Danke für Nichts Böhse Onkelz - Edmund Hartsch
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Edmund Hartsch Böhse Onkelz Danke für Nichts (Biographie) Das Buch geht unzensiert auf alle Höhen und Tiefen, auf alle Fehler und alle Probleme ein. Die Kindheits- und Lebensgeschichten der Onkelz, die Entwicklung der (Frankfurter) Punk- und Skinheadszene, deren jeweilige Politisierungen und die Ausstiege der Onkelz aus diesen Szenen, die Anfänge und anfänglichen Entwicklungen der Band, Kevins enorme Drogenprobleme, und und und - nur das Privatleben der Onkelz bleibt weitgehend unberührt. ISBN: 3000017437 Broschiert - Beo Management Erscheinungsdatum: 1997
Inhalt Inhalt .....................................................................................2 Vorwort .................................................................................3 Kapitel 1 ................................................................................7 Kapitel 2 ..............................................................................10 Kapitel 3 ..............................................................................14 Kapitel 4 ..............................................................................17 Kapitel 5 ..............................................................................21 Kapitel 6 ..............................................................................25 Kapitel 7 ..............................................................................28 Kapitel 8 ..............................................................................32 Kapitel 9 ..............................................................................36 Kapitel 10 ............................................................................40 Kapitel 11 ............................................................................43 Kapitel 12 ............................................................................48 Kapitel 13 ............................................................................52 Kapitel 14 ............................................................................55 Kapitel 15 ............................................................................59 Kapitel 16 ............................................................................63 Kapitel 17 ............................................................................67 Kapitel 18 ............................................................................71 Kapitel 19 ............................................................................76 Kapitel 20 ............................................................................79 Kapitel 21 ............................................................................83 Credits.................................................................................86
Vorwort Eine Botschaft an meine Leser und zukünftigen Kritiker... Bei den Arbeiten zu diesem Buch war ich oft erstaunt über die Dimension, die das Thema "Böhse Onkelz" in den Jahren erreicht hatte. Ich hatte viele Gespräche mit Freunden, Verwandten, Fans und Kritikern der Band zu führen, ich hatte meine Eindrücke und Erinnerungen aus 10 Jahren Onkelzfreundschaft zu sortieren und es galt 17 Jahre kontroverse Bandgeschichte aufzuarbeiten. Kiloweise Tagespresse, Printmedien, Tapes, Videos und Bücher, in denen sich Autoren, Journalisten, Politiker, Veranstalter, Musiker und Psychologen auf die eine oder andere Art, dem Thema zu nähern versucht hatten, mußten auf ihre Ehrlichkeit und Genauigkeit hin überprüft werden. Und ich hatte mich immer wieder zu rechtfertigen. "Du schreibst was? Bist Du irre? Das ist doch die Naziband, oder?" Soviel dummes Geschwätz, soviel infame Heuchelei und soviel armselige, ignorante Hetze, soviel schockierende Uninformiertheit, aber auch soviel Witziges, Kluges und Abgedrehtes haben dieses Buch nötig gemacht. Es enthält Politik, aber es ist kein politisches Buch. Mir ging es um die Lebensbeschreibung von vier Menschen, deren Motivation Musik zu machen keine politischen Inhalte hatte. Was man hier lesen wird ist der Bericht über eine deutsche Rockband, die wie keine andere Band vor ihr als Mittel dümmlicher politischer Agitation mißbraucht wurde. Es soll hier auch von Jugendbewegungen und von Formen des Widerstandes die Rede sein, vom Zerfall unseres modernen Weltbildes und der Zerstörung der Individualität, von Kontrolle, Meinungsdiktat, Trendterror und Zensur. Natürlich wäre es naiv, zu behaupten, diese Dinge hätten nichts mit Politik zu tun, nur mußte ich immer wieder beobachten, wie Politiker und Teile der Öffentlichkeit von außen eingriffen, um in jedem Falle das -3 -
Geschehen auf die eine oder andere Weise für sich zu nutzen. Man hat dieser Rockband immer wieder nahe gelegt, ihren Namen zu ändern, um dann im öffentlichen Licht, als gleiche Personen, mit gleicher Vergangenheit, aber unter neuem Namen weiterzumachen. Man forderte, daß sie sich auf die Seite der Lügner stelle, daß sie sich und ihre Vergangenheit leugne und am Leben einer verlogenen etablierten Gesellschaft teilnehme. Dann, so hieß es, sei man bereit, den einen oder anderen Ausrutscher zu verzeihen, und man würde auch wieder für Auftrittsmöglichkeiten sorgen, und über ein Ende des Verkaufsboykotts von Onkelzplatten ließe sich reden. Ich halte das für einen Skandal. Das Schlüpfen in eine Scheinidentität, eine heuchlerische Verkleidung aus Lüge und Leugnung soll erstrebenswerter sein, als eine selbst gewaschene Weste? Es handelt sich um ein typisch deutsches Nachkriegsmißverständ nis, daß ein Wandel der Einstellung, ein Lernen und ein Fortschreiten, ein Einsehen von begangenen Fehlern mit einer Verleugnung der eigenen Person einherzugehen hat. Die Böhsen Onkelz waren immer die Böhsen Onkelz, 1980 genauso wie 1997. Das wird dieses Buch zeigen. Wölfe im Wolfspelz, von mir aus, aber keine Nazis und auf gar keinen Fall politisch, im Gegenteil. Sie haben geschafft, was keine andere Band vor ihnen vermochte. Sie haben einem kleinen Teil der deutsch-sprechenden Jugend ein Stück Identität zurückgegeben, daß ihr von einer profitorientierten Gesellschaft wegkonditioniert wurde. Dieses Buch enthält Gewalt. Viel Gewalt. Es ist laut und gemein. Es ist viel Blut darin und viel Rotze. Viel Erbrochenes und literweise verschwendetes Ejakulat. Kaputte Flaschen, offene Wunden und bittere Säfte. Schlagt dieses Buch auf, wo immer Ihr möchtet, lest, was immer Euch gefällt. Interpretiert frei drauflos und erzählt über dieses Buch oder meine Person was Ihr wollt. Es steht Euch frei und mich ärgert es nicht, ich bin kein Schriftsteller. Dieses Buch wird sich -4 -
