Netzwerk Kulturelle Bildung und Integration - Dokumentation des Fünften Treffens 10. und 11. November 2016

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Netzwerk Kulturelle Bildung und Integration - Dokumentation des Fünften Treffens 10. und 11. November 2016
Netzwerk Kulturelle
       Bildung und Integration

       Dokumentation des
       Fünften Treffens

       10. und 11. November 2016

    Kun s t- un d
    Kul t ur ve r m i t t lun g
    i n Euro p a

1
Netzwerk Kulturelle Bildung und Integration - Dokumentation des Fünften Treffens 10. und 11. November 2016
Dokumentation des Fünften Treffens des

    Netzwerks Kulturelle Bildung und Integration

    am 10. und 11. November 2016

    in der Stiftung Genshagen

    und im Bundeskanzleramt

2
Netzwerk Kulturelle Bildung und Integration - Dokumentation des Fünften Treffens 10. und 11. November 2016
Vorwort

                                                                                           Im November 2016 durfte das Netzwerk Kulturelle Bildung und Integra-
                                                                                           tion bereits sein fünfjähriges Jubiläum feiern. Dies war ein willkommener
                                                                                           Anlass für seine Mitglieder, die bisher gemeinsam geleistete Arbeit kritisch
			 Inhaltsverzeichnis                                                                     zu reflektieren und einen Blick in die Zukunft des Netzwerks zu werfen.
                                                                                           Staatsministerin Monika Grütters lud die Netzwerkmitglieder zum feierli-
                                                                                           chen Abschluss des Treffens zu einem Gespräch ins Bundeskanzleramt ein,
                                                                                           um über die Weiterentwicklung des erprobten Formats zu diskutieren. Das
 3 — Vorwort                                                                               Jahrestreffen wurde dadurch bewusst zur Zwischenbilanz und so konnten
                                                                                           neue Schwerpunkte und Zielsetzungen für die kommenden Jahre erarbei-
5 — Einleitung                                                                             tet werden. Der kontrovers diskutierte Begriff der Integration, die Optimie-
                                                                                           rung der ressortübergreifenden Zusammenarbeit auf Bundes-, Länder- und
6 — Programm des Fünften Treffens des Netzwerks Kulturelle Bildung und Integration         kommunaler Ebene zum Thema Kultur und Integration sowie die diversi-
                                                                                           tätsorientierten Entwicklungsprozesse in Kunst- und Kulturinstitutionen
 9 — Teil 1: »Integration«: ein Ziel, ein Prozess, ein Konzept für die Zukunft?            bildeten die thematischen Schwerpunkte des Netzwerktreffens vom 10.
			 Eröffnungsvortrag von Prof. Dr. Naika Foroutan                                         und 11. November 2016.
                                                                                           Prof. Dr. Naika Foroutan plädierte in ihrem Vortrag für eine Rehabilitie-
14 — Teil 2: Funktioniert ressortübergreifende Zusammenarbeit?                             rung des Integrationsbegriffs. Dieser müsse vom Subtext der Assimila-
			 Impuls aus Sicht der Arbeitsebene am Beispiel der Initiative »Kultur öffnet Welten!«   tion befreit werden; es gehe vielmehr um die Integrationsfähigkeit einer
                                                                                           Gesamtgesellschaft. Integration und Desintegration seien keine Fragen
17 — Teil 3: Arbeitsgruppen – Wie steht es um die realen Veränderungsprozesse in Kunst-    der kulturellen, ethnischen, religiösen oder nationalen Herkunft allein,
			 und Kulturinstitutionen?                                                               sondern auch eine Frage von Schicht und Klasse, Gender, sexueller Orien-
                                                                                           tierung, etc. Zum Verständnis eines »postmigrantischen Integrationsbe-
26 — Zusammenfassung der Themen aus dem Speakers’ Corner                                   griffs« sei das Akronym ACTIV hilfreich: es stehe für Anerkennung, Chan-
                                                                                           cengleichheit und Teilhabe in Vielfaltsgesellschaften. Prof. Dr. Foroutans
29 — Kurzbiografien der Mitwirkenden                                                       Vortrag wurde lebhaft und kontrovers diskutiert, aber ihre Aussagen zum
                                                                                           nach wie vor höchst umstrittenen Integrationsbegriff bildeten zweifellos
31		 — Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Fünften Netzwerktreffens                         einen Meilenstein. Eine Zusammenfassung des Vortrags und der anschlie-
                                                                                           ßenden Diskussion ist in der vorliegenden Dokumentation zu finden.
32 — Impressum                                                                             Die Optimierung der ressortübergreifenden Zusammenarbeit auf Bundes-,
                                                                                           Länder- und kommunaler Ebene ist eine der wichtigsten Aufgaben, der
                                                                                           sich das Netzwerk seit seiner Gründung 2012 jedes Jahr aufs Neue stellt.
                                                                                           Hier konnten erneut viele Fortschritte verzeichnet werden. Dies kam vor
                                                                                           allem in der Präsentation regionaler Vernetzungsworkshops im Rahmen
                                                                                           von »Kultur öffnet Welten!« 2015/2016, einer Initiative der Beauftragten der
                                                                                           Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) koordiniert vom »netzwerk
                                                                                           junge ohren«, zum Ausdruck. Die ersten Erkenntnisse aus diesen Vernet-
                                                                                           zungsworkshops wurden mit Vertreterinnen und Vertretern der kommu-
                                                                                           nalen, Landes- und Bundesverwaltung im Netzwerk diskutiert. Die Zusam-
                                                                                           menarbeit mit allen Beteiligten der Initiative »Kultur öffnet Welten!« und
                                                                                           damit auch mit dem »netzwerk junge ohren« soll zukünftig fortgeführt
                                                                                           und intensiviert werden, um den Netzwerkmitgliedern Impulse für die
                                                                                           Schaffung neuer Synergien zu geben.
Netzwerk Kulturelle Bildung und Integration - Dokumentation des Fünften Treffens 10. und 11. November 2016
Das Thema der diversitätsorientierten Entwicklungsprozesse in Kunst- und                   Einleitung
Kulturinstitutionen wurde aus der Perspektive der Theater, der Museen
und der Beratung von Kulturinstitutionen in vielfaltsensiblen Öffnungspro-
zessen diskutiert. Dabei galt es, eine differenzierte Bestandsaufnahme zu
machen, die Übertragbarkeit innovativer Ansätze der letzten fünf Jahre in
Deutschland zu untersuchen und die noch bestehenden Widerstände bei den
diversitätsorientierten Entwicklungsprozessen im Kulturbetrieb zu benennen.         Die Idee für das 2012 gegründete Netzwerk Kulturelle Bildung und Integrati-
Dabei wurden Erkenntnisse und Vorschläge aus den letzten vier Jahren der            on wurde im Dialogforum »Kultur« des Nationalen Aktionsplans Integra-
Netzwerkarbeit reflektiert und ein »Realitätscheck« durchgeführt. Erste Ergeb-      tion 2011 geboren. Wichtige Akteure und Multiplikatoren hatten sich auf
nisse lassen sich in der vorliegenden Publikation nachlesen. Fest steht, dass       folgendes strategisches Ziel verständigt: Kulturelle Pluralität leben – in-
uns das Thema der diversitätsorientierten Entwicklungsprozesse in Kunst-            terkulturelle Kompetenz stärken. Drei operative Ziele sollen zum Erreichen
und Kulturinstitutionen weiterhin intensiv beschäftigen wird. Die Stiftung          dieses Ziels beitragen: a) Interkulturelle Öffnung von Kultureinrichtungen
Genshagen wird zudem nach neuen Wegen suchen, die Leitungsebene der                 und Kulturprojekten; b) Vernetzung der Akteure; c) Vermittlung von For-
Kunst- und Kulturinstitutionen stärker an die Netzwerkarbeit zu binden.             schungsergebnissen, Qualifizierungsprogrammen, Qualitätsstandards und
Die damals noch junge »Initiative kulturelle Integration«, die im Mai 2017 in die   Modellprojekten des interkulturellen Dialogs. Die Stiftung Genshagen hat
Formulierung der »15 Thesen zu kultureller Integration und Zusammenhalt«            gemeinsam mit der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Me-
mündete, wurde von Gabriele Schulz, stellvertretende Geschäftsführerin des          dien (BKM) das ressortübergreifende Netzwerk Kulturelle Bildung und Inte-
Deutschen Kulturrates, im Rahmen unseres Netzwerktreffens präsentiert und           gration aufgebaut und arbeitet an dessen Ausbau. Seit 2012 koordiniert und
diskutiert. Für die Zukunft zeichnen sich eine stärkere Auseinandersetzung          realisiert sie die Jahrestreffen. Das Netzwerk versteht sich als Austausch-
mit einzelnen Thesen im Rahmen der Netzwerkarbeit und eine engere Zusam-            plattform, aber auch als informeller Think Tank. Es befasst sich insbeson-
menarbeit mit dem Deutschen Kulturrat ab.                                           dere mit der Frage, worin die kunst- und kulturspezifischen Beiträge zur
Ein ganz besonderes Erlebnis war der Workshop mit der renommierten Jazz-            Integration liegen. Die Diversitätsentwicklung in Kunst- und Kulturinsti-
und Soul-Sängerin Jocelyn B. Smith, der uns die Macht der Musik und den             tutionen zieht sich als thematischer roter Faden durch das Netzwerk seit
Eigensinn der Kunst am eigenen Leib erfahren ließ. Mit einer Gesangseinlage         dessen Gründung. Die jährlichen Netzwerktreffen dienen dem Know-how-
im Bundeskanzleramt, zusammen mit Jocelyne B. Smith, konnten wir unserer            Transfer zwischen den Netzwerkmitgliedern und der Diskussion über Kon-
Zwischenbilanz fröhlichen Nachdruck verleihen. Für den sehr inspirierenden          zepte, Arbeitsansätze und pragmatische Modelle der ressortübergreifenden
Gesangsworkshop bedanken wir uns an dieser Stelle noch einmal sehr                  Zusammenarbeit. Dieser Erfahrungsaustausch soll in einem von Vertrauen
herzlich!                                                                           geprägten »geschützten Raum« erfolgen, in dem offen formuliert und kont-
In einer sehr offenen Begegnung bestärkte Staatsministerin Monika Grütters          rovers diskutiert werden kann.
die Netzwerkmitglieder in ihrer Arbeit und betonte, dass sie das Netzwerk als
einen Partner ansehe, der der BKM auch weiterhin beratend zur Seite stehen          Die Stiftung Genshagen wird bei der Programmarbeit für das Netzwerk von
solle. Sie freue sich auf Empfehlungen, wie der Bund seine Aktivitäten im           einem informellen Zusammenschluss von zwölf Personen, der Steuerungs-
Bereich der Kulturellen Integration intensivieren könnte. Wir freuen uns sehr       gruppe, beraten. Sie bestand 2016 aus Mustafa Akça (Komische Oper Berlin),
über den bisherigen gemeinsamen Weg und das uns entgegengebrachte Ver-              Manfred Fischer (Verwaltungsdirektor der Akademie der Künste, Berlin),
trauen. Wir bedanken uns bei Frau Staatsministerin Grütters und ihren Mitar-        Andreas Freudenberg (Geschäftsführer der Global Music Academy, Berlin),
beiterinnen und Mitarbeitern für die gute Zusammenarbeit und die Unterstüt-         Sigrid Gareis (freie Kuratorin), Ulf Großmann (Netzwerkstelle Kulturelle
zung der wertvollen Arbeit des Netzwerks, das sich innerhalb von vier Jahren als    Bildung Kulturraum Oberlausitz–Niederschlesien), Timo Köster (damaliges
bundesweite Plattform etabliert hat.                                                Geschäftsführendes Vorstandsmitglied, der Zukunftsakademie NRW), Uwe
Herzlichen Dank auch an alle Netzwerkmitglieder für ihre aktive Teilnahme.          Lübking (Beigeordneter des Deutschen Städte- und Gemeindebundes), Hans-
Nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf, wenn Sie Beiträge dieser Dokumen-             Joachim Ruile (ehem. Geschäftsführer des Kulturhauses Kresslesmühle
tation kommentieren möchten. Wir freuen uns über Anregungen, neue Frage-            GmbH/Internationales Kulturhaus Augsburg), Dr. Sebastian Saad (damali-
stellungen und weitere kontroverse Diskussionsthemen!                               ger Referatsleiter Kulturelle Bildung und Integration bei der Beauftragten
                                                                                    der Bundesregierung für Kultur und Medien, Berlin), Dr. Azadeh Sharifi
                                                                                    (Kulturwissenschaftlerin), Dr. Susanne Stemmler (Deutsche Kinder- und
                                                                                    Jugendstiftung), Matthias Wolf (damaliger Referatsleiter Kulturelle Bildung
                                                                                    im Ministerium für Kultus, Jugend und Sport, Baden-Württemberg).
Christel Hartmann-Fritsch                            Sophie Boitel

