Damaskus - Syrien - TU Dresden
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Exkursion Damaskus - Syrien vom 27.5.2007 - 3.6.2007 im Rahmen des Masterstudienganges Denkmalpflege und Stadtentwicklung der TU Dresden Inhalt Wichtige Telefonnummern und Adressen S.3 Programm S.4-5 Beiträge ab S.6 Denkmalpflege in Syrien S. 6 Orientalismus S.10 Zur orientalisch-islamischen Stadt S.15 Grundrisstypologie des Damaszener Wohnhauses S.27 Stadtenwicklung von Damaskus bis 1900 S.32 Stadtentwicklung im 20.Jhdt.- Spontansiedlungen S.37 Der Stadtteil Salihiye S.40 Die Omaijadenmoschee S.42 Die römische Stadt und ihre Reste S.46 Stadtbefestigung, Stadttore und Zitadelle S.50 Die Souks S.57 Pilgerviertel Midan S.60 Bimaristan Nur Ad-Din S.64 Khan des Asad Pasha al-Azem S.66 Hedjas-Bahnhof S.69 Bosra S.71 Christliche Klöster S.74 Das Nationalmuseum Damaskus S.77 Omaijadische Wüstenschlösser S.78 Synagoge von Dura-Europos S.81 Glossar S.85 Sprachführer S.89 2
Wichtige Telefonnummern und Adressen (00 ist die Vorwahl für Telefonate aus Deutschland, 963 ist die Landesvorwahl von Syrien und 11 die Stadtvorwahl von Damaskus) Hotel Al Rabie Souk Saruja - Bahsa Straße Tel.: (00 963 11) 23 18 374 Tel. Sabine Sommerer: (00 963 11) 37 19 959 Tel. Hischam Tannous : 093- 02 88 33 Deutsche Botschaft Abdulmunem-Al-Riad-Straße, Ecke Ebla-Straße, Stadtteil Malki, Damaskus Tel.: (00 963 11) 379 000 00 Notfall: 093-212289 Lageplan-Hotel Al Rabie Syrian Airlines Alhijaz Straße Tel: (00 963 11) 24 50 098 in Berlin:(0049)+30 88714265 Lageplan-Deutsche Botschaft 3
Programm Sonntag 27.5.2007 9:30 Treffpunkt Flughafen Berlin-Schönefeld am Abflugsgate 11.30 Uhr Abflug in Berlin-Schönefeld 18.00 Uhr Ankunft in Damaskus gemeinsames Abendessen Montag 28.5.2007 Damaskus Überblick und Altstadt 8:30 Abmarsch vom Hotel 9:00 Berg Quassioum Stadtentwicklung von den Anfängen bis 1900 (Marco Heger) Stadtplanung und Stadtentwicklung im 20. Jahrhundert/ „Spontansiedlung“ Kassioum (Deike Möller) Mittagspause 14:00 Treffpunkt Reiterstandbild am Eingang zum Souk Hamidiye Omaijaden-Moschee (Anna Strzyrzewska) Römische Stadt, Römischer Torbogen (Birgit von Rüdiger) Dienstag 29.5.2007 Altstadt und Midan-Viertel 8:30 Abmarsch Hotel Stadtbefestigung (Bettina Jurschik) Christliches Viertel (Nikolai Müller) Die Souks (Anke Binnewerg) Mittagspause 15:00 Pilgerviertel Midan (Claudia Rüdiger) 4
Mittwoch 30.5.2007 Altstadt (Einzelgebäude) und Neustadt 8:30 Abmarsch Hotel Bimaristan Al Nuri (Iris Engelmann) Khan des Asad Pasha al-Azem (Iris Engelmann) Beit Nizam, evtl. Azem-Palast (Cornelia Kunert und Hicham Tannous) Mittagspause 15:00 Treffpunkt Hedjas-Bahnhof (Claudia Rüdiger) Stadtviertel um den Zenobia Park Donnerstag 31.5.2007 Tagesausflug: Hauran 7:30 Abfahrt (Wasser und Verpflegung mitnehmen!) Bosra (Christian Schneider) Ezra, Qanawat Freitag 01.06.2007 Tagesausflug: Christliche Klöster 7:30 Abfahrt (Wasser und Verpflegung mitnehmen!) Deir Mar Musa, Ma‘lula, Sednaya (Susanne Jaeger) Samstag 02.06.2007 Neustadt 8:30 Abmarsch Hotel Takiye Sulaimaniya Nationalmuseum: Omaijadische Wüstenschlösser (Peggy Torau) Synagoge von Dura-Europos (Kerstin Arnold) Nachmittag zur freien Verfügung Sonntag 03.06.2007 ca. 3:30 Abfaht vom Hotel 06.00 Uhr Abflug Damaskus-Flughafen 10.30 Uhr Ankunft in Berlin Schönefeld 5
Denkmalpflege in Syrien Hicham Tannous, B. Arch. 1. Einleitung Syrien ist eins der reichsten Länder an Denkmälern, die sich ganz tief in die Geschichte zurückführen lassen. Die Spuren untergegangener Zivilisationen, sogar vor der Antikenzeit, sind an vielen Orten des Landes noch gut ablesbar. Die Vielfalt und die unterschiedlichen Arten der Denkmälern in Syrien sind das wichtigste, was die ge- samte syrische Geschichte ausmacht. 2. Allgemeine Situation und Besiedlungsdichte Besiedlungsdichte in Syrien In Syrien leben ca. 17 Mio Einwohner auf einer Fläche von ca. 185.000qkm. Die Bevölkerung ist jedoch nicht gleichmäßig verteilt. Man unterscheidet zwischen meh- reren Zonen, die unterschiedlich besidelt sind: - Dicht be- siedelte Gebiete im Norden, Westen an den Mittelmeer- küsten und in der Hauptstadt Damaskus. - Gut besiedelte Gebiete im Westen, im Süden (die Um- gebung der Stadt Damaskus). - Weniger besiedelte Gebiete im Nordosten und im Sü- den. - Kaum besiedelte Gebiete im Osten und in der syrischen Wüste. Schematische Darstellung der Denkmalbehörden 6
3. Überblick über die Denkmalpflege in Syrien 4. Aleppo: Großstadtphänomen Bis zum 19. Jh. kann man zwischen 2 Phasen des Um- Aleppo hat ihr größtes Stadtwachstum in der osma- ganges mit der Denkmalpflege in Syrien unterscheiden: nischen Zeit (1517 – 1918) erlebt. Die Stadthalter und 1. Phase die Sultanen waren an der Entwicklung der Stadt und Erhaltung durch Nutzung deren Wachstum recht interessiert. Viele und verschie- - Gemeinnützige Stiftungen: gegründet von den Stadt- dene Bauten wurden errichtet, wie z.b. Suks(Märkte), haltern und Sultanen - Prestigegedanke. Krankenhäuser, Schulen, Kultur- und Wissenschaftshäu- - Familienstiftungen: gegründet als Schutz vor den gän- ser usw. Sie war eins der wichtigsten Handelszentren im gigen Enteignungen. Nahosten. 2. Phase 1860 wurde die Stadtverwaltung gegründet. Hauptaugenmerk ab dem 18./ 19. Jh. auf dem Erhalt/ Restaurierung der bestehenden Moscheen und Schulen Masterplan von 1954 etc. - Zerstörung ein Zehntel der altstädtischen Struktur zu Gunsten von zeitgemäßen Neubauten und Autobahn- Gesetze und Behörden bau. - 1949: einheitliches System zur Verwaltung der Auqaf. - Auszug der Altstadtbevölkerung in andere Wohngebie- - 1961: Ministerium für Auqaf und örtliche Zweigdirekto- te. rate (z.B. Auqaf- Direktorat von Damaskus). - Sozialer und Kulturhistorischer Verfall der Altstadt. - 1963: Direktorat für Altertümer und die Syrische Anti- kenverwaltung. Masterplan von 1972-74 - 1982 : Deklaration Nr. 5. - Abbruch des Nordwestlichen Teil der Altstadt. umfasst drei Hauptelemente: - Zerstörung der Identität der Stadt. 1.das Planungsprogramm: Zieldefinition und Methoden - Zerstörung des gesamten Altstadtbilds. 2.den Masterplan: vorgeschlagener Flächennutzungs- plan 3.die Baunormen: sie regulieren die Baumaßnahmen des Masterplans als lokale Bauvorschriften (bestimmte Bau- maßnahmen für bestimmte Orte). 7
Rettung der Altstadt von Aleppo In den 70er Jahren ergriff eine Gruppe von öffentlichen und privaten Denkmalpflegern die Initiative zur Ret- tung der verbleibenden Altstadt. Aus der Gruppe ent- stand später das Altstadtkomitee, aus Stadtverwaltung, Besitzern und anderen Gruppen unter der Leitung von Denkmalschützern. 1979: konnte der Masterplan gestoppt werden. 1981 : Das Dezernat für Altertümer ließ die gesamte Altstadt als historisches Gebiet registrieren. 1988 :Aufnahme in die UNESCO- Liste des Welterbes. 1992 Beginn des Deutsch- Syrischen Gemeinschaftspro- jektes zur Sanierung der Altstadt von Aleppo. Historische Gebäude - Aleppo Träger ist die GTZ (Gesellschaft für technische ZUsam- menarbeit). Maßnahmen: Fast alle Abrisse von Innenhofhäusern, die das städtebauliche Gefüge der Altstadt ausmachen, wurden gestoppt! Die Sanierung der Altstadt rückt auch ins Interesse anderer Städte und dient als Modellprojekt für andere Entwicklungen. In einigen wiederhergestellten Gebäuden, die als Fortbil- dungsorte dienen, werden heute Arbeiter mit den über- wiegend vergessenen altsyrischen Handwerkstechniken vertraut gemacht. Andere Baudenkmäler werden als Restaurants, Galerien, Hotels und Touristenunterkunft genutzt. Der Masterplan von 1954 - Aleppo 8
