DIE KLEINE WELTBUHNE: ZUKUNFT - ASTA UNI OLDENBURG
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BERATUNGSANGEBOTE Inter*trans*Beratung Sozialberatung Computerwerkstatt Die Inter*Trans*Beratung richtet sich an Ihr könnt euch mit allen Anliegen zunächst Die Computerwerkstatt des AStA ist die An- all diejenigen, die sich nicht im binären an uns wenden, ganz egal ob es sich um laufstelle für Studenten bei Problemen mit Geschlechtersystem wiederfinden und Fragen der Studienfinanzierung, Studi- Hier bekommst du fachkundige Beratung an ihre Mitmenschen. Zusammen ver- enorganisation, um eine alternative Stu- und Hilfe deine Geräte (Laptops, Compu- suchen wir die richtigen Ansprechper- dienberatung oder dringende Notlagen tern, Smartphones, etc.) wieder zu reparie- sonen und Informationen für individu- handelt. Seid ihr euch nicht sicher, ob ihr ren oder kannst auch einen Laptop auslei- elle Anliegen zu finden. finanzielle Ansprüche etwa beim BAföG, hen, falls deiner gar nicht mehr anspringt. Die aktuellen Beratungszeiten stehen Wohngeld oder bei Sozialleistungen gel- Außerdem nehmen wir auch sehr gerne auf der Homepage tend machen könnt, ermitteln wir mit euch Spenden alter Laptops und funktionieren- www.asta-oldenburg.de/ zusammen alle notwendigen Fakten. der Computerteile entgegen, die wir dann beratungszeiten Unsere Schwerpunkte sind: anderen Studenten zur Verfügung stellen, mail intertrans@asta-oldenburg.de BAföG für Reparaturen nutzen oder an gute Zwe- web asta-oldenburg.de/ Studium und Hartz IV cke spenden. intertransberatung Probleme mit Bachelor/Master Kontaktiert uns via Mail oder schaut auf un- Probleme im Studium, auch bei serer Webseite nach der aktuellen Sprech- Gremienarbeit stundenzeit: Nightline Studienbeiträge/-gebühren, sowie mail computerwerkstatt Wir sind ein anonymes Darlehen zur Überbrückung kurzzei- @asta-oldenburg.de Zuhörtelefon von Stu- tiger finanzieller Engpässe und web asta-oldenburg.de/ dierenden für Studie- Studieren mit Kind computerwerkstatt rende, denn manchmal mail soziales@asta-oldenburg.de ist da etwas, das belas- web www.asta-oldenburg.de/ tet. Egal ob Prüfungs- soziales Fahrradselbsthilfewerkstatt stress, Liebeskummer, fon 0441/ 798-3104 Aufgrund von Covid-19 ist die Werkstatt Streit oder anderes – wir hören zu! Voll- geschlossen, Änderungen s. Homepage kommen vertraulich und anonym. In der jetzigen Situation können web asta-oldenburg.de/service/ Bei uns telefonieren geschulte Studie- persönliche Beratungen nur mit fahrradwerkstatt rende und teilen vorurteilsfrei mit dir Terminvereinbarung erfolgen! mail fahrradselbsthilfe@ deine Gedanken. Wir wollen da sein und asta-oldenburg.de dich dabei unterstützen eine Lösung zu In der Veranstaltung AStA öffentlich finden. https://elearning.uni-oldenburg.de/dis- Fahrradverleih Du bist noch nicht sicher, ob du richtig patch.php/course/details?sem_id=399 Es ist wieder möglich Räder und An- bei uns bist? Probiere es einfach aus! a95bc90d70585eb9412d2df6278fd hänger auszuleihen. Ihr könnt bei uns Wir freuen uns auf deinen Anruf. bei der Lehrperson AStA könnt ihr euch Räder, Lasten- und Kinderanhänger zum Bei Fragen und Anregungen schreib uns Selbstkostenpreis ausleihen. Dazu müsst auch gerne eine Mail. ihr telefonisch einen Termin vereinbaren. mail nightline@asta-oldenburg.de fon 0441 798 2950 fon 0170/ 5467737 time Di. 10-12 Uhr, Do 21:00 – 23:00 Uhr Mi. 14-16 Uhr, Do. 14-16 Uhr So 21:00 – 23:00 Uhr bitte öfters versuchen. Insta nightlineastaoldenburg für eine Sprechstunde anmelden zu den fb @Nightline AStA Oldenburg unterschiedlichen Bereichen. Viele Anliegen können wir auch ein- AStA-Verleih facher telefonisch und/oder digital Ihr wollt mit eurer Fachschaft grillen? Euch Semesterticketerstattung lösen. Ihr erreicht uns per Mail unter fehlen noch Bierzeltgarnituren für die Unter bestimmten Umständen kannst du beratung@asta-oldenburg.de oder in nächste Veranstaltung? Oder ein Boller- dir den Semesterticket-Beitrag erstatten bestimmten Zeiten telefonisch. wagen für den Transport? Kein Problem! lassen. Das Antragsformular und weitere Der AStA bietet Studierenden unkom- Erklärungen findest du auf der Homepage. Alle aktuellen Beratungszeiten pliziert und gegen Kaution eine Vielzahl Den Antrag und die Unterlagen kannst du uns an Equipment für verschiedene auf dem per Mail als PDF einreichen. Sprechstunden Campus stattfindende Events. Wie genau siehe asta-oldenburg.de/beratungszeiten der Ausleihprozess abläuft, könnt ihr auf web asta-oldenburg.de/service/ unserer Website erfahren. semesterticket-erstattung web asta-oldenburg.de/service/ mail semesterticket-erstattung@ verleih asta-oldenburg.de www.asta-oldenburg.de mail verleih@asta-oldenburg.de /beratungszeiten 2
Vorwort Hangelte man sich spätestens seit der Subprime Die schon erwähnten „Fridays for Future“ und Krise 2008 gefühlt nur noch von eben Krise zu ihr Äquivalent auf Uniebene, die „Students for Krise, so überwiegt in der Debatte angesichts Future“ waren während der Covidkrise eher aus der welthistorischen Pandemie die Sprache dem Blick der Öffentlichkeit verschwunden, darüber, wie es „nach Corona“ denn nun nachdem sie vorher über ein Jahr lang die weitergehen könnte. Ging es vorher also lange öffentliche Debatte prägten. Wir unterhielten uns nur um die Verwaltung des „alternativlosen“, mit Aktivist_innen dieser Gruppen und auch der so ist spätestens jetzt der Begriff der Zukunft „Nachdenkstatt“, die sich ebenfalls das Gestalten wieder zu einem Bestimmenden geworden. Was der Zukunft zur Aufgabe gemacht haben. bei Fridays for Future schon vorgebildet war ist nun zum Thema vieler öffentlicher Debatten Außerhalb des Themenfeldes sind wir besonders geworden, und zwar quer durch die politischen froh, die Preisträger_innen des ersten Kulturfests, Einstellungen und Milieus. das vom AStA der Uni Oldenburg organisiert wurde, abdrucken zu können. Auch wir widmen uns in der vorliegenden Ausgabe diesem Thema, wie immer mit einem Blick auf die Über die psychischen Folgen der Krise konnten Uni - und mit einem darüber hinaus. wir außerdem mit Wilfried Schumann von der Psychosozialen Beratungsstelle sprechen. Vermittelt über eine Theaterinszenierung eines ehemaligen Studierenden der Uni Oldenburg In der „Außenpoliitk“ der Hochschule waren geht es im Interview mit Raban Witt und Saskia die ersten Monate des Jahres geprägt von der Kauffmann um die „Zukunft des Sterbens“; eine Situation an der Istanbuler Partneruni der Uni Frage, die angesichts des weltweiten, durch Covid Oldenburg, der Boğaziçi Uni. Erstmalig kam es produzierten Leids eine dringende ist und uns bei zu einer deutlichen Stellungnahme, die vom all jenen öffentlichen Trauerfeiern, die auf uns höchsten Gremium der Uni mitgetragen wurde. zu kommen dürften, begleitet: wie wollen wir in Wir sind froh einen Gastbeitrag der Professorin Zukunft trauern? Zeynep Gambetti zu veröffentlichen, die die Situation eindringlich als solche beschreibt, die Auch die Preisträgerin des diesjährigen Preises eine internationale Solidarität der Unis verlangt. der Lehre, Anna Plader, hat diesen für ein Seminar zum Thema Zukunft erhalten, genauer zum Viel Spaß bei der Lektüre und hoffentlich auch „Philosophieren mit Star Trek“. Wir sprachen mit den ein oder anderen Erkenntniszuwachs ihr über den Zusammenhang von Science Fiction wünscht und Philosophie und über ihr Seminar. Ulrich Mathias Gerr Redaktion Die kleine Weltbühne 3
