Danke für Nichts Böhse Onkelz - Edmund Hartsch

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Edmund Hartsch

                                         Böhse Onkelz

                                     Danke für Nichts
                                             (Biographie)

Das Buch geht unzensiert auf alle Höhen und Tiefen, auf alle
Fehler und alle Probleme ein. Die Kindheits- und
Lebensgeschichten der Onkelz, die Entwicklung der
(Frankfurter) Punk- und Skinheadszene, deren jeweilige
Politisierungen und die Ausstiege der Onkelz aus diesen Szenen,
die Anfänge und anfänglichen Entwicklungen der Band, Kevins
enorme Drogenprobleme, und und und - nur das Privatleben der
Onkelz bleibt weitgehend unberührt.
                         ISBN: 3000017437
                    Broschiert - Beo Management
                      Erscheinungsdatum: 1997
Inhalt
   Inhalt .....................................................................................2
   Vorwort .................................................................................3
   Kapitel 1 ................................................................................7
   Kapitel 2 ..............................................................................10
   Kapitel 3 ..............................................................................14
   Kapitel 4 ..............................................................................17
   Kapitel 5 ..............................................................................21
   Kapitel 6 ..............................................................................25
   Kapitel 7 ..............................................................................28
   Kapitel 8 ..............................................................................32
   Kapitel 9 ..............................................................................36
   Kapitel 10 ............................................................................40
   Kapitel 11 ............................................................................43
   Kapitel 12 ............................................................................48
   Kapitel 13 ............................................................................52
   Kapitel 14 ............................................................................55
   Kapitel 15 ............................................................................59
   Kapitel 16 ............................................................................63
   Kapitel 17 ............................................................................67
   Kapitel 18 ............................................................................71
   Kapitel 19 ............................................................................76
   Kapitel 20 ............................................................................79
   Kapitel 21 ............................................................................83
   Credits.................................................................................86
Vorwort
   Eine Botschaft an meine Leser und zukünftigen Kritiker...
   Bei den Arbeiten zu diesem Buch war ich oft erstaunt über die
Dimension, die das Thema "Böhse Onkelz" in den Jahren
erreicht hatte. Ich hatte viele Gespräche mit Freunden,
Verwandten, Fans und Kritikern der Band zu führen, ich hatte
meine Eindrücke und Erinnerungen aus 10 Jahren
Onkelzfreundschaft zu sortieren und es galt 17 Jahre
kontroverse      Bandgeschichte      aufzuarbeiten.    Kiloweise
Tagespresse, Printmedien, Tapes, Videos und Bücher, in denen
sich Autoren, Journalisten, Politiker, Veranstalter, Musiker und
Psychologen auf die eine oder andere Art, dem Thema zu nähern
versucht hatten, mußten auf ihre Ehrlichkeit und Genauigkeit
hin überprüft werden. Und ich hatte mich immer wieder zu
rechtfertigen. "Du schreibst was? Bist Du irre? Das ist doch die
Naziband, oder?"
   Soviel dummes Geschwätz, soviel infame Heuchelei und
soviel armselige, ignorante Hetze, soviel schockierende
Uninformiertheit, aber auch soviel Witziges, Kluges und
Abgedrehtes haben dieses Buch nötig gemacht. Es enthält
Politik, aber es ist kein politisches Buch. Mir ging es um die
Lebensbeschreibung von vier Menschen, deren Motivation
Musik zu machen keine politischen Inhalte hatte. Was man hier
lesen wird ist der Bericht über eine deutsche Rockband, die wie
keine andere Band vor ihr als Mittel dümmlicher politischer
Agitation mißbraucht wurde. Es soll hier auch von
Jugendbewegungen und von Formen des Widerstandes die Rede
sein, vom Zerfall unseres modernen Weltbildes und der
Zerstörung der Individualität, von Kontrolle, Meinungsdiktat,
Trendterror und Zensur. Natürlich wäre es naiv, zu behaupten,
diese Dinge hätten nichts mit Politik zu tun, nur mußte ich
immer wieder beobachten, wie Politiker und Teile der
Öffentlichkeit von außen eingriffen, um in jedem Falle das
                              -3 -
Geschehen auf die eine oder andere Weise für sich zu nutzen.
Man hat dieser Rockband immer wieder nahe gelegt, ihren
Namen zu ändern, um dann im öffentlichen Licht, als gleiche
Personen, mit gleicher Vergangenheit, aber unter neuem Namen
weiterzumachen. Man forderte, daß sie sich auf die Seite der
Lügner stelle, daß sie sich und ihre Vergangenheit leugne und
am Leben einer verlogenen etablierten Gesellschaft teilnehme.
Dann, so hieß es, sei man bereit, den einen oder anderen
Ausrutscher zu verzeihen, und man würde auch wieder für
Auftrittsmöglichkeiten sorgen, und über ein Ende des
Verkaufsboykotts von Onkelzplatten ließe sich reden. Ich halte
das für einen Skandal. Das Schlüpfen in eine Scheinidentität,
eine heuchlerische Verkleidung aus Lüge und Leugnung soll
erstrebenswerter sein, als eine selbst gewaschene Weste? Es
handelt        sich       um       ein       typisch     deutsches
Nachkriegsmißverständ nis, daß ein Wandel der Einstellung, ein
Lernen und ein Fortschreiten, ein Einsehen von begangenen
Fehlern mit einer Verleugnung der eigenen Person
einherzugehen hat. Die Böhsen Onkelz waren immer die Böhsen
Onkelz, 1980 genauso wie 1997. Das wird dieses Buch zeigen.
Wölfe im Wolfspelz, von mir aus, aber keine Nazis und auf gar
keinen Fall politisch, im Gegenteil. Sie haben geschafft, was
keine andere Band vor ihnen vermochte. Sie haben einem
kleinen Teil der deutsch-sprechenden Jugend ein Stück Identität
zurückgegeben, daß ihr von einer profitorientierten Gesellschaft
wegkonditioniert wurde.
  Dieses Buch enthält Gewalt. Viel Gewalt. Es ist laut und
gemein. Es ist viel Blut darin und viel Rotze. Viel Erbrochenes
und literweise verschwendetes Ejakulat.
  Kaputte Flaschen, offene Wunden und bittere Säfte. Schlagt
dieses Buch auf, wo immer Ihr möchtet, lest, was immer Euch
gefällt. Interpretiert frei drauflos und erzählt über dieses Buch
oder meine Person was Ihr wollt. Es steht Euch frei und mich
ärgert es nicht, ich bin kein Schriftsteller. Dieses Buch wird sich
                               -4 -
nicht in den Dreck ziehen lassen, denn es ist bereits ein
dreckiges Buch, an dem Tage, an dem es erscheint. Soll es sich
doch suhlen im Sumpf einer primitiven Sensationspresse. Soll es
von mir aus verrecken, dieses Buch, und im unerquicklichen
Sud von Zu-oft-gesagtem mit anderen Büchern um die Wette
quäcken. Möge es sich, wie es ihm beliebt, um Platzierung in
dubiosen Lesercharts raufen und um diese oder jene Kritik
streiten.
   Als ich Stephan Weidner und Pe Schorowsky im Juni 1987
kennenlernte, war ich "neu" in Frankfurt. Ich kannte weder Stadt
noch Leute und von den Böhsen Onkelz hatte ich nie zuvor
gehört. Stephan, ein verheirateter Mann von 24 Jahren, sagte mir
damals, daß er und seine Freunde eine Band hätten, daß sie die
"Böhsen Onkelz" hießen und in Skinhead- und Hooligankreisen
eine Kultband gewesen wären, daß sie aber seit einiger Zeit das
Gefühl hatten, diesen Szenen entwachsen zu sein. Sie wollten
sich musikalisch weiterentwickeln, und ich erinnere mich, daß
ebenfalls die einsetzende Politisierung in der Skinheadszene ein
Grund ihres Ausstiegs gewesen ist. Als man mir damals die
Texte der ersten LP "Der nette Mann" zeigte, war ich zunächst
angeekelt von der beschriebenen Gewalt. Die Lieder passten
zwar zu dem, was ich über Skinheads und Brutalität gehört und
gelesen hatte und augenscheinlich auch zu den Menschen auf
dem Coverphoto, aber nicht zu den zwei Menschen, die ich
kennengelernt hatte und zu den Personen, die sie zu sein
vorgaben. Sie begegneten mir mit Toleranz und selten erlebter
Offenheit und sie nahmen kein Blatt vor den Mund. Ich hatte
nicht den geringsten Grund an der Ehrlichkeit ihrer Aussagen zu
zweifeln. Vielleicht sollte ich erwähnen, daß ich zu dieser Zeit
sehr lange Haare hatte, mit meiner afrikanischen Freundin
zusammen wohnte, andere Musik als Stephan und Pe hörte und
aus einem komplett anderen Milieu stammte. Von Skinheads
hatte ich nur wenig Ahnung. Das war im Sommer ´87, zu einer
Zeit, als die Böhsen Onkelz kaum bekannt und die Medien nur
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vereinzelt daran interessiert waren, über eine Skinheadband zu
berichten, die keine Skinheadband mehr sein wollte.
  Es geht hier nicht um Politik, sondern um Widerstand, um
Empörung, um Schmutz, Skandal und Zensur. Ein Willkommen
an alle Unvoreingenommenen und an alle, die sich gewissenhaft
und ohne Vorurteile informieren wollen, wie gering sie an Zahl
auch sein mögen. Und an all die Besserwisser und
Neunmalklugen,        an   all   die    Musikjournalisten    und
Medienmenschen, die Politiker und Veranstalter, an all die
radikalen Fanatiker, linke wie rechte, die immer noch in die alte
Kerbe hauen, die, die sich in ihrem persönlichen Onkelzkrieg zu
solcher Polemik und Diffamierung haben hinreißen lassen, die
das Maul so weit aufgerissen haben, daß sie jetzt nicht mehr
zurück können...
  ...fahrt zur Hölle!
               Edmund Hartsch Frankfurt am Main, im Juni 1995

