"Building for Peace": Friedensfördernder Wiederaufbau in der MENA-Region - Erfahrungen und Empfehlungen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit - GIZ
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„Building for Peace“: Friedensfördernder Wiederaufbau in der MENA-Region Erfahrungen und Empfehlungen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit Herausgegeben von: In Kooperation mit:
INHALT Einordnung und Danksagung Abkürzungsverzeichnis VORWORT KERNBOTSCHAFTEN S. 8 ZIEL, RELEVANZ UND DEFINITION 1. Ziel der Publikation 2. Geographischer Fokus und Relevanz von Friedensförderndem Wiederaufbau im Kontext von „BMZ 2030“ 3. Definition von Friedensförderndem Wiederaufbau und Einordnung im HDP Nexus S.11 ERFAHRUNGEN UND PRINZIPIEN 1. Wiederaufbau als Transformationsprozess 2. Menschen im Mittelpunkt 3. Politische Ökonomie des Wiederaufbaus 4. Institutionenaufbau statt Parallelstrukturen 5. Klimasensible Gestaltung von Wiederaufbau 6. Gebergemeinsames und risikoinformiertes Handeln
S. 19 ZENTRALE HANDLUNGSFELDER 1. Verbesserung von Staat-Gesellschaft-Beziehungen: verlässliche Leistungserbringung, Vertrauen und Transparenz 2. Befähigung zur Zukunftsgestaltung: Bildung, Lebensunterhalt und Handlungsfähigkeit im Krisenkontext 3. Inklusives Sozialgefüge: Förderung von Dialog, gesellschaftlicher Teilhabe und sozialer Kohäsion 4. Städtischer Wiederaufbau: Raum für Begegnung, Erinnerung und Neuanfang S. 24 ANREGUNGEN ZUR WEITER- ENTWICKLUNG DES ANSATZES S. 27 AUSBLICK UND NÄCHSTE SCHRITTE ANLAGEN
EINORDNUNG UND DANKSAGUNG Diese Publikation entstand im Rahmen einer Kooperation Wir möchten zudem den vielen an der Erstellung des Be- zwischen der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zu- richts Beteiligten beim BMZ, bei der GIZ und bei der KfW- sammenarbeit (GIZ) GmbH und der KfW-Entwicklungsbank Entwicklungsbank für die gute Zusammenarbeit, den offenen und wurde vom Regionalbereich Naher Osten (Referate 300 Austausch, kritische Gedanken und Anregungen sehr herz- und 301) des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zu- lich danken. Ein besonderer Dank geht an Florian Lewerenz sammenarbeit und Entwicklung (BMZ) beauftragt. beim BMZ, Julie Brethfeld und Dr. Léonie Wagner-Purpura bei der KfW-Entwicklungsbank sowie an Lena Droessler Sie nutzt die Ergebnisse eines breiten Konsultationsprozesses und Susanne Jaworski bei der GIZ. Wir danken zudem dem mit Akteur*innen der deutschen staatlichen und zivilgesell- Moderationsteam der Werkstatt-Serie, Dr. Nikolaus Schall schaftlichen Entwicklungszusammenarbeit, von Think Tanks und Dr. Ulrike Hopp Nishanka. Sie ist auch die Hauptver- und der Wissenschaft im Rahmen von fünf Werkstattge- fasserin dieses Berichts (zum Zeitraum der Publikation vom sprächen im Frühjahr 2021. Die Teilnehmer*innen haben ihre BMZ beurlaubt). konzeptionellen Fähigkeiten und wertvolles Erfahrungswissen in den gemeinsamen Such- und Austauschprozess in profes- Einige Zitate aus den Werkstattgesprächen sind im Folgen- sioneller Weise eingebracht. So ist es gelungen, die vorhan- den in Sprechblasen dargestellt und geben Einblicke denen Entwicklungstrends in ihrer Tiefe und Breite näher zu in die jeweiligen Diskurse. Da die Werkstattgespräche unter beschreiben und gleichzeitig neue Pfade aufzuzeigen für den Chatham-House-Regeln durchgeführt wurden, sind die so wichtigen Prozess des Friedenfördernden Wiederaufbaus. Zitate anonym. Auch die kritische Auseinandersetzung mit der Rolle der deutschen EZ in diesen eigentlich autogenen Prozessen ist notwendigerweise in den Fokus gerückt und mit aller Offen- heit diskutiert worden. Nur so konnten wir das Kaleidoskop der Instrumente und Methoden einem kritischen Diskurs unterziehen, die Betrachtungslinsen sowohl für den Nahbe- reich als auch für das breitere Umfeld weiter schärfen und Empfehlungen für den weiteren, schwierigen Weg erarbeiten. Dr. Matthias Bartels Dafür möchten wir ihnen an dieser Stelle herzlich danken. GIZ Programmleiter Strategieberatung MENA 4
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS B4P Building for Peace BMZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung EU Europäische Union EZ Entwicklungszusammenarbeit GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit HDP Nexus Humanitarian-Development-Peace Nexus HLP Housing, Land and Property (Wohnraum, Land und Eigentum) IOM International Organization for Migration (Internationale Organisation für Migration) KfW Kreditanstalt für Wiederaufbau KMU Kleine und mittelständische Unternehmen LSBTI-Menschen Lesbische, schwule, bi-, trans- und intersexuelle Menschen MDTF Multi Donor Trust Fund MEL Monitoring, Evaluierung und Lernen MENA Middle East and North Africa (Nahost und Nordafrika) MHPSS Mental Health and Psychosocial Support (Psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung) NRO Nichtregierungsorganisation PEA Political Economy Analysis (Politökonomische Analyse) UNESCWA United Nations Economic and Social Commission for West Asia (Wirtschafts- und Sozialkommission für Westasien der Vereinten Nationen) UNOPS United Nations Office for Project Services (Büro für Projektdienste der Vereinten Nationen) VN Vereinte Nationen 5
VORWORT Liebe Leser*innen, breiten Spektrums an staatlichen sowie nicht-staatlichen, Die Region des Nahen Ostens und Nordafrikas (MENA) ist vorwiegend deutschen Organisationen teilgenommen haben. seit dem Arabischen Frühling vor zehn Jahren in besonderer Zudem flossen die Ergebnisse diverser Veranstaltungen in Weise von Bürgerkriegen, Krisen und politischen Umbrüchen diesen Bericht ein, bei denen der B4P-Ansatz mit deutschen gekennzeichnet. Die Menschen im Irak, in Jemen, Libyen und Organisationen diskutiert wurde (siehe Anlage 2). Syrien haben in extremem Maße Zerstörung, Vertreibung, Verfolgung und Gewalt erlitten, allein im Syrien-Konflikt Dieser Bericht soll dazu beitragen, dass die deutsche EZ starben bislang etwa 600.000 Menschen. Die sozialen und inklusive ihrer Durchführungsorganisationen und zivilge- ökonomischen Verluste haben weitreichende Auswirkungen sellschaftlichen Partner*innen ein gemeinsames Verständ- auf die regionale und internationale Ordnung, auf Sicherheit, nis von Friedensförderndem Wiederaufbau entwickelt und Entwicklung und Frieden. dieses im Rahmen ihrer verschiedenen Instrumente um- setzt. Als Basis hierfür dienen Erfahrungen guter Praxis, Deutschland trägt als einer der größten bilateralen Geber in die weiterverbreitet werden sollen. Zugleich sollen neue der Region und im Rahmen