Inhaltsverzeichnis 02 03 05 06 Beratungsangebote Vorwort Studentische Interview Forschung zur Inszenierung ‚Zukunft‘ ‚Sterben‘ 10 12 16 18 Was bleibt von der Interview Comic Interviews for Future Zukunft? ‚Philosophieren mit Star Trek‘ 22 24 25 26 Persephonyx Digitaler Umbau Stupa Wahlen Interview Psychosozi- der Uni ale Beratung 28 29 32 34 Erstsemester unter AStA Kulturfest Proteste an der AStA Kulturfest Bedingungen der Zeichnungen Boğaziçi Universität Fotos Pandemie Istanbul 36 38 39 40 Fairtrade an der Uni Populärkultur und Die Tage an denen ich Impressum Antisemitismus nicht aufstand 4
Studentische Forschungen zum Thema Zukunft Im vergangenen Jahr feierte ein neues gewählt wurden die Projekte von ei- Programm zur Förderung von eigenen nem Auswahlgremium, das sowohl aus studentischen Forschungsprojekten Lehrenden wie auch aus Studierenden Premiere. Jetzt wurde über ein Nach- bestand. Die genaue Anzahl der För- folgeprojekt entschieden. Das Thema derungen war vorher nicht festgelegt, dieses Mal: Zukunft. am Ende sind es nun sechs Themen ge- worden. Diese verteilen sich dabei, wie Das Besondere an den studentischen es das Ziel gewesen ist, quer über ver- Forschungen ist, dass es sich dabei schiedene Fachbereiche hinweg. Jetzt nicht um Projekte im engen Rahmen ist es sogar so, dass jede der sechs Fa- der Curricula, zwischen Kreditpunkten kultäten der Uni Oldenburg ein Projekt und Prüfungsleistungen, handelt, son- zugeschrieben bekommen hat. Diese dern dass es freie Projekte sind, an de- genaue Verteilung war aber nur Zufall nen Studierende über einen längeren – für die genauen Themen sein ein Blick Zeitraum selbstständig arbeiten kön- auf die Grafik empfohlen. nen. Dafür wird die Arbeit an den Pro- jekten auch finanziert - für die eigene Nach dem Entscheid über die Projekte Forschung bekommen die Studierende und einem ersten Kickoff Meeting ist Grafik: Referat für Studium und Lehre demnach eine geringe Kompensation. jetzt die „heiße Phase“ der Forschungs- projekte, wenn man so will. Wie genau Die ersten Projekte dieser Art fanden sondern auch Lehrprojekte, studen- geht es mit den Forschungen nun wei- letztes Jahr zum Thema Corona Pande- tische Präsentationen auf Fachkonfe- ter? Und wie werden die Ergebnisse am mie statt, was sich damals aufgedrängt renzen und Sachmittel für Studieren- Ende präsentiert? hat. Die Folgen der Pandemie auf ver- denprojekte. schiedene Bereiche wurden damals Die genaue Forschungszeit variiert zwi- von studentischen Forschungsprojek- Nachdem sich das Thema Corona letz- schen den Projekten, je nachdem wie ten erforscht – etwa die Auswirkungen tes Jahr aufgedrängt hat, ist dieses für umfangreich der Gegenstand der For- auf den CO2 Ausstoß der Uni und die das neue Thema „Zukunft“, vermutlich schung gewesen ist. Wie schon letztes Verschwörungserzählungen auf den ebenfalls so, denn viele sind sich einig, Jahr steht aber für alle das offizielle Hygienedemos (vgl. letzte Ausgabe dass sich nach Corona vieles ändern „Ende“ fest, denn die Ergebnisse sollen „Lightdown“). wird, wenn man auch gleich noch nicht auf dem Tag des Lehrens und Lernens genau weiß, was das alles sein wird. in Form einer Posterpräsentation vor- In den Gesprächen mit den Projekten Doch für das Thema gab es auch ganz gestellt werden. Diese Präsentationen zur Coronaforschung wurde neben praktische Gründe. werden hochschulöffentlich stattfin- inhaltlich bemerkenswerten Erkennt- den, es steht also allen offen. nissen deutlich, dass die studentische Für das Referat für Studium und Lehre, Forschungsförderung bei den Studie- deren Mitarbeiter_innen das FLIF-Pro- Am Ende bleibt die Frage, wenn man renden sehr gut ankam: mit der intrin- jekt organisieren, war hinsichtlich des solche Projekte, die das eigene For- sischen Motivation, und nicht zum Ab- Themas so auch einfach wichtig, dass schungsinteresse der Studierenden haken von Kreditpunkten, stieg auch es einen Zugang für möglichst viele abbilden, für förderlich hält, ob es nicht der Grad, die eigene Forschung ernst zu Fächer bieten würde und so Studie- sinnvoll wäre derartige Projekte noch nehmen – und derart wurden sie auch rende aller Fächer auch potentiell ein deutlich zu erweitern. Die Motivati- von anderen ernst genommen. Die Forschungsprojekt machen könnten. on der Studierenden, die Qualität der überregionale Aufmerksamkeit auch Ein zu enges Thema würde viele da- Forschungsergebnisse und auch das von Seiten des Wissenschaftsjournalis- bei ausschließen, was bei den unter- Interesse der Öffentlichkeit an dieser mus belegte das. Die weitere Förderung schiedlichen Forschungsgebieten und Forschung scheint deutlich dafür zu ist nun gesichert. Fachkulturen – beteiligt werden sollte sprechen. ja alles, von Geisteswissenschaften bis Grundlage dafür ist FLIF, also das for- zu Naturwissenschaften – gar nicht so In der kommenden Ausgabe wird die schungsbasierte Lehren und Lernen, an einfach zu vermeiden wäre. kleine Weltbühne weiter über die Pro- dem sich die Uni orientiert. Gefördert jekte berichten, dann vielleicht schon werden über das Programm nicht nur Die Förderung wurde schließlich im mit ersten Ergebnissen ausgewählter die studentischen Forschungsprojekte, Winter uniweit ausgeschrieben. Aus- Projekte. 5
„Aus einer Zukunft, in der die Menschen vielleicht in Anlässlich einer Hommage für Christoph Schlingensief fand im Oktober die Inszenierung „Sterben in Ober- hausen“ statt. In diesen Stücken werden echte Trauerfeiern abgehalten – für lebende Personen. Ende April wurden diese unter dem Titel „Sterben“ in hybrider Form im Hamburger Kampnagel und online noch einmal leicht verändert aufgeführt. Die Weltbühne traf die beiden Regisseur_innen Saskia Kaufmann und Raban Witt zu einem Gespräch über den Umgang mit und die Ästhetik von Trauer, Tod und Ritualen. Interview zur Inszenierung ‚Sterben‘ von Saskia Kaufmann und Raban Witt Die Idee für das Stück ist ja vermutlich professionelle Trauernde. Das gibt es in RW: Nunja, wir spielen nicht, dass schon vor der Pandemie entstan- verschiedenen Weltgegenden: Leute, jemand tot ist, sondern wir trauern den. Wie war das für euch, dass dann deren Job es ist, die Katharsis für die darum, dass jemand in Zukunft sterben mitten in eure Arbeit ein historisches Trauergemeinde zu übernehmen und wird. Das ist ja auch nunmal so, egal Ereignis fiel, dass mit dem Thema quasi für sie zu wehklagen und weinen. wer sich dahin setzt. Aber diese beiden eures Stückes sehr viel zu tun hat? Pole gibt es. Wir inszenieren es, auch SK: Wir sind ja beide nicht religiös, und mit Theatermitteln, aber es ist auch Saskia Kaufmann (SK): Erstmal ist eigentlich sogar sehr betont nicht reli- etwas, dass wir ernst meinen. Wir ma- man ja, abgesehen vom Thema, mit giös. Wir verbringen privat eher viel Zeit chen wirklich ein Ritual, dass es bislang Produktionsbedingungen beschäftigt damit, Kulte