                                                                                                                                                         7

                                                                                    		 Anschließend Aussprache und Diskussion
 PRO G R A M M
		                                                                                  		 Moderation: Breschkai Ferhad

                                                                                    		 TEIL 3:
 des Fünftes
		             Treffens des                                                         		 Wie steht es um die realen Veränderungsprozesse in Kunst- und
                                                                                    		Kulturinstitutionen?
		 Netzwerks Kulturelle Bildung und Integration 2016
		                                                                                   17:10 Arbeitsgruppen
		 Zwischenbilanz der bisherigen Arbeit des Netzwerks und 		                        		Einführung
			Blick in die Zukunft                                                             		 Mustafa Akça, Leiter des interkulturellen Projekts »Selam Opera!«
                                                                                    		 und Mitarbeiter der Dramaturgie, Komische Oper Berlin
                                                                                           »Fokus externe Beratung zur vielfaltssensiblen Qualitätsentwick-
		Gesamtmoderation:
                                                                                    		lung im Kulturbetrieb«, Moderation: Naciye Demirbilek, Geschäfts-
		 Breschkai Ferhad, Bundesweiter Ratschlag kulturelle Vielfalt,
                                                                                    		führerin, W3 – Werkstatt für internationale Kultur und Politik e. V.,
		Berlin
                                                                                    		Hamburg
                                                                                    		     »Fokus Theater«, Moderation: Barbara Kantel, Dramaturgin und
                                                                                    		 ehem. Projektleiterin des Montagscafés, Staatsschauspiel Dresden
		 DONNERSTAG, 10. NOVEMBER 2016
                                                                                    		     »Fokus Museum«, Moderation: Dietmar Osses, Sprecher des Arbeits-
                                                                                    		 kreises Migration, Deutscher Museumsbund, Bochum
 14:00 Begrüßung und kurzer Rückblick auf die bisherigen
		Netzwerktreffen                                                                     18:10 Kurze Pause
		 Christel Hartmann-Fritsch, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied,
                                                                                     18:20 Resümee der Arbeitsgruppen und des ersten Tages im Plenum
		 und Sophie Boitel, Projektleiterin, Stiftung Genshagen
                                                                                    		 Moderation: Mustafa Akça und Breschkai Ferhad
		 Dr. Sebastian Saad, Referatsleiter Kulturelle Bildung und Integration
		 bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM),               19:15 Abendessen
		Berlin
                                                                                     20:30 Verständigung über die Prioritäten zum Vortrag im Bundes-
                                                                                    		kanzleramt
		 TEIL 1:
                                                                                    		 In Kleingruppen, moderiert durch Mustafa Akça, Breschkai Ferhad,
		 »Integration«: ein Ziel, ein Prozess, ein Konzept für die Zukunft?
                                                                                    		 Christel Hartmann-Fritsch
 14:30   Impulsvortrag aus der Sicht der Wissenschaft
		       Prof. Dr. Naika Foroutan, stellvertretende Leiterin des Berliner
		       Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung
                                                                                    		 FREITAG, 11. NOVEMBER 2016
		       (BIM), Berlin
		       Anschließende Diskussion
                                                                                     9:00 Vorbereitung auf das Gespräch im Bundeskanzleramt
   15:30 Kaffeepause                                                                		 mit Jocelyn B. Smith, Jazz- und Soulsängerin, Berlin

