DENKFABRIK EINE WELT 2.0 DEKOLONISIERT EUCH! - Eine Initiative von Deutschlandradio und seinen drei Programmen
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DENKFABRIK EINE WELT 2.0 DEKOLONISIERT EUCH! Eine Initiative von Deutschlandradio und seinen drei Programmen
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KAPITEL 1 DIE DENKFABRIK UNTERWEGS SEITE 8 KAPITEL 2 NUR WER WEISS, WOHER ER KOMMT, WEISS, WOHIN ER GEHT SEITE 32 KAPITEL 3 PLÄDOYER FÜR EINEN PERSPEKTIV- WECHSEL SEITE 54 KAPITEL 4 NACHDENKEN ÜBER DEN JOURNALISMUS, SPRACHE, UNS SELBST SEITE 70
Dieses Beispiel westlicher Besitznahme, über das Sie in dieser Publikation noch mehr erfahren werden, mag keine direkten Auswirkungen auf die Leben vieler Menschen gehabt haben, andere dafür umso mehr. Auswirkungen, die seit Jahrhunderten bis heute spürbar sind. Mit dem Thema unserer diesjährigen Denkfabrik „Eine Welt 2.0 – Dekolonisiert Euch!“ wollten wir diesen Folgen nachspüren. Was ist auch bei uns von der kolonialen Vergangenheit geblieben – in Gesellschaft, Wirtschaft, Sprache und den Medien? Durch den gewaltsamen Tod des US-Amerikaners George Floyd und die Pro- teste der Black Lives Matter-Bewegung ist die Aktualität dieses Themas der Welt noch einmal schmerzhaft bewusst geworden. Wir haben 2020 viel diskutiert, durch Corona leider weniger bei Veranstaltungen mit unserem Publikum als geplant. Die Liebe Leserinnen und Leser, Reaktionen auf unsere Beiträge, Serien und Sendungen haben uns aber gezeigt, dass wir einen Nerv getroffen haben. haben Sie sich schon einmal gefragt, welche Namen die Men- schen in ihrer Heimat jenen exotischen Pflanzen gegeben Ich hoffe, Sie finden die in dieser Publikation versammelten haben, die wir heute in Botanischen Gärten bestaunen, bevor Beispiele genauso interessant und anregend wie wir. Und westliche Wissenschaftler sie nach Europa mitnahmen und wenn Sie mehr über dieses Thema und unsere Denkfabrik ihnen einen lateinischen Namen gaben? erfahren wollen, dann können Sie weiterlesen und -hören auf deutschlandradio.de/denkfabrik. Wenn aus Humboldts Seekanne, der Nymphoides humboldtia- na, wieder die Yvoty mboporã pónhuregua wird, die „Fünfblätt- Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre. rige Blume des Geistes der Felder und Wälder: Du wirst eines Tages fortgehen, aber ich nicht“, wie die Pflanze in der Sprache der Guaraní heißt, dann öffnet sich der Blick auf eine Welt jen- Ihr Stefan Raue seits der westlichen (Sprach-)Ordnung. Intendant Deutschlandradio
6 DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte 7 WAS FÜR EIN DENK WÜRDIGES THEMA! Als alle Stimmen ausgezählt waren, waren wir überrascht. Und ein bisschen ratlos. Die Auswahl unserer Hörerinnen und Nutzer war zwischen vier starken Themen auf „Eine Welt 2.0 – Dekoloni- siert Euch!“ gefallen. Je weiter das Jahr voranschritt, umso vertrauter und wichtiger wurde uns das Thema. Und es wuchs von Woche zu Woche. Mit der aufgeregten Debatte um den kamerunischen Historiker und Postkolonialismus-Theoretiker Achille Mbembe. Mit dem gewaltsamen Tod von George Floyd und der Black Lives Matter- Bewegung. Dem Anschlag von Hanau. Der Diskussion um die Umbenennung von Straßennamen, wenn sie koloniales Unrecht verharmlosen oder heroisieren. Unsere Hörerinnen und Nutzer mitnehmen wollten, ein interaktives Quiz. Und uns stattdessen hatten offensichtlich ein gutes Gespür, als sie sich für dieses der Frage widmen, wie die Denkfabrik auch unter diesen Umstän- Thema entschieden. den im Austausch mit dem Publikum bleiben konnte. So entstand etwa die Idee zu einem Lesekreis, in dem ein gemeinsam ausge- Auch wir selbst mussten erst einmal für uns das Thema sortie- wähltes Buch anschließend gemeinsam gelesen wurde. ren, uns klar werden, was dazugehört, was zu sehr abschweift und welche Fragen wir stellen wollten. Zu den Folgen einer kur- Auf den folgenden Seiten finden Sie einen kleinen Ausschnitt zen Kolonialzeit, zu Machtstrukturen, die bis heute ihre Wirkung von dem, was uns zu „Dekolonisiert Euch!