Das Ich und das Wir im Naturschutz - Parissa Chokrai, Immo Fritsche und Annedore Hoppe Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus der ...

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Parissa Chokrai, Immo Fritsche und Annedore Hoppe
    Das Ich und das Wir im Naturschutz
        Ergebnisse und Schlussfolgerungen
      aus der Naturbewusstseinsstudie 2017
    zur Förderung individuellen und kollektiven
               Naturschutzhandelns

                 BfN-Skripten 620

                       2022
Das Ich und das Wir im Naturschutz - Parissa Chokrai, Immo Fritsche und Annedore Hoppe Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus der ...
Das Ich und das Wir im Naturschutz
        Ergebnisse und Schlussfolgerungen
      aus der Naturbewusstseinsstudie 2017
  für die Förderung individuellen und kollektiven
               Naturschutzhandelns
            Ergebnisse aus dem F+E-Vorhaben
      „Vertiefende Analysen des Naturbewusstseins
in Deutschland: Vertiefungsbericht zur Erhebung 2017 und
   Re-Analyse des Datenbestandes“ (FKZ 3516 81 020A)

                  Parissa Chokrai
                   Immo Fritsche
                  Annedore Hoppe
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Titelbild: Klimastreik (gemeinfreies Bild via unsplash.com, Fotograf: Nico Roicke, lizensiert unter Creative
           Commons CC0)
Adressen der Autorinnen und des Autors:
Parissa Chokrai            Universität Leipzig
Prof. Dr. Immo Fritsche    Institut für Psychologie
Dr. Annedore Hoppe         Professur für Sozialpsychologie
                           Neumarkt 9-19, 04109 Leipzig
                           E-Mail: parissa.chokrai@uni-leipzig.de
                                     immo.fritsche@uni-leipzig.de
                                     annedore.hoppe@uni-leipzig.de
Fachbetreuung im BfN:
Dr. Andreas Wilhelm Mues        Fachgebiet I 2.2 „Naturschutz, Gesellschaft und soziale Fragen“
Gefördert durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt,
Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) (FKZ: 3516 81 020A).

Diese Veröffentlichung wird aufgenommen in die Literaturdatenbank „DNL-online“ (www.dnl-online.de).
BfN-Skripten sind nicht im Buchhandel erhältlich. Eine pdf-Version dieser Ausgabe kann unter
https://www.bfn.de/publikationen heruntergeladen werden.
Institutioneller Herausgeber:   Bundesamt für Naturschutz
                                Konstantinstr. 110
                                53179 Bonn
                                URL: www.bfn.de
Der institutionelle Herausgeber übernimmt keine Gewähr für die Richtigkeit, die Genauigkeit und Vollständig-
keit der Angaben sowie für die Beachtung privater Rechte Dritter. Die in den Beiträgen geäußerten Ansichten
und Meinungen müssen nicht mit denen des institutionellen Herausgebers übereinstimmen.
                 Diese Schriftenreihe wird unter den Bedingungen der Creative Commons Lizenz Namens-
                 nennung – keine Bearbeitung 4.0 International (CC BY - ND 4.0) zur Verfügung gestellt
                 (https://creativecommons.org/licenses/by-nd/4.0/deed.de).
Druck: Druckerei des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucher-
schutz (BMUV).
Gedruckt auf 100% Altpapier
ISBN 978-3-89624-381-2
DOI 10.19217/skr620
Bonn 2022
Das Ich und das Wir im Naturschutz - Parissa Chokrai, Immo Fritsche und Annedore Hoppe Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus der ...
Inhalt
Zusammenfassung: Die wichtigsten Ergebnisse .............................................................. 4
Empfehlung für die Naturschutzpraxis .............................................................................. 6
   Identifikation mit sozialen Gruppen .................................................................................... 7
      Förderung von Naturschutzorganisationen mit Identifikationspotenzial .......................................... 8
      Sichtbarmachen kollektiver Handlungsgemeinschaften in gesellschaftlichen Gruppen ................. 8
   Kollektive Naturschutznormen und -ziele ........................................................................... 9
      Soziale Normen als Mittel zur Verhaltensänderung ...................................................................... 10
      Etablierung sozialer Normen innerhalb der Gesellschaft .............................................................. 10
   Kollektive Wirksamkeit ......................................................................................................11
1 Einführung .......................................................................................................................14
   Kausalfaktoren des Naturschutzhandelns .........................................................................15
      Personale Faktoren ...................................................................................................................... 15
      Kollektive Faktoren ....................................................................................................................... 15
   Struktur des Berichts.........................................................................................................17
2 Theoretischer Hintergrund .............................................................................................18
   Das Social Identity Model of Pro-Environmental Action (SIMPEA) ....................................20
3 Methoden .........................................................................................................................24
   Stichprobe und Durchführung ...........................................................................................24
   Messinstrumente ..............................................................................................................24
4 Ergebnisse .......................................................................................................................30
   Deskriptive Statistiken.......................................................................................................30
      Zwischenfazit ................................................................................................................................. 39
   Unterschiede zwischen Regionalem und Globalem Naturschutz.......................................40
      Unterschiedliche regionale vs. globale Problemwahrnehmungen ................................................ 41
      Geringere Handlungsfähigkeit auf regionaler Ebene? ................................................................. 42
   Kausalanalyse: Welche Faktoren treiben Handeln an? .....................................................42
      Korrelationsanalysen ..................................................................................................................... 44
5 Interpretation und Implikation ........................................................................................49
   Das Zusammenwirken kollektiver und personaler Kausalfaktoren.....................................50
   Integriertes Modell ............................................................................................................51
6 Literatur............................................................................................................................53

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Zusammenfassung: Die wichtigsten Ergebnisse
Im Rahmen einer Vertiefungsanalyse der Naturbewusstseinsstudie 2017 (BMU/BfN 2018)
wurden erstmalig systematisch und theoriegeleitet die psychologischen Kausalfaktoren per-
sönlichen („Ich“) und gemeinschaftlichen („Wir“) Naturschutzhandelns untersucht. Zudem wur-
den die Teilnehmenden der Studie zufällig einer von zwei Befragungsgruppen zugeordnet: Die
eine wurde mit dem Fokus regionaler Naturschutz und die andere Gruppe mit dem Fokus
weltweiter Naturschutz befragt. Die Ergebnisse bieten wichtige Erkenntnisse für die Kommu-
nikations- und Bildungsarbeit sowie für die Gewinnung ehrenamtlicher und politischer Unter-
stützung im Naturschutz.

