FORSCHUNG UND GESELLSCHAFT | 13 - DIREKTE DEMOKRATIE EINE ZUKUNFTSLÖSUNG? - SICHTWEISEN AUS DER SCHWEIZ UND ÖSTERREICH - Österreichische ...

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                 FORSCHUNG UND
                 GESELLSCHAFT | 13
                 DIREKTE DEMOKRATIE
                 EINE ZUKUNFTSLÖSUNG? – SICHTWEISEN AUS DER SCHWEIZ UND ÖSTERREICH
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ÖAW   2
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DIREKTE DEMOKRATIE
EINE ZUKUNFTSLÖSUNG? – SICHTWEISEN AUS
DER SCHWEIZ UND ÖSTERREICH

PODIUMSDISKUSSION
AM 19. MÄRZ 2018            ORGANISATION DER PODIUMSDISKUSSION
                            UNTER MITARBEIT VON:

          ÖAW                                                    1
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INHALTSVERZEICHNIS

INHALT
EDITORIAL
Oliver Jens Schmitt ...........................................................................................................................................................................         5

VORWORT
Magdalena Pöschl .............................................................................................................................................................................          7

PODIUMSDISKUSSION

BEGRÜSSUNG
Anton Zeilinger .................................................................................................................................................................................      11
Walter Haffner ...................................................................................................................................................................................     12

DISKUSSION: DIREKTE DEMOKRATIE
EINE ZUKUNFTSLÖSUNG? – SICHTWEISEN AUS DER SCHWEIZ UND ÖSTERREICH
Oliver Jens Schmitt (Moderation) ...................................................................................................................................................                   14
Andreas Auer ....................................................................................................................................................................................      15
Franz Merli ........................................................................................................................................................................................   17
Zoltán Tibor Pállinger ......................................................................................................................................................................          18
Adrian Vatter .....................................................................................................................................................................................    20
Ewald Wiederin ................................................................................................................................................................................        22

RESÜMEE
Magdalena Pöschl .............................................................................................................................................................................         33

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INHALTSVERZEICHNIS

ÖAW                        4
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EDITORIAL

EDITORIAL
OLIVER JENS SCHMITT

Geistes- und Sozialwissenschaften        für eine informierte, wissenschafts­
betreiben intensive Forschungsar­        basierte Erörterung eines der wich­
beit. Diese dient dem Fortschritt der    tigen Themen der gegenwärtigen
Wissenschaft. Die dabei erzielten Er­    politischen Debatte zur Verfügung
kenntnisse ermöglichen aber auch der     stellen.
Gesellschaft in grund­legenden Fragen
eine faktenbezogene Orien­    tierung.
Einsichten aus der wissenschaftlichen
Arbeit und die Einordnung komple­
xer Sachverhalte bei einer kontrovers
ausgetragenen öffent­  lichen Debatte
zu bieten, war das Ziel der Veran­
staltung, deren Ergebnisse hier in ge­
                                                                                Oliver Jens Schmitt ist Professor für Ge-
druckter Form vorliegen. Die Diskus­
                                                                                schichte Südosteuropas an der Universität
sion über ­direkte Demokratie führte
                                                                                Wien. 2011 wurde er zum wirklichen Mit-
an der Österreichischen Akademie
                                                                                glied der ÖAW gewählt. Seit 2017 ist er
der Wissenschaften die Expertise von
                                                                                Präsident der philosophisch-historischen
Staats- und Verwaltungsrecht und
                                                                                Klasse.
Politikwissenschaft zusammen. Die
Leserin/der Leser kann in der vorlie­
genden P ­ ublikation dem Verlauf der
Debatte folgen und erhält im Schluss­
wort eine zusammenfassende Deu­
tung des Gesagten. In diesem Sinne
möchte diese Veröffentlichung einer
breiteren Öffentlichkeit Grundlagen

                          ÖAW                                                                                          5
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VORWORT

VORWORT
MAGDALENA PÖSCHL

Direkte Demokratie ist in Österreich     solchen Volksbegehren Rechnung
ein heikles Thema. Während die e­ inen   zu tragen. Zum zweiten waren zwar
leidenschaftlich mehr Plebiszite for­    Gesamtänderungen der Verfassung
dern, in der Hoffnung, diese würden      dem Volk obligatorisch zur Abstim­
die Demokratie beleben, warnen die       mung vorzulegen, sonstige Verfas­
anderen vehement vor den Gefahren:       sungsänderungen und ein­   fache Ge-
Volksentscheide seien vielfach nicht     setze hingegen nur, wenn National-
von Sachargumenten, sondern von          rat beziehungsweise Bundesrat dies
Emotionen getragen oder gar von          wünschten. Diese Zurückhaltung ge­
Kampagnen finanzkräftiger ­Akteure       gen­über direktdemokratischen Instru­
gelenkt; allzu oft seien sie zudem       menten wurde schon damals mit den
minderheitenfeindlich und auch sonst     Erfahrungen in der Schweiz begrün­
illiberal.                               det. Dort habe sich die konservative
                                                                                 Magdalena Pöschl ist Professorin für
Eine gewisse Skepsis gegenüber           Tendenz von Volksabstimmungen
                                                                                 Staats- und Verwaltungsrecht an der
­Plebisziten ließ von Anfang an auch     gezeigt; zudem seien solche Abstim­
                                                                                 Universität Wien. 2012 wurde sie zum
 das österreichische Bundes-Verfas­      mungen ein retardierendes Moment,
                                                                                 wirklichen Mitglied der Österreichischen
 sungsgesetz (B-VG) erkennen. Als        dem man im Interesse einer raschen
                                                                                 Akademie der Wissenschaften gewählt.
 diese Verfassung im Jahr 1920 be­       Gesetzgebung nicht zu viel Raum ge­
 schlossen wurde, entschied man sich     währen wollte.
 bewusst dafür, Österreich als parla­    An dieser reservierten Grundlinie
 mentarische Demokratie einzurich­       der österreichischen Verfassung hat
 ten und direktdemokratische Instru­     sich bis heute wenig geändert. Zwar
 mente nur sparsam einzusetzen: Zum      ergänzte das B-VG das Volksbe­
 einen durfte das Volk nach dem B-VG     gehren und die Volksabstimmung
 Gesetzesvorschläge machen, doch         im Jahr 1988 um das Instrument der
 stand es dem Parlament völlig frei,     Volksbefragung, wie die Volksab­