5. Gebäudebeispiel Haus Nizam - Damaskus/Alt- stadt - Benannt nach Familie Nizam - Sagenhaftes Beispiel für die typischen syrischen Hof- häuser - 1757 erbaut während einer Bauaufschwung - Stadtvilla ca. 1800 qm - Gestaltungselemente verschiedener Epochen Das Haus wurde von mehreren Gefahren bedroht, die mit Statik zu tun hatten : Risse und Einstürze , die durch das Alter entstanden. Feuchtigkeit und einsicherndes Wasser , Verwahrlösung durch Mangel an Sanierung Grundriss und Innenansicht - Haus Nizam und Reparaturen über einen langen Zeitraum. Die Restaurierungsstrategie umfasste verschiedene 6. Denkmalpflege und Tourismus Bereiche: Erhaltung durch Nutzung - Historische und technische Dokumentation Der Zusammenhang zwischen Denkmalpflege und Tou- - Sanierung der statischen Struktur rismus ist in Syrien nicht zu übersehen. Der Kulturtouris- - Restaurierung der Verkleidungen mus hat zum gröten Teil das Interesse an den Denkmä- - Rehabilitierung und Nutzung nach dem Abschluss der lern geweckt, so dass viele historische Anlagen bei den Restaurierungsarbeiten Behörden großes Interesse wieder fanden. Die meisten Das Haus wird jetzt für Veranstaltungen und für offizi- historischen wieder sanierten Häuser der Altstädte wer- elle Empfänge , für Dreharbeiten von Filmen, Serien und den Zur zeit als Touristenunterkunft und Restaurants Fernsehinterviews genutzt. benutzt, was zu einer guten finanziellen Unterstützung Das Haus wird regelmäßig von einem Team des techni- für den Erhalt der Altstadtstrukturen beiträgt. schen Büros der Kommission zum Schutz der Altstadt Damaskus beaufsichtigt und in Stand gehalten . 9
Orientalismus Stefan R. Hauser, in: Der Neue Pauly. Rezeptions- bezeichnen. Gelehrte orientalischer Sprachen und und Wissenschaftsgeschichte Bd. 15/1, 2001, Sp. 1233-1243 (Auszug) Kulturen wurden in europ. Sprachen seit dem E. des 17.Jh. vereinzelt, im 19. Jh. üblicherweise als Orientalisten A. BEGRIFF bezeichnet. Traditionell konnte diesen Begriffen eine B. EDWARD SAIDS »ORIENTALISM« positive Konnotation im Sinne von Weitschätzung des Gegenstandes der Beschäftigung sowie im besonderen C. WIRKUNG VON »ORIENTALISM« der wiss. Arbeit selbst attestiert werden. D. KRITIK UND WEITERENTWICKLUNG Am Ende des 20. Jh. hat, angestoßen von E. Said, v. a. im anglo-amerikanischen Bereich ein grundlegender A. BEGRIFF Begriffswandel stattgefunden. 0. wird hier meist im Sinne Traditionell bezeichnet Orientalismus (0.) die Be- von westl.-kolonialen Diskursen verwandt, von falschen, schäftigung mit Sprachen, Kulturen oder Religionen diskriminierenden Vorstellungswelten in Verbindung mit des Orients. Dabei kann Orient (Or.) je nach Zusam- polit. Ungleichheit und Abhängigkeitsverhältnissen. menhang eine konkrete oder abstrakte Region östl. des aktuellen geogr. Standpunktes oder auch östl. des B. EDWARD SAIDS »ORIENTALISM« als Westen (Okzident, Ok.) bezeichneten Gebietes mei- 0. erlebte einen Bedeutungswandel durch die 1978 nen. Üblicherweise werden unter Or. die Länder Asiens erfolgte Publikation des Buches Orientalism von Edward bis Japan, im engeren Sinne der Raum von der östl. Said, Literaturwissenschaftler an der Columbia University, Mittelmeerküste bis zum Iran verstanden. Der Begriff New York. Said versucht modellhaft den westl., kolonialen kann auch die islamisch geprägten Länder Nordafrikas Diskurs über andere Kulturen zu beschreiben, wie er sich mit einschließen. in akad., lit. und administrativen Texten und Praktiken 0. ist als Begriff im Engl. (Holdsworth) wie im Dt. (Herder) darstellt. Diskurs kann dabei in Anlehnung an Foucault erstmals 1769 belegt. Von der Académie Française als ein Netzwerk von Texten, Dokumenten, Praktiken wurde 0. 1835 als Wort anerkannt. Über die allg. und Disziplinen beschrieben werden, in dem spezifische Beschäftigung mit orientalischen Dingen sowie speziell Objekte und Formen des Wissens produziert werden und über die Orientmalerei des 19. Jh. hinaus bezeichnete 0. der Rahmen möglicher Äußerungen bestimmt wird. Said im Frz. und Engl. gerade auch die wiss. Beschäftigung konzentriert seine Untersuchung des 0. auf die islamisch- mit dem Or., wofür u.a. im Dt. und Niederländischen der arab. Welt im frz. und britischen Diskurs seit dem 18. Jh. Begriff Orientalistik steht. Im Dt. wurde 0. v. a. benutzt, und im jüngeren US-amerikanischen Diskurs. um romantische Zugänge zum Orient in der Mode, in Unter 0. versteht Said v. a. drei miteinander verbundene Musik-, Bild- und Designmotiven sowie eine Hinwendung Dinge: l. die akad. Disziplin der Orientalistik; 2. in mehr zu orientalischen Religionen, insbes. Hinduismus, zu genereller Definition, einen Denkstil, der bei Schriftstellern, 10
Philosophen, Ökonomen, Politikern usw. zu finden ist Die spezielle Rolle der Orientalisten besteht für Said und der auf der ontologischen und epistemologischen darin, dass zum einen erst deren wiss. Interessen, die Unterscheidung von »dem Or.« und (meistens) »dem den Or. zum definierbaren Studienobjekt machen, eine Ok.« beruht; und 3. die aus den ersten beiden Bereichen willkürliche Trennung von Or. und Ok. schaffen und hervorgegangene Art und Weise des Westens, mit dem erhalten, und zum anderen die Forsch. durch die Samm- Or. umzugehen, ihn zu beschreiben und zu beherrschen. lung von Wissen hilft bzw. dazu dient, den Or. zu be- Said stellt fest, dass der Or. weder geogr., noch ethnisch, herrschen. Eine bes. Rolle spielt dabei die Erforsch. ori- noch kulturell einheitlich zu fassen ist und erst im Diskurs entalischer Geschichte, die vom Westen vereinnahmt des 0. konstruiert wird. Dieser konstruierte Or. wird und verwendet werde. Wie frühere, so sind auch mod. dann in seiner Komplexität auf wenige Punkte reduziert, Orientstudien in westl. Ländern für Said weiterhin Aus- »essentialisiert«, die als stereotype Beschreibungen bzw. druck des Willens zur Macht und Beherrschung. Annahmen dem Diskurs des 0. zugrundeliegen und in 0. ist also nach Said ein System des Wissens, ein Filter für ihm wiederholt und verstärkt werden. Der Or. des 0. ist westl. Vorstellungen vom Or. und ein Vorrat an Theorie demnach kein Fakt, sondern ein mythisches Konstrukt und Praxis für den Umgang mit dem Or. Entsprechend ist von Generationen von Künstlern, Politikern und Ori- 0. in