•   Die Analyse macht deutlich, dass sowohl Faktoren des persönlich-individuellen als auch
    des kollektiven Denkens und Erlebens mit Naturschutzintentionen und persönlichem Han-
    deln in Beziehung stehen. Relevant sind hierbei einerseits persönliche Einstellungen (z. B.
    Kosten-Nutzen-Erwartungen), persönliches Problembewusstsein (Gefährdung der Natur)
    sowie ein Gefühl, persönlich verpflichtet zu sein, die Natur zu schützen. Andererseits geht
    erhöhtes Naturschutzhandeln damit einher, dass Menschen in ihrem selbstrelevanten so-
    zialen Umfeld dieses Handeln als praktiziert und erwünscht erleben. Sie nehmen wahr,
    gemeinschaftlich tatsächlich etwas Wirksames zum Naturschutz beitragen zu können und
    identifizieren sich mit eigenen Gemeinschaften, deren Natur als bedroht erscheint (z. B.
    die eigene Region oder die Menschheit). Diese Befunde zeigen sich sowohl in der Gruppe
    der Befragten, die zum Schutz der weltweiten Natur befragt wurde, als auch in der Gruppe,
    die zum Schutz der regionalen Natur befragt wurde.
•   Interessanterweise waren zahlreiche Kausalfaktoren bei jenen Personen signifikant höher
    ausgeprägt, die per Zufallsauswahl zum globalen Naturschutz befragt wurden als bei den
    Personen, die zum regionalen Naturschutz befragt wurden. Dies trifft sowohl auf persönli-
    che Faktoren (Problemwahrnehmung, Einstellung, persönliches Verpflichtungsgefühl) wie
    auch kollektive Faktoren (kollektive Wirksamkeit) zu. Dies deutet darauf hin, dass Perso-
    nen globale Naturschutzthemen und Handlungsbedarfe eher wahrnehmen als regionale
    Naturschutzthemen. Daher ist es für den Erfolg des Naturschutzes vor Ort unabdingbar,
    auch die Naturschutzprobleme und Naturschutzpotenziale im regionalen Nahbereich der
    Menschen zu kommunizieren.
•   In einer Teilerhebung wurde die Bereitschaft zur Vermeidung von Plastik im Haushalt un-
    tersucht. Diese bestätigt den Einfluss der Faktoren kollektiven Denkens.
•   Erstmals wurden im Rahmen der Naturbewusstseinsstudie 2017 nicht nur Intentionen na-
    turfreundlichen Handelns erfasst, sondern ebenfalls Indikatoren tatsächlichen Verhaltens.
    Die Resultate gelten für beide Variablen (regionale bzw. globale Perspektive). Sie zeigen,
    dass die Befragten mit stark ausgeprägten persönlichen und kollektiven naturfreundlichen

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Kausalfaktoren sich nicht nur vornahmen, zum Naturschutz beizutragen, sondern dies in
    der Untersuchungssituation auch tatsächlich in verstärktem Ausmaß taten. Dies spricht für
    die Validität der kausalanalytischen Befunde.
•   Weiterführende empirische und theoretische Analysen zum Zusammenwirken personaler
    und kollektiver Faktoren zur Erklärung des Naturschutzhandelns legen nahe, dass gemein-
    schaftliche Wahrnehmungen und Einschätzungen (Normen und kollektive Wirksamkeit)
    Naturschutzhandeln nicht nur direkt beeinflussen, sondern auch indirekt, weil sie persönli-
    che Verpflichtungsgefühle, sich im Naturschutz zu engagieren, erhöhen. Durch Verände-
    rungen im kollektiven Denken bzw. durch den Wandel sozialer Naturschutznormen und
    Wirksamkeitsüberzeugungen sollten demnach auch vermeintlich ganz persönliche Natur-
    schutzmotivationen zunehmen.

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Empfehlung für die Naturschutzpraxis
Auf Grundlage der vertiefenden Analysen der Naturbewusstseinsstudie 2017 empfehlen wir,
in der Kommunikations- und Bildungsarbeit Faktoren kollektiven Naturschutzdenkens (z. B.
die entscheidende Wirkung sozialer Normen) bewusster zu berücksichtigen. Nachfolgend wer-
den Hinweise gegeben, wie diese Faktoren gezielt gefördert und gestärkt werden können.

In der Vergangenheit wurde das Naturschutzhandeln von Menschen häufig als individuelles
Entscheidungsproblem begriffen, das im Wesentlichen durch persönliche Kosten-Nutzen-
Überlegungen und persönliche Ethik bestimmt ist. Jüngere umweltpsychologische Arbeiten
(Fielding & Hornsey, 2016; Fritsche et al., 2018a) und die vorliegenden Ergebnisse der Natur-
bewusstseinsstudie 2017 sprechen dafür, dass diese Perspektive unvollständig und in Teilen
irreführend ist. Stattdessen kann das Naturschutzverhalten Einzelner nur dann vollständig ver-
standen werden, wenn es als Ausdruck kollektiven Handelns begriffen wird.

Dem Handeln einzelner Menschen fehlt oft die Durchschlagskraft, Einfluss auf den großräu-
migen – teils globalen – Naturzustands zu nehmen. Daraus resultierende persönliche Hilflo-
sigkeitswahrnehmungen angesichts großräumig wahrgenommener Naturzerstörungen kön-
nen dazu führen, persönliches Handeln zu blockieren. Erst kollektive Verhaltensänderungen
oder Anstrengungen können erkennbare Spuren hinterlassen. Das eigene Handeln als Teil
einer kollektiven Bewegung zu verstehen, kann dazu beitragen, persönliche Hilflosigkeit und
Handlungshemmungen aufzulösen und Menschen zu motivieren, in ihrem Alltagshandeln und
ihren politischen Aktivitäten zum Schutz der Natur beizutragen. Außerdem sollte das Framing
kollektiven Naturschutzhandelns persönliche Befürchtungen reduzieren, dass andere nicht in
gleicher Weise zum Naturschutz beitragen und die eigenen Bemühungen daher in ungerechter
Weise ausnutzen könnten (Trittbrettfahren im Gemeingutdilemma). Die Naturschutzakteure
sollten es deshalb Menschen ermöglichen, sich selbst als Teil eines naturfreundlichen und
handlungsfähigen „Wir“ (soziale Identität) zu verstehen.

Diese Perspektive eröffnet neue Möglichkeiten der Unterstützung naturschützenden Alltags-
handelns und Etablierung naturfreundlicher politischer Agenden. Im Folgenden werden wir an-
hand konkreter Beispiele erläutern, wie Naturschutzpraktiker*innen von den Einsichten dieses
Ansatzes sozialer Identität profitieren können. Neben konkreten Anregungen zu effektiven
Maßnahmen geht es hierbei ebenfalls darum, die eigenen „naiven“ Alltagsannahmen darüber,
was menschliches Verhalten im Alltag lenkt, kritisch zu hinterfragen. Studien zeigen, dass Fak-
toren kollektiven Denkens hier in aller Regel deutlich unterschätzt (Nolan et al., 2008) oder
sogar vollständig ausgeblendet (Barth et al., 2016) werden. Beispielsweise waren Teilneh-
mende einer Studie zum Stromsparen (Nolan et al., 2008) davon überzeugt, dass sich ihr per-
sönliches Stromsparverhalten vor allem durch Hinweise auf persönliche finanzielle Vorteile
oder mögliche Umweltschutzeffekte beeinflussen ließe. Tatsächlich jedoch war ein Hinweis

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auf eine lokale Energiesparnorm am wirksamsten, dass nämlich die große Mehrheit der Men-
schen in der Gemeinde bereits Strom einspare. In einer anderen Studie zur Nutzung von Elekt-
rofahrzeugen (Barth et al., 2016) zeigte sich, dass selbst Kommunikationsprofis und Umwelt-
lobbyisten die hohe Relevanz von Faktoren kollektiven Denkens für Umwelthandeln häufig
fälschlicherweise ausblenden und sich darin von Laien nicht unterscheiden. Die Faktoren kol-
lektiver Naturschutzmotivation mitzudenken und in Interventionshandeln zu übersetzen, ist da-
her eine „kleine Revolution“ und birgt bislang ungenutzte Potenziale für die Naturschutzpraxis.

