Landwirtschaft in der Stadt 1950 bis 2050: Vom Schrebergarten zum Skyfarming

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Landwirtschaft in der Stadt 1950 bis 2050: Vom Schrebergarten zum Skyfarming
Landwirtschaft in der Stadt 1950 bis 2050:
Vom Schrebergarten zum Skyfarming
Landwirtschaft in der Stadt 1950 bis 2050: Vom Schrebergarten zum Skyfarming
Inhalt
Einführung                                    3

Städtische Landwirtschaft –
Herausforderungen und Potenziale              6

Landwirtschaft spielt wichtige Rolle
bei Transformation der Städte                10

Urban Gardening in Berlin –
am Wandel teilhaben, Wandel mitgestalten     14

Prinzessinnengarten Berlin –
partizipative Stadtentwicklung im Tetrapak   17

»Urban Agriculture ist keine Nebensache«     22

Frauenpower dank Kühen,
Hühnern und Gemüse                           25

Voll im Trend – Community Gardening
in New York City                             28

Zeitvertreib oder wirtschaftliche Basis? –
Anforderungen an und Herausforderungen
für Urban Agriculture                        29

Rooftop Farming oder:
Wenn das Dach zum Garten wird                31

Reis aus dem Hochhaus –
mehr als eine Utopie?                        36

Wohlbefinden und Akzeptanz –
die neuen Technologien treffen auf
wohlwollende Skepsis                         39

Für GIZ zunehmend wichtiges Thema            41

Die Videoclips                               42
Landwirtschaft in der Stadt 1950 bis 2050: Vom Schrebergarten zum Skyfarming
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    Impressum                                                                                            Einführung                                          3
    Als Bundesunternehmen unterstützt die GIZ die deutsche Bundesregierung bei der Erreichung            Das Symposium Landwirtschaft in der Stadt
    ihrer Ziele in der Internationalen Zusammenarbeit für nachhaltige Entwicklung.                       von 1950 bis 2050: Vom Schrebergarten zum
                                                                                                         Skyfarming beleuchtete unterschiedliche
    Herausgeber                                                                                          Modell städtischer Landwirtschaft. Angefangen
    Deutsche Gesellschaft für                                                                            von deutschen Schrebergärten der 1950er Jahre
    Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH                                                             über aktuelle Beispiele aus Entwicklungs- und
                                                                                                         Schwellenländern bis hin zu agrartechnologischen
    Sitz der Gesellschaft                                                                                Zukunftsvisionen wurde den Teilnehmen
    Bonn und Eschborn                                                                                    die Bandbreite städtischer Landwirtschaft
                                                                                                         präsentiert. Vorträge, Präsentationen und
    Friedrich-Ebert-Allee 40                                                                             Interviews wechselten sich mit Videoclips ab, die
    53113 Bonn                                                                                           Impressionen städtischer Landwirtschaft aus aller
    Telefon: +49 228 44 60-0                                                                             Welt zeigten.
    Fax: +49 228 44 60-17 66
                                                                                                         Wie lassen sich die bisherigen Ansätze fördern
    Dag-Hammarskjöld-Weg 1-5                                                                             und weiterentwickeln? Wie realistisch sind
    65760 Eschborn                                                                                       »konkrete« Utopien wie das Skyfarming, bei dem
    Telefon: +49 61 96 79-0                                                                              sich Megastädte in Zukunft aus mehrstöckigen
    Fax: +49 61 96 79-11 15                                                                              Gewächshäusern mit Grundnahrungsmitteln
                                                                                                         versorgen? Dies waren die zentralen Fragen,
    E-Mail: info@giz.de                                                                                  denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der
    Internet: www.giz.de                                                                                 Veranstaltung in den Diskussionen nachgingen.

    Verantwortlich: Abteilung Ländliche Entwicklung und Agrarwirtschaft                                  Die vorliegende Dokumentation gibt einen
    (E-Mail: rural.development@giz.de)                                                                   Überblick über den gegenwärtigen Stand der
                                                                                                         Diskussion zu städtischer Landwirtschaft.
    Autor / Redaktion: Beate Wörner (Autorin), Martina Wegner, Caroline Schäfer,                         Sie zeigt die Herausforderungen und
    Oliver Hanschke (Redaktion)                                                                          Chancen auf, die mit dieser Form der
                                                                                                         Nahrungsmittelproduktion verbunden sind.
    Fotonachweise:                                                                                       Und nicht zuletzt spiegelt sich in ihr auch die
    Umschlaginnenseiten: © GIZ / Ostermeier; Seite 4: AVRDC - The World Vegetable Center;                entwicklungspolitische Auseinandersetzung mit
    kleines Bild: Youtube; Seite 12: Prinzessinnengärten; kleines Bild: Youtube; Seite 20: AVRDC -       dem Thema.
    The World Vegetable Center; kleines Bild: GIZ; Seite 34: dpa; kleines Bild: Youtube; Seite 40: dpa

    Gestaltung: FLMH | Labor für Politik und Kommunikation. www.flmh.de

    Druck: sprintout. www.sprintout-berlin.de

    Gedruckt auf 100 % Recyclingpapier, nach FSC-Standards zertifiziert

    Eschborn, September 2012
Landwirtschaft in der Stadt 1950 bis 2050: Vom Schrebergarten zum Skyfarming
»Die Städte werden ländlicher werden
    Lidewij Edelkoort, Trendforscherin aus Paris
4                                                         5
               und die ländlichen Gebiete städtischer.«
Landwirtschaft in der Stadt 1950 bis 2050: Vom Schrebergarten zum Skyfarming
Städtische Landwirtschaft –                                                                                In Ländern, in denen die Frauen in ihrer per-
                                                                                                               sönlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit
                                                                                                                                                                     Städtische Landwirtschaft ist auch ein guter
                                                                                                                                                                     Biomüll-Verwerter. Statt auf die Mülldeponie zu

6   Herausforderungen                                                                                          stark eingeschränkt sind, kann städtische Land-
                                                                                                               wirtschaft zu ihrem Empowerment beitragen. Ein
                                                                                                               Beispiel dafür ist Afghanistan. Dort fördert die
                                                                                                                                                                     wandern, werden die organischen Abfälle
                                                                                                                                                                     kompostiert und als Dünger genutzt. Das spart
                                                                                                                                                                     zum einen wertvolle Ressourcen, zum anderen
                                                                                                                                                                                                                           7

    und Potenziale                                                                                             GIZ in den Provinz- und Distrikthauptstädten
                                                                                                               im Norden des Landes städtische Landwirtschaft
                                                                                                               speziell für Frauen. Durch ihre wirtschaftliche Tä-
                                                                                                                                                                     gelangt so weniger klimaschädliches Methan aus
                                                                                                                                                                     den Mülldeponien in die Atmosphäre.

    Eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse.                                                          tigkeit können sie sich untereinander vernetzen,      All diese positiven Umweltwirkungen im
                                                                                                               ihr Status in der Gemeinschaft steigt. Vor allem      Verbund mit der Schaffung von Einkommen und
                                                                                                               aber verdienen sie Geld durch den Verkauf von         Arbeit sind daher bereits für viele Stadtverwaltun-
    Landwirtschaft und Stadt, das ist kein Gegensatz,     im eigenen Garten an. Kleingärten oder Schre-        Gemüse und Milch und bessern damit das Fami-          gen Grund genug, die städtische Landwirtschaft
    obwohl es auf den ersten Blick vielen etwas           bergärten waren gerade auch nach dem Zweiten         lieneinkommen auf. Diese Entwicklung brachte          zu fördern. Das ist ein großer Schritt vorwärts,
    befremdlich erscheinen mag. Landwirtschaft und        Weltkrieg heiß begehrt. Eine Familie, die einen      den Frauen mehr Mitspracherechte in der Fami-         denn bis in die jüngste Vergangenheit wurde
    Stadt sind vielerorts eine Symbiose miteinander       solchen Garten hatte, konnte sicher sein, dass sie   lie, aber auch in der Gemeinschaft. Die nutzen sie    Landwirtschaft in der Stadt ignoriert oder besten-
    eingegangen, selbst wenn Städte bislang               das ganze Jahr mehr zu essen hatte.                  und setzten sich für eine bessere Ausbildung ihrer    falls toleriert. Rechtsicherheit genoss sie bislang
    meist nur als Ansammlung von Verbrauchern             In den Schwellen- und Entwicklungsländern            Töchter ein.                                          nicht.
    wahrgenommen werden. Produziert werden                erfüllen die Gärten und landwirtschaftlichen
    die Nahrungsmittel auf dem Land und dann in           Flächen in und um die Stadt auch heute noch          Gut für die Umwelt                                    Integration und Teilhabe an der
    die Stadt transportiert, oft über tausende von        diese Funktion. Die Erzeugung von zusätzlichen                                                             Stadtentwicklung
    Kilometern.                                           hochwertigen Nahrungsmitteln und zusätzlichem        Unbestritten ist, dass städtische Landwirtschaft
                                                          Einkommen steht hier im Vordergrund der land-        auch einen Umweltnutzen hat. Reduzierung der          Städtische Landwirtschaft wirkt integrativ. Das
    Städtische Landwirtschaft ist nichts Neues            wirtschaftlichen und gärtnerischen Aktivitäten.      Transportwege, Speicherung von Kohlendioxid           gilt sowohl für Entwicklungs- als auch für Indus-
                                                                                                               und Katastrophenvorsorge sind einige der positi-      trieländer. In den Metropolen der Entwicklungs-
    Aber das war nicht immer so. Auch nicht in den        Ernährungssicherung und zusätzliches                 ven Umweltaspekte. Werden Steilhänge agroforst-       länder hilft sie den Menschen, die vom Land in
    Industrieländern. Bis weit in die zweite Hälfte des   Einkommen                                            wirtschaftlich genutzt, beugt das bei starken Re-     die Stadt kommen, sich besser und schneller zu-
    20. Jahrhunderts hinein bauten viele Städter auch                                                          genfällen Hangrutschen vor. Auch die Folgen von       rechtzufinden und soziale Kontakte in der neuen
    bei uns in Deutschland ihr Obst und Gemüse            Arme städtische Familien in Entwicklungsländern      Überschwemmungen werden gemildert. Wird in            Umgebung aufzubauen. Sie bietet den Menschen
                                                          geben rund 60 Prozent ihres Einkommens für           tiefer gelegenen Gebieten in der Stadt und um         einen gewissen Halt. Es ist ihnen möglich, das
                                                          Nahrungsmittel aus, Preissteigerungen treffen die-   die Stadt Landwirtschaft oder Gartenbau betrie-       zu machen, was sie am besten können, nämlich
                                                          se Gruppe besonders hart. Städtische Landwirt-       ben, bleiben diese Flächen frei von Besiedlung        Landwirtschaft. Beispielsweise sind in Lima 90
                                                          schaft kann diese Folgen abmildern und darüber       durch Häuser. So kommen im Katastrophenfall           Prozent derer, die städtische Landwirtschaft be-
                                                          hinaus eine wichtige Einkommensquelle sein.          keine Menschen zu Schaden. Außerdem ver-              treiben, zugewanderte Bauern aus dem umgeben-
                                                          Vielerorts liegt der Gewinn über dem gesetzlichen    bessern Grünflächen das städtische Mikroklima         den Hochland.
                                                          Mindestlohn. Bereits heute wird rund ein Fünftel     und leisten einen Beitrag zur Resilienz gegenüber
                                                          der Nahrungsmittel, die in den Städten benötigt      Klimaveränderungen. Insbesondere wird so der          Integration ist auch in den Industrieländern eine
                                                          werden, in diesen selbst und in ihrer näheren        Temperaturanstieg innerhalb der Städte etwas          sehr wichtige Funktion der städtischen Landwirt-
                                                          Umgebung produziert. Vor allem die städtischen       gemildert.                                            schaft und des urbanen Gärtnerns. Beispielsweise
                                                          Armen erzeugen etwa drei Viertel ihrer Nah-                                                                für den Prinzessinnengarten in Berlin. Er ist 2009
                                                          rungsmittel selbst.                                                                                        am Moritzplatz in Berlin-Kreuzberg aus einer
                                                                                                                                                                     privaten Initiative heraus entstanden und hat sich
                                                                                                                                                                     innerhalb kürzester Zeit zum Mittelpunkt für
                                                                                                                                                                     die Bewohner ringsherum entwickelt. Hautfarbe,
                                                                                                                                                                     Nationalität, gärtnerisches Wissen und Können,
                                                                                                                                                                     das alles spielt keine Rolle. Im Mittelpunkt steht
                                                                                                                                                                     das gemeinsame Machen und Gestalten. Nicht
                                                                                                                                                                     nur des Gartens, sondern auch des Stadtviertels.
Es ist diese Teilhabe an der Stadtentwicklung,                                                            Städtische Landwirtschaft konzentriert sich der-
    das Mitbestimmen darüber, wie das eigene Le-                                                              zeit auf den Anbau von Gemüse und Obst sowie
    bensumfeld aussieht, was die »Stadtgärtner« und                                                           auf die Tierhaltung. Grundnahrungsmittel wie
    »Stadtbauern« in Industrieländern schätzen. So       Noch ist Landwirtschaft im Allgemeinen und           Weizen, Mais oder Reis werden nicht angebaut.       qualitativ hochwertiges Trinkwasser verwendet
8   ziehen zum Beispiel inzwischen verstärkt junge       auch städtisches Gärtnern an Boden gebunden.         Noch nicht – aber wissenschaftliche Modelle         wird. Inzwischen wird auch an der Nutzung von        9
    Menschen nach Detroit, weil sie auf den Brach-       Doch die Agrarflächen werden knapp. Seit Mitte       hierfür gibt es schon, wie von der Uni Hohen-       Abwässern für die Pflanzenbewässerung geforscht,
    flächen Landwirtschaft betreiben und gärtnern        des vergangenen Jahrhunderts hat sich die welt-      heim vorgestellt. Skyfarming, die Produktion        denn dies wäre eine Alternative zu kostbarem und
    können. Und zwar so, wie sie es wollen. Die Stadt    weit verfügbare Ackerfläche pro Kopf etwa hal-       von Grundnahrungsmitteln in Hochhäusern, ist        kostspieligem Trinkwasser. Doch die Verwendung
    hat genügend freie Flächen. Seit Jahren schon lei-   biert, und sie wird noch weiter abnehmen. Auch       ein solches. Die Flächenerträge könnten 40-mal      von Brauchwasser ist problematisch, denn es ist,
    det sie unter Bevölkerungsschwund, die Industrie     die landwirtschaftlichen Erträge steigen nur noch    höher sein als die derzeitigen auf den Feldern.     wenn überhaupt, meistens nur unzureichend
    ist teilweise abgewandert.                           langsam, vor allem bei Grundnahrungsmitteln.         Allerdings ist der Getreideanbau im Hochhaus        gereinigt und daher hygienisch bedenklich. Um
                                                         Daher suchen die Wissenschaftler nach anderen        noch nicht mehr als ein wissenschaftliches Modell   dieses Potenzial für die städtische Landwirtschaft
    Die Stadtverwaltung ist froh über ihre neuen         Lösungen.                                            der Universitäten. Viele Fragen sind noch offen,    zu nutzen, braucht es klare Regelungen, techni-
    Bürger. Von den Flächen trennen will sie sich                                                             der zusätzliche Forschungsbedarf ist immens.        sche Systeme zur Aufbereitung, zuverlässige Kont-
    allerdings nicht, sie bleiben nach wie vor in        Die Zukunft hat bereits begonnen                     Doch die Forscher versprechen sich ein gewaltiges   rollen und vor allem auch private Investitionen.
    städtischem Besitz. Das ist ein Problem, mit                                                              Innovationspotenzial vom Skyfarming.
    dem alle leben müssen, die in Großstädten wie        Rooftop Farming ist solch ein neues Modell.                                                              Auch die städtische Tierhaltung stellt Entwick-
    Berlin, Detroit oder auch New York städtische        Dabei werden auf den Dächern bereits bestehen-       Herausforderungen sind                              lungsplaner und Gesundheitsexperten vor Her-
    Landwirtschaft betreiben. Sie sind nur Zwischen-     der Gebäude Gewächshäuser gebaut, in denen           Wasserverbrauch und Tierhaltung                     ausforderungen. Die Tierhaltung ermöglicht häu-
    nutzer, wenn die Kommunalverwaltung eine             dann Gemüse gezogen wird. Wasser- und Ener-                                                              fig vor allem Frauen ein zusätzliches Einkommen.
    andere, finanziell oft profitablere Verwertung für   giekreisläufe sind integriert, die Gewächshäuser     Ohne weitere Forschung werden die mit städ-         Das enge Zusammensein von Mensch und Tier
    die Grundstücke findet, ist dies das Aus für die     sind ressourceneffizient und umweltfreundlich          tischer Landwirtschaft verknüpften besonderen       wird jedoch von Verwaltungen oft kritisch gese-
    Gärten mitten in der Stadt. Entsprechend kurz        – und sie haben Potenzial. Modellrechnungen des      Herausforderungen nicht zu meistern sein. Das       hen. Grund ist die erhöhte Übertragungsgefahr
    sind auch die Pachtzeiten, die Planungssicherheit    Fraunhofer Instituts für Umwelt, Sicherheit und      gilt nicht nur für Zukunftsmodelle wie Rooftop-     von Tierkrankheiten auf den Menschen.
    ist gering. Trotzdem geht der Trend dahin, solche    Energietechnologie (UMSICHT) haben ergeben,          und Skyfarming. Im Blick haben Forscher und
    Gärten auf kommunalen Grundstücken kommer-           dass die Erträge etwa 10- bis 20-mal höher liegen    Praktiker den teilweise beträchtlichen Wasser-      Städtische Landwirtschaft
    ziell zu betreiben. Das ist in New York ebenso der   als bei der bodenbasierten Landwirtschaft. So las-   bedarf im Gartenbau, zumal vielerorts fast nur      allein reicht nicht
    Fall wie in Berlin. Gleichzeitig gehen die Groß-     sen sich beispielsweise auf einer Fläche von 1.000
    städte dazu über, das urbane Gärtnern in groben      Quadratmetern pro Jahr 45.000 Kilogramm Ge-                                                              Als primäres Instrument zur Bekämpfung des
    Zügen zu regeln; auch, um eingreifen zu können,      müse erzeugen, das entspricht dem Jahresbedarf                                                           Hungers ist städtische Landwirtschaft derzeit
    wenn sich hier Wildwuchs breitmacht.                 von 4.000 Menschen. Auch der Umwelteffekt                                                                nur eingeschränkt tauglich. Die Reduzierung der
                                                         wäre beachtlich. Würden alle dafür geeigneten                                                            Nachernteverluste oder die Steigerung der klein-
    Städtische Landwirtschaft spart                      Flachdächer in Deutschland für Rooftop Farming                                                           bäuerlichen Produktion in Entwicklungsländern
                                                         genutzt, würden 28 Millionen Tonnen Kohlen-                                                              dürfen nicht aus den Augen verloren werden.
    knappe Ressourcen                                    dioxid gebunden. Das entspricht 18 Prozent des                                                           Beides sind Möglichkeiten, schon kurzfristig die
                                                         jährlichen CO2-Ausstoßes des deutschen Straßen-                                                          verfügbare Nahrungsmittelmenge zu steigern.
    Städtische Landwirtschaft hat Potenzial. Das         verkehrs.                                                                                                Hier engagiert sich die deutsche Entwicklungszu-
    gilt für Entwicklungs- wie für Industrieländer                                                                                                                sammenarbeit schon seit vielen Jahren erfolgreich.
    gleichermaßen. Bis zur Mitte des Jahrhunderts                                                                                                                 Will man die städtische Landwirtschaft wieder
    werden fast drei Viertel aller Menschen in Städten                                                                                                            stärker fördern, wird es notwendig sein, die Be-
    leben. Die täglich benötigten Lebensmittel aus                                                                                                                reiche Energie, Wasser und Ernährungssicherung
    weit entfernten Agrarregionen in die Metropolen                                                                                                               so miteinander zu verknüpfen, dass die städtische
    zu bringen ist allein schon eine logistische Her-                                                                                                             Landwirtschaft wasser- und energieeffizient pro-
    ausforderung. Nicht zu vernachlässigen ist auch                                                                                                               duziert. Dies ist auch der Gedanke des neuen
    der Verbrauch fossiler Energie für den Transport                                                                                                              Nexus-Ansatzes, den die Bundesregierung inter-
    und die Kühlung der Waren, damit diese in                                                                                                                     national stark vorantreibt. Strategische Allianzen
    genießbarem Zustand beim Endverbraucher an-                                                                                                                   und fachübergreifende Planungen können dabei
    kommen. Gerade in Entwicklungsländern ist dies                                                                                                                helfen, das Potenzial der städtischen Landwirt-
    ein enormes Problem.                                                                                                                                          schaft voll auszuschöpfen.
»Die Zukunft hält noch viele Entwicklungen für
                                                       uns bereit, die wir heute nur teilweise absehen
                                                       können«, sagte Joachim Prey zu Beginn des Sym-
                                                       posiums und fuhr fort: »Die Untergangsszenari-
10                                                     en, die sehr häufig skizziert werden in Bezug auf                                                        11
                                                       Weltbevölkerung, Wachstum, Nahrungsmittel-
                                                       knappheit oder Katastrophen müssen aber nicht
                                                       eintreten.« Es gebe auch andere Zukunftsvisio-
                                                       nen. Ob wir diese erreichen, hänge stark davon
                                                       ab, wie wir uns bereits heute darauf vorbereiten.
     Städtische Landwirtschaft ist nicht neu. Sie
                                                       »Die Weltbevölkerung nimmt zu und will ernährt       Funktionen. So biete sie beispielsweise Raum für
     gewinnt aber angesichts der rasant zunehmen-      werden. Insbesondere die städtische Bevölke-         Naherholung oder leiste einen Beitrag zur An-
                                                       rung.« Die Verstädterung nimmt zu, in 30 bis 50      passung an den Klimawandel. Doch, so betonte
     den Urbanisierung und der weiterhin wachsen-      Jahren werden zwischen 60 und 70 Prozent der         er, städtische Landwirtschaft könne noch mehr.
                                                       Weltbevölkerung in Städten leben, so die Prog-       Nämlich einen Lösungsbeitrag leisten zu Proble-
     den Weltbevölkerung neue Bedeutung. Für die       nosen. Die meisten dieser Menschen werden in         men, die die Städte vor große Herausforderungen
                                                       Ländern leben, in denen die Ernährungssicher-        stellen. Dazu gehören Transport, Wassereffizienz
     ärmere städtische Bevölkerung dient sie der       heit ihrer Bevölkerung schon heute nicht gewähr-     und Abfallverwertung. Die Integration von Mi-
                                                       leistet ist..                                        granten ist ebenfalls ein spannendes Thema, das
     Ernährungssicherung und bringt zusätzliches                                                            sich in unserem eigenen Land abspielt.
                                                       Städtische Landwirtschaft
     Einkommen. Migranten hilft sie bei der Integra-   gab es schon immer                                   Städtische Landwirtschaft und der Nexus
                                                                                                            Ernährung – Wasser – Energie
     tion. Sie hat ökologische Funktionen und nicht    Städte würden bisher meist als Agglomerationen
                                                       von Konsumenten wahrgenommen, die sich               »Städte befinden sich in Transformation«, betonte
     zuletzt leistet sie auch einen aktiven Beitrag    von dem ernähren, was auf dem Land produ-            Joachim Prey. »Und sie haben, das hoffen wir,
                                                       ziert und dann in die Stadt transportiert wird.      die unterschiedlichen Funktionen und Beiträge
     zur Transformation der Städte zu mehr Nach-       »Dabei wird übersehen,« so der stellvertretende      verstanden, die städtische Landwirtschaft leisten
                                                       Leiter des Fach- und Methodenbereichs der GIZ,       kann.« Er hoffe, die Städte würden künftig die
     haltigkeit, wie Joachim Prey, Leiter des Fach-    »dass städtische Bevölkerung weltweit und schon      urbane Landwirtschaft gezielt fördern.
                                                       immer Gemüseanbau und Viehhaltung in viel-
     und Methodenbereichs der GIZ, hervorhob.          fältigsten Formen betrieben hat.« Die gängigsten     »Mit dem Symposium Landwirtschaft in der
                                                       Motive seien Selbstversorgung und Ernährungs-        Stadt von 1950 bis 2050: Vom Schrebergarten zum
                                                       sicherung. Dies treffe vor allem auf arme Bevöl-     Skyfarming greifen wir den Nexus Ernährung –
                                                       kerungsgruppen zu oder auf Gesellschaften in         Wasser – Energie auf, den die Bundesregierung
                                                       Krisensituationen. »Auch wenn es bei städtischer     seit 2011 propagiert. Wie kann Nahrungsmittel-
                                                       Landwirtschaft nicht um flächendeckende Pro-         produktion wasser- und energieeffizient gestaltet