latenten und manifesten 0. zu unterteilen. Latenter 0. entalisten. Andererseits kann sich innerhalb des westl. ist die unbewusste, unerschütterliche und unveränderliche Diskurses über den 0. niemand den Vorstellungen dieses Sicherheit, wie und was der Or. ist. Dabei wird der Or. Konstruktes entziehen. dem Westen als der »Andere« gegenübergestellt. Er wird Obwohl 0. als Diskurs des Westens Said zufolge auf im Diskurs des 0. als statisch, rückständig und häufig antike Wurzeln zurückgeführt werden kann, tritt er im despotisch, aber auch lustvoll, verweichlicht und passiv Zusammenhang mit britischem und frz. Imperialismus seit beschrieben. Da er dem Westen unterlegen ist, bedarf dem späten 18. Jh. durch intensivierte Forsch-, intensiveren dieser schwache, als weiblich beschriebene Or. der westl. Kontakt und direkte koloniale Machtausübung in eine Dominanz und Zivilisation. Manifester 0. ist der Ausdruck neue Phase. Da 0. auf ungleichen Machtverhältnissen auf des latenten 0. in Worten und (polit.) Taten. Said hat den Ebenen der Politik, der Bildung, der Kultur und der so dem Begriff 0. einen neuen, ideologischen Inhalt Moral basiert, bestätigt er konstant westl. Überlegenheit, gegeben. während der Or. in diesem Diskurs eine unzutreffende und abwertende Darstellung erhält. Said versucht zu C. WIRKUNG VON »ORIENTALISM« zeigen, wie der 0. somit geopolit. Bewusstsein in der Nur wenigen Büchern ist es vergönnt, so viele Kon- Ästhetik sowie in wiss., ökonomischen, soziologischen, troversen und weitere Studien in den vielfältigsten histor. und philol. Texten, die er als Beispiele heranzieht, Fachrichtungen hervorzurufen oder zu beeinflussen wie ausdrückt. Saids Orientalism. Saids Studie wurde die bekannteste 11
Kritik an der Annahme der Trennbarkeit von Fakten und Psychoanalyse und des Feminismus half Orientalism Wertungen sowie der Verbindung von Wiss. und Macht die Idee der Zentralität Europas und das Projekt westl. und spielte v. a. in den USA eine wichtige Rolle in der Modernität mit seinen Vorstellungen von Fortschritt, Politisierung akad. Diskurse am E. des 20. Jh. Geschichte, Geschlechter und Rassen kritisch zu hin- Ein wesentlicher Aspekt von Orientalism ist die Ver- terfragen. Dies führte zu Neuinterpretationen lit. Texte knüpfung von Kultur und Politik, die in die polit. aus- aus Sicht der »Subalternen« (z. B. Shakespeares The gerichtete Kolonialismus- und Imperialismusforsch. Tempest aus der Sicht Calibans), der Unt. von kolonia- den Aspekt der Kulturauseinandersetzung einbrachte. lem Diskurs und Frauenbildern und nicht zuletzt zu Durch Orimtalism und Saids The World, the Text, and Geschichtsschreibungen aus nicht-europ. Perspektiven. the Critic (1983) wurde zudem die Nutzung von Lit. als Im Zusammenhang mit der Analyse kolonialer Diskurse histor. Quelle für polit.-ideologische Zustände intensi- ist die Anwendung des Begriffes 0. inzwischen nicht viert. Orientalism warf auch allg. die Frage der Identität mehr auf den geogr. Raum. eines wie auch immer und Alterität auf und beeinflusste direkt oder indirekt definierten Or. beschränkt, sondern kann auch in der viele Studien über die Begegnung mit dem Anderen, Beschreibung interner Kolonisation benutzt werden, z.B. die seit Mitte der 80erJ. erschienen. Es provozierte im Zusammenhang mit inner-it. Verhältnissen des 19. überdies eine breite Diskussion der Repräsentation Jh. des individuellen und phänotypischen Anderen in den Medien wie Film, Lit. oder Journalismus, aber auch in D. KRITIK UND WEITERENTWICKLUNG Wiss., die sich mit anderen Kulturen beschäftigen, wie Saids Thesen haben nicht nur Forschungsrichtungen Orientalistik, Indologie, Japanologie oder Ethnologie. angestoßen oder beeinflusst, sondern sind seit ihrem Gerade in der Indologie und Ethnologie fand daraufhin Erscheinen in vielfältiger Weise kritisiert, fortentwickelt eine kritische Hinterfragung der wiss. Praxis statt, die oder simplifiziert worden. Die Diskussion beschäftigte sich mit der traditionellen Vorstellung vom objektiven, dabei 1. mit seiner histor. und sachlichen Darstellung, 2. distanzierten Blick des Wissen sammelnden Forschers seiner Verwendung der Theorien Foucaults und Gramscis auf exotische Andersartigkeit brach. Universitätsinstitute und 3. seinen Thesen zum Wesen von 0. selbst: wurden teilweise unter Vermeidung des Wortfeldes Or. 1. Eine der Thesen Saids behauptet, dass innerhalb des umbenannt. 0. jeder Europäer in dem, was er über den Or. sagen Orientalism wurde ein Gründungs- und Referenztext konnte, letztlich Rassist, Imperialist und ethnozentrisch der sog. Theorie (oder Analyse) des kolonialen Diskur- war. Dies wirft einerseits die Frage nach der generellen ses, die sich mit der Produktion von Wissen über Andere Möglichkeit des Verstehens anderer auf. Andererseits und damit: verbundene Machtverhältnisse beschäftigt. zwingt es Said, alle Äußerungen über den Or. negativ zu Zusammen mit Ansätzen des Dekonstruktivismus, der 12
werten. Sehr viel Kritik richtete sich daher gegen Saids versuchten, Vorurteile aufzubrechen und ein positives Auswahl und Umgang mit Quellen, die oft aus dem Bild orientalischer Kultur zu verbreiten. Bemängelt Kontext gelöst, teils sogar missverstanden wurden, v. a. wurde auch, dass der kausale und konzeptionelle Zu- aber keinen Raum für positive Wertungen ließen. Nicht sammenhang von Orientalistik und der polit. und öko- zuletzt von Said kritisierte Autoren wie W. Jones oder nomischen Unterwerfung des Or. unklar bleibt. W. von Goethe wandten sich aber orientalischer Lit. mit Saids Zweifel, ob die Wissensproduktion der Ori- Begeisterung und Bewunderung zu und erklärten diese entalistik reale Repräsentationen schuf, stellt die eta- zum Vorbild. Das heißt jedoch nicht, dass auch positive blierten Methoden positivistischer Forschungstrad., z.B. Darstellungen, in denen z.B. der Orientale dazu dient, kritische Textedition, Quellenkritik, Etymologie oder Wagemut und Ungebundenheit zu personifizieren, nicht das systematische Studium der Sekundärquellen, in gleichermaßen als falsche Repräsentation im Sinne des 0. Frage. Selbst wenn der koloniale Hintergrund, vor dem angesehen werden können. die Wiss. blühten, als Bedingung ihres Entstehens oder In bes. Weise wurde Saids Quellenauswahl von ihrer Förderung anerkannt wird, stellt sich das Problem, Orientalisten kritisiert, steht doch die These der ob damit jede Forsch. kolonial. Charakter erhält. Auch Komplizenschaft zw. akad. Orientforsch. und polit. Macht wenn man akzeptiert, dass alle Wissensproduktion, im Zentrum seiner Darstellung. Selbst Orientalisten, insbes. institutionalisierte, durch die Beziehung zum die bereit waren, verbreitete Vorstellungen vom Or. als Staat und seinen polit. Praktiken kontaminiert sein unzutreffende Repräsentation anzusehen, konnten oft muss, ist fraglich, ob imperialistische Interessen so stark nicht akzeptieren, dass Said die