Der Wettlauf mit den Keimen - Unterrichtsmaterial Antibiotika - VCI
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Themengebiet: Schule, Ausbildung, Bildung Unterrichtsmaterial Antibiotika Der Wettlauf mit den Keimen
Arbeitsblätter und Experimente © 2017 F o n d s d e r C h e mi s c h e n In du s t r ie Unterrichtsmaterial Antibiotika Der Wettlauf mit den Keimen Dieses Unterrichtsmaterial ist in Zusammenarbeit mit Die CD-ROM enthält Vorschläge für Experimente und dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie Arbeitsblätter. Zudem sind die Abbildungen des Text (BPI), dem Bundesverband für Tiergesundheit (BfT) heftes hinterlegt. Zur Anwendung der CD-ROM: Sie und dem Verband der forschenden Pharma- müssen nicht online sein, sondern lediglich Ihren Unternehmen (vfa) entstanden und steht auch unter Browser aktivieren. www.vci.de/fonds zum Download bereit. 2
ARBEITSBLÄTTER THEMA NIVEAU/INHALT/KOMPETENZBEREICH KAPITEL 1 BAKTERIEN UND VIREN ALS SEK I 4 KRANKHEITSERREGER Inhalt: Immunbiologie (Krankheitserreger) Kompetenzbereich: Fachwissen, Erkennt- nisgewinnung 2 WIE WIRKEN ANTIBIOTIKA GEGEN SEK II 5 BAKTERIEN UND WARUM SCHADEN Inhalt: Zellbiologie SIE DEN MENSCHLICHEN ZELLEN Kompetenzbereich: Fachwissen NICHT? 3 AUF DER SUCHE NACH DEM SEK I 5 RICHTIGEN ANTIBIOTIKUM Inhalt: Immunbiologie (Krankheitserreger) – ANTIBIOGRAMM – Kompetenzbereich: Erkenntnisgewin- nung 4 WIE ENTSTEHEN RESISTENTE SEK II 6 BAKTERIEN? Inhalt: Evolution (Antibiotika-Resistenzen) Kompetenzbereich: Fachwissen, Kommu- nikation 5 PACKUNGSBEILAGE STUFE SI, SII 11 Kompetenzbereich: Kommunikation, Bewertung 6 ARZT-PATIENT-GESPRÄCH SEK I 11 Inhalt: Immunbiologie (Krankheitserreger) Kompetenzbereich: Kommunikation 7 PODIUMSDISKUSSION: WIE KANN SEK II 7–12 ANTIBIOTIKA-RESISTENZ BEKÄMPFT Inhalt: Evolution (Antibiotika-Resistenzen) WERDEN? Kompetenzbereich: Kommunikation, Bewertung 8 ANTIBIOTIKA IN DER UMWELT SEK II 13–14 Inhalt: Ökologie Kompetenzbereich: Fachwissen EXPERIMENTE THEMA NIVEAU/INHALT/KOMPETENZBEREICH KAPITEL 1 ANTIMIKROBIELLE WIRKSTOFFE SEK II 10 AUS PFLANZEN Inhalt: Immunbiologie Zuordnung zu den Kompe (Antibiotika, Vorbild Natur) tenzbereichen auf Grund Kompetenzbereich: Erkenntnisgewinnung lage von: Sekretariat der Ständigen Konferenz der 2 WIE SCHNELL KÖNNEN SICH SEK I 12 Kultusminister der Länder INFEKTIONEN AUSBREITEN? in der Bundesrepublik Inhalt: Immunbiologie (Krankheitserreger) Deutschland (2005). Be – EIN MODELLVERSUCH – Kompetenzbereich: Erkenntnisgewin- schlüsse der Kultusminis nung terkonferenz — Bildungs standards im Fach Biologie 3 NACHWEIS VON STUFE: SI 12 für den mittleren Schul MIKROORGANISMEN Inhalt: Immunbiologie (Krankheitserreger) abschluss. Luchterhand: München, Neuwied. Kompetenzbereich: Erkenntnisgewinnung (Stand: 15.01.2017) 3
Inhaltsverzeichnis 1 METHODISCH-DIDAKTISCHE HINWEISE 6 2 EINLEITUNG 10 3 HISTORISCHE ENTWICKLUNG 12 4 BAKTERIEN UND VIREN 18 5 ANTIBIOTIKA-WIRKUNG 22 6 ANTIBIOTIKA-RESISTENZEN 28 7 ENTWICKLUNG RESISTENZBRECHENDER ANTIBIOTIKA 34 8 SO WIRD EIN NEUES ANTIBIOTIKUM ERFUNDEN UND ERPROBT 42 9 INTERNATIONALE FORSCHUNG 44 10 PRODUKTION VON ANTIBIOTIKA 46 4
11 UMSICHTIGER GEBRAUCH DURCH ARZT UND PATIENT 48 12 SCHUTZ VOR ANSTECKUNG 50 13 ANTIBIOTIKA-ANWENDUNG BEI TIEREN 52 14 ANTIBIOTIKA UND UMWELT 56 LITERATUR 58 GLOSSAR 60 IMPRESSUM 62 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde im gesamten Textheft die männliche Sprachform gewählt. Im Glossar können die mit * markierten Begriffe nachgeschlagen werden. 5
1 Methodisch-didaktische Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über Kranken- Ein weiterer Aspekt betrifft die Verwendung von Antibio- Hinweise hauskeime und Antibiotika-Resistenzen berichtet wird. tika für die Bekämpfung von bakteriellen Erkrankungen Nach einer Medienanalyse des Bundesinstituts für Risi- bei Nutztieren und die damit einhergehende Verbrei- kobewertung (BfR), die neun überregionale Printmedien tung dieser Wirkstoffe in der Umwelt. Diese Thematik und sechs Onlinemedien berücksichtigte, wurden zwi- wird regelmäßig von den öffentlichen Medien aufgegrif- schen dem 01.01.2008 und dem 31.12.2013 über 3.000 fen und darf daher im Schulunterricht nicht unberück- Beiträge zum Thema veröffentlicht, Tendenz steigend. sichtigt bleiben. Nicht zuletzt wegen der großen gesellschaftlichen Rele- Unter fachlicher Perspektive sind die Themen rund um vanz gewinnt das Thema „Antibiotika“ auch Bedeutung Antibiotika vorwiegend im Biologieunterricht zu veror- für den Schulunterricht. ten. Im Chemieunterricht spielen sie gegenwärtig nur eine untergeordnete Rolle. Sie können allerdings dort Allein in Deutschland sterben jährlich bis zu 15.000 zur Sprache kommen, wo im Lehrplan das Themenfeld Menschen an den Folgen von Infektionen mit multiresis- „Medikamente“ ausgewiesen ist. Hier bietet sich dann tenten Keimen. Eine der Ursachen für die Ausbildung von eine Zusammenarbeit mit den Biologielehrkräften an. Resistenzen ist die falsche oder überflüssige Anwen- Darüber hinaus ist es durchaus zielführend, das Thema dung von Antibiotika. So ist vielfach nicht bekannt, dass fächerübergreifend auch unter historischer und sozial- Antibiotika keine Mittel gegen virale Infektionen darstel- kundlicher Perspektive zu betrachten. len. Insofern hat der korrekte Umgang mit Antibiotika viel mit Bildung und Wissen der Menschen zu tun. Die Wie die Vorschläge für Arbeitsmaterialien zeigen, werden aus dem übermäßigen Gebrauch resultierenden Konse- alle Kompetenzbereiche der Bildungsstandards (Fach- quenzen gehen uns alle an und sollten den Schülerinnen wissen, Erkenntnisgewinnung, Kommunikation und Be- und Schülern an geeigneten Beispielen verdeutlicht wer- wertung) angesprochen. Das experimentelle Arbeiten den. In diesem Zusammenhang muss es auch ein Ziel mit Bakterien und Antibiotika unterliegt im Schulunter- des Schulunterrichts sein, die Komplexität der Entwick- richt allerdings gewissen Einschränkungen. lung neuer Antibiotika aufzuzeigen. Die Herausforde- rung, neue Wirkstoffe zu entwickeln, die die Krankheits- In Tabelle A werden exemplarisch Hinweise für den Ein- erreger gezielt abtöten, die nützlichen Mitbewohner im satz des Unterrichtsmaterials auf der Basis des Kernlehr- menschlichen Körper jedoch unbehelligt lassen, kann plans Biologie in NRW aufgezeigt. Vergleichbare Anwen- nur mit einem enormen Forschungsaufwand gelingen, dungen des Themas lassen sich auch in den Plänen der den nicht allein die Arzneimittelfirmen stemmen können. anderen Bundesländer finden. Die Geschichte der Entdeckung und Entwicklung des Penicillins ist außerdem ein anschauliches Beispiel da- für, wie aus einer zufälligen Beobachtung durch systema- tische und wissenschaftliche Weiterentwicklung ein Me- dikament entsteht. Die Entwicklungsgeschichte der Anti- biotika bietet somit vielfältige Ansatzpunkte, den Weg der naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung im Sinne der Vermittlung von Nature of Science (NoS) exem- plarisch zu verdeutlichen. 6