     Landwirtschaft spielt                             duktion von Grundnahrungsmitteln geht, so ist
                                                       doch anerkannt, dass Gemüse, Fleisch und Milch
                                                       einen wichtigen Beitrag zur Eiweiß- und Vita-
                                                                                                            werden?« In Städten, so Prey, biete insbesondere
                                                                                                            die Nähe von Produktion und Konsum große
                                                                                                            Chancen für die Beantwortung dieser Frage.

     wichtige Rolle bei Transformation                 minversorgung der Familien leisten.«

                                                       Ein anderes Motiv sei das der Beschäftigung und

     der Städte                        [Clip 1]
                                                       der Schaffung von Einkommen. Auch soziale Fak-
                                                       toren spielten eine Rolle. Darüber hinaus habe, so
                                                       Prey, städtische Landwirtschaft auch ökologische
12                                                                 13

                 »Ein Schrebergarten ist ein Rückzugsraum.
     Marco Clausen, Mitbegründer des Prinzessinnengartens Berlin

                 Wir dagegen wollen
                 den ständigen Dialog mit der uns
                 umgebenden Stadt.«
Urban Gardening                                                 »Urbanes Gärtnern ist im Trend. Wenn wir vor
                                                                     zehn Jahren in Berlin gefragt hätten, was braucht
                                                                     diese Stadt, dann hätte jeder gesagt, wir brauchen
                                                                                                                          ker. Das neue Grüne Leitbild Berlins trägt der
                                                                                                                          Tatsache Rechnung, dass sich die Ansprüche und
                                                                                                                          Erwartungen der Bevölkerung gewandelt haben.

