Der Wettlauf mit den Keimen - Unterrichtsmaterial Antibiotika - VCI

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Der Wettlauf mit den Keimen - Unterrichtsmaterial Antibiotika - VCI
Themengebiet: Schule, Ausbildung, Bildung

                                            Unterrichtsmaterial Antibiotika

                                            Der Wettlauf mit den Keimen
Der Wettlauf mit den Keimen - Unterrichtsmaterial Antibiotika - VCI
Arbeitsblätter und Experimente

                                     © 2017
                                            F o n d s d e r C h e mi s c h e n
                                                                               In du
                                                               s t r ie

                                                                                       Unterrichtsmaterial Antibiotika

                                                                                       Der Wettlauf mit den Keimen

                                 Dieses Unterrichtsmaterial ist in Zusammenarbeit mit                                    Die CD-ROM enthält Vorschläge für Experimente und
                                 dem Bundesverband der Pharmazeutischen ­Industrie                                       Arbeitsblätter. Zudem sind die Abbildungen des Text
                                 (BPI), dem Bundesverband für Tiergesundheit (BfT)                                       heftes hinterlegt. Zur Anwendung der CD-ROM: Sie
                                 und dem Verband der forschenden Pharma-­                                                müssen nicht online sein, sondern lediglich Ihren
                                 Unternehmen (vfa) entstanden und steht auch unter                                       Browser ­aktivieren.
                                 www.vci.de/fonds zum Download bereit.

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Der Wettlauf mit den Keimen - Unterrichtsmaterial Antibiotika - VCI
ARBEITSBLÄTTER THEMA                           NIVEAU/INHALT/KOMPETENZBEREICH                KAPITEL

1             BAKTERIEN UND VIREN ALS          SEK I                                               4
              KRANKHEITSERREGER                Inhalt: Immunbiologie (Krankheitserreger)
                                               Kompetenzbereich: Fachwissen, Erkennt-
                                               nisgewinnung
2             WIE WIRKEN ANTIBIOTIKA GEGEN     SEK II                                              5
              BAKTERIEN UND WARUM SCHADEN      Inhalt: Zellbiologie
              SIE DEN MENSCHLICHEN ZELLEN      Kompetenzbereich: Fachwissen
              NICHT?
3             AUF DER SUCHE NACH DEM           SEK I                                               5
              RICHTIGEN ANTIBIOTIKUM           Inhalt: Immunbiologie (Krankheitserreger)
              – ANTIBIOGRAMM –                 Kompetenzbereich: Erkenntnisgewin-
                                               nung
4             WIE ENTSTEHEN RESISTENTE         SEK II                                              6
              BAKTERIEN?                       Inhalt: Evolution (Antibiotika-Resistenzen)
                                               Kompetenzbereich: Fachwissen, Kommu-
                                               nikation
5             PACKUNGSBEILAGE                  STUFE SI, SII                                      11
                                               Kompetenzbereich: Kommunikation,
                                               Bewertung
6             ARZT-PATIENT-GESPRÄCH            SEK I                                              11
                                               Inhalt: Immunbiologie (Krankheitserreger)
                                               Kompetenzbereich: Kommunikation
7             PODIUMSDISKUSSION: WIE KANN      SEK II                                           7–12
              ANTIBIOTIKA-RESISTENZ BEKÄMPFT   Inhalt: Evolution (Antibiotika-Resistenzen)
              WERDEN?                          Kompetenzbereich: Kommunikation,
                                               Bewertung
8             ANTIBIOTIKA IN DER UMWELT        SEK II                                          13–14
                                               Inhalt: Ökologie
                                               Kompetenzbereich: Fachwissen

EXPERIMENTE   THEMA                            NIVEAU/INHALT/KOMPETENZBEREICH                KAPITEL

1             ANTIMIKROBIELLE WIRKSTOFFE       SEK II                                             10
              AUS PFLANZEN                     Inhalt: Immunbiologie                                       Zuordnung zu den Kompe­
                                               (Antibiotika, Vorbild Natur)                                tenzbereichen auf Grund­
                                               Kompetenzbereich: Erkenntnisgewinnung                       lage von: Sekretariat der
                                                                                                           Ständigen Konferenz der
2             WIE SCHNELL KÖNNEN SICH          SEK I                                              12       Kultusminister der ­Länder
              INFEKTIONEN AUSBREITEN?                                                                      in der Bundesrepublik
                                               Inhalt: Immunbiologie (Krankheitserreger)
                                                                                                           Deutschland (2005). Be­
              – EIN MODELLVERSUCH –            Kompetenzbereich: Erkenntnisgewin-                          schlüsse der Kultusminis­
                                               nung                                                        terkonferenz — Bildungs­
                                                                                                           standards im Fach Biologie
3             NACHWEIS VON                     STUFE: SI                                          12       für den ­mittleren Schul­
              MIKROORGANISMEN                  Inhalt: Immunbiologie (Krankheitserreger)                   abschluss. Luchterhand:
                                                                                                           ­München, Neuwied.
                                               Kompetenzbereich: Erkenntnisgewinnung                        (Stand: 15.01.2017)

                                                                                                       3
Der Wettlauf mit den Keimen - Unterrichtsmaterial Antibiotika - VCI
Inhaltsverzeichnis

                     		        1   METHODISCH-DIDAKTISCHE HINWEISE                        6

                               2		 EINLEITUNG			                                         10

                               3		 HISTORISCHE ENTWICKLUNG                               12

                               4		 BAKTERIEN UND VIREN                                   18

                               5		 ANTIBIOTIKA-WIRKUNG                                   22

                               6		 ANTIBIOTIKA-RESISTENZEN                               28

                               7		 ENTWICKLUNG RESISTENZBRECHENDER ANTIBIOTIKA           34

                               8		 SO WIRD EIN NEUES ANTIBIOTIKUM ERFUNDEN UND ERPROBT   42

                               9		 INTERNATIONALE FORSCHUNG                              44

                              10		 PRODUKTION VON ANTIBIOTIKA                            46

                          4
Der Wettlauf mit den Keimen - Unterrichtsmaterial Antibiotika - VCI
11    UMSICHTIGER GEBRAUCH DURCH ARZT UND PATIENT                                                  48

12		 SCHUTZ VOR ANSTECKUNG                                                                         50

13		 ANTIBIOTIKA-ANWENDUNG BEI TIEREN                                                              52

14		 ANTIBIOTIKA UND UMWELT                                                                        56

LITERATUR				                                                                                      58

GLOSSAR				                                                                                        60

IMPRESSUM			                                                                                       62

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde im gesamten Textheft die männliche Sprachform gewählt.
Im Glossar können die mit * markierten Begriffe nachgeschlagen werden.

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Der Wettlauf mit den Keimen - Unterrichtsmaterial Antibiotika - VCI
1 Methodisch-didaktische

                           Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über Kranken-          Ein weiterer Aspekt betrifft die Verwendung von Antibio-
       Hinweise

                           hauskeime und Antibiotika-Resistenzen berichtet wird.        tika für die Bekämpfung von bakteriellen Erkrankungen
                           Nach einer Medienanalyse des Bundesinstituts für Risi-       bei Nutztieren und die damit einhergehende Verbrei-
                           kobewertung (BfR), die neun überregionale Printmedien        tung dieser Wirkstoffe in der Umwelt. Diese Thematik
                           und sechs Onlinemedien berücksichtigte, wurden zwi-          wird regelmäßig von den öffentlichen Medien aufgegrif-
                           schen dem 01.01.2008 und dem 31.12.2013 über 3.000           fen und darf daher im Schulunterricht nicht unberück-
                           Beiträge zum Thema veröffentlicht, Tendenz steigend.         sichtigt bleiben.