TABELLE A Mögliche Zuordnung der Unterrichtsmaterialien zu Antibiotika am Beispiel der Kernlehrpläne Biologie ymnasium/Gesamtschule SI und SII (Stand: 15.01.2017) G KAPITEL MÖGLICHER BEZUG ZUM KERNLEHRPLAN IDEEN FÜR DEN UNTERRICHT 2. Stufe: SI, 7–9 Diagramme zur Veränderung des Vorkommens/ EINLEITUNG Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation Behandlungserfolges von Tuberkulose analy- Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken- sieren/interpretieren/zeichnen nen und abwehren Geförderte Kompetenz: Erkenntnisgewinnung Problematisierung für Resistenz (Daten interpretieren, Fragen entwickeln, Hypothesen aufstellen...) 3. Stufe: SI, 7–9 Mystery-Karten HISTORISCHE Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation ENTWICKLUNG Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken- Vortrag/Interview Nobelpreisträger nen und abwehren Geförderte Kompetenz: Kommunikation 4. Stufe: SI, 7–9 Mikroskopie BAKTERIEN Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation UND VIREN Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken- Erarbeiten und Analyse von Bakterien- nen und abwehren Strukturmodellen Geförderte Kompetenz: Beschreiben typischer Merkmale von Bakterien: Wachstum, Kolonie- Vergleich mit Modellen von Viren und bildung, Hülle, Andockstelle, Erbmaterial. tierischen Zellen (Warum wirken Antibiotika Prinzip der Vermehrung von Viren nicht gegen Viren? Warum schädigen Antibio- Erkenntnisgewinnung: Nutzen von Modellen tika nicht die menschlichen Zellen?) und Modellvorstellungen… Bakterien: Nutzen für den Menschen 5. Stufe: SI, 7–9 ggf. Arbeit mit den selbst erstellten Modellen ANTIBIOTIKA- Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation WIRKUNG Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken- nen und abwehren und/oder Wechsel der Repräsentationsformen Stufe: SII, EF (Text zu Bild z. B.) Inhaltsfeld: Zellbiologie, Enzymatik 6. Stufe: SI, 7–9 Steckbriefe zu ESKAPE-Keimen entwerfen RESISTENZEN Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken- nen und abwehren und/oder Stufe: SII, Q1/Q2 Inhaltsfeld: Genetik, Evolution 7. Stufe: SI Textarbeit, Skizzen, Zeitstrahl, Interview, ENTWICKLUNG Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation Flussdiagramm RESISTENZ- Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken- BRECHENDER nen und abwehren ANTIBIOTIKA und/oder Stufe: SII Inhaltsfeld: Zellbiologie, Genetik 8
1 KAPITEL MÖGLICHER BEZUG ZUM KERNLEHRPLAN IDEEN FÜR DEN UNTERRICHT 8. Stufe: SI Flussdiagramm anhand eines Beispiels SO WIRD Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation EIN NEUES Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken- MEDIKAMENT nen und abwehren ERFUNDEN Geförderte Kompetenz: Erkenntnisgewinnung UND ERPROBT 9. Stufe: SI, 7–9 Podiumsdiskussion (Rollen: Unternehmer,...) INTERNATIONA- Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation LE FORSCHUNG Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken- nen und abwehren 10. Stufe: SII Textarbeit PRODUKTION Inhaltsfeld: Genetik, Enzymatik VON ANTIBIO- TIKA 11. Stufe: SI, 7–9 Arzt-Patient-Dialoge UMSICHTIGER Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation GEBRAUCH Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken- DURCH ARZT nen und abwehren UND PATIENT Geförderte Kompetenz: Bewertung, Kommunikation 12. Stufe: SI, 7–9 Modellversuch Infektionsausbreitung, Versu- SCHUTZ VOR Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation che auf Nährböden in Petrischalen, Erstellung ANSTECKUNG Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken- eines Hygieneleitfadens nen und abwehren Geförderte Kompetenz: Erkenntnisgewinnung 13. Stufe: SI, 7–9 Flussdiagramm ANTIBIOTIKA- Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation ANWENDUNG Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken- BEI TIEREN nen und abwehren und/oder Inhaltsfeld: Energiefluss und Stoffkreisläufe Fachlicher Kontext: Erkunden eines Ökosystems Geförderte Kompetenz: Bewertung und/oder Stufe: SII, Q1/Q2 Inhaltsfeld: Ökologie Geförderte Kompetenz: Bewertung Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes 14. Stufe: SI, 7-9 Textarbeit Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (2008): Kernlehrplan für das ANTIBIOTIKA Inhaltsfeld: Kommunikation und Regulation Gymnasium- Sekundarstufe I UND UMWELT Fachlicher Kontext: Krankheitserreger erken- in Nordrhein-Westfalen Bio nen und abwehren logie. Frechen: Ritterbach. und/oder Ministerium für Schule und Inhaltsfeld: Energiefluss und Stoffkreisläufe Weiterbildung des Landes Fachlicher Kontext: Erkunden eines Ökosystems Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) Geförderte Kompetenz: Bewertung (2014): Kernlehrplan für die und/oder Sekundarstufe II Gymnasium/ Gesamtschule in Nordrhein- Stufe: SII, Q1/Q2 Westfalen Biologie. Inhaltsfeld: Ökologie Frechen: Ritterbach. 9
¥Der Wettlauf mit den Keimen 2 Einleitung Alexander Fleming, der Entdecker des Penicillins, sollte Recht behalten. Anlässlich der Verleihung des Nobelprei- ses 1945 warnte er: „Die Zeit wird kommen, in der Peni- Ein Beispiel: Der Tuberkulose-Erreger (Mycobacterium cillin von jedermann in Geschäften gekauft werden kann. tuberculosis) ist weltweit einer der tödlichsten Krank- Dadurch besteht die Gefahr, dass der Unwissende das heitskeime. Die Behandlung der Krankheit ist langwierig Penicillin in zu niedrigen Dosen verwendet. Indem er die und nebenwirkungsreich, und die Zahlen sind erschre- Mikroben nun nicht tödlichen Mengen aussetzt, macht ckend: 2014 starben 1,5 Millionen Menschen an Tuber- er sie resistent.“ kulose, über neun Millionen Menschen erkrankten neu. Doch was wirklich große Sorgen bereitet, ist, dass immer Dass 70 Jahre später ein Rückfall in die Zeit vor dem Pe- mehr Betroffene an multiresistenten Tuberkulose-Bakte- nicillin nicht mehr auszuschließen ist, liegt nicht nur an rien erkranken, die gegen die wichtigsten Medikamente der phänomenalen Anpassungsfähigkeit der Bakterien, unempfindlich sind. sondern auch und vor allem an der unsachgemäßen An- wendung von Antibiotika bei Mensch und Tier. Wie das Beispiel zeigt, können Mediziner und Wissen- schaftler den Wettlauf mit den Keimen nur durch stetige Ärzte, aber auch Politiker sind besorgt. Im Sommer 2015 Entwicklung neuer Wirkstoffe gewinnen. Derzeit arbei- stand die beängstigende Entwicklung der Antibiotika- ten weltweit eine Reihe großer und mehr als 40 kleine Resistenzen sogar auf dem Programm der Regierungs- und mittlere Unternehmen an neuen Antibiotika und chefs der sieben führenden Industrienationen und wur- anderen antibakteriell wirksamen Medikamenten. de im Juli 2017 beim Gipfeltreffen der G20 in Hamburg erneut aufgegriffen. Obwohl Antibiotika in vielen Län- dern bis heute verschreibungspflichtig sind, hat falscher und inflationärer Einsatz viele Bakterien resistent oder sogar multiresistent gemacht. Mycobacterium tuberculosis 10