Es sind insbesondere drei Faktoren, von denen die kollektive Naturschutzmotivation einzelner
Menschen abhängt: a. Identifikation mit einem Kollektiv bzw. einer sozialen Eigengruppe, b.
Wahrnehmung einer naturschutzfreundlichen sozialen Norm innerhalb dieser Gruppe und c.
die Einschätzung, dass diese Gruppe gemeinschaftlich handlungsfähig ist. Wie auch die oben
berichteten Ergebnisse zeigen, kann sich kollektive Naturschutzmotivation im Rahmen ganz
unterschiedlicher Eigengruppen entwickeln. Dies können großräumige Gruppen sein, die sich
nicht auf persönlicher Bekanntschaft oder face-to-face-Interaktion gründen, sondern einfach
nur darauf, dass Menschen sich zugehörig fühlen und die Gruppe als wertvoll und in irgendei-
ner Form handlungsfähig erleben (z. B. Menschen meiner Region, meines Landes, meiner
Generation, aber auch „die Menschheit“; vgl. Fritsche et al., 2018). Eine grundsätzlich ver-
gleichbare – und vielleicht sogar intensivere – Wirkung sollten naturschutzbezogene Klein-
gruppen (z. B. lokale Bürgerinitiativen und Nachhaltigkeitsgruppen) für die Naturschutzmotiva-
tion einzelner Mitglieder entfalten (Bamberg et al., 2015).

Im Folgenden diskutieren wir entlang der drei zentralen Kausalfaktoren (kollektive Identifika-
tion, Normen und Wirksamkeit), inwiefern Prozesse des kollektiven Denkens in der Natur-
schutzpraxis Beachtung finden bzw. in wirksame Maßnahmen überführt werden können.

Identifikation mit sozialen Gruppen
Soziale Identitäten sind die Grundlage kollektiven Handelns. Wenn Menschen sich mit einer
Gruppe identifizieren, steigt ihre Bereitschaft, im Sinne der Gruppe zu denken und zu handeln.
Mehr noch: Kollektives Denken und Handeln wird dann zum Ausdruck des eigenen Selbst.
Wenn es stimmt, dass wirksames Naturschutzhandeln in der Regel nur als kollektives Handeln
vorstellbar ist, sollten Interventionsprogramme zur Stärkung des Naturschutzes immer berück-
sichtigen, mit welchen Gruppen sich Zielpersonen identifizieren oder gegebenenfalls sogar die
Identifikation mit bestimmten Gruppen fördern.

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Förderung von Naturschutzorganisationen mit Identifikationspotenzial
Es gibt zahlreiche Beispiele für Gruppen oder soziale Kategorien, die in direkter Weise mit
Naturschutzhandeln assoziiert werden. Hierzu zählen beispielsweise die Mitglieder lokaler Na-
turschutzverbände bzw. -gruppen. Menschen, die sich mit einem solchen Verband oder einer
derartigen Gruppe hoch identifizieren, sollten auch in erhöhtem Maße vorhaben, die Natur zu
schützen oder die Naturschutzpolitik zu befürworten. Die Förderung derartiger Zusammen-
schlüsse stellt deshalb nicht nur eine nachhaltige Intervention dar, um konkrete Naturschutz-
vorhaben vor Ort zu unterstützen, sondern hat gleichfalls indirekte Effekte auf die Förderung
generalisierten naturfreundlichen Handelns. Diese indirekten Effekte sind zu erwarten, da Mit-
glieder und Sympathisant*innen von Naturschutzverbände bzw. -gruppen verstärkt sozialen
Netzwerken ausgesetzt sind, in denen Naturschutz die Norm darstellt und die Wahrnehmung
kollektiver Wirksamkeit in der Regel hoch ist.

Insbesondere die Förderung kleinerer, lokaler Initiativen, in denen Mitglieder von Angesicht zu
Angesicht zusammenarbeiten ist hierbei zu empfehlen. Denn diese Gruppen haben in der Re-
gel für einzelne Menschen höhere Bindungskraft und können von hoher Alltagsbedeutung
sein. Es kommt nämlich nicht nur darauf an, in einem Naturschutzverband bzw. einer Natur-
schutzgruppe Mitglied zu sein, sondern auch im Alltag häufig daran erinnert zu werden. Grup-
penmitgliedschaften haben Menschen schließlich viele. Aber jeden Samstag einen innerstäd-
tischen Gemeinschaftsgarten offen zu halten, nach einem vereinbarten Plan Vögel in der
Nachbarschaft zu zählen oder auch freitags gemeinsam mit anderen Schülerinnen und Schü-
lern öffentlich zu protestieren, erhöht deutlich die Selbstrelevanz solcher Gruppen („Ich bin
Naturschützer*in!“).

Sichtbarmachen kollektiver Handlungsgemeinschaften in gesellschaftlichen Gruppen
Obwohl die Mitgliedschaft in lokalen Initiativen, Vereinen und Gruppen sicherlich den Königs-
weg zur kollektiven Naturschutzidentität darstellt, kann es auch sinnvoll sein, auf der Ebene
gesellschaftlicher Gruppen oder „sozialer Kategorien“ anzusetzen. Wenn Menschen wahrneh-
men, dass sie zu einem Personenkreis gehören, der ein besonderes Interesse und auch eine
hohe Wirkmacht im Naturschutz hat, hat dies ebenfalls einen förderlichen Effekt auf persönli-
ches Naturschutzhandeln und die Befürwortung naturverträglicher politischer Agenden.

Beispiele für solche „Großgruppen“, die im Wesentlichen aus Selbstzuordnung und Identifika-
tion ihrer Mitglieder bestehen, sind Bevölkerungen von Regionen, ideologisch-politische Grup-
pen, Geschlechter oder auch Generationen. Diese „sozialen Eigengruppen“ werden im Alltag
insbesondere dann sichtbar, wenn Menschen sich auf Grundlage dieser sozialen Kategorien
mit anderen vergleichen. So fällt die nationale Zugehörigkeit insbesondere bei internationalen
Ereignissen wie Fußballweltmeisterschaften, der Berichterstattung über weltweite Vergleichs-

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statistiken oder auch Begegnungen mit Nicht-Deutschen auf und wird psychologisch für Men-
schen relevant. Eine andere Quelle von Gruppenzugehörigkeit ist hierbei das Erkennen ge-
meinsamer Interessen und Handlungsweisen, die die wahrgenommene Ähnlichkeit innerhalb
dieser Gruppen erhöhen und damit ihre Erkennbarkeit und Selbstrelevanz. Gleichzeitig kön-
nen hierbei für Mitglieder solcher Gruppen gemeinsame Leitlinien und Ziele (soziale Normen
und Handlungsfähigkeit) erkennbar werden.

