BULLETIN DER BUNDESREGIERUNG - Nr. 126-3 vom 8. Oktober 2021

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BULLETIN
                               DER
                         BUNDESREGIERUNG
                           Nr. 126-3 vom 8. Oktober 2021

Rede der Bundesministerin für Ernährung und
Landwirtschaft, Julia Klöckner,

beim Politischen Erntedank 2021
am 5. Oktober 2021 als Videobotschaft:

Sehr geehrte Gäste,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
sehr geehrte Preisträgerinnen und Preisträger:
Liebe Frau Professor Einspanier, Herr Sindel, Frau Dünchem, guten Abend!

Wir feiern heute den Höhepunkt des landwirtschaftlichen Jahres: das Erntedankfest,
unseren Politischen Erntedank, mit der Verleihung der Professor-Niklas-Medaillen. Die
höchste Auszeichnung, die wir als Bundeslandwirtschaftsministerium zu vergeben ha­
ben.

Besonders begrüße ich heute Abend zum einen unsere Landjugend. Sie stehen für die
Zukunft der Branche – für Aufgeschlossenheit, für Modernisierung, für Aufbruch. Sie
verbinden Zukunft mit Tradition, das zeigt die wunderschöne Erntekrone, die Sie aus
Bayern mitgebracht haben. Vielen Dank dafür! Und zum anderen das Winzerpaar Ul­
rike und Axel Lorenz und ihr Team aus dem Weinanbaugebiet Nahe. Sie haben den
Winzerinnen und Winzern aus dem Ahrtal ganz praktisch geholfen. Denn die Weine,
die wir hier haben, sind sogenannte Flutweine. Weinflaschen, die von Ihnen nach der
Flut aus der Ahr geborgen wurden. Bei diesem Extremhochwasser wurden von 68
Weingütern und Genossenschaften ganze 65 massiv beschädigt oder zerstört – un­
vorstellbar. Mit diesen Flutweinen leisten auch wir heute einen kleinen Beitrag, um die
Winzerinnen und Winzer im Ahrtal zu unterstützen. Jeder Cent kommt hier den Be­
troffenen zugute. Danke für diese praktische Solidarität.
Bulletin Nr. 126-3 vom 8. Oktober 2021 / BMEL – beim Politischen Erntedank, Videobotschaft

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Hinter uns liegen fordernde Wochen. Wahlkämpfe haben ihre eigene Dynamik der Ab­
grenzungen. Jetzt ist die Zeit, wieder Gemeinsames zu suchen statt Trennendes zu
betonen. Wichtiges haben wir erreicht in der zu Ende gehenden Legislaturperiode,
viele Erfolge für eine agrar- und gesellschaftspolitische Weiterentwicklung unter den
Stichworten Nachhaltigkeit, Erntesicherung, Einkommenssicherung, Innovation.

Dazu waren zwei zentrale Voraussetzungen zu gewährleisten. Und wir haben geliefert.
Erstens: Wir haben ein neues Miteinander geschaffen. Zum ersten Mal überhaupt ist
es gelungen, umfassende, von allen getragene Zukunftskonzepte für unsere Landwirt­
schaft zu diskutieren, zu verhandeln und auch zu fixieren. Weil wir alle den notwendi­
gen Mut und den glaubwürdigen Willen hatten, den breiten gesellschaftlichen Dialog
zu suchen, scheinbar unversöhnliche Gruppierungen und Sichtweisen an einen Tisch
zu bringen, Kompromisse zu schließen. Und das Ganze im Sinne von Handschlagqua­
litäten, sich gegenseitig mit Respekt ernst zu nehmen – Umwelt- wie Landwirtschafts­
seiten.

Und zweitens: Wir haben der deutschen Landwirtschaft einen Zukunftsweg geebnet
und eine neue Nachhaltigkeit eingeleitet. Nicht nur gefordert, sondern die Weichen
gestellt. Das war fordernd, aber ohne ernsthafte Alternative. Denn wir müssen in der
Landwirtschaft vor die Welle kommen – aber unter dem klaren Maßstab, Ökologie,
Ökonomie und soziale Frage zu verbinden. Weg vom Entweder-oder hin zum Gleich­
klang. Wir haben dazu den Bogen weiter gespannt als je zuvor zu mehr Umwelt- und
Klimaschutz und zu mehr Tierwohl. Wir haben Anforderungen an eine nachhaltige Er­
nährung unter diesen Bogen gezogen, mit dem festen Willen, der Notwendigkeit und
den begleitenden Maßnahmen, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirtschaft und
das Einkommen unserer Landwirte zu sichern.