Möglichkeit unpolit. sein können, dass sie die Arbeit von Wissenschaftlern aufrichtigen Forschungsinteresses verneint und dass verschiedener Nationen, Institutionen, akad. Felder und die eigene Wiss. nicht reales Wissen geschaffen und kultureller Einfühlsamkeit über Jh. bestimmen konnten behandelt haben sollte. Ersteres, wurde argumentiert, und können, wie die über Said hinausgehende Kritik be- zeige sich z. B. in den grundlegenden Forsch, dt., hauptet. Fraglich ist zudem, wie die nach Said von der russ. oder niederländischer Orientalisten, denen keine Orientalistik verantwortete falsche Repräsentation des Verbindung zu kolonialen Projekten vorzuwerfen sei, und Or. das notwendige Wissen für koloniale Eroberungen die daher von Said auch nicht behandelt wurden. Weiter und Verwaltung bereitstellen konnte. ist einzuwenden, dass die Orientforsch. sich zwar in der 2. Eine weiterführende Kritik stammt von Zeit und in Verbindung mit europ. Expansion intensiviert Kulturtheoretikern, die der Existenz eines 0. im Sinne und diversifiziert hat, Gramm. und Lehrbücher des Arab., Saids grundsätzlich zustimmen, sich aber gegen Saids Persischen und Japanischen etc. aber schon im 16. Jh. in Lesung von Foucault und Gramsci wenden und die Europa vorlagen. Große Teile der Forscher identifizierten internen Differenzen des kolonialen Diskurses betonen. sich zudem stark mit ihrem Forschungsgegenstand und Besonders L. Löwe argumentiert, dass Saids starres Bild 13
von 0. als Diskurs der Idee Foucaults widerspricht, da 3. Die interne Konsistenz des diskursiven Feldes 0. ist in dessen Konzept diskursiver Formationen weder diese somit fragwürdig. Said wendet sich dagegen, dass der selbst, noch die Objekte des Wissens über Zeiten oder 0. ein auf eine Essenz reduziertes Bild vom Or. zeich- Orte hinweg identisch oder statisch, sondern stetem net, in dem Abweichungen, die diesem Bild nicht ent- Wandel ausgesetzt sind. Eine Idee, die gerade dazu sprechen, keine Berücksichtigung finden. Genau dieses dienen sollte, die Vereinfachungen traditioneller histor. Vorgehen kennzeichnet aber nach Meinung auch sym- Studien mit ihrer Suche nach Ursprüngen, einheitlichen pathisierender Kritiker Saids Beschreibung von 0., die Entwicklungen, Gründen und Effekten zu vermeiden. keinen Raum für abweichende Meinungen lässt und Ebenso ist: Hegemonie im Sinne Gramscis ein Prozess ein statisches Bild vom 0. zeichnet. Der Vorwurf lautet konstanter Verhandlung. Entsprechend betont H. daher, Said und mehr noch viele Kritiker des kolonialen Bhabha die immanente Kritik am Dominanten, die Diskurses antworteten auf O. mit gleichfalls verzerren- die Argumentationsstruktur der Diskurse und aller dem »Okzidentalismus«. Problematisch ist zudem, dass, Teilnehmer beeinflusst und permanent verändert. R. wenn jede Darstellung eine diskursive Konstruktion ist, Young trennt 0. in zwei Stränge, das Gebiet des Wissens Said letztlich keine größere Glaubhaftigkeit für seine und der Begegnung (Saids »manifester 0.«) einerseits Beschreibung von 0. beanspruchen kann als der Diskurs und der Phantasien vom »Anderen« andererseits (Saids des 0. in der Beschreibung des Or. »latenter O. «), die in unterschiedlicher Weise Diskurs Trotz aller Kritik an der theoretischen Grundlegung wie Veränderungen ausgesetzt sind. Löwe führt aus, dass der Ausführung von Saids Beschreibung von 0. sind der Diskurs des 0. sich ständig mit anderen Diskursen, seine Thesen dennoch im Kern weitgehend akzeptiert. z.B. über Nation oder Klasse, kreuzt, und so selbst im Saids Überschreiten von etablierten Fachgrenzen, die Werk einzelner Autoren eine Vielfalt kontextabhängiger Nutzung von Lit. zur histor. Interpretation, das Aufzeigen orientalistischer Erfahrungen beschrieben werden der Nichtkongruenz von Realität und diskursiver können. Im 0. wurden dabei nach Young nicht zuletzt Repräsentation stellten sowohl westl. Vorstellungen Zerwürfnisse innerhalb der westl. Kultur, z.B. bestimmte »vom Orient« als auch wiss. Objektivität und Autorität Geschlechter- und Rassentheorien und -konflikte, auf nachhaltig in Frage. Es lenkte den Blick auf Vorurteile das Gegenbild Or. projiziert, die dem Westen so eine und Stereotypisierungen in der Beschreibung anderer fälschliche Integrität vermittelten. Der Diskurs des 0. Kulturen. Bei aller Auseinandersetzung mit und Kritik an ist daher nicht monolithisch, sondern entspricht einer Said ist es, zumindest in der englischsprachigen (akad.) unregelmäßigen Matrix aus orientalistischen Situationen Welt, unmöglich geworden, über die Beziehun-gen des über kulturell und histor. verschiedenartige Platze hinweg. »Westens« (Europa und Nordamerika) zu anderen Teilen 0. ist daher zutiefst heterogen, unbestimmt oder sogar der Welt zu sprechen, ohne auf O. Bezug zu nehmen. widersprüchlich. 14
Zur orientalisch-islamischen Stadt Die orientalisch-islamischen Städte, die sich von Spanien Thomas Will bis zum indischen Subkontinent erstrecken und schon deshalb kulturelle, topographische und klimabeding- Von der orientalischen Stadt hat jeder eine Vorstellung. te Unterschiede aufweisen, lassen sich demnach in drei Ihr Bild ist in Europa seit langem präsent durch die (zu- grund-sätzliche Genotypen unterscheiden: nächst kolonial-)europäische Geographie und Ethnolo- gie, die ihr Interesse mit Vorliebe dorthin richtete, und a, Überformte Städte aus vorislamischer, antiker vielleicht noch mehr durch eine reiche künstlerische und Gründung literarische Tradition (>Orientalismus), die unser Bild der morgenländischen Stadtkultur oft ins Märchenhafte ver- b, Islamische Gründungsstädte klärt oder auch verzerrt hat. c, Allmählich verstädterte Siedlungskerne Damaskus ist eine der berühmtesten dieser Städte. Es besitzt die älteste Moschee des Islam, war Sitz der Ka- Das im Vergleich zur europäischen Stadt hervorstechend- lifen und blieb auch unter den nachfolgenden auswär- ste, phänotypische Strukturmerkmal dieser Städte ist das tigen Dynastien wichtige Handels- und Kulturstadt und eigene Straßen- und Raumsystem, das der vom Koran Sammelort der Pilger nach Mekka. Dennoch ist Damas- geregelten sozialen urbanen Lebensform entspricht. Die kus keine islamische Stadt wie etwa Kairo, Bagdad oder orientalisch-islamische Stadt (Medina) verfügt über we- Fatehpur Sikri. Anders als diese islamischen Gründungen nige große Hauptverkehrslinien, die vom Kern der Stadt trägt das deutlich ältere Damaskus die Spuren der frühe- zur Stadtmauer führen und dabei die einzelnen Stadt- ren Stadtkulturen in sich, wie dies auch in vielen anderen teile tangieren. Daneben werden die einzelnen Viertel Städten des Vorderen Orients der Fall ist. Diese Städte von einem engmaschigen, organisch verästelten Ge- verfügen über eine mehr als 5.000 Jahre dauernde Ge- flecht verwinkelter Sackgassen durchzogen, die zu den schichte und zählen damit zu den ältesten überhaupt. Hauptstraßen führen. Die Sackgassen und die von dort Erst durch die politische und kulturelle Expansion des Is- erschlossenen Innenhofhäuser spiegeln die sozialräumli- lam ab dem sechsten Jahrhundert wurden sie zunehmend che Gliederung und Gruppierung in Quartiere und Fa- islamisch geprägt, d. h. durch eine konkret vorgegebene, milienverbände und den präzise gestaffelten Schutz der einheitliche neue Lebensweise und Sozialordnung auch Privatsphäre wider. baulich überformt. 15