und Esoterik auseinander- nicht gibt, ein Ritual in dem Menschen und fragt sich so: kann man überhaupt zunehmen. Jetzt haben wir aber etwas darum trauern, dass sie später sterben künstlerisch arbeiten und was zeigen? gemacht, was fast eine Sektenästhetik werden, dass sie sterblich sind. Und als klar wurde, dass wir spielen hat. Ich würde behaupten, wir machen können, hab ich schon Angst bekom- das mit wenig ideologischen Partikeln. Lasst uns auf Aspekte der Ästhetik der men, dass das zu so einer Zeit niemand Aber in jedem Fall braucht es solche Inszenierung zu sprechen kommen. Es sehen will. Rituale! Das ist eine Leerstelle, die ich war ein sehr symmetrischer Aufbau, als nichtreligiös lebender Mensch oft mit einer Art Altar im Mittelpunkt. Raban Witt (RW): Ich habe das eher empfinde, wie man gerade solche Mar- Hatte diese sehr reduzierte und sehr als Bestärkung empfunden, dass das kierungen im Leben, solche Übergänge, geordnete Architektur den Zweck, Thema auf einmal so präsent war. Der eigentlich feiern soll. Das war auch ein einen Gegenpol für den letztlich für Raum, um sich damit auseinanderzu- wichtiger Ausgangspunkt für unsere euch ja nicht vorhersehbaren Zufall setzen, fehlt ja nur umso mehr. Ästhetik, denn für uns war dann ja der einzelnen Zeremonien darzustel- wichtig, wie alles aussehen soll. Woraus len? Die Trauerinszenierung folgt einer schöpfen? Wir haben uns entschieden, sehr strengen Ritualisierung. Hin- uns ästhetisch an „Vaporwave“ zu RW: Zunächst muss man sagen, dass sichtlich der konkreten Rituale habt orientieren, was mit Melancholie zu tun wir zwar überall mit drinhängen, aber ihr euch verschiedenen religiösen hat, aber auch ein globales Phänomen am Ende ist es auch eine Kooperation und kulturellen Trauerpraktiken ist. von Künstler_innen, die eine Eigenstän- beeinflussen lassen. Wie seid ihr dabei digkeit in ihrer Arbeit haben. Die Bühne vorgegangen? Rituale haben ja auch selbst schon hat Anthoula Bourna gemacht, der Text etwas Theatralisches an sich, gleich- und die Reden schreibt Sean Keller. Die RW: Wir haben alle zum Thema ‚welt- zeitig bezieht eure Arbeit ja daraus Bühne ist stark von Vaporwave inspi- weite Trauerriten‘ recherchiert, und ihre Wirkung, dass es authentische riert, was Saskia schon erwähnt hat. mit ‚wir‘ meine ich wirklich das ganze Trauer ist, weil die Personen nicht Das ist ein ästhetisches Internetphä- Ensemble. Und eine Beobachtung war, ausgedacht sind. Dadurch entsteht die nomen, wo es sehr stark um Retrofutu- dass sich in verschiedenen Religionen seltsame Wirkung, dass es zugleich rismus geht, was eine Art von Melan- und verschiedenen kulturellen Kon- das fiktivste überhaupt ist – so zu tun, cholie macht, eine Melancholie, die mit texten Vieles ähnelt und wiederholt als betrauere man das Sterben eines Technik verbunden ist. sich. Unsere Trauerfeier ist auf jeden Menschen, von dem man weiß, dass Fall stärker auf der ekstatischen Seite er noch lebt – und etwas sehr Inti- SK: Es gibt ja das bekannte Windows 95 als ich es sonst von einem christli- mes und Authentisches. Sind das die Meme, auf das alle abgehen. chen Kontext hierzulande kenne. Eine Pole der Inszenierung – Fiktion und wichtige Inspirationsquelle waren Authentizität? 6
der Lage sind, besser mit ihrer Sterblichkeit umzugehen“ Foto: Patrick Sobottka Ich musste eher an 70er-Jahre Science lismus besonders schwer ist, sich mit Die Utopie Adornos hat sich gewandelt Fiction denken, eine gewisse Kubrick- Sterblichkeit auseinanderzusetzen. Das zum Machbarkeitswahn? Ästhetik konnte ich auch feststellen. ist natürlich immer eine harte Sache, das würde es auch in einer besseren RW: Ja, es ist ein Machbarkeitswahn. SK: Vaporwave greift genau das auch Gesellschaft bleiben. Aber ich glaube Eine Omnipotenzfantasie, gleichzei- wieder auf. Es gibt einen Retrofutu- schon, dass es uns in den Bedingungen, tig aber auch nur eine andere Art von rismus. Viele Kritiken haben etwas in in der wir leben, besonders schwerfällt, Verdrängung. der Richtung „Raumschiff-Enterprise- uns damit zu konfrontieren. Sekte“ geschrieben. Es hat diesen Ihr habt schon angesprochen, dass ihr Future-Aspekt. Wir haben manchmal In unserer Inszenierung geben wir versucht habt, euch möglichst unideo- scherzhaft gesagt, wir sind vielleicht den Leuten natürlich nicht vor, was logisch dem Thema der Trauerfeier die Gruppe aus der Zukunft, die es sie für Schlüsse aus den Erfahrungen annehmen zu wollen. An einer Stelle geschafft hat, Rituale zu etablieren, zu ziehen haben, das gehört auch zur gibt es aber doch die Tendenz einer ohne einen ideologischen Schmarn zu Kunst, dass man es den Leuten nicht ideologischen Verklärung. Es gibt, machen. so vorgeben kann. Was wir aufmachen, wenn ich die Stelle richtig verstanden ist eine Zäsur. Die Leute können auf ihr habe, eine Darstellung des Moments RW: Aus einer Zukunft, in der die Men- Leben gucken, wie es bisher war, und des Sterbens und letztlich des Todes. schen vielleicht in der Lage sind, besser sehen, ob sie es gut finden, was sie bis- Wenn man dieses überhaupt inszenie- mit ihrer Sterblichkeit umzugehen. her gemacht haben. Man kann sich aber ren will, dann ist dieser Versuch vor Denn, und das wäre jetzt einmal eine auch die grundsätzliche Frage daraus die Verlegenheit gestellt, dass man hausgemachte Theorie: eigentlich kann stellen: wie sind die Bedingungen für Bilder finden muss für den Tod, der man sich mit der eigenen Sterblichkeit mein Leben? Kann ich sinnvoll leben? sich als alles Materielle schlechthin im Kapitalismus nur sehr schwer be- Kann ich meine Zeit so verbringen, dass transzendierendes Phänomen katego- schäftigen. Aus der Tatsache, dass man ich sagen würde, dass es sinnvoll ist? rial der Bebilderung entzieht. Wie seid sterben muss, kann man hier im Grun- ihr auf eure Darstellung gekommen? de nur zwei zwei Schlüsse ziehen. Man Geht die Überlegung in die Richtung kann sagen, man soll alle Zeit, die man des bekannten Satz Adornos, »Ohne SK: Es tut mir leid, wenn das bei dir so hat, sinnvoll nutzen – ‚Nutze den Tag‘. die Vorstellung eines fessellosen, vom angekommen ist. Es ist aber nicht so, Oder man kann sagen, es ist alles sinn- Tod befreiten Lebens kann der Gedan- dass man sich vorstellen soll, dass die los, weil eh alles endet, und dann sagt ke der Utopie nicht gedacht werden.«? Person stirbt. Es ist die Person selbst, man: ‚Verschwende deine Zeit‘. Eigent- die das tun soll, und dafür wird sie fünf lich geht aber beides nicht. Du kannst RW: Ich kann mit diesem Satz inzwi- Minuten allein gelassen. Das ist natür- den Tag nicht nutzen, weil deine Zeit schen weniger anfangen als früher. lich auch eine unmögliche Aufgabe, dir nicht selber gehört, weil du deine Ar- Es ist eigentlich andersrum: Die Idee, eher eine Art Meditation über etwas, beitskraft zu Markte tragen musst. Auf dass man um den Tod herumkommen was man sich nicht vorstellen kann. der anderen Seite kannst du deine Zeit könnte, dass er bloß ein technisches Unsere Auffassung zum Teil, den das nicht verschwenden, weil Verschwen- Problem ist und keine ewige Naturnot- Publikum erlebt, war nicht unbedingt dung und Exzess die Form von Freizeit wendigkeit, ist Ideologie. Die Vertreter_ eine Bebilderung. Wir hatten ganz fak- annehmen und nur zu einem Mittel wer- innen des Transhumanismus glauben tisch das Problem, dass wir die Person den, am Montag wieder fit zu sein, um das ja wirklich: Wenn man nur genug fünf Minuten alleine lassen müssen. Wir dann schön weiter arbeiten zu können. Organe austauscht, dann wird man wollten auch nicht, dass wir diese dann Deswegen geht beides nicht. Das ist ein irgendwann ewig leben können. irgendwie dabei beobachtet, wie sie wichtiger Grund, warum es im Kapita- es sich vorstellt, das wäre ja irgendwie 7