                                                                                     11:00 Vorstellung der »Initiative kulturelle Integration«
		 TEIL 2:
                                                                                    		 Gabriele Schulz, stellvertretende Geschäftsführerin,
		 Funktioniert die ressortübergreifende Zusammenarbeit auf
                                                                                    		 Deutscher Kulturrat, Berlin
		 Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene?
                                                                                    11:15 Aktuelles aus dem Netzwerk
 16:00   Impuls aus Sicht der Arbeitsebene am Beispiel der bundesweiten
                                                                                    		    Speakers’ Corner und Arbeit der Tandems
		       Initiative »Kultur öffnet Welten!«
		       Claudia Frenzel-Müncheberg, Projektleiterin, und Lydia Grün,                  11:45 Mittagsimbiss
		       Geschäftsführerin, netzwerk junge ohren, Berlin
                                                                                       13:30 Ankunft im Bundeskanzleramt
		       Vesile Sarıtaş, Projektleiterin »oneworld! Interkulturelles TV
		       Magazin«, Offener Kanal Magdeburg                                           14:00 Begrüßung
                                                                                    		 Prof. Monika Grütters MdB, Staatsministerin für Kultur und Medien
         Kommentare und Reaktionen
		       Dr. Sebastian Saad, Referatsleiter Kulturelle Bildung und Integration 		    14:10 Vorstellung der Zwischenbilanz des Netzwerks über die
		       bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien 		          		 vergangenen fünf Jahre
		       (BKM), Berlin                                                              		 Mit anschließender Diskussion und gemeinsamem Ausblick
		       Rebecca Eichhorn, Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft
                                                                                     15:20 Kurzes Resümee
		       und Kultur, Referat 32, Kulturentwicklung, Kulturförderung,
                                                                                    		 durch Prof. Monika Grütters MdB, Staatsministerin für Kultur und
		       Kulturelle Bildung, Hannover
                                                                                    		Medien
		       Harald Müller, Leiter des Kulturamts Neuss, in Kooperation mit dem
		       Deutschen Städtetag                                                           15:30 Ende der Veranstaltung
Netzwerk Kulturelle Bildung und Integration - Dokumentation des Fünften Treffens 10. und 11. November 2016
TEIL 1:
»I N T E G R AT ION«: E I N Z I E L , E I N PROZ E S S ,
E I N KON Z E P T F Ü R DI E Z U K U N F T ?

Zusammenfassung des Impulsvortrags von Professorin Dr. Naika Foroutan,
stellvertretende Leiterin des Berliner Instituts für empirische Integrations- und
Migrationsforschung (BMI), und der anschließenden Diskussion

Wir leben heute in einem postfaktischen Zeitalter,   Besonders heftig zeigt sich die Irrationali-
was weitreichende Auswirkungen auf die In-           tät des Postfaktischen daran, dass, während
tegrationsdebatte hat. Von den Menschen mit          die Angst vor erhöhter Kriminalität durch
Migrationshintergrund in Deutschland leben           Geflüchtete steigt, gleichzeitig die Angriffe
etwa 95 Prozent in Westdeutschland, nur fünf         auf Asylunterkünfte zunehmen. Andererseits
Prozent in Ostdeutschland – dennoch ist ge-          gibt es jedoch auch die sogenannte »Willkom-
rade in den neuen Bundesländern die Angst            menskultur«, die seit Beginn der sogenannten
vor Überfremdung besonders groß. Es besteht          »Flüchtlingskrise« zu zeigen versucht, dass
somit eine deutliche Ambivalenz zwischen             die Geflüchteten in Deutschland gerne aufge-
dieser Angst und den tatsächlich vorliegenden        nommen werden.
Fakten.
Subjektive Fehleinschätzungen ergeben sich
beispielsweise auch bei der Frage nach dem           Kurze Geschichte des
Anteil von Muslimen an der Gesamtbevölke-
                                                     Integrationsbegriffs seit
rung in Deutschland. Während dieser Anteil
real zwischen 4 und 5 Prozent der Gesamtbe-          den 1950er Jahren
völkerung beträgt, wird er von 69 Prozent der
Befragten teilweise stark überschätzt. 21,6          Der Begriff »Integration« wurde in den 1950ern
Prozent der Befragten vermuten den Anteil            und 1960ern stark mit den sogenannten
der Muslime an der Bevölkerung bei zwischen          »Gastarbeitern« in Verbindung gebracht. Bis
11 und 20 Prozent. Der Anteil der Befragten,         zum Anwerbeabkommen 3 1955 spielte er je-
die den Anteil der Muslime mit 21 Prozent und        doch keine große Rolle.
mehr sehr stark überschätzen, liegt bei 23 Pro-      Die 1970er Jahre waren durch den Anwerbe-
zent. 1                                              stopp und den einsetzenden Familiennach-
Die Angst vor Überfremdung bleibt somit              zug geprägt. 4 Begriffe wie »Kofferkinder« und
eine reine Idee ohne eine reale, faktenbasier-       »Türkenklassen« standen damals im Mittel-
te Grundlage. Mit Aussagen wie »Die Türken           punkt. Man glaubte noch, dass diese Men-
erobern Deutschland genauso, wie die Koso-           schen sowieso wieder gehen würden.
varen den Kosovo erobert haben: durch eine           Durch das Kühn-Memorandum 5 1979 fand
höhere Geburtenrate«, nährte Thilo Sarrazin          in den 1980er Jahren eine Kehrtwende statt.
2010 2 diese Angst – ebenfalls ohne empiri-          Erste Konzepte zur Bildungsbeteiligung und
sche Grundlage. Die meisten Einwanderer in           Integration der ersten Generation von Immi-
Deutschland stammten damals wie heute aus            granten wurden entwickelt, denn nun war
europäischen Ländern, der Großteil sogar aus         klar, dass die »Gastarbeiter« vielmehr Einwan-
der Europäischen Union. Empirische Daten             derer waren, die nicht zurückkehren würden.
und Argumente scheinen die Menschen nicht            In den 1990er Jahren kam es zu Rückschritten
mehr zu erreichen.                                   in Sachen Integration. Die Pogrome in Ros-