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VORWORT

stimmung kann aber auch sie nur          kratie“ an, mit einer tief greifenden    dem Gegenvorschlag des Parlaments
„von oben“, also von staatlichen Or­     Neuerung: Volksbegehren, die von         – dem Volk zur Abstimmung vorge­
ganen, initiiert werden, was kaum        900.000 Stimmberechtigten       unter­   legt. Derartige Volksinitiativen wer­
je geschieht. So fanden bislang erst     stützt werden und die das Parlament      den in der Schweiz immer wieder
eine Volksbefragung (2013 zur Wehr­      nicht in Jahresfrist „entsprechend“      beschlossen; einige von ihnen sind
pflicht) und zwei Volksabstimmun­        umsetzt, sollen – gegebenenfalls ge­     auch über die Landesgrenzen hinaus
gen statt, eine fakultativ (1978 zum     meinsam mit einem Gegenvorschlag         bekannt, weil sie völkerrechtswidrig
Atomkraftwerk Zwentendorf), die          des Nationalrates – einer Volksab­       und daher schwer umzusetzen sind.
andere obligatorisch (1994 zum EU-       stimmung unterzogen werden. Da­          Das gilt für die Anti-Minarett-Ini­
Beitritt). Nur Volksbegehren werden      bei wird der Vorschlag, den das Volk     tiative, die den Bau von Minaret­
„von unten“, also vom Volk, initiiert.   mehrheitlich annimmt, zum Gesetz.        ten untersagt, ebenso wie für die
Das passiert deutlich häufiger; letzt­   Ist dies der Vorschlag des Volksbe­      Ausschaffungsinitiative, nach der
lich verlaufen Volksbegehren jedoch      gehrens, entsteht ein Gesetz also        Ausländerinnen und Ausländer, die
meist im Sand, weil sich der Natio­      ohne, ja eigentlich gegen den Willen     wegen bestimmter Delikte verurteilt
nalrat mit ihnen nur beschäftigen, sie   des Nationalrates. Damit würde eine      werden, automatisch auszuweisen
aber nicht umsetzen muss.                Volksgesetzgebung eingeführt, die        sind. Umsetzungsprobleme bereitet
So schwach die direkte Demokratie        das B-VG so grundlegend änderte,         auch die Initiative gegen Massenein­
in Österreich ausgeprägt ist, so viel    dass sie – neben einer Verfassungs­      wanderung, nach der die Zuwande­
wird über sie diskutiert, und je grö­    mehrheit im Nationalrat – ihrerseits     rung selbst aus EU-Staaten zu kon­
ßer die allgemeine Unzufriedenheit       einer Volksabstimmung bedürfte.          tingentieren ist. Völlig friktionsfrei
mit dem Zustand der Demokratie           Als Vorbild für diese Reform wird oft    sind die Schweizer Volksinitiativen
ist, desto lauter wird ein Ausbau        die Schweiz genannt, und das nicht       also offenbar nicht.
der direkten Demokratie verlangt.        von ungefähr. Ihre Verfassung stellt     Der Reformvorschlag der österreichi­
In den letzten Jahren gingen sol­        eine Fülle direktdemokratischer In­      schen Regierung und sein Schweizer
che Forderungen teils sogar von der      strumente bereit, darunter auch die      Vorbild werfen Fragen auf: Was
Parlamentsmehrheit aus („Demo­           sogenannte „Volksinitiative“. Mit ihr    spricht aus Schweizer Sicht für und
kratiepaket“ 2013), teils von einzel­    kann das Schweizer Volk eine Verfas­     gegen die Volksinitiative, ist sie wirk­
nen Parteien, namentlich von den         sungsänderung lancieren, zu der die      lich vergleichbar mit dem Volksge­
Grünen und der FPÖ. Keiner dieser        Regierung und das Parlament Stel­        setz, das der österreichischen Re­
Vorschläge wurde jedoch umgesetzt.       lung nehmen können und das Parla­        gierung vorschwebt, und kennt die
Ergebnislos verlief auch das Volksbe­    ment zudem einen Gegenvorschlag          Schweizer Verfassung noch andere
gehren „Demokratie jetzt!“. Das ak­      erstatten kann. Bleiben die Initianten   direktdemokratische      Instrumente,
tuelle Regierungsprogramm kündigt        dennoch bei ihrem Vorschlag, wird        die in das österreichische System
abermals eine „Stärkung der Demo­        er – gegebenenfalls gemeinsam mit        transferiert werden könnten? Allge­

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VORWORT

meiner gefragt: Welche Chancen und
Risiken birgt die direkte Demokratie
und wie muss man direktdemokra­
tische Instrumente ausgestalten, um
die Chancen zu maximieren und
die Risiken zu minimieren? Darü­
ber haben in der Akademie der Wis­
senschaften am 19. März 2018 drei
Schweizer Demokratieexperten und
zwei österreichische Staatsrechtsleh­
rer diskutiert.

                          ÖAW                     9
VORWORT

ÖAW             10
PODIUMSDISKUSSION

PODIUMS­
DISKUSSION
BEGRÜSSUNG

ANTON ZEILINGER                         Veranstaltung heute ist ja eine Ko­
                                        operation mit der Botschaft der
Ich darf Sie alle sehr herzlich hier    Schweizerischen Eidgenossenschaft.
in der Österreichischen Akademie        In ihrer neuen Funktion dürfen wir
der Wissenschaften zu einem T ­ hema    heute zum ersten Mal die Präsiden­
begrüßen, das in Österreich ganz        tin des Verfassungsgerichtshofs, Frau
ak­tuell diskutiert wird. Unser Klas­   Dr. Brigitte Bierlein, begrüßen, sie ist
senpräsident Oliver Schmitt hat die     ebenfalls Mitglied des Senats unserer
Frage an der ÖAW ins Gespräch           Akademie.                                  Anton Zeilinger ist em. o. Professor der
gebracht, lange ehe diese aktuelle      Ganz herzlich begrüße ich die Ehren­       Physik an der Universität Wien. 1998
Debatte in Österreich wieder auf­       mitglieder unserer philosophisch-          wurde er zum wirklichen Mitglied der
gebracht wurde. Das ist ein reiner      historischen Klasse, Frau Professor        ÖAW gewählt. Seit 2013 ist er Präsident
Zufall, wie fast alles Wichtige im      Irmgard Griss sowie Herrn Profes­          der ÖAW.
Leben.                                  sor Clemens Jabloner, zudem Herrn
Ich darf einige Persönlichkeiten na­    Dr. Claus Raidl, den Präsidenten der
mentlich begrüßen: Herrn Natio­nal­     Österreichischen Nationalbank.
ratspräsidenten Sobotka, der auch       Nicht zuletzt möchte ich alle an­
der Vorsitzende des Senats der Öster­   wesenden Parlamentarierinnen und
reichischen Akademie der Wissen­        Parlamentarier herzlich willkommen
schaften ist, sowie Seine Exzellenz,    heißen. Ich hoffe, dass Sie aus der
den Schweizerischen Botschafter         heutigen Veranstaltung viel Interes­
Walter Haffner, und Gattin – diese      santes mitnehmen können.

                          ÖAW                                                                                            11
PODIUMSDISKUSSION

Mit besonderem Dank für ihre Mit­           vorgeschlagen und dann gewählt           In diesem Raum haben einige der
wirkung begrüße ich schließlich             wird. Von außen gibt es keine Ein­       ersten Versammlungen im Zuge der
­unsere Podiumsgäste: Herrn Profes­         flussmöglichkeiten.                      Revolution 1848 stattgefunden, da­
 sor Andreas Auer, Herrn Dr. Zoltán         Die zweite Säule sind unsere Insti­      her wurde dieses Gebäude letztlich
 Pállinger, Herrn Professor Adrian          tute. Wir haben 28 Institute verschie­   für die Studenten gesperrt. Nach
 Vatter, unser wirkliches Mitglied          denster Richtungen. Sehr bekannt ist     eini­gen Jahren wurde es der Akade­
 Professor Ewald Wiederin und Herrn         zum Beispiel das IMBA, das sich mit      mie der Wissenschaften übergeben,
 Professor Franz Merli. Klassenpräsi­       molekularer Biologie und molekula­       übrigens einige Zeit bevor das neue
 dent Schmitt wird Sie später noch im       rer Medizin befasst. Und der Bogen       Gebäude der Universität am Ring in
 Einzelnen vorstellen.                      spannt sich jenseits der Life Sciences   Betrieb genommen werden ­     konnte.
 Ich möchte, ehe ich das Wort an            weiter über Mathematik, Weltraum­        Das bedeutete für die Universität
 Herrn Botschafter Haffner übergebe,        forschung und Materialwissenschaf­       eini­ges Ungemach.
 zwei, drei Worte sagen – nicht zum         ten bis hin zu zahlreichen Instituten    Ich möchte aber an dieser Stelle Ihre
 heutigen Inhalt, das werden andere         in den Sozial-, Geistes- und Kultur­     Geduld nicht länger strapazieren und
 tun. Ich darf jedoch die Gelegenheit       wissenschaften.                          nunmehr an Sie, Herr Botschafter
 nutzen und Ihnen die Akademie der          Dieser Raum ist unser Festsaal, ur­      Haffner, übergeben, den Mitveran­
 Wissenschaften ganz kurz vorstellen.       sprünglich der Festsaal der Universi­    stalter unserer heutigen Diskussion.
 Unsere Akademie besteht im Wesent­         tät Wien, unter Maria Theresia erbaut,
 lichen aus zwei getrennten Säulen,         in einer Bauzeit von nur drei Jahren.
 die sozusagen nur durch den Präsi­         Sie sehen in der Mitte des Decken­       WALTER HAFFNER
 denten zusammengehalten werden.            freskos Maria Theresia und Franz
 Das eine ist die Versammlung un­           Stephan von Lothringen. Die vier Sei­    Ich freue mich sehr, dass die Schwei­
 serer Mitglieder, die Gelehrtenge­         ten zeigen jeweils Darstellungen der     zerische Botschaft einen kleinen
 sellschaft. Wir haben Mitglieder aus       vier Fakultäten der klassischen Uni­     Beitrag zu dieser in Österreich auf­
 nahezu allen Fächern der Wissen­           versität. Gerade vor Ihnen die Philo­    gekommenen Diskussion über die
 schaften und quer durch alle Felder,       sophie, die die gesamten Geistes- und    direkte Demokratie leisten darf, und
 von der Medizin und den techni­            Naturwissenschaften umfasst, bei der     ich möchte mich beim Präsidenten
 schen Wissenschaften über mein Ge­         Philosophie sehen Sie zum Beispiel       der Akademie für diese Gelegenheit
 biet, die Physik, bis weit hinein in die   zwei Teleskope. Links von Ihnen die      bedanken. Direkte Demokratie ist
 Geisteswissenschaften oder etwa die        Theologie. Hinter Ihnen die Medizin      ebenso Teil der Schweizer Identität,
 Philosophie. Wir haben in Österreich       mit der Darstellung einer Sektion;       wie dies die Neutralität oder der
 etwa 450 Mitglieder und im Ausland         eine Abbildung, die viel früher nicht    Gotthard-Tunnel sind, und alle drei
 etwa 300 Mitglieder. Mitglied kann         möglich gewesen wäre. Und hier auf       haben eines gemeinsam: Sie wur­
 nur werden, wer von Mitgliedern            der Seite die Jurisprudenz.              den den Schweizerinnen und den