                               -6 -
Kapitel 1
   1940 -1979 "Erinnerungen"
   Ich lese im buch der erinnerung ich hör´ mich lachen mein
leben war ein spiel erzählt von einem narren ich wußte nicht
immer was ich will doch ich wußte wie ich´s kriege ich nahm es
leicht auch wenn es härter kam es war ein setzen, ein setzen
neuer ziele mein leben war oft wie ein spiel wie ´ne lange reise
ohne ziel eine suche nach dem, der ich bin eine suche, die suche
nach dem sinn mein leben war ein buch ich mußte es nur
schreiben ich wollte alles oder nichts ich mußte mich
entscheiden das leben war die antwort und ich stellte viele
fragen und dieses endlose geheimnis hatte unendlich viel zu
sagen
                   ("buch der erinnerung" © Böhse Onkelz, 1992
                          Heilige Lieder LP, Bellaphon Records)

   Der Zwilling ist ein Luftzeichen. Er ist der Mai, der Frühling,
die Blüte und das Erwachen. Nach der irdischen Schwere des
Stieres im April, gleitet die Welt im Mai in den Taumel der
beschwingenden Zwillingssphäre. Sie teilt sich zum Zeichen
ihrer Dualität in zwei Geschlechter und macht sich bereit für
eine sorgenfreie Befruchtung. Alles ist "noch" offen,
Entscheidungen sind "noch" nicht getroffen, Entschlüsse "noch"
nicht gefasst.
   Stephan Weidner wurde als Zwilling am 29. Mai 1963 um
12:57 Uhr in Alsfeld bei Kassel geboren. Er wurde bei seiner
Geburt in zwei Hälften geteilt und die erste Ahnung seiner
Unvollständigkeit trieb ihn bereits früh in einen zwiespältigen
Zustand von traumatischer Angst und unbändiger Wut. Wer
auch immer in seinem zukünftigen Leben seine Feinde sein
würden, sie würden es mit zwei Weidners zu tun bekommen,
mit einem Menschen, der die doppelte Menge an Energie besaß,
                               -7 -
der die Polaritäten der Welt in seiner Persönlichkeit miteinander
verband und der schnell von einem Extrem ins andere fiel.
   Aber der Reihe nach: Sein Vater, Karl-Heinz Weidner, war
1940 in eine zerrüttete, kinderreiche Familie im Frankfurter
Nordend hineingeboren worden. Seine ersten Jahre waren auch
die letzten Jahre des Krieges. Frankfurt, Mainz und Wiesbaden
fielen am 29. März ´45 in die Hände der 3. U.S. Panzerdivision.
Tod und Niederlage brachen über das Land herein und die
Hakenkreuzfahnen verschwanden praktisch über Nacht aus den
Fenstern und von den Balkonen.
   Zwischen den Häuserzeilen des zerstörten Frankfurts lagen
Leichen und Leichenteile und auf den Straßen breitete sich ein
übler Geruch von Schuld und Schande aus. Die Erkenntnis ihres
Größenwahns machte vielen alten Nazis schwer zu schaffen.
Manche waren verbittert und hart, andere brachen unter der Last
der Niederlage zusammen. Die Mehrzahl jedoch kroch dahin
zurück, wo sie hergekommen war und schwieg.
   Auch das Haus der Weidners lag in Trümmern und die frühen
Jahre nach ´45, verbrachte Karl- Heinz damit, beim
Wiederaufbau des Hauses mitzuhelfen.
   Ziegelsteine, die er auf Leiterwagen zu stapeln hatte, das war
seine tägliche Routine als Kind. Sein Vater war seit ´44 vermißt
und von seiner Mutter bekam er nicht viel außer Prügel, die er
täglich an andere Kinder weitergab. Karl- Heinz war kein großes,
starkes Kind, eher schmächtig, aber er konnte eine skrupellose
Brutalität an den Tag legen. Viele seiner Spielkameraden
fürchteten sich vor ihm und als er zwölf wurde, gab ihn seine
Mutter an das Kinderheim Marienhausen ab.
   Das Don Bosco Internat des Salesianerordens zu
Marienhausen, war ein düsterer Ort, eine verfluchte Stätte. Vom
Krieg verschont geblieben, lag das Gebäude eingepfercht
zwischen dicken Eichenbäumen und sanft ansteigenden
Weinbergen hinter den Ortschaften Rüdesheim und Aulhausen.
                               -8 -
Unweit der Hugo Asbach Brennerei. Ein dunkelgelber
Sandsteinbau mit schwarzem Schieferdach und Heiligenstatuen,
die schweigend in den Nischen standen und kein Wort darüber
verloren, was in Marienhausen geschah. "Schwer erziehbar"
  nannte man die Kinder, die in Marienhausen interniert
wurden. Kinder, die sich nicht fügen wollten, deren Eigenarten
und Reaktionen von Eltern und Gesellschaft nicht
nachvollzogen werden konnten, und die infolgedessen als
gefährlich angesehen wurden. Karl- Heinz Weidner war
gefährlich, so entschied seine Mutter, eine dominante,
hartherzige Frau. In Marienhausen hatte man bestimmte
Vorstellungen, wie mit solchen Kindern zu verfahren war.
Zunächst einmal mußte man sie immer und beständig prügeln,
bei jeder nur er enk lichen Gelegenheit. Zu diesem Zweck
benutzten die Lehrer ihre Gürtel, Ruten und Fäuste. Preußisch-
katholisch waren die Richtlinien dieser Anstalt. Angst und
Schrecken waren in Marienhausen allgegenwärtig und die
Padres sorgten dafür, daß diese Angst den Kindern niemals
ausging. "Unsere tägliche Prügel gib uns heute." Karl-Heinz
wohnte mit 49 anderen schwer erziehbaren Knaben in einem
Schlafsaal, der in der Nacht von einem Priester bewacht wurde.
Es gab Ohrfeigen, sobald sich einer der Jungs rührte.
Spaziergänge in Marschkolonnen und Redeverbot vom
Aufstehen bis zur zweiten Andacht.