So kann Landwirtschaft einerseits unsere Ernährung und ihr Einkommen sichern und
zudem mehr Leistungen für den Schutz des Klimas und der Gewässer sowie für die
Förderung der Biodiversität erbringen. Genau daraus haben wir neue Ansätze für eine
nachhaltige Einkommenssicherung entwickelt. Zugleich haben wir Ausgleichsregelun­
gen überall dort eingeführt, wo neue Erschwernisse entstanden sind. Wir ermöglichen
Investitionen in mehr Gewässer- und Insektenschutz. Das ist ein Systemwechsel. Das
war unser Ziel. Das war auch der Wunsch von Landwirtschafts- und Umweltseite. Das
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haben wir erreicht. Und darauf können wir gemeinsam stolz sein – auf vieles, was wir
geleistet haben in dieser Legislaturperiode.

Mit meinem Team lege ich eine Bilanz vor, die geleitet war vom Dreiklang von Ökolo­
gie, Ökonomie und sozialer Frage. Die dem Anspruch folgte, nicht so lange Verände­
rungen zu verhindern, bis es nicht mehr geht, sondern vor die Welle zu kommen, von
vorne frühzeitig zu gestalten und zu fördern. Aber immer mit Augenmaß, auf wissen­
schaftlicher Grundlage, nicht auf ideologischer.

Erstens: Wir haben Deutschland als Tierwohlvorreiter positioniert. Das geht nicht per
Knopfdruck. Nicht gegen die Tierhalter, nur mit ihnen. Denn dem Tierwohl ist nicht
gedient, wenn unsere Tierhalter wegen zu hoher Auflagen, zu schnell eingefordert,
aufhören und wir dann tierische Produkte importieren, auf deren Produktionsstandards
wir keinen Einfluss haben. Mehr Tierwohl und Wirtschaftlichkeit hier auf heimischem
Boden, das hat uns geleitet. Tauglich für die schnelle Stimmungsschlagzeile oder
Kampagne für die digitalen Medien ist das nicht. Aber mir ging es darum, ernsthaft,
differenziert, fair und rechtskonform vorzugehen und nicht den schnellen Stimmungs­
applaus einzuholen, der nur kurz trägt.

Wir haben Deutschland in Sachen Tierwohl zum Vorreiter gemacht. Nicht durch harte
Strukturbrüche, sondern durch finanziell unterlegte Strategien und Förderaktivitäten,
die unsere landwirtschaftlichen Betriebe tragen können, langfristig. Die von mir einge­
setzte Borchert-Kommission hat Vorschläge zum Umbau der Nutztierhaltung vorge­
legt. Wir haben entsprechende Machbarkeits- und Folgeabschätzungsstudien dazu
und viele weitere Bausteine zur Umsetzung vorgelegt. Vom Konzept bis zur Finanzie­
rung liegt alles auf dem Tisch. Wir haben bei der Europäischen Union einen entschei­
denden Durchbruch zur Umsetzung des Konzepts erzielt: Investitionen in neue Ställe
für mehr Tierwohl dürfen nun mit bis zu 80 Prozent gefördert werden. Bisher waren
das lediglich 40 Prozent und nur für sieben Jahre. Auch dieses Limit ist gefallen. Das
bringt die notwendige Planungssicherheit und Verlässlichkeit für die Tierhalter für die
großen Investitionen in Tierwohlställe.
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Ein weiteres gesellschaftlich stark aufgeheiztes Thema haben wir gelöst: Als erstes
Land der Welt verbietet Deutschland das Töten männlicher Küken in der Legehennen­
zucht. Aber nicht ohne Plan, einfach nur per Verbot, sondern durch Innovation, Technik
und Unterstützung unserer Brütereien. „Tierwohl made in Germany“ wird ein Marken­
zeichen werden, nicht Importe, auf die wir keinen Einfluss haben. Und das muss weiter
gehen: Auch verarbeitetes Ei muss europaweit gekennzeichnet werden – das ist im
Sinne einer umfassenden Verbraucherinformation und Transparenz. Und Tierwohl darf
kein Stückwerk bleiben, das durch Verlagerungen ins Ausland umgegangen werden
kann.