                             ÖAW                                                                                        12
PODIUMSDISKUSSION

Schweizern nicht von Gottes Gnaden       2018 für die Beibehaltung der
geschenkt, sondern sind Teil einer       Radio- und Fernsehgebühren des
                                         ­
langen historischen Entwicklung.         öffentlichen Rundfunks stimmen.
Die direkte Demokratie ist eben          Wie erwähnt entscheidet das Stimm­
keine genetische Gegebenheit, die
­                                        volk zuweilen anders, als es die Re­
den Schweizerinnen und Schwei­           gierung und das Parlament empfeh­
zern innewohnt, und im Gegensatz         len. So geschah es im Jahr 2017 bei
zu „Ricola“ haben die Schweizer sie      zwei wichtigen Abstimmungen: der
auch nicht erfunden.                     Steuer­reform für Unternehmen und
Zusammen mit dem Föderalismus            der Pensionskassenreform. In bei­
hat die Schweiz ein politisches          den Fällen entsprachen die Abstim­
­System der direkten Demokratie ent­     mungsresultate nicht den Empfehlun­
 wickelt, das auf Ausgleich, auf Kom­    gen von Regierung und Parlament,
 promiss und auf stabile Mehrheiten      und somit erteilte das Stimmvolk der
 abzielt. Die Bürgerinnen und Bürger     Bundesregierung den Auftrag, neue
 können im Zentrum dieses Systems        Vorlagen auszuarbeiten.
 selber bestimmen, und zwar auf allen    Ist dies für die direkte Demokratie
 Ebenen der Politik.                     gut? Und wie effizient ist es? Sind die
 Für das Verhältnis zwischen Bürger      Prozesse langsam oder zu langsam?
 und Staat heißt das: Der Staat soll     Hat das Volk etwa immer recht? Wo
 dem Bürger dienen. Der Bürger sei­      liegen die Gefahren und Grenzen
                                                                                   Walter Haffner ist Schweizerischer Bot-
 nerseits ist verantwortlich für die     der direkten Demokratie? Wie geht
                                                                                   schafter in Österreich.
 Entscheide dieses Staates. Grund­       man mit Entscheiden um, die wider­
 sätzlich folgen die Bürger häufig den   sprüchlich wirken oder teilweise so­
 Vorgaben und Empfehlungen von           gar widersprüchlich sind? Lässt sich
 Regierung und Parlament. Manch­         der Erfolg der Schweiz, eines der
 mal entscheiden sie sich aber auch      reichsten und innovativsten Länder
 anders. In jedem Fall müssen sie        weltweit, zum Teil auch mit der
 die Konsequenzen i­hrer Entscheide      ­direkten Demokratie begründen? Mit
 tragen: zum Beispiel, wenn sie eine      Blick auf die künftige Entwicklung
 Initiative ablehnen, die ihnen eine      der direkten Demokratie ist die Dis­
 Woche mehr Ferien geben würde –          kussion über diese Fragen zwischen
 dies war vor einigen Jahren der          Experten aus Österreich und aus der
 Fall – oder wenn sie wie, am 4. März,    Schweiz besonders begrüßenswert.

                          ÖAW                                                                                           13
PODIUMSDISKUSSION

DIREKTE DEMOKRATIE
EINE ZUKUNFTSLÖSUNG? – SICHTWEISEN AUS
DER SCHWEIZ UND ÖSTERREICH
OLIVER JENS SCHMITT                     Akademie der Wissenschaften, mit          gelöst wurden, dass die Debatte stark
                                        dieser Podiumsdiskussion die Pers­        konzentriert wurde auf das Element
Ich bin Historiker von Profession,      pektive der Wissenschaft einzubrin­       des Plebiszits.
also der Fachfremdeste heute Abend.     gen, konkret jener Disziplinen, die       Was wir hier versuchen, ist eine Kon­
Ich darf Sie durch diesen Diskus­       sich hier kompetent äußern können.        textualisierung, eine Einordnung die­
sions­abend führen und zuerst noch      Das ist auf der einen Seite das Staats­   ser Debatte. Bei der Vorbereitung der
ergänzend einige Worte des Dankes       recht und auf der anderen Seite die       Veranstaltung haben wir uns auch
für die ausgezeichnete Zusammenar­      Politikwissenschaft. Und so ist auch      Gedanken gemacht über mögliche
beit an die Schweizer Botschaft rich­   die Runde des heutigen Abends zu­         Untertitel. Es stand einmal auch „di­
ten – insbesondere an Frau Guitar       sammengesetzt. Es geht um einen           rekte Demokratie – Allheilmittel oder
und Herrn Coduri – und dann auf         wissenschaftlichen Blick zu einer         Gottseibeiuns?“ zur Diskussion. Man
der österreichischen Seite Herrn        Diskussion, die versucht, eine Art        hatte zeitweise den Eindruck, dass
Professor Franz Merli und unseren       Auslegeordnung zu bieten. Wissen­         es dazwischen eigentlich gar nichts
Mitgliedern Ewald Wiederin und          schaft bedeutet auch den Versuch          mehr gebe. Bei der Vorbereitung
Manfred Burgstaller danken, die sich    einer systematischen Erfassung und        dieser Debatte konnten wir auch
unterstützend eingebracht und bei       auch einer gewissen Entemotionali­        einiges lernen, was das Verhältnis
der Konzeption entscheidend mitge­      sierung. Sie hören es meinem Zun­         von Wissenschaft und der Dynamik
wirkt haben.                            genschlag an, es hat eine gewisse         öffentlicher Debatten anlangt. Als
Was war eigentlich der Ausgangs­        Rolle gespielt, dass ich als Schwei­      wir begannen, die Veranstaltung zu
punkt dafür, dass wir dieses Thema      zer, in Österreich lebend, zumindest      konzipieren, war zumindest in der
gewählt haben? Eine Diskussion,         einen Teil der Debatte als überspitzt     österreichischen Debatte ein Spre­
die den meisten von Ihnen bekannt       empfunden habe. Bei mir ist der Ein­      chen über direkte Demokratie im
ist, die sich in den letzten Monaten    druck entstanden, dass einzelne Ele­      Zusammenhang mit der Regierungs­
in Österreich auch intensiviert und     mente, die die direkte Demokratie         bildung politisch relativ eindeutig
zugespitzt hat. Hier versucht die       ausmachen, aus dem Kontext heraus­        interpretierbar. Mittlerweile hat sich