“ eingefallen ist. Von entfalten. Schnell war uns klar, wie wichtig es auch hier ist zu der Politik über die Wirtschaft und den Sport bis hin zu künst- verstehen, woher man kommt – und dass der Perspektivwechsel lerischen Klanginstallationen. On Air, in der Audiothek, in Insta in diesem Jahr eine besondere Rolle spielen würde. Nicht nur in stories, im Programmheft, in Podcasts. In Interviews, Essays, der „Corso“-Serie „Durch deine Augen“, die ergründet, was es Diskussionen, Lesungen. Ein Buch zum Lesen, zum Schauen, braucht, um einander besser zu verstehen. zum genüsslichen Blättern – und zum Hören. An vielen Stellen finden Sie QR-Codes, die Sie zum jeweiligen Beitrag bringen. Die Denkfabrik will die großen Themen der Zeit diskutieren, nicht im Elfenbeinturm, sondern im direkten Austausch mit Was für ein spannendes, lehrreiches Denkfabrikjahr, aus dem wir unserem Publikum, durchaus kontrovers, aber immer im Res- alle verändert hervorgehen – von der Werkbank, an der fünfzehn pekt vor der Meinung des anderen. Die Denkfabrik wollte im Kolleginnen und Kollegen aus allen Bereichen des Hauses regel- Jahr 2020 vor allem eins sein: unterwegs, vor Ort, bei Ihnen. mäßig stehen und die Denkfabrik begleiten, über Redakteurinnen Dann kam Corona. Während die zahlreichen guten Ideen für und Redakteure und die Verwaltung bis hin zum Intendanten. unsere drei Programme umgesetzt wurden, mussten wir viele Planungen und Ideen für Veranstaltungen einstampfen – Ideen Viel Spaß beim Blättern, Schauen, Lesen – und Hören! für Live-Sendungen und Diskussionsrunden vor Ort mit Publi- kumsbeteiligung, für ein Barcamp, unseren Hörsessel, den wir Dr. Eva Sabine Kuntz, Leiterin Hauptabteilung Intendanz, Koordinatorin Denkfabrik
10 DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte 11 Deutschlandfunk Kultur, Radiokunst, KIanginstallation im Botanischen Garten NATUR. NACH HUMBOLDT Auf den ersten Blick sieht sie aus wie eine zarte Seerose. Mit Seit Jahrhunderten benennen Wissenschaftler ihren filigranen Blüten bevölkert sie Sümpfe und Wasserflä- Lebewesen mit lateinischen Namen. Nun forsch- chen in Südamerika. Die westliche Wissenschaft nennt sie: ten zwei Künstlerinnen (hier im Bild: die Kom- Nymphoides humboldtiana, Humboldts Seekanne. Mindestens ponistin Lucrecia Dalt) nach indigenen Bezeich- ebenso gut steht ihr aber der Name Yvoty mboporã pónhure- nungen für Pflanzen aus dem Botanischen gua: „Fünfblättrige Blume des Geistes der Felder und Wälder: Garten in Berlin. Ihre 360°-Sound-Installation Du wirst eines Tages fortgehen, aber ich nicht.“ Diese Bezeich- war vom 24. Januar bis zum 2. Februar 2020 zu nung stammt von dem Guaraní-Lehrer Maximino Rodrigues. erleben. Den Abschluss bildet eine „Art meets Seine Vorfahren lebten in Südamerika, lange bevor Humboldt Science“-Matinee. Aufgrund der überwältigen- dort auftauchte. den Resonanz wurde die Klanginstallation um zwei Wochen verlängert und erreichte vor Ort Für die Klanginstallation „You Will Go Away One Day But I Will 15.000 Menschen. Deutschlandfunk Kultur sen- Not“ suchten die Künstlerin Maria Thereza Alves und die Kom- dete am 6. März eine Radiofassung der Arbeit. ponistin Lucrecia Dalt nach indigenen Namen für die Pflanzen im Botanischen Garten Berlin. Mit ihrer Arbeit öffneten sie einen Raum für die vielschichtigen Stimmen des Urwalds – organisch und anorganisch, menschlich und nicht-menschlich, spekula- tiv und real. Dabei zeigten sie auch, wie diese Stimmen durch europäische Kolonisatoren zum Schweigen gebracht wurden. Das Klangerlebnis im Tropenhaus des Botanischen Gartens ent- stand mithilfe des immersiven Audiosystems usomo: Während die Besuchenden mit Kopfhörern durch das Tropenhaus gingen, erfassten die Geräte ihre Positionen für eine individuelle räum- liche Hörerfahrung. So komponierten die Besuchenden durch Die Künstlerin Maria In Ihrem Projekt benennen Sie Pflanzen Thereza Alves im die Bewegung im Raum ihre jeweils eigene Hörerfahrung. Die um. Warum? Im Tropenhaus des Bota- Sound-Künstlerin Lucrecia Dalt schuf für die Arbeit erstmals eine nischen Garten gibt es eine Pflanze, die nicht-lineare Komposition: Anhand rhythmisch sequenzierter Muster der verschiedenen Stimmen des Waldes komponierte sie Gespräch zu ihrer nach Goethe benannt wurde. Und eine Pflanze, die nach dem deutschen Botani- ein Klangstück in ständiger Veränderung, inspiriert von der tur- Arbeit ker Hoffmann benannt wurde. Und eine bulenten, unberechenbaren und vielfältigen Natur. mit dem Namen des Landschaftsarchitek- ten Roberto Burle Marx. Aber es gab keine Ausgangspunkt für die Kooperation waren das Jahresthema Pflanzen mit den Namen indigener Führer „Naturgemälde“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der oder Aktivisten. Ich habe mich gefragt: Wissenschaften zum Humboldt-Jahr und das Thema der Denkfa- Wieso ist das so einseitig? Vor allem, weil brik im Deutschlandradio „Eine Welt 2.0 – Dekolonisiert Euch!“. es sich um Pflanzen aus den Regionen Auf Initiative der Abteilung Radiokunst im Deutschlandfunk Kul- indigener Menschen handelte. Also habe tur beteiligten sich auch CTM Festival, Junge Akademie, Botani- ich mir einen Weg überlegt, die Geschich- scher Garten und Botanisches Museum an dem Projekt. te hineinzubringen, die normalerweise außen vor gelassen wird: Die Umbenen- Marcus Gammel, Abteilungsleiter Radiokunst, Deutschlandfunk Kultur nung der Pflanzen durch Europa.