komisch. Man hätte auch eine Pause mung bei den anderen Teilnehmern darauf warten müsste, sondern diesen machen können. Aber wir fanden es die Frage gestellt, ob euer Konzept Moment jetzt schon zu provozieren, auch gut, eine Art Verbindung herzu- nicht tatsächlich für viele Menschen durch diese Vorstellung, mich zu befra- stellen zu der Person, die es sich gerade auch jenseits des Theatersettings gen, was ich anders machen würde. vorstellt. Deshalb hört man auch ein Ritual wäre, in dem sie sich viele jeweils einen Tonschnipsel, wo der oder wiederfinden. Habt ihr darüber schon RW: Ich glaube, dass es bei den meisten die Betrauerte beschreibt, wie sie sich einmal nachgedacht, das vielleicht Menschen am Lebensende darum geht, den eigenen Tod vorstellt. auch einmal zu versuchen an andere ihre Beziehungen zu befragen – was Gruppen und Kontexte heranzutra- habe ich mit diesen oder jenen Men- RW: Das ist eine Stelle, bei der man gen? schen erlebt oder nicht erlebt, wie habe auch an die Grenzen dessen kommt, ich meine Beziehungen gepflegt. Alles was man so ganz erklären kann. Auch SK: Es passiert ja schon Einiges. Zum andere tritt im Moment des Sterbens im Entstehungsprozess. Man kann Beispiel gibt es immer mehr alternative vielleicht dahinter zurück. Vielleicht intellektuell dazu Verschiedenes sagen, Bestatter_innen, die sich mit neuen We- kann einem das auch eine Lehre fürs aber es ist auch eine intuitive Entschei- gen des Trauerns auseinandersetzen, Leben sein, so lange man es noch dung. Was wir da gebaut haben, das Vi- die mit Angehörigen auch neue Rituale hat. Auch wenn ich persönlich über deo von Philip Hohenwarter, ist auf eine erfinden, die zu ihnen passen. Dadurch, mich und meine bisherige Geschichte Weise schon ein Todesbild, das stimmt. dass Religion in der Bedeutung immer nachdenke, dann stelle ich fest, ich Die Naturbilder erinnern eben ans mehr abnimmt, bekommt das einen bin sehr damit beschäftigt an einer „wieder ganz zur Natur werden“. Und riesigen Schub, gerade in urbanen Räu- Karriere zu basteln und das besetzt viel das ist irgendwie tröstlich dargestellt men. Was wir machen, empfinden wir von meinem Headspace, aber die Zeit und friedlich. Gleichzeitig ist es auch auch als echtes Ritual, sich mit seiner geht weiter und die Jahre gehen vorbei. etwas Fiktives, weil es eine animierte Sterblichkeit auseinandersetzen. Und Und was manchmal zu kurz kommt ist 3D-Ebene ist. Und diese Fiktion wird ja, wir glauben und hoffen, dass es für genau das, Freundschaften pflegen und am Schluss infrage gestellt: Die Kamera die Betrauerten einen nachträglichen Beziehungen pflegen. fährt plötzlich durch den Boden, man Impact hat. In Oberhausen hatten wir sieht das Gitternetz, das das 3D-Modell ein sehr berührendes Gespräch mit Dass ihr dieses Element der Beziehun- strukturiert. Was man vorher gesehen einer Hospizmitarbeiterin, die fast täg- gen so betont ist einerseits nachvoll- hat, ist vielleicht nicht, wie der Tod ist, lich letzte Gespräche mit Sterbenden ziehbar, andererseits gerade bei euch sondern wie man ihn sich gerne vorstel- führt. Fast alle sagen dann: „ach, hätte durchaus erstaunlich. Denn es gibt bei len will. ich doch nur das oder jenes gemacht! Ritualen und insbesondere Trauer- Ich blicke zurück auf mein Leben und feiern ja auch das sinnliche und das Es erinnert ein wenig an eine bekann- frage mich, wieso ich diese Priorität so ästhetische Moment. Dass ihr jetzt im te Szene aus dem Film Soylent Green, gesetzt habe und mich da so verhalten Kampnagel Theater in einem dezidiert in dessen dystopischer Zukunft es habe.“ Der utopische Gedanke daran sehr hohen Raum spielt, der darin einen institutionalisiertes Euthan- ist: was ist, wenn man nicht bis zuletzt ja einem sakralen Raum zu ähneln sieprogramm gibt, beim Freitod kommt dann ein ähnliches Video. RW: Das haben wir schon öfter gehört. SK: Ja, wir sollten endlich ein- mal diesen Film schauen. Ich hatte auch die Angst, dass es so rüberkommt, als ob wir den Tod verschönern und damit roman- tisieren. Es ist auch sehr stark davon abhängig, was die Leute im Interview dazu gesagt haben. RW: Klar, wenn dann etwas Sinn- stiftendes kommt, ist es seltsam. Wir geben da die Kontrolle ab. Sie sagen was sie sagen. SK: Es hat aber auch etwas Trauri- ges, diese Naturwelt, in der keine Menschen sind. Ich habe mir gestern nach der sehr eindringlichen Vorstellung und auch der positiven Stim- 8 Foto: Patrick Sobottka
scheint, ist doch zum Beispiel nicht nationalen Zusammenhalt zu beschwö- mit einer Zigarette, die sagen, dass unwichtig für die spezifische Erfah- ren, am Ende die deutsche Schicksals- sie sich total gesund fühlen und dass rung der Trauer. gemeinschaft. es ihnen nichts anhaben kann. Man denkt sich: ok, ich hoffe für dich ja dass SK: Klar, das ist superwichtig. Wie bei SK: Wovor ich am meisten Angst habe du recht hast, aber das ist statistisch einem Ritual ist es so, dass wir den ist, dass uns in zwanzig bis fünfzwanzig sehr unwahrscheinlich und nur weil es Rahmen setzen und die Leute diesen Jahren ZDF-Fernsehfilme bevorste- sich in dem Moment nicht so anfühlt unterschiedlich befüllen. hen, in denen das nochmal verarbeitet sagen sie dann sowas. Das ist wie satt wird. Ich weiß auch schon genau wie es einkaufen zu gehen und zu denken „oh, RW: Eine Sache finde ich noch interes- aussehen wird. Moritz Bleibtreu wird ich werde nie wieder Hunger haben, ich sant, und das ist auch für mich selbst in der Pandemie zu seiner Frau fahren brauche nichts“. Die Phantasie der eige- ein unbequemes Thema. Saskia hat ja müssen, die Krankenschwester ist, und nen Unverwundbarkeit müssen viele schon angesprochen, dass wir mit äs- er wird es nicht können weil dann die für sich aufrecht erhalten. Das ist die thetischen Versatzstücken arbeiten, die Ausgangssperre ist. Oder Alexandra Triebfeder für sehr viel Idiotie. an Sekten erinnern. Und das ist etwas, Maria Lara ist schwanger. Oder Daniel für das wir uns entscheiden. Man muss Brühl spielt Christian Drosten, der am Ich schätze man kann nicht über einen ja selbst dann, wenn man sich etwas Fenster steht und raucht und traurig ist, solch langen Zeitraum – über ein Jahr ausdenkt, auf etwas zugreifen, es gibt dass niemand auf ihn hört. Davor habe bereits – andauernd im Bewußtsein immer ein Material. Und zumindest ich Angst. des Todes leben. Gerade unter den für unsere Ästhetik ist dieses Material Bedingungen, die Raban Witt schon letzten Endes religiös oder esoterisch. Ich glaube du bist etwas optimistisch angesprochen hat: weiter