2 Allerdings hat es sich mittlerweile als äußerst schwierig Nase oder Augen in den Körper eindringen und eine erwiesen, noch Antibiotika-Klassen mit neuem Wirkprin- Infektion auslösen. zip zu finden. Und die Ertragsmöglichkeiten mit solchen Präparaten sind meist gering, weil sie nur als Notfallmit- Als weitere wirksame Vorsorgemaßnahme gegen eine tel bei Patienten, denen sonst nichts mehr hilft, einge- Reihe von bakteriellen Infektionskrankheiten hat sich setzt werden. Deshalb ist absehbar, dass sich solche das Impfen bewährt – und zwar sowohl in der Human- als neuen Antibiotika nicht allein über ihren Ertrag refinan- auch in der Tiermedizin. Die Impfungen schützen die zieren können; forschende Firmen könnten daher künf- Geimpften selbst und über die Herdenimmunität auch tig auf Partner angewiesen sein, die die ökonomischen viele Ungeimpfte. Risiken und Lasten mit ihnen schultern. Und wenn doch eine Infektion mit Antibiotika behandelt werden muss, hilft die richtige Einnahme, Resistenzen zu ¥Vorbeugen ist besser als heilen vermeiden: so viel, so oft und so lange, wie vom Arzt verordnet. Die Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen muss am besten aus vielen Richtungen gleichzeitig bekämpft wer- den, und dazu kann jeder beitragen. Eine sehr effektive Maßnahme ist Hygiene. Bis zu 80 Pro zent aller ansteckenden Krankheiten werden durch die Hände übertragen. Ob beim Händeschütteln, Naseput- zen, beim Toilettengang oder beim Streicheln eines Tie- res: Regelmäßiges und gründliches Händewaschen ver- hindert, dass Keime über die Schleimhäute von Mund, 11
3 Historische Entwicklung Wie aus dem Nichts fielen sie über die Menschen her Menschen damals freilich noch nicht wussten. So konnte und entvölkerten ganze Landstriche. Pest, Diphtherie, der Tod ungehindert über Europa hinwegfegen und Kindbettfieber, Tuberkulose, Lungenentzündung, Schar- Schneise um Schneise schlagen, von Italien nach Frank- lach, Syphilis, Wundbrand, Cholera und andere bakteri- reich, über die Alpen nach Deutschland. Mit dem Schiff elle Infektionskrankheiten hielten seit jeher die Men- kam er schließlich nach Großbritannien, Irland und Skan- schen in Atem. Albrecht Dürer stellte die Seuchen in sei- dinavien und von dort zurück nach Russland – bis sich der nem Holzschnitt von 1498 als einen der Apokalyptischen tödliche Kreis in Kaffa wieder schloss. Das Ende dieses Reiter dar – neben Krieg, Hungersnot und dem Tod Todeszuges markiert für den österreichischen Schriftstel- selbst. ler und Gelehrten Egon Friedell (1878–1938) auch das Ende des Mittelalters und den Beginn der Neuzeit. Gleichwohl waren die Menschen auch in den folgenden Jahrhunderten den Launen der Krankheit ausgesetzt. Wie im Sommer 1665, als die Pest London heimsuchte. Augenzeuge war damals der erst fünfjährige Daniel De- foe. In seinem 1722 erschienenen Buch „A Journal of the Plague Year“ (Die Pest zu London) sagte er auch etwas über die Abwehrmaßnahmen, etwa „dass jedes befalle- ne Haus mit einem roten Kreuz von einem Fuß Länge zu kennzeichnen war, und dicht über dem Kreuz waren die Worte Herr, habe Erbarmen mit uns anzubringen. Ferner war das Haus für die Dauer von vier Wochen verschlossen zu halten und vor jedes dieser Häuser ein Wachmann zu postieren.“ Trotzdem starben innerhalb eines Jahres in London rund 70.000 Menschen. ¥Die Killer von einst Zu den größten Killern gehörten ohne Zweifel die Pest und später die Cholera. Die erste große Pestwelle rollte im 6. Jahrhundert über Europa hinweg, flaute zunächst ab, kehrte nach zehn bis zwölf Jahren zurück und setzte dieses Verderben bringende Wechselspiel bis ins 8. Jahr- hundert fort. Die nächste Welle folgte 1347 und übertraf mit ihrer Wucht alles bislang Dagewesene. Jeder Dritte fiel ihr damals zum Opfer, insgesamt 25 Millionen Menschen in ganz Europa. Einfallstore für die Seuchen waren damals die Hafenstädte und Handelsknotenpunkte Kaffa auf der Krim und Messina auf Sizilien. Dort wurden nicht nur Waren, sondern auch Erreger ausgetauscht, was die 12
¥Leben und Sterben in Zeiten der Cholera ungünstige Konstellation der Sterne als mögliche Ur sache oder Gottes Strafgericht. Viele Gelehrte schrieben 3 In den Folgejahren kam es immer wieder zu Pestepide- den Seuchenausbruch auch dem Einfluss schlechter mien, die sich aber mehr oder weniger lokal austobten. Dämpfe zu. Allerdings gesellte sich im 19. Jahrhundert zur Pest ein anderes Schreckgespenst: die Cholera, auch asiatische Hydra genannt. Tatsächlich löste sie in dieser Zeit die Pest als Synonym für Krankheit, Leiden und Tod ab. Im ¥Ein Silberstreif am Horizont Jahr 1832 überfiel die Hydra Paris, das damals als sau- Das änderte sich im 19. Jahrhundert, als zahlreiche Wis- berste und zivilisierteste Stadt Europas galt. „Es war, als senschaftler begannen, sich mit den Krankheitsursachen ob die Welt unterginge“, schrieb Heinrich Heine in sein zu befassen. Allen voran der französische Chemiker und Tagebuch. „Wo man nur hinsah auf den Straßen, erblick- Mikrobiologe Louis Pasteur (1822–1895) und der deut- te man Leichenzüge oder, was noch melancholischer sche Mikrobiologe und spätere Medizin-Nobelpreisträ- aussieht, Leichenwagen, denen niemand folgte.“ ger Robert Koch (1843–1910). Besonders bitter für die Menschen waren die lähmende Ohnmacht gegenüber den Seuchen und das Gefühl des Ausgeliefertseins. Nicht selten mündete der Frust in Gewaltexzesse und sogar Pogrome. Zur Zeit der Pest traf der geballte Volkszorn meist die Juden, die man ver- leumdete und der Brunnenvergiftung beschuldigte. In der Zeit der Cholera richtete sich die Gewalt auch gegen Ärzte und Krankenschwestern, denn sie hatten weder eine schlüssige Erklärung für die Ursachen, noch konn- ten sie die Kranken heilen. In ihrer Hilflosigkeit stellten Ärzte wilde Theorien auf, sahen wie im Falle der Pest die Puzzlestein um Puzzlestein fügte sich im Laufe der Jahre zusammen. Bereits im Jahr 1855 wies der britische Arzt John Snow (1813–1858) die verderbliche Wirkung von verunreinigtem Trinkwasser nach; die moderne Epidemio logie war geboren. Fast 30 Jahre später isolierte R obert Koch aus dem Darminhalt von Choleraleichen den Cholera-Erreger Vibrio cholerae und züchtete diesen in Reinkultur. Spätestens Ende des 19. Jahrhunderts war der Wissenschaft klar: Mangelnde Hygiene und Krank- heit bedingen sich gegenseitig. Als Robert Koch im Jahr 1892 das von einer Cholera-Pandemie heimgesuchte Hamburg besuchte, soll er angesichts der dort herr- schenden haarsträubenden hygienischen Verhältnisse gesagt haben: „Meine Herren, ich vergesse, dass ich mich in Europa befinde.“ Beinahe zur gleichen Zeit entdeckte der Franzose Alex- andre Yersin (1863–1943) den nach ihm benannten Pest erreger Yersinia pestis. Dass genau dieser Erreger auch für die Massenepidemien in vorangegangenen Jahrhun- derten verantwortlich war, ist heute gesichert. Forscher- 13