nicht in den Dreck ziehen lassen, denn es ist bereits ein dreckiges Buch, an dem Tage, an dem es erscheint. Soll es sich doch suhlen im Sumpf einer primitiven Sensationspresse. Soll es von mir aus verrecken, dieses Buch, und im unerquicklichen Sud von Zu-oft-gesagtem mit anderen Büchern um die Wette quäcken. Möge es sich, wie es ihm beliebt, um Platzierung in dubiosen Lesercharts raufen und um diese oder jene Kritik streiten. Als ich Stephan Weidner und Pe Schorowsky im Juni 1987 kennenlernte, war ich "neu" in Frankfurt. Ich kannte weder Stadt noch Leute und von den Böhsen Onkelz hatte ich nie zuvor gehört. Stephan, ein verheirateter Mann von 24 Jahren, sagte mir damals, daß er und seine Freunde eine Band hätten, daß sie die "Böhsen Onkelz" hießen und in Skinhead- und Hooligankreisen eine Kultband gewesen wären, daß sie aber seit einiger Zeit das Gefühl hatten, diesen Szenen entwachsen zu sein. Sie wollten sich musikalisch weiterentwickeln, und ich erinnere mich, daß ebenfalls die einsetzende Politisierung in der Skinheadszene ein Grund ihres Ausstiegs gewesen ist. Als man mir damals die Texte der ersten LP "Der nette Mann" zeigte, war ich zunächst angeekelt von der beschriebenen Gewalt. Die Lieder passten zwar zu dem, was ich über Skinheads und Brutalität gehört und gelesen hatte und augenscheinlich auch zu den Menschen auf dem Coverphoto, aber nicht zu den zwei Menschen, die ich kennengelernt hatte und zu den Personen, die sie zu sein vorgaben. Sie begegneten mir mit Toleranz und selten erlebter Offenheit und sie nahmen kein Blatt vor den Mund. Ich hatte nicht den geringsten Grund an der Ehrlichkeit ihrer Aussagen zu zweifeln. Vielleicht sollte ich erwähnen, daß ich zu dieser Zeit sehr lange Haare hatte, mit meiner afrikanischen Freundin zusammen wohnte, andere Musik als Stephan und Pe hörte und aus einem komplett anderen Milieu stammte. Von Skinheads hatte ich nur wenig Ahnung. Das war im Sommer ´87, zu einer Zeit, als die Böhsen Onkelz kaum bekannt und die Medien nur -5 -
vereinzelt daran interessiert waren, über eine Skinheadband zu berichten, die keine Skinheadband mehr sein wollte. Es geht hier nicht um Politik, sondern um Widerstand, um Empörung, um Schmutz, Skandal und Zensur. Ein Willkommen an alle Unvoreingenommenen und an alle, die sich gewissenhaft und ohne Vorurteile informieren wollen, wie gering sie an Zahl auch sein mögen. Und an all die Besserwisser und Neunmalklugen, an all die Musikjournalisten und Medienmenschen, die Politiker und Veranstalter, an all die radikalen Fanatiker, linke wie rechte, die immer noch in die alte Kerbe hauen, die, die sich in ihrem persönlichen Onkelzkrieg zu solcher Polemik und Diffamierung haben hinreißen lassen, die das Maul so weit aufgerissen haben, daß sie jetzt nicht mehr zurück können... ...fahrt zur Hölle! Edmund Hartsch Frankfurt am Main, im Juni 1995 -6 -
Kapitel 1 1940 -1979 "Erinnerungen" Ich lese im buch der erinnerung ich hör´ mich lachen mein leben war ein spiel erzählt von einem narren ich wußte nicht immer was ich will doch ich wußte wie ich´s kriege ich nahm es leicht auch wenn es härter kam es war ein setzen, ein setzen neuer ziele mein leben war oft wie ein spiel wie ´ne lange reise ohne ziel eine suche nach dem, der ich bin eine suche, die suche nach dem sinn mein leben war ein buch ich mußte es nur schreiben ich wollte alles oder nichts ich mußte mich entscheiden das leben war die antwort und ich stellte viele fragen und dieses endlose geheimnis hatte unendlich viel zu sagen ("buch der erinnerung" © Böhse Onkelz, 1992 Heilige Lieder LP, Bellaphon Records) Der Zwilling ist ein Luftzeichen. Er ist der Mai, der Frühling, die Blüte und das Erwachen. Nach der irdischen Schwere des Stieres im April, gleitet die Welt im Mai in den Taumel der beschwingenden Zwillingssphäre. Sie teilt sich zum Zeichen ihrer Dualität in zwei Geschlechter und macht sich bereit für eine sorgenfreie Befruchtung. Alles ist "noch" offen, Entscheidungen sind "noch" nicht getroffen, Entschlüsse "noch" nicht gefasst. Stephan Weidner wurde als Zwilling am 29. Mai 1963 um 12:57 Uhr in Alsfeld bei Kassel geboren. Er wurde bei seiner Geburt in zwei Hälften geteilt und die erste Ahnung seiner Unvollständigkeit trieb ihn bereits früh in einen zwiespältigen Zustand von traumatischer Angst und unbändiger Wut. Wer auch immer in seinem zukünftigen Leben seine Feinde sein würden, sie würden es mit zwei Weidners zu tun bekommen, mit einem Menschen, der die doppelte Menge an Energie besaß, -7 -
der die Polaritäten der Welt in seiner Persönlichkeit miteinander verband und der schnell von einem Extrem ins andere fiel. Aber der Reihe nach: Sein Vater, Karl-Heinz Weidner, war 1940 in eine zerrüttete, kinderreiche Familie im Frankfurter Nordend hineingeboren worden. Seine ersten Jahre waren auch die letzten Jahre des Krieges. Frankfurt, Mainz und Wiesbaden fielen am 29. März ´45 in die Hände der 3. U.S. Panzerdivision. Tod und Niederlage brachen über das Land herein und die Hakenkreuzfahnen verschwanden praktisch über Nacht aus den Fenstern und von den Balkonen. Zwischen den Häuserzeilen des zerstörten Frankfurts lagen Leichen und Leichenteile und auf den Straßen breitete sich ein übler Geruch von Schuld und Schande aus. Die Erkenntnis ihres Größenwahns machte vielen alten Nazis schwer zu schaffen. Manche waren verbittert und hart, andere brachen unter der Last der Niederlage zusammen. Die Mehrzahl jedoch kroch dahin zurück, wo sie hergekommen war und schwieg. Auch das Haus der Weidners lag in Trümmern und die frühen Jahre nach ´45, verbrachte Karl- Heinz damit, beim Wiederaufbau des Hauses mitzuhelfen. Ziegelsteine, die er auf Leiterwagen zu stapeln hatte, das war seine tägliche Routine als Kind. Sein Vater war seit ´44 vermißt und von seiner Mutter bekam er nicht viel außer Prügel, die er täglich an andere Kinder weitergab. Karl- Heinz war kein großes, starkes Kind, eher schmächtig, aber er konnte eine skrupellose Brutalität an den Tag legen. Viele seiner Spielkameraden fürchteten sich vor ihm und als er zwölf wurde, gab ihn seine Mutter an das Kinderheim Marienhausen ab. Das Don Bosco Internat des Salesianerordens zu Marienhausen, war ein düsterer Ort, eine verfluchte Stätte. Vom Krieg verschont geblieben, lag das Gebäude eingepfercht zwischen dicken Eichenbäumen und sanft ansteigenden Weinbergen hinter den Ortschaften Rüdesheim und Aulhausen. -8 -