arbeiten Auch wenn wir das inhaltlich möglichst wie lange es dauernd wird bis solche gehen zu müssen und die Arbeitsraft draußen halten. Vielleicht ist das Filme kommen. Es gibt ja schon einen zu reproduzieren. Problem an Religion auch weniger die Lockdown-Thriller von Michael Bay. Ästhetik, denn die ist teilweise ja auch SK: Man muss es verdrängen, das wirklich ganz gut, sondern wie diese SK: Ja stimmt schon, ich hatte jetzt den stimmt schon. Ich glaube aber auch, inhaltlich bespielt wird. Es gab in Ober- „Goodbye Lenin“-Abstand gewählt. dass Menschen so funktionieren, dass hausen eine Kritik an unserem Stück, Aber in zwanzig Jahren sind es dann solche Zahlen relativ wenig mit ihnen einen richtigen Verriss, das war aber Komödien. machen. fast unser liebster Text: Jemand hat geschrieben, dass es in dem Stück wie RW: Corona-Komödien (lacht). Abge- RW: Wir sind ja auch in einer irrsinnigen in einer pudrigen Vorhölle wäre und die sehen davon, dass es wahrscheinlich Situation, was es unmöglich macht, es Rituale wie in einer evangelikalen Kir- missbraucht werden würde, ist es zu kapieren. Die Arbeit läuft mehr oder che. Das stimmt zwar nicht so richtig, schon notwendig. Ich merke bei mir, weniger weiter und alles weitere ist aber ich fand es trotzdem in der bösen dass es für mich eine unheimlich abs- eingeschränkt. Das erzeugt im Erleben Absicht auch ein Kompliment. Deren trakte Sache ist. Ich lese diese Todes- eine merkwürdige Verdoppelung. Man Kirchen sehen jedenfalls besser aus als zahlen und finde sie beängstigend, hat den Eindruck es ist sauernst im Pri- eine typische protestantische Kirche. aber es bleibt eine Zahl. Ich kann es vaten - aber so ernst dann auch wieder nicht wirklich realisieren. Ich kann es nicht, denn man kann einfach weiter SK: Evangelikale Kirchen sehen aber dann auch nicht so richtig verarbeiten. zur Arbeit fahren. auch nicht aus wie unsere Inszenierung. Es ist außerdem auch eine globale, Ich denke er hat einfach irgendwas mit kollektive Erfahrung. SK: Man sieht ja, wie ausgelagert das Technik gesehen und dann „Amerika“ Thema Tod und Sterben ist. Ich hat- gerufen. Das war vielleicht der ganze SK: Wir erfahren nicht kollektiv den te zum Glück niemanden in meinem Impuls. Tod, sondern wir erfahren kollektiv, Umfeld, der daran gestorben ist. Ich dass wir zuhause alleine hängen. habe nie jemanden gesehen, der keine Öffentliche Trauerfeiern werden uns Luft bekommen hat, ich habe keine in der kommenden Zeit wohl einige RW: Aber wir erfahren kollektiv die Leichen gesehen. Man funktioniert da begegnen. Frank Walter Steinmeier Angst vor dem Tod, vor dem eigenen häufig wie ein Kleinkind: ich habe es hat bereits einen öffentlichen Trau- Tod und vor dem der Leute, die einem nicht selbst gesehen, also ist es auch ertrag für die Covid-Toten geplant. wichtig sind. nicht wahr. Diesem werden sicher noch weitere öffentliche Trauerzeremonien folgen. SK: Diese Vorstellung „jetzt sind eh RW: Wenn man es immer an sich Was erwartet ihr, wie diese Trauerfei- alle mit dem Tod konfrontiert“ – nein, ranlässt ist man nicht lebensfähig. Es ern inszeniert werden und was würdet ich glaube das nicht. Wenn man nicht ist aber eine andere Frage, ob man ihr aus der Erfahrung eures Stückes konkret gerade einen Angehörigen hat grundsätzlich anerkennt, dass es so ist, sagen, wie könnte eine solche Trauer- oder selbst stark gefährdet ist, dann und überhaupt sich seine Verletzlich- feier stattdessen auch gestaltet sein? beschäftigt man sich überhaupt nicht keit eingesteht. Wenn man die Beschäf- mit dem Thema Sterblichkeit. Ich finde tigung mit der eigenen Sterblichkeit RW: Gut, was man erwarten kann ist es geradezu absurd, wenn man Inter- völlig von sich weghält, entsteht dabei eine nationalistische Shitshow. Es ist zu views auf der Straße sieht, von den sicher jede Menge Müll. erwarten, dass diese globale Katast- Querdenkern etwa, und dann sieht man rophe dafür missbraucht wird, einen da 60jährige Männer, am besten noch Interview von Ulrich Mathias Gerr 9
Was bleibt von der Zukunft? Zukunft hat Konjunktur Waren in den letzten Jahren vor allem Bedrohungs- und Untergangsszenari- en im Umlauf, ob in Roland-Emmerich- Filmen oder bei Extinction Rebellion, so scheint die Covid-19-Pandemie dafür zu sorgen, dass vermehrt hoffnungsvolle Blicke in die Zukunft gerichtet werden. Was wird das für ein Leben nach Corona! Noch müssen wir in Angst und Verzicht leben, doch dann, wenn die Gefahren überwunden sind und die Maßnahmen zurückgenommen werden, wenn das Leben in die Städte zurückkehrt und die Menschen sich freudetaumelnd in die Arme fallen nach Monaten der Isolation – ja, nach Corona werden blühende Zeiten kommen. Nicht bloß eine Rückkehr, son- dern die Wiedergeburt einer geläuterten Menschheit. So klang das vor allem in den ersten Mo- naten der Pandemie, mittlerweile ist die Stimmung weit gedrückter, angespann- ter, auch verzweifelter. Dass es einfach wieder genauso werden wird, wie es vor Corona war, daran kann mittlerweile wohl kaum noch jemand glauben. Doch wenn eine Rückkehr in die seligen Zeiten nicht mehr denkbar ist, stellt sich erst recht die Frage, ob und wie es nach Co- rona besser werden kann. Dass der Versuch, irgendwelche Voraus- sagen zu treffen, sich seiner eigenen Ab- surdität überführt, hat der sogenannte Zukunftsforscher Matthias Horx wider Willen vorgeführt. In einem Artikel vom März 2020 stellt er seine Methode der Re-Gnose vor: »Im Gegensatz zur PRO- Gnose schauen wir mit dieser Technik nicht ›in die Zukunft‹. Sondern von der Foto: Dominik Unbehagen, insta @samtfuchs Zukunft aus ZURÜCK ins Heute. Klingt verrückt?«1 Allerdings, und leider nicht News sein, dafür aber mit neuerwachter im guten Sinne. Unbekümmert um den Leselust, Mitmenschlichkeit und mehr den im Herbst 2020! Nun ist darüber offensichtlichen Zirkel, dass eine solche Verbindlichkeit in der Kommunikation. leicht spotten angesichts der sich immer Re-Gnose immer eine Prognose voraus- Und nicht nur das! weiter und weiter hinziehenden Pande- setzt, d.h. ein irgendwie bestimmtes mie und ihrer politischen Krise, die eben Zukunftsbild, von dem aus in die Ge- »Wir werden uns wundern, dass sogar auch ein Zukunftsforscher nicht hätte genwart zurückgeschaut werden soll, die Vermögensverluste durch den Bör- erahnen können. Anstelle solch müßi- fabuliert der Bestsellerautor haltlose seneinbruch nicht so schmerzen, wie ger Kristallkugelspielereien, die zudem Wunschphantasien herbei. Im Herbst es sich am Anfang anfühlte. In der neu- auf eine Verklärung von Natur und Ge- 2020, so heißt es, wird nicht nur »bei en Welt spielt Vermögen plötzlich nicht meinschaft hinauslaufen, sollte sich die Fußballspielen eine ganz andere Stim- mehr die entscheidende Rolle. Wichtiger Gegenwart lieber daraufhin befragen, mung« herrschen, nein es wird eine Welt sind gute Nachbarn und ein blühender an welchen Bedingungen es hängt, ob ohne Zynismus, Reality Shows und Fake Gemüsegarten.« Herrlich wird das wer- es überhaupt eine Zukunft geben kann, 10