teams haben vor einigen Jahren unabhängig voneinan- der Knochen und Zähne aus den früheren Massengrä- ¥Zufallstreffer bern exhumiert und den Erreger identifiziert und se- Im Jahr 1928 experimentierte der Mikrobiologe Alexan- quenziert*. der Fleming in seinem Labor mit Staphylokokken, den Erregern der Lungenentzündung. Als er eines Tages nach Die Jahre von 1880 bis 1910 gelten als die goldene Ära längerer Abwesenheit in sein Labor zurückkehrte, be- der Mikrobiologie. In dieser Zeit gelang es den Wissen- merkte er, dass ein Teil der Kulturen von den Sporen ei- schaftlern, nahezu alle bakteriellen Erreger der bekann- nes Schimmelpilzes befallen war. Er war schon drauf und ten Infektionskrankheiten zu identifizieren. Allerdings: dran, die Probe wegzuwerfen, als ihn eine Beobachtung Auch wenn die Wurzel des Übels bekannt war; ein Heil- in Bann schlug: Überall dort, wo sich der Pilz breitmachte, mittel oder Medikament hatte man deswegen noch lan- siedelten sich keine Bakterien an – besser noch: Der ge nicht in Händen. Der Durchbruch gelang Paul Ehrlich Schimmel schien die Staphylokokken zurückzudrängen, (1854–1915). ja zu vernichten. Offenbar, so schloss er, produzierte der Pilz eine für Staphylokokken tödliche Substanz. Er nann- te diese Substanz Penicillin. Wieder und wieder publi- ¥Ein Geheimrat knackt den Code zierte er seine Beobachtungen in Fachzeitschriften. Aber er fand zunächst kein Gehör, da es ihm nicht gelang, das Als er mit dem Farbstoff Methylenblau und Tierorganen Penicillin in Reinform herzustellen. experimentierte, machte der spätere Nobelpreisträger Paul Ehrlich eine entscheidende Entdeckung: Manche Gewebe oder Zellarten ließen sich einfärben, andere nicht. Daraus folgerte er, dass chemische Stoffe nur an ¥Forscher in Goldgräberstimmung ganz bestimmte Zellen im Körper andocken. Sie passen Bis zum Jahre 1940. Dann fiel dem Oxforder Pathologen gleich einem Schlüssel nur in bestimmte Schlüssellöcher Howard Walter Florey (1898–1968) eine Mitteilung Fle- auf der Zelloberfläche. Analog sollte es möglich sein, mings über die bakterizide Wirkung des Pinselschim- chemische Stoffe zu entwickeln, die sich an Erreger bin- mels Penicillium notatum in die Hände. Seinem Labor- den und diese ausschalten, ohne das menschliche Gewe- mitarbeiter Ernst Boris Chain (1906–1979) gelang es be zu schädigen. Es war die Geburtsstunde der moder- schließlich, aus dem Mikrobenstamm reines Penicillin zu nen antibakteriellen Therapie und eine Sternstunde der Medizin überhaupt. Nur wenig später, Ende 1910, kam das (nach heutigem Verständnis) erste Antibiotikum in den Handel. Es hieß Salvarsan und enthielt den Wirkstoff Arsphenamin ge- gen den Erreger der Geschlechtskrankheit Syphilis, die Anfang des 20. Jahrhunderts Millionen von Menschen dahinraffte. Das neue Medikament wirkte; die Fallzahlen gingen in einigen Ländern um bis zu 80 Prozent zurück. Ehrlichs Erfolg weckte in vielen Wissenschaftlern den Forscherinstinkt. Zu den besonders erfolgreichen zählte auch der deutsche Pathologe und Chemiker Gerhard Domagk (1895–1964). Er entdeckte Anfang der 1930er Jahre die antibakterielle Wirkung einer Gruppe syntheti- sierter Farbstoffe, der Sulfonamide. 14
gewinnen. Die Substanz wirkte Wunder und rettete in Das Penicillin läutete die Antibiotika-Epoche ein und 3 den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs Tausende entfachte unter den Forschern eine regelrechte Goldgrä- vor dem sicheren Tod – in erster Linie Soldaten mit schwe- berstimmung. Vom Wundermittel Penicillin inspiriert, ren Verwundungen und Wundinfektionen. Die Ärzte er- hatten sie besonders Naturstoffe im Visier – Stoffe, mit kannten schnell, dass das Mittel nahezu universell ein- denen sich Pilze und Bakterien gegen andere Bakterien setzbar war und beispielsweise bei Vereiterungen, Blut- zur Wehr setzen. Und der Erfolg ließ nicht lange auf sich vergiftungen, Abszessen und Furunkeln half; darüber warten: Im Jahr 1944 wurde das gegen Tuberkulose hinaus tötete es Erreger von Lungenentzündungen, wirksame Streptomycin entdeckt, nur vier Jahre später Hirnhautentzündungen, der Diphtherie, der Gonorrhoe isolierte der US-amerikanische Pflanzenphysiologe Ben- und der Syphilis. Es schien ein Allroundmittel zu sein, jamin Minge Duggar (1872–1956) Chlortetrazyclin, und und es war begehrt wie kein anderes Arzneimittel. Folge- 1952 wurde Erythromycin entdeckt. So hoben die Wis- richtig erhielten Chain, Florey und Fleming im Jahr 1945 senschaftler einen Naturschatz nach dem anderen; paral- den Nobelpreis für Medizin. lel begannen sie aber auch, die Naturstoffe durch chemi- sche Veränderungen zu verbessern oder – wie im Falle von Chloramphenicol – synthetisch nachzubilden. ABBILDUNG 1 Einführung neuer Antibiotika-Klassen weltweit Dihydro-Nitroimidazooxazole, 2014* Diarylchinoline, 2013* Pleuromutiline, 2007 Glycylcycline, 2005 zyklische Lipopeptide, 2005 Ketolide, 2001 Carbapeneme, 1985 Fluorchinolone, 1983 Lincosamide, 1964 Rifamycine, 1963* Streptogramine, 1962 Glykopeptide, 1958 Cephalosporine, 1953 Isoniacid, 1952* Makrolide, 1952 Amphenicole, 1949 Tetrazykline, 1948 Polymyxine, 1947 Aminoglykoside, 1944 Penicilline, 1943 Sulfonamide, 1936 Arsphenamin, 1910 1890 1900 1910 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 Die Jahreszahlen geben an, wann das erste Medikament der genannten Klasse in Deutschland oder andernorts eingeführt wurde. Klassen, die vor allem gegen Tuberkulose eingesetzt werden, sind mit * gekennzeichnet. 15