europäischer und multilateraler Impulse und Verbesserungsvorschläge die EZ noch besser Programme auf vielfache Weise zur Eindämmung und Bewäl- auf aktuelle Herausforderungen und zukünftige Wieder- tigung der dortigen Krisen bei. Die Bundesregierung aufbauprozesse vorbereiten. Das neue Verständnis soll die bilaterale Zusammenarbeit sowie die deutschen Beiträge zu • unterstützt die hochrangigen, politischen Verhandlungs- europäischen und multilateralen Anstrengungen prägen und prozesse und die Vermittlungsbemühungen der Vereinten auch Anregungen für die Partner*innen in der internationa- Nationen sowie das Engagement lokaler Friedensak- len Gebergemeinschaft geben. teur*innen, • hilft Menschen, ihre Not zu lindern, Trauma und Leid zu Der Bericht spiegelt nicht nur den aktuellen Stand der Er- bewältigen und unterstützt sie bei der Schaffung neuer kenntnisse der deutschen EZ wider, sondern soll als Einla- Perspektiven sowie bei ihren Bemühungen um Frieden und dung zum Dialog über die Herausforderungen und Potenziale • stärkt die Widerstandskräfte von Menschen, staatlichen von Friedensförderndem Wiederaufbau verstanden werden. und gesellschaftlichen Strukturen in den langanhaltenden Die begonnenen Reflexionen wollen wir fortführen – darin Krisen und fördert ihre Eigeninitiative und Kreativität bei bestätigt uns der Zuspruch der Akteur*innen, die an den bis- der Rückkehr nach Vertreibung, der Rehabilitierung von herigen Gesprächen teilnahmen. Für ihr Engagement und ihre zerstörter Infrastruktur, der Schaffung von Einkommens- Beiträge sind wir sehr dankbar. möglichkeiten und neuen Entwicklungschancen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) will den (zukünftigen) Wiederauf- bau in der MENA-Region effektiver auf Friedensförderung ausrichten, wertet hierfür frühere Erfahrungen aus und ent- wickelt Anregungen für ein anderes Vorgehen. Dafür ging es Volker J. Oel 2018 eine strategische Kooperation mit der Weltbank ein. Im Beauftragter für Nahost / MENA; April 2020 erschien die Weltbank-Studie „Building for Peace Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit – Reconstruction for Security, Equity, and Sustainable Peace und Entwicklung in MENA” (B4P), die in enger Kooperation mit der deutschen Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen gemeinsamer Workshops und engem fachlichen Austausch entstanden ist. Mit diesem Bericht ergänzt das BMZ die Weltbank-Studie um deutsche Erfahrungen und Empfehlungen. Der Bericht basiert auf einer Serie von Werkstattgesprächen im Februar/ März 2021, die die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH im Auftrag des BMZ durchge- führt hat und an denen etwa 250 Vertreter*innen eines 6
KERNBOTSCHAFTEN Die Kernbotschaften dieser Publikation basieren auf Erfah- 6. Die EZ kann die Voraussetzungen für faire, inklusive und rungen mit der Unterstützung von Wiederaufbau in verschie- ausgewogene Aushandlungsprozesse für neue Gesellschafts- denen regionalen Kontexten.1 verträge verbessern und durch die Finanzierung von Wie- deraufbaumaßnahmen Anreize für Transformation schaffen. 1. Friedensfördernder Wiederaufbau im Kontext von Krisen Dabei muss sie im Rahmen kontinuierlicher Konflikt- und und Gewaltkonflikten verbindet die Wiederherstellung von Kontextanalysen die politische Ökonomie des Wiederaufbaus zerstörter Infrastruktur mit sozialem, ökonomischem und analysieren, Machtmissbrauch und Korruption verhindern und gesellschaftlichem Wiederaufbau, um friedensfördernde die eigene Rolle als Geber und als Teil des Systems verste- Wirkungen zu erzielen. hen und handlungsleitend nutzen. 2. Der Wiederaufbau soll ausdrücklich nicht den vorherigen 7. Friedensfördernder Wiederaufbau ist in der Regel multi- Zustand wiederherstellen und damit die alten Machtgefüge sektoral angelegt und beinhaltet vier zentrale, eng mitein- und gesellschaftlichen Strukturen reproduzieren. Daher passt ander verwobene Handlungsfelder: der Begriff „Wiederaufbau“ nur bedingt. 1. Verbesserung von Staat-Gesellschaft-Beziehungen: ver- lässliche Leistungserbringung, Vertrauen und Transparenz, 3. Nur eine langfristige Transformation der Gesellschafts- 2. Befähigung zur Zukunftsgestaltung: Bildung, Lebens- verträge in den betroffenen Kontexten kann zu nachhaltigem unterhalt und Handlungsfähigkeit im Krisenkontext, Frieden und zu nachhaltiger Entwicklung führen. In diesem 3. Inklusives Sozialgefüge: Förderung von Dialog, gesell- Sinn kann der Wiederaufbau friedensfördernd wirken. Er ist schaftlicher Teilhabe und sozialer Kohäsion, so Teil eines umfassenden Transformationsprozesses, zu 4. Städtischer Wiederaufbau: Raum für Begegnung, Erinne- dem unter anderem auch Reformen der Wirtschaft und die rung und Neuanfang. Förderung von Rechtsstaatlichkeit beitragen. 8. Es ist von zentraler Bedeutung, dass der Wiederaufbau 4. Friedensfördernder Wiederaufbau ist wertebasiert und frühzeitig beginnt und langfristig andauert. Die EZ sollte trägt zur Erreichung der 17 Ziele für nachhaltige Entwick- lokale Kapazitäten und Ressourcen für Wiederaufbau und lung der Vereinten Nationen (VN), insbesondere des Ziels Zukunftsgestaltung früh – auch während der Krise – stär- 16 (Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen) bei. ken und sie beim Wiederaufbau nutzen. Im Sinne des Nexus Die Stärkung der Menschenrechte, der Abbau von Diskri- von humanitärer Hilfe, EZ und Friedensförderung (Humani- minierungen und Ungleichheit, die Gleichberechtigung der tarian-Development-Peace Nexus, HDP Nexus) sollte eine Geschlechter sowie der Erhalt der natürlichen Lebensgrund- nachhaltige Perspektive basierend auf einer inklusiven lagen und der Klimaschutz müssen im Zentrum von Frie- Entwicklungs- und Friedensvision bereits bei allen kurz-, densförderndem Wiederaufbau stehen. mittel- und langfristigen Maßnahmen angelegt werden. 5. Oft bedingen die durch Krisen und Gewaltkonflikte ver- 9. Das Wichtigste zuletzt: Die Menschen vor Ort stehen im änderten gesellschaftlichen (Macht-)Verhältnisse und neue Zentrum des Friedensfördernden Wiederaufbaus. Dieser ist ein demografische Herausforderungen wie Flucht und Vertrei- endogener Prozess, den externe Akteur*innen nur unterstützen bung den notwendigen Wandel. Zugleich stehen ihm häufig können. Die EZ erkennt ihre begrenzten Einflussmöglichkei- die Interessen von politischen und wirtschaftlichen Eliten – ten an. Gleichwohl bietet sie den vulnerablen Ländern eine oder auch von externen Einflusskräften – entgegen, die von Partnerschaft in einer sehr kritischen Phase an, die durch der gegenwärtigen Situation profitieren. Verständnis, Zusammenarbeit auf Augenhöhe, Flexibilität und gemeinsames Lernen einen großen Nutzen entfalten kann. 1 I Diese Erfahrungen bilden zusammen mit dem Weltbank-Bericht „Building for Peace: Reconstruction for Security, Sustainable Peace and Equity in the Middle East and North Africa“ die konzeptionelle Grundlage für Friedensfördernden Wiederaufbau. Zudem wurden die Ergebnisse eines Meta-Reviews von Evalu- ierungen des internationalen Engagements in Afghanistan, den das BMZ im Frühjahr 2020 vorgestellt hat, berücksichtigt. Außerdem greift die Publikation Empfehlungen der internationalen Konferenz „Anti-Corruption in Fragile States“ im November 2019 auf. 7