                                                                                             11
Netzwerk Kulturelle Bildung und Integration - Dokumentation des Fünften Treffens 10. und 11. November 2016
tock-Lichtenhagen und Hoyerswerda sowie                    1. Strukturell, d. h. über Bildungsgrad, Arbeits-   Gesellschaft angebracht ist. Darüber hinaus        »Konvivialismus« ist ein wichtiger Begriff,
das Ende des Asylkompromisses erschütterten                marktpräsenz etc.                                   haben bei gleichem Bildungsgrad Migrantin-         um ein neues Integrationskonzept zu be-
den Integrationsdiskurs im Land.                           2. Kulturell, z. B. darüber, wie gut die Spra-      nen und Migranten sowie Menschen mit Mi-           schreiben, denn letztlich geht es um die Fra-
Die 2000er waren von einem pragmatischen                   che des Aufnahmelandes gesprochen wird, ob          grationshintergrund schlechtere Berufschan-        ge des Miteinanders 11. Der Begriff »Integrati-
Realismus geprägt: das Verständnis von                     muslimische Mädchen am Schwimmunter-                cen. Die deutsche Gesellschaft muss weg vom        on« sollte aber nicht aufgegeben werden. Hier
Deutschland als Einwanderungsland wuchs                    richt teilnehmen etc.                               Leistungsmythos, laut dem bei ausreichender        kann auch auf Wortergreifungsstrategien
ab 2001 und wurde zu einem politischen Nar-                3. Sozial, d. h. über Freundschaften, Nachbar-      Leistung einem Bildungsaufstieg nichts im          und politische Kommunikation verwiesen
rativ, mit dem sich auch die Gesetzgebung än-              schaftskontakte, Heiratsverhalten.                  Wege stehe.                                        werden. Wir müssen für unsere Worte kämp-
derte. Das neue Staatsangehörigkeitsgesetz (2000),         4. Emotional, identifikativ, d. h. wie sehr man                                                        fen und sie zurückgewinnen. Das Wort »Inte-
das Einwanderungsgesetz (2005) 6, die Leitkulturde­        sich mit der neuen bzw. alten Heimat verbun-        Besonderes Augenmerk der Integrationsde-           gration« muss vom Subtext der Assimilation
batte (2000) und der Nationale Integrationsplan 7          den fühlt.                                          batte liegt auch auf Ebene 4 des Modells, dem      befreit werden. Klaus Bade und Michael Bom-
zeugten von der enormen Macht des Begriffs                                                                     emotionalen Raum, d. h. dem Grad der Iden-         mes haben dies bereits 2004 versucht: »Inte-
der »Integration«, aber auch vom Empower-                  Dieses Modell ist einfach, aber zu einsei-          tifikation. Denn es geht heute in der öffentli-    gration ist die messbare Teilhabe aller an den
ment innerhalb der Gruppen mit Migrations-                 tig, denn es fasst lediglich die Menschen mit       chen Integrationsdebatte viel um Fragen der        zentralen Bereichen des gesellschaftlichen
hintergrund. Es kam zu starken Aushandlun-                 Migrationshintergrund in den Blick. Die Ge-         Haltung, nicht nur der Herkunft: Mit welchem       Lebens, d. h. an Erziehung, Bildung, Ausbil-
gen und Positionskämpfen, vor allem ab 2010                samtgesellschaft und deren Grad an Integra-         Land, welcher Kultur und welchen Werten            dung, Arbeitsmarktrecht, sozialer bis hin zu
angeheizt durch Thilo Sarrazins Buch Deutsch­              tionsfähigkeit wird nicht beachtet. Auch so-        identifiziere ich mich? Die Debatte stellt da-     politischer Partizipation.«12 »Migrant« taucht
land schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel set­   genannte Herkunftsdeutsche 9 können gemäß           durch Menschen aller sozialer Gruppen, poli-       in dieser Definition nicht auf, denn hier ist
zen 8 . Sarrazin beschäftigte sich darin mit Fol-          diesem Modell als »desintegriert« eingestuft        tischer Lager und Ethnien in Deutschland den       Integration ein Ziel, das alle betrifft und kei-
gen der Kombination von Geburtenrückgang,                  werden, wenn diese beispielsweise vom Ar-           neuen Migrantinnen und Migranten gegen-            ne kulturelle, ethnische Frage. Merken kann
wachsender Unterschicht und Zuwanderung                    beitsmarkt ausgeschlossen oder nicht sozial         über. Dadurch dient die aktuelle Integrations-     man sich auch das Akronym ACTIV, das für
aus überwiegend muslimischen Ländern, die                  integriert sind. Zudem liegen dem Modell be-        debatte dazu, viele andere soziale Konfliktlini-   Anerkennung, Chancengleichheit, Teilhabe
seiner Ansicht nach Deutschlands Zukunft                   stimmte kulturelle Vorstellungen von Integ-         en zu überdecken, z. B. Bildungsgerechtigkeit,     in vielfältigen Gesellschaften steht. Es ist
gefährden.                                                 ration zugrunde, die man kritisch sehen kann.       Gender etc. Die Debatte ist somit eine Art         eine Art Add-on zu Bade und Bommes, da es
                                                           Ist ein Mädchen mit Kopftuch, das nicht am          Deckmantel für die eigentlichen gesellschaft-      Anerkennung hinzufügt, denn diese ist es,
Wie sich in diesem kurzen Abriss der Ge-                   Schwimmunterricht teilnimmt, automatisch            lichen Herausforderungen bzw. Klüfte.              wonach jeder Mensch strebt.
schichte zeigt, erfolgte die Entwicklung eines             weniger integriert? Muss ein Individuum sich
Verständnisses von »Integration« in Wellen-                für eine bestimmte Nationalität entscheiden
bewegungen. Dabei geriet auch der Integrati-               oder ist das lediglich eine Forderung des auf-
onsbegriff selbst immer wieder in die Kritik:              kommenden neuen Nationalismus?
So suggeriert »Integration«, dass es eine Kern-                                                                DI SK US S ION
gemeinschaft gibt, die bereits integriert ist,
und eine Gemeinschaft von Zugezogenen, die                 Konzept für die Zukunft
es noch zu integrieren gilt. Integration in die-
sem Sinne erweckt den Eindruck, eine Assi-                 Integration sollte als »postmigrantisch« bzw.       Im Anschluss an den Vortrag fand eine Dis-         In der Diskussion wurde zudem angespro-
milation der Migrantinnen und Migranten zu                 gesamtgesellschaftlich verstanden werden.           kussion mit den anwesenden Netzwerkmit-            chen, dass Integration und Postmigration
fordern. Der Begriff wurde deswegen immer                  Dabei geht Integration alle an. In der Integra-     gliedern statt, deren Fokus auf dem Verständ-      unscharfe Begriffe sind. Während sie analy-
stark kritisiert. Es wurde deshalb versucht,               tionsdebatte zeigt sich jedoch ein Paradox: Je      nis des Integrationsbegriffs und insbesondere      tisch und sozialwissenschaftlich zwar erfass-
ihn durch andere, inklusivere Begriffe wie z. B.           besser strukturelle Integration von Migran-         auf der im Vortrag angestoßenen Erweiterung        bar sind, bleiben sie in anderen Aspekten – vor
»Superdiversity« und »Transnationalismus« zu               tinnen und Migranten sowie Menschen mit             des Konzepts als »postmigrantische Integra-        allem in ihrer normativen Dimension – un-
ersetzen. In jüngerer Zeit zeichnet sich jedoch            Migrationshintergrund in den letzten Jahren         tion« lag. Hervorgehoben wurde dabei der in-       scharf. Auch wurde kritisch diskutiert, dass
eine Umdeutung des Integrationsbegriffs ab:                gelang, desto stärker wurde eine Integrati-         tuitive, künstlerische Zugang zu dem Begriff,      dem Begriff »postmigrantisch« noch die Ana-
Es wird häufiger über die »Integrationsfähig-              onsdebatte à la »gelingende Integration ist ei-     der nicht von Anfang an den Anspruch erhebt,       lysewerkzeuge fehlen, um gegenwärtige Aus-
keit« unserer Gesellschaft gesprochen, statt               gentlich gar nicht möglich« geführt 10. Obwohl      analytisch zu sein. Der Begriff, der im Kunst-     schlussmechanismen unserer Gesellschaft
über die Integration von Migrantinnen und                  z. B. die Bildungsbeteiligung und Abiturquote       und Kulturbereich entwickelt wurde, schließt       zu verstehen und zu analysieren. Ein stärke-
Migranten. Die Gesamtgesellschaft muss                     bei türkischstämmigen Schülerinnen und              eine Lücke in der soziologischen Forschung,        rer Bezug auf den Inklusionsbegriff wurde
demnach die nötigen Strukturen bieten, um                  Schülern in den letzten Jahren enorm gestie-        indem er sich mit den nicht analytisch bzw.        als mögliche Lösung in Erwägung gezogen,
Integration gelingen zu lassen. Dies lässt sich            gen sind, glauben viele, »Türken seien nicht        empirisch erfassbaren Aspekten des Konzepts        da dieser Analysekategorien ermöglicht, die
als reflexive Wende im Integrationsverständ-               bildungsfähig«. Es handelt sich dabei um eine       der Integration befasst. Außerdem bietet er ei-    Distinktionsmechanismen zum Thema ma-
nis beschreiben.                                           rassistische Behauptung: man geht davon aus,        nen Zugang zu dem Konzept der Integration,         chen, und auch Aspekte wie Chancengleich-
                                                           dass es so ist und stellt es nicht in Frage.        der es möglich macht, sich eine Gesellschafts-     heit und Teilhabe abdeckt. Zudem scheint der
4-Ebenen-Modell (Esser/Alba etc.):                         Was hingegen der Realität entspricht, ist eine      form und Perspektiven des Zusammenlebens           Begriff passend, da er den Aspekt der Barrie-
Integration wird in der Wissenschaft häufig                starke Bildungsbenachteiligung in dieser            vorzustellen. Kritisiert wurde, dass der Begriff   refreiheit betont und die Zuständigkeiten für
mithilfe des »4-Ebenen-Modells« untersucht.                Gruppe, über die es sich zu reden lohnt und         »postmigrantisch« den Anschein erwecken            Inklusion umkehrt. Der Inklusionsbegriff ist
Dieses misst den Grad der Integration:                     bei der das Thema Integrationsfähigkeit der         könnte, dass Migration aufgehört habe.             jedoch stark mit den Anliegen von Menschen