                          ÖAW                                                                                         14
PODIUMSDISKUSSION

dieses Meinungsspektrum sehr er­         tie auch anstrengend ist und für den    ANDREAS AUER
weitert. Ich denke hier zum Beispiel     Stimmbürger einen erheblichen intel­
an das Volksbegehren zum Nichtrau­       lektuellen Aufwand bedeutet.            Ich möchte eine kurze Vorbemer­
cherschutz oder an die Reaktionen in     Ich darf ganz kurz die Teilnehmer auf   kung anbringen. Ich fühle mich hier
Österreich auf die Volksabstimmung       dem Podium vorstellen.                  als Wissenschaftler, als Staatsrechtler.
in der Schweiz, in der sich fast         Andreas Auer ist Begründer des Zen­     Ich habe nichts zu verkaufen. Ich bin
drei Viertel der Bevölkerung für         trums für Demokratie und hat lange      nicht hier, um Propaganda zu betrei­
ein gebührenfinanziertes öffentliches    als Lehrstuhlinhaber an den Uni­        ben für das Schweizer System der di­
Medien­wesen, Fernsehen und Rund­        versitäten Genf und Zürich gewirkt.     rekten Demokratie, sondern wir ver­
funk, entschieden haben.                 Franz Merli ist Professor am Institut   suchen das, was wir in der Schweiz
Direkte Demokratie ist also doch         für Staats- und Verwaltungsrecht        erleben, wissenschaftlich zu durch­
nicht so eindeutig parteipolitisch       der Universität Wien. Zoltán Tibor      leuchten und hier darzustellen.
zuordenbar. Sie ist nicht nur ein Mit­   Pállinger hat den Lehrstuhl für Poli­   Ich komme zu der Eingangsbemer­
tel populistischer Mobilisierung, sie    tische Theorie und Europäische De­      kung, die Sie aufgegriffen haben.
kann vielmehr ein starkes Instru­        mokratieforschung an der Andrássy       Man bekommt häufig das Gefühl,
ment in den Händen einer Oppo­           Universität Budapest inne. Adrian       dass repräsentative Demokratie und
sition, aber auch die Stimme einer       Vatter leitet den Lehrstuhl „Schwei­    direkte Demokratie zwei ganz ver­
Zivilgesellschaft sein, wenn sie Ein­    zer Politik“ an der Universität Bern.   schiedene Dinge seien, dass das eine
spruch erhebt gegen Maßnahmen            Und Ewald Wiederin ist Mitglied         mit dem anderen nichts oder nur
einer Regierung. Wir haben für die       ­unserer Akademie und lehrt am In­      sehr wenig zu tun habe. Dabei ist so­
schriftliche Einladung bewusst ein        stitut für Staats- und Verwaltungs­    wohl die repräsentative als auch die
Bild aus der Praxis der direkten De­      recht der Universität Wien.            direkte Demokratie an die jeweils
mokratie gewählt. Sie sehen hier pri­     Die Einladung, die Sie bekommen        andere Form direkt gebunden. Die
mär Papier. Dieses Papier ist das be­     haben, enthält bereits Kurzstatem­     direkte Demokratie fußt ja auf einem
rühmte Abstimmungsbüchlein, das           ents unserer Podiumsteilnehmer.        direkten demokratischen Instrument,
Haptische der direkten Demokratie,        Ich möchte gerne jeweils Punkte        das ist die Volkswahl des Parlaments
das heißt Abstimmungsunterlagen,          aufgreifen, um überzuleiten zu den     und vielleicht der Regierung und
Gesetzestexte, mit Erläuterungen,         Statements. Herr Auer, Sie haben       anderer Behörden. Und die direkte
jeweils von Parlaments- und Regie­        geschrieben: „Direkte Demokratie       Demokratie kann ohne repräsenta­
rungsmehrheit, doch auch mit einer        kann nur Ergänzung sein eines reprä­   tive Demokratie gar nicht sein, denn
Darstellung der Gegenargumente.           sentativen demokratischen Systems.“    das Volk kann ja eigentlich nur Nein
Sie sehen hier auch noch die Stimm­                                              oder Ja sagen zu einer Vorlage, die
zettel. Allein der Umfang dieser Un­                                             ihm von einem anderen Staatsorgan
terlagen zeigt, dass direkte Demokra­                                            unterbreitet wird. Meistens ist dies

                          ÖAW                                                                                          15
PODIUMSDISKUSSION

                                          das Parlament. Das Parlament, das         tie ist nicht für die Bürgerinnen und
                                          Volk allein oder die direkte Demo­        Bürger, denn wenn man ihnen einen
                                          kratie für sich allein: Das ist unvor­    Entscheid zuspricht, wenn sie eine
                                          stellbar. Sie hat auch nie, weder in      Kompetenz haben, als Staatsorgan
                                          der Schweiz noch in den Vereinigten       Entscheide zu treffen, dann wissen
                                          Staaten, auf Länderebene, auf Staa­       sie genau, was das bedeutet. Aber
                                          tenebene, noch in anderen Ländern         die Regierenden wissen nicht immer
                                          existiert.                                genau, was es bedeutet, wenn sie
                                          Es gibt natürlich auch verschiedene       dem Volk Zuständigkeiten erteilen.
                                          Arten. Man spricht von direkter De­       Wenn die Verfassung sagt, das Volk
                                          mokratie, aber es gibt Dutzende von       habe jetzt diesen oder jenen Ent­
                                          direktdemokratischen Instrumenten         scheid zu treffen, dann müssen sie
                                          rechtsvergleichend. Ich möchte hier       lernen, dass sie sich eben gelegent­
                                          jetzt keine Auslegeordnung anstel­        lich mit ihren Anliegen nicht durch­
                                          len, aber es gibt nicht nur ein Instru­   setzen.
                                          ment oder zwei Instrumente. Auch          Meine letzte Bemerkung: Wie ich in
                                          die Art und Weise, wie diese Instru­      meinem Kurzstatement gesagt habe,
                                          mente organisiert und aufgebaut           sind die Entscheide, die vom Volk
                                          werden, und ihr Zusammenspiel mit         genehmigt werden, nicht besser als
                                          anderen staatsrechtlichen Grundsät­       die Entscheide, die vom Parlament
                                          zen, wie rechtsstaatlichen Grund­         oder von der Regierung kommen. Ich
Andreas Auer war Gründer des Zent-
                                          sätzen, Grundrechten und so weiter,       spreche gar nicht von den Gerichten,
rums für Demokratie und Professor an
                                          sind von Land zu Land und von Bei­        die sind sowieso immer die besten.
den Universitäten Zürich und Genf (ver-
                                          spiel zu Beispiel sehr verschieden.       Hier können und sollen wir lernen.
storben am 7. Dezember 2018).
                                          Unser Herr Botschafter hat bereits        Sie sind also nicht besser. Der Unter­
                                          darauf hingewiesen: Die direkte De­       schied ist die Legitimität. Im rein
                                          mokratie, wenn sie von unten aufge­       repräsentativen System – ich verein­
                                          baut und nicht von oben verordnet         fache es viel zu sehr, Herr Vatter wird
                                          ist, kann zu Resultaten führen – und      das viel professioneller darstellen
                                          das erleben wir in der Schweiz regel­     können – entscheidet die Mehrheit
                                          mäßig –, dass das Volk eben nicht so      im Parlament etwas, und das ist dann
                                          abstimmt, wie die Regierenden dies        der Beschluss der Mehrheit. Diejeni­
                                          gerne hätten. Ich sage immer, der         gen, die in der Minderheit sind, sind
                                          Lernprozess der direkten Demokra­         da nicht so einverstanden. Die Legiti­