Charakteristische Bauelemente der islamisch-orientali- Zeiträume und aus diesen selbst heraus vollzogen hatte, schen Stadt sind: führte in den islamischen Städten mit deutlicheren Brü- • die Hauptmoschee (auch Große oder Freitagsmo- chen zu der heute vorherrschenden Mischform der orien- schee als religöser und kultureller Kern der Stadt, talischen Stadt unter westlichem Einfluss. Diese moderne • die Einkaufsgassen (Suq, pers. Bazar) als Wirtschafts- orientalische Stadt verfügt zwar weiterhin über ihre his- zentrum in direkter Nachbarschaft zur Moschee; als torische Altstadt, daneben aber auch über einen neuen Großhandelsplätze und Herbergen die Karawanserei- wirtschaftlichen Kern, der vor allem tertiärwirtschaftliche en (Chân, Funduq) Strukturen besitzt (Banken, Kaufhäuser, Hotels). Auch • die Wohnviertel mit strikter ethnischer Segregation die Verteilung der Wohnviertel änderte sich. Während und kleineren Subzentren (mit eigener kleiner Mo- die neue City sich im Gebiet der früheren Oberschicht- schee, Suq etc.), bestehend überwiegend aus Hof- viertel ansiedelte, suchte die Mittel- und Oberschicht die häusern ohne Kontakt zur Straße, Stadtrandlage. Die Wohngebiete der ärmeren Bevölke- • die religiösen Stiftungs- und Wohlfahrtsbauten: rungsteile befinden sich vornehmlich im Bereich der Alt- Grabstätte (Mausoleum), Koranschule (Madrasa), stadt und deren Umgebung. [2] So führt die islamische Hospital (Mâristân), Badehaus (Hammâm), Medina heute zunehmend ein Schattendasein: sie wird • die Stadtmauer als ringförmiger Abschluss der Stadt, zum Armenhaus und verfällt, in einigen hervorragen- • die an der Stadtmauer gelegenen Palastanlagen und den Denkmalschutzgebieten wird sie zum Museum. Der Friedhöfe. Stadtbauhistoriker Bianca spricht folgerichtig, wenn er Die orientalisch-islamischen Städte aller drei Grundtypen das Leben und die Institutionen der islamischen Stadtkul- waren trotz ihres immer weiter verfeinerten Aufbaus und tur beschreibt, davon stets in der Vergangenheitsform. ihrer hochkultivierten Ausstattung „mittelalterlich“, d. h. (1, vgl. 4) sie waren und blieben nur für Fußgänger zugänglich und Die Altstadt von Damaskus zählt seit 1979 zum Unesco hatten mittelalterliche Verteidigungs- und Versorgungs- Weltkulturerbe. Infolge des massiven Bevölkerungszu- anlagen etc. Aufgrund dessen waren sie schließlich der wachses der letzten Jahrzehnte, der Zunahme des Indi- Konfrontation mit dem neuzeitlich-europäischen Städ- vidualverkehrs und der damit verbundenen Tendenz zur tebau ausgesetzt (in den islamischen Ländern seit dem Verslumung des alten, fußläufig erschlossenen Zentrums 19.Jh., in Spanien und Sizilien schon seit der Rechristia- ist dieses auf die Liste gefährdeter Kulturgüter gesetzt nisierung). Dieser Prozess, der sich auch in den mittelal- worden. [3,4] terlichen Städten Europas selbst, hier aber über längere 16
Literatur: [1] Stefano Bianca, Hofhaus und Paradiesgarten. Architektur und Le- bensformen in der islamischen Welt, München 1991 [1a] ders., Urban Form in the Arab World, (ORL-Schriften 46/2000), Zü- rich 2000 [2] http://de.wikipedia.org/wiki/Ori- entalisch-islamische_Stadt (17.5.07) [3] http://de.wikipedia.org/wiki/Da- maskus (20.5.07) [4] Robert Schediwy, Der Basar ist in Lebensgefahr. Die syrische Haupt- stadt Damaskus ist ein lehrreiches Beispiel für Aufstieg und Niedergang der traditionellen orientalischen Stadtkultur, Wiener Zeitung, 11. Nov. 2006 [5] Eugen Wirth, Die orientalische Stadt im islamischen Vorderasien und Nordafrika, Mainz 2002 [6] Mohamad Nizad Ismail, Grund- züge des islamischen Städtebaus. Reorientierung städtebaulicher Prin- zipien. Diss. Univ. Stuttgart 1981 [7] Klaus Dettmann, Islamische und westliche Elemente im heutigen Da- maskus, in: Geographische Rund- schau 21, 1969, Nr. 2: 64-68. [8] Der große Bildatlas der Architek- tur (The World History of Architectu- re), Niedernhausen 2001 Abb.1: Islam, Eroberungen und Städte. 17
Zu den wichtigsten Strukturen und Elementen Den europäischen Betrachter mag es verwundern, dass das (Auszüge aus [1]) muslimische Stadtwesen bereits im frühen Mittelalter zu einer hohen kulturellen Blüte und einem durchaus urbanen Charak- Historische Anfänge muslimischer Siedlungsformen: ter gefunden hat und dennoch jene kommunalen Institutionen vermissen lässt, die in Europa mit dem Aufstieg der Stadt und Neben den Neugründungen, wie sie vor allem in Mesopota- des Stadtstaates unauflöslich verbunden waren. Der fundamen- mien und in Nordafrika dokumentiert sind, entschieden sich tale Unterschied besteht darin, dass sich die islamische Stadt die Araber oft auch für die Übernahme und Umnutzung beste- nicht in Auflehnung gegen die Ansprüche von Kirche, Krone hender Bauten, vor allem im früheren römisch-hellenistischen und Adel konstituieren musste: Eine Kirche als Institution hat es Kulturraum von Syrien, der nun christianisiert war. Dort stießen im Islam nie gegeben, die Königsherrschaft wurde als Ergebnis sie auf die von der römischen Basilika abgeleiteten Kirchenbau- unausweichlicher, mit Stammesstrukturen und realen Macht- ten…. So wurden in der islamischen Frühzeit – und gelegentlich faktoren verbundener politischer Vorgänge hingenommen und auch später – christliche Basiliken als Moscheen benutzt oder nicht als gottgegebenes Amt oder mit besonderen politischen unter beide Religionen aufgeteilt, wie dies vor allem aus Da- Vorrechten, sondern mehr als eine Sache subtiler gesellschaftli- maskus und aus anderen syrischen Städten überliefert ist …. cher Einflüsse, die auf der Zugehörigkeit zum Stamme des Pro- (60) pheten oder auf der besonderen Autorität angesehener Schei- Mancherorts wurden im Laufe des 7./8. Jahrhunderts n. Chr. che beruhte. auch ganze Bezirke von römisch-hellenistischen Stadtanlagen So ist die islamische Stadt nicht auf Grund von mühsam er- übernommen und verändert, die sich bis in die byzantinische kämpften politischen Freiheitsrechten entstanden, sondern aus Zeit hinein erhalten hatten. Dies gilt für die Agora von Aleppo dem Wunsch, eine bestimmte Lebensführung zu verwirklichen, wie für den Tempelplatz von Damaskus und die darauf hinfüh- die in ihren religiösen Geboten bereits klar definierte soziale rende Kolonnadenstraße: Der große Platz wurde durch ein in Verhaltensregeln und gesellschaftliche Ordnungen enthält und sich geschlossenes Moscheengeviert mit gedeckter Halle und damit auch dem städtischen Leben Impulse geben konnte. Die umlaufenden Arkaden rings um den zentralen Innenhof be- entsprechende Idee der islamischen unterschei- setzt, das von nun an das religiöse und politische Zentrum der det sich stark von griechischen, römischen und europäischen wachsenden muslimischen Gemeinschaft bildete. In der Kolon- Vorstellungen: Sie beruht auf der Idee der Gottesherrschaft und nadenstraße setzten sich innerhalb der Arkaden und auch in auf dem Instrument der , der aus den Offenbarun- der Mitte der breiten Straße ambulante Händler fest, die gleich- gen, Anweisungen und Verhaltensformen des Propheten abge- sam den Fluss der Passanten und potentiellen Kunden in zwei leiteten Rechtsordnung [...] (124) weitere Ströme aufteilten... (61) Institutionen und soziale Strukturen: 18