   12                                                                                                                                                                                                      13
Netzwerk Kulturelle Bildung und Integration - Dokumentation des Fünften Treffens 10. und 11. November 2016
mit Behinderungen verbunden und wird von                                       Teilhabegerechtigkeit – schwer messbar, aber für
ihnen für ihre politischen Ziele verwendet. Dies                               das Verständnis von Integration dennoch von
ist ein entscheidendes Argument gegen die Ver-                                 großer Relevanz.
wendung des Begriffs bei Fragen der Integration.
                                                                               In diesem Kontext wurde auch die Idee eines
Auch die in dem Vortrag von Foroutan angesto-                                  »sinnstiftenden Endpunkts«, die in dem Impuls-
ßene Subsumierung von Chancengleichheit, An-                                   vortrag vorgestellt wurde, im Plenum aufgegrif-
erkennung und Teilhabe unter dem Begriff der                                   fen. Vor allem die Frage, was dieser sinnstiften-
»postmigrantischen Integration« wurde von ei-                                  de Endpunkt sein könnte und wer ihn definiert,
nigen Teilnehmenden des Netzwerktreffens kri-                                  wurde kritisch beleuchtet. Es wurde angeregt,
tisch diskutiert. Insbesondere wurde angemerkt,                                den sinnstiftenden Endpunkt als philosophische
dass es sich um Begriffe sui generis handelt, die                              Vorstellung zu verstehen, bei der der sinnstiften-
nicht ohne weiteres dem Konzept der postmig-                                   de Endpunkt nicht im Hier und Jetzt verankert
rantischen Integration untergeordnet werden                                    sein muss, sondern als Leitbild verstanden wird,
dürfen, da dies die Gefahr birgt, die Begriffe zu                              zu dem die Gesellschaft sich hin entwickeln kann.
entkernen. Außerdem wurde im Plenum die Fra-                                   Ein Integrationsbegriff mit sinnstiftendem End-
ge aufgeworfen, ob das Konzept der Teilhabege-                                 punkt könnte die Herstellung von Anerkennung,
rechtigkeit dem gesamten Potenzial des Integra-                                Chancengleichheit und Teilhabe sein. Dies wür-
tionsbegriffs gerecht werden kann. Dem Begriff                                 de eine Umdeutung des Begriffs hin zu einer Ein-
»Integration« wohnt etwas Konflikthaftes, Span-                                beziehung von allen Menschen ermöglichen und
nungsvolles inne, das in »Teilhabegerechtigkeit«                               der Begriff könnte als etwas Zukunftsweisendes
weniger enthalten ist, da sie eher Aspekte des                                 verstanden werden.
Zusammenlebens abdeckt, auf die man einen
Anspruch hat.                                                                  Ein weiteres Thema, das in der Diskussion ange-
                                                                               sprochen wurde, ist der Kontrast zwischen dem
Insbesondere auf die Frage nach der Subsumie-                                  umfassenden Faktenwissen zum Thema Migra-
rung von Anerkennung, Chancengerechtigkeit                                     tion, das in dem Vortrag von Foroutan angespro-
und Teilhabe unter dem Begriff der »postmig-                                   chen wurde, und der gegenwärtigen Verunsiche-
rantischen Integration« argumentierte Foroutan                                 rung in der Gesellschaft. Auf die Frage, warum es
dagegen, dass mit den drei o. g. Begriffen die As-                             nicht gelingt, das vorhandene Zahlenmaterial in
pekte zusammengefasst werden, die für ein um-                                  der Gesellschaft bekannt zu machen und so auf
fassendes Verständnis des Integrationsbegriffs                                 Unwissenheit basierende Vorurteile abzubauen,
relevant sind. Zwar können alle diese Worte auch                               führte Foroutan aus, dass das Problem vielmehr
für sich alleine stehen. Der Integrationsbegriff                               darin liegt, dass der Kausalzusammenhang zwi-
ist jedoch ein subsumierender Begriff, der einer-                              schen Wissen und Abbau von Stereotypen gegen-
seits viele mit dem Konzept verbundene Themen                                  wärtig nicht mehr funktioniert. Obwohl es viele
berührt, und andererseits immer mit einer nor-                                 Kanäle gibt, über die Informationen zugänglich
mativen Auflage verbunden ist. Insbesondere hob                                sind, und die Fakten oftmals bekannt gemacht
Foroutan den Aspekt der Anerkennung hervor,                                    werden, basieren Haltungen verstärkt auf emoti-
der ein philosophisch normativer Ansatz ist und                                onalen Grundlagen, auch wenn die Fakten dage-
daher – im Gegensatz zu Chancengleichheit und                                  gen sprechen.

    1)   Naika Foroutan/Coskun Canan/Sina Arnold/Benjamin Schwarze/Steffen Beigang/Dorina Kalkum, Deutschland postmigrantisch
   		    I. Gesellschaft, Religion, Identität – Erste Ergebnisse, Berlin 2014, S. 44
    2)   Thilo Sarrazin, Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen, Deutsche Verlags-Anstalt (DVA), München 2010
    3)   Kabinett Adenauer II, »Vereinbarung über die Anwerbung und Vermittlung von italienischen Arbeitskräften nach der Bundesrepublik
   		    Deutschland« vom 20. 12.1955
    4)   Kabinett Brandt I, »Anwerbestopp ausländischer Arbeitnehmer« vom 23.11.1973
    5)   Heinz Kühn (Beauftragter der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration), »Stand und Weiterentwicklung der
   		    Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien in der Bundesrepublik Deutschland«, September 1979
    6)   Kabinett Schröder I und II, »Das Zuwanderungsgesetz (Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung
   		    des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern)«, Januar 2005
    7)   Anm. d. Red.: Auf dem ersten Integrationsgipfel am 14. Juli 2006 wurde beschlossen, einen Nationalen Integrationsplan zu erstellen
    8)   Sarrazin, Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen
    9)   Anm. d. Red.: ohne migrantische Vorfahren in den letzten zwei Generationen
   10)   Vgl. Ferdinand Sutterlüty, Sippenhaft: Negative Klassifikationen in ethnischen Konflikten, Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2010
   11)   Vgl. Frank Adloff/Volker M. Heins, Konvivialismus. Eine Debatte, transcript Verlag, Bielefeld 2015
   12)   Klaus J. Bade/Michael Bommes/Rainer Münz, Migrationsreport 2004. Fakten – Analysen – Perspektiven. Für den Rat für Migration, Campus Verlag,
   		    Frankfurt a.M./New York 2004

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Netzwerk Kulturelle Bildung und Integration - Dokumentation des Fünften Treffens 10. und 11. November 2016
Synergien und lokale Vernetzung sind ein Gut,     berücksichtigt wurden. Dies bedeutet konkret,
                                                                                                 das wiederbelebt und in ggf. modifizierten        dass sich Zeit für Kommunikation (auch für
                                                                                                 Formen neu gedacht werden muss. Bei den           und innerhalb der Verwaltung) genommen
                                                                                                 Workshops wurden Impulse für neue Vernet-         werden muss.
T E I L 2:                                                                                       zung und Austausch geschaffen, was bereits        Eine Einbindung von migrantischen Akteu-
                                                                                                 beim neuen Zusammenstellen und Recher-            rinnen und Akteuren in Entwicklungs- und
F U N K T ION I E RT R E S S ORT Ü BE RG R E I F E N DE                                          chieren von übergreifenden Adressverteilern       Entscheidungsprozesse und die Nutzung mi-
                                                                                                 vor Ort beginnt. Für jeden Workshop wurde         grantischer Kompetenz in der Verwaltung
Z US A M M E NA R BE I T ?                                                                       ein spartenübergreifender, akteurszentrierter     sind ebenfalls notwendige Bedingung für eine
                                                                                                 Verteiler durch das Projektbüro vom netzwerk      gelingende Zusammenarbeit. Fördermecha-
                                                                                                 junge ohren mit einem regionalen Screening        nismen stehen vor neuen Herausforderungen
Als impulsgebende und praxisorientierte Einführung zur Frage »Funktioniert ressortüber-          zusammengestellt und mit den Partnerinnen         und müssen überdacht werden: Dazu sollte
greifende Zusammenarbeit auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene?« präsentierten               und Partnern vor Ort abgestimmt.                  sich die Förderkonzentration auf sogenannte
Lydia Grün und Claudia Frenzel-Müncheberg, Geschäftsführerin und Projektleiterin bei                                                               Leuchttürme zugunsten der Förderung von
netzwerk junge ohren, Berlin, zusammen mit Vesile Saritaş, Projektleiterin bei »oneworld!        Spartenübergreifende Kooperationen erfor-         Beziehungsarbeit verändern. Ein Zusammen-
Interkulturelles TV Magazin« beim Offenen Kanal Magdeburg, die regionalen Vernetzungs-           dern in etablierten Betriebsstrukturen andere     denken von Kultureller und politischer Bil-
workshops, die im Rahmen des ersten Jahres der Initiative »Kultur öffnet Welten!« 2015/2016      Abläufe. Bevor eine neue Beziehung etabliert      dung ist darüber hinaus nötig.
stattgefunden haben.                                                                             ist, muss Zeit in die Kommunikation der un-
                                                                                                 terschiedlichen Bereiche investiert werden.       Die Ergebnisse der regionalen Vernetzungsworkshops
                                                                                                 Neue Kooperationen bedürfen veränderter           von »Kultur öffnet Welten!« von 2015 bis 2017 werden
                                                                                                 Kommunikation mit neuen Kooperations-             aktuell ausgewertet und im Laufe des Jahres in ver­
Energien und Synergien an einem Ort                                                              partnerinnen und -partnern, die über Kompe-       schiedenen Formen, unter anderem auf der Plattform
                                                                                                 tenzen verfügen, die bisher nicht ausreichend     von »Kultur öffnet Welten!«, veröffentlicht.
zusammenbringen