12 DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte 13 Nymphoides humboldtiana Yvoty mboporã pónhuregua Fünfblättrige Blume des Geistes der Felder und Wälder: Du wirst eines Tages fortgehen, aber ich nicht. Pflanze gesucht, die nach ihm benannt ist. Die „Nymphoides humboldtiana“, wie sie auf Latein heißt, stammt aus Peru. Ich arbeite mit Guaraní, die leben dort nicht. Ich habe mit den Guaraní gesprochen und gesagt: Ich weiß, dass diese Blume nicht aus eurer Region ist. Sondern von etwas weiter nördlich. Aber ich würde sie gerne verwenden. So erhielt sie den Namen Calathea „Fünfeckige Blume, die das Wesen der Felder und Wälder widerspiegelt. Du wirst zebrina Wie haben Sie das gemacht? Ich habe mit Blume voll Essenz, die den Menschen eines Tages fortgehen, aber ich nicht“. den Guaraní aus Grosso do Sul in Brasi- bessert. Es ist eine Pflanze, die durch ihre lien gesprochen, mit denen ich seit 1980 farbenreichen Blüten die Aufmerksamkeit Sie arbeiten schon sehr lange mit Guaraní- arbeitete und gefragt, ob sie daran inte- der Menschen auf sich zieht, die durch Rogue-pe pará Gruppen. Wie hat dieser künstlerische Pro- ressiert wären, daran mitzuarbeiten, den Selbstverschulden hervorgerufene schwe- ho‘ysavy apere zess begonnen? Ich war eine der ersten Botanischen Garten zu dekolonisieren. So re Zeiten durchleben.“ y‘uhe‘i in meiner Familie, die an der Universität weit wie das möglich ist. Sie waren sehr studiert hat. Und habe mich dann gefragt, interessiert. Der Titel der Arbeit, die Sie gemeinsam was ich studieren könnte, damit es mei- mit Lucrecia Dalt im Botanischen Gar- Pflanze, die starb und dabei nen Leuten nützt. Also widmete ich mich Welche Pflanzen wurden beispielsweise ten zeigen, lautet „You Will Go Away One den Namen eines gestreiften Fragen der Menschenrechtsverletzung Tieres mit sich nahm. umbenannt? Insgesamt sind es sechs- Day But I Will Not“. Was ist die Geschich- indigener Gruppen und ging zum Inter- undzwanzig. Es gibt eine Pflanze, die auf te dahinter? Die Arbeit ist benannt nach national Indian Treaty Council. Ich wollte Latein „Costus cuspidatus“ heißt. Der einer Pflanze, die nicht im Botanischen schon immer die Anführer der Guaraní- Guaraní-Name lautet „Temitý-gue apere Garten steht. Aber weil diese Ausstellung Community kennenlernen. Ein Teil meiner ñemopu'ã“. Zu Deutsch: „Pflanze mit der sich Humboldt widmet, habe ich eine Familie ist Guaraní, ein anderer Teil ist aus
14 DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte 15 Begonia det man dort. Das Gebetshaus im Reser- oxyphylla vat wurde durch Brandstiftung vernichtet. Dieses Haus ist sehr wichtig, als Kultur- zentrum. Dort kommt nachts die ganze Hoguerõ kulata Gemeinschaft zusammen. Die Kinder spie- jova‘i pira ungue len, die Teenager machen Musik. Es ist ein sehr starker Bezugsort im Alltag. Nachdem Bolsonaro gewählt wurde, kamen weiße Blatt von den Ufern des Sees, geboren aus Farmer in das Reservat, schossen und ver- totem Fisch. wundeten 15 Menschen. Das ist die aktuel- le Situation in dem Reservat, das all diese erstaunlichen Songs hervorgebracht hat. Sie haben uns erlaubt, 30 Lieder für die Arbeit im Botanischen Garten zu verwen- Paraná. Ich habe mich mit Marçal Tupã-i in den. Einige davon wurden in einem neuen Mato Grosso do Sul getroffen. Er ist eigent- Gebetshaus produziert. Sie nehmen am Hilleria lich aus dem Reservat Jaguapiru. Aber er internationalen Kunstdiskurs teil, während wurde durch die brasilianische Regierung Siedler auf sie schießen. latifolia von seiner Familie getrennt und ins Exil in ein anderes Reservat gezwungen, weil er Sollen alle Pflanzen ihre ursprünglichen Aktivist war. Ich habe mit ihm gesprochen, Namen zurückbekommen? Ich denke, wir Hoguerõ chukka weil ich mit dem International Indian Treaty sollten die Gemeinden fragen, wie sie Council eine nationale indigene Organisa- sich wünschen, dass man damit umgeht. tion gründen wollte. Er sagte dann, dass Fragen Sie die Menschen, die dort leben. Langes Blatt, stellt einen Jungen auf dem Weg zum Erwachsenen so eine Organisation gerade gegründet Die Fragen stellte Caren Miesenberger, freie Mitarbeiterin dar. Es gibt keine Blume, weil die wurde. Aber das stand nicht in den Zeitun- Online/Multimedia, Deutschlandfunk Kultur Pflanze stets wächst. gen, weil diese Informationen dort nicht landen. Ich dachte dann wow, was soll ich Costus jetzt machen? cuspidatus Und was haben Sie gemacht? Internationa- le Politik studiert. Ich bin auch Künstlerin. Und ich betrachte Kunst oder Politik nicht als verschiedene Kategorien. Temitý-gue apere ñemopu‘ã Wie ist die Situation in dem Reservat, mit dem Sie gearbeitet haben? Es ist sehr hart. Pflanze mit der Blume voll Essenz, die den Am 3. Januar kam die Polizei in das Reser- Menschen bessert. Es ist eine Pflanze, die vat und erschoss sechs Personen. Einer durch ihre farbenreichen Blüten die Auf- wurde in ein Notfallkrankenhaus mit rassis- merksamkeit der Menschen auf sich zieht, die durch Selbstverschulden hervorgerufene tischem Personal gebracht, das sagt, das schwere Zeiten durchleben. Krankenhaus sei für Weiße. Wenn man also nicht von der Polizei erschossen wird, lan-