                           ÖAW                                                                                           16
PODIUMSDISKUSSION

mität wird natürlich nicht offen infra­   zugespitzt formuliert, eher eine Un­
ge gestellt, aber doch angezweifelt.      terbrechung oder eine Störung. Das
Wenn das Volk aber einmal einen Ent­      sieht man auch am Gebrauch unserer
scheid getroffen hat, ist das anders.     Instrumente: Im Bund haben wir ein­
Man kann natürlich sagen: „Ich bin        mal eine Volksabstimmung über eine
damit nicht einverstanden, ich hätte      sogenannte Gesamtänderung der
das lieber anders gesehen.“ Aber die      Bundesverfassung erlebt, das war
Legitimität des Volksentscheides ist      der EU-Beitritt, da war eine Volksab­
unglaublich größer als die Legitimi­      stimmung von der Verfassung vor­
tät der parlamentarischen Entschei­       geschrieben. Wir haben einmal eine
dungsprozesse. Mit anderen Worten:        Volksabstimmung über ein einfaches
Direkte Demokratie ist so etwas wie       Gesetz abgehalten, nämlich über die
eine Legitimationsmaschine.               Inbetriebnahme des Kernkraftwerks
                                          Zwentendorf. Wir haben einmal
                                          eine konsultative Volksbefragung
OLIVER JENS SCHMITT                       durchgeführt, und zwar über die
                                          Beibehaltung oder Abschaffung der
Wir machen jetzt einen Sprung nach        allgemeinen Wehrpflicht. Und es hat
Österreich und fragen uns, welche         rund 40 Volksbegehren gegeben. Das
Instrumente der Legitimation es           ist auch nicht so viel, wenn man das
denn hierzulande schon gibt. Sie,         über die gesamte Zeit des Bestandes
                                                                                  Franz Merli ist Professor für Staats- und
Herr Merli, haben in Ihrem Eingangs­      der Bundesverfassung betrachtet,
                                                                                  Verwaltungsrecht an der Rechtswissen-
statement auf Instrumente hingewie­       und gerade die Volksbegehren sind
                                                                                  schaftlichen Fakultät der Universität
sen, die bestehen, aber wenig genutzt     manchmal eher als lästige Störung
                                                                                  Wien.
werden.                                   empfunden worden, wenn ich das
                                          einmal so sagen darf. In den Ländern
                                          gibt es zwar mehr Möglichkeiten, die
FRANZ MERLI                               aber wenig genutzt werden.
                                          Der geringe Gebrauch hängt auch mit
Die direkte Demokratie gehört nicht       der Ausgestaltung der Instrumente
zur Identität Österreichs; das ist an­    zusammen. Das wichtigste Merkmal
ders als in der Schweiz. Sie ist auch     ist die große Dominanz der Parla­
kein normaler Bestandteil des demo­       mente in den direktdemokratischen
kratischen Lebens, sondern, etwas         Prozessen. Die direkte Demokratie

                           ÖAW                                                                                           17
PODIUMSDISKUSSION

ist nicht nur eine Ergänzung der re­      rungswechsel die P  ­ ositionen stärker     wählter politischer Eliten, aber auch
präsentativen Demokratie, sondern         als woanders. Häufig werden auch            die Rückbindung von Entscheidun­
sie wird auch von den Repräsentan­        Sachfragen mit Personenfragen ver­          gen an Präferenzen der Wählerinnen
ten in den Parlamenten beherrscht.        mischt. Zwentendorf war für viele           und Wähler; zudem die Möglich­
Volksabstimmungen und Volksbefra­         eine Abstimmung über Kreisky, nicht         keit von Wählerinnen und Wählern,
gungen gibt es nur auf parlamenta­        über Atomkraft, um ein besonders            Stimmbürgerinnen und Stimmbür­
rische Initiative hin, nicht etwa nur     deutliches Beispiel zu nennen. Au­          gern, Themen zu setzen.
auf Wunsch der Bürgerinnen und            ßerdem wird den Bürgerinnen und
Bürger. Volksbegehren können zwar         Bürgern vom Staat wenig Informa­
von diesen in Gang gesetzt werden,        tion zur Verfügung gestellt. Ein Ab­        ZOLTÁN TIBOR PÁLLINGER
sind aber nicht mehr als ein unver­       stimmungsbüchlein gibt es bei uns
bindlicher Vorschlag zum Tätigwer­        nicht. Schließlich fehlt eine defi­nierte   Hätten wir uns vor einigen Jahren ge­
den: Das Parlament muss sich da­          Rolle der Regierung und der Par­            troffen, wäre dies wahrscheinlich ein
mit befassen, aber mehr auch nicht.       lamentsmehrheit. Wir haben ­       keine    Dialog unter Schweizern geblieben.
In den Ländern gibt es auch etwas         klare Vorstellung, wie sie sich zu
                                          ­                                           In den letzten Jahren konnten wir
stärkere Instrumente, aber da stoßen      direktdemokratischen Bürgerwün­             beobachten: Direkte Demokratie ist
wir schnell an verfassungsrechtliche      schen verhalten sollen.                     weltweit ein Thema geworden. Das
Grenzen. Nach der Rechtsprechung          Wenn ich das alles zusammenfasse,           hat natürlich Gründe: Hier sind der
des Verfassungsgerichtshofs gibt es       ist das Ergebnis nicht ganz befriedi­       Zusammenbruch des Sozialismus,
keine direkte Demokratie gegen oder       gend, und es ist kein Wunder, wenn          die dritte Welle der Demokratisie­
ohne den Willen des Parlaments.           immer wieder nach Reformen geru­            rung sowie der Prozess der europä­
Der dritte Punkt, den ich noch er­        fen wird. Sinnvolle Reformen kon­           ischen Integration zu nennen. Aber
wähnen möchte, ist die politische         kret zu beschreiben, ist allerdings         auch die repräsentative Demokratie
Kultur, die auch nicht sehr günstig       nicht ganz so einfach, wie die Defi­        selbst hat sich verändert. Das Stan­
ist für die direkte Demokratie als        zite festzustellen.                         dardmodell der repräsentativen De­
normalen Teil des politischen Lebens.                                                 mokratie geht davon aus, dass wir
Häufig werden direktdemokratische                                                     alle vier Jahre unsere Vertreterinnen
Instrumente parteipolitisch verwen­       OLIVER JENS SCHMITT                         und Vertreter wählen. Die fuhrwer­
det. Es ist wohl stets so, dass die je­                                               ken vier Jahre lang, und nach vier
weilige Opposi­  tion für die direkte     Herr Pállinger, Sie haben in Ihrer          Jahren haben wir die Möglichkeit, sie
Demokratie ist, und die, die regieren,    schriftlichen Wortmeldung einen             zu sanktionieren oder nicht, und die­
sind es nicht. Nachdem wir keine          Punkt genannt, den bereits Herr             ser Rückkopplungsmechanismus soll
konstante Konzentrationsregierung         Auer herausgearbeitet hat, nämlich          dafür sorgen, dass die regierenden
haben, ändern sich mit jedem Regie­       die Frage der stärkeren Kontrolle ge­       Eliten in unserem Interesse handeln.

                           ÖAW                                                                                           18
PODIUMSDISKUSSION

Diese Art der repräsentativen De­        löst einen Lernprozess bei den Eliten
mokratie ist eigentlich ein Instru­      aus. Eliten spielen immer eine Rolle
ment des 19. Jahrhunderts. Die Welt      in der Demokratie, insbesondere in
hat sich verändert. Denken wir an        der direkten Demokratie. Parteien
die technologischen Fortschritte, die    lernen, mit dem Instrument umzuge­
Globalisierung. Eigentlich stellt sich   hen. Im besseren Fall führt dies dazu,
die Frage: Wie können wir besser re­     dass Konsultationen stattfinden, dass
giert werden? Wie können wir die de­     Konflikte bereits in einer frühen ­Phase
mokratische Governance verstärken?       des politischen Prozesses durch Dis­
Da steht natürlich, wie Herr Auer das    kussion gelöst werden.
gesagt hat, die Frage im Raum: Wie       Vielleicht sollten wir die direkte
können wir die direkte Demokratie        Demokratie nicht nur im Sinne
verbinden mit der repräsentativen        von Volksabstimmungen anschauen.
Demokratie? Eine Verknüpfung die­        Heute wird ja auch darüber geredet,
ser beiden Elemente steht also im        dass wir einen Dialog zwischen Eli­
Zentrum.                                 ten und Bevölkerung brauchen. Es
Es ergeben sich zahlreiche Fragen.       existieren Modelle der deliberativen
Wir müssen zum Beispiel das in­          Demokratie, die mit direktdemokra­
stitutionelle Design, je nach poli­      tischen Verfahren kombiniert werden
tischem System, beachten. Ist die        können. Von zentraler Bedeutung
Verfassung souverän? Ist das Volk        ist auch dabei der Dialog zwischen
                                                                                    Zoltán Tibor Pállinger ist Fachverant-
souverän? Worin besteht die Rolle        der Bevölkerung und der Elite. Dies
                                                                                    wortlicher für den Master in International
der einzelnen Akteure? Grundsätz­        kann sich institutionell äußern, wenn
                                                                                    Relations – European Studies und Leiter
lich ist auch T
              ­ hema: Wie können wir     Parlamente gezwungen werden, sich
                                                                                    des Lehrstuhls für Politische Theorie und
Demokratie zwischen den Wahlen           zum Beispiel inhaltlich mit Volks­
                                                                                    Europäische Demokratieforschung an der
ausgestalten? Die direkte Demo­          initiativen auseinanderzusetzen. Mei­
                                                                                    Andrássy Universität Budapest.
kratie, je nach Instru­  ment, bietet    ne andere Heimat, Ungarn, macht es
die Möglichkeit, Präferenzen feiner      genau umgekehrt: Dort darf das Par­
auszudrücken als ein vierjährlicher      lament über Volksinitiativen nicht
Wahlakt. Das ist eine Möglichkeit.       beraten. Es stellt nur das Budget für
Die andere Möglichkeit ist, ein Veto     die Volksabstimmung zur Verfügung.
einzulegen. Eine gut funktionierende     In der Schweiz hat das Parlament
direkte Demokratie erzwingt nicht        zum Beispiel die Möglichkeit, einen
viele Vetoabstimmungen, sondern          Gegenvorschlag gegenüber einer