Naturschutzrelevant sind solche Großgruppen dann, wenn deutlich wird, dass sie in gemein-
samer Weise von Naturschutzproblemen betroffen sind und sich darin von anderen Gruppen
unterscheiden, d. h. „distinkt“ sind. Ebenfalls kann sich eine Relevanz dadurch ergeben, dass
den Mitgliedern ins Auge fällt, dass Naturschutz zu ihrem „Markenkern“ gehört. Beispielsweise
wurden in einer experimentellen Studie der Universität von Exeter im Vereinigten Königreich
Menschen gebeten, anzugeben, in welchem Ausmaß Umweltschutz für sie einen wichtigen
persönlichen Wert darstellt (Rabinovich et al., 2012). Interessanterweise war Umweltschutz
jenen Befragten besonders wichtig, die zuvor die Aufgabe hatten, über Unterschiede zwischen
den USA und Großbritannien nachzudenken. Personen, die nur über Besonderheiten Groß-
britanniens oder Unterschiede zwischen Großbritannien und Schweden nachdenken sollten,
fanden Umweltschutz persönlich deutlich weniger wertvoll. Faszinierenderweise veränderte
diese einfache Vergleichsaufgabe auch das tatsächliche Umweltverhalten der Versuchsper-
sonen im Labor: Nach dem Vergleich mit den USA nahmen die Teilnehmenden signifikant
häufiger Informationsbroschüren zum Klimaschutz mit nach Hause und unterzeichneten häu-
figer eine Klimaschutzpetition an ihren lokalen Parlamentsabgeordneten. Diese Befunde un-
terstreichen die Rolle sozialer Kontexte, die sich – je nach Vergleichsdimension – entweder
hemmend oder förderlich auf das Naturschutzverhalten auswirken. Dabei zeigt die Studie,
dass bereits geringe Veränderungen (Abwärtsvergleich mit den USA) eine Verhaltensände-
rung bewirken können (Rabinovich et al., 2012), indem die eigene Gruppe im Vergleich zur
Fremdgruppe als naturfreundlicher dargestellt wird. Genau hier liegt ein nicht zu unterschät-
zendes Potenzial, Menschen über ihre Zugehörigkeit zu einem Kollektiv und im Kollektiv (und
damit äußerst wirksam), zu mehr Naturschutzengagement zu motivieren.

Kollektive Naturschutznormen und -ziele
Der zuvor beschriebene Vergleich mit einer weniger naturfreundlichen Gruppe (den USA) im-
pliziert, dass die Identifikation mit einer Gruppe alleine nicht hinreichend ist, um Naturschutz-
handeln zu fördern. Darüber hinaus müssen auch entsprechende soziale Umweltnormen in-
nerhalb der Gruppe bestehen und im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Diese Annahme wird
durch experimentelle Studien gestützt, in denen Studierende dann eine erhöhte Präferenz für
den Kauf von Biolebensmitteln zeigten, wenn ihnen eine zuvor vorgelegte Umfrage anzeigte,

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dass eine deutliche Mehrheit ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen ebenfalls Biolebensmit-
tel bevorzugte, und sie sich sehr stark mit ihrer Eigengruppe identifizierten. Im Falle einer
schwach ausgeprägten Norm für den Kauf von Biolebensmitteln war – trotz hoher Identifikation
mit der Gruppe der Studierenden – die Kaufintention für diese Produkte gering (Masson &
Fritsche, 2014).

Soziale Normen als Mittel zur Verhaltensänderung
Zu den am häufigsten angewendeten Ansätzen zur Verhaltensänderung gehören solche, bei
denen soziale Normen sowohl Informationen als auch Feedback zu bestimmten Verhaltens-
weisen bereitstellen (Abrahamse & Steg, 2013). Dabei sind es vor allem deskriptive Normen
(was andere tatsächlich tun), die im Rahmen von Interventionen ins Bewusstsein gerufen wer-
den sollten, um Menschen zu mehr Naturschutz zu motivieren. So zeigten Goldstein et al.
(2008), dass das alleinige Wissen um die Bedeutung von Umweltschutz Hotelgäste weniger
motivierte, ein Handtuch mehrfach zu nutzen, als wenn zusätzlich die Information gegeben
wurde, dass Gäste dieses Hotels ganz generell in der Vergangenheit ihre Handtücher mehr-
fach nutzten. Die Bereitschaft dazu war sogar noch höher, wenn zusätzlich mitgeteilt wurde,
dass Gäste, die zuvor dasselbe Zimmer gebucht hatten, ihr Handtuch in der Regel wiederver-
wendeten.

Darüber hinaus konnte eine andere Interventionsstudie zeigen, dass sowohl positives indivi-
duelles Feedback als auch Gruppenfeedback das Recyclingverhalten von Anwohner*innen
erhöhen konnte. Zumindest gilt das für diejenigen, die ihre Abfälle zuvor kaum recycelten
(Schultz, 1999). Auch subjektive Normen („Welches Verhalten erwarten wichtige Bezugsper-
sonen von mir?“) können sozialen Einfluss ausüben (Ajzen & Madden, 1986). In Institutionen
oder Organisationen beispielsweise, in denen Führungskräfte als Vorbilder für umweltfreund-
liches Verhalten gelten (Nutzung eines Dienstrades statt -wagens, Dienstreisen mit dem Zug
statt Flugzeug, etc.) kann ein entsprechender Erwartungsdruck (im besten Fall jedoch intrinsi-
sche Motivation) bei den Mitarbeitenden entstehen, sich ebenfalls umweltverträglich zu ver-
halten.

Etablierung sozialer Normen innerhalb der Gesellschaft
Das Setzen neuer Normen kann insbesondere in solchen Lebens- und Verhaltensbereichen
unterstützend wirken, in denen sich noch keine (deskriptiven) Normen etablieren konnten, bei-
spielsweise beim Umgang mit technologisch-ökologischen Innovationen. So fallen in Norwe-
gen beim Kauf eines Elektro-Autos die Kfz- und Mehrwertsteuer weg, die Anschaffungskosten
vieler E-Autos sind günstiger und Elektrofahrzeuge genießen zudem das Privileg, die Spuren
von Bussen und Taxis nutzen zu dürfen. Daraus resultierte in Norwegen ein wahrnehmbarer

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Trend zur verstärkten Nutzung von Elektomobilität als deskriptive Norm. Gleichzeitig signali-
sierten diese Regeln die präskriptive Norm, „E-Autofahrer*innen haben Vorfahrt“ (Krüger,
2019). Andererseits kann auch das Einstellen von Subventionen für klimaschädliche Verhal-
tensweisen und Produkte (Agrarsubventionen, Atomenergie, Kohle; UBA, 2017) sichtbare Ver-
haltensänderungen sowie entsprechende Verhaltensnormen befördern.

Im Rahmen von Interventionen sollte darauf geachtet werden, dass Normen klar und eindeutig
kommuniziert werden. Statt festzustellen, dass öffentliche Verkehrsmittel umweltfreundlich
sind, bisher aber nur von einer Minderheit genutzt werden, sollte stärker betont werden, dass
zunehmend mehr Menschen öffentliche Verkehrsmittel nutzen.

Soziale Normen können jedoch – wie weiter oben bereits angedeutet – auch unabhängig von
sozialer Identifikation Einfluss auf das Verhalten haben. So regulieren Gesetze das Verhalten
von Menschen, indem unerwünschte Handlungen mit negativen Sanktionen belegt werden
oder wünschenswertes Verhalten mit Privilegien belohnt wird. Das Beispiel Elektromobilität in
Norwegen veranschaulicht, wie ein Staat durch positive Anreize die Bürger*innen zu alltags-
relevantem pro-ökologischem Handeln motivieren kann. In Baden-Württemberg trat im De-
zember 2018 ein neuer Bußgeldkatalog mit deutlich empfindlicheren Strafen für Umweltsün-
den in Kraft (z. B. Wegwerfen oder Liegenlassen von Glasflaschen 800 Euro statt bisher 100
Euro). Ziel ist es, auf diesem Wege das Bewusstsein der Menschen für den Schutz der Umwelt
verhaltenswirksam zu erhöhen (Pressemitteilung Ministerium für Umwelt, Klima und Energie-
wirtschaft Baden-Württemberg, 30.11.2018).

Soziale Normen wirken nicht nur verhaltenswirksam durch die Vermittlung von Informationen
und Feedback, die Menschen eine Orientierung und Sicherheit für das eigene Verhalten ge-
ben, sondern werden darüber hinaus auch als Indikatoren kollektiver Wirksamkeit der betref-
fenden Gruppe wahrgenommen.