ZIEL RELEVANZ UND DEFINITION 1. Ziel der Publikation europäischen und multilateralen Beiträgen. Das Konzept Dieser Bericht zeigt auf, wie EZ zu Friedensförderndem Wie- • ist für alle Instrumente inklusive der Kriseninstrumente deraufbau beitragen kann. Er gibt zahlreiche Denkanstöße des BMZ (vor allem die Sonderinitiative „Fluchtursachen und Handlungsanregungen und soll als Ausgangspunkt für bekämpfen – Flüchtlinge (re)integrieren“ und die Struktur- weitere Reflexion, gemeinsames Lernen und das Ausleuchten bildende Übergangshilfe) und Förderansätze der techni- von Erkenntnislücken dienen. schen und finanziellen EZ, anwendbar, • berücksichtigt die Strategie der Strukturbildenden Über- Zielgruppe sind in erster Linie die Entscheidungsträger*innen gangshilfe mit ihrem Fokus auf Krisenbewältigung und und Praktiker*innen der deutschen EZ in Wiederaufbau- Resilienzstärkung, die Grundsätze der Unterstützung von kontexten. Das hier vorgestellte Verständnis von Friedens- Flüchtlingen, Binnenvertriebenen und Aufnahmegemeinden förderndem Wiederaufbau soll die strategische Planung sowie die Qualitätsmerkmale der deutschen EZ,2 und Ausgestaltung von EZ-Maßnahmen in diesen Kontexten • hat besondere Relevanz für das Engagement in Nexus- prägen. Die Empfehlungen sollen zudem deutschen zivilge- und Friedenspartnerländern des BMZ, kann aber auch in sellschaftlichen EZ-Akteur*innen als Anregungen dienen. anderen Partnerschaftskategorien zum Tragen kommen und Der Bericht bietet auch Orientierung für lokale staatliche • kann Orientierung bei der Umsetzung des BMZ-Kern- und zivilgesellschaftliche Partner*innen beim Wiederaufbau themas „Frieden und gesellschaftlicher Zusammenhalt“ im sowie für regionale und internationale Partnerorganisationen. Kontext des entwicklungspolitischen Reformkonzepts Er soll dabei unterstützten, den Friedensfördernden Wieder- „BMZ 2030“ geben. aufbau zum Gegenstand von politischen Dialogen und kon- zeptionellen Fachdiskussionen zu machen. Hierfür verbreiten Der Bericht fokussiert die vier Krisenkontexte in der unmit- Vertreter*innen der deutschen EZ dieses Konzept im Sinne telbaren europäischen Nachbarschaft im Nahen Osten und einer Einladung zu weiterem Austausch. in Nordafrika. Während der Wiederaufbau im Irak bereits begonnen hat und Erfahrungen hieraus in das Konzept ein- Für Think Tanks und die Wissenschaft zeigt dieser Bericht fließen konnten, erlaubt die Situation im Jemen, in Libyen offene Fragen und Forschungsthemen auf. Sie könnten die und Syrien dort noch keine konkreten Planungen für einen weitere Operationalisierung des Konzepts begleiten. großflächigen Wiederaufbau auf nationaler Ebene. Gerade deswegen sind die Empfehlungen dieses Berichts für das 2. Geographischer Fokus und Relevanz von Engagement in diesen Ländern relevant: Die EZ sollte lokale Friedensförderndem Wiederaufbau im Kontext Kapazitäten für Wiederaufbau und Zukunftsgestaltung früh- von „BMZ 2030“ zeitig stärken und die langfristige Perspektive der Zukunfts- Beim Wiederaufbau soll die deutsche EZ von den in diesem und Entwicklungsvisionen muss im Sinne des HDP Nexus in Bericht vorgestellten Handlungsprinzipien und Anregungen alle Maßnahmen zur Krisenbewältigung einfließen. Zudem geleitet werden – sowohl in ihren bilateralen, staatlichen können die Empfehlungen genutzt werden, sobald großflä- und zivilgesellschaftlichen Programmen als auch in ihren chige Wiederaufbauprozesse beginnen. 2 I Der Reformprozess „BMZ 2030“ definiert sechs Qualitätsmerkmale für die deutsche EZ: 1) Menschenrechte, Geschlechtergleichstellung und Inklusion, 2) Anti-Korruption und Integrität, 3) Armutsbekämpfung und Reduzierung der Ungleichheit, 4) Umwelt- und Klimaverträglichkeitsprüfung, 5) Konfliktsensibilität und 6) Digitalisierung. 8
ZIEL, RELEVANZ UND DEFINITION Die Anregungen für einen Friedensfördernden Wiederaufbau 3. Definition von Friedensförderndem Wiederaufbau sind zudem auch für andere fragile Kontexte wie im Libanon und Einordnung im HDP Nexus und in anderen Weltregionen relevant und können daher über Friedensfördernder Wiederaufbau... die MENA-Region hinaus verbreitet und umgesetzt werden.3 ... umfasst physischen, sozialen, wirtschaftlichen und ge- Die Unterstützung für transformativen Wiederaufbau oder sellschaftlichen Wiederaufbau. Für den Wiederaufbau ist Neuaufbau kann nur im Zusammenspiel aller Politikfelder die Rehabilitierung zerstörter physischer Infrastruktur und gelingen. Das BMZ stimmt sich daher eng mit dem Aus- die Wiederherstellung von staatlichen Funktionen eine wärtigen Amt und anderen Ministerien der Bundesregierung wichtige Ausgangsbasis. Wiederaufbaumaßnahmen müssen ab. Die hier vorgestellten Erfahrungen und Empfehlungen aber darüber hinausgehen und Maßnahmen zur Förderung basieren auf den Leitlinien der Bundesregierung „Krisen rechenschaftspflichtiger, legitimer Institutionen, einer verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“, den da- fairen, inklusiven Wirtschaftsordnung sowie eines inklusi- zugehörigen ressortgemeinsamen Strategien4, der Strategie ven Sozialgefüges in den Mittelpunkt stellen. Die Förderung des BMZ „Entwicklung für Frieden und Sicherheit“ sowie von konstruktiven Staat-Gesellschaft-Beziehungen ist die auf dem „Praxisleitfaden für den ressortgemeinsamen An- Grundlage allen Handelns (siehe Grafik). satz“. Sie tragen zudem zur Umsetzung der internationalen ... ist als langfristiger, transformativer Prozess zu verstehen, Verpflichtungen aus dem Globalen Pakt für Flüchtlinge der zu inklusiver, nachhaltiger Entwicklung und Friedens- sowie des Dritten Nationalen Aktionsplans 1325 der Bun- förderung beiträgt. Dieser Prozess muss innergesellschaft- desregierung zur Umsetzung der Agenda „Frauen, Frieden lich getragen sein und sollte von externen Akteur*innen und Sicherheit“ des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen im Sinne des „New Deal for Engagement in Fragile States“ (2021-2024) bei. unterstützt werden. Zukunftsvisionen der Menschen vor Ort Schaubild: Definition inklusives Sozialgefüge Friedensfördernder Wiederaufbau legitime Institutionen faire Wirtschaft arbeit Dialog Bildung Teilhabe rungs Erinne physischer Wiederaufbau gesellschaftlicher Wiederaufbau z Transparen konstruktive Staat-Gesellschaft-Beziehungen 3 I Auch wurden Erfahrungen aus so verschiedenen Kontexten wie dem Balkan, Afghanistan, den Palästinensischen Gebieten, den Philippinen, Somalia, Sudan, Südafrika und Ukraine berücksichtigt. 4 I Vergangenheitsarbeit und Versöhnung (Transitional Justice), Rechtsstaatsförderung und Sicherheitssektorreform. 9