Unweit der Hugo Asbach Brennerei. Ein dunkelgelber Sandsteinbau mit schwarzem Schieferdach und Heiligenstatuen, die schweigend in den Nischen standen und kein Wort darüber verloren, was in Marienhausen geschah. "Schwer erziehbar" nannte man die Kinder, die in Marienhausen interniert wurden. Kinder, die sich nicht fügen wollten, deren Eigenarten und Reaktionen von Eltern und Gesellschaft nicht nachvollzogen werden konnten, und die infolgedessen als gefährlich angesehen wurden. Karl- Heinz Weidner war gefährlich, so entschied seine Mutter, eine dominante, hartherzige Frau. In Marienhausen hatte man bestimmte Vorstellungen, wie mit solchen Kindern zu verfahren war. Zunächst einmal mußte man sie immer und beständig prügeln, bei jeder nur er enk lichen Gelegenheit. Zu diesem Zweck benutzten die Lehrer ihre Gürtel, Ruten und Fäuste. Preußisch- katholisch waren die Richtlinien dieser Anstalt. Angst und Schrecken waren in Marienhausen allgegenwärtig und die Padres sorgten dafür, daß diese Angst den Kindern niemals ausging. "Unsere tägliche Prügel gib uns heute." Karl-Heinz wohnte mit 49 anderen schwer erziehbaren Knaben in einem Schlafsaal, der in der Nacht von einem Priester bewacht wurde. Es gab Ohrfeigen, sobald sich einer der Jungs rührte. Spaziergänge in Marschkolonnen und Redeverbot vom Aufstehen bis zur zweiten Andacht. -9 -
Kapitel 2 1964 - 1981 "Türkähn rauhs" Der 15. Juni 1964 war eindeutig zu kühl. Der ganze Tag war wolkenverhangen. Es ging ein starker Wind, der erst am späten Nachmittag zur Ruhe kam. Am Abend hatten bei Frau Schorowsky die Wehen eingesetzt und kurz nach 23:00 Uhr war es fast soweit. Falls es ein Junge werden würde, so sollte er Peter heißen. Ihr Heimatort Hösbach war ein kleines Nest in der Nähe von Aschaffenburg. Obwohl es nur eine gute Stunde von Frankfurt entfernt lag, gehörte es bereits zu Bayern. Außer seiner alten Ringertradition hatte dieser Ort nicht viel zu bieten. Tankstelle, Gemeindehaus, Eckkneipe und Eiscafé. Es hatte auch niemals jemanden gegeben, abgesehen von irge ndeinem Ringer vielleicht, der aus Hösbach oder Goldbach stammte und berühmt geworden wäre. Die Schorowskys waren schon lange in dieser ländlichen Gegend ansäßig. Lange genug, um eine feste Position im sozialen Gefüge der Dorfgemeinschaft einzunehmen. Feuerwehrball, Gottesdienst, Schützenfest. Katholischer, biederer Mittelstand, alles andere als aufregend. Das Haus in der Salzgasse war Frau Schorowskys Mädchenhaus, in dem auch sie geboren worden war und in dem sie nun ihren zweiten Sohn Peter zur Welt brachte. Die Sonne stand im Zwilling. Ein weiterer Mensch auf der Suche nach Vollständigkeit. Peter trug die gleichen titanischen und provokanten Anlagen in sich, wie Stephan Weidner, nur fehlten ihm die Wut und der Jähzorn, der im Leben der männlichen Weidners allgegenwärtig war. Als Baby schrie er viel. Das änderte sich auch nicht, als Peter zum Kind heranwuchs und all die Belehrungen und Maßregelungen über sich ergehen lassen mußte, die ein katholisches Kinderleben mit sich brachte. Frau Schorowsky bekam nach Peter und seinem älteren Bruder noch zwei weitere -1 0 -
Söhne und die gesamte Familie, einschließlich der Großeltern, wohnte im Haus in der Seusstraße. Die Kindheit der Brüder verlief ähnlich. Die frühen Jahre verbrachten sie in der unmittelbaren Nähe des Hauses und beschäftigten sich mit dem, was der Hinterhof zu bieten hatte. Bäume erklettern, Kaninchen streicheln, Hühner jagen, Schwert- und Reiterkämpfe. Als Peter fünf Jahre alt war, schaute er zum ersten Mal bewußt auf den Fernseher. Wären in diesem Moment nicht ein paar Livemitschnitte eines 69er Beatleskonzertes über den Schirm geflackert, so wäre vielleicht niemals ein Musiker aus ihm geworden. Diese vier aufgetakelten Gestalten, mitten in ihrer Sgt. Pepper-Epauletten-Freak-Phase, die tausende von Jugendlichen an den Rand des Wahnsinns brachten, hatten ihm schwer imponiert. Er würde "Beatle" werden. Und wenn die Welt aus den Angeln kippen und Hösbach im Erdboden versinken sollte, aus ihm, da war er sich absolut sicher, würde eines Tages ein Beatle werden. Kein Lastwagenfahrer, kein Indianer, Fußballer oder Astronaut, und auch kein Kältemechaniker, wie sein Vater, sondern ein gitarrespielender Beatle. In der dritten Klasse wurden dem Kind einige grundlegende Dinge klar, die den Wunsch nach Ausdruck in seinem Leben noch verstärkten. Der Direktor der Hösbacher Grundschule, Herr Adler, war gleichzeitig Peter´s Klassenlehrer. Er war 63 Jahre alt, stand kurz vor der Pensionierung und war verrufen als ein sadistisches Schwein. Adler war von fiesem, selbstgerechtem Charakter, der häufig seine faschistoide Grundeinstellung erkennen ließ. Mit subtilen und gemeinen Bestrafungen ging er permanent gegen die Kinder vor. Wenn die Grundschüler unaufmerksam waren oder aus dem Fenster schauten und sich in Tagträumen verloren, ließ er sie aufstehen und nach vorne kommen. Dort fragte er sie, ob sie lieber ein Schokoladen- oder ein Zuckerplätzchen wollten. Es war egal für was sich die Schüler entschieden, der einzige -1 1 -
Unterschied zwischen Schoko und Zucker war der, daß er sie mit dem Stock auf die rechte oder die linke Hand schlug. In jedem Falle war es eine unsägliche Pein. Peter war ruhig, er hatte diese Strafe nur selten zu ertragen, aber er hasste seinen Lehrer dafür, daß der zu solchen Mitteln griff. Peter begann früh seine Bücher und Hefte vollzukritzeln. Während der Grundschulzeit malte er unentwegt und einmal hatte ihn Herr Adler erwischt und er hatte für seine Darstellung von Monstern und Fruchtbarkeitssymbolen zwischen den Seiten des Lesebuches eine schallende Ohrfeige bekommen. Er wurde ins Lehrerzimmer geschickt, wo er unter dem Kruzifix sitzen und schmoren sollte. Spätestens von diesem Zeitpunkt an war die Schule für Peter kein Spaß mehr. Er begann die Welt der Erwachsenen in Frage zu stellen. Tief und breit klafften die Schluchten zwischen dem was sie sagten und dem was sie taten und ihre Fehler waren so offensichtlich. Peter begann die Schule als einen Ort anzusehen, an dem er und seine Freunde jeden Tag für ein paar Stunden gefoltert wurden. Das konservativ- katholische Elternhaus und die Schule fingen an auf unerträgliche Art und Weise die Grenzen seiner Toleranz auszuloten. Lange wollte er sich das nicht mehr bieten lassen. Seine Lehrer registrierten ihn als einen maulfaulen, träumenden Schüler. Daß er nur wenig sagte, bedeutete nicht, daß ihm irgendetwas entging. Er beobachtete seine Lehrer und die Erwachsenen genau und merkte sich ihre Verfehlungen bis ins Detail. Warum sollte er sich dazu äußern? Es reichte doch, daß er wußte, daß sie Unrecht hatten. Nach der Hösbacher Grundschule ging Peter Schorowsky auf die Hauptschule, die sich im gleichen Gebäude befand. Woche für Woche studierte er mit seinem Freund Andreas die beliebten bunten Zeitungen, die von Erwachsenen herausgegeben wurden und in denen man den Kindern auf hinterhältige Art einimpfte, welche Musik sie zu hören hatten und was sie anziehen sollten. In diesen Blättern, so glaubten Peter und seine Schulfreunde, -1 2 -
