Delegative Demokratie und Präsidentialismus in Südkorea und auf den Philippinen

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WeltTrends  Nr. 29 • Winter
Delegative Demokratie  und Präsidentialismus
                            2000/2001        - Südkorea und Philippinen                  115

Aurel Croissant

Delegative Demokratie und
Präsidentialismus in Südkorea und auf den
Philippinen
Einleitung

Die Frage nach dem rechten Regierungssystem für die Konsolidierung junger De-
mokratien hat im Zuge der Beschäftigung mit „Demokratien mit Adjektiven“ eine
neue Wendung erfahren. Im gleichen Maße, wie sich die empirischen Zeichen ver-
dichten, die letzte „Demokratisierungswelle“ des 20. Jahrhunderts (Huntington 1991)
könnte weniger ein Triumph des demokratischen Liberalismus als vielmehr die Er-
folgsgeschichte „illiberaler“ Demokratien (vgl. Croissant/Thiery in diesem Heft) wer-
den, mehren sich die Verweise auf die Anfälligkeit präsidentieller Systeme für die
Selbstzerstörung der Demokratie durch populistisch agierende, quasi-plebiszitär
legitimierte und in ihrem Handeln der Verantwortung gegenüber horizontal verfloch-
tenen Kontrollgewalten entbundene Präsidenten. Vor allem der argentinische Sozial-
wissenschaftler Guillermo O’Donnell mit seinem Konzept der „delegativen Demo-
kratie“ (O’Donnell 1994) und jüngst der nordamerikanische Verfassungstheoretiker
Bruce Ackerman (2000) haben auf die Anfälligkeit präsidentieller Demokratie für
autoritäre Regressionen hingewiesen (siehe auch Merkel 1999a; 1999b). Bislang
beschränkte sich die Diskussion weitgehend auf die jungen Demokratien Latein-
amerikas und Osteuropas. Sie ist jedoch auch für das pazifische Asien relevant: Mit
Ausnahme der parlamentarischen Monarchie Thailand handelt es sich bei den jun-

*   Dieser Beitrag ist im Rahmen eines von der Volkswagen-Stiftung finanzierten Forschungs-
    projekts „Demokratische Konsolidierung und Defekte Demokratie“ entstanden. Ich dan-
    ke meinen Kollegen Claudia Eicher, Wolfgang Merkel, Hans-Jürgen Puhle und Peter
    Thiery, Jörg Faust (Mainz), Mirko Krück und den Teilnehmern an einem Kolloquium
    der Universität Frankfurt a.M. für ihre Anregungen. Oh Jungen vom KLRI und Bang
    Seung-ju, Verfassungsgericht der Republik Korea, bin ich für die Bereitstellung von Daten,
    ihre Geduld und ihre Hilfsbereitschaft zu Dank verpflichtet. Ein besonderes Dankeschön
    gebührt auch Francisco Magno und Freddi Robbles vom Department of Political Science,
    De La Salle University / Manila, ohne deren großzügige Unterstützung und vielfachen
    Rat meine Recherche kaum hätte durchgeführt werden können. Selbstverständlich ist der
    Autor für alle Fehler und Irrtümer allein verantwortlich.
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gen Demokratien der Region ausschließlich um präsidentielle Systeme (Philippi-
nen, Indonesien) oder um präsidentiell-parlamentarische Mischsysteme mit stark
präsidentiellem Einschlag (Südkorea und Taiwan). Auch mit Blick auf diese Syste-
me lassen die empirischen Teilbeobachtungen darauf schließen, daß die Ausbrei-
tung der Demokratie nicht zu einem Triumph der liberalen Demokratie geführt hat
(u.a. Aquino 1998; Bell et al. 1995).
     Ziel dieses Beitrags ist es, am Beispiel Südkoreas und der Philippinen zu über-
prüfen, unter welchen Bedingungen Präsidentialismus in jungen Demokratien das
Entstehen delegativer Demokratien begünstigt. Die Ausgangshypothese lautet: Prä-
sidentielle Regierungssysteme bieten unter zwei miteinander verschränkten Bedin-
gungen vorteilhafte Opportunitätsstrukturen für den Aufstieg delegativer Demokra-
tien: wenn sie, erstens, Präsidenten auf verfassungsrechtlicher Ebene mit einer star-
ken Kompetenzfülle im Bereich der Rechtssetzung bei gleichzeitig schwachen
Kontrollkapazitäten der Judikative und Legislative ausstatten und, zweitens, die er-
ste Bedingung mit einem politischen Verhandlungssystem kombinieren, das durch
eine geringe Zahl und durch Verhandlungsschwäche politischer Vetospieler geprägt
ist. Die Prüfung dieser These am Beispiel der beiden ostasiatischen Demokratien
erfolgt im wesentlichen in folgenden Schritten:
1. In einem ersten Schritt wird die delegative Demokratie in eine allgemeine Typo-
     logie (defekter) Demokratien eingeordnet.
2. Im zweiten Schritt wird ein theoretischer Ansatz zur Erklärung delegativer De-
     mokratie in präsidentiellen Regierungssystemen formuliert.
3. Anschließend wird überprüft, ob die beiden asiatischen Demokratien günstige
     Bedingungen für das Entstehen delegativer Demokratie aufweisen.
4. Im vierten Schritt sollen die theoretischen Annahmen zur Erklärung des (Nicht-)
     Entstehens delegativer Demokratie auf ihre Validität hin überprüft werden.
5. Im letzten Schritt werden einige generalisierende Schlußfolgerungen zu Genese
     und Gestalt delegativer Demokratie präsentiert.

I. Zur Typologisierung delegativer Demokratie

In einer Reihe von Artikeln verwies der anglo-argentinische Sozialwissenschaftler
Guillermo O’Donnell seit den frühen 90er Jahren auf das Entstehen einer „neuen
Spezies“ von Demokratie: der delegativen Demokratie (O’Donnell 1994: 55). In-
duktiv-empirisch entwickelt er den Typ der delegativen Demokratie als eine Spiel-
art der Demokratie. Obwohl O’Donnell die Möglichkeit delegativer Demokratie in
parlamentarischen Regierungssystemen nicht per se verneint, zeigen seine Ausfüh-
rungen eine eindeutige Fixierung auf präsidentielle Systeme. Die delegative Demo-
kratie ist im Kern eine illiberale, super-majoritäre Spielart des Hyperpräsidentialismus
lateinamerikanischer Prägung. Ungeachtet der empirischen Überzeugungskraft der
Argumentation fehlt bei O’Donnell ein theoretisches Konzept, das es erlaubt, diesen
neuen „Demokratietyp“ systematisch von rechtsstaatlich-liberalen Demokratien zu
Delegative Demokratie und Präsidentialismus - Südkorea und Philippinen                117

scheiden und seine Unterschiede zu anderen Demokratieformen typologisch zu fas-
sen. Folglich bleiben seine Ausführungen zur Erklärung der Struktur- und Funktions-
elemente dieses in der Grauzone zwischen konsolidierter liberaler Demokratie und
offener Autokratie siedelnden Regimetyps begrifflich vage und unsystematisch.
    Daher ist es notwendig, das von O’Donnell konstatierte „delegative Phänomen“
zunächst als Subtyp demokratischer Regime in eine Demokratietypologie einzuord-
nen. Den konzeptionellen Ausgangspunkt hierzu bildet das Konzept der defekten
Demokratien. Es schließt an einen mehrdimensionalen Demokratiebegriff an, der
den Dahlschen Polyarchiebegriff um die Dimensionen der effektiven Regierungs-
gewalt sowie des Rechtsstaates ergänzt (vgl. den Beitrag von Croissant/Thiery in
diesem Heft). Dies erlaubt zwei begriffliche und zugleich analytische Differenzie-
rungen. Erstens: Wird eines der dort verorteten zentralen Prinzipien beschädigt, kann
nicht mehr von einer intakten liberalen, sondern muß von einer defekten Demokra-
tie gesprochen werden. Zweitens: Je nachdem, welche der drei fundamentalen Di-
mensionen der rechtsstaatlichen Demokratie verletzt ist, haben wir es mit einem
bestimmten Typus der „defekten“ Demokratie zu tun. Das Adjektiv „defekt“ be-
zieht sich somit auf das Fehlen oder die Verletzung eines dieser Prinzipien, welche
die rechtsstaatliche Demokratie kennzeichnen.1 Entsprechend der „Defekte“ kön-
nen verschiedene Subtypen defekter Demokratie konzeptualisiert werden:

Abbildung 1: Typen defekter Demokratien

    Typ                                              Beschädigte Dimension

    Exklusive Demokratie                             Vertikale Legitimation und
                                                     Herrschaftskontrolle

    Enklavendemokratie                               Agendakontrolle

    Illiberale Demokratie: delegative Variante       Dimension des liberalen Rechts-
    Illiberale Demokratie: antiliberale Variante     und Verfassungsstaats

Quelle: Croissant/Thiery in diesem Heft.

Verletzen in freien und allgemeinen Wahlen gewählte Repräsentanten die funda-
mentale Dimension der horizontalen Kontrolle, so haben wir es mit einer delegativen

1    Die Verwendung des Begriffs „defekte Demokratie“ impliziert nicht, von der Existenz
     einer „perfekten“ Demokratie auszugehen. Nicht die „ideale“ oder die „perfekte“ Demo-
     kratie bilden das Gegenstück zur „defekten Demokratie“, sondern die rechtsstaatliche
     Demokratie, d.h. ein demokratisches System, das in allen drei Dimensionen die institu-
     tionellen Minima zur Verwirklichung der genannten Herrschaftskriterien aufweist.
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Demokratie zu tun: Regierungen umgehen das Parlament, wirken extrakonstitutionell
auf die Justiz ein, verschieben die gewaltenbeschränkende Machtbalance zu ihren
Gunsten und statten sich selbst mit einer vom Volk nicht autorisierten Machtfülle
aus. Probleme der horizontal accountability treten überwiegend in zwei Formen auf:
zum einen gesetzwidrige Übergriffe einer Regierungsinstitution auf eine andere, zum
anderen Korruption (O’Donnell 1998: 117). Den gewichtigeren Aspekt stellen die
Übergriffe in die Gewaltenverschränkung dar, die in folgende Arten spezifiziert
werden können:
- fehlende Kontrolle des Parlaments gegenüber der Exekutive,
- fehlende Eigenständigkeit der Gerichtsbarkeit, insbesondere gegenüber Interfe-
   renzen seitens der Exekutive (judicial independence) und, damit verbunden,
- fehlende Kontrolle seitens der Gerichtsbarkeit gegenüber der Exekutive wie auch
   der übrigen öffentlichen Amtsträger (judicial review).
Die Grenze zur Autokratie ist dann überschritten, wenn eine der Gewalten sich dau-
erhaft die Kompetenzen der übrigen Gewalten aneignet und in diesem Sinne die
Herrschaftsträgerschaft monopolisiert. Dies betrifft in erster Linie (aber nicht aus-
schließlich) den Fall der Exekutive, die sich die Kontroll- und Mitwirkungskompetenz
der Legislative aneignet und der Kontrollen durch die dritte Gewalt entledigt.

II. Zur Erklärung delegativer Demokratie

Die Etablierung einer delegativen Demokratie wird als rationale Strategie prä-
sidentieller Akteure zur Umsetzung eines präferierten Politikwechsels - Stärkung
der eigenen Entscheidungskompetenzen und Neutralisierung möglicher Kontroll-
instanzen - begriffen. Der Blick allein auf die Institutionen reicht für das Verständ-
nis dieser Entwicklung nicht aus. Denn diese definieren lediglich den - bedingt form-
baren - Korridor, der bestimmte Spielräume für die strategischen Wahlhandlungen
interagierender Akteure bereitstellt. Sie begrenzen in je besonderer Weise die nutzen-
maximierende Rationalität von egoistisch-rationalen Akteuren (Elster 1986) und
bestimmen das Verhältnis umweltbedingter Restriktionen der Akteure zu ihren
Handlungsmöglichkeiten und Handlungsentscheidungen. Wie Renate Mayntz und
Fritz Scharpf treffend anmerken, ist allerdings die „Reichweite institutioneller Re-
gelungen [...] nur selten allumfassend. Für die Nutzung der faktisch verbleibenden
Handlungsspielräume sind die jeweiligen Handlungsorientierungen der Akteure von
ausschlaggebender Bedeutung. Sie sind ihrerseits teilweise institutionell geprägt, so
insbesondere durch vorhergegebene Aufgaben oder Handlungszwecke, aber auch
durch die Position innerhalb einer Akteurskonstellation“ (Mayntz/Scharpf 1995: 52).
    Damit Institutionen zu effektiven politischen Verfahren und Regeln werden,
müssen sie von individuellen, kollektiven und korporativen Akteuren akzeptiert
werden, für die sie Steuerungs-, Orientierungs- und Integrationsfunktion erbringen
sollen. In ihrem Zusammenwirken bieten die folgenden beiden Bedingungen ratio-
nale Anreize und förderliche Opportunitätsstrukturen für die Beachtung oder Sus-
Delegative Demokratie und Präsidentialismus - Südkorea und Philippinen            119

pendierung institutioneller Mechanismen horizontaler Verantwortlichkeit der Re-
gierung durch Staatspräsidenten. Aus der Perspektive eines akteurszentrierten Insti-
tutionalismus ist eine delegative Demokratie das Ergebnis des Zusammenwirkens
zweier spezifischer Faktorenkombinationen:
1. Eine starke verfassungsrechtliche Kompetenzausstattung des Staatspräsidenten
    im Bereich der Gesetzgebung bei gleichzeitig moderaten oder schwachen Über-
    prüfungs- und Sanktionsrechten der Gerichtsbarkeit sowie der Legislative in bezug
    auf das politische Handeln von Präsidenten;
2. die Konfiguration institutioneller und „parteipolitischer“ Vetospieler (Tsebelis)
    innerhalb nationaler politischer Verhandlungssysteme. Zahl, Verhandlungsstärke
    und Vetobereitschaft der Vetospieler eines demokratischen Systems begrenzen
    oder erweitern die politischen Handlungsspielräume von Präsidenten sowohl
    hinsichtlich der Opportunität der Nutzung konstitutionell garantierter Kompe-
    tenzen als auch hinsichtlich der Bereitschaft von Präsidenten, ihre Kompetenzen
    und Kontrollfreiräume auf verfassungsrechtlich legitimem oder illegitimem Wege
    auszuweiten.
Die Verbindung beider Variablen mit dem Phänomen der delegativen Demokratie
wird im folgenden skizziert. Hierzu werden, erstens, vorteilhafte Bedingungen für
delegative Demokratie auf der verfassungsrechtlichen Ebene benannt. Zweitens wird
gezeigt, welche Vetospielerkonstellation für das Entstehen delegativer Demokratie
vorteilhaft ist.