die sich grundsätzlich von der bisherigen freilich gerichtet an das revolutionäre In- kunftsforschers läuft deshalb auch auf Geschichte abhebt. Oder noch besser: dustrieproletariat des 19. Jahrhunderts. den »System reset« hinaus, also auf ei- warum es so eine außergewöhnliche Der besungene »Mann der Arbeit« gehört nen Neustart durch Zurücksetzung auf Erfahrung war, dass auf einmal die Welt zwar dem Bildbestand der Vergangen- den Anfangspunkt. Darin zeigt sich, wie veränderbar erschien. heit an, doch kann dieses Lied helfen, die befangen er ist im Mythos des Immer- Gegenwart zu verstehen. Es ist nämlich gleichen, der Abbild der Natur und da- Euphorie dank Stillstand geleitet von einer Zukunftsidee, die die rum das absolute Gegenteil einer fort- bestehende Gesellschaft transzendiert. schrittlichen Zukunft ist: Die Mühle hebt Zum Beginn des ersten Lockdowns 2020 Fortschritt wird hier nicht als technologi- von Neuem an, aber ein Ausbruch aus ihr war tatsächlich eine Art Euphorie zu be- sche Verbesserung der Arbeitsvorgänge ist undenkbar. obachten: Der Weltlauf schien innezu- verstanden, sondern als Befreiung der halten, viele Menschen hatten das Ge- Menschen vom Joch der Arbeit. Diese ist Der Fehler, den Horx und viele andere fühl, mehr Zeit für sich zu haben und sich selbstverständlich nur möglich durch machen, ist, zu glauben, der Verlauf der auf das besinnen zu können, was ihnen den technischen Fortschritt, bedarf aber Geschichte hinge einfach von der inne- wirklich wichtig ist im Leben. Zumindest zusätzlich des Klassenkampfes, weil die ren Einstellung der Menschen zum Leben für all jene, die ins Home-Office auswei- Technik bisher im Dienst der Herrschaft ab. Was für eine Selbstüberschätzung chen konnten, statt für die Aufrechter- stand und bis heute steht. angesichts einer Welt, die tagtäglich haltung der Wurstproduktion geopfert demonstriert, dass es auf den Einzelnen zu werden, bot sich für einen hoffnungs- Das Utopische daran, für einen gesell- nicht ankommt! Deshalb sind auch die vollen Moment die Welt als eine dar, die schaftlichen Zustand zu kämpfen, für individuellen Corona-Coping-Strategi- nicht auf ewig dazu verdammt ist, immer den es keine historischen Vorbilder gibt, en hinfällig. Es muss sich erst noch eine schneller und schneller zu rasen ohne der also etwas ganz Neues wäre: eine Menschheit herausbilden, die mehr wäre Richtung, ohne Ziel, ohne dass ein Sinn in Freiheit geeinte Menschheit ohne als eine Horde isolierter Spaziergänger. erkennbar wäre. Unerwartet trat Ruhe Mühsal und Not, macht gerade die hier ein, eine Art ewiger Sonntag. Bei aller beschworene Zukunft zu einer, die ih- Der kurze Hoffnungsschimmer und das katastrophischen Ungewissheit, die da- ren Namen verdient, die also nicht bloß damit zusammenhängende Solidaritäts- rin mitschwang, war doch das Moment die Verlängerung der Gegenwart in die gefühl vom Frühjahr 2020 sind verbli- der Erleichterung unleugbar: sozusagen Unendlichkeit wäre. Die Voraussetzung chen. Vielleicht waren sie mehr als ein eine Verschnaufpause, die das bisherige hierfür ist aber ein Bewusstsein von Gefühl, denn tatsächlich wurden ja kurz Maß der gesellschaftlichen Erschöpfung denjenigen gesellschaftlichen Verhält- die Bänder stillgestellt. Das Undenkba- allererst ins Bewusstsein rief. Plötzlich nissen, die zu überwinden sind, soll eine re schien möglich: eine Gesellschaft, schien eine Zukunft greifbar, in der der solche Zukunft mehr als ein Wunschbild in der die Produktion den Menschen gesellschaftliche Zugriff auf die Einzel- sein. dient und nicht umgekehrt. Mittlerwei- nen gelockert wäre. Darin liegt Wahrheit le sind Wirtschaft und Politik darüber und Unwahrheit zugleich. Fehlt ein kritisches Bewusstsein, dann hinweggewalzt. Das Privatleben wird verkehrt sich der richtige Impuls in einen eingeschränkt, damit die Betriebe offen- Ihr Wahrheitsmoment hat diese Er- falschen. Die kapitalistische Gesellschaft bleiben können, und das Impfen ist der fahrung daran, dass die entfesselte produziert nämlich nicht nur Reichtümer nationalen Konkurrenz anheimgestellt: Dynamik kapitalistischer Wertverwer- und Elend, sondern auch antikapitalisti- das ist aus der vielbeschworenen Soli- tung von den Bedürfnissen der Gesell- sche Ideologien, die keineswegs auf ei- darität geworden. Dass sie so kraftlos schaftsinsassen abstrahiert. Das heißt, nen besseren Zustand abzielen, sondern blieb, liegt auch daran, dass das Aufblit- die Menschen müssen, um überleben auf eine Verklärung vormoderner Unmit- zen einer anderen Zukunft so leichtfertig zu können, sich fremden Zwecken un- telbarkeit hinauslaufen. Damit wäre die aufgesaugt wurde, um sich das Leben im terwerfen. Soweit nichts Neues. Was Unwahrheit benannt, die in vielen Vor- Hier und Jetzt schön zu reden. allerdings neu war: Plötzlich schien es stellungen einer entschleunigten Post- möglich, durch eine weltweite politische Corona-Gesellschaft steckt. Matthias Im letzten Jahr hat sich unheimlich viel Aktion das wirtschaftliche Geschehen Horx‘ blühender Gemüsegarten lügt, verändert und dennoch blieb alles beim stillzustellen. Der sonst als alternativ- weil er weismachen will, mit ein bisschen Alten. Die Menschheit hat nichts aus der los gerechtfertigte oder gleich als in der innerer Ruhe und Gemütlichkeit ließe Krise gelernt, weil sie wieder einmal ver- Menschennatur begründet rationalisier- sich der entfremdeten Gesellschaft bei- passt hat, sich als Subjekt zu konstitu- te Gesellschaftsprozess offenbarte sich kommen. Hinwendung zur Natur heißt ieren. Ihr Noch-Nicht-Sein einzusehen als durchaus von Entscheidungen ab- den Blick abwenden von der schlech- wäre die Bedingung dafür, dass sie im hängig und darum auch als veränderbar. ten Gesellschaft, deren Funktionsweise Widerstand dagegen wirklich einmal ihre doch genau ins Auge genommen werden Zukunft gestalten kann, anstatt bloß die »Alle Räder stehen still / Wenn dein star- muss, soll es einmal besser werden. Gegenwart zu verwalten. ker Arm es will«, heißt es in einem alten Arbeiterkampflied. Diese Zeilen sind Die gesellschaftsblinde Vision des Zu- Von Askan Schmidt 11
Den aktuellen „Preis der Lehre“ für die beste Lehrveranstaltungsevalua- tion hat Anna Plader für ihr Seminar zum „Philosophieren mit Star Trek“ gewonnen. Die kleine Weltbühne traf sie zum virtuellen Gespräch über ihr Seminar und das Verhältnis von Philosophie und Star Trek. Philosophieren mit Star Trek Sie haben für das Seminar „Philoso- Entstehungs- und Wirkungsgeschichte phieren mit Star Trek“ kürzlich den sowie das Star Trek-Universum. Hierzu Kommen wir zum Thema: Star Trek Preis der Lehre in der Kategorie „Bes- gehörten z.B. auch Sternkarten, auf und Philosophie. Können Sie kurz te Lehrveranstaltungsevaluation“ denen die Lebensräume der unter- erläutern, wie diese beiden Dinge sich erhalten. Was hat den Studierenden schiedlichen außerirdischen Spezies in zueinander verhalten? besonders gefallen? unserer Galaxie verzeichnet waren. Die wichtigsten Perso- Ich habe die Serie TNG erstmalig als Die Freitextantworten nen der im Seminar Teenager im Fernsehen gesehen (in der Studierenden waren verwendeten Serien den 90er Jahren) und ich erinnere sehr umfangreich. lernten die Studieren- mich, dass sie damals schon Denk- Erwähnt wurden u.a. den in