                          ÖAW                                                                                               19
PODIUMSDISKUSSION

                                             Volksinitiative zu präsentieren, und     ADRIAN VATTER
                                             es kann damit auch materiell auf die
                                             vorgebrachten Anliegen eingehen.         Da ich, wenn ich es richtig sehe, der
                                             Ich glaube, die direkte Demokratie       einzige empirische Sozialwissen­
                                             kann ein probates Mittel sein, diesen    schaftler auf dem Podium bin, weder
                                             Dialog, dieses deliberative Element      Jurist noch Theoretiker, erlaube ich
                                             zwischen Elite und Bevölkerung zu        mir, in den nächsten Minuten ganz
                                             verbessern, und im Notfall kann sie      kurz drei Vorurteile oder Mythen zur
                                             eben auch als ein Veto wirken, um die    direkten Demokratie zu diskutieren
                                             Eliten durchaus auch ziemlich brutal     und aufzuzeigen, was die empirische
                                             an den Willen der Wählerinnen und        Forschung der Schweiz dazu sagt.
                                             Wähler rückzukoppeln.                    Die erste Frage ist: Sind die Stimm­
                                                                                      bürgerinnen     und     Stimmbürger
                                                                                      überfordert? Das höre ich immer
                                             OLIVER JENS SCHMITT                      wieder. Zweitens: Sind Abstim­
                                                                                      mungsergebnisse käuflich? Können
                                             Wir haben im Titel der Veranstaltung     wir mit viel Propagandaaufwand ein
                                             zwei Länder nebeneinandergestellt.       Abstimmungsergebnis quasi kaufen,
                                             Ich komme noch einmal auf etwas          durch finanzkräftige Organisatio-
                                             zurück, was Herr Auer eingangs           nen? Drittens: Gibt es eine Tyrannei
                                             gesagt hat. Unsere Diskussion soll       der Mehrheit? Ich möchte diese drei
Adrian Vatter ist Direktor am Institut für
                                             keine Werbeveranstaltung für das         Fragen kurz aufgreifen und diskutie­
Politikwissenschaft der Universität Bern
                                             Schweizer System sein, sondern soll      ren.
und Inhaber der Professur für Schweizer
                                             dieses auch kritisch beleuchten. Das     Als vor einiger Zeit der deutsche
Politik.
                                             zeigt sich schon allein an der Formu­    Bundespräsident Joachim Gauck in
                                             lierung von Herrn Vatter, der darauf     der Schweiz war, wurde gerade die
                                             hinweist, dass auch in der Schweiz       Masseneinwanderungsinitiative an­
                                             kontinuierlich eine kritische Debatte    genommen. Er hat dann freundlich
                                             über die direkte Demokratie stattfin­    gesagt: Das seien schon sehr hohe
                                             det, in der sich wichtige Argumente      Anforderungen an die direkte Volks­
                                             der österreichischen Diskussion der      mitsprache und es gebe schon gewis­
                                             letzten Monate wiederfinden. Also,       se Gefahren, wenn die Bürger über
                                             Teil der Identität schon, aber heilige   hochkomplexe Themen abstimmten.
                                             Kuh doch nicht so ganz.                  Etwas undiplomatischer formuliert

                             ÖAW                                                                                        20
PODIUMSDISKUSSION

hat es vor ein paar Jahrzehnten sein     wieder in den Medien darüber be­        Vorlage, bei der die Initianten viel
Vorgänger Theodor Heuss, indem           richtet wird.                           weniger Mittel hatten. Oder wenn es
er die direkte Demokratie schlicht       Dann gibt es auch so etwas wie einen    um Liberalisierungsvorlagen geht,
als „Prämie für jeden Demagogen“         natürlichen Selbstselektionsprozess.    wie die Liberalisierung des Schwei­
bezeichnete. Diese Kritik hören wir      Diejenigen, die gut informiert sind,    zer Elektrizitätsmarktes. Da waren
immer wieder, gerade auch aus            gehen viel häufiger abstimmen als       die Propagandamittel, die zur Verfü­
Deutschland.                             diejenigen, die schlecht informiert     gung standen, sehr ungleich verteilt,
Ist der Stimmbürger überfordert? Die     sind, die bleiben viel häufiger zu      und trotzdem haben die Gegner ge­
empirische Forschung dazu – und          Hause. Wir monieren zwar immer          wonnen. Propagandaeffekte werden
es gibt zahlreiche Studien, die un­      die niedrige Stimmbeteiligung, aber     vor allem dann sichtbar, wenn das
terschiedlich angesetzt sind – liefert   das hat durchaus den positiven Ef­      Thema abstrakt, wenig vertraut und
eigentlich ein eher positives Bild.      fekt, dass die gut Informierten an      nicht stark umstritten ist; dann kann
Schlecht Informierte und wenig           die Urne gehen. Insgesamt scheint       die eine Seite mit viel Geld in der Tat
Kompetente machen lediglich etwa         die Abstimmungsforschung darauf         eine Mehrheit für sich gewinnen. Ins­
ein Viertel der Stimmbürgerschaft        hinzuweisen, dass doch ein solides      gesamt kommt die Forschung zum
aus. Etwa drei Viertel sind mittel bis   Fundament gut informierter Stimm­       Schluss, dass Geld bei Volksabstim­
gut informiert. Informiertheit heißt,    bürgerinnen und Stimmbürger in der      mungen eine relativ geringe Rolle
man kennt den Titel der Vorlage,         Schweiz vorhanden ist.                  spielt, allerdings bei einem knappen
man kennt den Inhalt und man kann        Zweite Frage. Käuflichkeit der direk­   Ausgang durchaus ausschlaggebend
auch seine Argumente begründen.          ten Demokratie. Ein ehemaliger Prä­     sein kann.
Das ist damit gemeint. Das hängt al­     sident eines Schweizer Wirtschafts­     Kurz zur Frage nach der Tyrannei der
lerdings sehr stark vom politischen      dachverbandes hat vor einigen Jahren    Mehrheit durch die Direktdemokra­
Interesse ab, aber auch sehr stark von   gesagt, er setze jeweils so viel Geld   tie. Diese Fragestellung geht schon
der Sachvorlage. Bei der Unterneh­       ein, bis es wirklich so weit komme,     auf James Madison zurück. Weshalb
menssteuerreform       beispielsweise,   dass er die Abstimmung gewinne.         wir in den USA keine nationalen
über die wir letztes Jahr abgestimmt     Er geht also von einem direkten Zu­     Volksabstimmungen haben, weshalb
haben, waren über 70 Prozent der         sammenhang zwischen der Höhe des        wir Elektoren haben und nicht die di­
Leute schlecht informiert. Das war       Kampagnenaufwands und dem ab­           rekte Volkswahl des Präsidenten, das
eine hochkomplexe Vorlage. Wenn          schließenden Abstimmungsergebnis        geht auf diese tief verwurzelte Skep­
es aber um wichtige außenpolitische      aus. In der Tat sehen wir diesen Zu­    sis gegenüber dem Volk zurück, auf
Themen geht, etwa den UNO-Beitritt       sammenhang häufig, aber lange nicht     die Befürchtung der Tyrannei durch
oder den EU-Beitritt, da sind die        immer. Es gibt immer wieder promi­      eine Mehrheit. Grundsätzlich sehen
­Leute sehr gut informiert, weil über    nente Gegenbeispiele. Die sogenann­     wir in der Tat immer wieder Volksent­
 Jahre, Jahrzehnte eigentlich, immer     te „Abzockerinitiative“ war so eine     scheide in der Schweiz, die eine dis­