                             -9 -
Kapitel 2
   1964 - 1981 "Türkähn rauhs"
   Der 15. Juni 1964 war eindeutig zu kühl. Der ganze Tag war
wolkenverhangen.
   Es ging ein starker Wind, der erst am späten Nachmittag zur
Ruhe kam. Am Abend hatten bei Frau Schorowsky die Wehen
eingesetzt und kurz nach 23:00 Uhr war es fast soweit. Falls es
ein Junge werden würde, so sollte er Peter heißen. Ihr Heimatort
Hösbach war ein kleines Nest in der Nähe von Aschaffenburg.
   Obwohl es nur eine gute Stunde von Frankfurt entfernt lag,
gehörte es bereits zu Bayern. Außer seiner alten Ringertradition
hatte dieser Ort nicht viel zu bieten. Tankstelle, Gemeindehaus,
Eckkneipe und Eiscafé. Es hatte auch niemals jemanden
gegeben, abgesehen von irge ndeinem Ringer vielleicht, der aus
Hösbach oder Goldbach stammte und berühmt geworden wäre.
Die Schorowskys waren schon lange in dieser ländlichen
Gegend ansäßig. Lange genug, um eine feste Position im
sozialen Gefüge der Dorfgemeinschaft einzunehmen.
Feuerwehrball, Gottesdienst, Schützenfest. Katholischer,
biederer Mittelstand, alles andere als aufregend. Das Haus in der
Salzgasse war Frau Schorowskys Mädchenhaus, in dem auch sie
geboren worden war und in dem sie nun ihren zweiten Sohn
Peter zur Welt brachte. Die Sonne stand im Zwilling. Ein
weiterer Mensch auf der Suche nach Vollständigkeit.
   Peter trug die gleichen titanischen und provokanten Anlagen
in sich, wie Stephan Weidner, nur fehlten ihm die Wut und der
Jähzorn, der im Leben der männlichen Weidners allgegenwärtig
war. Als Baby schrie er viel. Das änderte sich auch nicht, als
Peter zum Kind heranwuchs und all die Belehrungen und
Maßregelungen über sich ergehen lassen mußte, die ein
katholisches Kinderleben mit sich brachte. Frau Schorowsky
bekam nach Peter und seinem älteren Bruder noch zwei weitere
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Söhne und die gesamte Familie, einschließlich der Großeltern,
wohnte im Haus in der Seusstraße. Die Kindheit der Brüder
verlief ähnlich. Die frühen Jahre verbrachten sie in der
unmittelbaren Nähe des Hauses und beschäftigten sich mit dem,
was der Hinterhof zu bieten hatte. Bäume erklettern, Kaninchen
streicheln, Hühner jagen, Schwert- und Reiterkämpfe. Als Peter
fünf Jahre alt war, schaute er zum ersten Mal bewußt auf den
Fernseher. Wären in diesem Moment nicht ein paar
Livemitschnitte eines 69er Beatleskonzertes über den Schirm
geflackert, so wäre vielleicht niemals ein Musiker aus ihm
geworden. Diese vier aufgetakelten Gestalten, mitten in ihrer
Sgt. Pepper-Epauletten-Freak-Phase, die tausende von
Jugendlichen an den Rand des Wahnsinns brachten, hatten ihm
schwer imponiert. Er würde "Beatle" werden. Und wenn die
Welt aus den Angeln kippen und Hösbach im Erdboden
versinken sollte, aus ihm, da war er sich absolut sicher, würde
eines Tages ein Beatle werden. Kein Lastwagenfahrer, kein
Indianer, Fußballer oder Astronaut, und auch kein
Kältemechaniker, wie sein Vater, sondern ein gitarrespielender
Beatle.
   In der dritten Klasse wurden dem Kind einige grundlegende
Dinge klar, die den Wunsch nach Ausdruck in seinem Leben
noch verstärkten. Der Direktor der Hösbacher Grundschule,
Herr Adler, war gleichzeitig Peter´s Klassenlehrer. Er war 63
Jahre alt, stand kurz vor der Pensionierung und war verrufen als
ein sadistisches Schwein. Adler war von fiesem,
selbstgerechtem Charakter, der häufig seine faschistoide
Grundeinstellung erkennen ließ. Mit subtilen und gemeinen
Bestrafungen ging er permanent gegen die Kinder vor. Wenn die
Grundschüler unaufmerksam waren oder aus dem Fenster
schauten und sich in Tagträumen verloren, ließ er sie aufstehen
und nach vorne kommen. Dort fragte er sie, ob sie lieber ein
Schokoladen- oder ein Zuckerplätzchen wollten.
   Es war egal für was sich die Schüler entschieden, der einzige
                             -1 1 -
Unterschied zwischen Schoko und Zucker war der, daß er sie
mit dem Stock auf die rechte oder die linke Hand schlug. In
jedem Falle war es eine unsägliche Pein. Peter war ruhig, er
hatte diese Strafe nur selten zu ertragen, aber er hasste seinen
Lehrer dafür, daß der zu solchen Mitteln griff.
   Peter begann früh seine Bücher und Hefte vollzukritzeln.
Während der Grundschulzeit malte er unentwegt und einmal
hatte ihn Herr Adler erwischt und er hatte für seine Darstellung
von Monstern und Fruchtbarkeitssymbolen zwischen den Seiten
des Lesebuches eine schallende Ohrfeige bekommen. Er wurde
ins Lehrerzimmer geschickt, wo er unter dem Kruzifix sitzen
und schmoren sollte. Spätestens von diesem Zeitpunkt an war
die Schule für Peter kein Spaß mehr. Er begann die Welt der
Erwachsenen in Frage zu stellen. Tief und breit klafften die
Schluchten zwischen dem was sie sagten und dem was sie taten
und ihre Fehler waren so offensichtlich. Peter begann die Schule
als einen Ort anzusehen, an dem er und seine Freunde jeden Tag
für ein paar Stunden gefoltert wurden. Das konservativ-
katholische Elternhaus und die Schule fingen an auf
unerträgliche Art und Weise die Grenzen seiner Toleranz
auszuloten. Lange wollte er sich das nicht mehr bieten lassen.
Seine Lehrer registrierten ihn als einen maulfaulen, träumenden
Schüler. Daß er nur wenig sagte, bedeutete nicht, daß ihm
irgendetwas entging. Er beobachtete seine Lehrer und die
Erwachsenen genau und merkte sich ihre Verfehlungen bis ins
Detail. Warum sollte er sich dazu äußern? Es reichte doch, daß
er wußte, daß sie Unrecht hatten.
   Nach der Hösbacher Grundschule ging Peter Schorowsky auf
die Hauptschule, die sich im gleichen Gebäude befand. Woche
für Woche studierte er mit seinem Freund Andreas die beliebten
bunten Zeitungen, die von Erwachsenen herausgegeben wurden
und in denen man den Kindern auf hinterhältige Art einimpfte,
welche Musik sie zu hören hatten und was sie anziehen sollten.
In diesen Blättern, so glaubten Peter und seine Schulfreunde,
                             -1 2 -
wurde die wahre Welt beschrieben. Sweet, Slade und Abba,
Elton John, Mud und Rubettes.
   Mittwochshitparade mit Mel Zandok. In seiner Klasse, wie in
allen anderen Klassen auch, war es seit Mitte der siebziger Jahre
Bestandteil eines wichtigen Identitätsrituals, sich mit Leib und
Seele einer Popgruppe zu verschreiben.
   Leider gab es schon Schüler, die alles über Sweet, Slade und
Abba wußten, die schon lange Material sammelten und deren
Archive unerreichbar groß und umfangreich waren. Er würde
aber, so riet ihm ein Freund, bestimmt gute Chancen auf
Identität besitzen, wenn er Bay City Rollers Fan werden würde.
   Peter tauschte seine Uhr, das Kommunionsgeschenk einer
Tante, gegen das Bay City Rollers Archiv eines Mitschülers, das
der Grundstock seiner Sammlung werden sollte. - Zur Hölle mit
Bay City Rollers und ihrem englischen Schwuletten-Pop. Es
ging ganz schnell, da hatte er von diesen Teenieformationen die
Schnauze voll und wechselte ins langhaarige AC/DCLager.