                           Nicht zuletzt wegen der großen gesellschaftlichen Rele-      Unter fachlicher Perspektive sind die Themen rund um
                           vanz gewinnt das Thema „Antibiotika“ auch Bedeutung          Antibiotika vorwiegend im Biologieunterricht zu veror-
                           für den Schulunterricht.                                     ten. Im Chemieunterricht spielen sie gegenwärtig nur
                                                                                        eine untergeordnete Rolle. Sie können allerdings dort
                           Allein in Deutschland sterben jährlich bis zu 15.000         zur Sprache kommen, wo im Lehrplan das Themenfeld
                           Menschen an den Folgen von Infektionen mit multiresis-       „Medikamente“ ausgewiesen ist. Hier bietet sich dann
                           tenten Keimen. Eine der Ursachen für die Ausbildung von      eine Zusammenarbeit mit den Biologielehrkräften an.
                           Resistenzen ist die falsche oder überflüssige Anwen-         Darüber hinaus ist es durchaus zielführend, das Thema
                           dung von Antibiotika. So ist vielfach nicht bekannt, dass    fächerübergreifend auch unter historischer und sozial-
                           Antibiotika keine Mittel gegen virale Infektionen darstel-   kundlicher Perspektive zu betrachten.
                           len. Insofern hat der korrekte Umgang mit Antibiotika
                           viel mit Bildung und Wissen der Menschen zu tun. Die         Wie die Vorschläge für Arbeitsmaterialien zeigen, werden
                           aus dem übermäßigen Gebrauch resultierenden Konse-           alle Kompetenzbereiche der Bildungsstandards (Fach-
                           quenzen gehen uns alle an und sollten den Schülerinnen       wissen, Erkenntnisgewinnung, Kommunikation und Be-
                           und Schülern an geeigneten Beispielen verdeutlicht wer-      wertung) angesprochen. Das experimentelle Arbeiten
                           den. In diesem Zusammenhang muss es auch ein Ziel            mit Bakterien und Antibiotika unterliegt im Schulunter-
                           des Schulunterrichts sein, die Komplexität der Entwick-      richt allerdings gewissen Einschränkungen.
                           lung neuer Antibiotika aufzuzeigen. Die Herausforde-
                           rung, neue Wirkstoffe zu entwickeln, die die Krankheits-     In Tabelle A werden exemplarisch Hinweise für den Ein-
                           erreger gezielt abtöten, die nützlichen Mitbewohner im       satz des Unterrichtsmaterials auf der Basis des Kernlehr-
                           menschlichen Körper jedoch unbehelligt lassen, kann          plans Biologie in NRW aufgezeigt. Vergleichbare Anwen-
                           nur mit einem enormen Forschungsaufwand gelingen,            dungen des Themas lassen sich auch in den Plänen der
                           den nicht allein die Arzneimittelfirmen stemmen können.      anderen Bundesländer finden.

                           Die Geschichte der Entdeckung und Entwicklung des
                           Penicillins ist außerdem ein anschauliches Beispiel da-
                           für, wie aus einer zufälligen Beobachtung durch systema-
                           tische und wissenschaftliche Weiterentwicklung ein Me-
                           dikament entsteht. Die Entwicklungsgeschichte der Anti-
                           biotika bietet somit vielfältige Ansatzpunkte, den Weg
                           der naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung im
                           Sinne der Vermittlung von Nature of Science (NoS) exem-
                           plarisch zu verdeutlichen.

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Der Wettlauf mit den Keimen - Unterrichtsmaterial Antibiotika - VCI
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Der Wettlauf mit den Keimen - Unterrichtsmaterial Antibiotika - VCI
TABELLE A

    Mögliche Zuordnung der Unterrichtsmaterialien zu Antibiotika am Beispiel der Kernlehrpläne Biologie
    ­ ymnasium/Gesamtschule SI und SII (Stand: 15.01.2017)
    G
KAPITEL              MÖGLICHER BEZUG ZUM KERNLEHRPLAN                IDEEN FÜR DEN UNTERRICHT

2.                   Stufe: SI, 7–9                                  Diagramme zur Veränderung des Vorkommens/
EINLEITUNG           Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation       Behandlungserfolges von Tuberkulose analy-
                     Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken-    sieren/interpretieren/zeichnen
                     nen und abwehren
                     Geförderte Kompetenz: Erkenntnisgewinnung       Problematisierung für Resistenz
                     (Daten interpretieren, Fragen entwickeln,
                     Hypothesen aufstellen...)
3.                   Stufe: SI, 7–9                                  Mystery-Karten
HISTORISCHE          Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation
ENTWICKLUNG          Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken-    Vortrag/Interview Nobelpreisträger
                     nen und abwehren
                     Geförderte Kompetenz: Kommunikation
4.                   Stufe: SI, 7–9                                  Mikroskopie
BAKTERIEN            Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation
UND VIREN            Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken-    Erarbeiten und Analyse von Bakterien-
                     nen und abwehren                                Strukturmodellen
                     Geförderte Kompetenz: Beschreiben typischer
                     Merkmale von Bakterien: Wachstum, Kolonie-      Vergleich mit Modellen von Viren und
                     bildung, Hülle, Andockstelle, Erbmaterial.      tierischen Zellen (Warum wirken Antibiotika
                     Prinzip der Vermehrung von Viren                nicht gegen Viren? Warum schädigen Antibio-
                     Erkenntnisgewinnung: Nutzen von Modellen        tika nicht die menschlichen Zellen?)
                     und Modellvorstellungen…
                                                                     Bakterien: Nutzen für den Menschen
5.                   Stufe: SI, 7–9                                  ggf. Arbeit mit den selbst erstellten Modellen
ANTIBIOTIKA-         Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation
WIRKUNG              Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken-
                     nen und abwehren
                     und/oder                                        Wechsel der Repräsentationsformen
                     Stufe: SII, EF                                  (Text zu Bild z. B.)
                     Inhaltsfeld: Zellbiologie, Enzymatik
6.                   Stufe: SI, 7–9                                  Steckbriefe zu ESKAPE-Keimen entwerfen
RESISTENZEN          Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation
                     Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken-
                     nen und abwehren
                     und/oder
                     Stufe: SII, Q1/Q2
                     Inhaltsfeld: Genetik, Evolution
7.                   Stufe: SI                                       Textarbeit, Skizzen, Zeitstrahl, Interview,
ENTWICKLUNG          Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation       Flussdiagramm
RESISTENZ-           Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken-
BRECHENDER           nen und abwehren
ANTIBIOTIKA          und/oder
                     Stufe: SII
                     Inhaltsfeld: Zellbiologie, Genetik

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Der Wettlauf mit den Keimen - Unterrichtsmaterial Antibiotika - VCI
1

KAPITEL         MÖGLICHER BEZUG ZUM KERNLEHRPLAN               IDEEN FÜR DEN UNTERRICHT

8.              Stufe: SI                                      Flussdiagramm anhand eines Beispiels
SO WIRD         Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation
EIN NEUES       Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken-
MEDIKAMENT      nen und abwehren
ERFUNDEN        Geförderte Kompetenz: Erkenntnisgewinnung
UND ERPROBT
9.              Stufe: SI, 7–9                                 Podiumsdiskussion (Rollen: Unternehmer,...)
INTERNATIONA-   Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation
LE FORSCHUNG    Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken-
                nen und abwehren
10.             Stufe: SII                                     Textarbeit
PRODUKTION      Inhaltsfeld: Genetik, Enzymatik
VON ANTIBIO-
TIKA
11.             Stufe: SI, 7–9                                 Arzt-Patient-Dialoge
UMSICHTIGER     Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation
GEBRAUCH        Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken-
DURCH ARZT      nen und abwehren
UND PATIENT     Geförderte Kompetenz: Bewertung,
                Kommunikation
12.             Stufe: SI, 7–9                               Modellversuch Infektionsausbreitung, Versu-
SCHUTZ VOR      Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation che auf Nährböden in Petrischalen, Erstellung
ANSTECKUNG      Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken- eines Hygieneleitfadens
                nen und abwehren
                Geförderte Kompetenz: Erkenntnisgewinnung
13.             Stufe: SI, 7–9                                Flussdiagramm
ANTIBIOTIKA-    Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation
ANWENDUNG       Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken-
BEI TIEREN      nen und abwehren
                und/oder
                Inhaltsfeld: Energiefluss und Stoffkreisläufe
                Fachlicher Kontext: Erkunden eines Ökosystems
                Geförderte Kompetenz: Bewertung
                und/oder
                Stufe: SII, Q1/Q2
                Inhaltsfeld: Ökologie
                Geförderte Kompetenz: Bewertung                                                                  Ministerium für Schule und
                                                                                                                 Weiterbildung des Landes
14.             Stufe: SI, 7-9                                Textarbeit                                         Nordrhein-Westfalen (Hrsg.)
                                                                                                                 (2008): Kernlehrplan für das
ANTIBIOTIKA     Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation
                                                                                                                 Gymnasium- Sekundarstufe I
UND UMWELT      Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken-                                                     in Nordrhein-Westfalen Bio­
                nen und abwehren                                                                                 logie. Frechen: Ritterbach.
                und/oder
                                                                                                                 Ministerium für Schule und
                Inhaltsfeld: Energiefluss und Stoffkreisläufe
                                                                                                                 Weiterbildung des Landes
                Fachlicher Kontext: Erkunden eines Ökosystems                                                    Nordrhein-Westfalen (Hrsg.)
                Geförderte Kompetenz: Bewertung                                                                  (2014): Kernlehrplan für die
                und/oder                                                                                         Sekundarstufe II Gymnasium/
                                                                                                                 Gesamtschule in Nordrhein-
                Stufe: SII, Q1/Q2
                                                                                                                 Westfalen Biologie.
                Inhaltsfeld: Ökologie                                                                            Frechen: Ritterbach.