16 DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte 17 Deutschlandfunk Kultur, Radiokunst, Mit Kopfhörer und Smartphone rund um das Berliner Stadtschloss GROSSE GESTE WEISSE WELT Im September 2020 sollte das Humboldt Forum im wieder aufgebauten Berliner Stadtschloss seine Pforten öffnen. Doch daraus wurde nichts. Die Pandemie machte den Verantwortli- chen einen Strich durch die Rechnung. Der Radiowalk „Große Geste Weiße Welt“, geplant als kritisches Beiboot zur Eröff- nung, konnte aber glücklicherweise stattfinden. Unter freiem Himmel und mit viel Abstand liefen bei der Veranstaltung Ist das umstrittene Ausstellungskonzept Ende September geladene des Humboldt Forums noch zeitgemäß? Hörer*innen einmal um das Humboldt Forum und lauschten den Hörspielminiaturen des Autors Lorenz Rollhäuser. Angekommen im aktuellen Diskurs um Dekolonisierung, Raubkunst und Restitution scheint es zumindest widersprüchlich in einem nachgebauten Hohen- zollernschloss Teile einer 500.000 Objekte zählenden ethno- logischen Sammlung zu zeigen, die teilweise auf vielkritisier- ten Wegen nach Deutschland kamen. Die berühmten Beniner Bronzen beispielsweise sind in deutschen ethnologischen Museen eine Attraktion. Dass sie 1897 von britischen Truppen aus dem heutigen Nigeria geraubt wurden, war lange kein Thema. Wem gehören die Bronzen wirklich? Steckt womög- lich postkoloniale Ignoranz in der aktuellen Ausstellungspla- nung? All diese Aspekte beleuchtet der Radiowalk „Große Geste Weiße Welt“ genauer. Autor Lorenz Rollhäuser hat rund um das Schloss eine Reihe akustischer Miniaturen platziert, die mit Hilfe der „Radioortung“-App auf dem Smartphone gehört
18 DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte 19 werden können. Viele Akteur*innen, die mit den geplanten Ausstellungen im Humboldt Forum in Verbindung stehen, kommen zu Wort. Nachfahren der Herero und Nama sind Sprecher: ebenso zu hören wie der Präsident der Stiftung Preußischer Es war immer mitten im Sommer, die Kulturbesitz Hermann Parzinger, die Künstlerin und Theo- Tage der Offenen Baustelle, an denen das retikerin Grada Kilomba oder der international arbeitende Volk geladen war, das wachsende Werk Kurator Bonaventure Soh Bejeng Ndikung. Die Provenienz- zu bewundern. Und sie kamen in Massen. forscherin Christine Howald äußert sich zu den asiatischen Ältere Herrschaften hauptsächlich, und Sammlungen und Künstlerinnen aus Lateinamerika positio- gar nicht zum Meckern aufgelegt. nieren sich zu den peruanischen Artefakten in der Ausstel- lung. Gad Shiynynuy, ein Berliner aus Kamerun und Ange- Besucher: höriger des Volks der Nso, erzählt, wie er in den Dahlemer Ich bin insgesamt, von der ganzen Kon- Depots die wichtigste und identitätsstiftende Statue seines zeption, begeistert. Volkes entdeckte, die 1901 von deutschen Kolonialtruppen geraubt wurde. Natürlich kommen auch die Befürworter Und wir freuen uns als Berliner. des Schlossneubaus zu Wort. Und schließlich kommt die Stadtforscherin und Aktivistin Noa K. Ha zu dem radikalen Ist schön für Berlin, und notwendig für Bonaventure Soh Bejeng Ndikung: Schluss, dass es im Grunde nur eine Möglichkeit gebe: Das Berlin. Es könnte das wichtigste Projekt Europas Schloss muss wieder abgerissen werden. sein, wenn man die richtigen Leute an Das musste so sein, das gehört zu Berlin. Bord hat, und ein Konzept dafür hat. Katrin Moll, Redakteurin Radiokunst, Deutschlandfunk Kultur Bin ich ganz begeistert. Sprecher: Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, interna- Noa K. Ha: Phänomenal ... tional arbeitender Kurator und Leiter des Das Gebäude mit dem Inhalt, mit dem gan- Ausstellungsraums Savvy Contemporary zen Prozess ist eigentlich eine Rekolonisie- Freu mich über jeden Baustein und bin in Berlin. rung, eine koloniale Geste, und insofern glücklich. ist nicht die Frage, was wir an den Inhalten Bonaventure Soh Bejeng Ndikung: darin verändern können, das wird die große Wunderbar! Wunderbar! Mir fehlt, und nicht nur mir, eine klare Idee, koloniale Geste als solche nicht abschaffen. was das sein sollte und wer das macht. Es geht sowieso gar nicht, dass Institutionen Sprecher: heutzutage noch von rein weißen Männern Noa K. Ha forscht zu Raum und Gesell- sozusagen besetzt werden in einer Gesell- schaft am Zentrum für Integrationsstudien schaft wie in Berlin, wo einer von drei oder der Uni Dresden. vier Leuten kommt von irgendwo anders. Die Frage ist tatsächlich: Wer macht was? Noa K. Ha: Es geht nicht um die Leute, die da rumput- Daher denke ich, das Humboldt Forum zen, sondern um die Leute, die die kurato- sollte man abbauen. Und das als einen rische Entscheidungsmacht haben. Anfangspunkt eines Prozesses der Dekolo- nisierung begreifen.