Den Begriff Antibiotikum hob Selman Waksman (1888– 1973) aus der Taufe, dessen Team eine ganze Reihe von ¥Schicksalsgemeinschaft Antibiotika, darunter auch das Streptomycin, entdeckte. Tiere waren und sind des Menschen ständige Begleiter, Waksman selbst wurde für seine Leistung im Jahr 1952 mit und unser Schicksal ist in vielerlei Hinsicht eng an das dem Medizin-Nobelpreis belohnt. Ursprünglich war der der Tiere geknüpft. Das wird besonders beim Verbreiten Begriff auf Stoffwechselprodukte von Mikroorganismen von Infektionskrankheiten deutlich. Nach Angaben der beschränkt; allerdings wurde er später auf alle antibakteri- Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) stammen ellen Wirkstoffe ausgedehnt, die als Medikament (und schätzungsweise mehr als 60 Prozent aller menschlichen nicht nur als Desinfektionsmittel) anwendbar sind, auch auf Infektionskrankheiten ursprünglich vom Tier. halb- und vollsynthetische Wirkstoffe. Entsprechend ihrer Struktur unterscheidet man heute mehr als 20 verschiede- Wenn Erreger zwischen Tieren und Menschen übertra- ne Klassen von Antibiotika. Und es wird weiter geforscht, gen werden können, sprechen Wissenschaftler von Zoo- um neue zu entwickeln. Das ist auch zwingend geboten. nosen (altgriech.: zoon für Lebewesen und nosos für Denn Bakterien „lernen“, sich gegen die Gifte zu wappnen. Krankheit). Bei den durch Bakterien hervorgerufenen Für die Forscher wird es ein ewiger Wettlauf bleiben. Infektionen zählen hierzu beispielsweise die Brucellose 16
(übertragen durch nicht pasteurisierte Milchprodukte werden. Ein Erfolgsprojekt ist zum Beispiel die Köder- 3 von Rind oder Schaf) oder die Salmonellose (kontami- impfung bei Füchsen, mit der es gelungen ist, die Tollwut nierte Lebensmittel). in weiten Teilen Europas zu tilgen. Ein Meilenstein war auch die erfolgreiche Bekämpfung der Rinderpest. 2011 Beispiele für bedeutende bakterielle Infektionskrankhei- gab die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation ten bei Tieren sind nach Angaben des Bundesforschungs- der Vereinten Nationen (FAO) bekannt, dass die Rinder- instituts für Tiergesundheit (Friedrich-Loeffler-Institut) pest als erste Tierseuche überhaupt weltweit durch Imp- die Brucellose, die Lungenseuche bei Rindern, Milz- fung ausgerottet ist. brand, die Psittakose oder Papageienkrankheit, Rausch- brand, Rotz sowie die Salmonellose und die Vibrionen- Neben striktem Hygienemanagement tragen Impfun- seuche bei Rindern. gen darüber hinaus zur Reduktion des Antibiotika-Einsat- zes bei, zum Beispiel bei Atemwegsinfektionen der Rin- Pioniere waren unter anderem der Bakteriologe Friedrich der oder Durchfallerkrankungen bei Schweinen. Antibio- Loeffler (1852–1915) und der Tierarzt Johann Wilhelm tika sind aber weiterhin unverzichtbar, wenn Tiere trotz Schütz (1839–1920), die im Jahr 1882 erstmals den Erre- Vorbeugung an bakteriellen Infektionen erkranken. ger des Rotzes, einer Pferdeseuche, isolierten. Ein solcher Seuchenbefall war in früheren Jahrhunderten kriegsent- HINWEIS scheidend, denn Pferde spielten eine bedeutende Rolle Bezüglich Tiergesundheit laufen beim Bundesforschungs- im Militär. Überliefert ist ein verheerender Ausbruch in institut für Tiergesundheit (Friedrich-Loeffler-Institut) Ungarn, dem rund 20.000 Tiere zum Opfer fielen. auf der Insel Riems und in der zugehörigen Forschungs- einrichtung, dem Institut für bakterielle Infektionen und Heute wird vielen Infektionskrankheiten bei unseren Zoonosen (IBIZ) in Jena, alle Fäden zusammen. Nutztieren durch Impfungen vorgebeugt, und einige www.fli.de/de/home/ dieser Krankheiten konnten so und durch staatliche Kon- trollprogramme zurückgedrängt oder sogar ausgerottet 17
4 Bakterien und Viren Der niederländische Tuchhändler Antoni van Leeuwen- hoek (1632–1723) war der Erste, der Bakterien entdeckt und beobachtet hat. Das tat er mit einem seiner rund 500 selbst gebauten Mikroskope. Heute kennt die Wissenschaft Myriaden von Bakterienar- ten; wie viele es genau gibt, weiß niemand. Eines ist je- doch sicher: Sie tummeln sich überall – auch an für uns ungemütlichen Orten: im Packeis, in mehr als 100 Grad heißen Quellen, tief unten in Goldminen, und manche fühlen sich sogar in Säure wohl. Alle Rekorde schlägt al- lerdings das Bakterium Deinococcus radiodurans. Es hält selbst radioaktiver Strahlung stand, die 10.000-mal stär- ker ist als die Dosis, die für Menschen tödlich ist. Staphylokokken-Kolonien auf Agarplatten ¥Fluch und Segen der Winzlinge viele jedoch wo und in welchem Verhältnis leben, variiert von Mensch zu Mensch. Klar ist: Jeder Mensch ist von Allein die Zahl der Bakterien, die an und im menschli- einer für ihn typischen Mikrobenmixtur (Mikrobiom*) chen Körper leben, ist galaktisch: Es sind rund 100 Billio- besiedelt. Dieses Mikrobiom erhalten wir bereits bei un- nen (1014). Die meisten davon sind im Darm angesiedelt serer Geburt von der Mutter und danach zum Beispiel und leben in stiller Eintracht mit uns – ja, sie sind für uns über die Muttermilch und den Kontakt mit der Umwelt. sogar lebensnotwendig. Denn sie helfen uns beispiels- weise beim Verdauen und dabei, an Nährstoffe und Vita- Diese Bakterien leben in Symbiose mit uns, verdrängen mine heranzukommen. Hätten wir sie nicht als Helfer, andere – potenziell schädliche – Mikroorganismen und müssten wir weit mehr essen als die 30 Tonnen Nahrung, trainieren unser Immunsystem. Je größer deren Vielfalt die wir während unseres Lebens im Schnitt durch unse- ist, desto niedriger ist unsere Anfälligkeit gegenüber ren Darm schleusen. Autoimmun- und Stoffwechselerkrankungen wie Asth- ma, Fettleibigkeit und Diabetes. Diese Krankheiten neh- Die Wissenschaftler wissen inzwischen, dass bestimmte men in den letzten Jahren zu, und renommierte Mikro- Bakterienarten ganz bestimmte Körperregionen bevor biologen führen dies unter anderem auf Dysbiosen zu- zugen. Streptokokken leben im Rachen, und Propioni- rück, das heißt auf ein Mikrobiom, das aus dem Gleichge- oder Corynebakterien kommen auf der Haut vor. Wie wicht geraten ist. Salmonellen unter dem Elektronenmikroskop 18