wurde die wahre Welt beschrieben. Sweet, Slade und Abba, Elton John, Mud und Rubettes. Mittwochshitparade mit Mel Zandok. In seiner Klasse, wie in allen anderen Klassen auch, war es seit Mitte der siebziger Jahre Bestandteil eines wichtigen Identitätsrituals, sich mit Leib und Seele einer Popgruppe zu verschreiben. Leider gab es schon Schüler, die alles über Sweet, Slade und Abba wußten, die schon lange Material sammelten und deren Archive unerreichbar groß und umfangreich waren. Er würde aber, so riet ihm ein Freund, bestimmt gute Chancen auf Identität besitzen, wenn er Bay City Rollers Fan werden würde. Peter tauschte seine Uhr, das Kommunionsgeschenk einer Tante, gegen das Bay City Rollers Archiv eines Mitschülers, das der Grundstock seiner Sammlung werden sollte. - Zur Hölle mit Bay City Rollers und ihrem englischen Schwuletten-Pop. Es ging ganz schnell, da hatte er von diesen Teenieformationen die Schnauze voll und wechselte ins langhaarige AC/DCLager. -1 3 -
Kapitel 3 1962-1981 "Double life Gonzo und die Frontstadt Frankfurt" Matthias Röhr war der erste und somit älteste von insgesamt vier Jungen. Er wurde am 16.April 1962 im Elisabethen- Krankenhaus in Frankfurt-Bockenheim geboren. Sein Vater stammte aus Schlesien, die Mutter aus Ostpreußen. Während der ersten Monate seines Lebens wußte er alles, begreifen konnte er nichts. Die Welt war zähflüssig geworden, groß und kalt. Als er zwei Jahre alt wurde siedelte die Familie von Frankfurt Sachsenhausen nach Eschborn um, das 1964 noch Dorfcharakter hatte und nicht zu den Bürosatelliten Frankfurts zählte. Matthias besuchte hier den Kindergarten und die erste Klasse der Grundschule, bevor die Familie erneut den Wohnort wechselte und nach Kelkheim zog, einem anderen Dorf in Taunusnähe. Nach ihm bekam seine Mutter noch drei weitere Söhne. Matthias war ein Bestandteil der Welt um ihn herum geworden und der Vater, der während der letzten 5 Jahre einen Lebensmittelladen in Frankfurt Höchst betrieben hatte, eröffnete 1965 einen kleinen Kiosk in der Voltastraße in Frankfurt Bockenheim. Matthias sah den Vater während dieser Jahre selten. Der Alte verließ die Wohnung morgens um fünf und war nie vor zehn Uhr abends zu Hause, auch Samstags nicht und Sonntags arbeitete er halbtags. Die Person des Vaters reduzierte sich auf die Stimme, die er manchmal in der Nacht von seinem Kinderzimmer aus hörte und auf den Mann, den er während der kurzen Sonntagnachmittage sah und der oft abgespannt und müde schien. Die Erziehung, die Matthias genoß war katholisch, wie die von Pe Schorowsky. An seinem ersten Schultag schickte man ihn pflichtbewußt und korrekt, im schwarzen Kinderanzug und mit Fliege, in die Schule. Wer einen Anzug trug, brauchte -1 4 -
auch damals nicht auf das Mitleid von Sechsjährigen hoffen. Mathias war schmächtig und hatte ein gespanntes Verhältnis zu allen Klassenstärksten. In den ersten Grundschuljahren hatte er, genau wie Pe, unter seinem Klassenlehrer zu leiden, wurde Fingernagelkontrollen unterzogen und sah sich mit Stöcken und Stäben gemaßregelt. Diese kleinen Gemeinheiten und willkürlichen Züchtigungen empfand er in dem Alter bereits als mies und billig, einfach unangenehm. Trotzdem war es eine Dorfkindheit mit allen Fröschen und Kaulquappen, Eidechsen, Feuern, Baumhäusern und miefenden Strohballen, die dazu gehörten. Mit Schneegestöber im Januar und Hagel im April, mit Amselgesang im Juni und dem Duft von gemähtem Heu im August, Spinnenweben im September und schlechte Noten im November. Hessische Sechzigerjahredörfer. Das Ende der malerischen Kopfsteinpflasterära und der Beginn der Größenwahnepoche. Matthias nahm die Sakramente an, das hieß, er schluckte die Hostie noch bevor er die Kommunion empfangen hatte. Weil er es besonders gut und heilig machen wollte und weil er nicht ahnte, daß so etwas in der Kirche verboten sein könnte. Der Pfarrer zog ihn nach der Messe am Ohr in einen Gang und brüllte ihn an. Da war er ein Sechsjähriger und wieder trug er den schwarzen Kinderanzug. Als ginge er zu einem Begräbnis, so hatte man ihn fein gemacht, und jeden Sonntag hatte er dort aufzukreuzen, und verschwenden sollte er sich und seinen jungen Glauben in diesem kalten Kloster Kelkheim. Matthias hatte schnell begriffen, wofür der Begriff "katholisch" in seinem Leben zu stehen schien und verweigerte sich früh dem kirchlichen System. Er war jetzt schon ziemlich angekotzt von den katholischen Pfarrern und ihrer Einmischung in sein Leben. Eine verlogene Bande, alle miteinander. Später bekam er nochmal eine Ohrfeige von einem Gottesdiener, der ihn auf der EichendorfRealschule in Religion zu unterweisen hatte. Man hätte den Verdacht hegen können, daß die Lehrer das Fach -1 5 -
besonders unangenehm und langweilig gestalteten, gerade damit die Kinder ihr natürliches Interesse an den Fragen der Schöpfung verloren und man das Vakuum mit Katechismus vollstopfen konnte. Dennoch glaubte er daran, daß er im Namen der Musik unterwegs war, sonst hätte er mit elf Jahren nicht schon so einen Wirbel darum gemacht. Es hatte viel Gejammere und Gequengel gekostet, bis die Mutter endlich mürbe wurde und dem Sohn bei Hertie eine Wanderklampfe kaufte. Ein 6- saitiger, billiger Sperrholzkörper war das gewesen, der sich schon verstimmte, wenn jemand im Zimmer hustete. Der Vater, der sich auskannte, ahnte bereits, mit was es enden würde. Mit einem langhaarigen, haschrauchenden, diskutierenden, faulenzenden, rebellierenden Sohn, dem ältesten von Vieren, der stets aufgelegt zu einem zünftigen Disput sein, und der Bier saufen und sich daneben benehmen würde. Er konnte sich den Ärger bildlich vorstellen. Söhne, die Gitarre lernen oder Tänzer werden wollten, schwule Theaterfreaks und Töchter mit Tätowierungen, so etwas gab immer Probleme. ..... -1 6 -