Kollektive Wirksamkeit
Menschen sollten vor allem dann motiviert sein, sich für Naturschutz einzusetzen, wenn sie
der Überzeugung sind, dass ihr Handeln tatsächlich etwas bewirken kann. So z. B., dass durch
ihre Teilnahme an einer Umweltbewegung genügend politischer Druck für eine bessere
Klimapolitik ausgeübt wird oder durch einen konsequent sparsamen Lebensstil die Ressour-
cen wirksam geschont werden können (Fritsche et al., 2018; Mummendey et al., 1999; van
Zomeren et al., 2008).

Soziale Normen und Ziele einer Gruppe sollten dementsprechend vor allem dann verfolgt wer-
den, wenn die Mitglieder die Ziele auch für erreichbar halten. Je höher die Wahrnehmung,
wirksam gegen die Klimakrise vorgehen zu können, desto höher sollte auch die Bereitschaft
sein, sich zu engagieren. Bamberg et al. (2015) konnten außerdem nachweisen, dass der

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Effekt wahrgenommener kollektiver Wirksamkeit teilweise über die Identifikation mit der
Gruppe vermittelt wurde. Dies bedeutet, dass beispielsweise eine örtliche Naturschutzgruppe
insbesondere dann größere Bindungskraft unter ihren Mitgliedern entfalten kann, wenn ihre
kollektive Wirksamkeit deutlich wird. Dies kann beispielsweise durch Hinweise auf erfolgreiche
gemeinschaftliche Aktionen in der Vergangenheit (ggf. auch durch ähnliche Gruppen) oder
auch bereits durch die Kommunikation gemeinschaftlich geteilter Ziele geschehen.

Feedback über den Erfolg persönlicher oder kollektiver Naturschutzanstrengungen spielt eine
wesentliche Rolle für die Entwicklung von Wirksamkeitsüberzeugungen, weil es das Verhalten
(z. B. Licht ausschalten) mit den Outcomes (z. B. Energie sparen) verbindet (Abrahamse &
Steg, 2013). Auf diese Weise können auch Gefühle der Selbstwirksamkeit gefördert werden
(Bandura, 1997) und zwar sowohl auf persönlicher („Ich kann etwas zum Naturschutz beitra-
gen!“) als auch auf Gruppenebene („Wir können etwas zum Naturschutz beitragen!“). In einer
experimentellen Studie, in der die Teilnehmenden einen Text lasen, in dem die eigene Gruppe
(Generation U 30) in Bezug auf effektiven Umweltschutz entweder als handlungsfähig oder
unfähig dargestellt wurde, zeigte sich, dass die Wahrnehmung von kollektiver Wirksamkeit
nicht nur die Umweltintention, sondern auch die wahrgenommene persönliche Selbstwirksam-
keit erhöhte (Jugert et al., 2016). Fritsche et al. (2018a) erklären diesen Effekt so, dass kollek-
tive Wirksamkeitswahrnehmungen offenbar die persönliche Hilflosigkeit gegenüber Umweltkri-
sen reduzieren und damit persönliches Umwelthandeln wahrscheinlicher machen.

Für die politische Agenda lässt sich daraus ableiten, bei der Ankündigung zukünftiger Maß-
nahmen oder im Rahmen von Interventionen, einerseits die Notwendigkeit gemeinsamen Han-
delns zu betonen und dabei andererseits die Handlungswirksamkeit der eigenen Gruppe oder
Gemeinschaft herauszustellen. Der Bezug auf vergangene erfolgreiche, kollektive Anstren-
gungen kann das Vertrauen in die kollektive Wirksamkeit noch zusätzlich stärken. Die interna-
tionalen Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht (Montrealer Protokoll) sind eine solche Er-
folgsgeschichte. Wie wirksam kollektives Handeln auch für den Schutz der Natur sein kann,
zeigen folgende Beispiele. Jüngst erreichte ein Volksbegehren zum Artenschutz im Freistaat
Bayern mit 18,3 % Zustimmung der Wahlberechtigten (Bayerisches Landesamt für Statistik,
2019) einen bundesweit beachteten Erfolg. Der Bayerische Landtag ist inzwischen einer Emp-
fehlung der Staatsregierung, das Volksbegehren zu übernehmen, gefolgt. Dadurch konnte die
Regierung zwar fürs erste einen Volksentscheid verhindern. Allerdings hat die Bürgerinitiative
auch gezeigt, welch enormen politischen Druck sie ausüben kann und möglicherweise auch
wieder ausüben wird, sollten durch die Politik lediglich halbherzige Maßnahmen zum Arten-
schutz folgen.

Ein weiteres beeindruckendes Phänomen kollektiver Wirksamkeit ist die inzwischen in über
125 Staaten und auf allen sieben Kontinenten aktive Klimabewegung „Fridays For Future“, die

                                                12
in nur wenigen Monaten ein großflächiges Bewusstsein für die akute globale Klimakrise schaf-
fen konnte. Laut einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen (2019) wird der Klimawandel
von der in Deutschland lebenden Bevölkerung mittlerweile (und zum ersten Mal überhaupt)
als eines der dringlichsten politischen Probleme gesehen. Auch auf Verhaltensebene bewirken
die Akteure Veränderungen, indem sukzessive Handlungswissen aufbereitet und weitergege-
ben wird, das Einzelne befähigt, den eigenen Alltag umweltfreundlicher zu gestalten. Daneben
finden weltweit regelmäßige Müllsammelaktionen statt, um die Natur auch vor der eigenen
Haustür zu pflegen. Neben der Sensibilisierung der Bevölkerung für den Klimaschutz konnte
„Fridays For Future“ auch zahlreiche politischer Diskurse entfachen. So wurden (kurz vor der
Europawahl 2019) Themen wie eine CO2-Steuer, ein vorzeitiger Kohleausstieg oder die Pari-
ser Klimaschutzziele als wichtigste Forderungen in den Wahlprogrammen vieler politischer
Parteien genannt.

Derartige Beispiele kollektiver Wirksamkeit können sowohl individuelles Alltagshandeln als
auch (weiteres) politisch-aktivistisches Handeln und die Unterstützung naturfreundlicher poli-
tischer Programme motivieren. Tatsächlich weisen Befragungsergebnisse darauf hin, dass
Umwelt- und Naturschutzthemen im (politischen) Denken der deutschen Bevölkerung aktuell
eine Schlüsselstellung einnehmen. Das daraus resultierende politische Potenzial für die breite
Unterstützung strukturell-gesetzlicher Veränderungen könnte sich als ein „game-changer“ für
den Naturschutz erweisen.