Neben den für Menschen nützlichen Bakterien gibt es Mehr Gewissheit bringt aber eine Anzucht der Bakterien aber auch viele, die schwere Infektionskrankheiten in einem Nährmedium. Damit sie sich optimal vermehren auslösen können. Dazu gehören das Hautbakterium können, wird die Probe für einige Tage in einem Wärme- Staphylococcus aureus, Durchfall auslösende Salmonel- behälter (Inkubator) bei 37 Grad Celsius bebrütet. Ist Eile len, der Magenkeim Helicobacter, Chlamydien, Legionel- geboten, haben Ärzte heute auch andere Verfahren an len etc. Oft sind Antibiotika dann die letzte lebensretten- der Hand. Eines nutzt die sogenannte Polymerase-Ket- 4 de Option. Da man aber bei einer Infektionskrankheit tenreaktion (PCR). Damit lässt sich die in einer Probe von den Symptomen nicht ohne Weiteres auf die Verur- vorhandene DNA oder RNA vermehren und mit bekann- sacher – also Bakterien, Viren, Parasiten oder Pilze – ten Gensequenzen vergleichen. Findet man in der Probe schließen kann, ist für eine gezielte Therapie ein sicherer die Erbinformation eines Keimes, deutet das auf eine In- Nachweis erforderlich. fektion mit diesem Keim hin. Noch effektiver und schneller wären Schnelltests, mit ¥Dem Täter auf der Spur deren Hilfe die Ärzte innerhalb einer Stunde erkennen können, ob es sich um einen viralen oder einen bakteri- Besteht der Verdacht auf eine bakterielle Infektion, ellen Erreger handelt. Hieran wird in verschiedenen For- nimmt der Arzt eine Probe (Stuhl-, Harn-, Blut- oder schungslaboren gearbeitet, und einige Tests sind schon Wundsekretprobe). Einen ersten Hinweis liefert der Blick recht weit entwickelt. ins Mikroskop, denn manchmal lassen sich die Winzlinge auf diese Weise rasch nachweisen. Dazu hilft eine Methode des dänischen Bakteriologen Hans Christian Gram (1853–1938). Er hat erkannt, dass sich Bakterien färben lassen. Je nach Aufbau der Zellwand* färben sie sich blau (grampositiv) oder rosa (gramnegativ). Das Er- gebnis gibt einen Hinweis darauf, welche Antibiotika in- frage kommen. 19
¥Variantenreiche Mikroorganismen mige DNA-Moleküle, die Plasmide. Diese zählen jedoch nicht zu den Chromosomen und können von einem Bakte- Bakterien sind Einzeller und damit die einfachste Lebens- rium zu einem anderen übertragen werden. form auf der Erde. Sie besitzen keinen Zellkern und zählen zu den Prokaryoten. Die Bakterienchromosomen, die Bakterien können ganz unterschiedliche Formen haben. meist aus ringförmig angeordneten DNA-Molekülen be- Es gibt kugelförmige Bakterien, stäbchenförmige, spiral- stehen, schwimmen frei im Zytoplasma der Zelle. Außer- förmige und weitere Formen. dem befinden sich im Zytoplasma weitere kleine ringför- ABBILDUNG 2 Bakterienformen Streptococcus Clostridium Salmonella typhi Vibrio cholerae pneumoniae tetani Streptobacillus Treponema pallidum moniliformis Legionella Staphylococcus pneumophila aureus Clostridium botulinum Helicobacter pylori ABBILDUNG 3 Vereinfachter Aufbau einer Bakterienzelle Zellwand Plasmid Ribosom Zellmembran Flagellum Reservestoff Bakterienchromosom Glykogenkern Zellwand: schützt die Zelle und hält sie „in Form“. Flagellum: auch Geißel genannt; dient der Fortbewegung Plasmamembran: besteht aus Lipiden und Proteinen; sorgt für Bakterienchromosom: genetisches Material der Bakterien den Stoffaustausch der Zelle Reservestoff: Speicher für Lipide, Phosphate und Schwefel Plasmid: kleine, ringförmige und doppelsträngige DNA-Moleküle (Schwefelbakterien) Ribosom: besteht aus RNA und Proteinen, Ort der Proteinsynthese Zytoplasma: Grundsubstanz der Zelle 20
¥gegen Warum wirken Antibiotika nicht Viren? Da Viren keinen eigenen Stoffwechsel und auch keine Zellwand besitzen, sind Antibiotika gegen sie machtlos. Viren bestehen aus einer Eiweißhülle, die je nach Vermeh- Viren und Bakterien werden gerne in einen Topf gewor- rungszyklus noch Lipoide enthalten kann, und der Erb- fen, weil sie beide krank machen können. Doch sie unter- substanz mit den Informationen zu ihrer Vermehrung. Sie scheiden sich ganz wesentlich: befallen fremde Zellen, die sogenannten Wirtszellen, in 4 die sie ihre eigene Erbinformation einschleusen. Bakterien sind Lebewesen; sie bestehen aus Zellen, ha- ben einen Stoffwechsel und benötigen Nahrung. In jeder INFO FÜR LEHRKRÄFTE Bakterienzelle laufen komplexe biochemische Prozesse Arbeitsblatt 1: B akterien und Viren als Krankheitserreger ab. Das macht das Bakterium angreifbar, etwa durch An- tibiotika. Sie bringen den Stoffwechsel der Bakterien durcheinander und zerstören sie. Ein wichtiger Angriffs- punkt ist die Zellwand, ohne die ein Bakterium nicht existieren kann. TABELLE 1 Unterschied Bakterien - Viren Bakterien Viren Lebewesen ja nein Typ Einzeller Partikel Größe 0,5–10 µm 0,02–0,35 µm Vermehrung durch Zellteilung nutzen fremde Zellen zur Reproduktion Stoffwechsel verfügen über eigenen Stoffwechsel haben keinen eigenen Stoffwechsel Antibiotika wirken gegen Bakterien wirken nicht gegen Viren 21
5 Antibiotika-Wirkung Viele der heute auftretenden Infektionskrankheiten wer- Heute wissen wir, dass eine selektive Toxizität auf den den durch bakterielle Erreger verursacht und lassen sich Krankheitserreger möglich ist, denn bakterielle (proka- wirksam mit Hilfe von Antibiotika behandeln und auch ryotische) und eukaryotische Zellen unterscheiden sich präventiv bekämpfen. Dabei müssen Antibiotika eine in wichtigen physiologischen Merkmalen voneinander. selektive Toxizität* aufweisen, das heißt, sie müssen den Beispielsweise besitzen Bakterienzellen im Gegensatz Krankheitserreger abtöten (Bakterizide) oder dessen Ver- zu Eukaryoten* eine mureinhaltige* Zellwand*, und die mehrung hemmen (Bakteriostatika), ohne den Patienten Strukturen der Proteinsynthese-Maschinerien (Riboso- zu schaden. men) sind unterschiedlich. Dadurch haben Antibiotika selektive Angriffsmöglichkeiten. ABBILDUNG 4 Vergleich Prokaryoten / Eukaryoten Bakterienzelle Tierzelle Zytoplasma Zellmembran mRNA Mitochondrium Ribosom Golgiapparat Polysom Zellwand Polysom Endoplasmatisches Reticulum Zytoplasma Kernmembran Genom Zellkern Plasmid Nucleolus Zellmembran Ribosom 1 µm 10 µm ¥Die wichtigsten Angriffsziele 1. Nukleinsäuresynthese Antibiotika können die Nukleinsäuresynthese in unter- Antibiotika beeinträchtigen wichtige Funktionen in der schiedlichen Phasen stören, indem sie: Bakterienzelle. Je nach Klasse attackieren sie die Zelle aber an verschiedenen Punkten. die Synthese der DNA- oder RNA-Bausteine hemmen, verhindern, dass sich die doppelsträngige DNA ent- In der Regel reagieren Antibiotika mit Nukleinsäuren, windet, die als Matrize einzelsträngig vorliegen muss, Proteinen und Biomembranen. Sie binden sich an die die Polymerisation der Nukleinsäure-Bausteine zu Zielstruktur (Wirkort) und beeinträchtigen auf diese Wei- DNA- und RNA-Strängen unterbrechen. se die normale Funktion des Biomoleküls, so dass es seine ursprüngliche Funktion nicht mehr ausüben kann. Als Bausteine von Nukleinsäuren dienen Desoxy Zu den Hauptangriffszielen von Antibiotika zählen: ribonukleotidtriphosphate ( DNA) und Ribonukleo tidtriphosphate ( RNA). Für deren Herstellung ist Fol- 1. die Nukleinsäuresynthese, säure* nötig. Während Menschen und Tiere ihren Folsäure- 2. d ie Proteinsynthese, bedarf in der Regel über die Nahrung decken müssen, 3. d ie Zellwandsynthese. stellen Bakterien diesen lebenswichtigen Stoff selbst her. 22