                                                                                                             9
Der Wettlauf mit den Keimen - Unterrichtsmaterial Antibiotika - VCI
¥Der Wettlauf mit den Keimen
2 Einleitung

               Alexander Fleming, der Entdecker des Penicillins, sollte
               Recht behalten. Anlässlich der Verleihung des Nobelprei-
               ses 1945 warnte er: „Die Zeit wird kommen, in der Peni-      Ein Beispiel: Der Tuberkulose-Erreger (Mycobacterium
               cillin von jedermann in Geschäften gekauft werden kann.      tuberculosis) ist weltweit einer der tödlichsten Krank-
               Dadurch besteht die Gefahr, dass der Unwissende das          heitskeime. Die Behandlung der Krankheit ist langwierig
               Penicillin in zu niedrigen Dosen verwendet. Indem er die     und nebenwirkungsreich, und die Zahlen sind erschre-
               Mikroben nun nicht tödlichen Mengen aussetzt, macht          ckend: 2014 starben 1,5 Millionen Menschen an Tuber-
               er sie resistent.“                                           kulose, über neun Millionen Menschen erkrankten neu.
                                                                            Doch was wirklich große Sorgen bereitet, ist, dass immer
               Dass 70 Jahre später ein Rückfall in die Zeit vor dem Pe-    mehr Betroffene an multiresistenten Tuberkulose-Bakte-
               nicillin nicht mehr auszuschließen ist, liegt nicht nur an   rien erkranken, die gegen die wichtigsten Medikamente
               der phänomenalen Anpassungsfähigkeit der Bakterien,          unempfindlich sind.
               sondern auch und vor allem an der unsachgemäßen An-
               wendung von Antibiotika bei Mensch und Tier.                 Wie das Beispiel zeigt, können Mediziner und Wissen-
                                                                            schaftler den Wettlauf mit den Keimen nur durch stetige
               Ärzte, aber auch Politiker sind besorgt. Im Sommer 2015      Entwicklung neuer Wirkstoffe gewinnen. Derzeit arbei-
               stand die beängstigende Entwicklung der Antibiotika-         ten weltweit eine Reihe großer und mehr als 40 kleine
               Resistenzen sogar auf dem Programm der Regierungs-           und mittlere Unternehmen an neuen Antibiotika und
               chefs der sieben führenden Industrienationen und wur-        anderen antibakteriell wirksamen Medikamenten.
               de im Juli 2017 beim Gipfeltreffen der G20 in Hamburg
               erneut aufgegriffen. Obwohl Antibiotika in vielen Län-
               dern bis heute verschreibungspflichtig sind, hat falscher
               und inflationärer Einsatz viele Bakterien resistent oder
               sogar multiresistent gemacht.

                    Mycobacterium tuberculosis

               10
2

Allerdings hat es sich mittlerweile als äußerst schwierig    Nase oder Augen in den Körper eindringen und eine
erwiesen, noch Antibiotika-Klassen mit neuem Wirkprin-       Infektion auslösen.
zip zu finden. Und die Ertragsmöglichkeiten mit solchen
Präparaten sind meist gering, weil sie nur als Notfallmit-   Als weitere wirksame Vorsorgemaßnahme gegen eine
tel bei Patienten, denen sonst nichts mehr hilft, einge-     Reihe von bakteriellen Infektionskrankheiten hat sich
setzt werden. Deshalb ist absehbar, dass sich solche         das Impfen bewährt – und zwar sowohl in der Human- als
neuen Antibiotika nicht allein über ihren Ertrag refinan-    auch in der Tiermedizin. Die Impfungen schützen die
zieren können; forschende Firmen könnten daher künf-         Geimpften selbst und über die Herdenimmunität auch
tig auf Partner angewiesen sein, die die ökonomischen        viele Ungeimpfte.
Risiken und Lasten mit ihnen schultern.
                                                             Und wenn doch eine Infektion mit Antibiotika behandelt
                                                             werden muss, hilft die richtige Einnahme, Resistenzen zu
¥Vorbeugen ist besser als heilen                             vermeiden: so viel, so oft und so lange, wie vom Arzt
                                                             verordnet.
Die Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen muss am
besten aus vielen Richtungen gleichzeitig bekämpft wer-
den, und dazu kann jeder beitragen.

Eine sehr effektive Maßnahme ist Hygiene. Bis zu 80 Pro­
zent aller ansteckenden Krankheiten werden durch die
Hände übertragen. Ob beim Händeschütteln, Naseput-
zen, beim Toilettengang oder beim Streicheln eines Tie-
res: Regelmäßiges und gründliches Händewaschen ver-
hindert, dass Keime über die Schleimhäute von Mund,

                                                                                                                  11
3 Historische Entwicklung

                            Wie aus dem Nichts fielen sie über die Menschen her         Menschen damals freilich noch nicht wussten. So konnte
                            und entvölkerten ganze Landstriche. Pest, Diphtherie,       der Tod ungehindert über Europa hinwegfegen und
                            Kindbettfieber, Tuberkulose, Lungenentzündung, Schar-       Schneise um Schneise schlagen, von Italien nach Frank-
                            lach, Syphilis, Wundbrand, Cholera und andere bakteri-      reich, über die Alpen nach Deutschland. Mit dem Schiff
                            elle Infektionskrankheiten hielten seit jeher die Men-      kam er schließlich nach Großbritannien, Irland und Skan-
                            schen in Atem. Albrecht Dürer stellte die Seuchen in sei-   dinavien und von dort zurück nach Russland – bis sich der
                            nem Holzschnitt von 1498 als einen der Apokalyptischen      tödliche Kreis in Kaffa wieder schloss. Das Ende dieses
                            Reiter dar – neben Krieg, Hungersnot und dem Tod            Todeszuges markiert für den österreichischen Schriftstel-
                            selbst.                                                     ler und Gelehrten Egon Friedell (1878–1938) auch das
                                                                                        Ende des Mittelalters und den Beginn der Neuzeit.

                                                                                        Gleichwohl waren die Menschen auch in den folgenden
                                                                                        Jahrhunderten den Launen der Krankheit ausgesetzt.
                                                                                        Wie im Sommer 1665, als die Pest London heimsuchte.
                                                                                        Augenzeuge war damals der erst fünfjährige Daniel De-
                                                                                        foe. In seinem 1722 erschienenen Buch „A Journal of the
                                                                                        Plague Year“ (Die Pest zu London) sagte er auch etwas
                                                                                        über die Abwehrmaßnahmen, etwa „dass jedes befalle-
                                                                                        ne Haus mit einem roten Kreuz von einem Fuß Länge zu
                                                                                        kennzeichnen war, und dicht über dem Kreuz waren die
                                                                                        Worte Herr, habe Erbarmen mit uns anzubringen. Ferner
                                                                                        war das Haus für die Dauer von vier Wochen verschlossen
                                                                                        zu halten und vor jedes dieser Häuser ein Wachmann zu
                                                                                        postieren.“
                                                                                        Trotzdem starben innerhalb eines Jahres in London rund
                                                                                        70.000 Menschen.

                            ¥Die Killer von einst
                            Zu den größten Killern gehörten ohne Zweifel die Pest
                            und später die Cholera. Die erste große Pestwelle rollte
                            im 6. Jahrhundert über Europa hinweg, flaute zunächst
                            ab, kehrte nach zehn bis zwölf Jahren zurück und setzte
                            dieses Verderben bringende Wechselspiel bis ins 8. Jahr-
                            hundert fort.

                            Die nächste Welle folgte 1347 und übertraf mit ihrer
                            Wucht alles bislang Dagewesene. Jeder Dritte fiel ihr
                            damals zum Opfer, insgesamt 25 Millionen Menschen in
                            ganz Europa. Einfallstore für die Seuchen waren damals
                            die Hafenstädte und Handelsknotenpunkte Kaffa auf der
                            Krim und Messina auf Sizilien. Dort wurden nicht nur
                            Waren, sondern auch Erreger ausgetauscht, was die

                            12
¥Leben und Sterben in Zeiten der Cholera                      ungünstige Konstellation der Sterne als mögliche Ur­
                                                              sache oder Gottes Strafgericht. Viele Gelehrte schrieben
                                                                                                                           3

In den Folgejahren kam es immer wieder zu Pestepide-          den Seuchenausbruch auch dem Einfluss schlechter
mien, die sich aber mehr oder weniger lokal austobten.        Dämpfe zu.
Allerdings gesellte sich im 19. Jahrhundert zur Pest ein
anderes Schreckgespenst: die Cholera, auch asiatische
Hydra genannt. Tatsächlich löste sie in dieser Zeit die
Pest als Synonym für Krankheit, Leiden und Tod ab. Im
                                                              ¥Ein Silberstreif am Horizont
Jahr 1832 überfiel die Hydra Paris, das damals als sau-       Das änderte sich im 19. Jahrhundert, als zahlreiche Wis-
berste und zivilisierteste Stadt Europas galt. „Es war, als   senschaftler begannen, sich mit den Krankheitsursachen
ob die Welt unterginge“, schrieb Heinrich Heine in sein       zu befassen. Allen voran der französische Chemiker und
Tagebuch. „Wo man nur hinsah auf den Straßen, erblick-        Mikrobiologe Louis Pasteur (1822–1895) und der deut-
te man Leichenzüge oder, was noch melancholischer             sche Mikrobiologe und spätere Medizin-Nobelpreisträ-
aussieht, Leichenwagen, denen niemand folgte.“                ger Robert Koch (1843–1910).