20 DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte 21 Deutschlandfunk Kultur, Wortwechsel und Diskurs, Drei Diskussionen mit René Aguigah RÜCKBLICK AUF DREI GESPRÄCHE ZUR DEKOLONISIERUNG Eine erste Reaktion auf das Wort „Dekolonisierung“, die mir vor einem Jahr häufig begegnet ist, war die Frage: ob das Thema überhaupt kontrovers sei, ob es sich nicht schon um 1960 erledigt habe, als die afrikanischen Staaten in die Unabhängigkeit aufbrachen? Und dann kamen 2020 neue Diskussionen um die Rückgabe afrikanischer Kulturgüter aus europäischen Museen auf, ein neues Ringen um Reparatio- nen für den deutschen Völkermord an den Herero und Nama, im Herbst wurde über den Begriff „Rasse“ im Grundgesetz gestritten, nicht nur in den USA bekam die „Black Lives Mat- ter“-Bewegung neuen Auftrieb; Denkmäler stürzten, eher- ne Figuren wie Bismarck stehen seitdem neu zur Debatte. Auch in jenen Sendungen, die Fragen aufwarfen, die nicht die Tagesaktualität auf die Agenda setzten, war der Gesprächsbe- darf groß – wie in jenen Diskussionsrunden, die Deutschland- funk Kultur gemeinsam mit der VolkswagenStiftung ausrichtete. Zusammen mit dem Kooperationspartner hatte die „Diskurs“- Redaktion zu drei Terminen exquisite Gäste zusammengebracht: die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und die bri- tisch-deutsche Autorin Sharon Dodua Otoo, den aus Kamerun stammenden Hamburger Erziehungswissenschaftler Louis Henri Seukwa und den Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer, die Kuratorinnen Christiane Bürger und Mareike Späth, die Histori- ker_innen Gesine Krüger und Andreas Eckert. Die versammelte Expertise ging aus von der Notwendigkeit von weiterer Deko- lonisierung. Aber die Vielzahl der Perspektiven erzeugte einen lebendigen Austausch. Von den vielen erhellenden Gesprächsmomenten ragt in meiner Erinnerung einer heraus: ein Lachen aus dem vollbesetzten Saal – es war die Zeit vor der Pandemie –, Ende Januar im Schloss Herrenhausen in Hannover. Albert Gouaffo, Kulturwissenschaft- ler aus Kamerun, sprach über die Frage, wem jenes größte
22 DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte 23 Europas koloniales Erbe in Afrika Prof. Dr. Andreas Eckert Institut für Asien- und Afrikawissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin Prof. Dr. Albert Gouaffo Professur für Literatur- und Kulturwissenschaft sowie interkulturelle Kommunikation, University of Dschang, Kamerun Prof. Dr. Gesine Krüger Historisches Seminar, Universität Zürich Dr. Christiane Bürger Dinosaurierskelett gehört, das im Berliner Naturkundemuseum Kuratorin, Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung steht und dessen Knochen aus Tansania stammen. Seine Ant- wort: Darüber müsse verhandelt, jedenfalls die Herkunftskultur gefragt werden. „Und wenn sie sagt, wir brauchen den Dino- Versöhnung gelingt nur durch Gerechtigkeit saurier hier, dann glaube ich, Deutschland muss einfach mal gehorchen. Und wenn die Deutschen den Dinosaurier besich- Prof. Dr. Louis Henri Seukwa tigen wollen, dann bitte in Tansania.“ Lachen. Ein freundliches Professor für Erziehungswissenschaften, Lachen, begleitet von Beifall. Und zugleich zeigte es, dass die HAW Hamburg Idee, Verantwortliche aus Tansania und Deutschland würden Mareike Späth heute so miteinander verhandeln können, dass die Vertreter Kuratorin, Landesmuseum Hannover der ehemaligen Kolonialmacht von „Deutsch-Ostafrika“ einmal klein beigeben könnten, eben so wenig selbstverständlich ist, Prof. Dr. Jürgen Zimmerer dass nicht Applaus oder Widerspruch, sondern Gelächter die Kolonialismus/Postkolonialismus, Geschichte Afrikas an spontane Reaktion ist. der Universität Hamburg Dieses „so wenig selbstverständlich“ gilt für viele Dinge, die in diesen Gesprächen thematisiert wurden. Zum Beispiel: Die Restitution von Kulturgütern und ihre praktischen Schwierig- Entkolonisiert Euch! keiten sind nur ein kleiner Teil in den komplizierten Beziehun- gen zwischen Afrika und Europa. Dazu gehören nicht zuletzt Prof. Dr. Bénédicte Savoy wirtschaftliche Verwerfungen, die sich spektakulär etwa in gif- Professorin für Kunstgeschichte an der Technischen tigen Müllhalden auf dem afrikanischen Kontinent zeigen. Die Universität Berlin Beziehungen neu zu gestalten, auf Augenhöhe, ist vor allem Katharina Oguntoye eine Frage des politischen Willens. Und die Corona-Pandemie Historikerin und Gründungsmitglied der Initiative treibt Machtungleichheiten zwischen verschiedenen Bevölke- Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) rungsgruppen ebenso wie zwischen unterschiedlichen Staaten schärfer hervor. Die drei Gesprächsrunden gehören zu den Sharon Dodua Otoo Schriftstellerin und Publizistin anregendsten, auch aufwühlendsten, die ich in diesem Jahr moderiert habe. Denn sie zeigen, dass der Imperativ „Dekolo- Prof. Dr. Christian Geulen nisiert Euch!“ sich längst nicht erledigt hat. Professor für Neuere und Neueste Geschichte, Universität Koblenz-Landau René Aguigah, Ressortleitung Literatur Philosophie Religion, Deutschlandfunk Kultur
24 DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte 25 Deutschlandfunk Kultur, Lesart, Lesekreis mit Hörerinnen und Hörern „Sie sagt, das sei ein dreifaches Problem für sie: Erstens als WENN DIE EIGENE Menschen mit Schwarzer Hautfarbe, weil da eine Affen- HAUTFARBE nicht die Norm IST Metapher aufsteigt und sich darüber lustig gemacht werden kann. Zweitens, weil sie aus Ostdeutschland kommt und die Banane als Südfrucht für die wirtschaftliche Überlegen- heit des Westens steht. Und dann drittens als Frau, weil sie sexuell konnotiert werden kann als Erniedrigung der Frau. Ungewöhnliche Umstände haben auch ihr Gutes: Sie regen Sie nimmt einen so sehr gut mit in ihr eigenes Bedeutungs- neue Ideen an. So haben wir im März, als erstmals große Zusam- geflecht, das mir ansonsten weniger zugänglich wäre.