Das Lebensgefühl in der muslimischen Stadt: Erscheinung traten, wie Rathaus, Dom und Stadtplatz, waren Viele moderne Historiker bezeichnen die arabischen Altstädte in der Moschee und ihrem Innenhof zu einer einzigen Anla- als und , weil die Merkmale einer ge zusammengefasst, die keine Spaltung zwischen weltlichem willentlichen kommunalen Planung, wie geometrische Straßen- und geistlichem Bereich zuließ. Auch die Marktgassen galten, achsen, große Platzanlagen und ins Auge stechende öffentliche im Gegensatz zu den Wohnquartieren, als öffentlicher Raum… Bauten, weitgehend fehlten. Dazu kam eine gewisse, bereits (131 f.) von Ibn Chaldûn festgestellte Gleichgültigkeit gegenüber dem zeitgebundenen Verfall von Gebäuden, wenn sie nicht mehr Stadtgründung und Stadtentwicklung: benutzt wurden. In der Tat fehlten hier die Konzepte der und des repräsentativ gestalteten öffentlichen Raumes, vor allem um Städte, die über eine hohe Standortgunst und wie sie die römisch-hellenistische und die neuzeitliche europä- alteingesessene urbane Traditionen verfügten. Die besten Bei- ische Stadt kannten; dafür spielten unsichtbare soziale Kräfte spiele dafür sind in der Frühzeit des Islam die syrischen Städte eine um so wichtigere Rolle und bewirkten einen organischen Damaskus und Aleppo, wo eine römisch-hellenistische Stadtan- inneren Zusammenhalt des Stadtgefüges. (130 f.) lage, von den Byzantinern weiterbenutzt, schließlich in musli- Die Stadt glich also in gewissem Sinne einem Gewebe von mische Hände geriet, ein Vorgang, der sich einige Jahrhunderte selbstverwalteten Territorien, in welchem jede soziale Gruppe später in spektakulärer Weise mit Konstantinopel wiederholte ihre eigenen Regeln zur Nutzung des Raumes aufstellen konnte, und auch für viele kleinere Städte in Nordafrika und im Vorde- solange diese nicht mit der Scharî`a in Konflikt kamen. Diesem ren Orient zutraf. Charakter des öffentlichen Raumes entsprach Die Veränderungen, die innerhalb der antiken Mauern statt- ein auffallender Mangel an Verordnungen im Bauwesen der is- fanden, sind für Aleppo und Damaskus … besonders gut do- lamischen Stadt: Außer den durch die Lebensform gegebenen kumentiert: Die großen Platzanlagen wurden durch eine Hal- Verhaltensvorbildern bestanden so gut wie keine gesetzlichen lenmoschee mit Innenhof überbaut, welche die öffentliche Regelungen zur Lenkung der Bautätigkeit. Dem einzelnen und Funktion des Freiraumes auf islamische Weise weiterführte. Die den Gruppen war es weitgehend überlassen, den Spielraum zu breiten, für den Wagenverkehr berechneten Kolonnadenstra- nutzen, der sich ergab, unter der Bedingung allerdings, dass ßen verwandelten sich in parallele Reihen von engen Marktgas- er die Allgemeinheit und besonders den Nachbarn nicht durch sen, in denen sich die Verbände der Kaufleute und Handwerker seine Tätigkeit beeinträchtigte. niederließen, wobei der verfügbare öffentliche Raum auf die Wenn es in der islamischen Stadt ein Gefühl der gab, so wurde es vor allem in der Freitagsmoschee erlebt, wendige Aussparung zusammenschmolz. Der fundamentale wo sich alle Mitglieder der einzelnen Gruppen zum gemein- Wechsel in den Lebensgewohnheiten und Planungsmethoden samen Gebet und zur Beratung vereinigten. Alle öffentlichen zeigte sich aber am stärksten in den Wohnquartieren: Wäh- Bauten und Räume, die in der europäischen Stadt getrennt in rend die römisch-hellenistische Stadt noch den Vorrang der 19
Verkehrswege kannte und die Wohnquartiere nur abgespaltete die eine sehr viel stärkere geometrische Planung aufwiesen, im geometrisch angelegten Straßennetz waren, kehr- während in den muslimischen die räumli- te sich jetzt das Verhältnis um, und die privaten Territorien der che Einteilung bis auf die zentrale Zone und die großen Durch- Quartiergemeinschaften vereinnahmten das Straßennetz. Die gangswege von den einzelnen Stammesgruppen selbst in die Zugangswege zu den geschlossenen Quartieren und Hausein- Hand genommen wurde. Daraus ergab sich von Anfang an ein heiten wurden progressiv der Öffentlichkeit entzogen und in ähnliches urbanistisches Muster, wie es sich in den veränderten halbprivate umgewandelt, die oft in Sackgassen antiken Städten im Lauf der Jahrhunderte einstellte. endeten und ganz der Gewalt der Anlieger unterstanden. Da- Die fürstlichen Stadtgründungen dagegen, wie das abbasidi- mit bildete sich eine neue Logik der Verkehrswege heraus, die sche Baghdad, das fatimidische Kairo oder das moghulische nicht mehr die ganze Stadt durch einen gleichmäßigen, schach- Fatehpûr Sikri, waren Palaststädte und hatten meist als archi- brettartigen Raster erschlossen, sondern sich (ähnlich einem tektonische Bestätigung einer neu zur Macht gelangten Dynas- Bewässerungssystem) in Haupt- und Nebenströme verschie- tie zu dienen. So waren sie vom monumentalen Willen ihrer denen Öffentlichkeitsgrades verzweigten, die schließlich im Gründer geprägt, konnten aber oft das Ende der jeweiligen Hausinneren versickerten. Dieser neuen Ordnung zuliebe, die Dynastie nicht überleben, wenn sie überhaupt so lange benutzt eine klare Identität zwischen sozialen Einheiten und dem von wurden. (136) ihnen beanspruchten Territorium schuf, wurden oft gewunde- Die dritte Form der Urbanisation schließlich war weniger ge- ne Zugangswege in Kauf genommen, und nicht selten wurden planter als spontaner Art und kam als allmählicher Niederschlag früher durchgehende Straßen durch eingesetzte Wohnbau- einer erst dörflichen, dann städtischen Bevölkerung um gewisse ten unterbrochen, welche die direkte Verbindung unmöglich bevorzugte Kristallisationspunkte zustande. Ein solcher sozusa- machten und als Trenngrat zwischen verschiedenen Erschlie- gen organischer Wachstumsprozeß konnte sich vielfacher An- ßungssystemen dienten. Die natürliche Folge dieses Vorgehens satzpunkte bedienen: Oft war es ein Markt am Kreuzungspunkt war das dichte Agglomerat der islamischen Stadt, in dem die wichtiger Verbindungen, der sich allmählich von einer tempo- Verkehrswege – ebenso wie die Freiflächen – gleichsam durch rären zu einer dauernden Institution entwickelte und eine feste die Baumassen aufgesogen und so weit integriert wurden, dass Besiedlung nach sich zog. …. Ein Musterbeispiel für eine solche sie nur noch ein dienendes Erschließungsnetz bildeten, aber allmähliche gewachsene Siedlung ist die Altstadt von Fes, die keine raumgestaltende Funktion mehr hatten. (135) ihre traditionelle Struktur bis in die Gegenwart bewahren konn- Die zweite Form der Urbanisation bestand in der Gründung te. (137 f.) neuer Städte, die entweder Garnisonsstädte in neue eroberten Die beschriebene Art der Urbanisierung lässt sich Gebieten sein konnten oder befestigte Residenzstädte, die auf auch in den Vorstädten großer Metropolen verfolgen, wo sich fürstliches Geheiß hin geplant und gebaut wurden. ... Hier sei die einströmende Landbevölkerung außerhalb der Tore nieder- nur daran erinnert, wie sehr sie sich von den hellenistischen ließ. Oft entwickelten sich hier offene Märkte, auf denen ein Kolonialstädten und den römischen unterschieden, Austausch zwischen Stadt und Land stattfand; es wurden erst 20