Besonders bitter für die Menschen waren die lähmende
Ohnmacht gegenüber den Seuchen und das Gefühl des
Ausgeliefertseins. Nicht selten mündete der Frust in
Gewaltexzesse und sogar Pogrome. Zur Zeit der Pest traf
der geballte Volkszorn meist die Juden, die man ver-
leumdete und der Brunnenvergiftung beschuldigte. In
der Zeit der Cholera richtete sich die Gewalt auch gegen
Ärzte und Krankenschwestern, denn sie hatten weder
eine schlüssige Erklärung für die Ursachen, noch konn-
ten sie die Kranken heilen. In ihrer Hilflosigkeit stellten
Ärzte wilde Theorien auf, sahen wie im Falle der Pest die

                                                              Puzzlestein um Puzzlestein fügte sich im Laufe der Jahre
                                                              zusammen. Bereits im Jahr 1855 wies der britische Arzt
                                                              John Snow (1813–1858) die verderbliche Wirkung von
                                                              verunreinigtem Trinkwasser nach; die moderne Epidemio­
                                                              logie war geboren. Fast 30 Jahre später isolierte R­ obert
                                                              Koch aus dem Darminhalt von Choleraleichen den
                                                              Cholera-­Erreger Vibrio cholerae und züchtete diesen in
                                                              Reinkultur. Spätestens Ende des 19. Jahrhunderts war
                                                              der Wissenschaft klar: Mangelnde Hygiene und Krank-
                                                              heit bedingen sich gegenseitig. Als Robert Koch im Jahr
                                                              1892 das von einer Cholera-Pandemie heimgesuchte
                                                              Hamburg besuchte, soll er angesichts der dort herr-
                                                              schenden haarsträubenden hygienischen Verhältnisse
                                                              gesagt haben: „Meine Herren, ich vergesse, dass ich
                                                              mich in Europa befinde.“

                                                              Beinahe zur gleichen Zeit entdeckte der Franzose Alex-
                                                              andre Yersin (1863–1943) den nach ihm benannten Pest­
                                                              erreger Yersinia pestis. Dass genau dieser Erreger auch
                                                              für die Massenepidemien in vorangegangenen Jahrhun-
                                                              derten verantwortlich war, ist heute gesichert. Forscher-

                                                                                                                     13
teams haben vor einigen Jahren unabhängig voneinan-
der Knochen und Zähne aus den früheren Massengrä-
                                                           ¥Zufallstreffer
bern exhumiert und den Erreger identifiziert und se-       Im Jahr 1928 experimentierte der Mikrobiologe Alexan-
quenziert*.                                                der Fleming in seinem Labor mit Staphylokokken, den
                                                           Erregern der Lungenentzündung. Als er eines Tages nach
Die Jahre von 1880 bis 1910 gelten als die goldene Ära     längerer Abwesenheit in sein Labor zurückkehrte, be-
der Mikrobiologie. In dieser Zeit gelang es den Wissen-    merkte er, dass ein Teil der Kulturen von den Sporen ei-
schaftlern, nahezu alle bakteriellen Erreger der bekann-   nes Schimmelpilzes befallen war. Er war schon drauf und
ten Infektionskrankheiten zu identifizieren. Allerdings:   dran, die Probe wegzuwerfen, als ihn eine Beobachtung
Auch wenn die Wurzel des Übels bekannt war; ein Heil-      in Bann schlug: Überall dort, wo sich der Pilz breitmachte,
mittel oder Medikament hatte man deswegen noch lan-        siedelten sich keine Bakterien an – besser noch: Der
ge nicht in Händen. Der Durchbruch gelang Paul Ehrlich     Schimmel schien die Staphylokokken zurückzudrängen,
(1854–1915).                                               ja zu vernichten. Offenbar, so schloss er, produzierte der
                                                           Pilz eine für Staphylokokken tödliche Substanz. Er nann-
                                                           te diese Substanz Penicillin. Wieder und wieder publi-
¥Ein Geheimrat knackt den Code                             zierte er seine Beobachtungen in Fachzeitschriften. Aber
                                                           er fand zunächst kein Gehör, da es ihm nicht gelang, das
Als er mit dem Farbstoff Methylenblau und Tierorganen      Penicillin in Reinform herzustellen.
experimentierte, machte der spätere Nobelpreisträger
Paul Ehrlich eine entscheidende Entdeckung: Manche
Gewebe oder Zellarten ließen sich einfärben, andere
nicht. Daraus folgerte er, dass chemische Stoffe nur an
                                                           ¥Forscher in Goldgräberstimmung
ganz bestimmte Zellen im Körper andocken. Sie passen       Bis zum Jahre 1940. Dann fiel dem Oxforder Pathologen
gleich einem Schlüssel nur in bestimmte Schlüssellöcher    Howard Walter Florey (1898–1968) eine Mitteilung Fle-
auf der Zelloberfläche. Analog sollte es möglich sein,     mings über die bakterizide Wirkung des Pinselschim-
chemische Stoffe zu entwickeln, die sich an Erreger bin-   mels Penicillium notatum in die Hände. Seinem Labor-
den und diese ausschalten, ohne das menschliche Gewe-      mitarbeiter Ernst Boris Chain (1906–1979) gelang es
be zu schädigen. Es war die Geburtsstunde der moder-       schließlich, aus dem Mikrobenstamm reines Penicillin zu
nen antibakteriellen Therapie und eine Sternstunde der
Medizin überhaupt.

Nur wenig später, Ende 1910, kam das (nach heutigem
Verständnis) erste Antibiotikum in den Handel. Es hieß
Salvarsan und enthielt den Wirkstoff Arsphenamin ge-
gen den Erreger der Geschlechtskrankheit Syphilis, die
Anfang des 20. Jahrhunderts Millionen von Menschen
dahinraffte. Das neue Medikament wirkte; die Fallzahlen
gingen in einigen Ländern um bis zu 80 Prozent zurück.
Ehrlichs Erfolg weckte in vielen Wissenschaftlern den
Forscherinstinkt. Zu den besonders erfolgreichen zählte
auch der deutsche Pathologe und Chemiker Gerhard
Domagk (1895–1964). Er entdeckte Anfang der 1930er
Jahre die antibakterielle Wirkung einer Gruppe syntheti-
sierter Farbstoffe, der Sulfonamide.

14
gewinnen. Die Substanz wirkte Wunder und rettete in                    Das Penicillin läutete die Antibiotika-Epoche ein und            3
den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs Tausende                    entfachte unter den Forschern eine regelrechte Goldgrä-
vor dem sicheren Tod – in erster Linie Soldaten mit schwe-             berstimmung. Vom Wundermittel Penicillin inspiriert,
ren Verwundungen und Wundinfektionen. Die Ärzte er-                    hatten sie besonders Naturstoffe im Visier – Stoffe, mit
kannten schnell, dass das Mittel nahezu universell ein-                denen sich Pilze und Bakterien gegen andere Bakterien
setzbar war und beispielsweise bei Vereiterungen, Blut-                zur Wehr setzen. Und der Erfolg ließ nicht lange auf sich
vergiftungen, Abszessen und Furunkeln half; darüber                    warten: Im Jahr 1944 wurde das gegen Tuberkulose
hinaus tötete es Erreger von Lungenentzündungen,                       wirksame Streptomycin entdeckt, nur vier Jahre später
Hirnhautentzündungen, der Diphtherie, der Gonorrhoe                    isolierte der US-amerikanische Pflanzenphysiologe Ben-
und der Syphilis. Es schien ein Allroundmittel zu sein,                jamin Minge Duggar (1872–1956) Chlortetrazyclin, und
und es war begehrt wie kein anderes Arzneimittel. Folge-               1952 wurde Erythromycin entdeckt. So hoben die Wis-
richtig erhielten Chain, Florey und Fleming im Jahr 1945               senschaftler einen Naturschatz nach dem anderen; paral-
den Nobelpreis für Medizin.                                            lel begannen sie aber auch, die Naturstoffe durch chemi-
                                                                       sche Veränderungen zu verbessern oder – wie im Falle
                                                                       von Chloramphenicol – synthetisch nachzubilden.

                                                                                                                     ABBILDUNG 1
Einführung neuer Antibiotika-Klassen weltweit
                                                                               Dihydro-Nitroimidazooxazole, 2014*
                                                                                              Diarylchinoline, 2013*
                                                                                          Pleuromutiline, 2007
                                                                                          Glycylcycline, 2005
                                                                                zyklische Lipopeptide, 2005
                                                                                           Ketolide, 2001
                                                                       Carbapeneme, 1985
                                                                    Fluorchinolone, 1983
                                                       Lincosamide, 1964

                                                       Rifamycine, 1963*

                                                  Streptogramine, 1962
                                               Glykopeptide, 1958

                                          Cephalosporine, 1953
                                               Isoniacid, 1952*
                                              Makrolide, 1952
                                         Amphenicole, 1949
                                         Tetrazykline, 1948
                                         Polymyxine, 1947
                                 Aminoglykoside, 1944
                                       Penicilline, 1943
                              Sulfonamide, 1936
       Arsphenamin, 1910

      1890 1900 1910 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020
  Die Jahreszahlen geben an, wann das erste Medikament der genannten Klasse in Deutschland oder andernorts eingeführt wurde.
  Klassen, die vor allem gegen Tuberkulose eingesetzt werden, sind mit * gekennzeichnet.