Bereits seit Anfang 2021 ist die betäubungslose Ferkelkastration nicht mehr erlaubt,
mit einer sehr klaren Regelung: komplette Schmerzvermeidung beim Tier. Auch hier
sind wir Vorreiter. Wir haben dafür gesorgt, dass die Kastenstandhaltung von Sauen
im Deckzentrum nach einer Übergangszeit endet. Und ein 300-Millionen-Euro-Stall­
umbauprogramm ist aufgelegt, das gerade hier, in diesem wichtigen Bereich, für eines
sorgt: dass mehr Tierschutz noch schneller kommt und die Tierhaltung nicht ins Aus­
land abwandert.

Es ist das größte Stallumbauprogramm unserer Geschichte, um die Tierhalter auch in
die Lage zu versetzen, die politischen und ihre Ziele umsetzen zu können. Den Umbau
der Tierhaltung haben wir im Kabinett durch Anpassungen im Baurecht flankiert. Aller­
dings hätten wir hier weiter und konkreter im Sinne des Tierwohls sein können, wenn
unser Koalitionspartner das wirklich gewollt und mitgemacht hätte.

Zweitens: Wir haben während unserer Ratspräsidentschaft einen Systemwechsel in
der Europäischen Agrarpolitik erreicht. Kern der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik ist
die grüne Architektur mit ambitionierteren ökologischen Vorgaben und honorierten
Maßnahmen in der ersten und zweiten Säule, damit sich Umwelt- und Naturschutz für
unsere Landwirtschaft auch rechnen kann.

Umwelt-, Biodiversitäts- und Klimaauflagen werden künftig honoriert. Das bedeutet,
Gemeinwohlleistungen werden gefördert – für die Umwelt und das Klima, für den Er­
halt einer Kulturlandschaft, für das Einkommen der landwirtschaftlichen Familien.
Kernauftrag der Landwirtschaft ist und bleibt, dass die Bäuerinnen und Bauern unsere
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Ernährung sichern. Dafür müssen unsere Landwirtinnen und Landwirte wettbewerbs­
fähig bleiben und von ihrer Arbeit leben können!

Drittens: Für unsere Wälder haben wir mehr mobilisiert als je zuvor. 1,5 Milliarden
Euro, um Schäden zu beheben, um neue, klimaangepasste Mischwälder zu pflanzen.
Um private und kommunale Waldbesitzer bei der schwersten Krise der Forstwirtschaft
zu unterstützen. Mit der Bundeswaldprämie und weiteren Nachhaltigkeitsförderungen
haben wir Instrumente konzipiert, die beides bringen: schnelle Hilfe und langfristige
Wirkung. Durch die Prämie ist die zertifizierte Waldfläche schon jetzt um mehr als
900.000 Hektar angewachsen.

Viertens: Ländliche Regionen sind die Kraftzentren unseres Landes. Rund 2.000 Pro­
jekte auf dem Land haben wir initiiert und finanziert. Mit Vorbildcharakter und zum
Nachahmen in anderen Dörfern und kleinen Städten – für eine bessere Mobilität, für
ein starkes Ehrenamt, für Kultur, für die Nahversorgung.

Fünftens: Die Digitalisierung war zu Beginn der Legislatur ein Schlagwort, jetzt ist sie
real. Digitale Lösungen im Stall und auf dem Feld sind Problemlöser, weil Sensoren
schneller melden, wenn es Tieren nicht gut geht. Weil Landwirte durch Digitalisierung
präziser arbeiten. Weil sie früher wissen, wenn Pflanzen erkrankt sind. Wir haben sie
in der Praxis getestet mit unseren Experimentierfeldern. Wir haben eine staatliche Da­
tenplattform geschaffen für den Austausch zwischen Landwirtschaft, Forschung, Ent­
wicklung und Beratung. Und mit fast einer Milliarde Euro haben wir die Anschaffung
hochmoderner Maschinen gefördert, die messbar und massiv weniger Pflanzenschutz-
und Düngemittel ausbringen, mit neuester Technik. Immer mit dem klaren Ziel, die
Produktion noch nachhaltiger zu gestalten, die Arbeit einfacher und unbürokratischer
und effektiver zu machen. Wir sind damit Vorreiter in Europa.