14   in Berlin – am Wandel teilhaben,                                Grün. Heute wäre die Antwort vermutlich: wir
                                                                     brauchen Gärten. Und damit ist ein qualitativer
                                                                     Sprung verbunden, denn Gärtnern heißt, ich will
                                                                                                                          Gleichzeitig trägt es den Eigenarten des Berliner
                                                                                                                          Grüns Rechnung. Seinen Parks, Friedhöfen, Wäl-
                                                                                                                          dern, Gartenanlagen, Baudenkmälern und Frei-
                                                                                                                                                                              15

     Wandel mitgestalten                               [Clips 2-5]
                                                                     etwas selber tun. Ich möchte in dieser Stadt zu
                                                                     einem Mitwirkenden werden. Das ist ein hoher
                                                                     partizipativer Anspruch.« Und sie wies noch auf
                                                                                                                          flächen, um nur einige zu nennen. »Als neuesten
                                                                                                                          Begriff haben wir das Thema produktive Land-
                                                                                                                          schaft eingeführt. Damit haben wir uns auf ein
                                                                     eine andere Besonderheit der Urban-Gardening-        gewagtes Gebiet begeben, denn unter produktiver
     Berlin hat eine aktive Urban-Gardening-Szene.                   Bewegung hin – das Gemeinschaftserlebnis.            Landschaft verstehen wir vieles mehr«, erläuterte
                                                                     War früher der Garten ein Rückzugsort für den        die Leiterin der Arbeitsgruppe Urban Open Space
     Das Land trägt dieser Entwicklung mit sei-                      Einzelnen, so ist Garten heute eine Möglichkeit,     Management. »Es geht also nicht nur alleine um
                                                                     Gemeinschaft zu erleben, »sich selbst wahrzuneh-     die Produktion von gärtnerischen Sachen.«
     nem neuen Grünen Leitbild Rechnung und                          men und in einer Gemeinschaft demokratische
                                                                     Prozesse neu zu finden.«                             Berlin gibt jährlich 50 Millionen Euro für die
     unterstützt auch aktiv verschiedene Projekte.                                                                        Pflege und Unterhaltung seines Grüns aus. Das
                                                                     Vom Landschaftsprogramm                              sind rund 60 Cent pro Quadratmeter, rechnete
     Viele von ihnen sind als Zwischennutzung auf                    zum Grünen Leitbild                                  die Verwaltungsfrau vor. Daher suche das Land
                                                                                                                          nach neuen, innovativen Ideen, unter anderem
     Flächen angesiedelt, die derzeit entweder nicht                 Ungefähr die Hälfte der Fläche Berlins ist Wald,     setze es dabei auch auf die Unterstützung durch
                                                                     öffentliche Grünfläche, landwirtschaftliche Fläche   bürgerschaftliches Engagement. Die Urban-Gar-
     anderweitig nutzbar sind oder erst in näherer                   und Wasser. Bereits seit den 80er Jahren des ver-    dening-Bewegung ist für sie solch bürgerschaft-
                                                                     gangenen Jahrhunderts plant Berlin systematisch      liches Engagement und wird daher vom Land
     Zukunft anderweitig genutzt werden. Urban                       die Nutzung und Entwicklung seiner Grünflä-          unterstützt.
                                                                     chen. Arten- und Naturschutz, Landschaftsbild,
     Gardening ist Teil des Wandlungsprozesses,                      Erholung und Freiraum und deren Verbesserung         Zwischennutzungskultur wird
                                                                     standen im Mittelpunkt, die Verwaltung ging          zur Massenkultur
     den die Stadt Berlin durchläuft. Es ist vor                     vom vorhandenen Bestand und der bestehen-
                                                                     den Struktur aus. Doch dieses Programm »trägt        Im Gegensatz zu den landwirtschaftlichen Flä-
     allem aber auch eine neue Art der Teilhabe an                   nicht mehr, daher haben wir versucht, ein neues      chen und den Kleingartenanlagen liegen die Ur-
                                                                     Leitbild für Berlin zu schaffen«, so Ursula Ren-     ban-Gardening –Projekte nicht an der Peripherie
     Entscheidungen und bei der Mitgestaltung der                                                                         der Stadt, sondern mitten drin. Das prägt auch
                                                                                                                          das Miteinander von Verwaltung und den »neuen
     Entwicklung der Stadt.                                                                                               Akteuren in der Stadt«, wie Renker sie nennt. »Es
                                                                                                                          geht natürlich um eine Imagebildung von Stand-
                                                                                                                          orten, die wir zurzeit überhaupt nicht vermarkten
                                                                                                                          können. Dann um das Entfalten ortsspezifischer
     Dem Land Berlin ist dieses bürgerschaftliche                                                                         Qualitäten, um zu zeigen, was man überhaupt an
                                                                                                                          dem Ort machen kann. Es geht um das Nutzen
     Engagement hoch willkommen, wie Ursula

     Renker deutlich machte. Sie leitet die Arbeits-

     gruppe Urban Open Space Management bei der

     Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung

     und Umwelt.
lokaler Ressourcen, darum, Stadtgemeinschaf-                                                               Seit Sommer 2009 hat der Moritzplatz in
     ten zu bilden für soziale Stadtstrukturen und
     die Selbstwahrnehmung des einzelnen in einer                                                               Berlin-Kreuzberg eine radikale Wandlung
     medialen Welt. Und nicht zuletzt geht es um die
16   Frage, wird die Zwischennutzungskultur zu einer                                                            durchgemacht. Aus einer ungenutzten Brachflä-      17
     Massenkultur?«
                                                                                                                che wurde ein großer Nutzgarten mit Blumen
     Berlin hat inzwischen einige Urban-Gardening-         Gartenpforten zugesperrt haben. Damit haben sie
     Projekte. Zum Beispiel die Tempelhofer Freiheit,      überhaupt nicht gerechnet. Sie haben auch nicht      und Gemüse. Ein lebenswerter Ort für die
     entstanden auf dem ehemaligen Flughafen mit-          verstanden, was mit ihnen passiert. Und jetzt
     ten in Berlin. Das Gelände ist rund 300 Hektar        müssen wir ganz vorsichtig wieder anfangen«,         gesamte Nachbarschaft. Das Charakteristische:
     groß, hier soll einmal ein Park entstehen. Bis        berichtete Ursula Renker.
     es soweit ist, werden Teile des Geländes ander-                                                            Der gesamte Garten ist mobil. Dafür sorgen die
     weitig genutzt. Unter anderem ist hier auch ein       Es geht nicht ohne Regelungen
     Gartenprojekt entstanden. Wegen der im Boden                                                               Kisten, Säcke, Tetrapaks und andere Behälter,
     vorhandenen Altlasten darf nicht im Boden             Der Prinzessinnengarten ist ein weiteres Projekt,
     direkt gegärtnert werden, die Beete müssen auf        mitten in Kreuzberg, am Moritzplatz. Der Betrei-     die als Pflanzgefäße dienen. Getragen wird der
     Unterkonstruktionen angelegt werden. Die Gär-         ber ist die gemeinnützige Gesellschaft Nomadisch
     ten und Beete sind begehrt, auf der inzwischen        Grün. Für die Senatsverwaltung, so Renker, sei       Prinzessinnengarten von der gemeinnützigen
     geschlossenen Warteliste stehen 250 Personen.         dieser Name Programm. Sie versteht ihn so, dass
     Bei der Verwaltung gibt es Überlegungen, das          die Urban Gardener bereit sind, weiterzuziehen,      GmbH Nomadisch Grün.
     Projekt in die Internationale Gartenausstellung       wenn das Land das Grundstück verkauft, wie
     2017 zu integrieren.                                  es geplant ist. Damit verbunden ist für Ursula

     Ein anderes Projekt ist ein interkultureller Garten
     am Potsdamer Platz-Gleisdreieck. Er ist Bestand-
                                                           Renker die Frage nach dem Regelungsbedarf von
                                                           Urban Gardening, denn ganz ohne gehe es nicht.
                                                           »Gibt es nicht doch den Wunsch, zu bleiben,
                                                                                                                Prinzessinnengarten Berlin –
     teil eines Parks und wurde vonFrauen aus Südost-
     europa, die im Laufe des Balkankriegs Anfang der
     1990er als Flüchtlinge nach Deutschland kamen,
                                                           weil ein Garten doch Wurzeln hat? Wurzeln in
                                                           die Nachbarschaft. Weil die Gärtner den Wunsch
                                                           haben, das zu ernten, was sie gepflanzt haben.« So
                                                                                                                partizipative Stadtentwicklung
     angelegt. Da sie zum Park gehören, sollten die
     Gärten als Naturerlebnisraum auch öffentlich
     zugänglich sein. Diese Initiative wurde in der
                                                           unterschiedlich Kleingärten und Urban Gardens
                                                           auch sind, sie konkurrieren um die begrenzte
                                                           Fläche, die ihnen in Berlin zur Verfügung steht.
                                                                                                                im Tetrapak                          [Clips 6-8]