ZIEL, RELEVANZ UND DEFINITION ... wird von einer Zukunftsvision der Menschen vor Ort im international anerkannten Regierung oder einer Über- Sinne eines neuen Gesellschaftsvertrags geleitet. Er geht gangsadministration möglich, die eigene finanzielle, über politische Vereinbarungen und Friedensabkommen personelle und fachliche Beiträge erbringen sowie Steue- hinaus und bezieht alle Ebenen der Gesellschaft mit ein. rungs- und Koordinierungsfunktionen übernehmen kann. Sind Friedensfördernder Wiederaufbau stärkt die soziale Kohäsion diese Voraussetzungen nicht gegeben, sollte Unterstützung zwischen Bevölkerungsgruppen, die Achtung der Menschen- häufig eher über kleinteiligere Infrastrukturmaßnahmen rechte, die Gleichberechtigung der Geschlechter und Inklu- erfolgen, bei denen nicht direkt mit zentralstaatlichen sion. Zudem soll er die konstruktiven Beziehungen zwischen Akteur*innen zusammengearbeitet wird. Staat und Gesellschaft verbessern. ... bezieht zivilgesellschaftliche Akteur*innen in einem ... soll das Fundament für ein friedliches Zusammenleben und kohärenten Gesamtansatz ein. Friedensfördernder Wieder- für gemeinsame Entwicklungschancen in der Zukunft legen. aufbau ist maßgeblich von einer aktiven, konstruktiven Friedensfördernder Wiederaufbau adressiert unmittelbare, und verfassten Zivilgesellschaft abhängig. Akteur*innen kurzfristige Bedarfe zur Verbesserung der Lebensbedingun- aus verschiedensten Bereichen (religiöse Organisationen, gen ebenso wie mittelfristige, strukturelle Reformen. Er Verbände, Nichtregierungsorganisationen, Bildungs- und verfolgt zudem einen langfristigen Ansatz der Konfliktbewäl- Forschungsinstitutionen, etc.) dienen als Multiplikator*in- tigung und Krisenprävention. nen und helfen, friedliche Strukturen in der Gesellschaft zu verankern. Oftmals geben sie zentrale Impulse für die Friedensförderung und ersetzen Leistungen, die schwache staatliche Institutionen (zeitweilig) nicht erbringen können. ... erfordert ein Mindestmaß an physischer und menschli- Sichtbare Zerstörung ist nur die Spitze des Eisbergs cher Sicherheit. Die gewaltsame Konfliktaustragung muss daher weitgehend beendet sein und Entminungsaktivitäten Eine umfassende Studie der Weltbank zu den Auswir- machen zuvor verminte Gebiete wieder zugänglich. Jedoch kungen des Kriegs in Syrien bestätigte 2017, was viele sind lokale Kontextualisierung, Flexibilität und Agilität Praktiker*innen schon lange wussten: Die sichtbare, phy- ebenso wie Realismus, politische Risikobereitschaft und sische Zerstörung von Infrastruktur und Wohnraum ist Erwartungsmanagement notwendig, da gewaltsame Aus- in Syrien massiv, aber die Korrosion von sozialem Zu- einandersetzungen jederzeit wieder aufflammen können. sammenhalt, wirtschaftlichen Netzwerken und Vertrauen ... findet im Kontext von Friedensprozessen statt und kann hat viel größere ökonomische Konsequenzen. Je länger Anreize im Sinne einer Friedensdividende setzen. Frie- der Krieg andauert, desto disruptiver ist der immaterielle densfördernder Wiederaufbau wird dabei als übergreifen- Schaden. Die deutsche EZ muss daher eine systemische de Herangehensweise für alle Interventionen verstanden, Perspektive einnehmen und auch den – vielfach schwieri- nicht als ein Sektor. geren – gesellschaftlichen Wiederaufbau mitdenken. ... ist Teil des Nexus von humanitärer Hilfe, EZ und Friedens- förderung (HDP Nexus) und adressiert dabei insbesondere Friedensfördernder Wiederaufbau als Teil die Dimensionen Entwicklung und Frieden. Friedensfördern- von Friedensförderung der Wiederaufbau schlägt die Brücke von kurz- und mittel- fristigem Aufbau von Basisinfrastruktur sowie -dienstleis- Friedensfördernder Wiederaufbau beschreibt einen Aus- tungen zu langfristiger Resilienzstärkung, Strukturbildung schnitt des breiten Spektrums von Krisenprävention, und Friedensförderung. Die unterschiedlichen Interventio- Konfliktbewältigung und Friedensförderung. Diese be- nen müssen sich dabei in einen kohärenten Gesamtansatz inhalten die Vorbeugung oder Überwindung von Konflikt, des Friedensfördernden Wiederaufbaus einordnen. Anders Fragilität und Gewalt, die Verbesserung der Fähigkei- als im traditionellen Verständnis von Nachkriegswieder- ten zum gewaltfreien Umgang mit Konflikten und die aufbau muss der Gewaltkonflikt nicht zwingend beendet Schaffung von Rahmenbedingungen für eine friedliche sein, damit Friedensfördernder Wiederaufbau beginnen kann. und inklusive Entwicklung. Obwohl der Friedensfördern- ... setzt in vielen Bereichen eine Zusammenarbeit mit dem de Wiederaufbau einen Teil der Friedensförderung dar- Staat voraus und bezieht auf allen Ebenen die staatlichen stellt, umfasst er beispielsweise nicht Maßnahmen zur Strukturen ein. Dauerhafte, großflächige Investitionen in Demobilisierung oder Sicherheitssektorreform. den Wiederaufbau sind nur in Zusammenarbeit mit einer Wiederaufbau Friedensfördernder Friedensförderung Wiederaufbau 10