ABBILDUNG 5 Die Hauptangriffsziele von Antibiotika Peptidoglykan-Zellwand Penicilline, Chinolone Cephalosporine, Rifamycine Transglykosidase Vancomycin Transpeptidase Gyrase RNA-Poly merase Polymerisation Mupirocin Folsäure- tRNAs 5 Metabolismus Sulfonamide, DNA- oder Makrolide Zellmembran Trimethoprim RNA-Bausteine Ribosom 50S Aminoacyl- Bacitracin 1 Nukleinsäuresynthese tRNAs 30S NAM mRNA Streptomycin NAG Bactoprenol Cycloserin 2 Proteinsynthese 3 Zellwandsynthese Das macht den Erreger verwundbar, denn die syntheti- Deren Struktur ist bei Bakterien und Eukaryoten unter- schen Antibiotika Sulfonamid und Trimethoprim können schiedlich, und daher ist eine selektive Blockade möglich. die Folsäure-Biosynthese wirksam stören und die Bakteri- en so an der Synthese der Nukleinsäure-Bausteine hindern. Bakterielle Ribosomen bestehen aus den zwei Untereinhei- ten 50S und 30S. Diese sind in der Lage, die Boten-RNA* Ein weiterer wichtiger Angriffspunkt für Antibiotika ist der (mRNA) zu binden und sie mit Hilfe passender Aminoacyl- Ort, an dem sich die doppelsträngige DNA wie ein Reißver- tRNAs*, die von bestimmten Synthetasen gebildet werden, schluss in Einzelstränge auftrennt. Das geschieht immer schrittweise in die kodierte Aminosäuresequenz (Polypep- dann, wenn sich die DNA vervielfältigt (Replikation) oder in tidkette, Protein) zu übersetzen (Translation). RNA umgeschrieben wird (Transkription). Dabei spielen sogenannte Gyrasen* eine Schlüsselrolle. Da sich bakteriel- Bestimmte antibiotische Wirkstoffe binden an die 50S-Un- le und menschliche Gyrasen voneinander unterscheiden, tereinheit und blockieren die Peptidyltransferase-Funktion konnten Wissenschaftler wirksame Gyrase-Hemmer entwi- des Ribosoms. Dadurch können die Aminosäuren nicht ckeln, die menschliche Zellen nur unbedeutend schädigen. mehr verknüpft werden, und die Proteinsynthese ist unter- Prominente Vertreter dieser Antibiotika-Klasse sind die brochen. Chinolone*. Andere Antibiotika, etwa das Erythromycin, blockieren den Ein anderes Angriffsziel sind die Polymerase-Maschinerien „Austrittstunnel“ der 50S-Untereinheit, durch den die (DNA- und RNA- Polymerasen). Dort agieren die Vertreter wachsende Polypeptidkette, das heißt das im Aufbau be- der Gruppe der Rifamycine (z. B. Rifampicin). Sie greifen die findliche Protein, aus dem Ribosom ausgeschleust wird. DNA-abhängige RNA-Polymerase direkt an, indem sie sich Der „Tunnel“ verstopft, und die Translation wird gestoppt. an ihre Beta-Untereinheit binden. So können sie den le- benswichtigen Transkriptionsprozess bei bestimmten Bak- Die kleinere 30S-Untereinheit ist der Wirkort beispielswei- terien (u.a. den Tuberkulose-Erregern) unterbinden. Die se von Streptomycin. Dieses lagert sich an die Untereinheit RNA-Polymerase von Säugerzellen dagegen wird erst bei und verursacht so Fehlablesungen von der mRNA. Das Ri- viel höheren Konzentrationen gehemmt. bosom baut fehlerhafte Proteine, die Zellwand wird geschä- digt und büßt ihre Schutzfunktion ein. Durch diesen Sekun- 2. Proteinsynthese däreffekt gelangt vermehrt Streptomycin in die Zelle, was Antibiotika, die auf die Proteinsynthese zielen, haben es die antibiotische Wirkung zusätzlich verstärkt. meist auf die Untereinheiten der Ribosomen abgesehen. 23
Wieder andere antibiotische Wirkstoffe, zum Beispiel ABBILDUNG 6 Mupirocin, unterbinden die Funktion der genannten Peptidoglykan (Murein) Aminoacyl-tRNA-Synthetasen*. Auf diese Weise lässt sich die Proteinsynthese der Bakterien bereits in einem frü- hen Stadium blockieren. CH3 3. Zellwandsynthese OH O Bakterien sind die einzigen bekannten Organismen, de- NH O O HO ren Zellwand aus Peptidoglykan (Murein), einem Biopo- O O O O lymer aus Zuckermolekülen und Aminosäuren, besteht. H3C NH O Peptidoglykan bildet lange, verzweigte Ketten. Durch O HO Verknüpfung entsteht so eine netzartige Struktur, die die CH3 gesamte Zelle umhüllt. peptid Tetra- NAM NAG ABBILDUNG 7 Unterschiede im Zellwandaufbau Grampositive Gramnegative Zellwand Zellwand Mureinschicht Plasmamembran Zytoplasma Periplasma Äußere Membran Grampositive und gramnegative Bakterien unterscheiden sich im Aufbau der Zellwand. Bei grampositiven Bakterien ist die Murein-Schicht deutlich dicker und vielschichtiger als bei gramnegativen Bakterien. Letztere besitzen stattdessen eine zusätzliche äußere Membran. Dass Eukaryoten kein Murein bilden, macht die Zellwand Die Synthese von Peptidoglykan ist ein komplexer Vorgang. zum geeigneten Angriffsziel für antibiotische Substanzen. Er beginnt im Zytoplasma mit der Biosynthese der beiden Zuckerbausteine N-Acetylglucosamin (NAG) und N-Acetyl Einige Antibiotika hemmen das Zusammensetzen der muraminsäure (NAM), an welchen anschließend noch fünf Zellwandbausteine im Zytoplasma, andere verhindern Aminosäuren, darunter auch zwei D-Alanine, angefügt wer- den Transport der Bausteine zum Mureinnetzwerk, und den ( NAM-Pentapeptid). In diesen Schritt der Zellwand- wieder andere, wie beispielsweise die Penicilline, stören synthese greift das Antibiotikum Cycloserin ein, das die die Quervernetzung der Mureinzellwand. Herstellung und Verknüpfung von D-Alanin und somit die Prozessierung von NAM zum NAM-Pentapeptid hemmt. 24
Ein zweites Angriffsziel ist das Trägermolekül Bactoprenol, tödlichen Folgen hat. Hingegen sind Antibiotika, die in die das die Disaccharid-Peptid-Einheit zur Außenseite der Zy- Nukleinsäuresynthese eingreifen, meist bakterizid. Glei- toplasmamembran transportiert. Angreifer ist in diesem ches gilt für antimikrobielle Wirkstoffe, die als Angriffsziel Fall das Antibiotikum Bacitracin; es hemmt den Transfer die Zellwandsynthese haben. Allerdings töten solche Anti- des Peptidoglykan-Monomers durch die Zellmembran*. biotika nur wachsende Bakterien und wirken nicht auf ru- hende Zellen, da diese kein neues Peptidoglykan bilden. Im letzten Stadium der Zellwandsynthese werden die Disaccharid-Pentapeptid-Einheiten schließlich polymeri- Für Ärzte ist die Einteilung in bakteriostatische und bak- 5 siert; eine Transglykosidase verknüpft sie zu langen Ket- terizide Antibiotika wichtig: Ist das Immunsystem des ten, und eine Transpeptidase vernetzt die benachbarten Patienten geschwächt, sollte der Arzt bakterizid wirken- Peptidketten. In diesem Prozess wird die endständige de Antibiotika verschreiben. Ansonsten besteht die Ge- Aminosäure unter Bildung von Disaccharid-Tetrapeptid- fahr, dass die Krankheitserreger die Antibiotika-Therapie Einheiten, die Baueinheit des Mureins (siehe Abb. 6), überleben