                          ÖAW                                                                                         21
PODIUMSDISKUSSION

                                           kriminierende Wirkung in Bezug auf       in anderen Zusammenhängen nicht
                                           Minderheiten haben. Allerdings, und      bloß politisch inkorrekt wären, son­
                                           das ist ein wichtiger Punkt, trifft es   dern unsagbar. Die Leute sind zu
                                           nicht systematisch alle Minderheiten,    dumm dazu, zu unreif, sie sind zu
                                           sondern entscheidend ist, ob Minder­     leicht manipulierbar. Das sind Argu­
                                           heiten durch die Bevölkerungsmehr­       mente, die als Befürchtungen ver­
                                           heit als Eigen- oder Fremdgruppe         ständlich sind, und ich selbst bin der
                                           wahrgenommen werden oder nicht.          Letzte, der von solchen Sorgen frei
                                           Das heißt, bei Anliegen für kulturelle   wäre. Wenn man ein wenig nach­
                                           Minderheiten aus der Schweiz, also       denkt, wird aber rasch klar, dass die­
                                           die lateinischen Sprachgruppen bei­      se Argumente sich gegen die Demo­
                                           spielsweise, kommen die Vorlagen         kratie schlechthin richten und nicht
                                           sehr häufig durch. Auch wenn es um       nur gegen die direkte Demokratie.
                                           die Anliegen christlicher Minoritäten    Die direkte Demokratie ist weder
                                           geht, sind diese meist erfolgreich.      eine schlechtere Form noch eine bes­
                                           Aber wenn es um die Interessen und       sere Form, sie ist aber von vornherein
                                           Anliegen von Muslimen, Asylbewer­        nur eine subsidiäre Form, sie kann,
                                           bern und Migranten geht, dann ist        wie Sie richtig gesagt haben, nur
                                           die direkte Demokratie relativ uner­     eine Ergänzungsfunktion haben. Das
                                           bittlich.                                aber funktioniert nicht, wenn man
                                                                                    den Mächtigen nur alle zehn Jahre
Ewald Wiederin ist Professor für Öffent­
                                                                                    einmal einen Denkzettel verpassen
liches Recht an der Universität Wien.
                                           OLIVER JENS SCHMITT                      kann, denn das läuft meist darauf
2015 wurde er zum wirklichen Mitglied
                                                                                    hinaus, dass Öl ins Feuer gegossen
der Österreichischen Akademie der Wis-
                                           Herr Wiederin, Sie haben gesagt,         wird. Es funktioniert nur, wenn das
senschaften gewählt.
                                           Plebiszite funktionierten nicht als      Volk auf regelmäßiger Basis wich­
                                           Überdruckventil.                         tige Fragen entscheiden kann und
                                                                                    wenn ­diese Fragen auch von unten
                                                                                    kommen ­können und nicht einfach
                                           EWALD WIEDERIN                           vom Establish­  ment formuliert wer­
                                                                                    den. Insoweit kann man von der
                                           Die direkte Demokratie und die           Schweiz lernen, aber nicht nur von
                                           ­Debatten rund um sie sind interes­      der Schweiz. Überall dort, wo die
                                            sant, weil man Argumente hört, die      direkte Demokratie ein Erfolgsmo­
                                                                                    ­

                            ÖAW                                                                                        22
PODIUMSDISKUSSION

dell ist, musste sie Teil der Alltags­   möglich. Das hängt damit zusam-           lichkeit vorsehen, eine Initiative vor
kultur werden. In Kalifornien ist die    men – und aus diesem Grund soll­          das Volk zu bringen, wenn sie ent­
Entwicklung in diese Richtung ge­        ten wir mit dem Kopieren sehr vor­        sprechend breit unterstützt ist. Dabei
gangen, und auch in Australien geht      sichtig sein –, dass das Schweizer        steht nach allen Vorschlägen außer
sie in diese Richtung, die Australier    System keine Kontrolle von Bundes­        Streit, dass es für solche Volksgeset­
stimmen mittlerweile ähnlich oft ab      gesetzen auf ihre Verfassungsmäßig­       ze die volle Verfassungsbindung und
wie die Schweizer.                       keit hin kennt. Im Ergebnis bedeutet      die volle Verfassungskontrolle geben
In anderen Punkten sind die Schwei­      das, wenn ich es ein wenig zuspitzen      wird.
zer Erfahrungen nicht übertragbar,       darf, dass das Volk über eine Initia­     Direkte Demokratie ist, wenn man
weil die Ausgangslage eine völlig        tive gegen das Parlament eigentlich       die Schweizer Erfahrungen anschaut,
andere ist. Bei uns in Österreich ist    nur Grundsätze beschließen kann,          in der Tat mühsam in dem Sinn, als
die Diskussion über die direkte De­      die von der Gesetzgebung erst um­         sie uns umfassend politisiert und zu
mokratie seltsam fokussiert auf das      gesetzt werden müssen, die aber           Meinungsbildung zwingt. Wir wer­
Initiativreferendum, mit anderen         nicht immer auf Punkt und Beistrich       den, wenn sie Teil des Alltags ist,
Worten auf die Möglichkeit, am Par­      umgesetzt werden. Letztlich kann in       des Öfteren zu Dingen eine Meinung
lament vorbei Gesetze zu machen,         der Schweiz das Volk am Parlament         haben müssen, zu denen wir keine
ein Volksbegehren vor das Volk zu        vorbei also nur Soft Law erzeugen,        haben und vielleicht auch keine ha­
bringen, wenn das Parlament ihm          das für sich allein nicht viel bewirkt.   ben wollen. Als Bürger habe ich das
nicht Rechnung getragen hat. Über        In Österreich wäre das ganz anders,       Gefühl, dass in Österreich der Bedarf
reine Vetoreferenden, also die Mög­      weil wir eine Verfassungsgerichts­        danach eher enden wollend ist, weil
lichkeit, nach einem parlamentari­       barkeit haben, die Verfassungsge­setze    die vielen Instrumente – Franz M ­ erli
schen Gesetzesbeschluss durch eine       auf Punkt und Beistrich exekutiert.       hat das schon gesagt –, die es auf Ge­
Volksabstimmung das Gesetz wieder        Die Schweizer Erfahrungen zeigen          meinde- und Landesebene gibt, so
außer Kraft zu setzen oder sein In­      auch eine Gefahr der direkten De­         gut wie nicht genutzt werden. Und
krafttreten zu verhindern, redet hier­   mokratie: Eine einfache Mehrheit im       als Verfassungsrechtler kann ich ab­
zulande im Grunde niemand.               Volk hat mitunter nicht anders als        schließend festhalten, dass direkte
In der Schweiz ist demgegenüber          eine einfache Mehrheit im Parlament       Demokratie in größerem Umfang
das Vetoreferendum das zentrale          die Tendenz, Minderheiten an die          nichts ist, was das Parlament uns
direktdemokratische Instrument in
­                                        Wand zu drücken. Ich bin daher froh,      verordnen könnte. Gesetzgebung am
der Gesetzgebung. Das Volk kann          dass die Vorschläge, die im Moment        Parlament vorbei, der Verfassungs­
damit Gesetze blockieren, das Par­       ernsthaft diskutiert werden, kein In­     gerichtshof hat es mehrfach festge­
lament übergehen kann es auf Bun­        itiativreferendum auf Verfassungse­       halten, ist als Gesamtänderung der
desebene nicht. Ein Initiativrefe­       bene zulassen, sondern bloß auf der       Bundesverfassung zwingend einer
rendum ist nur bei der Verfassung        Ebene der Gesetzgebung die Mög­           Volksabstimmung zu unterziehen,