                                             13
1 Einführung
       Die Bedrohung der biologischen Natur und ihrer Vielfalt ist in der jüngsten Vergangen-
heit zu Recht als globales Risiko in den Fokus der öffentlichen Debatte geraten. Für die meis-
ten Menschen waren Naturbedrohungen in lokalem Maßstab bereits seit Beginn der Industri-
alisierung fassbar. Mittlerweile wird die Zerstörung natürlicher Lebensräume und der Arten-
rückgang jedoch als systemisches Risiko für das Überleben der Menschheit als Ganze disku-
tiert (FAO, 2017; Rockström et al., 2009). Dies spiegelt sich beispielsweise in der umfänglichen
Berichterstattung über das Insektensterben (Dirzo et al., 2014; Hallmann et al., 2017) oder den
Gefahren von Plastikmüll für Meeresbewohner wider (Gall & Thompson, 2015; Laist, 1987).
Tatsächlich werden globale Natur- und Umweltprobleme katastrophalen Ausmaßes zuneh-
mend im Alltag sicht- und erfahrbar. So hat die langanhaltende Trockenheit des Jahres 2018
dem globalen Klimawandel ein lokales Gesicht gegeben (Jacob, 2009), und Autofahrerinnen
und Autofahrern wird anhand ihrer fliegenfreien Windschutzscheibe im Sommer das Insekten-
sterben vor Augen geführt (Mayer, 2018). In Befragungen rangiert die Angst vor zunehmenden
Naturkatastrophen oder dramatischen Folgen des Klimawandels unter den wichtigsten Sorgen
der Deutschen (RV-Versicherung, 2018). Gleichzeitig entsteht – insbesondere durch den ak-
tuellen Diskurs zum Klimawandel und die angemahnte „Große Transformation“ (WBGU, 2011)
– ein neues Gefühl der Dringlichkeit. Tatsächlich könnten sich Zeitfenster zum Gegensteuern
in vielen Handlungsfeldern des Natur- und Umweltschutzes in absehbarer Zeit schließen. Das
Bewusstsein über den bestehenden Handlungsbedarf ist also mehrheitlich in der Bevölkerung
vorhanden. Bleibt die Frage, wer eigentlich handeln sollte und worin effektives Handeln beste-
hen kann. Typischerweise kommen zwei Antworten in Frage: Zum einen könnten politische
bzw. kollektive Akteure, wie Regierungen, aber auch Parteien oder Bewegungen die Rahmen-
bedingungen für ökologiefreundliches Handeln schaffen, beispielsweise durch Gesetzesinitia-
tiven oder Verteilung öffentlicher Mittel. Zum anderen könnten Einzelne ihr alltägliches Han-
deln (z. B. im Konsum- oder Verkehrsbereich) naturfreundlich ausrichten. In der Naturbewusst-
seinsstudie 2017 wurde untersucht, wovon es abhängt, dass Einzelne sich sowohl in ihrem
Alltagshandeln als auch im Rahmen kollektiver Bewegungen für den Schutz der Natur enga-
gieren und welches die wichtigsten Treiber und Barrieren naturfreundlichen Handelns sind.
Die Frage nach den Antrieben natur- und umweltfreundlichen Handelns wird seit den 1970er
Jahren unablässig gestellt. Insbesondere deshalb, weil die Aktivierung der oder des Einzelnen,
insbesondere in demokratischen Gesellschaften, als das notwendige Nadelöhr erscheint, das
eine Veränderung von Verhaltens- und Konsummustern passieren muss. Außerdem erhoffen
sich Praktikerinnen und Praktiker im Natur- und Umweltschutz zu Recht Hinweise darauf, an
welchen „Stellschrauben“ menschlichen Denkens denn zu drehen ist, um ökologisches Han-
deln zu fördern. Ihnen geht es hierbei sowohl um die Nutzung von Angeboten (z. B. Biolebens-

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mittel, ökologischer Fahrradtourismus, naturnahes Gärtnern) oder das Einhalten von Richtli-
nien und Verboten im Alltagshandeln (z. B. Verwendung und Entsorgung umweltschädlicher
Substanzen, Verhalten in Schutzgebieten) wie auch um die politische Akzeptanz von Natur-
und Umweltschutzmaßnahmen oder kollektives Engagement (z. B. in Umweltorganisationen,
Bürgerbegehren, etc.). Dieser Ergebnisbericht wendet sich daher nicht nur an die interessierte
Öffentlichkeit und Wissenschaft, sondern insbesondere an Praktikerinnen und Praktiker, die
sich von den Ergebnissen Anhaltspunkte für ihr Interventionshandeln erhoffen.

Kausalfaktoren des Naturschutzhandelns
Die Naturbewusstseinsstudie 2017 bietet einen in seinem inhaltlichen Auflösungsgrad bislang
einmaligen Überblick über die Kausalfaktoren des Naturschutzhandelns. Dieser besondere
Fokus hebt die 2017er-Studie von den seit dem Jahr 2009 im Zweijahresabstand durchgeführ-
ten Repräsentativbefragungen der deutschen Wohnbevölkerung zu Meinungen und Überzeu-
gungen zu Natur und Naturschutz ab.

Personale Faktoren
Grundlage ist hierbei zum einen die Einsicht, dass tatsächliches Alltagshandeln im Natur-
schutz in der Regel nicht nur von Wissen, Werthaltungen und Einstellungen zur Natur abhängt.
Diese sog. „Einstellungs-Verhaltensdiskrepanz“ (Ajzen & Fishbein, 1977; Bamberg & Möser,
2007; Hines et al., 1987; Kraus, 1995) ist wohl die größte Enttäuschung – aber auch die inte-
ressanteste Erkenntnis – der Forschung zum Umweltbewusstsein. Für das Handeln von Men-
schen ist also nicht nur wichtig, ob sie etwas grundsätzlich moralisch oder aus sonstigen Na-
turschutzüberlegungen für geboten halten (Klöckner, 2013). Gleichzeitig darf ein solches Han-
deln anderen moralischen oder persönlichen Zielen (z. B. Geldsparen, Bequemlichkeit, Ge-
sundheitsschutz) nicht entgegenstehen. Ebenso müssen Personen der Überzeugung sein, die
Handlung überhaupt ausführen bzw. ihre Handlungsziele (z. B. effektiver Artenschutz) auch
erreichen zu können. Fehlt diese persönliche Selbstwirksamkeit, unterbleibt nicht nur persön-
liches Handeln, sondern Personen nehmen sich noch nicht einmal mehr vor, etwas zu tun.

Kollektive Faktoren
Betrachtet man die hohe physikalische und soziale Komplexität und Dynamik globaler Natur-
und Umweltprobleme, wie das Artensterben oder den Klimawandel, ist es nachvollziehbar,
dass Menschen angesichts mangelnder individueller Handlungsmöglichkeiten häufig wie pa-
ralysiert sind. Beobachtbare Verbesserungen in globalen Natur- und Umweltkrisen kann eine
Einzelne oder ein Einzelner faktisch nicht erreichen. Der persönliche Verzicht auf Fernreisen,
auf die Schillerlocke im Brötchen oder das Pflücken geschützter Pflanzenarten hat keinen für
den Handelnden beobachtbaren Effekt auf die globale Erdmitteltemperatur, die Bestandsent-
wicklung des Dornhais oder die Erhaltung eines Naturschutzgebiets. Veränderungen wirken