1. Verfassungsrechtliche Ebene

Auf der verfassungsrechtlichen Ebene ist zu fragen, ob die Staatsgewalt zwischen
mehreren sich gegenseitig begrenzenden Gewalten hinreichend kontrolliert oder ob
sie monokratisch in einer einzigen Gewalt konzentriert wird - ob also die Herrschafts-
struktur pluralistisch ist oder nicht. Diese Frage zielt ab auf die klassische liberale
Frage der Gewaltenteilung, -begrenzung und -kontrolle. In Demokratien sind die
drei Gewalten zumindest soweit in ihrem Wirken unabhängig, daß sie sich wechsel-
seitig effektiv kontrollieren können. Mit Blick auf die Möglichkeitsstrukturen de-
legativer Demokratie sind zwei Aspekte zu unterscheiden: das Verhältnis zwischen
Parlament und Staatspräsident sowie das Verhältnis zwischen Exekutive und Judi-
kative.
    ad 1) Kräfteverhältnis zwischen Parlament und Regierung: Das Gesetzgebungs-
recht hat in parlamentarischen Demokratien in jedem Fall das Parlament. Die poli-
tische Kontrollfunktion der Parlamente in modernen parlamentarischen Demokrati-
en ist zwar de facto auf parlamentarische Opposition, Medien, Interessengruppen
und Gerichte übergegangen. Diese Aufweichung des ursprünglichen staatsorgani-
satorischen Dualismus von (demokratischem) Parlament und (monarchistischer)
Regierung (vgl. Gehrig 1969: 85ff.) ändert jedoch nichts daran, daß das Gesetz-
gebungsrecht nur vom Parlament als Gesamtorgan wahrgenommen werden kann.
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Hinsichtlich der legislativen Kompetenzen von Präsidenten haben jüngst Carey und
Shugart mit ihrer Typologie präsidentieller Dekretvollmachten einen wichtigen
Beitrag zur Analyse der Funktionsweise präsidentieller Regierungssysteme vorge-
legt. Die beiden Autoren unterscheiden zwischen zwei Formen legislativer Mitwir-
kungsrechte von (präsidentiellen) Exekutiven (Carey/Shugart 1998: 5-9; Shugart
1999):
- Reaktive Mitwirkungsrechte erlauben es Präsidenten, Politikentscheidungen des
    Parlaments zu blockieren. Zu nennen ist hier ist vor allem das präsidentielle Veto
    gegen Gesetzesbeschlüsse der Legislative.
- Proaktive Mitwirkungsrechte können nach Carey/Shugart (1998: 6) in Agenda-
    setzungs- sowie Verordnungsrechte unterteilt werden. Agendamacht erlaubt es
    Präsidenten, die Bandbreite der Politikoptionen des Parlaments einzuengen und/
    oder den parlamentarischen Entscheidungsprozeß an Zeitvorgaben zu binden.
    Beides zielt ab auf die defensive Beschränkung der Gestaltungsmöglichkeiten
    politischer Entscheidungsagenden der Legislative. Die präsidentielle Verord-
    nungsmacht ermöglicht es der Exekutive, Politikmaterien offensiv zu gestalten,
    zu entscheiden und diese Entscheidungen zu implementieren. Sie kann ihrerseits
    in „delegierte“ (abgeleitete) und konstitutionelle (autonome) Verordnungs-
    autorität unterschieden werden: Erstere umfaßt administrative und regulatorische
    Akte einer Regierung auf der Grundlage einer parlamentarischen Vollmacht.
    Letztere hingegen ist unabhängig von solchen Willensäußerungen der Legislati-
    ve. Handlungen der Exekutive im Rahmen dieses Verordnungsrechts sind nicht
    an die Zustimmung des Parlaments gebunden (Carey/Shugart 1998: 14; Shugart
    1999: 63).
Während die Zuweisung reaktiver Mitwirkungskompetenz und Agendasetzungs-
kompetenz zwar auf die Stellung von Präsidenten in der legislativen Arena Einfluß
hat, ist sie mit Blick auf das Abgleiten eines demokratischen Regimes in die defekte
Demokratie unproblematisch. Was vielmehr das Entstehen einer delegativen De-
mokratie fördert, ist die starke Konzentration konstitutioneller und/oder delegierter
Verordnungsmacht auf die präsidentielle Exekutive. Denn sie höhlt tendenziell das
liberale Prinzip der (nicht strikten) Gewaltentrennung aus, verwischt die konstitu-
tionelle Grenze zwischen den Staatsgewalten und verlagert das originäre Recht der
gesetzgebenden Versammlung - die Rechtssetzung - auf die ausführende Körper-
schaft (Lobel 1989; Ganev 1997). Problematisch sind insbesondere „Notverordnungs-
rechte“ (emergency degree powers) von Präsidenten. Vor allem, wenn Notstands-
situationen nur ungenügend definiert sind, bieten sie dem Staatsoberhaupt besonde-
re politische Entscheidungsbefugnisse und -rechte, die in Krisenzeiten von der Exe-
kutive auch gegen den Geist der Verfassung genutzt werden können. Präsidenten
wird hier die Möglichkeit geboten, zumindest zeitweise konkurrierende und kon-
trollierende Gewalten zu umgehen, nämlich mit Hilfe von Dekreten. In diesen unzu-
reichend definierten „Ermächtigungsfällen“ zieht die Exekutive wichtige legislati-
ve Befugnisse qua eigener Entscheidung an sich. Der politische Entscheidungspro-
Delegative Demokratie und Präsidentialismus - Südkorea und Philippinen                   121