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Kapitel 3
   1962-1981 "Double life Gonzo und die Frontstadt
Frankfurt"
   Matthias Röhr war der erste und somit älteste von insgesamt
vier Jungen. Er wurde am 16.April 1962 im Elisabethen-
Krankenhaus in Frankfurt-Bockenheim geboren. Sein Vater
stammte aus Schlesien, die Mutter aus Ostpreußen.
   Während der ersten Monate seines Lebens wußte er alles,
begreifen konnte er nichts. Die Welt war zähflüssig geworden,
groß und kalt. Als er zwei Jahre alt wurde siedelte die Familie
von Frankfurt Sachsenhausen nach Eschborn um, das 1964 noch
Dorfcharakter hatte und nicht zu den Bürosatelliten Frankfurts
zählte. Matthias besuchte hier den Kindergarten und die erste
Klasse der Grundschule, bevor die Familie erneut den Wohnort
wechselte und nach Kelkheim zog, einem anderen Dorf in
Taunusnähe. Nach ihm bekam seine Mutter noch drei weitere
Söhne. Matthias war ein Bestandteil der Welt um ihn herum
geworden und der Vater, der während der letzten 5 Jahre einen
Lebensmittelladen in Frankfurt Höchst betrieben hatte, eröffnete
1965 einen kleinen Kiosk in der Voltastraße in Frankfurt
Bockenheim.
   Matthias sah den Vater während dieser Jahre selten. Der Alte
verließ die Wohnung morgens um fünf und war nie vor zehn
Uhr abends zu Hause, auch Samstags nicht und Sonntags
arbeitete er halbtags. Die Person des Vaters reduzierte sich auf
die Stimme, die er manchmal in der Nacht von seinem
Kinderzimmer aus hörte und auf den Mann, den er während der
kurzen Sonntagnachmittage sah und der oft abgespannt und
müde schien. Die Erziehung, die Matthias genoß war katholisch,
wie die von Pe Schorowsky. An seinem ersten Schultag schickte
man ihn pflichtbewußt und korrekt, im schwarzen Kinderanzug
und mit Fliege, in die Schule. Wer einen Anzug trug, brauchte

                             -1 4 -
auch damals nicht auf das Mitleid von Sechsjährigen hoffen.
Mathias war schmächtig und hatte ein gespanntes Verhältnis zu
allen Klassenstärksten. In den ersten Grundschuljahren hatte er,
genau wie Pe, unter seinem Klassenlehrer zu leiden, wurde
Fingernagelkontrollen unterzogen und sah sich mit Stöcken und
Stäben gemaßregelt. Diese kleinen Gemeinheiten und
willkürlichen Züchtigungen empfand er in dem Alter bereits als
mies und billig, einfach unangenehm. Trotzdem war es eine
Dorfkindheit mit allen Fröschen und Kaulquappen, Eidechsen,
Feuern, Baumhäusern und miefenden Strohballen, die dazu
gehörten. Mit Schneegestöber im Januar und Hagel im April,
mit Amselgesang im Juni und dem Duft von gemähtem Heu im
August, Spinnenweben im September und schlechte Noten im
November. Hessische Sechzigerjahredörfer. Das Ende der
malerischen Kopfsteinpflasterära und der Beginn der
Größenwahnepoche.
   Matthias nahm die Sakramente an, das hieß, er schluckte die
Hostie noch bevor er die Kommunion empfangen hatte. Weil er
es besonders gut und heilig machen wollte und weil er nicht
ahnte, daß so etwas in der Kirche verboten sein könnte. Der
Pfarrer zog ihn nach der Messe am Ohr in einen Gang und
brüllte ihn an. Da war er ein Sechsjähriger und wieder trug er
den schwarzen Kinderanzug. Als ginge er zu einem Begräbnis,
so hatte man ihn fein gemacht, und jeden Sonntag hatte er dort
aufzukreuzen, und verschwenden sollte er sich und seinen
jungen Glauben in diesem kalten Kloster Kelkheim. Matthias
hatte schnell begriffen, wofür der Begriff "katholisch" in seinem
Leben zu stehen schien und verweigerte sich früh dem
kirchlichen System. Er war jetzt schon ziemlich angekotzt von
den katholischen Pfarrern und ihrer Einmischung in sein Leben.
Eine verlogene Bande, alle miteinander. Später bekam er
nochmal eine Ohrfeige von einem Gottesdiener, der ihn auf der
EichendorfRealschule in Religion zu unterweisen hatte. Man
hätte den Verdacht hegen können, daß die Lehrer das Fach
                              -1 5 -
besonders unangenehm und langweilig gestalteten, gerade damit
die Kinder ihr natürliches Interesse an den Fragen der
Schöpfung verloren und man das Vakuum mit Katechismus
vollstopfen konnte. Dennoch glaubte er daran, daß er im Namen
der Musik unterwegs war, sonst hätte er mit elf Jahren nicht
schon so einen Wirbel darum gemacht. Es hatte viel Gejammere
und Gequengel gekostet, bis die Mutter endlich mürbe wurde
und dem Sohn bei Hertie eine Wanderklampfe kaufte. Ein 6-
saitiger, billiger Sperrholzkörper war das gewesen, der sich
schon verstimmte, wenn jemand im Zimmer hustete. Der Vater,
der sich auskannte, ahnte bereits, mit was es enden würde. Mit
einem      langhaarigen,    haschrauchenden,    diskutierenden,
faulenzenden, rebellierenden Sohn, dem ältesten von Vieren, der
stets aufgelegt zu einem zünftigen Disput sein, und der Bier
saufen und sich daneben benehmen würde. Er konnte sich den
Ärger bildlich vorstellen.
   Söhne, die Gitarre lernen oder Tänzer werden wollten,
schwule Theaterfreaks und Töchter mit Tätowierungen, so etwas
gab immer Probleme.
   .....