ERFAHRUNGEN UND PRINZIPIEN Grundlagen für Friedensfördernden Wiederaufbau Friedensfördernder Wiederaufbau sollte von inklusiven Zu- Der „Building for Peace“-Ansatz (B4P) der Weltbank bietet kunftsvisionen für ein friedliches Zusammenleben geleitet eine erweiterte Perspektive auf den Friedensfördernden Wie- sein, die möglichst viele gesellschaftliche Gruppierungen deraufbau. Einige der B4P-Anregungen sind in der deutschen mittragen. Solche Visionen können meist nicht kurzfristig EZ und insbesondere in der entwicklungspolitischen Frie- entwickelt und umgesetzt werden, sondern erfordern ein densförderung gut bekannt. Bereits Anfang der 2000er-Jahre längerfristiges Engagement. Oft dauern die notwendigen wurden hier Ansätze zu einem krisenpräventiven Wiederauf- Transformationsprozesse 30 Jahre oder länger. bau diskutiert, die das vorliegende Konzept aufgreift. Die folgenden Prinzipien bauen auf diesen Überlegungen „Small is beautiful“: Wir müssen uns sehr langfristige auf, beruhen auf Erfahrungen der deutschen EZ und finden Ziele setzen, aber in einem sehr herausfordernden Kon- sich teilweise bereits in verschiedenen Sektorkonzepten und text im Alltag auch mit inkrementell kleinen Verände- Strategien des BMZ wieder. Sie werden hier im Sinne einer rungen und iterativem Vorgehen zufrieden sein. ganzheitlichen Konzeption von Friedensförderndem Wieder- aufbau mit neueren Überlegungen wie zum klimasensiblen Wiederaufbau verbunden und aktualisiert. In der Praxis entstehen bei der Unterstützung und Beglei- 1. Wiederaufbau als Transformationsprozess tung von Visionsentwicklung verschiedene Dilemmata im Wiederaufbau darf nicht die Vergangenheit mitsamt den Umgang mit zeitlichem Druck, Instabilität und Unsicher- ursprünglichen Konfliktursachen wiederherstellen, sondern heit. So können z.B. kurzfristig notwendige Maßnahmen zur muss zu deren Transformation beitragen. Im Sinne der Logik Stabilisierung und erste Schritte zur Krisenbewältigung nicht des „Building Forward Better“, die aktuell die Reaktion auf auf die partizipative Entwicklung von Visionen warten. Auch die Covid-19-Pandemie leitet, sollten auch die Chancen des müssen Entscheidungen oft trotz unvollständiger Informa- Wiederaufbaus für Investitionen in eine nachhaltige und ge- tionslage getroffen werden. Diese Dilemmata können nicht rechtere Zukunft genutzt werden. immer aufgelöst, sollten aber zumindest in Planungsprozes- 11
ERFAHRUNGEN UND PRINZIPIEN sen und der Kommunikation mit lokalen Akteur*innen und Bei der Förderung von Dialog müssen die Teilhabenden über der Bevölkerung transparent gemacht werden. Legitimität und Repräsentativität verfügen und sie müssen über den Kreis der „üblichen Verdächtigen“ aus der Zivilge- Frühe Entscheidungen, unter anderem im Rahmen von Stabi- sellschaft hinausgehen. Eine besondere Herausforderung ist lisierungsmaßnahmen, können eine Pfadabhängigkeit schaf- die Teilhabe von nicht-staatlichen Gewaltakteur*innen – sie fen. Daher sollten die Visionen möglichst früh entwickelt werden in Friedensprozesse als Konfliktpartei einbezogen, und für alle Interventionen handlungsleitend sein. Konflikt- aber von der staatlichen EZ im Wiederaufbau oft ausge- sensibilität muss dabei auch die strategische Ebene der schlossen. Ein inklusives Vorgehen ist kaum möglich, wenn Wiederaufbauplanung umfassen. Sie sollte nicht – wie von nicht lokale Akteur*innen die Aufgabe übernehmen, diese vielen Praktiker*innen kritisiert – erst bei der Ausgestaltung Gruppen miteinzubeziehen. von Projekten ansetzen. Im Sinne eines Mehrebenen-Ansatzes müssen Visions- und Dialogprozesse die lokalen Perspektiven ins Zentrum der Wiederaufbauplanung und Reformen rücken. Nationale Ak- Scheuklappen ablegen teur*innen handeln oft weit von den lokalen Realitäten ent- fernt, steuern aber die Planung, Finanzierung und Koordinie- Akteur*innen der EZ sollten sich ihrer eigenen blinden rung von Wiederaufbaumaßnahmen. Die mittlere Ebene der Flecken bewusst sein und weitmöglichst ihre Scheu- kommunalen und provinziellen staatlichen Strukturen sowie klappen ablegen, um ein systemisches Verständnis des die organisierte Zivilgesellschaft sollten eine verbindende jeweiligen Kontexts zu entwickeln. Laut B4P-Bericht und vermittelnde Rolle spielen. Sie kann oft die Aufgabe dominieren bei der Kontextanalyse durch die Auswahl eines „Transmissionsriemens“ zwischen dem wünschenswer- von Gesprächspartner*innen oft bestimmte Perspektiven ten Bottom-up-Ansatz und dem faktisch oft dominierenden (z.B. der Hauptstadt, dominanter NGOs, männlicher Er- Top-down-Vorgehen der internationalen Unterstützung für wachsener etc.). Andere Sichtweisen werden dagegen Wiederaufbau bilden. durch einen fehlenden Zugang zu bestimmten geografi- schen Kontexten sowie zu politischen, kulturellen oder 2. Menschen im Mittelpunkt ideologischen Interessen ausgeblendet. Auch kann die Friedensfördernder Wiederaufbau kann langfristig nur gelin- analytische Fokussierung auf die Konfliktstrukturen gen, wenn er die Menschen mit ihren diversen Perspektiven, dazu führen, dass andere für nachhaltigen Wiederaufbau Potenzialen, Ressourcen und Bedürfnissen in den Mittelpunkt relevante Faktoren wie Klima und natürliche Ressourcen stellt. Alle betroffenen Teile der Bevölkerung sollten an der vernachlässigt werden. Bedarfserhebung, Planung, Gestaltung und Umsetzung teil- haben. Die Stärkung von Teilhabe umfasst dabei drei Ebenen: 1. die Schaffung von sicheren Räumen und Formaten Inklusive Teilhabe muss bereits bei der Planung von Maßnah- für Dialog, men zum Wiederaufbau beginnen und erfordert ein partizipa- 2. die Befähigung und Ermächtigung der Menschen, tives Herangehen. Das steht jedoch oft im Widerspruch zum sich einzubringen und Wunsch nach schnellen, sichtbaren Ergebnissen. Gemeinde- 3. die Stärkung der Fähigkeiten staatlicher Akteur*in- basierte Ansätze ermöglichen ein partizipatives Vorgehen in nen, Teilhabe konstruktiv zuzulassen und hierzu besonderer Weise, aber das Prinzip der Teilhabe muss ebenso zu ermutigen. bei zentralstaatlichen Planungsprozessen gelten. Ein solches Vorgehen setzt ein umfassendes, inklusives Inklusive Teilhabe kann auch Interessenkonflikte zutage Akteursverständnis voraus. Die EZ sollte durch kontextsen- bringen und Spannungen hervorrufen. Sie erfordert sichere sible und zugleich möglichst gendertransformative Ansätze Räume und bei Bedarf auch gezielte Schutzmaßnahmen, wenn die gleichberechtigte Teilhabe verschiedener Akteursgruppen Machtakteur*innen andere Interessenvertreter*innen unter- fördern. Dazu zählen Frauen und diverse andere benachtei- drücken. Durch die veränderten gesellschaftlichen Verhält- ligte Gruppen wie junge Menschen, Minderheiten, Flüchtlinge nisse in der Krise können neue Freiräume etwa für gender- und Binnenvertriebene, die in extremer Armut lebende Be- transformative Ansätze auf lokaler Ebene entstanden sein. völkerung, Menschen mit Behinderungen und LSBTI-Personen. Die EZ sollte diese konfliktsensibel nutzen. Im Sinne der Intersektionalität sind mögliche Mehrfachdis- kriminierungen zu beachten. In Krisenkontexten müssen viele Menschen mit den ge- sundheitlichen Folgen von kriegsbedingten Verletzungen leben – genaue Zahlen und Unterstützungsbedarfe sind oft nicht ausreichend bekannt. Zudem gibt es Schätzun- gen, dass in fragilen Kontexten bis zu 30 Prozent der Menschen mit einer Behinderung leben. 12