einer Galerie prozesse, die ich heute als ethisch- die Themenvielfalt, kennen, die ich auf moralisch, erkenntnistheoretisch oder die Kombination aus dem Flur vor dem auch metaphysisch bezeichnen würde, fachphilosophischen Seminarraum in Form in mir ausgelöst hat, auch wenn mir und methodisch-didak- von großformatigen das seinerzeit noch nicht so explizit tischen Inhalten, die Steckbriefen errichtet bewusst war. Die Serie ist thematisch Auswahl der Episoden, habe. Um dem Gan- sehr weit gefächert. Von klassischen die Diskussionen und die zen etwas Struktur zu Themen wie Freiheit, Gerechtigkeit, Diskussionsfreudigkeit geben, bekamen die Kausalität, Zeit über gesellschaftliche der Teilnehmer*innen Studierenden hierfür Fragen zu Religion, Sterbehilfe, Um- sowie die angenehme At- ein Blatt mit Aussa- weltverschmutzung, Krieg & Frieden, mosphäre. Eine Person gen, die sie vervoll- bis hin zu Künstlicher Intelligenz und schrieb: „Die Inhalte ständigen sollten, Geschlecht & Geschlechterrollen wird waren spannend, kon- u.a.: Mehr erfahren alles behandelt. trovers und aufwühlend, sodass man würde ich gerne über... Für einen Tag sich jeden Tag bereits auf den nächsten mein Leben tauschen würde ich gerne Die einzelnen außerirdischen Spezies Termin freute“. So etwas liest man als mit... Die/der beste Gefährte/in auf in der Serie repräsentieren verschie- Lehrende natürlich besonders gerne. einer einsamen Insel wäre... Das Leben dene Weltanschauungen und Werte. im 24 Jh. ist ... Eine beliebte Form, die unterschied- An dem Seminar haben sicher nicht lichen Positionen miteinander in nur Star Trek-Kenner_innen teilge- Sie haben wahrscheinlich nicht alle Konflikt treten zu lassen, sind u.a. nommen. Wie haben Sie die Studie- Serien und Filme gezeigt. Wie haben diplomatische Aushandlungsprozesse renden, die Star Trek bisher nicht Sie die Auswahl der Episoden vorge- oder Gerichtsverhandlungen. kannten, in das Thema eingeführt? nommen? Das ist richtig. Da hätten wir z.B. die Tatsächlich waren die meisten in dem Ich habe mich dafür entschieden, in Klingonen, ein aggressives und auf- Seminar Star Trek-Neulinge. Wir haben erster Linie mit der Serie Raumschiff brausendes Volk, das vorzugsweise uns thematisch sozusagen „von außen Enterprise – Das nächste Jahrhundert aus Krieger_innen besteht, für die Ehre nach innen“ vorgearbeitet. Zunächst (engl. Star Trek – The Next Generation, das Wichtigste ist. Vulkanier hingegen wurden die unterschiedlichen Gen- abk. TNG) zu arbeiten. Hinzu kamen setzen auf Logik und völlige Kontrolle re der sogenannten Fantastischen noch einige Episoden aus der Serie über ihre Gefühle. Betazoiden sind em- Literatur wie Science Fiction, Fantasy, Star Trek – Raumschiff Voyager (engl. pathisch, Ferengi sind kompromisslose Phantastik und Utopische Literatur Star Trek – Voyager, abk. VOY). Sehr Kapitalisten, die vor keiner List zurück- voneinander abgegrenzt. Danach viele der TNG- sowie einige der VOY- schrecken so lange der Profit stimmt. wandten wir uns dem Genre Science Episoden weisen einen besonders Die Cardassianer sind ein streng militä- Fiction genauer zu, um sodann auf Star hohen philosophischen Gehalt auf risch regiertes Volk, die Borg eine halb Trek als einer Form der sog. realitäts- und die Konzentration auf zwei Serien künstliche-halb organische Lebens- nahen Science Fiction zu sprechen (Raumschiffe) sollte verhindern, dass form mit einem Kollektivbewusstsein zu kommen. In einem kurzen Vortrag insbesondere die Star Trek-Neulinge und dem Drang nach rücksichtsloser bekamen die Studierenden von mir mit zu vielen Orten, Raumschiffen und Expansion. Die Liste ließe sich noch Informationen rund um Star Treks Crews „erschlagen“ werden. weiter fortführen. Was man an dieser 12
Stelle aber schon erkennt: Alle hier Föderation aber verpflichtet, in Not Star Trek nicht in diesen und hinter den erwähnten Eigenschaften kommen geratenen Lebewesen, die ihnen auf ih- fiktiven Situationen stehen in Wirklich- auch der menschlichen Spezies (mehr ren Reisen durch die Galaxis begegnen, keit reelle Probleme und grundlegende oder weniger) zu. Man könnte also zu helfen. Wo aber Hilfe aufhört und philosophische Fragen. sagen, die Konflikte, die zwischen den Einmischung beginnt, ist nicht immer Spezies ausgetragen werden, spiegeln eindeutig zu bestimmen (wie im realen Also kann man durch die Auseinan- wider, was sich zuweilen innerhalb Leben übr. auch), so dass die Crews der dersetzung mit Star Trek Reflektionen eines Menschen, zwischen Menschen Föderationsschiffe immer wieder in über zeitgenössische gesellschaftli- oder auch zwischen verschiedenen Situationen geraten, in denen sie die che Probleme anstellen? Menschengruppen, seien es politische Direktive situationsabhängig auslegen Gruppierungen, Volks-, Kultur- oder Re- müssen. Genau. Im Grunde wirkt Star Trek wie ligionsgemeinschaften, abspielt, wenn Wir haben im Seminar mehrere Episo- eine Art Katalysator für unsere Ge- verschiedene Weltanschauungen, Wer- den geschaut, in denen es um solche danken. Indem man sich mit fiktiven te oder Interessen aufeinandertreffen. Auslegungen ging und interessanter- Problemsituationen auseinandersetzt, In einigen Fällen werden die Konflikte weise war der Kurs sich selten einig, findet man etwas über sich selbst her- dann in der Tat in Form von Prozessen wie korrekterweise zu verfahren sei. aus, was dann aber real ist. oder Verhandlungen ausgetragen. Ein – auch unter Philosoph_innen – promi- nentes Beispiel findet sich in der Episo- de Wem gehört Data? (TNG 2x09), in der der rechtliche Status des gleichnami- gen Androiden festgestellt werden soll. Hierbei geht es um die Frage, ob der Android selbst darüber entscheiden darf, sich von einem Wissenschaftler Manchmal waren Studierende mit der Würden Sie denn sagen, dass man zum Zwecke der Analyse seiner Funkti- Entscheidung der Person in der Serie damit konfrontiert wird, sich selbst onsweise sezieren zu lassen oder nicht, auch nicht einverstanden und tru- zu dem Problem oder dem Dilemma oder ob er das Eigentum der Sternen- gen Argumente vor, warum sie einen zu verhalten? Ist man nicht durch das flotte ist, deren Mitglieder ihn nach anderen Weg gewählt hätten, zuwei- Wissen entlastet, dass am Ende Picard dem Tod seines Schöpfers gefunden len wurde die Direktive selbst infrage schon eine kluge Entscheidung treffen und reaktiviert haben. Es geht also gestellt. Solche Diskussionen sind wird? darum, ob intelligenten künstlichen natürlich besonders spannend, weil Lebensformen das Recht auf Selbst- hinter den jeweiligen Entscheidungen Das würde ich nicht sagen. Die „kluge bestimmung zugesprochen werden grundlegende ethische Prinzipien und Entscheidung“ fällt in der Regel eben soll. Wenn man bedenkt, dass in Saudi Werte stehen, die herausgearbeitet erst am Ende. Bis dahin hat man also Arabien im Jahre 2017 der humanoide und gegeneinander abgewogen wer- ausreichend Zeit, sich den eigenen Roboter Sophia die Staatsbürgerschaft den müssen. Kopf darüber zu zerbrechen, wie die erhalten hat, ist die hier verhandelte Lösung eines Problems aussehen Frage gar nicht so weit weg von unserer Wenn man