singens überhaupt in die symphonische
                                       klärten Umständen in die Hände sei-      Struktur zu integrieren ist, führte Schubert auf seinen ganz eigenen Weg.
                                       nes Freundes Anselm Hüttenbrenner        Im Kopfsatz muss die Sonatenform letztlich unablässig darauf reagieren,
                                       in Graz. Möglicherweise wollte sich      dass sich die Themen in ihren versonnenen, in sich kreisenden Melodien
                                       Schubert mit ihnen für die Verleihung    für den dynamischen Prozess wenig eignen. So geraten Überleitungspas-
                                       der Ehrenmitgliedschaft im Grazer        sagen überraschend kurz, und die Durchführung ist gezwungen, auf eine
                                       Musikverein bedanken. So kündigte        dritte Gestalt zurückzugreifen: jene Rätselfigur in den Tiefen der Celli und
                                       er in einem Schreiben vom Septem-        Kontrabässe vom Beginn der Symphonie, die wir heute ganz selbstverständ-
                                       ber 1823 an, als Dank eine neue Sym-     lich im Ohr haben, die aber die Zeitgenossen, wäre diese Musik vor ihnen
                                       phonie überreichen zu wollen. Da er      erklungen, doch in Staunen versetzt hätte. Eine Symphonie begann gewöhn-
                                       zu diesem Zeitpunkt keine »neue«         lich mit einer langsamen Einleitung oder dem ersten Thema, diese bedroh-
                                       viersätzige Symphonie in der Schub-      lich raunende Figur ist weder das eine noch das andere. Sie ist der Urgrund
                                       lade hatte, wurde vermutet, dass er      der Unruhe, die ihre Schatten vorauswirft. Zu Beginn der Durchführung
sich mit diesem Versprechen selbst unter Druck setzen wollte, das h-Moll-       zwingt sie den Hörer zurück in ihr mystisches Dunkel, um wenig später mit
Fragment zu komplettieren. Wesentlich bedeutsamer als die Klärung dieses        dramatischer Vehemenz und Klanggewalt das Feld zu behaupten. Von den
Zusammenhanges jedenfalls ist, dass Schubert das Manuskript überhaupt           liedhaften Themen der Exposition werden nur die rhythmischen Begleit-
aus der Hand gab und die beiden Sätze auch später nie mehr erwähnte. Of-        formeln dem Durchführungsprozess einverleibt – eine Art Minimalintegra-
fenbar hatte er den Plan, sie zu einem viersätzigen Zyklus zu ergänzen, im      tion der sonst getrennt bleibenden formalen Zonen. Innerhalb der, den äuße-
Laufe des Jahres 1823 endgültig aufgegeben. Nur kurz darauf – 1824, spä-        ren Umrissen nach, klassisch ausgewogenen Form kommt es also auf einer
testens 1825 – war sein suchender Geist bereits mit der C-Dur-Symphonie         anderen Ebene zu tiefen Verschiebungen. Statt der zielstrebigen Entwicklung,
beschäftigt. Das Manuskript der Unvollendeten indes fiel in einen vierzig-      die alles unter einen zwingenden Bogen spannt, fokussiert Schubert die
jährigen Dornröschenschlaf in Graz. Warum Anselm Hüttenbrenner seinen           Brüche, die Abgründe, das Nicht-zu-Vermittelnde. Das Singen bleibt Utopie,
kostbaren Besitz so lange nicht herausgab, lässt sich nur schwer erklären.      und die Bedrohung durch ein abweisendes Außen ist nicht aufzulösen. So
Er schätzte das Werk hoch und fertigte 1853 sogar eine Fassung für Klavier      schließt der erste Satz, wie er begonnen hat: mit der dunklen Figur. Das
zu vier Händen an. Aber erst im Mai 1865 empfing er, auf Vermittlung seines     Andante indes endet versöhnlich. Zweimal führt Schubert die Musik mit
Bruders Josef, den einflussreichen Dirigenten Johann Herbeck aus Wien, der      einer einsamen Linie der Ersten Violinen an den Rand des Verstummens,
bereits mehrere Erstaufführungen Schubert’scher Werke geleitet hatte und        bevor sich die Elemente des Lyrischen zaghaft rekonstituieren. Die letzten
mit der »Entdeckung« und Uraufführung der Unvollendeten noch im                 Klänge der Symphonie gehören wie ihre gesanglichen Themen der Welt des
Dezember desselben Jahres im Großen Redoutensaal der Wiener Hof burg            friedlichen Pianos. Vielleicht ist das die schönste Botschaft der Unvollen-
Musikgeschichte schrieb.                                                        deten.