ERFAHRUNGEN UND PRINZIPIEN In der Praxis kommt der transformative Anspruch von Resilienz teilweise zu kurz. Der Begriff kann im Kontext Raum schaffen für die Anliegen junger Menschen fortgesetzter Gewalt und instabiler Lebensbedingungen den Eindruck erwecken, die Bevölkerung solle durch die Die Bevölkerung in den Krisenkontexten der MENA-Re- Förderung ihrer Anpassungsfähigkeit und Bewältigungs- gion ist sehr jung, in Libyen ist etwa über die Hälfte der strategie vor allem ‚im Aushalten‘ der Krise bestärkt Menschen jünger als 30 Jahre. Junge Menschen sind werden. Wir müssen ein umfassenderes und transformati- als Opfer oder Täter stark und in vielfacher Weise von veres Verständnis von Resilienz betonen – die strukturbil- Gewalt betroffen. Zugleich finden sie wenig Gehör in Ge- dende Übergangshilfe bietet hierzu erste Ansatzpunkte. meindestrukturen und bei Behörden. Staatliche oder zi- vilgesellschaftliche Institutionen zur Jugendarbeit gibt es kaum. Hier setzt unter anderem das GIZ Projekt „För- derung von Jugendlichen für eine friedliche Entwick- 3. Politische Ökonomie des Wiederaufbaus lung in Libyen“ an. Das Projekt unterstützt die friedliche Die Grundprinzipien der deutschen EZ, konfliktsensibel zu Teilhabe sowie politische Partizipation Jugendlicher auf handeln, Krisen vorzubeugen und Frieden zu fördern, gelten kommunaler Ebene, richtet sichere Räume, wie Jugend- auch für den Friedensfördernden Wiederaufbau. Ganzheitliche und Trainingszentren, ein und stärkt Kompetenzen der Konflikt- und Kontextanalysen, inklusive der gendersensiblen lokalen Verwaltungen im Umgang mit jungen Menschen Analyse von Friedenspotenzialen, sind der Ausgangspunkt und ihren Anliegen. allen Planens und Handelns. Dabei müssen die Analysen in besonderer Weise die lokale Ebene der jeweiligen Wiederauf- bauorte beleuchten, da landesweite Analysen in der Regel Ein inklusives Vorgehen erfordert Perspektivwechsel, denn zu oberflächlich sind. marginalisierte Gruppen bringen oft besondere Ressourcen, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten in den Wiederaufbau mit ein. Um ihre Teilhabe zu ermöglichen, ist es oftmals zu- Kontextsensibilität erfordert zusätzlichen Aufwand, z.B. nächst notwendig, die Krise zu bewältigen und die Lebens- wenn es um die Prüfung der Rolle von zu beteiligen- bedingungen zu verbessern. Dabei können durch begleitende den Bauunternehmen im Konflikt geht. Oft erscheint es Maßnahmen Gelegenheiten zur Mitgestaltung der Wiederauf- einfacher, auf externe Firmen und Ressourcen aus- bauaktivitäten entstehen. Besonders sollte die EZ Geflüchte- zuweichen, auch wegen geringer Kapazitäten vor Ort. te und Rückkehrer*innen in Wiederaufbauaktivitäten ein- Aber wir wollen gerade auch die lokale Wirtschaft binden. Oft stellen ihre Potenziale und Erfahrungen wichtige stärken– und müssen daher in Analysen Zeit und Res- Ressourcen dar. Sie können auch schon aus der Diaspora in sourcen investieren. den Wiederaufbau einbezogen werden, wenn sie (noch) nicht in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Eine besondere Herausforderung ist es, die Auswirkungen Wir stehen oft vor einem Dilemma: Wir wollen sozia- des Gewaltkonflikts und seiner Beendigung auf die politi- le Kohäsion und zugleich Teilhabe und Emanzipation schen, gesellschaftlichen und ökonomischen Machtverhält- stärken. Damit schaffen wir doch auch Konflikte! Wie nisse zu berücksichtigen. Insbesondere wenn es keine poli- können wir ‚störende‘ Kräfte zwar einbeziehen, aber tischen Lösungen für einen Konflikt gibt, benötigt es einen vor allem die integrativen Akteur*innen ermutigen? konfliktsensiblen Umgang mit dessen – realen oder auch nur vermeintlichen – ‚Gewinnern und Verlierern‘. Friedens- fördernder Wiederaufbau muss diese Spannungsverhältnisse reflektieren und die Bemühungen um Vergangenheitsarbeit Psychosoziale Unterstützung ist häufig notwendig, um und Übergangsjustiz unterstützen. Grundlagen für Vertrauen, soziale Kohäsion, Friedensförde- rung und gesellschaftlichen Wandel zu schaffen. Gemeinde- Friedensfördernder Wiederaufbau folgt dem umfassenden basierte Ansätze können psychosoziale Bedarfe etwa von Menschenrechtsansatz der deutschen Entwicklungspolitik. Er geflüchteten und wieder in die Heimat zurückgekehrten berücksichtigt damit auch den Zugang zu Ressourcen und Menschen aufgreifen. Niedrigschwellige psychosoziale Infrastruktur sowie Verteilungsgerechtigkeit und den Schutz Unterstützungsangebote und Selbsthilfegruppen können mit von Eigentum. Dabei ist zu beachten, dass beim Wiederauf- der Rehabilitierung von Infrastruktur, der Einkommens- und bau Interessengruppen mitunter Maßnahmen vorschlagen, Ernährungssicherung oder mit Beschäftigungsprogrammen die die Rechte von Menschen entlang weiterhin bestehender verbunden werden und sollten möglichst langfristig an- Konfliktlinien verletzen, eine erzwungene Umsiedlung vor- gelegt sein. sehen oder demografische Strukturen manipulieren können. Daher sind bei allen EZ-Vorhaben umfassende Analysen notwendig. Sie können das Risiko verringern, dass es im Rahmen eines Engagements zu (unbeabsichtigten) negativen Auswirkungen kommt (do no harm). 13
ERFAHRUNGEN UND PRINZIPIEN Die Rolle des Staates – und der verschiedenen Akteur*in- nen auf all seinen Ebenen – muss in besonderer Weise Der Bausektor ist laut Transparency International welt- reflektiert werden. Wiederaufbau findet in Zusammenarbeit weit der für Korruption anfälligste Sektor und fragile mit staatlichen Akteur*innen auf nationaler Ebene statt, Kontexte sind am stärksten von Korruption betroffen. wobei diese während des Konflikts oftmals das Vertrauen der Bevölkerung und die Legitimität staatlichen Handelns geschwächt haben. Bereits vor der Krise diente der Staat oftmals den Machteliten als Ressourcenbasis. Sein Handeln Ein stärkeres Bewusstsein für die politische Ökonomie des war durch partikularistische Verteilungsmuster und die Wiederaufbaus ist zentral. Machtakteur*innen wollen sich oft Diskriminierung und Einschränkung zivilgesellschaftlicher die Ressourcen des Wiederaufbaus aneignen – wie es in der Handlungsspielräume geprägt. Friedensfördernder Wieder- politischen Ökonomie des Kriegs und im Kontext von organi- aufbau sollte zu einer langfristigen Transformation dieser sierter Kriminalität und Schattenwirtschaft der Fall ist. Das Strukturen beitragen. Oftmals muss er sich jedoch im kurz- Aufdecken dieser Einflussnahmen ist jedoch für lokale und fristigen Handeln zunächst mit den bestehenden Machtstruk- internationale