berücksichtigt, dass Star könnte oder was die (moralisch) rich- Realität. Trek in der Zukunft spielt, könnte tige Entscheidung wäre. Und meine man dann sagen, dass es sich hier um Erfahrung ist, dass man das auch Können Sie ein Beispiel nennen, über eine Form des Gedankenexperiments tut, weil sich die Fragen einem direkt das im Seminar besonders kontrovers handelt? aufdrängen. Im Übrigen muss sich diskutiert wurde? die eigene Entscheidung auch nicht Es stimmt, dass die Handlungen, zwangsläufig mit der Picards decken. Für besonders hartnäckige Diskussio- Situationen oder auch Probleme in Mir fällt mindestens eine Episode ein, nen sorgt immer wieder die sogenann- Star Trek zum Teil fiktiven und damit in der ich definitiv anders gehandelt te „Oberste Direktive“, auch „Nicht- hypothetischen Charakter haben. Inso- hätte als Picard! einmischungsprinzip“ genannt. Diese fern handelt es sich an vielen Stellen, Direktive verbietet es Mitgliedern der insbesondere dort, wo die auftreten- Haben Sie im Seminar ausschließlich Vereinigten Föderation der Planeten den Problemstellungen und morali- über die Serien diskutiert oder haben (einer interstellaren UNO, deren Teil die schen Zwickmühlen mit Technologien Sie auch Fachliteratur hinzugezogen? Erde ist), sich in die Angelegenheiten zusammenhängen, die in der Realität anderer Zivilisationen, die nicht Teil (noch) nicht existieren, in gewisser Wir haben in erster Linie über die in der Föderation sind, einzumischen. Weise um Gedankenexperimente. Aller- den Serien aufgeworfenen Fragen Gleichzeitig sind die Mitglieder der dings erschöpft sich das Potential von diskutiert, ich habe aber auch Bezüge 13
aus dort bereits vorhandener Materie neu aufgebaut werden. Die Teleporta- tion von Materie, also das Beamen, wie es bei Star Trek stattfindet, ist (nach allem, was bis heute bekannt ist) physi- kalisch unmöglich. Könnte man Ähnliches auch auf der der politischen oder gesellschaftli- chen Ebene attestieren? In der Episode Die neutrale Zone (TNG zu philosophischen Texten hergestellt. einerseits ein Spiegelbild (und gleich- 1x26) findet die Enterprise Menschen, Im Zusammenhang mit dem Thema zeitig natürlich auch ein Produkt) die Ende des 20 Jh. in Kryostase ver- Geschlechterrollen kam z.B. ein Auszug seiner Zeit, es weist andererseits aber setzt wurden. Nachdem diese aus dem aus Jean-Jacques Rousseaus Emile auch über seine eigene Zeit hinaus und Kälteschlaf geholt werden, erkundigt zum Einsatz, und ergänzend zu einer ist damit Vorreiter und Wegbereiter für sich einer der Männer nach seinem Episode, in der es um eine Spezies technologischen und gesellschaftli- Vermögen, das er seinerzeit angelegt geht, die ausschließlich über Meta- chen Fortschritt. hatte und das inzwischen immense phern kommuniziert, wurde auf den Zinsen getragen haben müsste, worauf Aufsatz „Über Wahrheit und Lüge im Hätten Sie ein Beispiel? Captain Picard ihm entgegnet: „Sie außermoralischen Sinn“ von Friedrich haben noch gar nichts begriffen. In den Nietzsche Bezug genommen. Es gibt Technologien, die zum Zeit- letzten drei Jahrhunderten hat sich punkt der Ausstrahlung der jeweili- unglaublich viel verändert. Es ist für die Die philosophischen Bezüge und gen Serie noch nicht existiert haben, Menschen nicht länger wichtig, große Probleme werden teilweise explizit später aber in sehr ähnlicher Form Reichtümer zu besitzen. Wir haben den genannt, z.B. „Ich denke, also bin ich“ entwickelt wurden (z.B. Flachbild- Hunger eliminiert, die Not, die Notwen- von Descartes. Hatten die Macher und schirme, Touchscreens, Tabletts, digkeit, reich zu sein. Die Menschheit Drehbuchautoren von Star Trek eine Sprachassistenten wie Siri oder Alexa, ist erwachsen geworden.“ Das wäre philosophische Ausbildung? Kommunikationsgeräte wie das Handy, wohl ein gutes Beispiel für ein Ele- 3D-Projektionen oder auch nadello- ment aus Roddenberrys Zukunft, dass Inwiefern die Macher von Star Trek se Spritzen). Zum anderen wurden bekanntlich noch nicht verwirklicht eine akademische philosophische umgekehrt Wissenschaftler*innen wurde, an dem es sich aber durchaus Ausbildung genossen haben, kann ich und Ingenieur*innen durch Star Trek lohnen würde zu arbeiten! nicht sagen. Gene Roddenberry (1921- überhaupt erst dazu inspiriert, an der 1991), der Schöpfer von Star Trek, war Entwicklung bestimmter Technologien Sprechen wir noch über den fachdi- vielleicht weniger ein Philosoph als zu forschen. daktischen Aspekt, der ja ein zentra- vielmehr ein Visionär. Es gibt bekannt- ler Bestandteil des Seminares war. lich Menschen, die ihrer Zeit voraus Gibt es auch Elemente in den Star Warum, denken Sie, ist Star Trek ein sind, und Roddenberry gehört definitiv Trek-Serien, die nach wie vor in die geeigneter Gegenstand für den Unter- zu dieser Art von Menschen. Zum einen Zukunft weisen, die wir also noch richt? hat er nämlich sowohl technologisch nicht haben? als auch gesellschaftlich Vieles antizi- Star Trek, und hierbei meine ich insbe- piert, das später erfunden wurde bzw. Technologisch wären da der Warp-An- sondere TNG, ist nicht zuletzt deswe- eingetreten ist, zum anderen hatten trieb (Reisen mit mehrfacher Lichtge- gen für den Unterricht geeignet – und viele seiner Ideen einen utopischen schwindigkeit, ermöglicht durch eine das klingt jetzt vielleicht etwas para- Charakter, wie z.B. die Darstellung der Krümmung der Raumzeit) und das Bea- dox – weil es schon etwas älter ist. Die Welt als einer, in der die Menschheit men (eine Form der Teleportation). Bei- Serie ist noch nicht so mit Spezialeffek- nicht mehr nach Geld, Macht und Ruhm de Technologien können theoretisch ten überladen, wie es bei späteren Sci- strebt, sondern nach Wissen, Erkennt- grundsätzlich erklärt werden. Was das ence Fiction-Serien und -Filmen oft der nis sowie der eigenen Weiterentwick- Beamen angeht, gibt es bereits Erfolge Fall ist, so dass man leichter den Fokus lung. auf der Ebene der Quanten (Quanten- auf die eigentliche Handlung und das teleportation). Hierbei handelt es sich philosophische Problem lenken kann. Insbesondere in den ersten Serien hat jedoch um eine Übertragung (Telepor- Die neusten Star Trek-Filme [von J.J. Roddenberry aber auch die Probleme tation) von Information, nicht von Ma- Abrams, Anm. d. Red.] z.B. sind in ers- und Fragen seiner Zeit verarbeitet, so terie. Die Übertragung der Information, ter Linie Actionfilme und m.E. philoso- dass man umgekehrt aus den Themen die in einem komplexen Organismus phisch nicht mehr besonders ergiebig. der Serie Rückschlüsse daraus ziehen, steckt, wäre also theoretisch möglich, Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass was zu der jeweiligen Zeit in der Welt aber dass das jemals praktisch umsetz- die behandelten Probleme und Frage- politisch, gesellschaftlich, kulturell bar sein wird, ist sehr unwahrschein- stellungen uns auf eine angenehme Art usw. los war, was also die Menschen lich. Zudem müsste selbst dann an der und Weise dazu bringen, uns mit unse- damals bewegt hat. Star Trek ist damit Zielstelle der „gebeamte“ Organismus ren Grundprinzipien, Werten und Nor- 14
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