Kapitel 4 1981 "Böhse Onkelz" Neuer deutscher synthesizer alfred dreh´ die scheiße leiser jeder gute deutsche kann´s der hippie macht den ersten tanz new romantic neopunk deutsche welle macht mich krank new romantic neopunk deutsche welle macht mich krank das hippiepack steht an den tasten die meute fängt an auszurasten adam wird der schlüpfer feucht wenn gabi in das mikro keucht neuer deutscher glitzerkack weg mit diesem hippiepack alle spielen deutsche welle das ist die echte monetenquelle new romantic neopunk deutsche welle macht mich krank new romantic neopunk deutsche welle macht mich krank ("deutsche welle", © Böhse Onkelz, 1. Demotape 1981, unveröffentlicht, mit "Alfred" war Alfred Hilsberg vom Zick Zack Label gemeint, Text von Patrick Orth) Pia Comtesse war ein Mädchen aus Gravenbruch bei Frankfurt. Die Ehe ihrer Eltern war früh gescheitert. An den jahrelangen Krach und die endlosen Scheidungsprozeduren während ihrer Kindheit konnte sie sich kaum mehr erinnern. Ihrer Mutter Anna war schließlich das Sorgerecht für Pia und ihren jüngeren Bruder zugesprochen worden, und zu dritt bewohnten sie eine Dreizimmerwohnung "am Forsthaus" in Gravenbruch. Gravenbruch war ein kleiner Vorstadtsatellit, der eingekeilt zwischen Neu-Isenburg und Heusenstamm im Staatsforst lag. Ringsherum monokulturelles Ökodesaster, durchschnitten von der A3, eine der Hauptschlagadern des Landes. Die einzigen Attraktionen des Ortes stellten das Autokino und die Reithalle dar, und auch die hingen den Jugendlichen schnell zum Hals heraus. 1981 war Pia sechzehn und sie war zu einem Apfel herangewachsen, wie er reifer und saftiger nicht sein -1 7 -
konnte.Wie endlos viele andere Mädchen und Jungen in ihrem Alter, hatte auch sie ihre Zuneigung zum Punk entdeckt. Anfang ´81 hatte sich der Punkrock gerade bis Gravenbruch herumgesprochen. So wie die "Kronberger", die "Neu- Isenburger", die "Bad-Sodener", die "Kelkheimer", die "Bad- Vilbeler" und die "Offenbacher", hatten jetzt auch die "Gravenbrucher" ihre Punkclique. Zu viert, zu dritt und wenn es sein mußte auch zu zweit oder gar alleine, besuchten diese Randgebietepunks die Treffpunkte in und um Frankfurt, Mainz und Wiesbaden. Punks kamen längst nicht mehr nur aus armen und asozialen Familien. Das traf ohnehin nur auf die wenigsten zu. Es vermischten sich Jugendliche aus allen sozialen Schichten miteinander, was eine Verschiebung der Symbole und der Werte zur Folge hatte. Milieubrei aus Pseudopunks, Hardcores, Mods, Teds, New Wavern, Freaks, Intellektuellen, Mohawk-Hippie- Punks, Linken und den ersten deutschen Skinheads. Anfangs war alles noch überschaubar gewesen, aber schnell hatten sich die Punks in ihrem eigenen Chaos verloren. Für Pia gab es nichts, gegen das sich zu rebellieren lohnte. Nicht, daß ihr keine Mißstände an der Gesellschaft aufgefallen wären, nur war die Rebellion für sie kein Mittel, das sie wirklich in Betracht zog. Sie war ein ruhiges Mädchen, mit einem intakten Schamgefühl, einer ausreichenden Sensibilität für die Menschen um sie herum und einer Fähigkeit zum Ertragen von Dingen, die andere Jugendliche auf die Palme brachten. Sie ertrug ihr Dasein, sie ertrug Gravenbruch und sie ertrug die Schule. Alternativen gab es keine. Pia trank nur wenig Alkohol und nahm außer Nikotin keine Drogen zu sich. Ihr Freund Micha und seine Punkrockkomplizen gründeten eine Band, die sie trotzig "die Pseudos" nannten. Einmal, weil sie in Frankfurt nicht für voll genommen, sondern als Pseudopunks abgestempelt wurden und außerdem weil sie so extrem schlecht waren, daß sie nicht wie "Kreppelkaffee" oder "Boopy Traps" schon wieder geil waren, sondern so schlecht, daß sie abermals -1 8 -
schlecht waren. Doppelt schlecht also. Jenseits von "geil- schlecht", wenn man so wollte. Für Freitag, den 8. Mai war ein neuer Konzertabend im JUZ Bockenheim angekündigt. Hofis Band Boopy Traps, Böhse Onkelz, Middle Class Fantasies und Antikörper sollten in dieser Reihenfolge auftreten. Stephan, Kevin und Pe hatten einen Plan gefaßt. Im Proberaum über dem JUZ hatten sie zugehört, wie Antikörper einige Lieder übten und waren auf´s Neue beeindruckt gewesen. Gonzo war ein richtiger Musiker, ein Künstler, ein Virtuose. Er hatte ihnen die Gitarre erklärt und sie die Stimmtechniken gelehrt und so ganz nebenbei den lockeren Gitarrero raushängen lassen. Nicht nur konnte er beinahe alle Sex Pistols Songs fehlerfrei und in eigenen Interpretationen nachspielen, er konnte auch die schönsten Bluesmelodien aus dem Ärmel schütteln, als seien es einige seiner simpelsten Routineübungen. Sie waren hingerissen. Stephan, Kevin und Pe entschlossen sich dazu, diesen Mann abzuwerben, koste es was es wolle. Der Plan war nicht ganz neu. Schon im Februar, nach dem ersten Gig, hatte man eine Anspielung gemacht, auf die Gonzo aber nicht eingegangen war und jetzt im Frühling, wollte man ihn einfach fragen. Geradeheraus, ja oder nein. Gonzo hatte vom ersten Auftritt der Böhsen Onkäls gehört. Wie sie im JUZ mit Kreppelkaffee und Mutation um die Wette gekreischt hatten. Das hatte schon etwas sehr dynamisches gehabt, sagte man ihm, etwas eigenes. Die Jungs aus Hösbach gaben sich Mühe, aber nicht zuviel, nicht soviel, daß sie verkrampft wirkten. Kevins Brüllerei wirkte sehr authentisch. Man konnte ihm leicht glauben, daß er wirklich höllisch angekotzt war von seinem Leben und man konnte zuweilen Angst vor ihm bekommen, so echt war seine Wut. Als sie Gonzo diesmal fragten, ob er nicht bei den Böhsen Onkelz einsteigen wollte, dachte er sofort an den Spaß, den er in dieser Band haben würde. Die waren so krass und fertig und daneben, und dabei so von sich überzeugt, da mußte man einfach mitmachen. Gonzo sagte zu. Er übernahm -1 9 -
den Bass, während Kevin "sang", Stephan die Gitarre "spielte" und Pe auf das "Rimmel Standard" einprügelte. Bei ihrem zweiten Gig am 8. Mai 1981 spielten sie außer ihren alten Hits "Türken raus" und "Harakiri", auch einige neue Lieder. "Mösensaft", "Schöner Tag" und "Hinein in das schäumende Bier". "Hinein in das schäumende Bier, wir scheißen dem Wirt auf die Theke, schenket ein, schenket ein, schenket ein, wir wollen alle besoffen sein..." ..... -2 0 -
Kapitel 5 1980 - 1982 "Oi, Oi, Oi" Deutschland versinkt in schutt und dreck, und ihr, ihr schweine, ihr seht einfach weg die bullen werden den aufstand schon niederschlagen, immer nur draufhaun´, ohne zu fragen lange genug haben wir mitangesehen wie unsere städte zugrunde gehen oi, oi, oi oi, oi, oi jetzt gibt´s einen aufruhr in unserem land, die kids von der straße haben sich zusammengetan, punks und skins im zusammenhalt, gegen euch und eure staatsgewalt oi, oi, oi oi, oi, oi die zeiten von liebe sind jetzt vorbei gewalt ist das mittel gegen ausbeuterei wir haben es satt, vor euch zu kriechen, dazu haben wir keine lust, wir haben ein besseres leben verdient nur bis jetzt haben immer die bullen gesiegt oi, oi, oi oi, oi, oi ("Oi, Oi, Oi", © Böhse Onkelz, 2. Demotape 1982, unveröffentlicht) Aus der Menge an Bands, die dort weiter machten, wo Jimmy Pursey mit Sham 69 im Sommer/Herbst 1979 gescheitert war, gingen zwei Gruppen hervor, die in den wenigen Jahren ihres Wirkens, einem der größten Kulte, der jemals aus der britischen Arbeiterklasse entstanden war, zu neuem Leben verhalfen, dem Skinheadkult. Angelic Upstarts aus Tyneside, einer Werftarbeitergegend in Nord-London und die fußballbesessenen Cockney Rejects aus dem Londoner Eastend. Wie auch die Mitglieder von Sham, waren diese Musiker weder Punks, noch waren sie Skinheads, sondern schlicht Workingclass. Beide Kombos wurden von Pursey produziert und trieben den schnellen atemlosen Streetpunk aus den Tagen der Sham Army voran. Auch zogen diese Bands gewaltige Scharen von Punks und Skinheads in die Hallen und wie schon bei den Sham 69 Konzerten, kam es bei diesen Gigs regelmäßig zu Schlägereien und blutigen Krawallen. Die Cockney Rejects ließen während -2 1 -