                                                                                                                                   15
Den Begriff Antibiotikum hob Selman Waksman (1888–
1973) aus der Taufe, dessen Team eine ganze Reihe von
                                                               ¥Schicksalsgemeinschaft
Antibiotika, darunter auch das Streptomycin, entdeckte.        Tiere waren und sind des Menschen ständige Begleiter,
Waksman selbst wurde für seine Leistung im Jahr 1952 mit       und unser Schicksal ist in vielerlei Hinsicht eng an das
dem Medizin-Nobelpreis belohnt. Ursprünglich war der           der Tiere geknüpft. Das wird besonders beim Verbreiten
Begriff auf Stoffwechselprodukte von Mikroorganismen           von Infektionskrankheiten deutlich. Nach Angaben der
beschränkt; allerdings wurde er später auf alle antibakteri-   Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) stammen
ellen Wirkstoffe ausgedehnt, die als Medikament (und           schätzungsweise mehr als 60 Prozent aller menschlichen
nicht nur als Desinfektionsmittel) anwendbar sind, auch auf    Infektionskrankheiten ursprünglich vom Tier.
halb- und vollsynthetische Wirkstoffe. Entsprechend ihrer
Struktur unterscheidet man heute mehr als 20 verschiede-       Wenn Erreger zwischen Tieren und Menschen übertra-
ne Klassen von Antibiotika. Und es wird weiter geforscht,      gen werden können, sprechen Wissenschaftler von Zoo-
um neue zu entwickeln. Das ist auch zwingend geboten.          nosen (altgriech.: zoon für Lebewesen und nosos für
Denn Bakterien „lernen“, sich gegen die Gifte zu wappnen.      Krankheit). Bei den durch Bakterien hervorgerufenen
Für die Forscher wird es ein ewiger Wettlauf bleiben.          Infektionen zählen hierzu beispielsweise die Brucellose

16
(übertragen durch nicht pasteurisierte Milchprodukte          werden. Ein Erfolgsprojekt ist zum Beispiel die Köder-              3
von Rind oder Schaf) oder die Salmonellose (kontami-          impfung bei Füchsen, mit der es gelungen ist, die Tollwut
nierte Lebensmittel).                                         in weiten Teilen Europas zu tilgen. Ein Meilenstein war
                                                              auch die erfolgreiche Bekämpfung der Rinderpest. 2011
Beispiele für bedeutende bakterielle Infektionskrankhei-      gab die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation
ten bei Tieren sind nach Angaben des Bundesforschungs-        der Vereinten Nationen (FAO) bekannt, dass die Rinder-
instituts für Tiergesundheit (Friedrich-Loeffler-Institut)    pest als erste Tierseuche überhaupt weltweit durch Imp-
die Brucellose, die Lungenseuche bei Rindern, Milz-           fung ausgerottet ist.
brand, die Psittakose oder Papageienkrankheit, Rausch-
brand, Rotz sowie die Salmonellose und die Vibrionen-         Neben striktem Hygienemanagement tragen Impfun-
seuche bei Rindern.                                           gen darüber hinaus zur Reduktion des Antibiotika-Einsat-
                                                              zes bei, zum Beispiel bei Atemwegsinfektionen der Rin-
Pioniere waren unter anderem der Bakteriologe Friedrich       der oder Durchfallerkrankungen bei Schweinen. Antibio-
Loeffler (1852–1915) und der Tierarzt Johann Wilhelm          tika sind aber weiterhin unverzichtbar, wenn Tiere trotz
Schütz (1839–1920), die im Jahr 1882 erstmals den Erre-       Vorbeugung an bakteriellen Infektionen erkranken.
ger des Rotzes, einer Pferdeseuche, isolierten. Ein solcher
Seuchenbefall war in früheren Jahrhunderten kriegsent-                                                         HINWEIS
scheidend, denn Pferde spielten eine bedeutende Rolle            Bezüglich Tiergesundheit laufen beim Bundesforschungs-
im Militär. Überliefert ist ein verheerender Ausbruch in         institut für Tiergesundheit (Friedrich-Loeffler-Institut)
Ungarn, dem rund 20.000 Tiere zum Opfer fielen.                  auf der Insel Riems und in der zugehörigen Forschungs-
                                                                 einrichtung, dem Institut für bakterielle Infektionen und
Heute wird vielen Infektionskrankheiten bei unseren              Zoonosen (IBIZ) in Jena, alle Fäden zusammen.
Nutztieren durch Impfungen vorgebeugt, und einige                www.fli.de/de/home/
dieser Krankheiten konnten so und durch staatliche Kon-
trollprogramme zurückgedrängt oder sogar ausgerottet

                                                                                                                             17
4 Bakterien und Viren

                        Der niederländische Tuchhändler Antoni van Leeuwen-
                        hoek (1632–1723) war der Erste, der Bakterien entdeckt
                        und beobachtet hat. Das tat er mit einem seiner rund 500
                        selbst gebauten Mikroskope.

                        Heute kennt die Wissenschaft Myriaden von Bakterienar-
                        ten; wie viele es genau gibt, weiß niemand. Eines ist je-
                        doch sicher: Sie tummeln sich überall – auch an für uns
                        ungemütlichen Orten: im Packeis, in mehr als 100 Grad
                        heißen Quellen, tief unten in Goldminen, und manche
                        fühlen sich sogar in Säure wohl. Alle Rekorde schlägt al-
                        lerdings das Bakterium Deinococcus radiodurans. Es hält
                        selbst radioaktiver Strahlung stand, die 10.000-mal stär-
                        ker ist als die Dosis, die für Menschen tödlich ist.               Staphylokokken-Kolonien auf Agarplatten

                        ¥Fluch und Segen der Winzlinge                                  viele jedoch wo und in welchem Verhältnis leben, variiert
                                                                                        von Mensch zu Mensch. Klar ist: Jeder Mensch ist von
                        Allein die Zahl der Bakterien, die an und im menschli-          einer für ihn typischen Mikrobenmixtur (Mikrobiom*)
                        chen Körper leben, ist galaktisch: Es sind rund 100 Billio-     besiedelt. Dieses Mikrobiom erhalten wir bereits bei un-
                        nen (1014). Die meisten davon sind im Darm angesiedelt          serer Geburt von der Mutter und danach zum Beispiel
                        und leben in stiller Eintracht mit uns – ja, sie sind für uns   über die Muttermilch und den Kontakt mit der Umwelt.
                        sogar lebensnotwendig. Denn sie helfen uns beispiels-
                        weise beim Verdauen und dabei, an Nährstoffe und Vita-          Diese Bakterien leben in Symbiose mit uns, verdrängen
                        mine heranzukommen. Hätten wir sie nicht als Helfer,            andere – potenziell schädliche – Mikroorganismen und
                        müssten wir weit mehr essen als die 30 Tonnen Nahrung,          trainieren unser Immunsystem. Je größer deren Vielfalt
                        die wir während unseres Lebens im Schnitt durch unse-           ist, desto niedriger ist unsere Anfälligkeit gegenüber
                        ren Darm schleusen.                                             Autoimmun- und Stoffwechselerkrankungen wie Asth-
                                                                                        ma, Fettleibigkeit und Diabetes. Diese Krankheiten neh-
                        Die Wissenschaftler wissen inzwischen, dass bestimmte           men in den letzten Jahren zu, und renommierte Mikro-
                        Bakterienarten ganz bestimmte Körperregionen bevor­             biologen führen dies unter anderem auf Dysbiosen zu-
                        zugen. Streptokokken leben im Rachen, und Propioni-             rück, das heißt auf ein Mikrobiom, das aus dem Gleichge-
                        oder Corynebakterien kommen auf der Haut vor. Wie               wicht geraten ist.

                             Salmonellen unter dem Elektronenmikroskop

                        18
Neben den für Menschen nützlichen Bakterien gibt es           Mehr Gewissheit bringt aber eine Anzucht der Bakterien
aber auch viele, die schwere Infektionskrankheiten            in einem Nährmedium. Damit sie sich optimal vermehren
­auslösen können. Dazu gehören das Hautbakterium              können, wird die Probe für einige Tage in einem Wärme-
 ­Staphylococcus aureus, Durchfall auslösende Salmonel-       behälter (Inkubator) bei 37 Grad Celsius bebrütet. Ist Eile
len, der Magenkeim Helicobacter, Chlamydien, Legionel-        geboten, haben Ärzte heute auch andere Verfahren an
len etc. Oft sind Antibiotika dann die letzte lebensretten-   der Hand. Eines nutzt die sogenannte Polymerase-Ket-          4
de Option. Da man aber bei einer Infektionskrankheit          tenreaktion (PCR). Damit lässt sich die in einer Probe
von den Symptomen nicht ohne Weiteres auf die Verur-          vorhandene DNA oder RNA vermehren und mit bekann-
sacher – also Bakterien, Viren, Parasiten oder Pilze –        ten Gensequenzen vergleichen. Findet man in der Probe
schließen kann, ist für eine gezielte Therapie ein sicherer   die Erbinformation eines Keimes, deutet das auf eine In-
Nachweis erforderlich.                                        fektion mit diesem Keim hin.