Sechstens: Noch nie war Ernährungspolitik so sichtbar. Allein der Nutri-Score ist eine
Erfolgsgeschichte, wir sehen ihn fast überall beim Einkauf. Schon 233 Unternehmen
mit 452 Marken machen mit. Der Nutri-Score macht auch die Erfolge unserer Nationa­
len Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten
sichtbar. Auch hier zieht die Wirtschaft mit: Elf Verbände haben sich dazu verpflichtet,
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von unseren Instituten messbar den Gehalt an Zucker, Salz und Fetten in ihren Fertig­
produkten zu reduzieren.

Das sind nur einige Punkte unserer umfangreichen Bilanz – einer Bilanz, die die Land-
und Ernährungswirtschaft ganzheitlich sieht, über die gesamte Wertschöpfungskette
bis hin zum Verbraucher. Eine Bilanz, die Weichen gestellt hat, hinter die eine kom­
mende Bundesregierung nicht zurückfallen kann. Eine Bilanz, die den gesellschaftli­
chen Wandel aufgenommen hat, aber es nicht dem schnell wechselnden Zeitgeist
recht machen will. Eine Bilanz, die sich von wissenschaftlicher Erkenntnis und Fakten
statt von Stimmungen und Klicks leiten ließ. Eine Bilanz, die die heimische und euro­
päische Ernährungssicherung für unsere Verbraucherinnen und Verbraucher und die
Einkommenssicherung für unsere Landwirtschaft im Blick hat – mit globaler Verant­
wortung.

In Deutschland haben wir einen Modernisierungsschub in der Land- und Ernährungs­
wirtschaft gestartet. Doch während wir Fortschritte machen, fallen andere schmerzhaft
zurück: Wieder mehr Menschen leiden Hunger. Ihre Zahl ist gestiegen auf 768 Millio­
nen. Und gleichzeitig wird ein Drittel der Nahrung weltweit weggeworfen. Unicef-Schät­
zungen zufolge leiden immer mehr Kleinkinder an Wachstumsverzögerungen, weil ihre
Ernährung nicht mit ihrem wachsenden Nährstoffbedarf Schritt hält. Das dürfen wir
nicht ignorieren, das kann uns nicht ruhen lassen!

Ende September fand auch deshalb der erste Weltgipfel der Vereinten Nationen zu
Ernährungssystemen statt. Wir konnten viel einbringen von der Arbeit, die bei uns
schon geleistet worden ist: unsere Ideen zum Ackerbau der Zukunft etwa, zur Stärkung
der Eiweißpflanzenerzeugung, zur Reduktion von Zucker, Fetten und Salz in Fertig­
produkten, zum Ausbau der Bioökonomie oder zur Weiterentwicklung des ökologi­
schen Landbaus.

Das Menschenrecht auf Nahrung kann durch eine erfolgreiche Landwirtschaft umge­
setzt werden. Mit diesem Gipfel ist auch das Primat der Ernährung so deutlich wie
noch nie unterstrichen worden. Es ist die Ernährung und die Ernährungssicherung, die
den Ausgangspunkt bilden für den gesamten Gestaltungsprozess. Und damit rückt die
Landwirtschaft in den Mittelpunkt mit ihrer ureigensten Aufgabe: Ernährung zu sichern.
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Genau daran müssen auch wir uns in der Zukunft orientieren, wenn wir hier weiter ein
verlässlicher Partner sein wollen. Und genau deshalb brauchen wir weiter eine starke
und eigenständige Landwirtschafts- und Ernährungspolitik mit einer Stärkung unseres
internationalen Engagements, beim Wissenstransfer, der Forschungszusammenarbeit
und Vernetzung. Was folgt aus dem Erreichten? Stillstand gewiss nicht, sondern ein
Langstreckenlauf.