keiner ihrer Shows Zweifel daran aufkommen, wie sehr sie hinter ihrem Fußballclub "Westham United" standen. Auch nicht, wenn ihre Gigs von 200 BirminghamFanglatzen heimgesucht wurden. In einer Zeit, in der in England die gewaltätigen Ausschreitungen während der Fußballspiele einen neuen Höhepunkt erreichten, sangen sie "War on the terraces" und "We are the firm". Die Presse war auf blutige Fotos und Geschichten von randalierenden Fußballhooligans ganz besonders scharf. Ihre Berichterstattung war an Recherchefehlern und Lügen kaum noch zu überbieten. Diese Artikel gaben den Jugendlichen erst die präzise Anleitung, wie sie sich in Zukunft zu verhalten hatten, um diesem provokanten Bild zu entsprechen. Feuer wurde mit Benzin gelöscht. Stinky Turner, der Sänger der "Rejects", hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, seine Songs mit einem hastigen "Oi,Oi,Oi" (Oi =Cockney für Hey) anzuzählen, anstelle des üblichen "one, two, three" und lieferte damit der britischen Arbeiterjugend einen griffigen Schlachtruf. Manager der Rejects war Gerry Bushell, der gleichzeitig als Musikjourna list für die "Sounds" arbeitete. Außer ein paar wenigen Artikeln, die Bushell für Sounds schrieb, blieb das OiPhänomen unerwähnt. Obwohl die Veröffentlichungen der Angelic Upstarts und der Cockney Rejects sich regelmäßig in den Top 50 festbissen, wurden diese Bands von den Musikzeitschriften ignoriert. Was für die englische Workingclass Jugend das Größte überhaupt war, galt für die britische Musikindustrie als peinlich und asozial. Ab 1980 stand "Oi" für Punk ohne die Poser, für unsterilen, ehrlichen HardcoreSound direkt aus dem Londoner Untergrund. Die straßentaugliche Glaubwürdigkeit der Musik begeisterte all die Jugendlichen, die sich durch die kommerzielle Einmischung der Industrie in ihre Szene verarscht fühlten. Gerry Bushell war auch der Kopf hinter den Oi-Compilations, die mit "Oi- The -2 2 -
Album" als erste Veröffentlichung 1980 die Bewegung erst richtig auf Trab brachten. Bis 1981 hatte sich Oi in den unteren Schichten Englands ausgebreitet. Neue Formationen oder Bands, die bis dahin erfolglos waren, beackerten in kürzester Zeit den Boden, für das was noch kommen sollte; aus Manchester, aus Sunderland, aus East-London, aus Brighton, aus South-London, aus Dagenham, aus North-London und aus den entlegendsten Orten GroßBritanniens. Cock Sparrer, The Last Resort, Infa-Riot, The 4-Skins, The Gonads, Red Alert, The Business, The Blitz, Peter and the Test Tube Babies... Das war nur die Spitze des Oi-Berges. Oi-the Album, Oi- the movement, Oi-the statement, Oi-dies, Oi-das. Den wenigsten dieser Bands konnte man ein politisch motiviertes Image nachsagen, außer, daß sie mit der konservativen Regierung ihres Landes, der Arbeitslosigkeit in ihren Vierteln und der Unterdrückung ihrer Musik durch staatliche Zensoren nicht einverstanden waren. Was diese Bands im Sinn gehabt haben, war eine unpolitische Bewegung, die sich nicht zwischen rechts oder links entscheiden sollte, sondern zwischen richtig und falsch, ohne dabei auf den Spaß von schnellen Konzerten und guten Partys verzichten zu müssen. Schlägereien inbegriffen. Jugendliche ohne Aussicht auf Arbeit, Punks mit Irokesenschnitt, Bomberjacken und Doc Marten Boots und Hosenträger-Skinheads, denen Margaret Thatcher und die Windsors am Arsch vorbei gingen. Im Sommer ´81 erschien der zweite Oi- Sampler, "Strength through Oi". Der Titel war ein Wortspiel, dem das Hitlersche Reiseprojekt "Kraft durch Freude" = "Strength through joy" zugrundelag. Dummerweise war auf dem schwarz/weißen Cover der berühmt berüchtigte Skinhead Nicky Crane in klassischer Aggropose zu sehen. Crane galt als einer der führenden Köpfe des rechtsradikalen "Britisch Movement" und war angeblich durch einen Irrtum auf das Cover geraten. Die ultrafaschistoiden -2 3 -
Mitglieder des "Britisch Movements" und der rechten Partei der "National Front" hatten schon Mitte der Siebziger damit begonnen, die Skinheadszene massiv zu infiltrieren, nicht ohne Erfolg. Die Rassenkarte war gegenüber der gewaltbereiten Jugend ihr wichtigster Trumpf gewesen, der ihnen bei den Wahlen ´77 ganze 250.000 Stimmen einbrachte. Daß die gesamte Sze ne nach rechts abwanderte, oder das die OiBewegung von Beginn an einer nationalen Gesinnung nachhang, war gelogen. Dennoch, vielen älteren Skinheads waren die jüngeren gefolgt und in der Klasse zu sagen, "ich bin in der NF", brachte damals instant-respect auf dem Schulhof. Jetzt, während des Revivals Anfang der Achtziger, gelang es den rechten Parteien erneut, Streit unter den Jugendlichen zu säen. Immer wieder prügelten sich die Fans untereinander. Niemals würden sich Skinheads und Punks zusammentun, nicht einmal unter dem gemeinsamen Dach, das "Oi" ihnen bot. Aufgrund des politischen Einflusses in ihrer Szene, war ihnen plötzlich nichts mehr gut genug. Der Mop wollte wissen auf welcher Seite seine Bands standen. Wer nicht rechts war, war links und wer kein Kommunist war, der mußte ein Nazi sein. Auf diese Weise erheuchelten sich beide Lager die Legitimierung ihrer Existenz und die Notwendigkeit ihrer Gewalt. -2 4 -