zeß wird intransparent und verlagert sich aus den formalen Institutionen in den
Dunstkreis der Präsidialämter.
    Die Frage nach der begründeten Reichweite exekutiver Kompetenzen in Zeiten
nationaler Notstände knüpft an eine zentrale Frage an, die sich abgeschwächt auch
in „normalen“ Zeiten stellt: Wann ist eine Regierung zu schwach, um ihre originä-
ren Aufgaben erfüllen zu können, wann ist sie zu stark für die Freiheit ihrer Bürger?
Damit die Notstandsrechte mit den Prinzipien des demokratischen Liberalismus
vereinbar sind, müssen Verleihung und Nutzung dieser Rechte durch den Willen
des Parlaments gedeckt sein (durch Zustimmung ex ante oder ex post). In jedem Fall
gilt es, emergency powers durch die Definitionskriterien für einen Notstand eng zu
begrenzen. Nur eine solche enge Definition hält die Trennung zwischen konstitutio-
neller Ordnung und Notstand aufrecht. Nur wenn dies gilt, kann die Routinisierung
des Notstands - das Paradox eines permanenten rechtlichen Ausnahmezustandes -
verhindert werden (Lobel 1989: 1395, 1412).
    Die Tendenz eines Regierungssystems zur Verlagerung der formalen Gesetz-
gebungsrechte auf die Exekutive kann anhand der Häufigkeit der Nutzung proaktiver
Dekretautorität durch den Präsidenten überprüft werden: Je häufiger Staatspräsi-
denten ihre schöpferischen Legislativrechte zur Setzung unmittelbar und permanent
geltenden Rechts in Gestalt formaler Gesetze nutzen, desto stärker wird die Exeku-
tive zu einem „obersten Gesetzgeber“ und umgekehrt, die Legislative zu einem ge-
setzgeberischen „Ersatzinitiator“. Dabei ist es zunächst ohne Belang, ob die erfaß-
ten proaktiven Dekretrechte der Exekutive konstitutioneller, delegierter oder „para-
konstitutioneller“ Art sind. Denn unabhängig davon, ob diese Rechte der Regierung
von der Verfassung zugewiesen werden, ob sie ihr durch das Parlament verliehen
wurden, ob ihre verfassungsrechtliche Grundlage zweifelhaft ist oder ob sie verfas-
sungswidrig sind - hierdurch tendieren in jedem Fall Rechtssetzung und Rechtsan-
wendung zur Fusion in einer Gewalt, ohne daß dem Parlament die Möglichkeit ver-
bleibt, das gesetzgeberische Handeln der Regierung effektiv zu kontrollieren.
    ad 2) Kräftebalance zwischen Exekutive und Judikative: Besondere Bedeutung
für die Frage der horizontalen Verantwortlichkeit (präsidentieller) Exekutiven hat
zudem die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen Regierung und (Verfassungs-)
Gerichtsbarkeit. Die liberale, d.h. rechtsstaatliche und konstitutionelle Demokratie
setzt unabdingbar die effektive Ausübung richterlicher Aufsicht über die Verein-
barkeit von Gesetzgebung und -anwendung durch demokratisch legitimierte Auto-
ritäten mit den formalen und materiellen Inhalten einer Verfassung voraus: kaum
eine (liberale) Demokratie ohne judicial review (Post 1998: 437).2 Effektivität der
2   Sicherlich kann mit Blick auf den Urtyp der liberalen Demokratie, das britische West-
    minster-Modell der Mehrheitsdemokratie, eingewandt werden, daß liberale Demokratie
    sehr wohl auch ohne das Vorhandensein konstitutionell gesicherter Institutionen der
    judicial review funktionsfähig ist (vgl. hierzu Klug et al. 1996). Allerdings ist die Ver-
    hinderung der Mehrheitstyrannei in einem solchen politischen Umfeld hoch voraus-
    setzungsvoll, da sie ein hohes Maß an freiwilliger Selbstbindung der Regierung und der
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judicial review erfordert nicht allein verfassungsrechtliche Möglichkeiten zur Über-
wachung hoheitlicher Akte des Parlaments und der Regierung durch die Gerichte.
Vielmehr müssen diese Möglichkeiten auch genutzt werden und, sofern die Gerich-
te die Inkonsistenz von Rechtssetzung und -anwendung mit formalem/materiellem
Verfassungsrecht feststellen, die betreffenden Maßnahmen revidiert werden. Ob die
dritte Gewalt ihre Kontrollfunktion effektiv wahrnehmen kann, hängt wesentlich
von ihrer institutionellen und politischen Unabhängigkeit ab (Larkins 1996: 609).
    Ungeachtet der Tatsache, daß die meisten demokratischen Verfassungen Vor-
kehrungen zur richterlichen Kontrolle bereitstellen und Sanktionsmechanismen im
Falle des Autoritätsmißbrauchs durch Angehörige der ersten und zweiten Gewalt
kennen, sind in der politischen Realität sehr unterschiedliche Formen der judicial
review anzutreffen, sowohl hinsichtlich ihrer Reichweite und Häufigkeit als auch
hinsichtlich ihrer Effektivität. Ähnliche konstitutionelle und institutionelle Arran-
gements erlauben unterschiedliche Muster richterlicher Kontrolle, so daß auch bei
vergleichbaren institutionellen Rahmenbedingungen die realen Praktiken der judicial
review unterschiedlich nahe an einem der beiden Extrempole des richterlichen Ak-
tivismus (judicial activism) und der richterlichen Inaktivität (judicial restraint) lie-
gen. Auch hier reicht der Blick auf die Institutionen nicht aus, um zu erklären, war-
um in manchen Systemen Gerichte ihre Rolle als Verfassungshüter offensiv und
präventiv interpretieren, in anderen Systemen jedoch auch bei offenkundigen Ver-
stößen gegen Verfassung und geltendes Recht nicht zur Intervention bereit sind.

2. Vetospielerkonstellationen

Der Verweis auf die bereits in der Verfassung vorgesehenen „delegativen“ Elemen-
te einer präsidentiellen Demokratie kann daher keine befriedigenden Erklärungen
für das Entstehen delegativer Demokratie liefern. Konstitutionelle „Fehlkonstruk-
tionen“ bieten allenfalls Einfallstore für die Usurpation der Staatsmacht durch
delegative Präsidenten. Zu klären bleibt gleichwohl, warum Staatspräsidenten im
konkreten Fall auf die Etablierung einer delegativen Demokratie verzichten, bei
diesem Vorhaben scheitern oder aber erfolgreich sind. Hier bietet sich der Rückgriff
auf das Vetospieler-Theorem von George Tsebelis an. Demnach ist das Potential für
politischen Wandel - in unserem Zusammenhang: für die Veränderung des institu-
tionellen Status quo - um so größer, je kleiner die Zahl der Vetospieler, je geringer
die ideologische Distanz und je heterogener die Gefolg- und Mitgliedschaft jener
Spieler ist. Vetospieler sind all jene individuellen oder kollektiven Akteure, deren

   Parlamentsmehrheit, einen breiten Fundus eingespielter informaler Mechanismen der
   Rechtskontrolle und - vor allem - einer starken Zivilgesellschaft und Medienlandschaft
   bedarf, die zusammen die Funktion einer außergerichtlichen Kontrollinstanz ausüben.
   Diese Bedingungen dürften jedoch in jungen Demokratie in aller Regel nicht gegeben
   sein; die Herausbildung dieses komplexen und weitgehend informal institutionalisierten
   Systems der Kontrolle hat in Großbritannien Jahrhunderte gedauert.
Delegative Demokratie und Präsidentialismus - Südkorea und Philippinen          123

Zustimmung Voraussetzung für eine Änderung des politischen Status quo ist. Dabei
kann zwischen zwei Arten von Vetospielern unterschieden werden (Tsebelis 1995:
301f.): Institutionelle Vetospieler sind Institutionen, die im Bereich der Gesetzge-
bung formale, d.h. konstitutionell gesicherte Vetorechte besitzen. Diese können je
nach Politikmaterie zweite Parlamentskammern, Verfassungsgerichte oder Oberste
Gerichte sowie direkt gewählte Präsidenten sein. Parteipolitische (partisan) Veto-
spieler sind politische Parteien und Bündnisse, welche die Präferenz einer Regie-
rung für einen Politikwechsel blockieren können. In parlamentarischen Regierungs-
systemen sind dies die an einer Regierung beteiligten Koalitionsparteien, in prä-
sidentiellen Systemen jene Parteien oder politischen Gruppierungen, auf deren re-
gelmäßige Unterstützung im Kongreß Präsidenten angewiesen sind.
    Aus dieser Perspektive läßt sich die Etablierung einer delegativen Demokratie
als erfolgreicher Versuch eines Politikwechsels, das Scheitern einer delegativen
Demokratie hingegen als blockierter Politikwandel interpretieren. Scheitern oder
Erfolg eines solchen Vorhabens sind im Vetospielertheorem maßgeblich von der
Zahl und Stärke der politischen Akteure abhängig, die eine solche Entwicklung ver-
hindern können. Entsprechend diesen Überlegungen läßt sich folgende Hypothese
zur Erklärung des Entstehens delegativer Demokratien formulieren:
    Das Entstehen delegativer Demokratie in präsidentiellen Systemen ist dann wahr-
scheinlich, wenn die Exekutive von der Verfassung bereits mit starken (proaktiven)
legislativen Kompetenzen ausgestattet wurde und/oder die Nutzung oder Auswei-
tung dieser Kompetenzen in einem politischen Verhandlungsumfeld erreicht wer-
den kann, das durch schwache oder fehlende institutionelle und parteipolitische
(partisan) Vetoakteure charakterisiert ist. Umgekehrt ist das Entstehen einer dele-
gativen Demokratie dort unwahrscheinlich, wo die gesetzgeberische Stellung des
Präsidenten nach der Verfassung moderat bis schwach ist und/oder wo Staatspräsi-
denten ihre Strategien der Machtarrondierung in einem durch handlungsstarke und
blockadebereite Vetospieler geprägten Verhandlungsumfeld verfolgen (müssen).

III. Ausgangsbedingungen delegativer Demokratie in Südkorea und
den Philippinen

Aus den obigen Ausführungen folgt für die weitere Analyse die Notwendigkeit, die
Möglichkeitsstrukturen für das Entstehen delegativer Demokratien in beiden Län-
dern auf der Ebene der institutionellen Kompetenzausstattung der Präsidenten so-
wie auf der Ebene von Vetospielerkonstellationen zu prüfen.