“ menkünfte abgesagt werden mussten, beschlossen: Wir wollen mit unseren Hörer*innen gemeinsam lesen und haben den „Les- art“-Lesekreis ins Leben geru- Lesekreis-Teilnehmer Hannes Otto Hörerinnen und Hörer und die Redaktion fen. Zur Lektüre ausgewählt lasen gemeinsam: im Lesekreis der „Les- wurde in einer Abstimmung art“ zu Olivia Wenzels „1000 Serpentinen „1000 Serpentinen Angst“, das Angst“ – ein Roman über Alltagsrassismus. Romandebüt von Olivia Wenzel. Eine junge Frau, der – abwesen- de – Vater aus Angola, die Mutter Deutsche, wächst in Thürin- „Was ich auch noch ganz interessant finde: Dass sie sich ja gen auf und erlebt dort, aber auch im Nachwende-Deutschland, eigentlich gar nicht unbedingt mit dem Thema Rassismus beständigen, mal direkteren, mal subtileren Alltagsrassismus. auseinandersetzen will. Am liebsten würde sie, glaube ich, Wie findet man seinen Platz in einer Gesellschaft, die einem gar nicht darüber reden müssen, aber man merkt einfach: aufgrund der Hautfarbe permanent signalisiert, dass man nicht Es ist so präsent in ihrem Alltag.“ die Norm ist? Und wie erzählt man darüber? Olivia Wenzel, 1985 in Weimar geboren, deren Biographie unverkennbare Nähe zu jener ihrer Protagonistin aufweist, findet hierfür eindrückliche, Wiebke Porombka symptomatische Szenen: Das befreiende Gefühl der namenlo- sen Erzählerin etwa, als sie sich bei einem Besuch in New York traut, eine Banane auf der Straße zu essen, was ihr in Deutsch- land unmöglich scheint. Zudem überzeugt der Roman durch seine Form: kein geschlossenes, sondern ein offenes Erzählen, eine beständige Selbst- und Fremdbefragung. „Mich berührt, dass es eine Reise zu sich selbst ist der Ich- Erzählerin. Und dass trotz der traurigen Erfahrungen, die sie Wiebke Porombka, Redakteurin Lesart, Deutschlandfunk Kultur vor allem mit dem alltäglichen Rassismus macht, dass sie trotzdem diese Kreativität hat und so viele kraftvolle Bilder auch in ihrer eigenen Sprache entwickelt. Das gibt einem als Leser doch sehr viel Hoffnung, dass sie ihren eigenen Weg, „Wir haben alle viel mehr das Bedürfnis nach Austausch. ihren eigenen Lebensweg beschreitet. Und es macht sehr Dafür müssen wir ja gerade neue Formen des sozialen Mit- viel Spaß, sie dabei zu begleiten.“ einanders, der Kommunikation finden – und wir dachten uns, ein Lesekreis könnte ein solches Miteinander sein.“ Lesekreis-Teilnehmerin Susanne Schlesinger Wiebke Porombka
26 DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte 27 Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur und Deutschlandfunk Nova DIE DENKFABRIK IN DEN SOZIALEN MEDIEN
28 DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte 29 Zahlreiche partizipative Formate wie Repair- und Schreibwerk- stätten, Erzählcafés, eine wachsende „Library of Resistance“ und Live-Speaker mit denen Besucher*innen ins Gespräch kom- men können, bieten eine Plattform für kritische Auseinanderset- Deutschlandfunk, Aktuelle Kultur, Kooperation mit dem Rautenstrauch-Joest-Museum zung mit der kolonialen Vergangenheit und seinen Kontinuitäten und schaffen zudem Räume fürs Sprechen lassen, für Zuhören, RESIST! DIE KUNST Vernetzung, Zusammensein und Solidarität. DES WIDERSTANDS Vera Marušić, Referentin Direktion, Rauchenstrauch-Joest-Museum „RESIST!“ beleuchtet 500 Jahre antikolonialen Widerstand im Globalen Süden und erzählt über koloniale Unterdrückung und Nanette Snoep als Gesprächsgast in ihre Auswirkungen bis heute. Die Ausstellung ist eine Hommage an die Frauen, Männer und Kin- der, die auf unterschiedlichs- te Art und Weise Widerstand Die Denkfabrik begleitet die Sonderausstel- lung „RESIST!“ des Kölner Rauchenstrauch- den „Kulturfragen“, geleistet haben und deren Joest-Museums als Kooperationspartner. Deutschlandfunk Geschichten bis heute kaum Neben gemeinsamen Veranstaltungen, erzählt oder gehört werden. Gesprächsrunden und einer Hörstation In einer labyrinthisch-futuristi- sind auch Schreibwerkstätten im Rah- Es hat eine Aufsehen erregende Initiati- schen Architektur von Rohren, men des von Deutschlandfunk mitinitiier- ve des französischen Staatspräsidenten Balken und Stahlelementen, ten Bundeswettbewerbs lyrix geplant. Macron gegeben, der die in Deutschland entworfen von raumlaborberlin, und Paris lebende Wissenschaftlerin Béné- erzählen die Arbeiten von über 40 zeitgenössischen Künstler*in- dicte Savoy und ihren Kollegen Felwine nen aus dem Globalen Süden und der Diaspora die Geschichten Sarr aus Afrika beauftragt hat: Überprüft von Rebellion und Krieg, Gewalt und Trauma sowie Überleben die französischen Sammlungen. Und wenn und Resilienz. Ihre Erzählungen werden ergänzt von histori- ihr der Meinung seid, dass sich da etwas schen Dokumenten und zahlreichen Objekten aus der Samm- unrechtmäßig in den Museen unseres lung des RJM, stumme Zeugen von Momenten des Widerstands. Nanette Jacomijn Snoep ist Landes befindet, sollten wir über Rück- Innerhalb des Labyrinths eröffnen vier autonom kuratierte seit Januar 2019 Direktorin gabe nachdenken. Halten Sie so etwas für Räume weitere Perspektiven: Die nigerianische Künstlerin Peju des Rautenstrauch-Joest- Deutschland auch für sinnvoll? Da wurde Layiwola beschäftigt sich mit den geraubten Kulturgütern aus Museums. Von Februar 2015 großartige Arbeit von Bénédicte Savoy und dem Königreich Benin (Nigeria), von denen sich zahlreiche auch bis Dezember 2018 leitete Felwine Sarr geleistet. Und obwohl es sehr in der Sammlung des RJM befinden und nimmt dabei Bezug sie die drei Ethnologischen großen Widerstand dagegen gab, hatte der auf die aktuelle #BlackLivesMatter-Bewegung. Die namibi- Museen in Leipzig, Dresden Bericht trotzdem unglaublichen Einfluss – schen Aktivistinnen Esther Utjiua Muinjangue und Ida Hoffmann und Herrenhut. Zuvor war auch auf die Politik in Deutschland. erzählen vom Genozid an den Herero und Nama in Namibia. sie 15 Jahre lang am Musée Die ungarische Kuratorin Tímea Junghaus hat Sinti- und Roma- du Quai Branly in Paris tätig, Sie waren in Dresden. Sie sind jetzt in Künstler*innen eingeladen, die ihren Kampf um Selbstbestim- zuletzt als Hauptkustodin Köln. Diesen Widerstand spüren Sie hier mung thematisieren. Schließlich klagt der Kölner postmigranti- der Sammlung Historical and in Deutschland nicht? Doch, es gibt auch sche Verein In-Haus e. V. koloniale Kontinuitäten an. Contemporary Globalisation. in Deutschland Widerstand.