                             -1 6 -
Kapitel 4
  1981 "Böhse Onkelz"
  Neuer deutscher synthesizer alfred dreh´ die scheiße leiser
jeder gute deutsche kann´s der hippie macht den ersten tanz new
romantic neopunk deutsche welle macht mich krank new
romantic neopunk deutsche welle macht mich krank das
hippiepack steht an den tasten die meute fängt an auszurasten
adam wird der schlüpfer feucht wenn gabi in das mikro keucht
neuer deutscher glitzerkack weg mit diesem hippiepack alle
spielen deutsche welle das ist die echte monetenquelle new
romantic neopunk deutsche welle macht mich krank new
romantic neopunk deutsche welle macht mich krank
                            ("deutsche welle", © Böhse Onkelz,
                            1. Demotape 1981, unveröffentlicht,
mit "Alfred" war Alfred Hilsberg vom Zick Zack Label gemeint,
                                         Text von Patrick Orth)
  Pia Comtesse war ein Mädchen aus Gravenbruch bei
Frankfurt. Die Ehe ihrer Eltern war früh gescheitert. An den
jahrelangen Krach und die endlosen Scheidungsprozeduren
während ihrer Kindheit konnte sie sich kaum mehr erinnern.
Ihrer Mutter Anna war schließlich das Sorgerecht für Pia und
ihren jüngeren Bruder zugesprochen worden, und zu dritt
bewohnten sie eine Dreizimmerwohnung "am Forsthaus" in
Gravenbruch. Gravenbruch war ein kleiner Vorstadtsatellit, der
eingekeilt zwischen Neu-Isenburg und Heusenstamm im
Staatsforst lag. Ringsherum monokulturelles Ökodesaster,
durchschnitten von der A3, eine der Hauptschlagadern des
Landes. Die einzigen Attraktionen des Ortes stellten das
Autokino und die Reithalle dar, und auch die hingen den
Jugendlichen schnell zum Hals heraus.
  1981 war Pia sechzehn und sie war zu einem Apfel
herangewachsen, wie er reifer und saftiger nicht sein
                             -1 7 -
konnte.Wie endlos viele andere Mädchen und Jungen in ihrem
Alter, hatte auch sie ihre Zuneigung zum Punk entdeckt.
   Anfang ´81 hatte sich der Punkrock gerade bis Gravenbruch
herumgesprochen. So wie die "Kronberger", die "Neu-
Isenburger", die "Bad-Sodener", die "Kelkheimer", die "Bad-
Vilbeler" und die "Offenbacher", hatten jetzt auch die
"Gravenbrucher" ihre Punkclique. Zu viert, zu dritt und wenn es
sein mußte auch zu zweit oder gar alleine, besuchten diese
Randgebietepunks die Treffpunkte in und um Frankfurt, Mainz
und Wiesbaden. Punks kamen längst nicht mehr nur aus armen
und asozialen Familien. Das traf ohnehin nur auf die wenigsten
zu. Es vermischten sich Jugendliche aus allen sozialen Schichten
miteinander, was eine Verschiebung der Symbole und der Werte
zur Folge hatte. Milieubrei aus Pseudopunks, Hardcores, Mods,
Teds, New Wavern, Freaks, Intellektuellen, Mohawk-Hippie-
Punks, Linken und den ersten deutschen Skinheads. Anfangs
war alles noch überschaubar gewesen, aber schnell hatten sich
die Punks in ihrem eigenen Chaos verloren.
   Für Pia gab es nichts, gegen das sich zu rebellieren lohnte.
Nicht, daß ihr keine Mißstände an der Gesellschaft aufgefallen
wären, nur war die Rebellion für sie kein Mittel, das sie wirklich
in Betracht zog. Sie war ein ruhiges Mädchen, mit einem
intakten Schamgefühl, einer ausreichenden Sensibilität für die
Menschen um sie herum und einer Fähigkeit zum Ertragen von
Dingen, die andere Jugendliche auf die Palme brachten. Sie
ertrug ihr Dasein, sie ertrug Gravenbruch und sie ertrug die
Schule. Alternativen gab es keine. Pia trank nur wenig Alkohol
und nahm außer Nikotin keine Drogen zu sich. Ihr Freund
Micha und seine Punkrockkomplizen gründeten eine Band, die
sie trotzig "die Pseudos" nannten. Einmal, weil sie in Frankfurt
nicht für voll genommen, sondern als Pseudopunks
abgestempelt wurden und außerdem weil sie so extrem schlecht
waren, daß sie nicht wie "Kreppelkaffee" oder "Boopy Traps"
schon wieder geil waren, sondern so schlecht, daß sie abermals
                              -1 8 -
schlecht waren. Doppelt schlecht also. Jenseits von "geil-
schlecht", wenn man so wollte.
  Für Freitag, den 8. Mai war ein neuer Konzertabend im JUZ
Bockenheim angekündigt. Hofis Band Boopy Traps, Böhse
Onkelz, Middle Class Fantasies und Antikörper sollten in dieser
Reihenfolge auftreten. Stephan, Kevin und Pe hatten einen Plan
gefaßt. Im Proberaum über dem JUZ hatten sie zugehört, wie
Antikörper einige Lieder übten und waren auf´s Neue
beeindruckt gewesen. Gonzo war ein richtiger Musiker, ein
Künstler, ein Virtuose. Er hatte ihnen die Gitarre erklärt und sie
die Stimmtechniken gelehrt und so ganz nebenbei den lockeren
Gitarrero raushängen lassen. Nicht nur konnte er beinahe alle
Sex Pistols Songs fehlerfrei und in eigenen Interpretationen
nachspielen, er konnte auch die schönsten Bluesmelodien aus
dem Ärmel schütteln, als seien es einige seiner simpelsten
Routineübungen. Sie waren hingerissen. Stephan, Kevin und Pe
entschlossen sich dazu, diesen Mann abzuwerben, koste es was
es wolle. Der Plan war nicht ganz neu. Schon im Februar, nach
dem ersten Gig, hatte man eine Anspielung gemacht, auf die
Gonzo aber nicht eingegangen war und jetzt im Frühling, wollte
man ihn einfach fragen. Geradeheraus, ja oder nein. Gonzo hatte
vom ersten Auftritt der Böhsen Onkäls gehört. Wie sie im JUZ
mit Kreppelkaffee und Mutation um die Wette gekreischt hatten.
Das hatte schon etwas sehr dynamisches gehabt, sagte man ihm,
etwas eigenes. Die Jungs aus Hösbach gaben sich Mühe, aber
nicht zuviel, nicht soviel, daß sie verkrampft wirkten. Kevins
Brüllerei wirkte sehr authentisch. Man konnte ihm leicht
glauben, daß er wirklich höllisch angekotzt war von seinem
Leben und man konnte zuweilen Angst vor ihm bekommen, so
echt war seine Wut. Als sie Gonzo diesmal fragten, ob er nicht
bei den Böhsen Onkelz einsteigen wollte, dachte er sofort an den
Spaß, den er in dieser Band haben würde. Die waren so krass
und fertig und daneben, und dabei so von sich überzeugt, da
mußte man einfach mitmachen. Gonzo sagte zu. Er übernahm
                              -1 9 -
den Bass, während Kevin "sang", Stephan die Gitarre "spielte"
und Pe auf das "Rimmel Standard" einprügelte. Bei ihrem
zweiten Gig am 8. Mai 1981 spielten sie außer ihren alten Hits
"Türken raus" und "Harakiri", auch einige neue Lieder.
"Mösensaft", "Schöner Tag" und "Hinein in das schäumende
Bier". "Hinein in das schäumende Bier, wir scheißen dem Wirt
auf die Theke, schenket ein, schenket ein, schenket ein, wir
wollen alle besoffen sein..."
  .....

                             -2 0 -
Kapitel 5
   1980 - 1982 "Oi, Oi, Oi"
   Deutschland versinkt in schutt und dreck, und ihr, ihr
schweine, ihr seht einfach weg die bullen werden den aufstand
schon niederschlagen, immer nur draufhaun´, ohne zu fragen
lange genug haben wir mitangesehen wie unsere städte zugrunde
gehen oi, oi, oi oi, oi, oi jetzt gibt´s einen aufruhr in unserem
land, die kids von der straße haben sich zusammengetan, punks
und skins im zusammenhalt, gegen euch und eure staatsgewalt
oi, oi, oi oi, oi, oi die zeiten von liebe sind jetzt vorbei gewalt ist
das mittel gegen ausbeuterei wir haben es satt, vor euch zu
kriechen, dazu haben wir keine lust, wir haben ein besseres
leben verdient nur bis jetzt haben immer die bullen gesiegt oi,
oi, oi oi, oi, oi
                                      ("Oi, Oi, Oi", © Böhse Onkelz,
                                 2. Demotape 1982, unveröffentlicht)
   Aus der Menge an Bands, die dort weiter machten, wo Jimmy
Pursey mit Sham 69 im Sommer/Herbst 1979 gescheitert war,
gingen zwei Gruppen hervor, die in den wenigen Jahren ihres
Wirkens, einem der größten Kulte, der jemals aus der britischen
Arbeiterklasse entstanden war, zu neuem Leben verhalfen, dem
Skinheadkult. Angelic Upstarts aus Tyneside, einer
Werftarbeitergegend in Nord-London und die fußballbesessenen
Cockney Rejects aus dem Londoner Eastend. Wie auch die
Mitglieder von Sham, waren diese Musiker weder Punks, noch
waren sie Skinheads, sondern schlicht Workingclass. Beide
Kombos wurden von Pursey produziert und trieben den
schnellen atemlosen Streetpunk aus den Tagen der Sham Army
voran. Auch zogen diese Bands gewaltige Scharen von Punks
und Skinheads in die Hallen und wie schon bei den Sham 69
Konzerten, kam es bei diesen Gigs regelmäßig zu Schlägereien
und blutigen Krawallen. Die Cockney Rejects ließen während