Erstens: Die Modernisierung der Landwirtschaft muss fortgeführt werden. Der Rahmen
ist klar, er steht im neuen Klimaschutzgesetz. Landwirtschaft darf bis 2030 nur noch
56 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente ausstoßen. Um das zu schaffen und gleichzeitig
den Bäuerinnen und Bauern gute Perspektiven auch für die nächste Generation zu
geben, müssen wir weiter investieren. Denn nur über Innovationen erreichen wir das
Ziel, Ernährung zu sichern und nachhaltiger zu wirtschaften. Schon in dieser Legislatur
haben wir über eine Milliarde Euro für Investitions- und Förderprogramme zur Verfü­
gung gestellt, darunter zum Beispiel für neue Maschinen, die Emissionen einsparen
helfen, weil sie präziser arbeiten.

Zweitens: Junge Bäuerinnen und Bauern müssen an ihre Zukunft glauben können.
Gesellschaftliche Erwartungen an die Landwirtschaft dürfen keine Einbahnstraße sein.
Wer in Umwelt- und Klimaschutz investiert, muss dafür bezahlt werden. Wir müssen
Bauern und Verbraucher noch stärker zu Partnern machen – für sichere Ernten, für
volle Regale, bezahlbare Lebensmittel und eine geschützte Umwelt.

Drittens: Wir müssen unsere Wettbewerbsfähigkeit wahren und Handelsregeln ändern.
Hohe Standards sollten eine Selbstverständlichkeit und kein Handelshindernis sein.
Dies muss die EU konsequent berücksichtigen, auch wenn sie Handelsabkommen mit
Drittländern verhandelt. Nachhaltigkeitsstandards müssen zum Kernelement zukünfti­
ger Handelsabkommen gehören. Unsere Ziele sind hierbei nicht Abschottung oder
„Europe first“, sondern Handelsregeln, die eine ressourcen- und umweltschonende
Landwirtschaft belohnen und befördern. Wer das von unseren Landwirten verlangt,
muss das auch von anderen verlangen. Der Klimawandel macht nicht an Ländergren­
zen Halt.
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Viertens: Wir brauchen weitere wirksame Forschungsaktivitäten. Wir haben massiv in
Forschung und Innovation investiert. Rund 900 Millionen Euro, zum Beispiel für mo­
dernen Pflanzenschutz und effizienten Ackerbau, um Pilzkrankheiten im Getreide- und
Weinbau zum Beispiel besser bekämpfen zu können. Um herauszufinden, welche
Fruchtfolgen eine optimale Nährstoffaufnahme ermöglichen. Wie Treibhausgasemis­
sionen in der Landwirtschaft durch standortangepasste Bodenbearbeitung, den Anbau
von Zwischenfrüchten oder optimierte Techniken der Düngerausbringung gemindert
werden können.

Wir erforschen, welche Konsequenzen ein weiteres Fortschreiten des Klimawandels
auf unsere Landwirtschaft hat. Denn zum Beispiel wandern wärmeliebende Insekten­
schädlinge nach Norden, jedes Jahr um 2,7 Kilometer. Wenn wir also auf bestimmte
Pflanzenschutzmittel verzichten und gleichzeitig unsere Ernten schützen wollen, brau­
chen wir neue Instrumente, Nützlinge zum Beispiel. Oder Pflanzen, die weniger Pflan­
zenschutzmittel und Düngemittel brauchen, resistenter gegen Trockenheit und Krank­
heiten sind und damit wichtige Faktoren im Kampf gegen den Klimawandel sind. Dabei
können neue Züchtungstechnologien helfen.

Fünftens: Wir brauchen einen Digitalpakt für die Landwirtschaft. Digitale Lösungen im
Stall und auf dem Feld sind konkrete Problemlöser, beim Tierschutz und Tierwohl, aber
auch für einen ökologisch-produktiveren Ackerbau. Wir sind bereits Vorreiter in Eu­
ropa. Aber wir müssen noch besser werden. Deshalb brauchen wir einen Digitalpakt
für die Landwirtschaft, der alles mitdenkt, von der großen Plattform bis zum Fortbil­
dungsangebot vor Ort. Denn digitale Lösungen müssen in der Breite auf unseren Be­
trieben ankommen. Wir brauchen dazu überall auf dem Land eine funktionierende Inf­
rastruktur. Technische Lösungen, die nicht nur von Spezialisten bedient werden kön­
nen, sondern die auch dem Nebenerwerbslandwirt konkrete Verbesserungen bieten.