                                                    16                                                                              17
                                                    Franz Schubert                                                                  Franz Schubert
                                                    Symphonie Nr. 7 h-Moll                                                          Symphonie Nr. 7 h-Moll
BRSO HARDING HARDENBERGER ADÈS BIRTWISTLE SCHUBERT - SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS
HÅKAN HARDENBERGER
                     Håkan Hardenberger, geboren im schwedischen Malmö, erhielt seinen er-
                     sten Trompetenunterricht von Bo Nilsson, später studierte er an der Pariser
                     Musikhochschule bei Pierre Thibaud und in Los Angeles bei Thomas Stevens.
                     Er zählt zu den führenden Trompetern weltweit und ist – neben seinen heraus-
                     ragenden Aufführungen des klassischen Repertoires – einer der bekanntesten
                     Botschafter für Neue Musik. Er gibt Konzerte mit international führenden
                     Orchestern, darunter das Boston Symphony Orchestra, das Gewandhausor-
                     chester Leipzig, das Concertgebouworkest Amsterdam, die Wiener und Ber-
                     liner Philharmoniker und das London Symphony Orchestra. Dabei arbeitet
                     er regelmäßig mit Dirigenten wie Daniel Harding, Ingo Metzmacher, Andris
                     Nelsons, Sakari Oramo, Jukka-Pekka Saraste und John Storgårds zusammen.
                     Die für ihn geschriebenen Werke von Harrison Birtwistle, Brett Dean, HK
                     Gruber, Hans Werner Henze, Betsy Jolas, Arvo Pärt, To-ru Takemitsu, Mark-
                     Anthony Turnage und Rolf Wallin haben Eingang in das Standardrepertoire für
                     Trompete gefunden. Im Frühjahr 2020 arbeitete Håkan Hardenberger eng mit
                     dem Malmö Symphony Orchestra zusammen, um in Zeiten der Pandemie
                     weiterhin sein Publikum weltweit zu erreichen. Über Livestreams spielte er
                     Haydns Trompetenkonzert und dirigierte ein Play/Conduct-Programm. An-
                     fang Februar 2021 spielte Håkan Hardenberger mit dem Orchestre Philhar-
                     monique de Radio France die Weltpremiere des vollständigen Trompeten-
                     konzerts von Henri Tomasi – gemeinsam mit dem Dirigenten Fabien Gabel
                     hatte er die letzten fehlenden Takte des Werkes entdeckt. In der vergange-
                     nen Woche nahm er mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester unter Alan
                     Gilbert Olga Neuwirths …miramondo multiplo… auf, bereits im Juni wird
                     er zu dem Orchester zurückkehren. Inzwischen ist das Dirigieren ein wich-
                     tiger Teil in seinem künstlerischen Schaffen. 2020/2021 dirigiert Håkan Har-
                     denberger das Malmö Symphony Orchestra, das Turku Philharmonic, das
                     Lahti Symphony Orchestra und das Württembergische Kammerorchester
                     Heilbronn. Außerdem spielt er Duo-Rezitale mit dem Pianisten Roland Pön-
                     tinen und dem Perkussionisten Colin Currie, mit dem er 2018 Duos u. a.
                     von Brett Dean und André Jolivet auf CD veröffentlicht hat. Auf seinem
                     neuesten Album Stories spielt Håkan Hardenberger Konzerte von Sally
                     Beamish, Betsy Jolas und Olga Neuwirth und erhielt dafür begeisterte Kri-
                     tiken. Außerdem erschien eine Aufnahme von Peter Eötvös’ neuer Version
                     seines Trompetenkonzerts Jet Stream. Von 2016 bis 2018 war Håkan Harden-
                     berger Artistic Director des Malmö Chamber Music Festivals. Er ist Pro-
                     fessor am Malmö Conservatoire. Beim BRSO war Håkan Hardenberger
                     zuletzt 2016 unter Andris Nelsons mit Dramatis personae von Brett Dean
                     zu erleben.