     Öffentlichkeit bekannt und zog viele Interessierte
     an. »Aber als die Menschen alle kamen, haben          Urban Gardening ist Teil des Wandlungspro-
     die Frauen so einen Schreck gekriegt, dass sie ihre   zesses, den die Stadt Berlin durchläuft und mit      Elena Brandes ist die Koordinatorin des Prin-
                                                           »Laborprojekten« aktiv unterstützt. »Ich glaube,
                                                           dass es für das Land Berlin letztendlich um einen    zessinnengartens Berlin. Sie spricht mit Tanja
                                                           partizipativen Ansatz geht, in der Stadtgesell-
                                                           schaft wieder ein Bewusstsein für echte Teilhabe     Busse über das Projekt, über seine Vorteile und
                                                           zu gewinnen.«
                                                                                                                über seine Probleme.
Tanja Busse:                                       Beispiel Milchtetrapaks. Wir kompostieren selber      Tanja Busse:                                         Und allgemein würden wir uns von der Stadt
18   Welche Idee steht denn hinter dem                  und wir ziehen unsere Samen selber. Wir wollen        Was würde sich denn so ein Garten von der            wünschen, dass sie für solche Projekte einen Rah-    19
     Prinzessinnengarten?                               so autark wie möglich sein.                           Stadtverwaltung wünschen? Was braucht man            men schafft, damit sie Fuß fassen können. Es gibt
                                                                                                              von der Stadtentwicklungsbehörde, die ja             natürlich viele Konflikte und es ist kompliziert.
     Elena Brandes:                                     Tanja Busse:                                          grundsätzlich dem ganz offen gegenübersteht.         Ich weiß, dass sie positiv gesonnen ist. Good will
     Wir wollen ein paar Dinge wieder selber in die     Was passiert, wenn ein Investor dieses schöne         Wo fehlen konkrete Hilfen oder Zusagen?              ist da, aber man muss auch Hilfe bei der Umset-
     Hand nehmen, zum Beispiel das Gemüse anbau-        Grundstück in Kreuzberg haben will?                                                                        zung geben.
     en. Wir wollen aber auch partizipative Stadtent-   und da aber ein urbaner Garten ist. Soll eine         Elena Brandes:
     wicklung, mit darüber bestimmen, in welcher        Stadt das fördern, und dann aber das Problem          Wir würden uns wünschen, dass wir einen länge-       Tanja Busse:
     Stadt wir leben. Wie sieht die aus? Was können     haben, dass Leute sagen, mein Garten kann             ren Mietvertrag bekommen, dass wir die Fläche        Welchen Beitrag können Urban Gardening und
     wir da selber machen?                              nicht weg?                                            für drei bis fünf Jahre mieten könnten. Damit        Urban Agriculture für Städte in Transformation
         Der Prinzessinnengarten steht aber auch für                                                          hätten wir einfach mehr Planungssicherheit,          haben? Wie schätzen Sie das anhand Ihrer Ber-
     Ressourcenschonung, weil wir versuchen, mög-       Elena Brandes:                                        könnten mehr Projekte auf die Beine stellen und      liner Erfahrung ein?
     lichst viele Dinge wiederzuverwenden, wie zum      Die Zwischennutzung hat Vor- und Nachteile.           uns auch als Organisation weiterentwickeln. Wir
                                                        Der Vorteil, den sie hat, für uns und auch für den    sind ja eine sehr basisstrukturierte partizipative   Elena Brandes:
                                                        Stadtteil, ist, dass wir diese zugemüllte Brachflä-   Organisation, da ist es nicht immer einfach, Ent-    Bei uns in Berlin geht es natürlich auch um
                                                        che in einen lebendigen Ort umgewandelt haben,        scheidungen zu treffen. Es dauert alles sehr lange   nachhaltige Stadtentwicklung, und ich glaube, da
                                                        der jetzt grün und produktiv ist. Wir binden dort     – bis man eine Entscheidung trifft und bis diese     können solche Gärten einen sehr großen Beitrag
                                                        sehr viele Menschen, indem wir soziales Engage-       dann auch umgesetzt wird.                            leisten. In anderen Ländern tragen sie mit Sicher-
                                                        ment und auch wieder die Lust des Städters an             Ein günstigerer Mietvertrag wäre auch nicht      heit auch noch zur Selbstversorgung bei.
                                                        der Natur fördern.                                    schlecht, wir zahlen mehrere Tausend Euro Miete
                                                            Wir mieten die Fläche jährlich vom Liegen-        pro Monat. Das ist für Nomadisch Grün sehr
                                                        schaftsfonds. Jetzt haben wir sogar gerade einen      schwierig, denn das Geld muss auch irgendwo
                                                        Zweijahresmietvertrag bekommen. Diese kurzen          reinkommen. Das ist gar nicht so einfach, grade
                                                        Laufzeiten machen uns sehr viele Probleme bei         in den Wintermonaten, wenn wir ja keine Ein-
                                                        der Planung. Wir können keine Projekte beantra-       nahmen haben, um diese Miete irgendwie zu
                                                        gen, die drei Jahre laufen und für diese Zeit För-    erwirtschaften.
                                                        dergelder bekommen, wenn wir gar nicht wissen,
                                                        ob es uns in einem Jahr noch geben wird oder
                                                        nicht. Das ist ein großes Problem. Ein anderes
                                                        Problem ist, dass wir natürlich auch an Helferin-
                                                        nen und Helfer gebunden sind, an die Nachbarn
                                                        und an den Stadtteil. Wenn wir umziehen, kön-
                                                        nen wir das nicht mitnehmen. Denn so ein Ort
                                                        lebt ja nicht nur von den Leuten, die den Garten
                                                        betreiben, sondern auch vom Stadtteil und den
                                                        Nachbarn, und das ist wirklich etwas, womit man
                                                        nicht umziehen kann.
»Ich kann mich nicht erinnern,
     Kalonde Cknyati, Journalistin aus Sambia

             dass meine Mutter jemals Gemüse gekauft hat.
20                                                          21

             Wir bauen alles selber an.«
»Urban Agriculture ist keine                                                                          ist als nur Gemüsebau. Die Viehhaltung gehöre
                                                                                                           ebenfalls dazu, auch wenn viele der Ansicht seien,
                                                                                                           Nutztiere hätten in einer Stadt nichts zu suchen.
                                                                                                                                                                ihrer Nahrungsmittelversorgung auf die nationale
                                                                                                                                                                Regierung verlassen und diese wiederum auf den
                                                                                                                                                                Weltmarkt. Doch bei der Nahrungsmittelpreiskri-

22   Nebensache«                                                                                           Integration und Ernährungssicherheit
                                                                                                                                                                se 2007 haben sie plötzlich gemerkt, dass dies eine
                                                                                                                                                                unsichere Geschichte ist. Das hat die Menschen
                                                                                                                                                                in den Städten wachgerüttelt und dafür gesorgt,
                                                                                                                                                                                                                      23