Sechstens: Unsere Gesellschaft muss den Anspruch der Landwirtschaft auf Fortschritt
mittragen, sei es bei der Züchtung, bei der Digitalisierung, bei der Technisierung. Und
diesen Fortschrittsanspruch dürfen und müssen auch unsere Landwirtinnen und Land­
wirte selbst mitformulieren.
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Das Motto der Welternährungsorganisation FAO lautet „Fiat Panis“, es werde Brot. Es
ist ein abgewandeltes Zitat aus dem ersten Tag der Schöpfungsgeschichte: „Fiat lux.“
/ „Es werde Licht.“ Fiat Panis – das ist die Hoffnung, mit der die FAO im Jahr 1945 den
Kampf gegen den Hunger aufgenommen hat. Eine Welt ohne Hunger und alle Formen
der Fehlernährung ist natürlich eine hohe moralische Verpflichtung.

Es ist aber auch gleichzeitig der Weg, um Konflikte und Kriege zu vermeiden. Denn
ein hungriger Magen findet keinen Frieden. Konflikte um wertvolle Ressourcen wie
fruchtbare Böden und Rohstoffe waren und sind bis heute die Ursache für Kriege und
Unruhen. Mit einer weiteren direkten Konsequenz: Wer kämpfen muss, ackert nicht.
Wer nicht ackert, der erntet nicht. Die Folgen sind neues Leid, Flucht und Vertreibung
mit destabilisierender Wirkung weit über die Konfliktregionen hinaus. Deshalb ist eine
globale, nachhaltige Sicherung der Ernährung das erste Instrument der Friedenssiche­
rung.

Eine Welt ohne Hunger gibt es nur mit einer Landwirtschaft, die satt macht. Landwirt­
schaft ist Leben, überall und immer. Deshalb brauchen wir überall auf der Welt, aber
auch bei uns eine starke und nachhaltige Landwirtschaft. Eine Landwirtschaft, der ich
vor allem eines sagen will: Danke! Danke für die Leistungen – nicht nur dieses Jahres.
Für Ihre unermüdliche Arbeit, die Sie erbringen, für uns alle – Tag für Tag, Jahr für
Jahr. Herzlichen Dank für unser täglich Brot!

Wir als Politik können viele Vorgaben machen, Ziele definieren, Projekte finanzieren.
Am Ende braucht es auch Persönlichkeiten, Menschen, die sich engagieren, die Her­
ausragendes leisten, um unsere Landwirtschaft voranzubringen. Drei solche Persön­
lichkeiten zeichnen wir heute aus. Drei Menschen, die dafür ganz unterschiedliche An­
sätze gewählt haben, die aber eines verbindet: Sie sorgen mit ihrem Einsatz für eine
starke Verankerung der Landwirtschaft in unserer Gesellschaft, für Akzeptanz, für
Wertschätzung.

Frau Professor Almuth Einspanier, Sie haben dazu beigetragen, dass Eier ohne Kü­
kentöten heute flächendeckend im Handel sind durch Ihre herausragende Forschung
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an Verfahren für die Geschlechtsbestimmung im Brutei. Ein Meilenstein für den Tier­
schutz in der modernen Landwirtschaft und damit für die Akzeptanz der Nutztierhal­
tung in unserer Gesellschaft.

Heiner Sindel, Sie sind ein Vordenker in Sachen Regionalität und Stärkung ländlicher
Regionen. Und Sie sind ein begnadeter Netzwerker. Beide Talente haben Sie zusam­
mengebracht mit der Gründung des Bundesverbandes Regionalbewegung. Sie sorgen
nicht nur für nachhaltige Wertschöpfung im ländlichen Raum, sondern auch für die
Sichtbarkeit der zahllosen kleinen Akteure, die gemeinsam ein großes Ganzes erge­
ben.

Carina Dünchem, Sie sind eine ganz besondere Botschafterin für unsere Landwirt­
schaft – in den sozialen Medien genauso wie vor Ort. #lebeliebelandwirtschaft – unter
diesem Motto berichten Sie aus Ihrem Leben auf dem Hof. Ihr Ziel ist, Landwirtschaft
wieder zu den Menschen zu bringen, erlebbar zu machen. Sie vermitteln Wissen, auch
an Kinder, und schaffen damit die Grundlage für die Wertschätzung unserer Landwir­
tinnen und Landwirte.

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