                                 -2 1 -
keiner ihrer Shows Zweifel daran aufkommen, wie sehr sie
hinter ihrem Fußballclub "Westham United" standen. Auch
nicht, wenn ihre Gigs von 200 BirminghamFanglatzen
heimgesucht wurden. In einer Zeit, in der in England die
gewaltätigen Ausschreitungen während der Fußballspiele einen
neuen Höhepunkt erreichten, sangen sie "War on the terraces"
und "We are the firm".
  Die Presse war auf blutige Fotos und Geschichten von
randalierenden Fußballhooligans ganz besonders scharf. Ihre
Berichterstattung war an Recherchefehlern und Lügen kaum
noch zu überbieten. Diese Artikel gaben den Jugendlichen erst
die präzise Anleitung, wie sie sich in Zukunft zu verhalten
hatten, um diesem provokanten Bild zu entsprechen. Feuer
wurde mit Benzin gelöscht.
  Stinky Turner, der Sänger der "Rejects", hatte es sich zur
Angewohnheit gemacht, seine Songs mit einem hastigen
"Oi,Oi,Oi" (Oi =Cockney für Hey) anzuzählen, anstelle des
üblichen "one, two, three" und lieferte damit der britischen
Arbeiterjugend einen griffigen Schlachtruf. Manager der Rejects
war Gerry Bushell, der gleichzeitig als Musikjourna list für die
"Sounds" arbeitete.
  Außer ein paar wenigen Artikeln, die Bushell für Sounds
schrieb, blieb das OiPhänomen unerwähnt. Obwohl die
Veröffentlichungen der Angelic Upstarts und der Cockney
Rejects sich regelmäßig in den Top 50 festbissen, wurden diese
Bands von den Musikzeitschriften ignoriert. Was für die
englische Workingclass Jugend das Größte überhaupt war, galt
für die britische Musikindustrie als peinlich und asozial.
  Ab 1980 stand "Oi" für Punk ohne die Poser, für unsterilen,
ehrlichen HardcoreSound direkt aus dem Londoner Untergrund.
Die straßentaugliche Glaubwürdigkeit der Musik begeisterte all
die Jugendlichen, die sich durch die kommerzielle Einmischung
der Industrie in ihre Szene verarscht fühlten. Gerry Bushell war
auch der Kopf hinter den Oi-Compilations, die mit "Oi- The
                             -2 2 -
Album" als erste Veröffentlichung 1980 die Bewegung erst
richtig auf Trab brachten.
   Bis 1981 hatte sich Oi in den unteren Schichten Englands
ausgebreitet. Neue Formationen oder Bands, die bis dahin
erfolglos waren, beackerten in kürzester Zeit den Boden, für das
was noch kommen sollte; aus Manchester, aus Sunderland, aus
East-London, aus Brighton, aus South-London, aus Dagenham,
aus North-London und aus den entlegendsten Orten
GroßBritanniens. Cock Sparrer, The Last Resort, Infa-Riot, The
4-Skins, The Gonads, Red Alert, The Business, The Blitz, Peter
and the Test Tube Babies...
   Das war nur die Spitze des Oi-Berges. Oi-the Album, Oi- the
movement, Oi-the statement, Oi-dies, Oi-das.
   Den wenigsten dieser Bands konnte man ein politisch
motiviertes Image nachsagen, außer, daß sie mit der
konservativen Regierung ihres Landes, der Arbeitslosigkeit in
ihren Vierteln und der Unterdrückung ihrer Musik durch
staatliche Zensoren nicht einverstanden waren. Was diese Bands
im Sinn gehabt haben, war eine unpolitische Bewegung, die sich
nicht zwischen rechts oder links entscheiden sollte, sondern
zwischen richtig und falsch, ohne dabei auf den Spaß von
schnellen Konzerten und guten Partys verzichten zu müssen.
Schlägereien inbegriffen. Jugendliche ohne Aussicht auf Arbeit,
Punks mit Irokesenschnitt, Bomberjacken und Doc Marten
Boots und Hosenträger-Skinheads, denen Margaret Thatcher
und die Windsors am Arsch vorbei gingen.
   Im Sommer ´81 erschien der zweite Oi- Sampler, "Strength
through Oi". Der Titel war ein Wortspiel, dem das Hitlersche
Reiseprojekt "Kraft durch Freude" = "Strength through joy"
zugrundelag. Dummerweise war auf dem schwarz/weißen Cover
der berühmt berüchtigte Skinhead Nicky Crane in klassischer
Aggropose zu sehen. Crane galt als einer der führenden Köpfe
des rechtsradikalen "Britisch Movement" und war angeblich
durch einen Irrtum auf das Cover geraten. Die ultrafaschistoiden
                             -2 3 -
Mitglieder des "Britisch Movements" und der rechten Partei der
"National Front" hatten schon Mitte der Siebziger damit
begonnen, die Skinheadszene massiv zu infiltrieren, nicht ohne
Erfolg.
  Die Rassenkarte war gegenüber der gewaltbereiten Jugend ihr
wichtigster Trumpf gewesen, der ihnen bei den Wahlen ´77
ganze 250.000 Stimmen einbrachte. Daß die gesamte Sze ne
nach rechts abwanderte, oder das die OiBewegung von Beginn
an einer nationalen Gesinnung nachhang, war gelogen.
  Dennoch, vielen älteren Skinheads waren die jüngeren gefolgt
und in der Klasse zu sagen, "ich bin in der NF", brachte damals
instant-respect auf dem Schulhof.
  Jetzt, während des Revivals Anfang der Achtziger, gelang es
den rechten Parteien erneut, Streit unter den Jugendlichen zu
säen. Immer wieder prügelten sich die Fans untereinander.
Niemals würden sich Skinheads und Punks zusammentun, nicht
einmal unter dem gemeinsamen Dach, das "Oi"
  ihnen bot. Aufgrund des politischen Einflusses in ihrer Szene,
war ihnen plötzlich nichts mehr gut genug. Der Mop wollte
wissen auf welcher Seite seine Bands standen. Wer nicht rechts
war, war links und wer kein Kommunist war, der mußte ein
Nazi sein. Auf diese Weise erheuchelten sich beide Lager die
Legitimierung ihrer Existenz und die Notwendigkeit ihrer
Gewalt.

                             -2 4 -
Kapitel 6
   82/83 "Das Demotape"
   Einer von vielen mit rasiertem kopf, du steckst nicht zurück,
denn du hast keine angst, shermans, braces, jeans und boots,
deutschlandfahne, denn darauf bin ich stolz, man lacht über
dich, weil du arbeiter bist, doch darauf bin ich stolz, ich hör
nicht auf den mist du bist skinhead, du bist stolz, du bist
skindead, schrei´s heraus, du bist skinhead, du bist stolz, du bist
skinhead, schrei´s heraus du hörst Onkelz wenn du zu hause
bist, du bist einer von ihnen, denn du bist nicht allein du bist
tätowiert auf deiner brust, denn du weist, welcher kult für dich
der beste ist die leute schauen auf dich mit hass in den augen, sie
schimpfen dir nach und erzählen lügen über dich du bist
skinhead, du bist stolz du bist skinhead, schrei´s heraus
                                        ("Stolz", © Böhse Onkelz,
                                Ska-Version auf 2. Demotape 1983
               und auf "Der nette Mann" LP, Rock´O´Rama1984,
                    schnelle Version auf "Mexico"- EP, ROR 1985)
   Das, was man früher einmal Matrose nannte, hieß jetzt
Schiffsmechaniker. Wer sich für diesen schlecht bezahlten Beruf
entschied, der mußte mindestens 15 Jahre alt sein, seine
Schulpflicht erfüllt haben und seediensttauglich sein. Die Lehre
dauerte 36 Monate und endete mit der Matrosenprüfung und der
Aushändigung des Matrosenbriefes oder der Bestallung zum
Schiffsmechaniker. Nach einem dreiwöchigen Lehrgang über
Schiffssicherheit in Hamburg, schrieb die Lehre in ihrem
praktischen Teil auf See die Prüfungsgebiete Nautik,
Decksdienst und Maschine vor. Dazu kamen Unterrichtsblöcke
von 10 Wochen pro Lehrjahr, die in einer Schule für
Schiffsmechaniker in Travemünde besucht werden mußten.
Kevin erinnerte sich oft an das, was seine Großmutter ihm über
die Seefahrt erzählt hatte.