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stets nur im Kollektiv. Wenn aber die Bevölkerungen ganzer Regionen, Generationen oder
Interessengruppen ihre Verhaltens- und Konsummuster ändern, sind – auf mittlere Sicht –
durchaus Effekte auf globale Umweltindikatoren zu erwarten. Aus diesem Grund sollten Men-
schen insbesondere dann motiviert sein, naturfreundlich zu handeln, wenn sie ihr individuelles
Verhalten als Teil kollektiven Handelns verstehen.
Tatsächlich zeigt die psychologische Forschung, dass Menschen sich über weite Strecken des
Alltags durchaus im Sinne relevanter – wenngleich wechselnder – Gruppenmitgliedschaften
verhalten. So verändert sich das Denken und Verhalten von Personen, wenn unterschiedliche
Gruppenzugehörigkeiten im Alltag relevant werden. Man denke nur an entsprechende Verän-
derungen im Denk- und Verhaltensrepertoire eines fiktiven berufstätigen Vaters, der zu Ta-
gesbeginn liebevoll die Schulkinder motiviert, tagsüber bei der Arbeit Autos verkauft und
abends an der Sitzung des örtlichen Naturschutzvereins teilnimmt. Würde man diese Person
bei der Ausübung ihres Berufs als Autohändler auf Umweltbelange, wie den Treibstoffver-
brauch eines PKW ansprechen, sähe die Reaktion mutmaßlich anders aus, als wenn das glei-
che Thema bei der Sitzung des Naturschutzvereins zur Sprache käme. Während der Treib-
stoffverbrauch für den Autoverkäufer nur eines unter vielen Merkmalen, und daher nicht be-
sonders wichtig wäre, würde der abendliche Naturschützer im Kreise seiner Gesinnungsge-
nossinnen und -genossen die Entscheidung über einen eigenen Neuwagen in viel stärkerem
Maße von dessen Verbrauch abhängig machen. Ob und wann Menschen im Sinne ihrer sozi-
alen Identität, also einer bestimmten Vorstellung von „Wir“ auf die Welt blicken und in der Welt
handeln, sollte insbesondere von drei Merkmalen abhängen (Fritsche et al., 2018a, 2018b):
•   Soziale Identifikation: Wie sehr definiert sich die Person über ihre Zugehörigkeit in der
    Gruppe?
•   Kollektive Norm: Wie sehr nimmt die Person wahr, dass Naturschutzhandeln innerhalb
    der Gruppe eine implizite oder explizite Regel oder das Handeln der Mehrheit darstellt?
•   Kollektive Wirksamkeit: Wie sehr nimmt die Person wahr, dass die Gruppe wirksam zum
    Naturschutz beitragen kann bzw. in diesem Bereich handlungsfähig ist?
In 2017 wurden im Rahmen der Studienreihe Naturbewusstsein des Bundesamtes für Natur-
schutz (BfN) und des Bundesumweltministeriums (BMU) 2.065 in Deutschland lebende Per-
sonen sowohl hinsichtlich personaler als auch kollektiver Kausalfaktoren des Naturschutzhan-
delns untersucht. Dazu gehören zum einen das persönliche Problembewusstsein, persönliche
Einstellungen und moralische Verpflichtungswahrnehmungen („persönliche Norm“) und zum
anderen kollektive Identifikation, wahrgenommene kollektive Norm und kollektive Wirksamkeit.
Bei der kollektiven Bezugsgruppe handelte es sich – je nach Version des Fragebogens – ent-
weder um die Menschen der eigenen Region oder um die gesamte Menschheit. Im vorliegen-
den Bericht untersuchen wir sowohl die Ausprägung der Kausalfaktoren als auch deren Ein-
fluss auf individuelle Verhaltensintentionen und tatsächliches Verhalten. Wir betrachten dabei

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insbesondere die kollektiven Faktoren. Die Intentionen betreffen sowohl individuelles Alltags-
handeln als auch die Bereitschaft an kollektiv-aktivistischen Handlungsformen teilzunehmen.

Struktur des Berichts
Wir informieren im Folgenden über die wesentlichen verhaltenswissenschaftlichen Ergebnisse
der Naturbewusstseinsstudie 2017 und stellen anschließend deren anwendungsorientierte Im-
plikationen dar. Die Basisdatenbroschüre „Naturbewusstsein 2017“ wurde im Sommer 2018
veröffentlicht und steht im Internet unter www.bfn.de/naturbewusstsein.html zum freien Abruf
bereit. Der vorliegende Bericht stellt vertiefende wissenschaftliche Auswertungen zur Natur-
bewusstseinsstudie 2017 vor. Wir wenden uns in diesem Bericht jedoch nicht nur an Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern auch an die interessierte Öffentlichkeit sowie ins-
besondere an Naturschutzpraktikerinnen und -praktiker. Weiterführende wissenschaftliche
Auswertungen werden parallel für die Publikation in internationalen Fachzeitschriften vorbe-
reitet. Zunächst geben wir einige Hinweise zu den theoretischen Hintergründen der Studie, so
dass deutlich wird, aus welchen bestehenden Erklärungsmodellen wir die erfassten Konstrukte
abgeleitet haben. Danach folgen Details zum Aufbau der Studie.
Anschließend stellen wir die wichtigsten Ergebnisse der Studie dar. Hierbei geht es uns um
die Ausprägung der Kausalfaktoren und deren Einfluss auf die erfragten Verhaltensintentionen
bzw. das in der Studie gezeigte Verhalten. Auch interessiert uns die relative Bedeutsamkeit
von Faktoren des personalen („Ich“) gegenüber jenen des kollektiven („Wir“) Denkens.
Schließlich präsentieren wir ein integriertes Modell, in dem erstmals personale und kollektive
Wirkfaktoren pro-ökologischen Handelns innerhalb eines Modells in Beziehung gesetzt wer-
den.

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2 Theoretischer Hintergrund
       Die umweltpsychologische Forschung hat während der letzten vier Jahrzehnte ver-
schiedene Modelle zur Erklärung von individuellen umweltschützenden Handlungsintentionen
und tatsächlichem Umweltschutzverhalten vorgeschlagen. Dieses Wissen ist wertvoll, um die
Effizienz von Interventionen zu maximieren, die darauf zielen, Umweltschutzverhalten sowohl
im persönlichen als auch im politischen Alltag zu fördern. In ihrem umfassenden Modell haben
Klöckner und Blöbaum (2010) drei der innerhalb der Umweltpsychologie am häufigsten ange-
wandten Theorien zusammengefasst: Die Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1991;
Ajzen & Madden, 1986), das Norm-Aktivations-Modell (Schwartz & Howard, 1981; Schwartz,
1977) und die Value-Belief-Norm Theorie (Stern, 2000).
Nach der Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1991; Ajzen & Madden, 1986) haben Ver-
haltensintentionen einen direkten Einfluss auf das Verhalten. Intentionen resultieren ihrerseits
aus positiven Einstellungen (verstanden als positive Bewertung gegenüber einem Verhalten
im Sinne einer persönlichen Kosten-Nutzen-Rechnung), einer hohen Verhaltenskontrolle (die
Fähigkeit, ein bestimmtes Verhalten ausführen zu können) und subjektiven Normen (die wahr-
genommene Erwartung seitens wichtiger Bezugspersonen ein bestimmtes Verhalten (nicht)
zu zeigen). Menschen, die eine positive Einstellung zum Umweltschutz haben, also einen Nut-
zen darin sehen (z. B. Erhalt der Existenzgrundlage für sich und ihre Nachkommen), deren
relevante Bezugspersonen umweltfreundliches Verhalten wertschätzen und die zudem glau-
ben, etwas zum Schutz der Umwelt beitragen zu können (Verhaltenskontrolle oder auch per-
sönliche Selbstwirksamkeit), sollten demnach motiviert sein, die Umwelt zu schützen. Das Mo-
dell konnte in vielen unterschiedlichen Bereichen und Kontexten empirisch bestätigt werden,
wie im Zusammenhang mit Recycling (Oreg & Katz-Gerro, 2006), oder der Wahl von ökologi-
schen Produkten (Chen & Peng, 2012; Tarkiainen & Sundqvist, 2005) und Lebensmitteln
(Dean et al, 2012; Paul et al., 2016). Meta-analytische Studien zeigten, dass diese drei Vari-
ablen – Einstellungen, Verhaltenskontrolle und subjektive Normen – zwischen 30 und 50 %
der Varianz im Umweltverhalten vorhersagen können (Armitage & Conner, 2001; Bamberg &
Möser, 2007).
Auch das Norm-Aktivations-Modell (Schwartz & Howard, 1981; Schwartz, 1977), ursprünglich
entwickelt, um prosoziales, altruistisches Verhalten zu erklären, wurde zur Vorhersage von
Umweltverhalten herangezogen (Matthies et al., 2006). Dabei wirkt die persönliche moralische
Verpflichtung (oder „persönliche Norm“) als die treibende Kraft für umweltfreundliches Verhal-
ten, vorausgesetzt, dass ein Problem (z. B. der Klimawandel) als solches überhaupt wahrge-
nommen wird (Problembewusstsein), Menschen sich der Konsequenzen ihres Verhaltens be-
wusst sind (Bewusstsein über die Handlungskonsequenzen), sich gleichzeitig (z. B. für den
Schutz der Umwelt) verantwortlich fühlen (Verantwortungsbewusstsein) und zudem glauben,