Kapitel 6 82/83 "Das Demotape" Einer von vielen mit rasiertem kopf, du steckst nicht zurück, denn du hast keine angst, shermans, braces, jeans und boots, deutschlandfahne, denn darauf bin ich stolz, man lacht über dich, weil du arbeiter bist, doch darauf bin ich stolz, ich hör nicht auf den mist du bist skinhead, du bist stolz, du bist skindead, schrei´s heraus, du bist skinhead, du bist stolz, du bist skinhead, schrei´s heraus du hörst Onkelz wenn du zu hause bist, du bist einer von ihnen, denn du bist nicht allein du bist tätowiert auf deiner brust, denn du weist, welcher kult für dich der beste ist die leute schauen auf dich mit hass in den augen, sie schimpfen dir nach und erzählen lügen über dich du bist skinhead, du bist stolz du bist skinhead, schrei´s heraus ("Stolz", © Böhse Onkelz, Ska-Version auf 2. Demotape 1983 und auf "Der nette Mann" LP, Rock´O´Rama1984, schnelle Version auf "Mexico"- EP, ROR 1985) Das, was man früher einmal Matrose nannte, hieß jetzt Schiffsmechaniker. Wer sich für diesen schlecht bezahlten Beruf entschied, der mußte mindestens 15 Jahre alt sein, seine Schulpflicht erfüllt haben und seediensttauglich sein. Die Lehre dauerte 36 Monate und endete mit der Matrosenprüfung und der Aushändigung des Matrosenbriefes oder der Bestallung zum Schiffsmechaniker. Nach einem dreiwöchigen Lehrgang über Schiffssicherheit in Hamburg, schrieb die Lehre in ihrem praktischen Teil auf See die Prüfungsgebiete Nautik, Decksdienst und Maschine vor. Dazu kamen Unterrichtsblöcke von 10 Wochen pro Lehrjahr, die in einer Schule für Schiffsmechaniker in Travemünde besucht werden mußten. Kevin erinnerte sich oft an das, was seine Großmutter ihm über die Seefahrt erzählt hatte. -2 5 -
"Fahr doch zur See" , hatte sie gesagt, "da kommst Du auf andere Gedanken und siehst etwas von der Welt". Danach verfiel sie meistens in einen langen Monolog über die Seefahrt und über Kevins Großvater, der einstmals als 3. Maschineningenieur auf der Cap Arkona nach Brasilien gefahren war. Die Cap Arkona war in den ausgehenden zwanziger Jahren tatsächlich der ganze Stolz und das Flaggschiff der Hamburg-Südamerikanischen Dampfschiffahrtsgesellschaft gewesen. Ein Koloss unter den Passagierschiffen mit drei mächtigen Schornsteinen, Konzertsalon, Festsaal,Tennisplatz und genug Platz für über tausend gutbetuchte Gäste. Dabei stand es jetzt schon fest. Nichts von dem, was seine Oma ihm über die Seefahrt berichtet hatte, traf zu. Hier ging es nicht um Passagierdampfer und feine Gesellschaften in Dinnergarderobe, die den Hummer zentnerweise in sich hinein schaufelten, während sie gemächlich von Hamburg nach Südamerika schaukelten. Auch nicht um die Abenteuer des Leichtmatrosen Russell, der nachts an den Luxuskabinen der alleinstehenden Millionärinnen entlangprüfte, in der Hoffnung in Rio schwer reich für immer von Board gehen zu können, sondern um beschissenes, langweiliges Stückgut; um Container und den Umgang mit ihnen, um Seekarten und nautischen Schnickschnak und um beinharte körperliche Arbeit. Zu Beginn der Lehre war Kevin noch guten Willens. Voller Elan und mit den besten Absichten war er nach Hamburg gekommen, aber schon nach kurzer Zeit saß er in den Unterrichtsräumen und träumte sich durch den Tag. Rio... "Sie sehen also meine Herren, zeeehn Querschotte, hier, hier und hier, eiserne Querwände, die bis zum obersten durchlaufenden Deck gehen, teilen das Schiff in wasserdichtabschließbare Räume, die es schwimmfähig halten sollen, wenn einer oder zwei von ihnen durch einen Wassereinbruch voll laufen..." -2 6 -
Rio... "Sie sehen also meine Herren, hundert-a-vier-kaz- autvierundzwanzigvierundzwanzig, die 100 A bedeutet: 100% Klasse A, das heißt, daß das Schiff nach den Vorschriften für stählerne Seeschiffe gebaut wurde und demnach bedeutet die 4, daß diese Klasse alle 4 Jahre erneuert werden muß. KAZ ist klar, bedeutet Kühlanlagenerzeugnis und AUT 24/24 steht für automatischen Betrieb vierundzwanzig Stunden wachfrei..." Rio... "Sie sehen also, meine Herren, Kreuzrahmenantenne für Sichtfunkpeiler mit Hilfsantenne, Stopper für die Seezurrung des Portalkrans und hier das Strömungsausgleichsrohr, Ballastwassertank und Schweröltank, so wie Abgasrohre, Schornsteine und Lüfterköpfe. Russell? Russell, sind sie noch bei uns?" ..... -2 7 -
Kapitel 7 1983 "Doc Marten´s Beat" Pe war eine höchst untypische Erscheinung in der deutschen Skinheadzene. Er war, und das mußte mal gesagt werden, die gute Seele der Band. Nicht nur war sein Schlagzeugspiel in den letzten Jahren erheblich besser geworden, er war auch in allen anderen Belangen eine unersetzbare Stütze der Böhsen Onkelz und der beste Freund. Untypisch insofern, daß ihn Gewalt und Fußball kalt ließen. Ins Waldstadion ging er nur selten und während der gesamten Zeit, seit Gründung der Band, hatte er sich niemals an einer Schlägerei beteiligt. Er war aber auch niemals weggelaufen. Pe stand einfach daneben und zog sich rein, was es zu sehen gab. Wenn alles vorbei war, stand er immer noch da, ohne einen Kratzer im Gesicht und tat so, als ob nichts passiert wäre. Pe war auf eine besondere Art ruhig und furchtlos. Es schien, als trüge er nur wenig Zorn in sich, den er durch Aggression artikulieren mußte. Bis auf einen Zwischenfall, bei dem Pe einem schlafenden Nürnberger Skinhead nach einer versoffenen Nacht den Inhalt einer Dose Whiskas ins Maul geschmiert hatte, war von ihm niemals Gewalt ausgegangen. Während Kevin und Stephan nur darauf warteten, daß sie jemand schräg ansah, damit sie endlich loslegen konnten, war Pe das genaue Gegenteil. Seit dem Sommer ´82 war Pe aus Hösbach fort. Beim Abflußservice hatte er aufgehört und arbeitete nun in einer Frankfurter Schloßerei. Pe wohnte mit seinem Freund Oleovnek zusammen. Eine winzige Wohnung auf der Humboldtstraße im Frankfurter Nordend. Das war nur einen Steinwurf entfernt von dem Haus, in dem Stephan, Pia und Gonzo wohnten. Alles war schön. Bis eines Tages die Freundin vom Oleovnek einlief und ein bißchen Acid dabei hatte. Sie drückte Pe zwei Micros in die -2 8 -
Hand und verschwand wieder. Mal abgesehen von einigen Pattexerlebnissen, dem wenigen Dope und dem vielen Bier, hatte Pe noch keine Drogen zu sich genommen, jedenfalls keine harten. Gonzo, der an diesem Abend aus Hamburg zu Besuc h war und mit Pe in dessen Höhle abhing, konnte sich auch nicht rühmen, schon mal eine psychedelische Erfahrung gemacht zu haben. Was konnte schon großartig passieren? Micros, pah, die konnte man ja kaum sehen, so klein waren die. Pe und Gonzo waren gewarnt worden, daß so ein Trip auch schiefgehen konnte, aber was zum Teufel bedeutete "schiefgehen"? Daß man kotzen mußte? Daß man Dünnschiß kriegte? Was meinte sie mit SCHIEFGEHEN? Daß Micros nur so groß wie ein Stecknadelkopf waren, hieß nicht, daß sie schwächer als andere Trips sein mußten. Im Gegenteil. Micros waren hochgradig konzentrierte LSD-Bomben, pure Chemie und äußerst potent. Ein halbes Kügelchen hätte ausgereicht, um einen stabilen Menschen nachhaltig zu verwirren. "Schiefgehen" bedeutete, daß sich die gesamte Wahrnehmung physisch und psychisch in eine unbekannte Ebene verschob und daß soetwas bei einem Anfänger katastrophale und traumatische Erlebnisse hervorrufen konnte. Darum war es immer ratsam, eine nüchterne Vertrauensperson dabei zu haben, die nachfühlen konnte, was im Kopf des erschrockenen Reisenden ablief. Im Klartext hieß das, daß man schräge und schreckliche Sachen sehen konnte und sich vor Angst fast in die Hose machte. Es kam wie es kommen mußte. Unautorisiertes Acid in den Händen von neugierigen Tripnovizen. Mit einem kräftigen Schluck Binding aus der Flasche spülten sie ihre Micros runter, jeder einen und dachten nicht im Traum daran, daß ihr erster Ausflug sie gleich so weit fort tragen würde. Nach einer halben Stunde begannen die Wände zu leben und das, was eben noch ein Rockposter war, wurde nun zu einer Vielzahl von gemeinen Kreaturen und blutrünstigen Fratzen. Nichts war mehr so, wie es -2 9 -