                          ÖAW                                                                                          23
PODIUMSDISKUSSION

sodass wir uns als Stimmvolk wer­        haben wir eigentlich keine. Das heißt,   wiesen werden müssen. Blindlings.
den entscheiden müssen, wenn es          die Situation in Österreich, wenn ich    Diese Bestimmung ist in Kraft. Das
so weit kommt, ob wir das wirklich       das richtig verstehe, mit einem star­    Bundesgericht hat in einem sehr
wollen, mit allen Mühen, die damit       ken Verfassungsgericht, wäre eigent­     wichtigen Urteil mit einem Obiter
verbunden sind, oder vielleicht doch     lich die viel bessere Grundlage in       Dictum einen sehr intelligenten Ent­
lieber nicht.                            Bezug auf den Minderheitenschutz.        scheid gefällt und gesagt, die Ver­
                                         Wir haben den nicht. Wir haben kein      fassungsbestimmung ist nicht un­
                                         Verfassungsrecht, das klare Grenzen      mittelbar anwendbar, man muss sie
OLIVER JENS SCHMITT                      zieht. Das hätte man in Österreich.      gesetzlich noch konkretisieren. Aber
                                         Daher sind meines Erachtens die          auch wenn sie unmittelbar anwend­
Ihr Statement hat diese große Frage      Rahmenbedingungen in Österreich          bar wäre, ist die Schweiz an völker­
aufgeworfen: Wo sind die Grenzen         weitaus besser als in der Schweiz.       rechtliche Grenzen gebunden. Das
des Instruments der direkten Demo­                                                betrifft nicht nur das Jus cogens, das
kratie? Diese Frage richtet sich pri­                                             zwingende Völkerrecht. Die Schweiz
mär an die Schweizer Kollegen. Wo        ANDREAS AUER                             hat die Europäische Menschenrechts­
sind in der Schweiz die Grenzen ge­                                               konvention ratifiziert, schon in den
zogen? Sie, Herr Vatter, haben ja auch   Darf ich widersprechen? Es wurde         Fünfzigerjahren, und wenn ein Aus­
auf das Problem der Diskriminie­         jetzt verschiedentlich gesagt, wir       schaffungsentscheid gegen die Men­
rung von Minderheiten durch dieses       hätten in der Schweiz keine Verfas­      schenrechte verstößt, dann behält
Instru­ment hingewiesen.                 sungsgerichtsbarkeit. Das, meine         sich das Bundesgericht die Kompe­
                                         Damen und Herren, stimmt nicht.          tenz vor, in einem Einzelfall diese
                                         Wir haben eine sehr ausgebaute           Vorschrift nicht anzuwenden. Das
ADRIAN VATTER                            Verfassungsgerichtsbarkeit. Mit in­      war ein unglaublich mutiger Ent­
                                         begriffen sind Volksabstimmungen         scheid. Wir sind auch in der Schweiz
Ich meine eben, es gibt die juris­       auf Verfassungsebene, die vom Volk       immer noch daran, zu lernen. Die
tischen Grenzen, und die kennt           angenommen worden sind. Das              direkte Demokratie bringt Prozesse
Andreas Auer viel besser als ich.        Schweizerische Bundesgericht hat­        in Bewegung, die auf dieser Ebene
Die liegen grundsätzlich beim zwin­      te vor dreieinhalb Jahren einen sehr     relativ neu sind. Es gibt vier oder
genden Völkerrecht. Aber eine            wichtigen Entscheid zu fällen. Mit       fünf Volksinitiativen, die sehr gro­
Minarettverbotsvorlage war eben          einer Volksinitiative wurde eine Ver­    ße Probleme darstellen in Bezug auf
möglich. Wir haben in der Schweiz        fassungsbestimmung aufgenommen,          Menschenrechte, die durch die Euro­
keine beziehungsweise eine, wenn         die sagt, dass „kriminelle Auslän­       päische Menschenrechtskonvention
überhaupt, sehr schwach ausgebaute       der“, die sich bestimmte Vergehen        gewährleistet sind. Wie wir uns dazu
Verfassungsgerichtsbarkeit, faktisch     zuschulden kommen lassen, ausge­         verhalten, das ist ein Lernprozess,

                          ÖAW                                                                                        24
PODIUMSDISKUSSION

wo wir uns bewusst werden, das          ANDREAS AUER                            ZOLTÁN TIBOR PÁLLINGER
Volk hat mit „Ja“ gestimmt zu dieser
Vorlage. Es will, dass die Auslän­      Nein, mein sehr verehrter Kollege!      Wichtig ist auch, dass mit einer
der, wenn sie schlimme Taten bege­      Wir haben in Bezug auf die direkte      Volksabstimmung der Prozess in der
hen, ausgeschafft werden, aber der      Demokratie eine außerordentlich rei­    Regel nicht abgeschlossen ist. Ent­
Richter kann und muss im Einzelfall     che Verfassungsgerichtsbarkeit und      scheide müssen umgesetzt werden,
Grenzen setzen, und diese Grenzen       Rechtsprechung des Bundesgerichts.      die Umsetzung muss diskutiert wer­
sind von der Verfassungsgerichtsbar­    In Bezug auf direkte Demokratie in      den, und in einigen Fällen kann es
keit festgelegt.                        den Ländern, also in den Kantonen.      auch zu erneuten Volksabstimmun­
                                        Das ist unglaublich wichtig und auch    gen kommen. Hier ist ein Lernpro­
                                        anwendbar auf Bundesebene. Wir          zess eingebaut, wo man auch sehen
ADRIAN VATTER                           haben also eine sehr ausgebaute Ver­    kann, dass innerhalb von vielleicht
                                        fassungsgerichtsbarkeit. Das Einzige,   längeren Zeiträumen sich auch der
Eine einfache Ergänzung. Eine Folge     was das Bundesgericht nicht kann,       Wille des Elektorats ändert. Sie ken­
davon ist, dass die rechtspopulis­      ist, Bundesgesetze auf ihre Verfas­     nen vielleicht das Beispiel aus dem
tische SVP jetzt eine Verfassungsi­     sungsmäßigkeit hin zu überprüfen.       „Xenophobe’s Guide to the Swiss“,
nitiative lanciert, die Selbstbestim­   Das Bundesgericht kann dem Gesetz­      das besagt, dass, wenn man 100.000
mungsinitiative, wo nationales Recht    geber sagen: „Dieses Gesetz ist nicht   Unterschriften       zusammenkratzt,
vor internationales Recht, vor Völ­     verfassungsmäßig, aber ich muss es      man in der Schweiz sogar darüber
kerrecht gesetzt werden soll. Dieser    trotzdem anwenden.“ Und das hat         abstimmen könnte, ob es Freibier für
Lernprozess geht ja überall weiter.     auch schon seine Wirkung. Also bitte,   alle geben soll, und es sei die Weis­
Wenn diese Initiative angenommen        dieses Missverständnis, die Schweiz     heit der Schweizer, dass das nicht ge­
wird, dann steht diese Initiative vor   habe keine Verfassungsgerichtsbar­      macht worden ist. Ich denke, da sind
dem, was die Richter entschieden        keit, kann ich nicht nachvollziehen.    andere institutionelle Vorkehrungen
haben. Und wir haben eben, das ist                                              am Werk, aber in der Schweiz könn­
schon wichtig, kein formales Bun­                                               te über so etwas diskutiert werden.
desverfassungsgericht. Im internati­    ADRIAN VATTER                           Das Für und Wider müsste erläutert
onalen Vergleich haben wir eine sehr                                            werden. Es gibt ein Land, wo es die­
schwache     Verfassungsgerichtsbar­    Grundsätzlich haben wir bei Bundes­     se Initiative tatsächlich gegeben hat,
keit. Es mag diese Einzelfälle geben.   gesetzen keine verfassungsmäßige        und das ist Ungarn. Dort gab es die
                                        Überprüfung, die bindend für den        Volksinitiative zum Ausschank von
                                        Gesetzgeber ist.                        Freibier, und die wurde vom Ver­
                                                                                fassungsgericht      niedergeschlagen,
                                                                                weil in der Präambel der ungari­

                          ÖAW                                                                                      25
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