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mit ihrem Verhalten etwas zur Bekämpfung der Umweltprobleme beitragen zu können (per-
sönliche Selbstwirksamkeit). Innerhalb der Forschung wurde das Modell vielfach adaptiert, um
umweltfreundliches Verhalten in unterschiedlichen Kontexten zu erklären, so bei der Wahl um-
weltfreundlicher Fortbewegungsmittel (Hunecke et al. 2001; Nordlund & Garvill, 2003) oder
der Müllentsorgung (Van Liere & Dunlap, 1978) sowie im Rahmen sozialer Bewegungsbeteili-
gung (Stern et al., 1999).
Aufbauend auf den Annahmen des Norm-Aktivations-Modells ergänzte Stern (2000) in seiner
Value-Belief-Norm Theorie generelle Werte und eine ökologische Weltanschauung („New En-
vironmental Paradigm“, NEP; Dunlap et al., 2000) zur Vorhersage umweltfreundlichen Verhal-
tens. Diese Weltanschauung beinhaltet verschiedene ökologische Überzeugungen über die
Mensch-Natur-Beziehung wie beispielsweise die Gefährdung des natürlichen Gleichgewichts
durch den Menschen, die Begrenztheit natürlicher Ressourcen und Grenzen industriellen
Wachstums sowie die Notwendigkeit, mit der Natur in Einklang zu leben. In mehreren Studien
konnten Stern und Kollegen (Stern et al., 1993; Stern et al., 1995) zeigen, dass verschiedene
Werte einen Einfluss auf ökologische Überzeugungen haben. Während biosphärische Werte
(Schutz der Natur um ihrer selbst willen) und altruistische Werte (Naturschutz z. B. aus Grün-
den sozialer Gerechtigkeit, Erhalt der Natur für nachfolgende Generationen) Naturschutzinten-
tionen eher erhöhen, stehen egoistische Werte (eigene Gesundheit) diesem Verhalten ten-
denziell entgegen (Gagnon Thompson & Barton, 1994; Klöckner, 2013; Milfont et al., 2006;
Poortinga et al., 2004; Schultz et al., 2005; Stern et al., 1993). Ebenso wie in der Theorie des
geplanten Verhaltens und der Norm-Aktivations-Theorie ist auch hier die persönliche Norm
der zentrale Prädiktor für umweltfreundliches Verhalten. Laut Stern (Stern, 2000) ist das Wer-
teprofil einer Person damit verknüpft, ob Personen wahrnehmen, mit ihrem Verhalten zu Um-
weltschäden beizutragen (Bewusstsein über Konsequenzen des eigenen Verhaltens) und Ver-
antwortung gegenüber der Umwelt empfunden wird (Verantwortungsbewusstsein). Dies führt
letztendlich zur persönlichen Verpflichtung, die Umwelt zu schützen (persönliche Norm) und
sich umweltfreundlich zu verhalten.
Ungeachtet ihrer Relevanz zur Vorhersage umweltfreundlichen Verhaltens können die oben
vorgestellten Modelle nicht alle Verhaltensweisen gleich gut erklären. Dies gilt beispielsweise
für wiederholt ausgeführtes Verhalten. Aus Verhaltensweisen, die immer wieder gezeigt wer-
den und die zum gewünschten Ziel führen, entstehen im Laufe der Zeit Gewohnheiten.
Ouellette und Wood (1998) fanden in ihrer Meta-Analyse, dass, je häufiger Verhalten gezeigt
wird (täglich oder wöchentlich), desto automatischer wird es ausgeführt und desto weniger ist
es von Einstellungen oder situativen Bedingungen beeinflusst. Dies gilt auch für Umwelthan-
deln. In einer Studie zur Wahl umweltfreundlicher Transportmittel zeigten Klöckner et al.
(2003), dass stark ausgeprägte Gewohnheiten einen starken Einfluss ausüben und das Gefühl

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einer persönlichen Verpflichtung sich umweltfreundlich zu verhalten, sogar schwächen kön-
nen. Dagegen hatte eine stark ausgeprägte Norm einen signifikanten Einfluss auf das Verhal-
ten, wenn die Gewohnheit, z. B. mit dem Auto zur Arbeit zu fahren, schwach ausgeprägt war.
Weitere Studien bestätigten Gewohnheiten zur Vorhersage der Verkehrsmittelwahl (Klöckner
et al., 2003; Verplanken et al., 1998) und Lebensmittelverschwendung (Russell et al., 2017)
bzw. Kauf nachhaltiger Lebensmittel (Biel et al., 2005) sowie im Zusammenhang mit Recycling
(Klöckner & Oppedal, 2011).
Diese Befunde haben Klöckner & Blöbaum (2010) zusammen mit den drei zuvor genannten
Modellen - Theorie des geplanten Verhaltens, Norm-Aktivations-Modell, Value-Belief-Norm
Theorie - im Comprehensive Action Determination Modell (s. Abbildung 1) integriert und damit
um den wichtigen Einflussfaktor, die Gewohnheit, ergänzt. Damit konnten die Autoren einer-
seits die Komplexität umweltpsychologischer Theorien durch den Fokus auf die wirksamsten
Faktoren reduzieren. Gleichzeitig wurde die Vorhersage von individuellem Umweltverhalten
über eine größere Bandbreite von Kontexten ermöglicht. Zentraler Wirkfaktor ist die persönli-
che Norm, die einen direkten Einfluss auf Intentionen hat und, über diese vermittelt, indirekt
auf das Verhalten wirkt. Die Wirkzusammenhänge zwischen den einzelnen Variablen, konnten
auch meta-analytisch bestätigt werden (Klöckner, 2013).

Abbildung 1. Das Comprehensive Action Determination Model (in Anlehnung an Klöckner,
2013).

Das Social Identity Model of Pro-Environmental Action (SIMPEA)
Determinanten umweltfreundlichen Verhaltens werden in den beschriebenen Modellen sowie
in der bisherigen umweltpsychologischen Literatur in erster Linie als persönliche Entschei-
dungsprozesse verstanden (Bamberg & Möser, 2007). Umweltkrisen sind jedoch durch ein
Kollektiv verursacht und können nicht von Einzelnen, sondern nur im Kollektiv bewältigt wer-
den (Fritsche et al., 2018b). Entsprechend fühlen sich Menschen angesichts globaler Umwelt-
krisen oft hilflos. Eine Möglichkeit diese Hilflosigkeit zu überwinden und Umweltverhalten zu

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