sein sollte, alles schwamm davon. 8 Stunden saßen sich Gonzo und Pe gegenüber und gifteten sich an. Sie sprühten Funken, zischten und schnaubten. Keiften aufeinander los und schreckten voreinander zurück. Alle paar Minuten ein trügerischer Normalflash, währenddessen sie sich anschauten und sich sagten: "HÄÄÄ, was ist denn eigentlich los? Ist doch gar nicht so schlimm, oder? ODER? OOODER?...", dann kurz aus dem Fenster geguckt und... Njooiinnng... schon ging es wieder ab. Der Sog, der Rotor, der Abfluß, alles wurde mit hinabgerissen und weggespült. Die Augen quollen ihnen aus dem Schädel, die Kopfhaut schrumpfte und die Zähne schmolzen. Ohrensausen und die Sinne im Aufruhr. Weit weg und wieder ganz nah dran, rauf und wieder runter, alles in Ordnung, alles oberschräg, und dazwischen konkrete Panik. Die ganze Nacht ging dabei drauf. Bevor der Morgen graute, war an Schlaf nicht zu denken gewesen. Seit diesem Erlebnis waren Fernreisen bei Gonzo und Pe nicht mehr gefragt. Im Frühjahr ´83 kauften Stephan und Pia ihr erstes Auto. Pia hatte durch die Heirat 7000,-DM von ihrer Versicherung bekommen. 5000,- waren für die Kaution der Wohnung draufgegangen und für die verbleibenden zwei kaufte Stephan einen weißen Opel Rekord Olympia. Baujahr 1960 mit "OlimaticHalbautomatik", die dem Wagen den Spitznamen "Olimat" einbrachte. Diese alte Kiste war für eine kurze Zeit der ganze Stolz der Band. Im Olimat, mit "Böhse Onkelz"- Schriftzug auf den Türen, waren sie im Februar nach Bayern aufgebrochen. Ihnen war ein Auftritt im Jugendzentrum Ampermoching zugesagt worden. Kevin und Gonzo waren aus Hamburg angereist und zusammen mit ihrem Rimmel Standard, ihren Gitarren und dem Verstärker quetschten sie sich in den Olimat. Auf regennasser Fahrbahn schlich die Karre durch den Nebel und es hatte 5 Stunden gedauert, bis sie endlich ankamen. Im Jugendhaus Ampermoching hatten sich einige hundert Menschen eingefunden. Punks, Skinheads, Rocker und eine -3 0 -
große Abordnung der orientierungslosen Landjugend. Eine grausame Band stand auf der Bühne und versuchte das lethargische Publikum zu motivieren. "Mögts´ ihr koa Punk?" ..... -3 1 -
Kapitel 8 "Der nette Mann" Auch zwölf dunkle jahre in deiner geschichte machen unsere verbundenheit zu dir nicht zunichte es gibt kein land frei von dreck und scherben hier sind wir geboren, hier wollen wir sterben deutschland deutschland, vaterland deutschland deutschla nd, mein heimatland den stolz deutsch zu sein woll´n sie dir nehmen das land in den dreck zieh´n, die fahne verhöhnen doch wir sind stolz, in dir geboren zu sein wir sind stolz darauf, deutsche zu sein. es gibt kein land frei von dreck und scherben hier sind wir geboren, hier wollen wir sterben deutsche frauen, deutsches bier schwarz-rot-gold, wir steh´n zu dir deutschland deutschland vaterland deutschland deutschland, wir reichen dir die hand ("Deutschland", © Böhse Onkelz, "Der nette Mann LP", Rock´O´Rama, 1984) "böhse onkelz, ffm´s beliebteste skin-band, will bei rock´o´rama eine lp aufnehmen..." aus(Patrick Orth´s Fanzine: Primitiefes Leben Nr. 12, April 1984) Im nächsten Jahr meldete sich der Independent Produzent Herbert Egoldt aus Brühl bei den Böhsen Onkelz. Es war ein kurzes Telefonat, in dem er zu Stephan sagte, daß er gerne eine Platte mit den Onkelz machen würde. Er werde die gesamte Produktion finanzieren, hatte er gesagt. Die Band sollte in ein Studio gehen und ihm die fertigen Bänder schicken. Alles andere würde noch geregelt werden. Egoldt war ein Rockfossil. Er besaß schon in den siebziger Jahren ein eigenes Label, das er "Big H" nannte und auf dem er verschollenen Rockklassikern aus den späten Fünfzigern und frühen Sechzigern zu einem zweiten Frühling verhalf. 1977 hatte Herbert Egoldt seinen Plattenladen "Rock ´O´Rama" in der Weidengasse in Brühl -3 2 -
eröffnet und mit der Gründung seines gleichnahmigen Labels 1982, hatte er seine Position des frühen "Independentpioniers" gefestigt. Neben Egoldt gab es damals nur noch den Hamburger Alfred Hilsberg und dessen "Zick-Zack" Label, als Vorreiter und Aushängeschild der deutschen Indi-Kultur. Aufgrund der katastrophalen Geschäftsprognosen für diese Art von Musik, konnte Egoldt im Schatten der großen Musik häuser bestens bestehen. "Independentmusik" war seit ´77/´78 zu einem festen Bestandteil der deutschen Jugendkultur geworden und es war zu vermuten gewesen, daß progressive neue Zeitungen, wie das 1980 aus der Taufe gehobene "Spex", nur allzu gerne aus Egoldts reichhaltigem Angebot schöpften. Rock´O´Rama in Brühl wurde zu einem der bestsortiertesten unabhängigen Plattenläden, mit vorzüglichen Kontakten nach England und mit eigenem Mailordervertrieb wobei der Schwerpunkt des Angebotes 1984 noch eindeutig auf Punk und New-Wave lag. Alles andere würde also noch geregelt werden. Tatsächlich hatte Egoldt das MTV-Studio in der Frankfurter Voltastraße angemietet, dessen Inhaber Laslo "Lotzi" Viragh war. Den Böhsen Onkelz hatte Egoldt einen Termin für den April ´84 gebucht. Stephan und den anderen wurde es fast schwindelig vor Aufregung. "Wir machen eine Platte", sie konnten es kaum glauben. 1984 war damals eher für den gleichnamigen Roman bekannt, als dafür, daß man als Skinheadband einen Plattenvertrag bekam. Die Aufnahmen im MTV-Studio waren schon nach fünf Tagen abgeschlossen. Anfang Mai ´84 kam "Der nette Mann " auf den Markt. Eine politische Motivation steckte hinter dem ersten Vinyl der Onkelz nicht. Niemand in der Band gab etwas auf Politik. "Der nette Mann" handelte in erster Linie von den klassischen Interessen der Zwanzigjährigen mit asozialem Hintergrund. Saufen, Ficken, Fußball, Mord und Totschlag. Mit 14 Stücken präsentierten sich die Böhsen Onkelz als erste Skinheadband der deutschen Öffentlichkeit und wer -3 3 -
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