Zelte, dann Buden und schließlich feste Bauten errichtet, die sich entlang der meistbegangenen Zugangswege aneinander- reihten und später alle verfügbaren Zwischenräume zwischen den so entstandenen Gassen ausfüllten. Solche Strukturen sind zum Beispiel in der nördlichen Vorstadt von Aleppo oder in den Außenquartieren von Damaskus festzustellen, die sich an die Stadt antiken Ursprungs angeschlossen haben. Die Vorstadt von al-Maidân in Damaskus ist der typische Fall eines entlang dem südlichen Ausgang der Stadt, wo sich jedes Jahr die großen Pilgerkarawanen aus Anatolien und aus Iran versammelten und vor ihrem Aufbruch nach Mek- ka neu versorgen ließen, weshalb an diesem Verbindungsweg umfangreiche Karawansereien und Märkte entstanden. Wenn man die Entwicklung der großen arabisch-muslimischen Städte von der Frühzeit bis in die Gegenwart verfolgt, stellt man fest, dass es in vielen Fällen eine Kombination der beschriebe- nen drei Urbanisationsformen war, die zur späteren Stadtgestalt geführt hat, so wie sie aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert überliefert ist – also bevor westliche Planungsmaßnahmen eine neue Form von Eingriffen ins Spiel brachten. (139 ff.) Stadtbild und räumliche Struktur: Während die Palaststädte oft besondere, der fürstlichen Selbst- darstellung dienende Charakteristiken zeigten, wiesen die Städte der Handwerker, Kaufleute und Gelehrten in der gesamten islamischen Welt eine Reihe von gemeinsamen Merkmalen auf, die sich … über Jahrhunderte hinweg kaum verändert haben. So fand der Muslim zwischen Marokko und Indien überall verwandte soziale Bezugssysteme und räumliche Anordnungen wieder die ihm nie ganz fremd waren. Die archi- tektonischen Stilformen der öffentlichen wie der privaten Bau- Abb.2: ten mochten zwar von Region zu Region wechseln, doch das Stadtmodell der islamisch-orientalischen Stadt 21
räumliche Gefüge blieb sich im Wesentlichen gleich. gänge markiert. (146 f.) Ein erstes und vielleicht das deutlichste Kennzeichen dieser Ein zweites Merkmal dieser Stadtstruktur bestand darin, daß gemeinsamen Raumordnung ist die strenge Unterscheidung jede Einheit des sozialen Gefüges einen in sich geschlossenen zwischen öffentlichem und privatem Territorium, die nicht Raum besaß, in dessen Grenzen sie autark war und ihren eige- nur die Struktur der Gebäude, sondern auch den Charakter nen Gesetzen entsprechend leben konnte. Dies gilt schon für des Erschließungsnetzes geprägt hat. Der öffentliche Pol des die kleinste Zelle des Gefüges, das Wohnhaus, und der engli- städtischen Lebens war durch die Moschee, die umliegenden sche Wahlspruch „my home ist my castle“ ist wohl nirgends so Märkte und die zu den Stadttoren führenden Hauptadern ge- konsequent verwirklicht worden wie in der islamischen Stadt. kennzeichnet, der private Pol durch das Wohnhaus und das Es galt aber auch für jedes einzelne Quartier (Hâra) als Ganzes, Quartier. Beide Bereiche durften zwar aneinanderstoßen, soll- wobei die Quartiere oft von Gruppen verschiedenen ethnischen ten sich aber nicht vermischen, was besondere räumliche und Ursprungs bewohnt waren, die unterschiedliche Lebensge- bauliche Maßnahmen erforderte: Uneinsehbare Mauern schie- wohnheiten hatten. Ein Modellfall ist das in vielen alten islami- den die inneren Wohnbezirke vom öffentlichen Raum ab; und schen Städten vorzufindende Judenquartier, das eine Stadt in nur das vielfach gebrochene System der Erschließungswege der Stadt bildete und der anderen Religionsgemeinschaft ein schuf eine hierarchische Folge von Übergängen, die zwischen selbständiges Leben nach ihren eigenen Gesetzen ermöglichte, den gegensätzlichen Zonen vermittelten... sie aber zugleich in ein zusammengesetztes urbanes Gefüge Wer, von der kommend, durch das Stadttor ins einband. (147 f.) Innere der Stadt trat, gelangte zuerst in eine Übergangszone, Ähnlich wie die Quartiergemeinschaften hatten auch die Be- in der sich Stadt und Land begegneten und Austausch pfleg- rufsgemeinschaften ihr festes, abschließbares und von Nacht- ten. Hier wurden ankommende Waren umgesetzt, gespeichert, wächtern bewachtes Territorium im Zentrum der Stadt. Viele für die weitere Verteilung ins Stadtzentrum umgeladen oder Markteinheiten (Sûq) bestanden aus zellenartig aneinander- umgekehrt zur Ausfuhr vorbereitet. Von diesem Ausgangs- gereihten Verkaufsläden rund um einen Gassenabschnitt, der punkt bewegten sich die Fußgängerströme, ebenso wie die durch zwei Tore von beiden Seiten gesichert werden konnte. … Warentransporte auf engen Schneisen ins Zentrum, ohne daß Die länglichen, oft gedeckten Gassenabschnitte der Sûqs, die die eigentlichen Wohnquartiere durchquert werden mussten. den Grundtypus der verkörpern, konnten Die Hauptverkehrsströme flossen meist zwischen hohen kahlen seitlich aneinandergesetzt oder in Längsrichtung fortgeführt Mauern einher, die sich aus den Außenmauern der Häuser zu- werden und bildeten ein kammerartiges System von Markt- sammensetzten und die Wohnquartiere abschirmten. Oft stan- abschnitten, das oft den großen zentralen der Stadt den zu beiden Seiten der öffentlichen Hauptgassen (Scharî`a) – den Moscheehof und die Gebetshalle – allseitig einfasste. Die Läden und Karawansereien, die eine zusätzliche Pufferzone zu Moschee wurde dadurch gleichsam zu einem den dahinterliegenden Privathäusern bildeten. Die Grenzen der des Marktes, der durch mehrere gleichsam in die Ladenreihen Wohnquartiere waren meist durch verschließbare Tordurch- eingebaute Portale betretbar war. Obwohl diese Torwege meis- 22
Abb.3: Quartier und Nachbarschaft. Modellskizze. 23