In acht verschiedenen Bundesländern hat das netzwerk junge ohren in seiner Funktion als Koor-    DI SK US S ION
dinierungsstelle der Initiative »Kultur öffnet Welten!« an verschiedenen Orten Workshops zu
regional relevanten Themen organisiert, um möglichst viele Akteurinnen und Akteure der Kul-
tur, der zivilgesellschaftlichen Institutionen, der Kommunen und der Migrant/innenorgani-        In einem Statement zur ressortübergreifen-        Eine Hilfestellung bietet dabei die Initiative
sationen an einen Tisch zu bringen. Es galt herauszufinden, wer in den Regionen, Dörfern und     den Zusammenarbeit aus Sicht der Kommu-           »Kultur öffnet Welten!« u. a. durch Informati-
Städten Kultur »macht« – vom Theater und Kulturvereinen über das soziokulturelle Zentrum bis     nen ging Harald Müller, Kulturamtsleiter der      onen wie zum Beispiel Fachexpertise, die sie
zum Deutschen Roten Kreuz – und wie die Beteiligten sich vor Ort miteinander vernetzen kön-      Stadt Neuss, auf die gegenwärtigen Heraus-        zugänglich macht. Eva Stein, Redaktionslei-
nen, um bereits vorhandene Potenziale in der inter- bzw. transkulturellen Arbeit gemeinsam zu    forderungen der kommunalen Kulturarbeit           terin im Haus der Kulturen der Welten, stellte
stärken. Ebenfalls sollte die Frage geklärt werden, welche Hilfestellungen und Rahmenbedin-      und die unterstützende Rolle des Bundes ein.      in diesem Zusammenhang die Internetplatt-
gungen dafür nötig sind.                                                                         Hinsichtlich der Zusammenarbeit mit dem           form von »Kultur öffnet Welten!« www.kul-
                                                                                                 Bund betonte er die Wichtigkeit des gene-         tur-oeffnet-welten.de und ihren zukünftigen
                                                                                                 rellen Inputs ebenso wie die politischen Be-      Ausbau vor.
                                                                                                 kenntnisse zur Kulturellen Bildung und Inte-
Leitthemen                                                                                       gration seitens des Bundes für die Arbeit von     Mit Blick auf die aktuellen Herausforderun-
                                                                                                 Akteurinnen und Akteuren auf kommunaler           gen für Kommunen ist es außerdem für die
Folgende übergreifende »Leitthemen« konn-         Die Balance zwischen dem hohen Anteil eh-      Ebene. Während die Themen Kulturelle Bil-         Themenfelder Kulturelle Bildung und Integ-
ten aus allen Workshops identifiziert werden:     renamtlichen Engagements, gerade im länd-      dung und Interkultur zentral in der kommu-        ration besonders relevant, ein kommunales
Wissenstransfer ist nach wie vor ein bundes-      lichen Raum, und professionellem Handeln       nalen Kulturarbeit sind, bestehen auf diesem      Handlungskonzept zu entwickeln, um den
weit relevantes Thema. Vielerorts gibt es sehr    und Kompetenzen der Kulturellen Bildung        Gebiet große Herausforderungen. Kommuna-          Umgang mit diesen Themen in der eigenen
unterschiedliche Erfahrungen in der inter-        muss neu ausgelotet werden. Methoden und       le Ämter, die für Kultur zuständig sind, sind     Gemeinde zu definieren und Strukturen dafür
bzw. transkulturellen Kulturarbeit und be-        Werkzeuge wie bspw. die der Mediation sind     oftmals sehr ausgelastet. Es ist daher wichtig,   zu schaffen.
gleitend dazu den steigenden Bedarf, dieses       hier strukturell von Nöten.                    Vereinfachung, Übersichtlichkeit und Profes-
Wissen regional zu vervielfachen und zu teilen.                                                  sionalisierung herzustellen.
Digitale Plattformen sind dafür ein Lösungs-      Ein zentraler Erfolgsfaktor für das Gelingen
weg, der jedoch den direkten Austausch von        von kultureller Arbeit ist eine ausgewogene
Praxiswissen nicht ersetzt. Kritische Reflek-     und flexible sowie wechselseitig offene Kom-
tionen im Gespräch von Mensch zu Mensch,          munikation zwischen Projekt-Macherinnen
auch anhand von fachlichen Impulsen, wur-         und -machern und Vertreterinnen und Ver-
den innerhalb der Workshops nachgefragt.          tretern der Verwaltung.

   16                                                                                     16                                                                                                    17
Netzwerk Kulturelle Bildung und Integration - Dokumentation des Fünften Treffens 10. und 11. November 2016
T E I L 3:
W I E S T E H T E S UM DI E R E A L E N
V E R Ä N DE RU NG SPROZ E S SE I N K U NS T- U N D
K U LT U R I NS T I T U T ION E N ?

A R BE I T S G RU PPE 1 :
Fokus externe Beratung zur vielfaltssensiblen
Qualitätsentwicklung im Kulturbetrieb
Moderation: Naciye Demirbilek, Geschäftsführerin, W3 – Werkstatt für internationale
Kultur und Politik e. V., Hamburg

Naciye Demirbilek berichtete über die Bera-                   nehmen und einer Kritik unterziehen. Insofern stehen
tungstätigkeit von W3 – Werkstatt für interna-                auch Intersektionalität und damit der Umgang mit
tionale Kultur und Politik e. V. und insbeson­                Mehrfachdiskriminierung im Fokus unserer Arbeit.
dere über das Projekt [in:szene] – mehr Vielfalt              [in:szene] steht dabei für Veränderung der Kulturbetrie­
im Kulturbetrieb – 13: Die Grundidee des Projektes            be von innen: durch den Einbezug vielfältiger Sicht- und
besteht darin, sich vom Begriff der in­terkulturellen Öff­    Arbeitsweisen, durch gemeinsames Denken und Suchen,
nung der Kulturinstitution zu verab­schieden hin zur          durch Repräsentation statt Präsentation, durch eine
vielfaltssensiblen, diversitätsorientier­
                                        ten Öffnung im        Öffnung, die mehr Beteiligung und Teilhabe beinhaltet.
Kulturbetrieb. Das Projekt steht für unsere Vision einer
Kulturszene, in der sich eine vielfältige Gesellschaft wi­    Wie eine solche vielfaltssensible Öffnung gelingen und
derspiegelt und Gehör findet – und somit letztendlich         eine Kulturarbeit aussehen kann, die gesellschaftlichen
auch eine gerechte Teilhabe aller ermöglicht.                 Ausschlüssen entgegentritt und (Selbst)Repräsentatio-
Wir verwenden dabei bewusst den Begriff »vielfalts­           nen ermöglicht – das steht im Fokus unseres Projekts.
sensible Öffnung«, um deutlich zu machen, dass wir ein        Dabei ist es wichtig, den Perspektivwechsel zu durch­
Verständnis von Vielfalt zugrunde legen, welches über         laufen: es geht eigentlich nicht um die Zielgruppen, die
die üblichen Ansätze im Unternehmensbereich hinaus­           zu erreichen sind, sondern darum, den Fokus auf die Ge­
geht, Machtverhältnisse und deren Geschichte in den           samtinstitution zu setzen. Festgefahrene Abläufe bis hin
Blick nimmt und Ausschlüsse auf individueller, gesell­        zu ausschließenden und unbewusst auch rassistischen
schaftlicher und struktureller Ebene thematisiert. Die­       Strukturen sollen in den Blick genommen und in Frage
ses Verständnis beinhaltet gleichzeitig eine Absage an        gestellt werden. Fachliche Expertise sowie finanzielle
ein naives oder romantisches Verständnis von Diversi­         Ressourcen müssen in den Wandlungsprozess mitein­
tät, in dem »alles so schön bunt und vielfältig« erscheint,   bezogen werden, wobei der Wille zum Wandel im Kul­
aber Hierarchien und Diskriminierungen ausgeblendet           turbetrieb als Grundlage vorhanden sein muss. Es han­
werden. Wir verstehen den Begriff politisch und wollen        delt sich um eine strukturelle Veränderung, bei der die
unter der Überschrift »Diversität« auch Machtstruk­           Beteiligung der gesamten Belegschaft und nicht nur der
turen und strukturelle Benachteiligungen in den Blick         Leitungsebene notwendig ist, so Naciye Demirbilek.