                                                              Noch effektiver und schneller wären Schnelltests, mit
¥Dem Täter auf der Spur                                       deren Hilfe die Ärzte innerhalb einer Stunde erkennen
                                                              können, ob es sich um einen viralen oder einen bakteri-
Besteht der Verdacht auf eine bakterielle Infektion,          ellen Erreger handelt. Hieran wird in verschiedenen For-
nimmt der Arzt eine Probe (Stuhl-, Harn-, Blut- oder          schungslaboren gearbeitet, und einige Tests sind schon
Wundsekretprobe). Einen ersten Hinweis liefert der Blick      recht weit entwickelt.
ins Mikroskop, denn manchmal lassen sich die Winzlinge
auf diese Weise rasch nachweisen. Dazu hilft eine
Methode des dänischen Bakteriologen Hans Christian
Gram (1853–1938). Er hat erkannt, dass sich Bakterien
färben lassen. Je nach Aufbau der Zellwand* färben sie
sich blau (grampositiv) oder rosa (gramnegativ). Das Er-
gebnis gibt einen Hinweis darauf, welche Antibiotika in-
frage kommen.

                                                                                                                      19
¥Variantenreiche Mikroorganismen                                           mige DNA-Moleküle, die Plasmide. Diese zählen jedoch
                                                                           nicht zu den Chromosomen und können von einem Bakte-
Bakterien sind Einzeller und damit die einfachste Lebens-                  rium zu einem anderen übertragen werden.
form auf der Erde. Sie besitzen keinen Zellkern und zählen
zu den Prokaryoten. Die Bakterienchromosomen, die                          Bakterien können ganz unterschiedliche Formen haben.
meist aus ringförmig angeordneten DNA-Molekülen be-                        Es gibt kugelförmige Bakterien, stäbchenförmige, spiral-
stehen, schwimmen frei im Zytoplasma der Zelle. Außer-                     förmige und weitere Formen.
dem befinden sich im Zytoplasma weitere kleine ringför-

                                                                                                                          ABBILDUNG 2
Bakterienformen
     Streptococcus                       Clostridium                             Salmonella typhi                  Vibrio cholerae
     pneumoniae                          tetani

                                                         Streptobacillus                                             Treponema pallidum
                                                         moniliformis

                                                                               Legionella
              Staphylococcus                                                   pneumophila
              aureus                              Clostridium botulinum                                              Helicobacter pylori

                                                                                                                          ABBILDUNG 3
Vereinfachter Aufbau einer Bakterienzelle

                                                                                           Zellwand
                           Plasmid                Ribosom

                                                                                                       Zellmembran

                                                                                                             Flagellum

                   Reservestoff                               Bakterienchromosom
                                       Glykogenkern

     Zellwand: schützt die Zelle und hält sie „in Form“.                   Flagellum: auch Geißel genannt; dient der Fortbewegung
     Plasmamembran: besteht aus Lipiden und Proteinen; sorgt für           Bakterienchromosom: genetisches Material der Bakterien
     den Stoffaustausch der Zelle                                          Reservestoff: Speicher für Lipide, Phosphate und Schwefel
     Plasmid: kleine, ringförmige und doppelsträngige DNA-Moleküle         (­Schwefelbakterien)
     Ribosom: besteht aus RNA und Proteinen, Ort der Proteinsynthese       Zytoplasma: Grundsubstanz der Zelle

20
¥gegen
 Warum wirken Antibiotika nicht ­
       Viren?
                                                           Da Viren keinen eigenen Stoffwechsel und auch keine
                                                           Zellwand besitzen, sind Antibiotika gegen sie machtlos.
                                                           Viren bestehen aus einer Eiweißhülle, die je nach Vermeh-
Viren und Bakterien werden gerne in einen Topf gewor-      rungszyklus noch Lipoide enthalten kann, und der Erb-
fen, weil sie beide krank machen können. Doch sie unter-   substanz mit den Informationen zu ihrer Vermehrung. Sie
scheiden sich ganz wesentlich:                             befallen fremde Zellen, die sogenannten Wirtszellen, in               4
                                                           die sie ihre eigene Erbinformation einschleusen.
Bakterien sind Lebewesen; sie bestehen aus Zellen, ha-
ben einen Stoffwechsel und benötigen Nahrung. In jeder                                      INFO FÜR LEHRKRÄFTE
Bakterienzelle laufen komplexe biochemische Prozesse          Arbeitsblatt 1: B akterien und Viren als Krankheitserreger
ab. Das macht das Bakterium angreifbar, etwa durch An-
tibiotika. Sie bringen den Stoffwechsel der Bakterien
durcheinander und zerstören sie. Ein wichtiger Angriffs-
punkt ist die Zellwand, ohne die ein Bakterium nicht
existieren kann.

                                                                                                            TABELLE 1
 Unterschied Bakterien - Viren
                     Bakterien                                      Viren
Lebewesen            ja                                             nein
Typ                  Einzeller                                      Partikel
Größe                0,5–10 µm                                      0,02–0,35 µm
Vermehrung           durch Zellteilung                              nutzen fremde Zellen zur Reproduktion
Stoffwechsel         verfügen über eigenen Stoffwechsel             haben keinen eigenen Stoffwechsel
Antibiotika          wirken gegen Bakterien                         wirken nicht gegen Viren

                                                                                                                            21
5 Antibiotika-Wirkung

                        Viele der heute auftretenden Infektionskrankheiten wer-      Heute wissen wir, dass eine selektive Toxizität auf den
                        den durch bakterielle Erreger verursacht und lassen sich     Krankheitserreger möglich ist, denn bakterielle (proka-
                        wirksam mit Hilfe von Antibiotika behandeln und auch         ryotische) und eukaryotische Zellen unterscheiden sich
                        präventiv bekämpfen. Dabei müssen Antibiotika eine           in wichtigen physiologischen Merkmalen voneinander.
                        selektive Toxizität* aufweisen, das heißt, sie müssen den    Beispielsweise besitzen Bakterienzellen im Gegensatz
                        Krankheitserreger abtöten (Bakterizide) oder dessen Ver-     zu Eukaryoten* eine mureinhaltige* Zellwand*, und die
                        mehrung hemmen (Bakteriostatika), ohne den Patienten         Strukturen der Proteinsynthese-Maschinerien (Riboso-
                        zu schaden.                                                  men) sind unterschiedlich. Dadurch haben Antibiotika
                                                                                     selektive Angriffsmöglichkeiten.

                                                                                                                                  ABBILDUNG 4
                        Vergleich Prokaryoten / Eukaryoten
                                            Bakterienzelle                                                              Tierzelle
                                                                                       Zytoplasma
                              Zellmembran                                                mRNA Mitochondrium
                                        Ribosom                                                    Golgiapparat
                                                                                    Polysom
                             Zellwand    Polysom                                                        Endoplasmatisches Reticulum

                                            Zytoplasma                                                      Kernmembran

                                                  Genom                                                           Zellkern
                                                      Plasmid                                                         Nucleolus

                                                                     Zellmembran
                                                                   Ribosom

                                          1 µm

                                                                                                10 µm

                        ¥Die wichtigsten Angriffsziele                                  1. Nukleinsäuresynthese
                                                                                     Antibiotika können die Nukleinsäuresynthese in unter-
                        Antibiotika beeinträchtigen wichtige Funktionen in der       schiedlichen Phasen stören, indem sie:
                        Bakterienzelle. Je nach Klasse attackieren sie die Zelle
                        aber an verschiedenen Punkten.                                  die Synthese der DNA- oder RNA-Bausteine hemmen,
                                                                                        verhindern, dass sich die doppelsträngige DNA ent-
                        In der Regel reagieren Antibiotika mit Nukleinsäuren,           windet, die als Matrize einzelsträngig vorliegen muss,
                        Proteinen und Biomembranen. Sie binden sich an die              die Polymerisation der Nukleinsäure-Bausteine zu
                        Zielstruktur (Wirkort) und beeinträchtigen auf diese Wei-       DNA- und RNA-Strängen unterbrechen.
                        se die normale Funktion des Biomoleküls, so dass es
                        seine ursprüngliche Funktion nicht mehr ausüben kann.        Als Bausteine von Nukleinsäuren dienen Desoxy­
                        Zu den Hauptangriffszielen von Antibiotika zählen:           ribonukleotidtriphosphate (      DNA) und Ribonukleo­
                                                                                     tidtriphosphate (     RNA). Für deren Herstellung ist Fol-
                        1. die Nukleinsäuresynthese,                                säure* nötig. Während Menschen und Tiere ihren Folsäure-
                        2. d ie Proteinsynthese,                                    bedarf in der Regel über die Nahrung decken müssen,
                        3. d ie Zellwandsynthese.                                   stellen Bakterien diesen lebenswichtigen Stoff selbst her.