1. Die institutionellen Prärogativen der Staatspräsidenten

Ein Vergleich beider Demokratien hinsichtlich der formalen Mitwirkungsrechte ihrer
Staatspräsidenten im Rechtssetzungsverfahren fördert signifikante Unterschiede
zutage. Die gesetzgeberischen Mitwirkungsrechte des philippinischen Präsidenten
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sind vor allem im Bereich reaktiver Rechte angesiedelt. Zu nennen sind hier das
allgemeine (politische) Vetorecht sowie das item-Veto des Präsidenten. Im Bereich
der Agendamacht gibt die Verfassung dem philippinischen Präsidenten zwei Instru-
mente an die Hand: erstens die ausschließliche Zuständigkeit der Regierung für
Entwurf und Vorlage des Haushaltsgesetzes sowie, zweitens, die Deklaration von
Gesetzesvorhaben als dringlich zur Abwehr eines öffentliche Notstands, wodurch
das parlamentarische Beratungs- und Beschlußverfahren erheblich verkürzt wird.
Im Unterschied zu seinem Pendant in Südkorea kann er jedoch das formale Gesetz-
gebungsverfahren nicht mit einer eigenen Initiative eröffnen. Demgegenüber ver-
fügt der südkoreanische Präsident sowohl über das allgemeine Vetorecht (nicht aber
über das item-Veto) als auch über das allgemeine Gesetzesinitiativ- und das Refe-
rendumsinitiativrecht. In beiden Fällen ist den Präsidenten jedoch das Einfallstor
zur Aushebelung der Mechanismen horizontaler Gewaltenkontrolle und Verantwort-
lichkeit, die konstitutionelle Dekretautorität, verschlossen. Die Nutzung von Not-
standsrechten durch den Präsidenten bedarf jeweils der Zustimmung durch das Par-
lament: auf den Philippinen ex ante (Erklärung eines Notstands), in Südkorea ex
post (Zustimmung des Parlaments zu einer erlassenen Notverordnung). Die Ver-
ordnungsmacht beider Präsidenten ist rein delegierter Natur, und sie muß jeweils
durch ein Parlamentsgesetz gedeckt sein. Gleichwohl ist die delegierte Verordnungs-
macht des südkoreanischen Präsidenten stärker ausgeprägt als die seines Gegen-
parts auf den Philippinen, da der südkoreanische Präsident den Premierminister bzw.
die Ressortminister per Dekret zum Erlaß von Verordnungen bevollmächtigen kann.
Letztere bedürfen nicht der Zustimmung des Parlaments.
    Die Gegenüberstellung zeigt also, daß der philippinische Präsident von der
Verfassungsgrundlage her eindeutig ein „reaktiver“ Staatspräsident ist. In Südkorea
überwiegen die „proaktiven“ Rechte im Bereich der Rechtssetzung. Insgesamt ist
der südkoreanische Präsident „stärker“, d.h. seine legislativen Prärogativen über-
steigen die seines philippinischen Kollegen. Hervorzuheben ist jedoch, daß keiner
von beiden über konstitutionelle Dekretmacht verfügt, wie sie beispielsweise in
Argentinien und Rußland dem Staatspräsidenten zusteht und die als größtes Ein-
fallstor für die Etablierung einer delegativen Demokratie gilt (Carey/Shugart 1998).

2. Vetospielerkonstellationen

Auch mit Blick auf ihre Vetospielerkonstellationen unterscheiden sich die Systeme.
So hat das Zweikammersystem der Philippinen mit dem Senat einen Vetospieler
mehr als das präsidentielle Einkammersystem Südkoreas. Im symmetrischen Bi-
kameralismus philippinischer Prägung sind beide Kammern gleichberechtigt am
Gesetzgebungsverfahren beteiligt. Ungewöhnlich und für das Funktionieren des
philippinischen Bikameralismus von besonderer Bedeutung ist die Inkongruenz der
Zusammensetzung beider Häuser. Die maximal 250 Mitglieder der ersten Kammer
werden mit Ausnahme der sektoralen Repräsentanten in Einmannwahlkreisen nach
Delegative Demokratie und Präsidentialismus - Südkorea und Philippinen            125

relativem Mehrheitswahlrecht auf drei Jahre gewählt, die 24 Senatoren hingegen in
einem nationalen Wahlkreis mit relativer Mehrheit; ihre Amtszeit beträgt sechs Jah-
re. Zwischen beiden Kammern besteht damit nicht nur eine erhebliche Diskrepanz
in der Zahl ihrer Mitglieder. Vielmehr ist auch die Mitgliederfluktuation im Reprä-
sentantenhaus wesentlich höher als im Senat. Der Anteil jener Abgeordneten, die
über mehrere Legislaturperioden hinweg dem Haus angehören, betrug im neunten
bis elften Kongreß (1992-2001) im Repräsentantenhaus durchschnittlich 55 Pro-
zent, im Senat jedoch 66,6 Prozent.3 Seine geringere Mitgliederfluktuation und
Abgeordnetenzahl verleihen dem Senat in internen Entscheidungsprozessen erheb-
liche Kontinuitäts- und Koordinationsvorteile gegenüber dem Repräsentantenhaus.
Hierdurch ist seine institutionelle Handlungsfähigkeit tendenziell höher als die des
Repräsentantenhauses, das durch ein ineffizientes Verhandlungssystem, häufige
Verfahrensblockaden sowie hohe personelle Diskontinuität charakterisiert ist.
    Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen beiden Kammern besteht im
Abhängigkeitsverhältnis der Abgeordneten zu ihren Wahlkreisen: Während die Se-
natoren aufgrund der Wahl in einem nationalen Wahlkreis über ein höheres Maß an
Unabhängigkeit gegenüber lokalen Wahlklientelen verfügen und recht unbelastet
von den Zwängen einer intensiven Wahlkreispflege ihrem Amt nachgehen können,
sind die Abgeordneten des Repräsentantenhauses genötigt, einen erheblichen Teil
ihrer Tätigkeit der Distriktbetreuung zu widmen. Folglich ist die Arbeit der Mitglie-
der der ersten Kammer durch einen ausgeprägten Distriktstil, den Einsatz für eine
dem Wahldistrikt günstige Ressourcenallokation (pork barreling) und die Vertre-
tung der Interessen lokaler, für die Wiederwahl bedeutsamer Unterstützungsgruppen
gekennzeichnet. Wesentlich stärker noch als im Senat fehlt eine konsequente Hal-
tung in politischen Sachfragen, die nicht auf bestimmte Wahldistrikte begrenzt sind.
Dies zeigt sich u.a. in der unterschiedlichen Ausrichtung der Gesetzgebungstätigkeit
beider Kammern. Während im Repräsentantenhaus der Anteil der eingereichten
Gesetzesvorlagen mit nur lokaler Bedeutung seit 1987 kontinuierlich zwischen siebzig
und achtzig Prozent liegt, beträgt er im Senat lediglich drei bis vier Prozent.4
    Während dem philippinischen Präsidenten also zusätzlich zum Obersten Gerichts-
hof noch ein zweiter Vetospieler gegenübersteht, der gleichberechtigt mit der ersten
Kammer am Gesetzgebungsverfahren teilnimmt und zudem über signifikante intra-
institutionelle Koordinations- und Entscheidungsvorteile verfügt, fehlt dieser insti-
tutionelle Vetospieler in Südkorea. Hier reduziert sich die Palette der Spieler auf das
Verfassungsgericht. Aber auch mit Blick auf die dritte Gewalt bestehen signifikante
Divergenzen. Auf den Philippinen wurde im Zuge der Demokratisierung die her-
ausgehobene Stellung des Obersten Gerichts aus der Zeit der ersten philippinischen
Demokratie (1946-1972) restauriert. Die Verfassung gewährt dem Supreme Court