und sich wieder vermehren. abgespalten. Diese Quervernetzung können Glycopep- tid- und ß-Lactam-Antibiotika (z. B. Vancomycin und Pe- nicillin) wirksam stören. ¥Breite oder gezielte Attacke HINWEIS Antibiotika unterscheiden sich auch in ihrem Wirkspektrum. Mit Hilfe der Gramfärbung (s. auch Kapitel 4) lassen sich Man unterscheidet zwischen Schmalband-, Mittelband- und Bakterien in der Lichtmikroskopie darstellen. Bei diesem Breitband-Antibiotika, wobei die Grenzen nicht exakt defi- Verfahren bleiben grampositive Bakterien nach dem Be- niert sind. Ein Breitband-Antibiotikum wirkt gegen ein brei- handeln mit bestimmten basischen Farbstoffen (z. B. Gen- tes Spektrum an Erregern und erfasst in der Regel grampo- tianaviolett) und kurzem Spülen mit Alkohol blau gefärbt, sitive und gramnegative Bakterien. Breitband-Antibiotika da das mehrschichtige Murein die Farbmoleküle einlagert. werden bei lebensbedrohlichen Infektionen eingesetzt, Gramnegative Bakterien dagegen bestehen aus nur einer wenn die Krankheitserreger noch nicht identifiziert sind. Schicht Murein. Die Färbung ist weniger intensiv, so dass Beispielsweise werden Patienten mit Verdacht auf bakteriel- die Bakterien unter dem Mikroskop rosa erscheinen. le Hirnhautentzündung meist mit einem Breitband-Antibio- tikum behandelt, häufig sogar in Kombination mit einem INFO FÜR LEHRKRÄFTE Antibiotikum einer zweiten Klasse. Wie wirken Antibiotika gegen Bakterien und warum schaden sie den menschlichen Zellen nicht? Ein Schmalband-Antibiotikum hingegen wirkt nur gegen wenige Erreger-Arten. Zu dieser Gruppe zählten die ers- Arbeitsblatt 2: Antibiotika-Wirkung ten Penicilline; diese werden zum Beispiel bei Mandel- entzündungen verabreicht, die von Streptokokken verur- sacht werden. Durch Weiterentwicklung konnten aber ¥Wirkungstyp, Wirkspektrum und Wirkdosis auch Penicilline mit stark erweitertem Wirkspekrum ge- schaffen werden. Nicht alle Antibiotika töten ihre Zielobjekte ab. Viele hindern die Krankheitserreger einfach nur an der Vermehrung und Im Idealfall sollte bei einer Antibiotika-Therapie das überlassen das weitere Bekämpfen der Keime dem Immun- Wirkspektrum des Antibiotikums so schmal wie möglich system des Erkrankten. Man unterscheidet deshalb zwi- und nur so breit wie nötig sein, unter anderem um das schen bakteriziden (abtötenden) und bakteriostatischen Mikrobiom, insbesondere die Darmbakterien des Patien- (vermehrungshemmenden) Antibiotika. ten, nicht über Gebühr zu schädigen. Allerdings nimmt die Identifizierung des Erregers meist viel Zeit in An- Antibiotika, welche die Proteinsynthese stören, wirken spruch, was wiederum bis zum Vorliegen des Ergebnis- meist bakteriostatisch, da eine Unterbrechung der Protein- ses des Antibiogramms den Einsatz von Breitband-Anti- synthese für das Bakterium in der Regel keine unmittelbar biotika häufig unumgänglich macht. 25
¥Treffsicherheit gefragt ¥Ausreichend hohe Dosis Entscheidend für den Erfolg einer Antibiotika-Therapie ist Die Dosis muss bei der Antibiotika-Therapie ausreichend die Antibiotika-Sensitivität des Krankheitserregers. Diese hoch sein. Sie soll die Keime abtöten oder deren Wachs- lässt sich mit Hilfe von Labortests ermitteln. Beim Agar tum hemmen, darf dabei aber nicht toxisch auf den diffusionstest verteilt man die zu untersuchende Bakte menschlichen/tierischen Organismus wirken. Ein Maß für rien probe auf der Oberfläche eines Agarnähr bodens. die Wirksamkeit eines Antibiotikums ist die minimale Anschließend werden in ausreichendem Abstand vonein- Hemmkonzentration (MHK). Sie ist definiert als niedrigste ander Scheibchen aufgelegt, die man zuvor mit Standard- Konzentration des Wirkstoffs, die das Wachstum eines konzentrationen verschiedener Antibiotika versetzt hat. Mikroorganismus hemmt. Zum Bestimmen der MHK dient Danach wird die Agarplatte bis zu einem sichtbaren Bakte- eine Bakterienkultur. Das Wachstum der Keime wird in rienbewuchs bebrütet. Nun prüft man, bei welchen Anti- Gegenwart verschiedener Antibiotika-Konzentrationen ge- biotika-Scheibchen Wachstumshemmungen (Hemmhöfe) testet. Damit die Therapie wirksam ist, muss die Konzen sichtbar sind. Anhand eines solchen Antibiogramms kann tration des Antibiotikums am Wirkort über der MHK lie- die Empfindlichkeit des Krankheitserregers gegenüber gen. Ist sie niedriger, etwa durch Abbau in der Leber oder verschiedenen Antibiotika ermittelt und ein geeignetes Ausscheidung durch die Nieren, kann das Antibiotikum Antibiotikum ausgewählt werden. den Krankheitserreger nicht mehr wirksam bekämpfen. ABBILDUNG 8 Agardiffusionstest ¥Haupteinsatzgebiete und Nebenwirkungen Mit Antibiotika lassen sich bakterielle Infektionserkrank ungen bei Mensch und Tier erfolgreich behandeln. Ihre Bakterienrasen auf Agarnährboden Entdeckung und die ersten Anwendungen in den 1940er Jahren sind zweifellos Meilensteine in der Medizinge- Agarnährboden schichte. Heute ermöglichen Antibiotika beispielsweise Pa- tienten mit Organtransplantaten das Überleben. Deren Im- H munsystem muss permanent medikamentös unterdrückt G A werden, um Abstoßungsreaktionen zu vermeiden. Dadurch F B sind sie sehr anfällig für Infektions krankheiten. Auch Gelenkersatz, Chemotherapie und die Versorgung von E C Frühgeborenen wären ohne Antibiotika kaum erfolgreich. D Antibiotika zählen heute zu den weltweit am häufigsten Filterpapierscheiben verschriebenen Medikamenten. Laut Arzneiverordnungs Petrischale (A-H), die mit jeweils report 2016 des WldO (Wissenschaftliches Institut der AOK) verschiedenen Anti haben Ärzte im ambulanten humanmedizinischen Bereich biotika getränkt sind im Jahr 2015 in Deutschland 38,6 Millionen Mal Antibiotika verordnet – besonders bei bakteriellen Infektionen der Atemwege (z. B. Mandel- oder Lungenentzündungen), der Harnwege, der Geschlechtsorgane (z. B. Gonorrhoe, um- INFO FÜR LEHRKRÄFTE gangssprachlich als Tripper bezeichnet) oder der Haut (z. B. schwere Akne). Auch bei der stationären Versorgung in Klini- Einzelne Bakterien einer krankheitserregenden Art ken werden häufig Antibiotika eingesetzt. Dort dienen sie reagieren nicht auf ein bestimmtes Antibiotikum. Sie sind widerstandsfähig gegen dieses Antibiotikum. Man der Behandlung von schweren ambulant erworbenen oder spricht in diesem Zusammenhang von einer Resistenz. durch Krankenhauskeime verursachten Infektionen (z. B. MRSA-Infektionen), aber auch bei größeren Verletzungen Arbeitsblatt 3: Auf der Suche nach dem richtigen Anti- biotikum - Antibiogramm - oder nach Operationen werden sie zur Vorbeugung von In- fektionen durch eingeschleppte Keime verabreicht. 26
Sie können auch lesen