                        22
ABBILDUNG 5
Die Hauptangriffsziele von Antibiotika

                                                                                                                                                           Peptidoglykan-Zellwand
                                                                                                                                                                                Penicilline,
                          Chinolone                                                                                                                                           Cephalosporine,
                                        Rifamycine                                                                                                     Transglykosidase         Vancomycin
                                                                                                                                                       Transpeptidase
                 Gyrase         RNA-Poly­
                                merase                                                                                                                 Polymerisation
                                                                         Mupirocin
          Folsäure-                                                                  tRNAs                                                                                                      5
          Metabolismus

                 Sulfonamide,      DNA- oder          Makrolide                                                Zellmembran
                 Trimethoprim      RNA-Bausteine                          Ribosom
                                                                   50S                  Aminoacyl-                                                                                Bacitracin
                             1 Nukleinsäuresynthese                                     tRNAs
                                                                  30S                                                        NAM
                                                       mRNA                     Streptomycin                                                    NAG             Bactoprenol
                                                                                                                                   Cycloserin
                                                              2 Proteinsynthese
                                                                                                                                                  3 Zellwandsynthese

Das macht den Erreger verwundbar, denn die syntheti-                                 Deren Struktur ist bei Bakterien und Eukaryoten unter-
schen Antibiotika Sulfonamid und Trimethoprim können                                 schiedlich, und daher ist eine selektive Blockade möglich.
die Folsäure-Biosynthese wirksam stören und die Bakteri-
en so an der Synthese der Nukleinsäure-Bausteine hindern.                            Bakterielle Ribosomen bestehen aus den zwei Untereinhei-
                                                                                     ten 50S und 30S. Diese sind in der Lage, die Boten-RNA*
Ein weiterer wichtiger Angriffspunkt für Antibiotika ist der                         (mRNA) zu binden und sie mit Hilfe passender Aminoacyl-
Ort, an dem sich die doppelsträngige DNA wie ein Reißver-                            tRNAs*, die von bestimmten Synthetasen gebildet werden,
schluss in Einzelstränge auftrennt. Das geschieht immer                              schrittweise in die kodierte Aminosäuresequenz (Polypep-
dann, wenn sich die DNA vervielfältigt (Replikation) oder in                         tidkette, Protein) zu übersetzen (Translation).
RNA umgeschrieben wird (Transkription). Dabei spielen
sogenannte Gyrasen* eine Schlüsselrolle. Da sich bakteriel-                          Bestimmte antibiotische Wirkstoffe binden an die 50S-Un-
le und menschliche Gyrasen voneinander unterscheiden,                                tereinheit und blockieren die Peptidyltransferase-Funktion
konnten Wissenschaftler wirksame Gyrase-Hemmer entwi-                                des Ribosoms. Dadurch können die Aminosäuren nicht
ckeln, die menschliche Zellen nur unbedeutend schädigen.                             mehr verknüpft werden, und die Proteinsynthese ist unter-
Prominente Vertreter dieser Antibiotika-Klasse sind die                              brochen.
Chinolone*.
                                                                                     Andere Antibiotika, etwa das Erythromycin, blockieren den
Ein anderes Angriffsziel sind die Polymerase-Maschinerien                            „Austrittstunnel“ der 50S-Untereinheit, durch den die
(DNA- und RNA- Polymerasen). Dort agieren die Vertreter                              wachsende Polypeptidkette, das heißt das im Aufbau be-
der Gruppe der Rifamycine (z. B. Rifampicin). Sie greifen die                        findliche Protein, aus dem Ribosom ausgeschleust wird.
DNA-abhängige RNA-Polymerase direkt an, indem sie sich                               Der „Tunnel“ verstopft, und die Translation wird gestoppt.
an ihre Beta-Untereinheit binden. So können sie den le-
benswichtigen Transkriptionsprozess bei bestimmten Bak-                              Die kleinere 30S-Untereinheit ist der Wirkort beispielswei-
terien (u.a. den Tuberkulose-Erregern) unterbinden. Die                              se von Streptomycin. Dieses lagert sich an die Untereinheit
RNA-Polymerase von Säugerzellen dagegen wird erst bei                                und verursacht so Fehlablesungen von der mRNA. Das Ri-
viel höheren Konzentrationen gehemmt.                                                bosom baut fehlerhafte Proteine, die Zellwand wird geschä-
                                                                                     digt und büßt ihre Schutzfunktion ein. Durch diesen Sekun-
   2. Proteinsynthese                                                                däreffekt gelangt vermehrt Streptomycin in die Zelle, was
Antibiotika, die auf die Proteinsynthese zielen, haben es                            die antibiotische Wirkung zusätzlich verstärkt.
meist auf die Untereinheiten der Ribosomen abgesehen.

                                                                                                                                                      23
Wieder andere antibiotische Wirkstoffe, zum Beispiel                                                                     ABBILDUNG 6
Mupirocin, unterbinden die Funktion der genannten                           Peptidoglykan (Murein)
Aminoacyl-tRNA-Synthetasen*. Auf diese Weise lässt sich
die Proteinsynthese der Bakterien bereits in einem frü-
hen Stadium blockieren.
                                                                                                                            CH3
   3. Zellwandsynthese                                                                        OH                       O
Bakterien sind die einzigen bekannten Organismen, de-                                                                         NH
                                                                                      O                O      HO
ren Zellwand aus Peptidoglykan (Murein), einem Biopo-                                                                                 O
                                                                                          O                   O                O
lymer aus Zuckermolekülen und Aminosäuren, besteht.                            H3C                    NH
                                                                                                  O
Peptidoglykan bildet lange, verzweigte Ketten. Durch                                          O                        HO
Verknüpfung entsteht so eine netzartige Struktur, die die                                             CH3
gesamte Zelle umhüllt.

                                                                                   peptid
                                                                                   Tetra-
                                                                                                      NAM             NAG

                                                                                                                         ABBILDUNG 7
Unterschiede im Zellwandaufbau

                                Grampositive                                          Gramnegative
                                Zellwand                                              Zellwand

                                                            Mureinschicht

                                                           Plasmamembran

                                                             Zytoplasma

                                                              Periplasma

                                                          Äußere Membran

     Grampositive und gramnegative Bakterien unterscheiden sich im Aufbau der Zellwand. Bei grampositiven Bakterien ist die Murein-Schicht
     deutlich dicker und vielschichtiger als bei gramnegativen Bakterien. Letztere besitzen stattdessen eine zusätzliche äußere Membran.

Dass Eukaryoten kein Murein bilden, macht die Zellwand                     Die Synthese von Peptidoglykan ist ein komplexer Vorgang.
zum geeigneten Angriffsziel für antibiotische Substanzen.                  Er beginnt im Zytoplasma mit der Biosynthese der beiden
                                                                           Zuckerbausteine N-Acetylglucosamin (NAG) und N-Acetyl­
Einige Antibiotika hemmen das Zusammensetzen der                           muraminsäure (NAM), an welchen anschließend noch fünf
Zellwandbausteine im Zytoplasma, andere verhindern                         Aminosäuren, darunter auch zwei D-Alanine, angefügt wer-
den Transport der Bausteine zum Mureinnetzwerk, und                        den ( NAM-Pentapeptid). In diesen Schritt der Zellwand-
wieder andere, wie beispielsweise die Penicilline, stören                  synthese greift das Antibiotikum Cycloserin ein, das die
die Quervernetzung der Mureinzellwand.                                     Herstellung und Verknüpfung von D-Alanin und somit die
                                                                           Prozessierung von NAM zum NAM-Pentapeptid hemmt.