30 DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte 31 Aber? Hier gibt es mehr öffentlichen Musée de Quai Branly in Paris. Dort habe Druck und ich glaube, hier sind die Öffent- ich für eine Ausstellung mit einem Voo- lichkeit und die Medien viel kritischer, viel doo-Priester aus Togo zusammengearbei- Bundeswettbewerb lyrix, Workshops mit Temye Tesfu und Tanasgol Sabbagh besser informiert als in Frankreich. Natür- tet. Wir haben einen Altar aufgerichtet und lich herrscht auch hier Uneinigkeit und er sagte zu mir: Nanette, ich fühle mich WER NICHT ERZÄHLT, WIRD ERZÄHLT die Debatten sind sehr komplex. Jedoch hier nicht wohl. Die Objekte, die hier sind ist die Bereitschaft, sie zu führen, über- – und er sprach nicht nur über Objekte all groß – egal ob in Berlin, Leipzig, Köln, aus Togo –, werden nicht mehr gepflegt Hamburg oder Stuttgart. und nicht mehr geliebt. Sie werden nicht mehr gefüttert, bekommen ihre Geträn- Es scheint auch viel Unkenntnis über die ke nicht mehr und sie hören nicht mehr, Der von Deutschlandfunk und Deutschen Verhältnisse in Afrika zu geben. Es scheint dass wir für sie singen. Sie sind wie Kinder Philologenverband initiierte Gedicht- Kolleginnen und Kollegen von Ihnen zu ohne Eltern. Wir im Museum lieben unse- wettbewerb lyrix veranstaltet bundes- geben, die der Meinung sind: Wenn wir re Objekte auch, aber das ist eine völlig weit Schreibwerkstätten mit zeitgenös- Dinge zurückgeben, dann landen die in andere Beziehung als beispielsweise für sischen Lyrikerinnen und Lyrikern – auch irgendwelchen ungesicherten Bretterbuden einen Voodoo-Priester oder Schamanen. Was in Geschichtsbüchern im Rahmen der Ausstellung „RESIST!“ oder Scheunen in Afrika. Ja, ich finde, das steht – es ist weniger eine ist immer noch ein sehr kolonialer Gedan- Müssten Sie nicht eigentlich, wenn man Frage der Wahrheit als der Kuration. In welchem Licht erschei- ke. Ich möchte nicht in die Details gehen, das konsequent weiter denkt, die Schlie- nen die Ereignisse, in welches werden sie gerückt? Welche Fra- aber man muss, wenn man andere so kriti- ßung der ethnologischen Museen, die gen stehen im Raum? Welche nicht? siert, schon auch seine eigenen Bedingun- Rückgabe der Artefakte an die Herkunfts- gen anschauen. Die deutschen ethnologi- länder fordern, oder was sonst könnte Anhand historischer Objekte und zeitgenössischer Werke, mit schen Museen hatten jahrzehntelang nicht noch geschehen? Eine rein materielle Res- Performances, Diskussionen und Workshops, will eine Son- die finanziellen Mittel, um ihre Sammlun- titution ist für mich zu einfach. Ich denke, derausstellung unter dem Titel „RESIST!“ die ausgeblendeten gen wirklich gut pflegen oder digitalisieren es gibt darüber hinaus noch viele, viele Geschichten antikolonialen Widerstands nachzeichnen, Konti- zu können. Im Vergleich mit ihren Nachbar- weitere Formate. Ich sehe das Museum nuitäten besprechen und sichtbar machen. Schon der Ort, das ländern haben die deutschen Institutionen eher als eine Plattform, als ein Forum für Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum, ist ein koloniales Relikt. wirklich einen Nachholbedarf. Ich kenne Austausch – auch für Menschen aus ande- Ethnologie war der Kompass eines Europas, das sich die Welt die Zustände in afrikanischen Museen gut: ren Ländern, die bei uns in der Diaspora untertan machen, katalogisieren und zuhause zur Schau stel- Auch in Afrika gibt es sehr gute Museen leben. Die Reihe „Dekolonisiert Euch!“ des len wollte. An diesem Ort läuft Kritik Gefahr, selbst als Gimmick und Depots. Wir glauben, Museen seien Deutschlandradio ist ein Prozess, den die ausgestellt und eingehegt zu werden, zur Abschweifung in einer nur für uns und wir sammeln für die Ewig- ethnologischen Museen begleiten können Erzählung mit gleichbleibendem Ausgang. keit. Aber muss das so sein? Müssen – als Orte, an denen Gespräche stattfinden Objekte in Museen „eingefroren“ werden? und an denen sich auch Menschen aus den Die kanonisierten Narrative mit anderen Perspektiven herauszu- Ich spreche dabei nicht nur von „Rem- Ländern angesprochen fühlen, aus denen fordern, ist indes keine eitle Debattierübung. Wer nicht erzählt, brandts“, sondern auch über unzählige die Sammlungsobjekte stammen. Wir wird erzählt und fällt schon bald fremden Behauptungen über Sakralobjekte, die sich mit der Zeit verän- müssen ganz neu denken und das ist eine sich anheim, statt sich selbst zu behaupten. Insofern könnte dern und nicht mehr benutzt werden. spannende Zeit. Es gibt viel zu tun. unser Workshop, der in Kooperation mit dem Bundeswettbewerb für junge Lyrik stattfinden wird, mehr sein als Museumspädago- Die Fragen stellte Stefan Koldehoff, Redakteur Aktuelle Kultur, Sie haben mir mal vom Besuch einer Dele- Deutschlandfunk gik; vielleicht bekommen die Jugendlichen beim Schreiben ja gation erzählt, die sich bestimmte Stü- eine Ahnung davon, dass sie selbst beginnen, wo Widerstand cke angeguckt und Ihnen dann hinterher anfängt und Geschichte endet: als Möglichkeit. Als Fiktion. gesagt hat: Wir spüren, dass sich diese Dinge nicht wohlfühlen … Das war im Temye Tesfu (Lyriker) und Tanasgol Sabbagh (Lyrikerin), für lyrix im Rauchenstrauch-Joest-Museum