DI SK US S ION
Die größte Herausforderung: vom Bewusst-                      und -träger in Kulturinstitutionen geben zu,
sein hin zur operativen Umsetzung                             hierfür keine Strategien zu haben. Es fehlen
Mittlerweile ist es vielen Kulturinstitutionen                also Konzepte, wobei die Häuser bereits den
bewusst, dass diversitätsorientierte Entwick-                 Druck haben, sich zu öffnen: Das Problem des
lungsprozesse ein zukunftsweisendes Thema                     Publikumsschwunds ist bekannt, viele Men-
sind, doch viele Entscheidungsträgerinnen                     schen werden nicht erreicht, auch wenn die

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Förderer schon klare Ansprüche an die Insti-      dadurch gesellschaftliche Verantwortung ge-       bricht man die Routine und wie lässt man           turen. Durch die Analyse, Beschreibung und
tutionen haben, unterrepräsentierte Gruppen       weckt. Es wurde in diesem Zusammenhang            sich auf Veränderung ein? Sind wir bereit, be-     Hinterfragung dieser Strukturen werden
miteinzubeziehen. Selbst wenn der Wille da        die Frage gestellt, wie der Kultursektor sich     stimmte Themen ohne Tabu in unserer Ins-           längerfristige, klare und spezifische Hand-
ist, fehlen oft die Mittel und die Kompetenzen,   den mit den Diversitätsentwicklungsprozes-        titution zu thematisieren, wie z. B. Ausgren-      lungsoptionen eingeleitet und somit deren
denn bei einem so umfangreichen Prozess           sen verbundenen Herausforderungen stellen         zungsmechanismen und Ausschlüsse?                  Veränderungspotenziale in den Fokus ge-
müssen alle Ebenen der Einrichtung unter die      könne, die durch die Fluchtbewegung 2015                                                             stellt. Gibt es ein gemeinsames Verständnis
Lupe genommen werden.                             und 2016 noch verstärkt wurde.                    Externe fachliche Begleitung wahrnehmen            von grundlegenden Begriffen und Konzepten
                                                  Ein Beispiel aus einer Mittelstadt wurde von      Die »interkulturelle Öffnung von Kunst- und        (z. B. »Kultur«)? Wie werden Teilhabe, Vielfalt,
Welche zwischenmenschlichen Schwierig-            einem Netzwerkmitglied dargestellt: Nach          Kulturinstitutionen« wird seit Jahren poli-        Barrierearmut und Diversität verstanden?
keiten können mit diversitätsorientierten         zehn Jahren Diskussion wurde endlich ein          tisch gefordert. Man braucht hierfür aller-        Wie ist die Umsetzung im Alltag? Oder ist es
Entwicklungsprozessen einhergehen?                Konzept für die Stadt verfasst: »Es dauert Jah-   dings Ressourcen und Kompetenzen, die              nur in Leitbildern verankert und liegt in der
Auf der operativen Ebene kann sich der Wand-      re, bis man genug Verbündete in der Stadt hat,    vielerorts fehlen. Viele Kunst- und Kulturins-     Schublade? Wie spiegeln sich die im Leitbild
lungsprozess schwierig gestalten, da Men-         um den Willen zur Öffnung der Einrichtun-         titutionen sind nicht in der Lage, die richtigen   verankerten Grundsätze in den institutio-
schen sich in homogenen Gruppen sehr wohl         gen zu erreichen. Damit sind die Kulturins-       Fragen zu stellen, daher muss über Unterstüt-      nellen Strukturen wider? Wer wird bei stra-
fühlen und man Mitarbeiterinnen und Mit-          titutionen jedoch noch lange nicht geöffnet,      zungsstrukturen gesprochen werden. Diejeni-        tegischen Entscheidungen miteinbezogen?
arbeiter oft überfordert, wenn Diversität über    denn auch dies kann wiederum zehn Jahre           gen, die es alleine versuchen, scheitern oft,      Wie sind die Kooperationen gestaltet und wie
alles gestellt wird. Es wird in kulturpädago-     dauern.«                                          daher brauchen sie professionelle Unterstüt-       sichtbar sind die einzelnen Partner darin?
gischen Einrichtungen und Schulen häufig          Ein Ansatz zur Zielerreichung könnte in der       zung.                                              Perspektiven anzunehmen, die nicht der ei-
gesagt, dass sie sich nicht auf diversitätsori-   Frage nach der Einschätzung der Entwicklun-       Das Thema Rassismus wurde von der Gruppe           genen entsprechen, oder Gewohnheiten zu
entierte Entwicklungsprozesse eingelassen         gen liegen. Wenn die Haltung nicht da ist,        vertieft behandelt, genau wie die Frage, wie       verlassen, ist nicht selbstverständlich und er-
hätten, wenn sie vorher gewusst hätten, was       muss sie erzwungen werden, z. B. durch Zah-       Einrichtungen mit diesem sensiblen Punkt           fordert auch Mut und Stärke. Es gelingt nicht
auf sie zukommt und dies, obwohl gleichzei-       len, die erreicht werden müssen. Eine strate-     umgehen. Es ist nicht einfach, doch es gibt        immer, einen erwünschten Zustand zu errei-
tig ein großes Bewusstsein für die Wichtigkeit    gische Vorgehensweise seitens der Kulturpoli-     ausschlaggebende Prozesse in den Instituti-        chen und es braucht Zeit, sich mit den kom-
dieser Prozesse vorhanden ist. Daher muss ein     tik wird so gefördert.                            onen, die man festhalten kann. Was müssen          plexen Themen diskriminierungskritisch
Wandlungsprozess Schritt für Schritt umge-                                                          Kulturbetriebe tun, um allen Menschen tat-         und sensibel auseinander zu setzen. Neue
setzt werden. Dafür sollten unterschiedliche      Weit über die »Drei P's« (Personal,               sächlich gleiche Teilhabechancen und -mö-          Allianzen, Austausch und das Zulassen von
Zugangsmöglichkeiten (z. B. über Projektein-      Programm, Publikum) hinaus!                       glichkeiten zu eröffnen? Wie entstehen die         neuen Konzepten helfen, bringen voran, las-
stieg oder Beratungseinstieg) angeboten wer-      In Kulturinstituten gilt es, einen defizitären    Themen für das Programm und wer wird ein-          sen mehr Stimmen und Meinungen sichtbar
den. Es kann sich beispielsweise auch zu-         Blick auf die Menschen abzuschaffen, die man      bezogen? Welcher Sprachgebrauch wird ver-          werden. Abschließend wurde an die eigene
nächst nur eine Abteilung einer Institution       als Publikum gewinnen will. Das Bild des »Mi-     wendet? Wie ist die Haltung innerhalb der          Fähigkeit appelliert, mehrdeutige Situatio-
mit dieser Frage beschäftigen, damit sich         granten«, des »Muslimen«, des »Deutschen«         Institution zu bestimmten Themen? Spiegelt         nen und widersprüchliche Handlungsweisen
nicht die gesamte Institution auf einmal um-      usw. muss neu überdacht werden, denn man          sich die Multiperspektivität der Gesellschaft      in unserer Gesellschaft zu ertragen, aber auch
gestalten muss.                                   darf eine bestimmte Zielgruppe nicht auf die      in den Strukturen der Organisation wider?          zu nutzen.
Im Widerspruch dazu erscheint es aber für         für sie spezifizierten Inhalte reduzieren. In     Das alles bedeutet zwangsläufig einen lang-
einige Netzwerkmitglieder notwendig, ein          diesem Zusammenhang wurde diskutiert, in-         fristigen Organisationsentwicklungsprozess         Bedarf an kulturpolitischen Impulsen
radikaleres Denken zu fordern, bei dem die        wiefern ein neues Publikum tatsächlich ande-      mit Einbezug von verschiedenen Perspekti-          Welche Wege gibt es, um eine »diversere« Per-
gesamte Institution sich ändern soll. Neu zu      re Inhalte braucht.                               ven. Durch das Reflektieren von Organisati-        sonalpolitik umzusetzen? Welcher konkrete
besetzende Leitungspositionen müssen so           Bei der Programmgestaltung sollten sich die       onsabläufen und Verantwortlichkeiten, wie          Passus in Stellenausschreibungen ist hierfür
ausgeschrieben werden, dass Kompetenzen in        Institutionen folgende Fragen stellen: Von        bspw. durch eine externe Beratung, kann da-        denkbar?
diesem Bereich zum Leistungs- und Qualifi-        wem werden die Inhalte festgelegt? Mit wem        für sensibilisiert und die Problematik in den      Wenn es eine politische Intention ist, könnte
kationsprofil gehören.                            wird kooperiert? Wie kommen diese Koopera-        Blick genommen werden. Solch eine externe          man die interkulturelle Öffnung auch top-
                                                  tionen zustanden? Die Mitarbeiterinnen und        Beratung ermöglicht einen externen kriti-          down als Bedingung für alle Kultureinrich-
Eine Haltung vor Ort erzeugen                     Mitarbeiter haben oft bestehende Netzwerke,       schen Fachblick auf die bestehenden Struk-         tungen umsetzen.
Der Diversitätsentwicklungsprozess betrifft       die nicht unbedingt Kontakte zu Personen mit
den Gesamtbetrieb. Die nötigen Verände-           unterschiedlicher kultureller und/oder mig-
rungen sind daher Aufgaben, die auf der Lei-      rantischer Geschichte beinhalten. Auch wenn       A R BE I T S G RU PPE 2:
tungsebene gewollt sein müssen. Wie bringt        von einer Institutionsleitung der Wunsch ge-
man die Leitungsebene dazu, Inhalte zu ver-       äußert wird, Kooperationen mit neuen Part-        Fokus Theater
ändern bzw. diese Veränderungsprozesse her-       nern einzugehen, ist das oft nicht ausreichend,
beiführen zu wollen? Eine Antwort auf diese       um diese tatsächlich zu realisieren.              Moderation: Barbara Kantel, Dramaturgin im Schauspiel Hannover und ehem. Projektleiterin
Frage lautet, dass man vor Ort (in der Stadt,     Die Drei P's sind zwar wichtige Ansatzpunk-       des Montagscafés, Staatsschauspiel Dresden
bzw. in der Umgebung des Kulturbetriebs) ein      te, dennoch reichen sie in Qualitätsentwick-
Klima dafür schaffen muss. Der »Bundesfach-       lungsprozessen nicht aus, da sie u. a. zu ope-    Die Arbeitsgruppe beschäftigte sich insbe-         mit dem starken Zuzug von Geflüchteten in
kongress Interkultur 2012« in Hamburg hat         rational sind. In solchen Prozessen sollten       sondere mit den Entwicklungen in den The-          Deutschland zu beobachten sind. Diese Ent-
in diese Richtung hingewirkt, denn es wurde       folgende Fragen thematisiert werden: Wie          aterhäusern, die seit 2015 in Zusammenhang         wicklungen werden unter der Perspektive