3   Angaben für den Senat beziehen sich nur auf den 9. und 10. Kongreß.
4   Vgl. die Angaben in Congressional Report (1991); Congress Watch Report (1993);
    PhilRights/IPER (1996).
126                                                                     Aurel Croissant

weitreichende Jurisdiktion über die Exekutive und Legislative, die volle Diszipli-
nargewalt über das Gerichtswesen sowie Autonomie über die eigenen Finanz-, Per-
sonal- und Verwaltungsangelegenheiten. Als Reaktion auf den Mißbrauch der poli-
tischen Prärogativen der Exekutive durch Ferdinand Marcos wurden die Kompeten-
zen des Gerichts in den Kernbereichen der judicial review gestärkt und der Supreme
Court zu einem Schlüsselakteur auch in wichtigen wirtschafts- und gesellschaftspo-
litischen Kontroversen aufgewertet (Bakker 1997: 93ff.). Die politische Unabhän-
gigkeit des Supreme Court wurde bereits unmittelbar nach der Demokratisierung
durch die Reorganisation des gesamten Gerichtswesens und die Neuregelung des
Bestallungsverfahrens erheblich gestärkt. Die Dominanz der Exekutive in der Ver-
fassungsgerichtsbarkeit wird durch ein Berufungsverfahren für die 15 Obersten Richter
verhindert, welches die Ernennungsoptionen des Präsidenten eng begrenzt. In Verbin-
dung mit dem Prinzip der Nichtabberufbarkeit der Obersten Richter hat dies bislang
verhindert, daß die Exekutive einseitig deren Zusammensetzung beeinflußte.
     Im Vergleich hierzu ist das südkoreanische Verfassungsgericht ein wesentlich
jüngeres Verfassungsorgan. 1988 wurde erstmals ein unabhängiges Verfassungsge-
richt eingerichtet (Oh 1996: 428f.). Es besteht aus neun Richtern, von denen jeweils
drei vom Staatspräsidenten, vom Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs sowie von
der Nationalversammlung ernannt werden. Die Amtszeit der Richter ist doppelt
begrenzt: Zum einen dauert sie nur sechs Jahre, allerdings mit der Möglichkeit der
Wiederwahl. Zum anderen liegt die Altersgrenze für Verfassungsrichter bei 65 bzw.
70 Jahren (letzteres gilt nur für den Gerichtspräsidenten, vgl. § 7 Abs. 2 VerfGG).
Im Vergleich zur unbegrenzten Amtszeit der philippinischen Richter ergeben sich
hieraus Möglichkeiten zur politischen Beeinflussung des Verfassungsgerichts bei-
spielsweise durch die Ernennung von Richtern nahe der Altersgrenze oder die poli-
tische Konditionalisierung der Wiederwahl. Im Unterschied zum Obersten Gerichts-
hof der Philippinen steht das koreanische Verfassungsgericht außerhalb des Instanzen-
zugs der Gerichtsbarkeit und kann nicht von sich aus tätig werden.
     Eines der von Kritikern des Präsidentialismus am häufigsten vorgebrachten Ar-
gumente lautet, präsidentielle Regierungssysteme neigten zur Bildung konkurrie-
render parteipolitischer Mehrheiten in Exekutive und Legislative. Vor allem bei
zeitlich versetzt durchgeführten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen (staggered
elections) drohe die Gefahr asynchroner Mehrheitsverhältnisse, die zu wechselseiti-
gen Politikblockaden und - im schlimmsten Falle - zum Zusammenbruch der konsti-
tutionellen Ordnung führen könnten (Linz 1994; Ackerman 2000: 645ff.). Auch in
den beiden hier untersuchten Demokratien ist diese Gefahr gegeben, da Exekutive
und Legislative aufgrund ihrer unterschiedlich langen Wahlperioden nach einem
abgestuften Wahlplan operieren.5 Gleichwohl ist eines der herausragenden Kenn-

5   Die Amtszeit des Präsidenten beträgt in Südkorea fünf und auf den Philippinen sechs
    Jahre. Die Legislaturperiode der Nationalversammlung in Korea ist auf vier Jahre be-
    grenzt, jene des philippinischen Kongresses auf drei (Haus) bzw. sechs Jahre (Senat).
Delegative Demokratie und Präsidentialismus - Südkorea und Philippinen          127

zeichen beider Systeme, daß es Präsidenten regelmäßig gelingt, unabhängig von
Wahlergebnissen oder Parteizugehörigkeiten der Abgeordneten mehrheitsfähige
Stimmblöcke im Repräsentantenhaus bzw. der Nationalversammlung zu organisie-
ren. In Südkorea gelang es der regierenden Partei des Staatspräsidenten bei keiner
der insgesamt vier Parlamentswahlen seit der Demokratisierung von 1987/88, die
absolute Mehrheit der Mandate zu erringen. Zweimal - 1988-90 und erneut 1998/99
- war die Regierung gezwungen, für 22 bzw. 18 Monate gegen eine oppositionelle
Mehrheit in der Nationalversammlung zu regieren. Entschärft wurde diese Proble-
matik jeweils durch die „Flexibilität“ des Parteiensystems. Sie erlaubte es der Re-
gierungspartei, durch die Fusion mit einer oder mehreren Oppositionsparteien und/
oder den Übertritt unabhängiger und oppositioneller Parlamentarier während der
Legislaturperiode eine parlamentarische Mehrheit zu konstruieren. Die unter dem
Aspekt der institutionellen Effizienz und politischen Stabilität problematische Blok-
kade des politischen Entscheidungsprozesses aufgrund divergierender parteipoliti-
scher Mehrheiten wurde hierdurch relativ rasch behoben.
    Ein ähnlicher Trend ist auch für die Philippinen zu konstatieren. Lediglich die
Regierung Aquino (1986-1992) verfügte bereits mit Zusammentreten des Kongres-
ses über die Mehrheit in beiden Häusern des Parlaments. Dagegen sahen sich die
Präsidenten Ramos (1992-1998) und Estrada (seit 1998) bei Amtsantritt einem op-
positionell dominierten Repräsentantenhaus gegenüber. Beide konnten aber inner-
halb weniger Monate zahlreiche Parlamentarier zum Übertritt in die Regierungspar-
teien bewegen; weitere Parteien konnten durch Koalitionsabsprachen in das Re-
gierungslager eingebunden werden. Geringer waren diese Erfolge im Senat: Erst im
elften Kongreß (ab 1998) gelang es der Regierung Estrada, durch den Übertritt un-
abhängiger Senatoren und den Abschluß eines stabilen Koalitionsbündnisses, der
Regierung die Stimmenmehrheit in der zweiten Kammer zu sichern.
    Gleichwohl waren bislang erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Entschei-
dungs- und Durchsetzungsfähigkeit präsidentieller Mehrheiten in beiden Parlamen-
ten festzustellen. In Südkorea werden die Unterstrukturiertheit des Parteiensystems
und der niedrige Institutionalisierungsgrad des Parteienwettbewerbs durch eine hohe
personelle Kontinuität und Vernetzung innerhalb der dominanten Parteifaktionen
teilkompensiert (Merkel/Croissant 2000; Croissant 2001). Sowohl Präsident Kim
Young-sam (1993-1998) als auch der aktuelle Amtsinhaber Kim Dae-jung (seit 1998)
konnten bereits vor ihrem Amtsantritt auf gewachsene informelle Unterstützungs-
strukturen zurückgreifen, die hinter der häufig wechselnden formal-organisatori-
schen Fassade der Parteien einen hohen politischen Zusammenhalt des eigenen La-
gers sicherten. Die strikte Kontrolle parteiinterner Nominierungsverfahren sowie
die Monopolisierung der Aggregation und Allokation finanzieller Ressourcen durch
den jeweiligen Parteigründer begründen die Abhängigkeit der meisten Mandatsträger
von der Person des Präsidenten und sichern somit die Mobilisierungs- und Durch-
setzungsfähigkeit der nominell gegebenen Entscheidungsmehrheit in der National-
versammlung.
128                                                                   Aurel Croissant