                                                                                                           Die städtische Landwirtschaft wird zunehmend         dass die Stadtverwaltungen Ernährungssicherheit
     Städtische Landwirtschaft wird zunehmend                                                              wichtiger, denn die Armut in den Metropolen          jetzt sehr wohl als eine Angelegenheit betrachten,
                                                                                                           und Megacities der Entwicklungsländer wächst,        die sie etwas angeht.«
     wichtiger. Sie ist auch in den Metropolen der                                                         gleichzeitig fehlt die soziale Integration der
                                                                                                           Menschen, die vom Land in die Stadt strömen.         Arme städtische Familien in Entwicklungsländern
     Entwicklungsländer eine hilfreiche Möglichkeit,                                                       »Armut wird immer mehr zu einem städtischen          geben rund 60 Prozent ihres Einkommens für
                                                                                                           Problem und damit wächst auch die Ernährungs-        Nahrungsmittel aus. Preissteigerungen wirken
     neu hinzugezogene oder benachteiligte Bevöl-                                                          unsicherheit in der Stadt«, lautete Henk de Zee-     sich bei ihnen sofort aus. Die Folge ist, dass ent-
                                                                                                           uws Analyse der gegenwärtigen Lage. »In vielen       weder an der Nahrungsmenge oder an der Qua-
     kerungsgruppen in die Gesellschaft zu integrie-                                                       Ländern des Südens haben sich die Städte in          lität gespart wird – oder an beidem. Städtische
                                                       werden und nicht mehr auf die Mülldeponien                                                               Landwirtschaft kann diese Folgen abmildern und
     ren. Vor allem ist sie aber für die städtischen                                                                                                            darüber hinaus eine wichtige Einkommensquelle
                                                       kommen, wird auch weniger klimaschädliches                                                               sein. Vielerorts liege der Gewinn über dem gesetz-
     Armen wesentlich für ihre Ernährungssicherung                                                                                                              lichen Mindestlohn, betonte Henk de Zeeuw. Ein
                                                       Methan freigesetzt. Städtische Landwirtschaft                                                            gutes Geschäft, das wenig Input braucht. Urban
     und sorgt darüber hinaus für zusätzliches                                                                                                                  Agriculture ist wichtig für die Ernährungssiche-
                                                       ist für die Metropolen der Entwicklungsländer                                                            rung, daran ließ er keinen Zweifel.
     Einkommen. Oft liegt der damit erzielte Gewinn
                                                       wichtig. Wie und Warum, das erläuterte Henk                                                              Bereits heute wird rund ein Fünftel der Nah-
     über dem gesetzlich garantierten Mindestlohn.                                                                                                              rungsmittel, die in den Städten benötigt werden,
                                                       de Zeeuw vom International Network of Re-                                                                in und um die Städte herum produziert. Leicht
     Positive Umweltwirkungen machen die städti-                                                                                                                verderbliche Produkte wie Gemüse, Eier oder
                                                       source Centres on Urban Agriculture and Food                                                             Milch werden sogar zu drei Viertel und mehr im
     sche Landwirtschaft zusätzlich interessant. Sie                                                                                                            Umkreis von 20 Kilometern um die Stadt erzeugt.
                                                       Security (RUAF) in den Niederlanden.                                                                     »Urban Agriculture ist keine Nebensache«, stellte
     verbessert mit ihrem Grün das städtische Mi-                                                                                                               de Zeeuw daher klar. »Auch wenn das viele Leute
                                                                                                                                                                denken. Im Gegenteil – sie ist elementar wichtig
     kroklima und bindet gleichzeitig Kohlendioxid.    Die Erzeugung von zusätzlichen hochwertigen                                                              für die Ernährungssicherung.« Vor allem die städ-
                                                       Nahrungsmitteln und zusätzlichem Einkommen                                                               tischen Armen erzeugen etwa drei Viertel ihrer
     Dies und die kurzen Transportwege tragen mit      steht in den Entwicklungsländern im Vorder-                                                              Nahrungsmittel selbst. »Urban Agriculture ist für
                                                       grund von Urban Agriculture und Urban Gar-
     dazu bei, dass die klimaschädlichen Emissio-      dening, wie Henk de Zeeuw betonte. »Urban
                                                       Agriculture ist Teil der Stadt, Teil des Systems.
     nen der Metropolen gesenkt werden. Und weil       Lange Zeit wurde das ignoriert, und die Heraus-
                                                       forderung ist jetzt, dies zu ändern.« Er machte
     ein Teil der organischen Abfälle kompostiert      deutlich, dass städtische Landwirtschaft mehr
diese Menschen überlebenswichtig. Und außer-         ein Teil der organischen Abfälle kompostiert, statt                  Die Förderung von Urban Gardening und Urban
     dem macht sie die Haushalte belastbarer.«            sie auf die Mülldeponien zu bringen. Das vermin-
                                                          dert die Freisetzung von klimaschädlichem Me-                        Agriculture gehörte schon immer zum Portfolio
     Umweltschutz und Katastrophenvorsorge                than. Vor allem aber sieht de Zeeuw große Vortei-
24                                                        le angesichts der Tatsache, dass bis 2030 der Was-                   der GIZ. Ein besonders bekanntes Beispiel gab   25
     Urban Agriculture ist auch gut für die Umwelt.       serverbrauch in der Bewässerungslandwirtschaft
     Die kurzen Wege vom Produzenten zum Verbrau-         um weitere 13 bis 17 Prozent ansteigen wird.                         es in den 1990er Jahren in der tansanischen
     cher senken den Benzinverbrauch für den Trans-       »Was ist logischer, als das Abwasser zu verwenden,
     port und damit den Ausstoß von Kohlendioxid.         das in der Stadt anfällt, um damit in Stadtnähe                      Hauptstadt Dar es Salaam. Ein erfolgreiches
     Es muss weniger gekühlt werden, ebenso sinkt         Lebensmittel zu erzeugen, die dann wieder in
     der Verbrauch an Verpackungsmaterialien. Mehr        der Stadt verbraucht werden.« Zum einen senke                        Vorhaben, in dessen Mittelpunkt die Verbesse-
     landwirtschaftliches und gärtnerisches Grün          das den Trinkwasserverbrauch und zum anderen
     verbessert das städtische Mikroklima. In vielen      würden so die im Abwasser enthaltenen Nähr-                          rung der städtischen Gemüseproduktion stand.
     Städten steigen die Temperaturen immer weiter        stoffe genutzt. Denn »ein Drittel aller Nährstoffe,
     an, weil der viele Beton die Hitze speichert, die    die in Entwicklungsländern verbraucht werden,                        Entscheidend für das Gelingen war die Ausbil-
     zusätzlich zur Sonnenwärme durch den Verkehr,        stammen aus Abwässern«. Außerdem ermögliche
     durch Kühlschränke und andere Geräte entsteht.       das eine ganzjährige Produktion, unabhängig von                      dung von Beraterinnen und Beratern, aber
                                                          Regen und der Verfügbarkeit von Trinkwasser. Als
     Urbane und peri-urbane Landwirtschaft dient
     auch der Katastrophenvorsorge der Städte, führte
     de Zeeuw aus. Werden Steilhänge agroforstwirt-
                                                          Beispiel nannte er Amman, wo 10.000 Hektar
                                                          Gemüse, Obst, Futterpflanzen und Waldflächen
                                                          mit behandelten Abwässern bewässert werden.
                                                                                                                Empowerment von Frauen
     schaftlich genutzt, beugt das bei starken Regen-
     fällen Hangrutschen vor, denn es vermindert
     den Wasserabfluss und hält die Erde an Ort und
                                                          Die Keimfreiheit des Wassers ist das Schlüssel-
                                                          element, um der Übertragung von Krankheiten
                                                          vorzubeugen.
                                                                                                                dank Kühen, Hühnern und Gemüse
     Stelle. Dazu kommt noch, dass die Pflanzen das                                                                            auch eine Reihe eher technischer Faktoren. So
     Wasserhaltevermögen des Bodens verbessern.           Zusammenfassend meinte de Zeeuw, der
     Auch die Folgen von Überschwemmungen                 Einkommensaspekt gewinne neben dem As-                               beispielsweise die Verwendung von geeignetem
     werden gemildert. Wird in tiefer gelegenen Ge-       pekt der Ernährungssicherung immer mehr an
     bieten in und um die Stadt Landwirtschaft oder       Bedeutung bei Urban Agriculture und Urban                            Saatgut, organischem Dünger und verbesser-
     Gartenbau betrieben, bleiben diese Flächen frei      Gardening. »Die Schaffung von Einkommen und
     von Besiedlung. So kommen im Katastrophenfall        Arbeit sowie positive Umweltwirkungen sind für                       ten Anbautechniken. Eine Wirkung, die weit
     keine Menschen zu Schaden.                           viele Stadtverwaltungen Grund genug, die
                                                          städtische Landwirtschaft zu fördern.« Stadt-                        über die Verbesserung der Gemüseproduktion
     Knappe Ressourcen nutzen                             verwaltungen haben bislang städtische Land-
                                                          wirtschaft ignoriert oder bestenfalls toleriert.                     hinausging, war, dass urbane Landwirtschaft
     »Und nicht zuletzt tragen Urban Gardening und        Rechtssicherheit genoss sie nicht. Dies muss sich
     Urban Agriculture zur Verminderung der städ-         ändern, so de Zeeuw. Stadtverwaltungen müssen                        als Teil der städtischen Gesamtentwicklung
     tischen Müll- und Trinkwasserprobleme bei«,          urbane Landwirtschaftsaktivitäten wahrnehmen,
     führte Henk de Zeeuw weitere Vorteile der städti-    in ihrer positiven Wirkung erkennen und entspre-                     erkannt und gefördert wurde.
     schen Landwirtschaft ins Feld. Beispielsweise wird   chend fördern.
Ein zweites bei dem Symposium vorgestelltes       Tanja Busse:
26                                                     »Können die Frauen mit der Viehhaltung               vinz Baghlan an unserem Projekt teilnehmen,          Tanja Busse:                                          27
     Vorhaben fördert in den semi-urbanen              überhaupt Einkommen erwirtschaften? Und              verkaufen die Milch an eine Molkerei in der Pro-     »Wie wirkt sich das auf die Stellung der Frau-
                                                       überhaupt – wie passt das zusammen? Dist-            vinzhaupstadt Pol-e Khomri und erzielen damit        en in ihren Familien aus?«
     Räumen im Norden Afghanistans Viehhaltung         rikthauptstadt, Viehhaltung und ländliche Ent-       ein respektables Einkommen.«
                                                       wicklung?«                                                                                                Nadine Günther:
     und Gemüseanbau. Es hat neben                                                                          Tanja Busse:                                         »Der Status und das Ansehen der Frauen und
                                                       Nadine Günther:                                      »Gibt es auch noch andere Dinge, die die Frau-       ihre Rolle im Haushalt, aber auch in der Ge-
     landwirtschaftlicher Produktionssteigerung und    »Gemüsegärten und Viehhaltung sind traditionell      en bei Ihnen im Projekt lernen können oder die       meinschaft haben sich verbessert. Sie haben mehr
                                                       Frauenaufgaben; wir haben daher mit unserem          ihnen Vorteile bringen?«                             Mitspracherechte und mehr Entscheidungsmacht
     Ernährungssicherung auch das Empowerment          Projekt einen sehr guten Zugang zu den Frauen.                                                            und sind selbstbewusster geworden. Sie nutzen
                                                       Sie fragten, was unser Vorhaben mit Urbanität        Nadine Günther:                                      ihr gesteigertes Mitspracherecht vor allem dafür,
     von Frauen zum Ziel, die über diese Aktivitäten   zu tun hat. Nun, die Provinz- und Distrikt-          »Wir vernetzen die Frauen mit Dienstleistern,        sich massiv für die Schulausbildung ihrer Töchter
                                                       hauptstädte im Norden Afghanistans haben             beispielsweise mit Veterinären. Außerdem             einzusetzen.«
     Einkommen erwirtschaften und sich                 oft einen sehr dörflichen Charakter, der vor allem   unterstützen wir sie beim Zugang zu Kommuni-
                                                       in Wohngebieten in Randbezirken der Städte           kationsmitteln wie Radio oder Mobiltelefonen.        Tanja Busse:
     untereinander vernetzen können.                   ausgeprägt ist.                                      Das erleichtert ihnen die Beschaffung von Markt-     »Wie weit sehen Sie in diesem Projekt eine
                                                       Wir fördern dort Projekte zur Viehhaltung,           informationen oder macht diese überhaupt erst        Möglichkeit, dass man über Urban Agriculture
     Das ist besonders wichtig in einem Umfeld,        beispielsweise Hühner-oder Milchviehhaltung,         möglich. Außerdem können sie sich so auch            Frauen-Empowerment macht? Welche Chancen
                                                       um die Eigenversorgung der Haushalte zu              leichter untereinander vernetzen. Das ist ein sehr   gibt es da für weitere Projekte?«
     in dem Frauen in ihrer persönlichen und           stärken und die Einkommen der Frauen zu              großer Vorteil.
                                                       erhöhen.«                                            Wir unterstützen auch Spargruppen. Wir mo-           Nadine Günther:
     wirtschaftlichen Entwicklung stark ein-                                                                bilisieren die Frauen und motivieren sie, sich       »In Afghanistan gibt es noch sehr viel Potenzial,
                                                       Tanja Busse:                                         gegenseitig zu unterstützen. Konkret sieht das so    um Urban Agriculture auszuweiten. Die afgha-
     geschränkt sind. Wie das aussieht, berichtet      »Wie müssen wir uns das vorstellen?«                 aus, dass sie monatliche Einzahlungen leisten in     nischen Städte haben, wie bereits erwähnt, einen
                                                                                                            eine gemeinsame Kasse. Dadurch können sie sich       sehr dörflichen Charakter. Die Häuser haben
     GIZ-Beraterin Nadine Günther im Gespräch mit      Nadine Günther:                                      gegenseitig Kredite geben. Diese Kredite nutzen      große Gärten, in denen man Hühner halten und
                                                       »Die Frauen erhalten entsprechende Trainings.        die Frauen, um sie in Vieh oder besseres Saatgut     Gemüse anbauen kann.
     Tanja Busse.                                      Da lernen sie dann zum Beispiel erstmalig Tierge-    für ihre Gärten zu investieren und dadurch ihr       Ich denke, der Ansatz an sich ist sehr vielverspre-
                                                       sundheit, Ernährung, Hygiene und wie ein             Einkommen zu vergrößern. Mit ihren Aktivitäten       chend, gerade auch die Spargruppen. Sie mobili-
                                                       idealer Kuhstall aussehen sollte. Mit dem, was       leisten die Frauen einen ganz wichtigen Beitrag      sieren die Frauen in besonderem Maße, da steckt
                                                       sie bei diesen Trainings lernen, können sie ihre     zum Einkommen der Haushalte und auch zur             ein Stück weit auch Empowerment und Frauen-
                                                       Produktion verbessern und höhere Einkommen           Ernährungssicherung ihrer Familie.«                  förderung drin.«
                                                       erzielen. Bleiben wir bei der Milch. Die Frauen,                                                          [Clip 9]
                                                       die in und im Umland der Hauptstadt der Pro-
Voll im Trend – Community                                                                              City enorm ist. Doch die Stadtverwaltung ist an
                                                                                                            dem Erhalt der Gemeinschaftsgärten interessiert,
                                                                                                            das zeigt sich auch an der Dauer der Pachtverträ-
                                                                                                                                                                 das Land nicht nutzt und erhält oder wenn es
                                                                                                                                                                 eine anderweitige Verwertung gibt, beispielsweise
                                                                                                                                                                 als Bauland.