                               -2 5 -
"Fahr doch zur See" , hatte sie gesagt, "da kommst Du auf
andere Gedanken und siehst etwas von der Welt". Danach
verfiel sie meistens in einen langen Monolog über die Seefahrt
und über Kevins Großvater, der einstmals als 3.
Maschineningenieur auf der Cap Arkona nach Brasilien
gefahren war. Die Cap Arkona war in den ausgehenden
zwanziger Jahren tatsächlich der ganze Stolz und das
Flaggschiff            der          Hamburg-Südamerikanischen
Dampfschiffahrtsgesellschaft gewesen. Ein Koloss unter den
Passagierschiffen mit         drei   mächtigen    Schornsteinen,
Konzertsalon, Festsaal,Tennisplatz und genug Platz für über
tausend gutbetuchte Gäste. Dabei stand es jetzt schon fest.
Nichts von dem, was seine Oma ihm über die Seefahrt berichtet
hatte, traf zu. Hier ging es nicht um Passagierdampfer und feine
Gesellschaften in Dinnergarderobe, die den Hummer
zentnerweise in sich hinein schaufelten, während sie gemächlich
von Hamburg nach Südamerika schaukelten. Auch nicht um die
Abenteuer des Leichtmatrosen Russell, der nachts an den
Luxuskabinen der alleinstehenden Millionärinnen entlangprüfte,
in der Hoffnung in Rio schwer reich für immer von Board gehen
zu können, sondern um beschissenes, langweiliges Stückgut; um
Container und den Umgang mit ihnen, um Seekarten und
nautischen Schnickschnak und um beinharte körperliche Arbeit.
Zu Beginn der Lehre war Kevin noch guten Willens. Voller Elan
und mit den besten Absichten war er nach Hamburg gekommen,
aber schon nach kurzer Zeit saß er in den Unterrichtsräumen und
träumte sich durch den Tag.
   Rio...
   "Sie sehen also meine Herren, zeeehn Querschotte, hier, hier
und hier, eiserne Querwände, die bis zum obersten
durchlaufenden Deck gehen, teilen das Schiff in
wasserdichtabschließbare Räume, die es schwimmfähig halten
sollen, wenn einer oder zwei von ihnen durch einen
Wassereinbruch voll laufen..."
                             -2 6 -
Rio...
   "Sie sehen also meine Herren, hundert-a-vier-kaz-
autvierundzwanzigvierundzwanzig, die 100 A bedeutet: 100%
Klasse A, das heißt, daß das Schiff nach den Vorschriften für
stählerne Seeschiffe gebaut wurde und demnach bedeutet die 4,
daß diese Klasse alle 4 Jahre erneuert werden muß. KAZ ist
klar, bedeutet Kühlanlagenerzeugnis und AUT 24/24 steht für
automatischen Betrieb vierundzwanzig Stunden wachfrei..."
   Rio...
   "Sie sehen also, meine Herren, Kreuzrahmenantenne für
Sichtfunkpeiler mit Hilfsantenne, Stopper für die Seezurrung
des Portalkrans und hier das Strömungsausgleichsrohr,
Ballastwassertank und Schweröltank, so wie Abgasrohre,
Schornsteine und Lüfterköpfe.
   Russell?
   Russell, sind sie noch bei uns?"
   .....

                            -2 7 -
Kapitel 7
  1983 "Doc Marten´s Beat"
  Pe war eine höchst untypische Erscheinung in der deutschen
Skinheadzene.
  Er war, und das mußte mal gesagt werden, die gute Seele der
Band. Nicht nur war sein Schlagzeugspiel in den letzten Jahren
erheblich besser geworden, er war auch in allen anderen
Belangen eine unersetzbare Stütze der Böhsen Onkelz und der
beste Freund. Untypisch insofern, daß ihn Gewalt und Fußball
kalt ließen. Ins Waldstadion ging er nur selten und während der
gesamten Zeit, seit Gründung der Band, hatte er sich niemals an
einer Schlägerei beteiligt. Er war aber auch niemals
weggelaufen. Pe stand einfach daneben und zog sich rein, was
es zu sehen gab. Wenn alles vorbei war, stand er immer noch da,
ohne einen Kratzer im Gesicht und tat so, als ob nichts passiert
wäre. Pe war auf eine besondere Art ruhig und furchtlos. Es
schien, als trüge er nur wenig Zorn in sich, den er durch
Aggression artikulieren mußte. Bis auf einen Zwischenfall, bei
dem Pe einem schlafenden Nürnberger Skinhead nach einer
versoffenen Nacht den Inhalt einer Dose Whiskas ins Maul
geschmiert hatte, war von ihm niemals Gewalt ausgegangen.
Während Kevin und Stephan nur darauf warteten, daß sie
jemand schräg ansah, damit sie endlich loslegen konnten, war Pe
das genaue Gegenteil. Seit dem Sommer ´82 war Pe aus
Hösbach fort. Beim Abflußservice hatte er aufgehört und
arbeitete nun in einer Frankfurter Schloßerei. Pe wohnte mit
seinem Freund Oleovnek zusammen.
  Eine winzige Wohnung auf der Humboldtstraße im
Frankfurter Nordend. Das war nur einen Steinwurf entfernt von
dem Haus, in dem Stephan, Pia und Gonzo wohnten. Alles war
schön. Bis eines Tages die Freundin vom Oleovnek einlief und
ein bißchen Acid dabei hatte. Sie drückte Pe zwei Micros in die