18                                                                       19
Biographie                                                               Biographie
Håkan Hardenberger                                                       Håkan Hardenberger
VERMITTLER
                                                            ZWISCHEN
                                                      STRUKTUR & LYRIK
               Der komplette Zyklus aller acht Schubert-Symphonien in einer Aufnahme aus dem
               Jahr 2001 mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der
                                                                                                                  SYMPHONIEORCHESTER DES
               Leitung von Lorin Maazel.
                                                                                                                  BAYERISCHEN RUNDFUNKS
                                                               Schubert Symphonien 1-8
                                                                                                                  Mit der Saison 2023/2024 wird das Symphonieorchester des Bayerischen
                                                               Lorin Maazel                                       Rundfunks seinen neuen Chefdirigenten begrüßen können, der in der Zwi-
                                                               Lorin Maazel vermag es, die großen                 schenzeit auch mehrfach am Pult stehen wird: Sir Simon Rattle. Er ist als
                                                               Formen klassischer Symphonik in                    sechster Chefdirigent in der Reihe bedeutender Orchesterleiter nach Eugen
                                                               höchster Transparenz zu vermitteln,                Jochum, Rafael Kubelík, Sir Colin Davis, Lorin Maazel und Mariss Jansons eine
                                                               wobei das Symphonieorchester des                   Dirigentenpersönlichkeit von großer Offenheit für neue künstlerische Wege.
                                                               Bayerischen Rundfunks mit musikan-                 Das BRSO entwickelte sich schon bald nach seiner Gründung 1949 zu einem
                                                               tischem Schwung, Präzision und be-                 international renommierten Klangkörper. Neben dem klassisch-romantischen
                                                               rückender Klangqualität eine äußerst               Repertoire gehört im Rahmen der 1945 von Karl Amadeus Hartmann gegrün-
                                                               harmonische Partnerschaft mit dem                  deten musica viva die Pflege der zeitgenössischen Musik zu den zentralen
                                                               Dirigenten eingeht.
3 CDs 900712

                                                                                                                  Aufgaben des Orchesters. Viele namhafte Gastdirigenten wie Leonard Bern-
                                                                                                                  stein, Georg Solti, Carlo Maria Giulini und Wolfgang Sawallisch haben das
                                                                                                                  Orchester geprägt. Heute sind Herbert Blomstedt, Franz Welser-Möst, Daniel
                                                                                                                  Harding, Yannick Nézet-Séguin und Andris Nelsons wichtige Partner. Tourneen
                                                                                                                  führen das Orchester durch Europa, nach Asien sowie nach Nord- und Süd-
                                                Ebenfalls erhältlich:                                             amerika. Von 2004 bis 2019 hatte das BRSO eine Residenz beim Lucerne Easter
                         Schubert Symphonie Nr. 8                                                                 Festival. Zahlreiche Auszeichnungen dokumentieren den festen Platz des
                                   Große C-Dur-Symphonie                                                          BRSO unter den internationalen Spitzenorchestern. Anfang 2019 wurden
                                                                                                      CD 900169

                                                                                                                  die Gastkonzerte in Japan unter der Leitung von Zubin Mehta von japa-
                                               Mariss Jansons                                                     nischen Musikkritikern auf Platz 1 der »10 Top-Konzerte 2018« gewählt.
                                                                                                                  2020 setzte die Jury des Preises der deutschen Schallplattenkritik die CD
                                                                                                                  mit Schostakowitschs Zehnter unter Mariss Jansons auf die Bestenliste 1/2020.
               SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS
                                                                        18                                                                                            21
                                                                         Biographie                                                                                   Biographie
                                                                         BR-Chor                                                                                      BRSO
                         br-klassik.de/label       Erhältlich im Handel und im BRshop: br-shop.de
DANIEL HARDING
                 Daniel Harding, geboren in Oxford, begann seine Lauf bahn als Assistent
                 von Simon Rattle beim City of Birmingham Symphony Orchestra, mit dem
                 er 1994 sein professionelles Debüt gab. In der Spielzeit 1995/1996 assistierte
                 er Claudio Abbado bei den Berliner Philharmonikern, seinen ersten öffent-
                 lichen Auftritt mit diesem Orchester absolvierte er 1996. Daniel Harding war
                 Musikdirektor der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen (1997–2003),
                 Chefdirigent und Musikdirektor des Mahler Chamber Orchestra (2003–2011),
                 Erster Gastdirigent des London Symphony Orchestra (2007–2017), Musik-
                 direktor des Orchestre de Paris (2016–2019), Künstlerischer Direktor der Ohga
                 Hall im japanischen Karuizawa und Music Partner des New Japan Philhar-
                 monic. Das Mahler Chamber Orchestra ernannte ihn 2011 zum Conductor
                 Laureate auf Lebenszeit. Seit 2007 ist Daniel Harding Musikdirektor des
                 Schwedischen Radio-Symphonieorchesters. Das Anima Mundi Festival in
                 Pisa berief ihn 2018 zum Artistic Director, 2021/2022 und 2022/2023 wird
                 er dem Orchestre de la Suisse Romande als Conductor in Residence verbun-
                 den sein. Daniel Harding arbeitet mit internationalen Spitzenorchestern wie
                 den Berliner und Wiener Philharmonikern, der Dresdner Staatskapelle, dem
                 Concertgebouworkest Amsterdam sowie den führenden Klangkörpern in
                 den USA. Beim BRSO ist Daniel Harding seit 2005 gern gesehener Gast,
                 zuletzt dirigierte er im Juli 2020 Werke von Britten, Gabrieli, Takemitsu und
                 Strauss. Als Operndirigent erhält er Einladungen von den führenden Häusern
                 Europas: der Mailänder Scala, dem Royal Opera House Covent Garden in
                 London, den Staatsopern in München, Berlin und Wien sowie von den Salz-
                 burger Festspielen, außerdem ist er dem Festival in Aix-en-Provence eng ver-
                 bunden. Für seine Aufführungen von Cavalleria rusticana und Pagliacci an
                 der Mailänder Scala 2011 wurde er mit dem Abbiati-Preis geehrt. Viele seiner
                 CDs erhielten wichtige Schallplattenpreise, so Mozarts Don Giovanni, Brit-
                 tens Billy Budd und The Turn of the Screw. Mahlers Sechste Symphonie
                 mit dem BRSO wurde 2016 mit dem Diapason d’or de l’année prämiert.
                 Weitere CDs sind zusammen mit dem BRSO entstanden: Orffs Carmina
                 burana, Arien deutscher Opern der Romantik und Schumanns Faust-Szenen,
                 alle drei Aufnahmen mit dem Bariton Christian Gerhaher. Mit dem Schwe-
                 dischen Radio-Symphonieorchester veröffentlichte Daniel Harding zuletzt
                 Mahlers Neunte und Fünfte Symphonie sowie das Album The Wagner Project
                 mit Matthias Goerne und erhielt dafür von der Kritik viel Anerkennung. 2002
                 verlieh ihm die französische Regierung den Ehrentitel eines »Chevalier
                 des Arts et Lettres« sowie 2017 den des »Officier des Arts et Lettres«. 2012
                 wurde er zum Mitglied der Königlich Schwedischen Musikakademie er-
                 nannt. Daniel Harding ist ausgebildeter Flugzeugpilot.
22                                                                    23
Biographie                                                            Biographie
Daniel Harding                                                        Daniel Harding
SYMPHONIEORCHESTER DES

LASSEN SIE UNS                                                                                                 BAYERISCHEN RUNDFUNKS

       FREUNDE WERDEN!                                                                                         SIR SIMON RATTLE
                                                                                                               Designierter Chefdirigent
                                                                                                               ULRICH HAUSCHILD
                                                                                                               Orchestermanager
                                                                                                               (Nikolaus Pont in Elternzeit)

                                                                                                               Bayerischer Rundfunk
                                                                                                                                                        TEXTNACHWEIS
                                                                                                                                                        Rafael Rennicke und Susanne Schmerda:
                                                                                                                                                        Originalbeiträge für dieses Heft; Vera Baur:
                                                                                                                                                        aus den Programmheften des BRSO vom
                                                                                                                                                        18./19. Oktober 2019; Biographien: Archiv
                                                                                                                                                        des Bayerischen Rundfunks.