28   Gardening in New York City                                                                             ge. Sie laufen über vier Jahre, die Nutzer können
                                                                                                            ohne Baugenehmigung kleine Hütten auf dem
                                                                                                            Gelände errichten, sogar Hühnerhaltung ist seit
                                                                                                                                                                 Mit dem Garten aufs Dach                             29

                                                                                                            einiger Zeit wieder mitten in Manhattan erlaubt.     Ein neuer Trend ist gewinnorientierte städtische
                                                                                                            »Allerdings kommt immer wieder die Frage der         Landwirtschaft auf kommunalen Flächen, ähn-
                                                      zung von kommunalen Flächen herausgebildet.           Privatisierung auf. Ist es noch öffentliches Land,   lich wie der Prinzessinnengarten in Berlin. »Und
                                                                                                            wie weit wird es privat genutzt?« Die Stadt New      noch ein anderer Ansatz, der sich in den letzten
                                                      Ein anderer Trend ist die private kommerzielle        York hat inzwischen die Nutzung der Communi-         Jahren stark weiterentwickelt hat, ist die Nutzung
                                                                                                            ty Gardens in groben Zügen geregelt. So müssen       von Dächern«, so die Kennerin der New Yorker
                                                      Nutzung geeigneter Dachflächen.                       sich mindestens zehn Bewohner zusammenfin-           Urban-Garden-Szene. Hier hat sich kommerzi-
                                                                                                            den, die gemeinschaftlich einen Pachtvertrag für     eller privater Gartenbau etabliert, teilweise mit
                                                      Carolin Mees ist eine Kennerin der New Yorker         die Gartennutzung mit der zuständigen Verwal-        angeschlossenem Restaurant, in dem das Gemüse
                                                                                                            tungsstelle abschließen. Außerdem müssen die         vom Dach frisch zubereitet serviert wird. »Es gibt
                                                      Urban-Gardening-Szene. Sie ist Architektin und        Gärten 20 Stunden pro Woche für die allgemeine       inzwischen nicht nur Konkurrenz um die Garten-
                                                                                                            Öffentlichkeit zugänglich sein. Und nicht zuletzt    flächen auf dem Boden, sondern auch um die auf
     In New York gehören Urban Gardens seit mehr      Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für       kann die Stadt auch eingreifen, wenn die Gruppe      dem Dach,« so das Fazit von Carolin Mees.

     als 30 Jahren zum Stadtbild vor allem der        Sozialwissenschaften des Agrarbereichs der

     ärmeren Viertel. Diese Gärten sind auf kom-

     munalem Grund angesiedelt, die Nutzer haben
                                                      Universität Hohenheim.