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beobachtet, inwiefern sie eine tatsächliche,       jedoch schwierig, Künstlerinnen und Künst-
nachhaltige »Öffnung« der Theaterhäuser an-        ler mit Fluchterfahrung strukturell zu be-
stoßen. In diesem Kontext lässt sich meistens      teiligen und zu vergüten. Im Arbeitsprozess
feststellen, dass alte Strukturen in den Thea-     wären Tandems zwischen Menschen mit
tern trotz des Zuwachses an interkulturellen       Migrationsgeschichte oder -erfahrung und
Projekten erhalten bleiben. Es gilt, einen Ort     Theatermitarbeiterinnen und -mitarbeitern
des Kulturschaffens in den Theatern zu etab-       sinnvoll.
lieren, der langfristig auch für Geflüchtete of-   Das Schauspiel Hannover wurde in den Fokus
fen ist – keine sich wie bisher in den meisten     der Diskussion genommen: Mit mittlerweile
Theatern ständig wandelnde Projektarbeit. Bei      70 Musikerinnen und Musikern arbeitet die
den Projekten mit Geflüchteten spielt auch die     Initiative Musikland Niedersachsen zusam-
soziale Unterstützung der Geflüchteten eine        men, mit der das Schauspiel Hannover im For-
wichtige Rolle. Es ist gleichzeitig wichtig zu     mat »Dance the Tandem« kollaboriert. Ziel ist es,
beachten, dass Kunst- und Kulturschaffende         die Musikerinnen und Musiker untereinander
keine Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter       zu vernetzen und sie zu qualifizieren, indem
sein können.                                       sie beispielsweise über Arbeitsmöglichkei-
                                                   ten und Förderstrukturen informiert werden.
                                                   Kurzfristig sollen ihnen dadurch Auftritts-
3+1 P's (Personal, Programm,                       möglichkeiten, langfristig sogar Arbeitsplät-
Publikum + Partner)                                ze verschafft werden.
                                                   Ähnliches plant das Schauspiel Hannover nun
Programm                                           auch für Theaterleute mit dem Format »YALLA!«
Beim Programm mit und für Geflüchtete              im Rahmen seiner partizipatorischen Thea-
geht es nicht nur um reine gegenseitige Wis-       terarbeit (mit finanzieller Unterstützung des
sensvermittlung, sondern insbesondere auch         niedersächsischen Ministeriums für Wissen-
um die gegenseitige Vermittlung emotiona-          schaft und Kultur). Ein diverses Ensemble aus
ler Kenntnisse, z. B. über Narrative. Für neue     jungen Zugewanderten und Einheimischen
Vermittlungsformen und Austauschmecha-             trifft sich einmal wöchentlich, um – angelei-
nismen braucht man Raum, Zeit und finan-           tet von zugewanderten Künstlerinnen und
zielle Ressourcen zum Experimentieren. Bei         Künstlern – nach gemeinsamen Erzählungen
der Programmgestaltung besteht auf der Lei-        und produktiven Differenzen zu suchen und
tungsebene meistens die Angst, dass das Pub-       daraus unterschiedliche künstlerische Projek-
likum bei neuen Formaten wegbleiben könnte.        te zu entwickeln.
Man muss die Frage stellen, was das Publikum       In vielen Theaterhäusern gibt es leider noch
verstehen kann und wofür es sich interessiert.     »Beharrungstendenzen«, d.  h. beispielsweise,
Es gibt nach wie vor eine Kluft zwischen der       dass sich immer noch »weiße Personen« die
»Hohen Kunst« und partizipativen Projekten.        Konzepte ausdenken. Es stellt sich die Frage,
Die Theater könnten einen Raum für Debatten        wie man Verständnis für die Projektarbeit mit
öffnen. In diesem Zusammenhang braucht             Geflüchteten schaffen und gleichzeitig die nö-
man allerdings Signale von den kulturpoli-         tigen Transformationsprozesse in Gang brin-
tischen Entscheidungsträgerinnen und -trä-         gen kann. Wie kommt man mit diesen Projek-
gern, wie etwa in der Förderung von Beratung       ten in das »Kerngeschäft« der Theater hinein?
und Publikumsbegleitung. Im Rahmen der             Die Einführung von Quoten im Einstellungs-
Programmgestaltung sollten auch Geflüchte-         prozess wurde in diesem Zusammenhang
te oder Menschen aus marginalisierten Grup-        ebenfalls diskutiert.
pen in den Programmbeirat mit einbezogen
werden.                                            Publikum
                                                   Insgesamt sind die Publikumszahlen 14 sehr
Personal                                           gering, nicht nur unter Geflüchteten und
Rechtslage und Mentalitäten ändern                 Menschen mit Migrationshintergrund. Ziel
Es sollte angestrebt werden, Künstlerinnen         sollte es demnach sein, sich weg vom defizi-
und Künstler mit Fluchterfahrung in den            tären Blick zu bewegen und stattdessen Integ-
Theatern im Rahmen von bezahlten Arbeits-          ration gesamtgesellschaftlich zu denken und
verhältnissen einzubinden. Das Aufenthalts-        darauf basierend ein spannendes, diverses
und Arbeitsrecht in Deutschland macht es           Programm zu gestalten.

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