                                                                                                               Rundfunkplatz 1                          BILDNACHWEIS
                                                                                                               80335 München                            © Brian Voce (Adès); Wikimedia Commons
                                                                                                               Telefon: (089) 59 00 34 111              (Couperin; Jenner, Hüttenbrenner und
                                                                                                                                                        Schubert; Herbeck); © picture alliance /
                                                                                                               IMPRESSUM                                akg-images / Purkiss Archive (Birtwistle);
                                                                                                               Herausgegeben vom Bayerischen Rundfunk   © picture alliance / Heritage Art / Heritage
                                                                                                               Programmbereich BR-KLASSIK               Images / Philipp Galle (Der Triumph der
                                                                                                               Publikationen Symphonieorchester         Zeit); facebook.com/HåkanHardenberger
                                                                                                               und Chor des Bayerischen Rundfunks       (Hardenberger und Birtwistle); Geislers
                                                                                                                                                        Ansichten-Sammlung der berühmtesten
                                                                                                               REDAKTION                                Palläste, Gebäude und der schönsten
                                                                                                               Dr. Renate Ulm (verantwortlich)          Gegenden von und um Wien (Wiener Hof-
                                                                                                               Dr. Vera Baur                            burg); © Marco Borggreve (Hardenberger);
                                                                                                               GRAPHISCHES GESAMTKONZEPT                © Astrid Ackermann (BRSO); © Julian
                                                                                                               Bureau Mirko Borsche                     Hargreaves (Harding); Archiv des Baye-
                                                                                                               UMSETZUNG                                rischen Rundfunks.
                                                                                                               Antonia Schwarz, München
                                                                                                                                                        AUFFÜHRUNGSMATERIAL
                                                                                                                                                        © Faber Music, Harlow/Essex (Adès)
                                                                                                                                                        © Universal Edition, Wien (Birtwistle)
                                                                                                                                                        © Bärenreiter-Verlag, Kassel (Schubert)

Freunde sind wichtig im Leben eines jeden von uns.     Kontakt:
Diese Überlegung machten sich musikbegeisterte         Freunde des Symphonieorchesters
und engagierte Menschen zu eigen und gründeten         des Bayerischen Rundfunks e. V.
den gemeinnützigen Verein »Freunde des Sympho-         Geschäftsstelle: Ingrid Demel, Sabine Hauser
nieorchesters des Bayerischen Rundfunks e. V.«.        c/o Labor Becker und Kollegen
Seine heute 1.300 Mitglieder fördern die herausra-     Führichstraße 70
gende künstlerische Arbeit des Symphonieorchesters     81671 München
und seiner Akademie nach Kräften. Der Verein trägt     Telefon: 089 49 34 31
dazu bei, den Ruf dieses weltweit berühmten Orche-     Fax: 089 450 91 75 60
sters weiterhin zu mehren. Mit der finanziellen Un-    E-Mail: fso@freunde-brso.de
terstützung der »Freunde« werden Instrumente finan-    www.freunde-brso.de
ziert, Kompositionsaufträge erteilt, Kammermusik-
kurse abgehalten und jungen Talenten in der Akade-     * Rechtsverbindliche Ansprüche bestehen jeweils nicht
mie eine erstklassige Ausbildung an ihren Instrumen-
ten ermöglicht. Den »Freunde«-Mitgliedern werden                                                               br so.de
zahlreiche attraktive Vergünstigungen angeboten, von
exklusiven Besuchen ausgewählter Proben über be-
vorzugte Kartenbestellungen bis hin zu Reisen des
Orchesters zu Sonderkonditionen.*
Helfen Sie mit als Freund und lassen Sie sich in die
Welt der klassischen Musik entführen!
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