    Auf den Philippinen konnte keiner der drei bisher amtierenden Staatspräsiden-
ten eine ähnlich strikte Kontrolle ausüben. Zum einen, da es sich bei Corazon Aquino,
Fidel Ramos und Joseph Estrada durchweg um Präsidenten handelte, die ihr Amt als
politische Außenseiter antraten und sich daher nicht auf gewachsene politische Loyali-
täten stützen konnten. Präsidenten„parteien“ bilden durchgängig Ad-hoc-Schöpfun-
gen, die sich meist kaum länger halten als der Präsident selbst und sich bislang als
wenig geeignet zum Aufbau stabiler, entscheidungsstarker Vertretung der Regie-
rung im Repräsentantenhaus erwiesen haben. Hierfür sind vor allem zwei Gründe
anzuführen: Erstens das Fehlen eines gemeinsamen programmatischen Nenners in
allen bislang regierenden Parteienbündnissen. So verfügten alle Präsidenten zwar
auf dem Papier über komfortable Mehrheiten im Kongreß. Aber die schwache Par-
teidisziplin unter den Faktionen der Regierungspartei, die sich häufig nicht an poli-
tische Absprachen gebunden fühlen und partikularen Interessen höhere Priorität ein-
räumen als der Verfolgung der vom Präsidenten vorgegebenen Ziele, haben die
Formierung einer arbeitsfähigen Mehrheitsfraktion bisher fast unmöglich gemacht
(Riedinger 1995: 209f.). Zweitens wird die Immunisierung der Parteien gegen dis-
sidente Strömungen zusätzlich durch eine extreme Personalisierung lokaler und re-
gionaler Parteistrukturen erschwert. Politische Organisationsstrukturen sind pri-
vate, klientelistisch strukturierte Netzwerke einzelner Mandatsträger, die allenfalls
lose in die Parteistruktur eingebunden sind. An die Stelle organisatorischer Autono-
mie der Parteien tritt so die Autonomie der Politiker von den nationalen Parteiorga-
nisationen. Die deutlich erkennbare Übernahme der Rekrutierungsfunktion von
Parteiorganisationen durch familiäre Netzwerke (vgl. Teehankee 1999) schwächt
die Sanktionsmöglichkeiten der Fraktionen im Parlament gegenüber dem einzelnen
Abgeordneten, bietet nur geringe Anreize für diszipliniertes Verhalten einzelner
Parlamentarier und wirkt auf den Zusammenhalt der Parteien im Repräsentanten-
haus zusätzlich zersetzend.
    Als Fazit kann festgehalten werden, daß die verfassungsrechtlichen Ausgangs-
bedingungen für die Etablierung einer delegativen Demokratie in keinem der bei-
den Systeme besonders vorteilhaft sind. In beiden Fällen ist dem Präsidenten das
Haupteinfallstor für die Marginalisierung des Parlaments - die konstitutionelle Dekret-
macht - verschlossen. Beide Präsidenten verfügen lediglich über moderate Mitwir-
kungsrechte bei der Gesetzgebung. Bereits hier feststellbare Unterschiede in der
verfassungsrechtlichen Rolle und Kompetenzzuweisung an die Exekutive (proaktiver
bzw. reaktiver Präsident) setzen sich jedoch auf der Ebene der institutionellen Veto-
spieler fort. Dem philippinischen Modell der Verfassungsgerichtsbarkeit mit einem
omnipotenten Supreme Court steht in Südkorea das modifizierte österreichische
Modell eines auf Kompetenzen in Verfassungsfragen beschränkten Verfassungsge-
richts gegenüber. Die Abweichungen im Status des Verfassungsgerichts korrespon-
dieren mit einer unterschiedlich strikt geregelten politischen Unabhängigkeit der
Gerichte und Richter. Unterschiedlich stellt sich die Situation auch mit Blick auf
parteipolitische Vetospieler dar. In Südkorea bildet eine kohärente und disziplinier-
Delegative Demokratie und Präsidentialismus - Südkorea und Philippinen          129

te Regierungspartei den starken parlamentarischen Rückhalt für die Durchsetzung
präsidentieller Politikoptionen. Stattdessen waren die philippinischen Präsidenten
bislang stets mit volatilen Unterstützungskoalitionen konfrontiert. Während in Süd-
korea die Institution eines proaktiven Präsidenten in einem an Vetospielern armen
Verhandlungsumfeld agiert, muß auf den Philippinen der verfassungsrechtlich auf
eine reaktive Rolle festgelegte Staatspräsident in einer Verhandlungsumwelt han-
deln, die durch multiple Vetospielerkonstellationen geprägt ist.

IV. Delegative Demokratie?

Vorausgesetzt, die zu Beginn formulierte Hypothese trifft zu, so ist anzunehmen,
daß der koreanische Präsidentialismus mit höherer Wahrscheinlichkeit delegative
Züge trägt als sein Gegenstück auf den Philippinen; dort sollte das delegative Phä-
nomen allenfalls abgeschwächt zu beobachten sein. Die Validität dieser Annahme
wird im folgenden überprüft, d.h. es wird gefragt, ob (1) eine Überdehnung der
Kompetenzen der Regierung gegenüber dem Parlament festzustellen ist sowie, ob
(2) die wirksame richterliche Kontrolle der Übereinstimmung des Regierungshandelns
mit den formalen und materiellen Bestimmungen der Verfassung gegeben ist.

1. Dominanter Kongreß und untergeordnete Nationalversammlung

Für die Philippinen ist zu konstatieren, daß die Exekutive vergleichsweise erfolg-
reich agierte, wenn es darum ging, sich in mühsamen und langwierigen Aushand-
lungsprozessen die Unterstützung des Repräsentantenhauses zu sichern (Foth 1991:
121). Zumindest Präsidentin Corazon Aquino (1986-1992) vermochte zunächst den
Kongreß zu dominieren. Sie konnte sich auf ihre quasi-revolutionäre Legitimation
und eine sehr hohe Zustimmung der Bürger zur Regierung stützen. Außerdem hatte
die bereits seit der „People’s Revolution“ vom Februar 1986 amtierende Exekutive
organisatorische Vorteile gegenüber dem erst im Juni 1987 zusammengetretenen
Kongreß (ibid.). Aber schon zur Mitte ihrer Amtszeit zeichnete sich ein zunehmend
schwierigeres Verhältnis von Kongreß und Regierung ab, das fast während der ge-
samten Präsidentschaft von Fidel Ramos (1992-1998) anhielt und erst mit dem
Amtsantritt der Regierung Estradas (seit 1998) vorübergehend stärker kooperative
Züge annahm.
    Die Beziehungen zwischen Senat und Präsident waren bis Ende der 90er Jahre
noch wesentlich konfliktreicher. Gerade in den Anfangsjahren der Demokratie ge-
lang es dem Senat, an eigene institutionelle Traditionen aus der vorautoritären Zeit
anzuknüpfen und die Rolle einer „nationalen“ politikgestaltenden Kammer zu be-
setzen. Als Kontrollorgan der Exekutive und seines Widerparts in der Legislative
hat der Senat seit 1987 ein scharfes Profil entwickelt. Höhepunkt dieser Entwick-
lung waren die Ablehnung der von der Regierung Aquino mit den USA ausgehan-
delten Neuauflage des Stützpunktabkommens durch den Senat (1991) und das Schei-
130                                                                    Aurel Croissant