tens offenstanden, markierten sie die Schwelle zwischen zwei Woche der Verkündigung politischer Entscheidungen und der verschiedenen Arten von öffentlichem Raum: Die Moschee war öffentlichen Beratung sowie, wenn immer nötig, der Recht- der ruhende, durch rituale Reinheit gekennzeichnete Mittel- sprechung durch den Kadi. Zwischen den Gebetszeiten konnte punkt der Stadt, …, der Markt war der Bewegungsraum, wo sie zur Hochschule werden, in der die Gelehrten ihre allgemein tagsüber alle Ströme der Stadt aufeinander trafen, solange die zugänglichen Vorlesungen hielten. (156) Tore geöffnet und die Durchgangswege miteinander verbun- Das Urbild der Moschee ist vor allem von zwei Modellen ge- den waren. prägt worden: Das eine war das Anwesen des Propheten in Me- Das in sich verkapselte Gehäuse der islamischen Stadt folgt also dina, dessen Hof mit seinen Schattendächern das erste Zentrum einer besonderen Logik der Raumkomposition, die sich stark der muslimischen Gemeinde war und bereits die vorbildhafte von jener der antiken oder neuzeitlichen europäischen Stadt Verbindung religiöser, sozialer und politischer Funktionen auf- unterscheidet, wobei der Gegensatz im umgekehrten Verhältnis wies. Das andere war der ummauerte ... alte Tempelbezirk von von Wegnetz und Bauten liegt: Im Gegensatz zur europäischen Damaskus, der zur Moschee umgewandelt und so zum Vorbild Stadt ist das islamische Stadtbild nicht von großen Straßenein- für einen eingefaßten öffentlichen Raum von städtischen Di- schnitten und perspektivisch darauf bezogenen Bauten geprägt, mensionen wurde. Ähnlich wie der Hof des Propheten diente sondern von der vielfachen inneren Unterteilung ganzheitlicher diese Moschee auch als Empfangsbereich für den daran ansto- Raumkörper. Dem entspricht eine ganz andere Art des archi- ßenden Palast der umayyadischen Kalifen. (159 f.) tektonischen Aufbaus und nicht zuletzt auch eine andere Art Religiöse Stiftungs- und Wohlfahrtsbauten: des Raumgefühls und des dreidimensionalen Stadterlebnisses: Ein wichtiger der religiösen Erziehung dienender Wohlfahrtsbau Dem Betrachter wird die Stadt nicht in Form von freistehenden war die Koran-Hochschule (). Ursprünglich wurde architektonischen und entsprechenden Fassaden für diese Funktion kein gesonderter Bau benötigt, und in vielen vorgesetzt, sondern er kann sie nur als komplexen, vielfach in großen Moscheen wie der al-Azhar in Kairo oder der al-Qayra- sich gegliederten Hohlraum erfahren, der ihn ganz umhüllt und wiyîn in Fes wurde der Unterricht bis in die jüngste Gegenwart den er sich abschnittweise, Kammer für Kammer, erschließen in den Säulenhallen des Gebetesraumes abgehalten. (167 f.) muß. So hat er zwar nie das Ganze im Auge, fühlt sich aber Ein zweiter Typ eines religiösen Stiftungsgebäudes, das der so- immer in der des Raumes. (152) zialen Wohlfahrt diente, war das Hospital (), das in vielen islamischen Städten des Mittelalters anzutreffen war und Die Moschee – Funktion und bauliche Merkmale: im architektonischen Aufbau ebenfalls Verwandtschaften mit Die Freitagsmoschee war das spirituelle Zentrum der Stadt, der Madrasa aufweist. (172) zugleich aber auch Brennpunkt des öffentlichen Lebens: Ihre weiten Räume, die sich wohltuend von der Enge und dem Ge- Markt- und Gewerbebauten: triebe der Marktgassen abhoben, dienten fünfmal am Tage In Aleppo fand der Druck der aus der Agora verdrängten Händ- dem gemeinsamen Vollzug des Gebetes (Salât), einmal in der ler ein zusätzliches Ventil in der Besetzung der breiten, von 24
Kolonnaden gesäumten Hauptstraße, die nun nicht mehr vom es bildeten sich parallele Nebenlinien, Querverbindungen und Wagenverkehr beansprucht wurden. Wie J. Sauvaget ... gezeigt Seitenäste aus, die eine größere Anzahl von Läden aufnehmen hat, entstanden die orientalisch-islamischen Einkaufsgassen konnten. So entstand ein engmaschiges Gewebe von Markt- (Sûqs) auf Grund einer neuartigen Nutzung der hellenistischen gassen, das Moscheen, Bäder, Koranschulen und Karawanse- Kolonnadenstraße, die als Bautyp schon lange im Orient be- reien untereinander verband und außer dem Handel auch der kannt war, wie die Ruinen von Palmyra bezeugen. In der Art, Erschließung der öffentlichen Bauten diente. (179 f.) wie die Übernahme der Kolonnadenstraße vor sich ging, sieht Der zentrale Markt einer islamischen Stadt ist freilich nur der man nomadisches Erbgut wirken: Das alte Erstbesetzungsrecht, Endpunkt eines Warenumschlags, der innerhalb und außerhalb wie es auf den Wochenmärkten galt, führte zu einer engen An- der Stadt viele Zwischenstationen hatte und entsprechende einanderreihung schmalster Ladenbauten entlang von Durch- Bauten benötigte. Hier sind grundsätzlich zwei verschiedene gangswegen, teils durch allmähliche Usurpation der gedeckten Wirtschaftssysteme zu beobachten: einerseits jenes des Fern- Wandelgänge und Einbau von Buden in den Säulenzwischen- und Überseehandels, andererseits jenes der lokalen Produktion, räumen, teils durch vorübergehende, später feste Besetzung die innerhalb der Mauern stattfand, aber auf Rohmaterialien des Straßenraumes. Hand in Hand mit dieser Überbauung, die aus der näheren Region angewiesen war. Beide Systeme be- sich in den früheren hellenistischen Städten wie Damaskus und nützten ein zellenartig gegliedertes Aufnahmegebäude, das Aleppo (vielleicht bereits in byzantinischer Zeit) angebahnt hat, je nach Umständen als Warenlager, als Verkaufsstelle für den wuchs das Zellengefüge der Läden und Werkstätten, das ganz Großhandel, als Herberge oder als Werkplatz dienen konnte. auf den Maßstab des Fußgängers abgestimmt war und die en- Diese komplexe Bauform war die Karawanserei, die im arabi- gen freigelassenen Durchgangswege beidseitig einfaßte. schen Raum meist genannt wurde, in der Türkei Damit war ein Grundprinzip der räumlichen Organisation zen- und im Maghreb hieß (woran noch das italienische traler Marktviertel in der islamischen Stadt gefunden, das in vie- erinnert). (181 f.) lerlei Varianten immer wieder angewandt wurde: Der arabische Sûq (in Persien … ) entstand aus einer dichten Anein- Der Aufbau des Stadtzentrums: anderreihung nischenartiger Ladenbauten entlang den meist- So blieb das islamische Stadtzentrum ein dichtes Gewebe von begangenen Durchgangswegen. Der einzelne Laden () eng miteinander verknüpften Aktivitäten und Bauten, das mehr bietet meist nur dem Inhaber und seinem Warenangebot Platz durch das Gleichgewicht der natürlichen Lebensvorgänge als und wird wie ein Schrank von der Gasse her geöffnet und ge- durch formelle Planung bestimmt war. Große öffentliche Plät- schlossen. (179) ze waren hier (im Gegensatz zur Antike oder zur Renaissance) Charakteristisch für die Hauptadern der Sûqs ist ihr linearer Ver- keine unabdingbare Notwendigkeit und wurden nicht wie in lauf, der den Passantenströmen folgt und den Händlern gestat- Europa zu Trägern der urbanen Identität erhoben. (186) tet, den potentiellen Kunden dicht auf den Leib zu rücken. Im Die Ausnahmen zu dieser Regel sind jene Platzanlagen, die als Stadtzentrum ließen sich die Durchgangsströme aufteilen, und Puffer und Übergangsräume zwischen bürgerlichen Stadtstruk- 25
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