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Ein zweites Angriffsziel ist das Trägermolekül Bactoprenol,       tödlichen Folgen hat. Hingegen sind Antibiotika, die in die
das die Disaccharid-Peptid-Einheit zur Außenseite der Zy-         Nukleinsäuresynthese eingreifen, meist bakterizid. Glei-
toplasmamembran transportiert. Angreifer ist in diesem            ches gilt für antimikrobielle Wirkstoffe, die als Angriffsziel
Fall das Antibiotikum Bacitracin; es hemmt den Transfer           die Zellwandsynthese haben. Allerdings töten solche Anti-
des Peptidoglykan-Monomers durch die Zellmembran*.                biotika nur wachsende Bakterien und wirken nicht auf ru-
                                                                  hende Zellen, da diese kein neues Peptidoglykan bilden.
Im letzten Stadium der Zellwandsynthese werden die
Disaccharid-Pentapeptid-Einheiten schließlich polymeri-           Für Ärzte ist die Einteilung in bakteriostatische und bak-
                                                                                                                                   5
siert; eine Transglykosidase verknüpft sie zu langen Ket-         terizide Antibiotika wichtig: Ist das Immunsystem des
ten, und eine Transpeptidase vernetzt die benachbarten            Patienten geschwächt, sollte der Arzt bakterizid wirken-
Peptidketten. In diesem Prozess wird die endständige              de Antibiotika verschreiben. Ansonsten besteht die Ge-
Aminosäure unter Bildung von Disaccharid-Tetrapeptid-             fahr, dass die Krankheitserreger die Anti­bio­tika-Therapie
Einheiten, die Baueinheit des Mureins (siehe Abb. 6),             überleben und sich wieder vermehren.
abgespalten. Diese Quervernetzung können Glycopep-
tid- und ß-Lactam-Antibiotika (z. B. Vancomycin und Pe-
nicillin) wirksam stören.                                         ¥Breite oder gezielte Attacke
                                                 HINWEIS          Antibiotika unterscheiden sich auch in ihrem Wirkspektrum.
   Mit Hilfe der Gramfärbung (s. auch Kapitel 4) lassen sich      Man unterscheidet zwischen Schmalband-, Mittelband- und
   Bakterien in der Lichtmikroskopie darstellen. Bei diesem       Breitband-Antibiotika, wobei die Grenzen nicht exakt defi-
   Verfahren bleiben grampositive Bakterien nach dem Be-          niert sind. Ein Breitband-Antibiotikum wirkt gegen ein brei-
   handeln mit bestimmten basischen Farbstoffen (z. B. Gen-       tes Spektrum an Erregern und erfasst in der Regel grampo-
   tianaviolett) und kurzem Spülen mit Alkohol blau gefärbt,
                                                                  sitive und gramnegative Bakterien. Breitband-Antibiotika
   da das mehrschichtige Murein die Farbmoleküle einlagert.
                                                                  werden bei lebensbedrohlichen Infektionen eingesetzt,
   Gramnegative Bakterien dagegen bestehen aus nur einer          wenn die Krankheitserreger noch nicht identifiziert sind.
   Schicht Murein. Die Färbung ist weniger intensiv, so dass
                                                                  Beispielsweise werden Patienten mit Verdacht auf bakteriel-
   die Bakterien unter dem Mikroskop rosa erscheinen.
                                                                  le Hirnhautentzündung meist mit einem Breitband-Antibio-
                                                                  tikum behandelt, häufig sogar in Kombination mit einem
                                INFO FÜR LEHRKRÄFTE               Antibiotikum einer zweiten Klasse.
   Wie wirken Antibiotika gegen Bakterien und warum
   schaden sie den menschlichen Zellen nicht?                     Ein Schmalband-Antibiotikum hingegen wirkt nur gegen
                                                                  wenige Erreger-Arten. Zu dieser Gruppe zählten die ers-
   Arbeitsblatt 2: Antibiotika-Wirkung
                                                                  ten Penicilline; diese werden zum Beispiel bei Mandel-
                                                                  entzündungen verabreicht, die von Streptokokken verur-
                                                                  sacht werden. Durch Weiter­entwicklung konnten aber
¥Wirkungstyp, Wirkspektrum und Wirkdosis                          auch Penicilline mit stark erweitertem Wirkspekrum ge-
                                                                  schaffen werden.
Nicht alle Antibiotika töten ihre Zielobjekte ab. Viele hindern
die Krankheitserreger einfach nur an der Vermehrung und           Im Idealfall sollte bei einer Antibiotika-Therapie das
überlassen das weitere Bekämpfen der Keime dem Immun-             Wirkspektrum des Antibiotikums so schmal wie möglich
system des Erkrankten. Man unterscheidet deshalb zwi-             und nur so breit wie nötig sein, unter anderem um das
schen bakteriziden (abtötenden) und bakteriostatischen            Mikrobiom, insbesondere die Darmbakterien des Patien-
(vermehrungshemmenden) Antibiotika.                               ten, nicht über Gebühr zu schädigen. Allerdings nimmt
                                                                  die Identifizierung des Erregers meist viel Zeit in An-
Antibiotika, welche die Proteinsynthese stören, wirken            spruch, was wiederum bis zum Vorliegen des Ergebnis-
meist bakteriostatisch, da eine Unterbrechung der Protein-        ses des Antibiogramms den Einsatz von Breitband-Anti-
synthese für das Bakterium in der Regel keine unmittelbar         biotika häufig unumgänglich macht.

                                                                                                                             25
¥Treffsicherheit gefragt                                         ¥Ausreichend hohe Dosis
Entscheidend für den Erfolg einer Antibiotika-Therapie ist       Die Dosis muss bei der Antibiotika-Therapie ausreichend
die Antibiotika-Sensitivität des Krankheitserregers. Diese       hoch sein. Sie soll die Keime abtöten oder deren Wachs-
lässt sich mit Hilfe von Labortests ermitteln. Beim Agar­        tum hemmen, darf dabei aber nicht toxisch auf den
diffusionstest verteilt man die zu untersuchende Bakte­          menschlichen/tierischen Organismus wirken. Ein Maß für
rien­
    probe auf der Oberfläche eines Agarnähr­      bodens.        die Wirksamkeit eines Antibiotikums ist die minimale
Anschließend werden in ausreichendem Abstand vonein-             Hemmkonzentration (MHK). Sie ist definiert als niedrigste
ander Scheibchen aufgelegt, die man zuvor mit Standard-          Konzentration des Wirkstoffs, die das Wachstum eines
konzentrationen verschiedener Antibiotika versetzt hat.          Mikroorganismus hemmt. Zum Bestimmen der MHK dient
Danach wird die Agarplatte bis zu einem sichtbaren Bakte-        eine Bakterienkultur. Das Wachstum der Keime wird in
rienbewuchs bebrütet. Nun prüft man, bei welchen Anti-           Gegenwart verschiedener Antibiotika-Konzentrationen ge-
biotika-Scheibchen Wachstumshemmungen (Hemm­höfe)                testet. Damit die Therapie wirksam ist, muss die Konzen­
sichtbar sind. Anhand eines solchen Antibiogramms kann           tration des Antibiotikums am Wirkort über der MHK lie-
die Empfindlichkeit des Krankheitserregers gegen­über            gen. Ist sie niedriger, etwa durch Abbau in der Leber oder
verschiedenen Antibiotika ermittelt und ein ge­eignetes          Ausscheidung durch die Nieren, kann das Antibiotikum
Antibiotikum ausgewählt werden.                                  den Krankheitserreger nicht mehr wirksam bekämpfen.

                                             ABBILDUNG 8
Agardiffusionstest                                               ¥Haupteinsatzgebiete und Nebenwirkungen
                                                                 Mit Antibiotika lassen sich bakterielle Infektions­erkran­k­
                                                                 ungen bei Mensch und Tier erfolgreich behandeln. Ihre
                                        Bakterienrasen
                                        auf Agarnährboden        Entdeckung und die ersten Anwendungen in den 1940er
                                                                 Jahren sind zweifellos Meilensteine in der Medizinge-
     Agarnährboden                                               schichte. Heute ermöglichen Antibiotika beispielsweise Pa-
                                                                 tienten mit Organtransplantaten das Überleben. Deren Im-
                                H                                munsystem muss permanent medikamentös unterdrückt
                            G          A                         werden, um Abstoßungsreaktionen zu ver­meiden. Dadurch
                        F                   B
                                                                 sind sie sehr anfällig für Infektions­ krankheiten. Auch
                                                                 Gelenk­ersatz, Chemo­therapie und die Versorgung von
                            E           C
                                                                 Frühgeborenen wären ohne Antibiotika kaum erfolgreich.
                                D
                                                                 Antibiotika zählen heute zu den weltweit am häufigsten
                                        Filterpapierscheiben
                                                                 verschriebenen Medikamenten. Laut Arzneiverord­nungs­
          Petrischale                   (A-H), die mit jeweils   report 2016 des WldO (Wissenschaftliches Institut der AOK)
                                        verschiedenen Anti­      haben Ärzte im ambulanten humanmedizinischen Bereich
                                        biotika getränkt sind
                                                                 im Jahr 2015 in Deutschland 38,6 Millionen Mal Antibiotika
                                                                 verord­net – besonders bei bakteriellen Infektionen der
                                                                 Atemwege (z. B. Mandel- oder Lungenentzündungen), der
                                                                 Harn­wege, der Geschlechtsorgane (z. B. Gonorrhoe, um-
                                    INFO FÜR LEHRKRÄFTE          gangssprachlich als Tripper bezeichnet) oder der Haut (z. B.
                                                                 schwere Akne). Auch bei der stationären Versorgung in Klini-
     Einzelne Bakterien einer krankheitserregenden Art           ken werden häufig Antibiotika eingesetzt. Dort dienen sie
     reagieren nicht auf ein bestimmtes Antibiotikum. Sie
     sind widerstandsfähig gegen dieses Antibiotikum. Man
                                                                 der Behandlung von schweren ambulant erworbenen oder
     spricht in diesem Zusammenhang von einer Resistenz.         durch Krankenhauskeime verursachten Infektionen (z. B.
                                                                 MRSA-Infektionen), aber auch bei größeren Verletzungen
     Arbeitsblatt 3: Auf der Suche nach dem richtigen Anti-
                     biotikum - Antibiogramm -                   oder nach Operationen werden sie zur Vorbeugung von In-
                                                                 fektionen durch eingeschleppte Keime verabreicht.

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