tern einer umfassenden Landreform am Widerstand beider Häuser, insbesondere des
Repräsentantenhauses. Nach Angaben der philippinischen Politikwissenschaftlerin
Gabriela Montinola stimmten im Repräsentantenhaus etwa 70% der Mitglieder von
Aquinos Regierungskoalition für eine abgeschwächte Fassung des Comprehensive
Agrarian Reform Program und damit gegen die Pläne der Regierung. Im Senat wie-
derum lehnte die Hälfte der Koalitionsmitglieder das zwischen der Regierung und
der Reagan-Administration ausgehandelte Stützpunktabkommen ab (Montinola 1994:
108). Ein ähnliches Schicksal erlitten auch wichtige Reformprogramme der Regie-
rungen Ramos und Estrada. Der von beiden Kammern verabschiedete Gesetzent-
wurf zur Reform des nationalen Steuersystems verkörperte bestenfalls eine „dünne“
Umsetzung des von der Ramos-Administration entworfenen Reformvorschlags. In-
stitutionelle Probleme wie die konstante Blockade zahlreicher Gesetzesvorhaben
durch reform-averse Akteure führten unter anderem dazu, daß 1993 nur fünf der
insgesamt siebzig vom Präsidenten als dringend eingestuften Gesetzesvorschläge
vom Kongreß gebilligt wurden (Riedinger 1994). Langwierige Gesetzgebungsver-
fahren, Blockaden und Verwässerungen reformerischer Gesetzesvorhaben durch den
Kongreß sind im Bereich der Wirtschafts- und Sozialgesetzgebung die Regel. So
belegt die folgende Übersicht die geringe gesetzgeberische Effektivität des philip-
pinischen Kongresses beispielhaft für den 8. und 9. Kongreß und kontrastiert sie mit
den Angaben für Südkorea.

Tabelle 1-1: Initiativtätigkeit und gesetzgeberische Effektivität (Philippinen)

Kammer                              Repräsentantenhaus                Senat
Gesetzesvorhaben                  7/87 - 6/90 7/92 - 6/95   7/87 - 6/90 7/92 - 6/95

Eingebrachte Gesetzentwürfe        -            14.632         1.566          2.078
Beschlossene Gesetze               -               918            92            573
Dem Präsidenten vorgelegte Gesetze -               341            58              -
Wirksame Gesetze                  15               340            54             97

Leistungsquote                          -            6,2           3,4            27,5
Erfolgsquote                            -            2,3           3,4             4,6

   Leistungsquote: Anteil der verabschiedeten Gesetze an den insgesamt zur Vorlage ge-
   brachten Gesetzentwürfen; Erfolgsquote: Anteil der wirksamen Gesetze an den einge-
   brachten Vorlagen. Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben in Congressional Re-
   port 1991 (1987-1990); PhilRights/IPER 1996 (1992-1995).
Delegative Demokratie und Präsidentialismus - Südkorea und Philippinen          131

Tabelle 1-2: Initiativtätigkeit und gesetzgeberische Effektivität (Südkorea)

                                  13. Wahlperiode             14. Wahlperiode
                                    (4/88 - 4/92)              (5/92 -12/95)

Eingebrachte Gesetzentwürfe          1.439                       1.433
Verabschiedete Gesetze                 846                       1.108
Wirksame Gesetze                       541                         954

Leistungsquote                          60,0                        77,3
Erfolgsquote                            63,9                        86,1

   Quelle: Eigene Berechnungen nach Angaben in MfGG 1999; Shin 2000.

Die Daten lassen zwei Bemerkungen zu: Erstens ist die gesetzgeberische Effektivi-
tät des philippinischen Kongresses erheblich geringer als jene der südkoreanischen
Nationalversammlung. Zweitens sind die sehr hohen Leistungs- und Erfolgsquoten
des Gesetzgebungsverfahrens in Südkorea das Ergebnis synchroner parteipolitischer
Mehrheiten in Exekutive und Legislative. Denn wie die Angaben in Tabelle 2 ver-
deutlichen, war das Verhältnis von Exekutive und Legislative während der ersten,
langen Phase der Konfrontation von Staatspräsident und oppositionell dominiertem
Parlament (yeosoyadae) zwischen April 1988 und Februar 1990 durch wechselsei-
tige Blockaden, einen niedrigeren Legislativoutput der Nationalversammlung und
häufigen Gebrauch reaktiver Dekretmacht durch den Präsidenten gekennzeichnet:
Allein in den ersten 12 Monaten der 13. Wahlperiode der Nationalversammlung
(1988-1992) wurden sieben Parlamentsgesetze vom Präsidenten per Veto blockiert
(Kang 1998: 106).
132                                                                      Aurel Croissant

Tabelle 2: Gesetzgebungsverfahren während der ersten Phase der yeosoyadae
(1988-1990, in %)

                                                    13. Wahlperiode
                                     1988-90            1990-92            Insgesamt

Initiierte Gesetze1
Regierungspartei                       14,3               39,6                19,4
Opposition                             65,6               32,7                58,9
Beschlossene Gesetze2
Regierungspartei                       13,1               43,8                23,3
Opposition                             12,2                1,8                 8,8
Gesetzgeberische Erfolgsquote3
Regierungspartei                       23,0               54,3                36,0
Opposition                              4,7                2,6                 4,5

1   Anteil der von der Regierungspartei/Opposition eingebrachten Gesetzinitiativen an den
    Gesetzinitiativen insgesamt.
2   Anteil der von der Regierungspartei bzw. der Opposition eingebrachten Gesetzinitiativen
    an den beschlossenen Gesetzen insgesamt.
3   Anteil der auf Initiativen der Regierungspartei bzw. der Opposition zurückgehenden Ge-
    setze an den jeweiligen Gesetzinitiativen insgesamt.
    Zu 100% fehlende Angaben: Ausschußvorlagen und gemeinsame Initiativen von Regie-
    rung und Opposition.
    Quelle: s. Tabelle 1-2.

Im yeosoyadae der Jahre 1988-90 und erneut 1998/99 zeigt sich, daß der süd-
koreanische Präsident seine Stellung nur dann zur Monopolisierung der Legislativ-
kompetenz nutzen kann, wenn synchrone politische Mehrheiten gegeben sind. Wäh-
rend der langen Phase der Mehrheitsdominanz (1990-1997; 1999-2000) ist der ko-
reanische Präsidentialismus jedoch - anders als auf den Philippinen - durch eine
ausgreifende Gesetzgebungstätigkeit der Regierung (s. Tabelle 3) charakterisiert.
Da die Regierung über ihre disziplinierte Parlamentsfraktion die Nationalversamm-
lung dominiert und sowohl Regierungslager als auch Opposition primär auf Kon-
frontation ausgelegte Strategien verfolgen, gleichen parlamentarische Entscheidungs-
prozesse in der Regel unkooperativen Spielsituationen. Der „Mehrheitsterror“ der
Regierungsparteien im Parlament äußert sich vor allem im Ausschluß der Oppositi-
on von relevanten Ausschußposten sowie in der Vorgehensweise, Gesetzesvorlagen
der Regierung ohne vorherige Beratung, en bloc und innerhalb weniger Minuten
durch das Plenum zu peitschen und der Opposition die Chance auf Beratung ihrer
eigenen Gesetzesvorlagen zu nehmen (Park 2000: 87). Im Zusammenspiel mit den
exekutiven Machtbefugnissen verhindert dies die Entwicklung einer institutionell
geschlossenen Positionierung des Parlaments als Kontrollgewalt gegenüber der
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