Akteur*innen durchaus risikobehaftet. Die EZ turen arrangieren und kann nur durch schrittweise Reform- steht dabei vor diversen Dilemmata, wenn sie beispielsweise anreize zu Veränderungen beitragen. Zum konfliktsensiblen auf die Kooperation von Machtakteur*innen angewiesen ist, Handeln gehört hier auch die Reflexion dieser Dilemmata. um Zugang zu bestimmten Zielgruppen oder Wiederaufbau- gebieten zu erhalten. Wir müssen uns bei der Analyse von unseren west- Umgang mit Eliten lichen Staats- und Gesellschaftsmodellen lösen und die Funktionalität von vermeintlicher Dysfunktionalität Maßnahmen zum Wiederaufbau werden vor allem mit von Strukturen und Gepflogenheiten verstehen lernen. politischen, wirtschaftlichen – und auch zivilgesell- Dabei müssen wir auch die sozialen Normen stärker schaftlichen – Eliten verhandelt, also mit Individuen und berücksichtigen, die den Umgang der Bevölkerung mit Gruppen mit hohem sozialem Status und großem Ein- Korruption prägen. fluss. Frauen sind dabei in allen Führungspositionen in der Regel stark unterrepräsentiert. Diese Eliten können als Multiplikator*innen und Reformakteur*innen in der EZ eine konstruktive Rolle einnehmen. Jedoch müssen Maßnahmen des Wiederaufbaus müssen Transparenz und die Akteurs- und Machtanalysen der EZ die informellen Vertrauen herstellen, um die Akzeptanz staatlicher Struk- und teilweise destruktiven Aushandlungs- und Macht- turen und Institutionen durch die Bevölkerung zu erhöhen. verteilungsprozesse zwischen den Eliten besonders in Dabei darf die EZ keine Fortsetzung der Kriegsökonomie den Blick nehmen. Dazu gehören auch die potenzielle oder neue Formen von Machtmissbrauch und Vereinnah- Vereinnahmung von Ämtern und Ressourcen („elite cap- mung von staatlichen Ressourcen zulassen. Entwicklungs- ture“) sowie soziale und politische Normen, die dieses politik muss im Zusammenspiel mit anderen Politikfeldern Verhalten ermöglichen. Dieses Verständnis des Umgangs besonders die Makro-Ebene in den Blick nehmen und die mit Eliten sollte die Handlungslogiken des Wiederauf- eigene Rolle in der politischen Ökonomie des Wiederaufbaus baus prägen, um zur Diversifizierung der Akteur*innen stärker reflektieren. Eine Null-Toleranz-Politik gegenüber des Wiederaufbaus beizutragen und Interessenkonflikte Korruption sollte eine selbstkritische Reflexion und eine und Widerstände zu reduzieren. Fehlerkultur einschließen. Wiederaufbau sollte systematisch „community accountability“ Die Förderung von Rechenschaftslegung muss einen beson- stärken, beispielsweise durch (anonyme) Beschwerdemecha- deren Stellenwert beim Friedensfördernden Wiederaufbau nismen, Ombudsstellen und andere Feedbackmechanismen einnehmen. Dabei geht es sowohl um die Förderung von auch in sozialen Medien. Wichtig für die Glaubwürdigkeit Transparenz und um Korruptionsbekämpfung in staatlichen gegenüber der Bevölkerung ist, dass die Hinweise auch Institutionen als auch im Rahmen der EZ-Maßnahmen selbst. wirklich von unabhängigen Stellen überprüft und nachver- Die mit dem Wiederaufbau verbundenen Ressourcenflüsse folgt, die Hinweisgeber*innen geschützt und strafbare Hand- müssen transparent gemacht werden, sodass ihre Verwen- lungen geahndet werden. dung etwa von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen überprüft werden kann. Zusätzlich beeinflusst finanzielle Transparenz In Wiederaufbaukontexten ist der Kapazitätsaufbau zur Stär- beim Wiederaufbau das Erwartungsmanagement positiv und kung der Rolle zivilgesellschaftlicher Initiativen und Medien wirkt krisenpräventiv, indem sie Misstrauen abbauen kann als „watchdogs“ notwendig. Partnerschaften mit Universitäten, und der Wiederaufbau schwerer von Machtakteur*innen poli- Medien und dem Privatsektor können hierbei hilfreich sein. So tisiert und instrumentalisiert werden kann. können lokale Akteur*innen Integritätsstandards entwickeln und ein langfristiges, öffentliches Monitoring des Wiederauf- baus fördern. Lokale Partner*innen, Anti-Korruptionsakti- vist*innen, Whistleblower*innen oder Projektpersonal, das 14
ERFAHRUNGEN UND PRINZIPIEN Korruption aufdeckt, benötigen besonderen Schutz in nach wie etablierte Maßnahmen des „community monitoring“ können vor zumeist von Gewalt geprägten Wiederaufbausituationen. helfen, die lokalen Sichtweisen und Bedürfnisse aller gesellschaftlichen Gruppen für die Prioritätensetzung beim Wiederaufbau und für die Vereinbarung von Reformschritten nutzbar zu machen. Digitale Potenziale für partizipatives Monitoring und Transparenz Das Open-Source-Instrument TruBudget der KfW hilft allen Projektpartner*innen inklusive der staatlichen Ak- teur*innen, einen vertrauensvollen, rechenschaftspflich- tigen und transparenten Umgang mit Entwicklungs- geldern einzuüben. Das Tool bietet eine gemeinsame Arbeitsplattform, wodurch Prozesse effizienter gestaltet werden können. Zugleich wird Transparenz und – durch die Nutzung von Blockchain-Technologie – verbindliche Rechenschaftslegung gestärkt, und dies unter Nutzung der Partnerstrukturen und -haushalte. So kann TruBud- get helfen, die im Wiederaufbau häufig auftretenden Parallelstrukturen der verschiedenen Geber abzubauen und die Eigenverantwortung der Partner*innen zu fördern. 4. Institutionenaufbau statt Parallelstrukturen Wiederaufbau sollte möglichst frühzeitig beginnen und auf dem kontinuierlichen Engagement und der Erhaltung der Funktionsfähigkeit von Institutionen bereits während der Krise aufbauen. Die oft noch akute Krisenlage erfordert von Veränderungen in Staat-Gesellschaft-Beziehungen der EZ besondere Flexibilität und Agilität. regelmäßig beobachten Die institutionellen staatlichen Kapazitäten sind oft zu Um die angestrebten Effekte auf die Beziehungen zwi- schwach, um diese Herausforderungen zu meistern. Sie be- schen Staat und Gesellschaft zu beurteilen, bedarf es nötigen – auch in Ersatzvornahme – Unterstützung. Aller- einer kontinuierlichen Messung von Wahrnehmungen der dings dürfen Parallelstrukturen der externen Hilfe nicht Bevölkerung. So begleitet die deutsche EZ in Afghanis- dauerhaft staatliches Handeln ersetzen oder gar unterminie- tan seit vielen Jahren ein regelmäßiges, externes und ren. Daher sollte die EZ beim Wiederaufbau von Beginn an systematisches Monitoring der Wirkungen der EZ auf schrittweise und systematisch die notwendigen staatlichen die Einstellungen der Bevölkerung, die von den EZ-Maß- Kapazitäten fördern und ihre technische und finanzielle nahmen profitieren soll. Die Ergebnisse helfen, ange- Unterstützung an den konkreten lokalen