                                                       Die Gartenbewegung in New York entstand
                                                                                                            Zeitvertreib oder wirtschaftliche
     mehrjährige Pachtverträge. Heute gibt es in
                                                      in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre. Aufgrund
                                                      der Wirtschaftskrise gab es damals viele
                                                      Brachflächen in der Stadt. Im Verlaufe der letzten
                                                                                                            Basis?
     New York rund 500 solcher Community Gar-         30 Jahre schwankte die Zahl der Urban                 Anforderungen an und Herausforderungen für Urban Agriculture
                                                      Gardens in New York stark, abhängig von der
     dens. Sie unterliegen einer gewissen Regelung    wirtschaftlichen Entwicklung. Vor allem die           Eine Diskussion mit dem Publikum
                                                      Entwicklung der Immobilienwirtschaft übt star-
     seitens der Stadt, dazu gehört beispielsweise,   ken Einfluss auf die urbanen Gärten aus. Heute        Auf dem Podium: Ursula Renker, Elena Brandes,
                                                      gibt es in der Stadt ungefähr 500 sogenannte          Nadine Günther, Henk de Zeeuw, Carolin Mees
     dass sie 20 Stunden pro Woche öffentlich         Community Gardens. Die meisten von ihnen              Moderation: Tanja Busse
                                                      befinden sich in einkommensschwachen
     zugänglich sein müssen. Außerdem behält sich     Stadtteilen, beispielsweise in East Brooklyn.         Wie kann man verhindern, dass der Urbanisie-         tierte Landnutzungsform werden.« Dass dies
                                                      Das war auch zu Beginn der Urban-Gardening-           rungsdruck in den Metropolen der Entwick-            gar nicht so einfach ist, machte Theresa Endres
     die Stadt das Recht vor, bei nicht ordnungsge-   Bewegung schon so.                                    lungsländer die landwirtschaftlichen Flächen         deutlich. Sie arbeitet für das Internationale
                                                                                                            und die Gartenflächen einfach überrollt und die      Gemüseforschungszentrum (AVRDC) in der
     mäßer Bewirtschaftung oder bei einer geplan-     Städtische Regelungen                                 Existenzgrundlage vieler vernichtet wird? Eine       malischen Hauptstadt Bamako, eine der am
                                                      für Community Gardens                                 Frage, die in dieser ersten Runde sehr intensiv      schnellsten wachsenden Städte derzeit. Häufig
     ten Verwertung als Bauland die Nutzungsrechte                                                          diskutiert wurde. Sowohl Henk de Zeeuw als           fehle den Menschen die rechtliche Sicherheit für
                                                      »Dank der engagierten Gärtner, die diese Gärten       auch Carolin Mees betonten die Notwendigkeit,        die Nutzung des Landes, so ihr Einwurf. »Daher
     zu entziehen. Neben dieser klassischen, rein     eingerichtet haben, konnten sie sich in diesen        die landwirtschaftliche und gärtnerische Nutzung     ist es wichtig, politische Rahmenbedingungen zu
                                                      Gebieten halten«, weiß Carolin Mees. Und wei-         städtischer Flächen fest in der Stadtplanung zu      schaffen, die urbane Landwirtschaft ermöglichen.
     privaten Form des Urban Gardening hat sich in    ter: »Es ist erstaunlich, dass es diese Gärten noch   verankern. »Es ist eine Frage der Stadtplanung,      Das gilt nicht nur für Afrika.« Damit das funkti-
                                                      immer gibt.« Dies vor allem auch vor dem Hin-         dass solche Räume da sind«, so Mees. Und de          oniere und nicht von kapitalkräftigen Unterneh-
     den letzten Jahren die gewinnorientierte Nut-    tergrund, dass der Bebauungsdruck in New York         Zeeuw ergänzt: »Es muss eine gesetzlich akzep-       men unterlaufen werden könne, brauche es aber
auch die notwendige Kontrolle, forderte de Zee-      befürchten, dass Tierkrankheiten auch auf den
     uw. »Ist Urban Gardening nur ein Zeitvertreib        Menschen überspringen, beispielsweise Vogel-
     in der Großstadt?«, fragte Annette Heimann vom       oder Schweinegrippe. Es sei, so von Morstein, oft
30   Asien-Pazifik-Forum in Berlin und sprach damit       eine Grauzone, die Gesetzeslage häufig nicht ein-                                                                                                        31
     direkt Ursula Renker von der Berliner Senatsver-     deutig. Denn ehemals ländliche Gebiete seien von
     waltung an. »Es geht um soziale Vernetzung, es       der Großstadt überrollt worden, die Tierhaltung
     geht um Teilhabe an der Stadtgesellschaft. Aber      aber geblieben. »Es sind gewachsene Strukturen,
     Nahrungsmittelproduktion in Berlin – das glaube      die seit Jahrhunderten existieren und die man im-
     ich nicht«, so Renker. »Wo liegen in Berlin die      mer geduldet hat.« Hier könne die Internationale
     Flächen, auf denen man tatsächlich produzieren       Zusammenarbeit die Regierungen beraten, sodass
     kann?« Wenn der Boom anhalte und »local food«        solche Systeme weiter funktionieren können.
     weiterhin im Trend sei, dann könne man über
     die Verknüpfung mit dem Umland nachdenken.           Das größte Problem der Urban Agriculture ist
     »Da muss man dann in die Fläche gehen.« In-          der Wasserbedarf. Denn – gegossen wird derzeit
     nerstädtisch sei das nicht realisierbar. Joachim     mit qualitativ hochwertigem Trinkwasser. Dies ist
     Prey von der GIZ griff den Gedanken auf und          dort ein Problem, wo die Ressource Wasser knapp
     stellte die Frage nach der Wirtschaftlichkeit ur-    ist. Die Nutzung von Abwässern ist problema-
     baner Landwirtschaft. Modelle gebe es keine, so      tisch, da diese, wenn überhaupt, nur unzurei-
     die Antwort, aber »im Süden ist normalerweise        chend hygienisch gereinigt sind. Doch um dieses
     die Einkommensschaffung der Ausgangspunkt«,          Potenzial für die städtische Landwirtschaft zu
     meinte Henk de Zeeuw. »Im Laufe der Zeit kom-
     men dann andere Aspekte hinzu.« So nutze bei-
     spielweise die Pekinger Stadtverwaltung die städ-
                                                          nutzen, braucht es klare Regelungen, eine zuver-
                                                          lässige Kontrolle und vor allem auch Investitio-
                                                          nen, wie Jürgen Fechter von der KfW betonte..
                                                                                                                Rooftop Farming oder:
     tischen Landwirtschaftsflächen ganz gezielt als
     Erholungsgebiete. Elena Brandes verwies auf den
     Prinzessinnengarten in Berlin.. Urban Gardening
                                                          Ein andere, bislang nur unzureichend genutzte
                                                          Ressource sind die menschlichen Fäkalien, die
                                                                                                                Wenn das Dach zum Garten wird
     und Urban Agriculture seien grundsätzlich auch       in den Städten anfallen. Auch hier ist, wie beim                                                        Allerdings gibt es noch viel Forschungsbedarf.
     wirtschaftlich erfolgreich zu betreiben. »Wir sind   Abwasser, die Frage der Hygiene noch bei weitem
     eine gemeinnützige GmbH und müssen nachhal-          nicht gelöst. Ebenso wenig die Frage der Rück-                                                          So zum Beispiel bei der Prozesstechnik und
     tig wirtschaften, um uns selber zu erhalten. Die     gewinnung wichtiger Nährstoffe, beispielsweise
     Idee ist ja, dass man davon auch leben kann.«        Phosphat, wie Peter Schrage-Aden vom Um-                                                                Prozessoptimierung, bei der Materialentwick-
                                                          welt- und Naturschutzamt Berlin erwähnte. »Die
     In der Diskussion häufig vernachlässigt wird         Rückgewinnung von Nährstoffen aus allen mög-                                                            lung, bei der Biologie und Pflanzenernährung
     die städtische Tierhaltung. Carola von Morstein      lichen Fäkalien, aber auch aus Nebenprodukten         Das Fraunhofer Institut für Umwelt, Sicher-
     von der GIZ griff dieses Thema auf und meinte:       der Tierproduktion muss man angehen«, stimmte                                                           oder bei der Nachhaltigkeit.
     »Viele Migranten bringen ihren landwirtschaft-       ihm Professor Folkard Asch zu.                        heit und Energietechnologie (UMSICHT) hat ein
     lichen Hintergrund mit in die Großstädte und
     damit auch ein Stück Identität aus ihrem alten       Urban Agriculture hat unterschiedliche Funktio-       eigenes Rooftop-Farming-Modell entwickelt.        Simone Krause ist Projektmanagerin beim
     Umfeld.« Doch bei der Tierhaltung geht es nicht      nen. In Industrieländern ist die soziale Integrati-
     nur um ein paar Hühner im Hinterhof, sondern         on die Haupttriebfeder, in Entwicklungsländern        Auf den Dächern bereits bestehender Gebäu-        Fraunhofer Institut UMSICHT und mit für das
     häufig um intensive Tierhaltung mitten in der        das zusätzlich damit erwirtschaftete Einkommen.
     Stadt. Milch und Fleisch als Proteinlieferanten      Doch auch welche Motivation der städtischen           de werden Gewächshäuser gebaut, in denen          Rooftop Farming zuständig. Sie erläutert, wie
     sind wichtige Nahrungsergänzung für Stadtbe-         Landwirtschaft zugrunde liegt, der Nexus Energie
     wohner, die Tierhaltung ermöglicht häufig ins-       – Wasser – Ernährungssicherung ist das beste Ar-      Gemüse in hydroponischer Kultur gezogen wird.     es genau funktioniert, wo die Vorteile liegen
     besondere Frauen ein zusätzliches Einkommen          gument für zukünftige städtische Landwirtschaft,
     und trägt zu ihrem Empowerment bei. Das enge         darin waren sich die Fachleute einig.                 Wasser- und Energiekreisläufe sind integriert;    und in welchen Bereichen es noch Forschungs-
     Zusammensein von Mensch und Tier wird jedoch         [Clips 10-12]
     von Verwaltungen oft kritisch betrachtet, da sie                                                           es ist ressourceneffizient und umweltfreundlich.   bedarf gibt.
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