                             -2 8 -
Hand und verschwand wieder. Mal abgesehen von einigen
Pattexerlebnissen, dem wenigen Dope und dem vielen Bier,
hatte Pe noch keine Drogen zu sich genommen, jedenfalls keine
harten. Gonzo, der an diesem Abend aus Hamburg zu Besuc h
war und mit Pe in dessen Höhle abhing, konnte sich auch nicht
rühmen, schon mal eine psychedelische Erfahrung gemacht zu
haben.
   Was konnte schon großartig passieren? Micros, pah, die
konnte man ja kaum sehen, so klein waren die. Pe und Gonzo
waren gewarnt worden, daß so ein Trip auch schiefgehen
konnte, aber was zum Teufel bedeutete "schiefgehen"?
   Daß man kotzen mußte? Daß man Dünnschiß kriegte? Was
meinte sie mit SCHIEFGEHEN? Daß Micros nur so groß wie
ein Stecknadelkopf waren, hieß nicht, daß sie schwächer als
andere Trips sein mußten. Im Gegenteil. Micros waren
hochgradig konzentrierte LSD-Bomben, pure Chemie und
äußerst potent. Ein halbes Kügelchen hätte ausgereicht, um
einen stabilen Menschen nachhaltig zu verwirren. "Schiefgehen"
bedeutete, daß sich die gesamte Wahrnehmung physisch und
psychisch in eine unbekannte Ebene verschob und daß soetwas
bei einem Anfänger katastrophale und traumatische Erlebnisse
hervorrufen konnte. Darum war es immer ratsam, eine nüchterne
Vertrauensperson dabei zu haben, die nachfühlen konnte, was
im Kopf des erschrockenen Reisenden ablief. Im Klartext hieß
das, daß man schräge und schreckliche Sachen sehen konnte und
sich vor Angst fast in die Hose machte.
   Es kam wie es kommen mußte. Unautorisiertes Acid in den
Händen von neugierigen Tripnovizen. Mit einem kräftigen
Schluck Binding aus der Flasche spülten sie ihre Micros runter,
jeder einen und dachten nicht im Traum daran, daß ihr erster
Ausflug sie gleich so weit fort tragen würde. Nach einer halben
Stunde begannen die Wände zu leben und das, was eben noch
ein Rockposter war, wurde nun zu einer Vielzahl von gemeinen
Kreaturen und blutrünstigen Fratzen. Nichts war mehr so, wie es
                             -2 9 -
sein sollte, alles schwamm davon. 8 Stunden saßen sich Gonzo
und Pe gegenüber und gifteten sich an. Sie sprühten Funken,
zischten und schnaubten. Keiften aufeinander los und schreckten
voreinander zurück. Alle paar Minuten ein trügerischer
Normalflash, währenddessen sie sich anschauten und sich
sagten: "HÄÄÄ, was ist denn eigentlich los? Ist doch gar nicht
so schlimm, oder? ODER? OOODER?...", dann kurz aus dem
Fenster geguckt und... Njooiinnng... schon ging es wieder ab.
Der Sog, der Rotor, der Abfluß, alles wurde mit hinabgerissen
und weggespült. Die Augen quollen ihnen aus dem Schädel, die
Kopfhaut schrumpfte und die Zähne schmolzen. Ohrensausen
und die Sinne im Aufruhr.
   Weit weg und wieder ganz nah dran, rauf und wieder runter,
alles in Ordnung, alles oberschräg, und dazwischen konkrete
Panik. Die ganze Nacht ging dabei drauf. Bevor der Morgen
graute, war an Schlaf nicht zu denken gewesen. Seit diesem
Erlebnis waren Fernreisen bei Gonzo und Pe nicht mehr gefragt.
   Im Frühjahr ´83 kauften Stephan und Pia ihr erstes Auto. Pia
hatte durch die Heirat 7000,-DM von ihrer Versicherung
bekommen. 5000,- waren für die Kaution der Wohnung
draufgegangen und für die verbleibenden zwei kaufte Stephan
einen weißen Opel Rekord Olympia. Baujahr 1960 mit
"OlimaticHalbautomatik", die dem Wagen den Spitznamen
"Olimat" einbrachte. Diese alte Kiste war für eine kurze Zeit der
ganze Stolz der Band. Im Olimat, mit "Böhse Onkelz"-
Schriftzug auf den Türen, waren sie im Februar nach Bayern
aufgebrochen. Ihnen war ein Auftritt im Jugendzentrum
Ampermoching zugesagt worden. Kevin und Gonzo waren aus
Hamburg angereist und zusammen mit ihrem Rimmel Standard,
ihren Gitarren und dem Verstärker quetschten sie sich in den
Olimat. Auf regennasser Fahrbahn schlich die Karre durch den
Nebel und es hatte 5 Stunden gedauert, bis sie endlich ankamen.
Im Jugendhaus Ampermoching hatten sich einige hundert
Menschen eingefunden. Punks, Skinheads, Rocker und eine
                              -3 0 -
große Abordnung der orientierungslosen Landjugend. Eine
grausame Band stand auf der Bühne und versuchte das
lethargische Publikum zu motivieren. "Mögts´ ihr koa Punk?"
   .....

                           -3 1 -
Kapitel 8
   "Der nette Mann"
   Auch zwölf dunkle jahre in deiner geschichte machen unsere
verbundenheit zu dir nicht zunichte es gibt kein land frei von
dreck und scherben hier sind wir geboren, hier wollen wir
sterben deutschland deutschland, vaterland deutschland
deutschla nd, mein heimatland den stolz deutsch zu sein woll´n
sie dir nehmen das land in den dreck zieh´n, die fahne
verhöhnen doch wir sind stolz, in dir geboren zu sein wir sind
stolz darauf, deutsche zu sein. es gibt kein land frei von dreck
und scherben hier sind wir geboren, hier wollen wir sterben
deutsche frauen, deutsches bier schwarz-rot-gold, wir steh´n zu
dir deutschland deutschland vaterland deutschland deutschland,
wir reichen dir die hand
                                ("Deutschland", © Böhse Onkelz,
                      "Der nette Mann LP", Rock´O´Rama, 1984)

  "böhse onkelz, ffm´s beliebteste skin-band, will bei
rock´o´rama eine lp aufnehmen..." aus(Patrick Orth´s Fanzine:
Primitiefes Leben Nr. 12, April 1984)
  Im nächsten Jahr meldete sich der Independent Produzent
Herbert Egoldt aus Brühl bei den Böhsen Onkelz. Es war ein
kurzes Telefonat, in dem er zu Stephan sagte, daß er gerne eine
Platte mit den Onkelz machen würde. Er werde die gesamte
Produktion finanzieren, hatte er gesagt. Die Band sollte in ein
Studio gehen und ihm die fertigen Bänder schicken. Alles
andere würde noch geregelt werden. Egoldt war ein Rockfossil.
Er besaß schon in den siebziger Jahren ein eigenes Label, das er
"Big H" nannte und auf dem er verschollenen Rockklassikern
aus den späten Fünfzigern und frühen Sechzigern zu einem
zweiten Frühling verhalf. 1977 hatte Herbert Egoldt seinen
Plattenladen "Rock ´O´Rama" in der Weidengasse in Brühl
                             -3 2 -
eröffnet und mit der Gründung seines gleichnahmigen Labels
1982, hatte er seine Position des frühen "Independentpioniers"
gefestigt. Neben Egoldt gab es damals nur noch den Hamburger
Alfred Hilsberg und dessen "Zick-Zack" Label, als Vorreiter
und Aushängeschild der deutschen Indi-Kultur. Aufgrund der
katastrophalen Geschäftsprognosen für diese Art von Musik,
konnte Egoldt im Schatten der großen Musik häuser bestens
bestehen. "Independentmusik" war seit ´77/´78 zu einem festen
Bestandteil der deutschen Jugendkultur geworden und es war zu
vermuten gewesen, daß progressive neue Zeitungen, wie das
1980 aus der Taufe gehobene "Spex", nur allzu gerne aus
Egoldts reichhaltigem Angebot schöpften. Rock´O´Rama in
Brühl wurde zu einem der bestsortiertesten unabhängigen
Plattenläden, mit vorzüglichen Kontakten nach England und mit
eigenem Mailordervertrieb wobei der Schwerpunkt des
Angebotes 1984 noch eindeutig auf Punk und New-Wave lag.
   Alles andere würde also noch geregelt werden. Tatsächlich
hatte Egoldt das MTV-Studio in der Frankfurter Voltastraße
angemietet, dessen Inhaber Laslo "Lotzi" Viragh war. Den
Böhsen Onkelz hatte Egoldt einen Termin für den April ´84
gebucht.
   Stephan und den anderen wurde es fast schwindelig vor
Aufregung. "Wir machen eine Platte", sie konnten es kaum
glauben. 1984 war damals eher für den gleichnamigen Roman
bekannt, als dafür, daß man als Skinheadband einen
Plattenvertrag bekam. Die Aufnahmen im MTV-Studio waren
schon nach fünf Tagen abgeschlossen. Anfang Mai ´84 kam
"Der nette Mann " auf den Markt. Eine politische Motivation
steckte hinter dem ersten Vinyl der Onkelz nicht. Niemand in
der Band gab etwas auf Politik. "Der nette Mann" handelte in
erster Linie von den klassischen Interessen der Zwanzigjährigen
mit asozialem Hintergrund. Saufen, Ficken, Fußball, Mord und
Totschlag. Mit 14 Stücken präsentierten sich die Böhsen Onkelz
als erste Skinheadband der deutschen Öffentlichkeit und wer
                             -3 3 -
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