Potenzialen und Be- nommene Wirkungen zu verifizieren, und fördern auch darfen ausrichten. So kann die EZ die Stabilisierungs-, An- Fehlannahmen der EZ zutage. Eine solche Fehlannahme passungs- und Transformationskapazitäten der Bevölkerung war etwa, dass die Bereitstellung von physischer Inf- und staatliche Institutionen fördern. In Wiederaufbauplänen rastruktur die Akzeptanz des Staates automatisch er- und Reformagenden müssen die tatsächlichen Kapazitäten höhen würde. Diese Befunde sowie viele internationale der Partner*innen, Maßnahmen zum Wiederaufbau umzu- Evaluierungen der EZ in Afghanistan stellen den weit setzen, ausschlaggebend und die Gebererwartungen und verbreiteten „hearts-and-minds“-Ansatz infrage, dem- -vorgaben realistisch sein. Das gilt auch für Anreizsysteme zufolge die EZ zur Sicherheit in Afghanistan beiträgt, und die Konditionalisierung von EZ-Leistungen, die Reformen die Akzeptanz des Staates erhöht und die Unterstüt- befördern sollen. zung von Gewaltakteuren wie den Taliban reduziert. Es hat sich aber inzwischen gezeigt, dass die EZ zwar die Die Übergänge von kurzfristigen Maßnahmen zu nachhaltiger Lebensbedingungen der Menschen verbessern kann, die Strukturbildung spielen beim Wiederaufbau eine zentrale Bevölkerung diese Verbesserungen aber nicht unbedingt Rolle. Daher muss die EZ staatliche Partnerleistungen von dem afghanischen Staat zuschreibt. vornherein einplanen und einfordern, ohne die Partnerstruk- turen durch zu umfassende Reformen zu überfordern. Dabei sollte die EZ jene Bereiche in den Fokus nehmen, die in dem Eine besondere Herausforderung ist die Nachhaltigkeit von jeweiligen Kontext die Legitimität, Akzeptanz und das Ver- Investitionen in Infrastruktur und der damit verbundenen trauen der lokalen Bevölkerung in den Staat erhöhen. Stim- staatlichen Dienstleistungen. Oftmals sind Staaten bereits mungsbarometer und Meinungsumfragen, aber auch bereits vor einer Krise nicht fähig, ihre Bevölkerung umfassend zu 15
ERFAHRUNGEN UND PRINZIPIEN versorgen und die soziale und materielle Infrastruktur auf- sollten die klimasensible Rehabilitierung physischer Infra- rechtzuerhalten. Der Wiederaufbau muss diese fehlenden struktur, Gebäude und das Ressourcenmanagement an- Kapazitäten – trotz des Einforderns von Partnerleistungen gegangen werden. Aber auch gesellschaftliche Aspekte – von vornherein berücksichtigen und Ausgaben zur Instand- wie Bildung, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und soziale haltung von Investitionen realistisch planen. Die EZ muss Netzwerke in Bezug auf den Klimawandel müssen adressiert dabei ihre Standards dem lokalen Kontext anpassen, um so werden. Diese schaffen die Rahmenbedingungen für eine zu vermeiden, dass die Bevölkerung später enttäuscht ist systematische Integration von Klimaschutz und Klima- und und das Vertrauen in den Staat schwindet, wenn die Infra- Katastrophenrisikomanagement in den Wiederaufbau. struktur nicht angemessen erhalten werden kann. Lokale Anliegen, Vulnerabilitäten und Anpassungsbedarfe sollten im Mittelpunkt des Wiederaufbaus stehen und die EZ sollte ein kontextspezifisches Verständnis von Nachhaltigkeit („situated sustainability“) fördern. Anpassung an den Klima- wandel sowie der Umwelt- und Klimaschutz sollen nicht als eine externe Agenda wahrgenommen werden, sondern viel- mehr als Beitrag zur Verbesserung der lokalen Lebensbedin- gungen verstanden werden, beispielsweise hinsichtlich des Umgangs mit knappen Wasserreserven, der Elektrifizierung oder der Reduzierung von Wärme in Wohngebäuden. Dazu ist ein gemeindebasiertes, partizipatives Vorgehen notwendig. Klimasensibilität ist nicht gleichbedeutend mit Kon- fliktsensibilität. Wie alle Entwicklungsmaßnahmen können auch solche zum Klimaschutz konfliktverschär- fend wirken, etwa bei Verteilungsfragen. Zugleich sind Ressourcenkonflikte und Klimawandel in der Komplexi- tät des gesamten Konfliktsystems zu verstehen und können nicht hiervon losgelöst adressiert werden. Lokales Wissen über die Auswirkungen des Klimawandels, naturwissenschaftliche Bildung und lokale und regionale Daten- und Informationssysteme zu Umwelt- und Wetterdaten 5. Klimasensible Gestaltung von Wiederaufbau sind eine Voraussetzung für risikoinformiertes Handeln. Der Die Zusammenhänge zwischen Klimawandel, Konflikt und Friedensfördernde Wiederaufbau braucht neue gesellschaft- Sicherheit sind – nicht zuletzt aus der Syrienkrise – gut liche Narrative und Visionen, die ihn leiten und die ökologi- bekannt. Dennoch werden die Minderung der Emission von sche Transformation muss ein wesentlicher Teil davon sein. Treibhausgasen und die Anpassung an den Klimawandel noch zu oft angesichts der komplexen und unmittelbaren Heraus- forderungen der Krisenbewältigung und des Wiederaufbaus Der Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawan- hintangestellt. Um auch mittel- bis langfristig krisenpräventiv del sind gleichzusetzen mit dem Schutz von Men- und nachhaltig zu wirken, muss sich der Friedensfördernde schenleben, jedoch sind die Zusammenhänge mit dem Wiederaufbau mit den Herausforderungen des Klimawandels Wiederaufbau oft nicht sofort ersichtlich und müssen auseinandersetzen. Klima- und Katastrophenrisiken sollten – auch den Gebern – besser vermittelt werden. Zudem vorausschauend in die Planung integriert werden. müssen wir Lösungen für Interessenkonflikte finden. Die klimatischen Veränderungen haben die politische Krise in Syrien weiter angefacht. Der Klimawandel kann Vor dem Hintergrund der massiven Zerstörung von Städten Ungleichheiten verschärfen und das fragile soziale durch Krisen und der gleichzeitigen Urbanisierung in der Gefüge zerbrechen lassen – wenn es keinen politischen MENA-Region sollte die EZ der Rehabilitierung von Infra- Willen für konstruktive Lösungen gibt. struktur und der nachhaltigen Stadtplanung sowie -ent- wicklung besondere Aufmerksamkeit schenken. Städte gelten als wichtige Klimatreiber, da der Bausektor dort einen sehr großen Anteil des verfügbaren Kohlenstoff-Budgets ver- Friedensfördernder Wiederaufbau in der MENA-Region bietet braucht. Städte sind besonders anfällig für die Folgen des eine große Chance, den Neubeginn mit einem – angesichts Klimawandels. Zugleich sind sie Innovationsräume, in denen der hohen Vulnerabilität der Region – ohnehin drängenden Klimaminderung und Klima- und Katastrophenrisikomanage- ökologischen Transformationsprozess zu verbinden. Dabei ment große Wirkungen erzielen können. 16
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