KAPITEL 2 NUR WER WEISS, WOHER ER KOMMT, WEISS, WOHIN ER GEHT
34 DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte 35 Deutschlandfunk Nova, Eine Stunde History, Interview mit Matthias von Hellfeld WAS HAT GESTERN MIT HEUTE ZU TUN? In den Rückspiegel schauen, um die Gegenwart zu verstehen, so lautet das Motto des Formats, das wöchentlich im linearen Programm von Deutschlandfunk Nova läuft und sich vor allem als außergewöhnlich erfolgreicher Podcast in Deutschland etab- liert hat. Das „Eine Stunde History-Team“ ist regelmäßig Gast bei Podcastfestivals mit Livepublikum. Unser Deutschlandfunk Nova-Historiker Dr. Matthias von Hell- feld beleuchtet jede Woche in „Eine Stunde History“ ein histori- sches Ereignis beziehungsweise eine geschichtliche Epoche. Lieber Matthias, worin liegt die Besonder- von ihren Kolonialmächten – unter ande- heit und Stärke des Formats „Eine Stunde rem Frankreich, Spanien, Portugal, Groß- History“? Und wie kamt Ihr auf die Idee, britannien, Belgien und Italien – „in die das Thema Dekolonisation sowie das „afri- Freiheit entlassen“. Auch hier ging es uns kanische Jahr“ 1960 zu beleuchten? Die darum, aufzuzeigen, wie aktuelle Proble- Stärke des Formats liegt darin, dass wir me und Konflikte mit der Kolonialzeit und Geschichte nicht nur als Geschichte den Jahren danach zusammenhängen. betrachten, sondern in die Gegenwart holen. Wir versuchen denjenigen, die uns In der Folge kommen hochkarätige zuhören, zu erläutern, warum – und wie Expert*innen zu Wort. Wie wurden die – die Gegenwart mit dem, was vor uns Interviewten für das Thema ausgewählt? passiert ist, zusammenhängt. Kurz gesagt: Was macht sie besonders? Wenn wir die Wir versuchen, Geschichte für uns heute Sendungen planen und uns einem Thema erfahrbar zu machen. Ab dem Jahr 1960 nähern, dann suchen wir erst einmal Auto- wurden sehr viele afrikanische Staaten ren und Expertinnen, die uns erklären
36 DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte 37 können, was eigentlich passiert ist. Alles zurückdrehen und die Grenzen verän- machen, wie das Thema angehen – ins- schichte zu suchen sind. Da ist Aufklärung beginnt mit einer Stichwortsuche im Netz: dern, denn das geht immer nur zu Lasten besondere als Medienmacher*innen? Als wirklich der erste Weg zu Verständnis Wer hat zu dem Thema ein pointiertes von irgendjemandem, birgt also großes Europäer tragen wir eine Verantwortung, und Besserung, hoffe – nein: glaube – ich Buch geschrieben? Wer hat sich dezidiert Konfliktpotenzial. müssen aber aufhören, uns direkt in die jedenfalls. in einem Artikel oder einer Diskussion Konflikte einzumischen. Stattdessen kön- geäußert? Wir versuchen auch, diversere, In vielen Ländern Afrikas übernahmen nen wir anbieten, als Mediatoren aufzutre- „Ich glaube es muss beides – Ent- jüngere und weibliche Stimmen zu fin- nach der Unabhängigkeitserklärung Dikta- ten, um in den Dialog zu kommen. Auch schuldigung und Wiedergutmachung den sowie Positionen, die direkt involviert toren und Militärchefs die Regierungsge- müssen wir alle – Deutschland und die – stattfinden. Aber das kann nicht von sind, aber das ist nicht immer so einfach. walt. Heute steht mehr als die Hälfte der restliche Welt – aufhören, Waffen zu lie- Europa allein entschieden werden, wie Diesmal ist es uns aber sehr gut gelungen, afrikanischen Länder unter autokratischer fern. Das klingt so einfach, ist aber natür- das stattfindet. Die europäischen Län- zum Beispiel mit Bartholomäus Grill oder Herrschaft. Wahlen werden manipuliert, lich sehr kompliziert. der müssen sich mit den Ländern des Veye Tatah. die Opposition unterdrückt, Demonstra- Südens […] zusammensetzen und Rah- tionen gewaltsam aufgelöst. Was muss 1960 haben wir – die europäischen Kolo- menbedingungen schaffen, wie eine „Die Spätfolgen sind bis heute zu spüren, sich ändern, damit sowohl die politischen nialmächte – die Staaten nach hunderten Wiedergutmachung stattfinden kann.“ zum Beispiel an den Grenzziehungen, als auch wirtschaftlichen Probleme vor Jahren Tabula rasa einfach ihrem Schick- Veye Tatah, Chefredakteurin des Magazins „Africa Positive“ und Informatikerin die die Kolonialherren damals gemacht Ort überwunden werden können? Die sal überlassen. „Kolonialismus ist die haben. Grenzen, die Völker, Sprachge- unterschiedlichen Konflikte in den ein- schlimmste Form des Imperialismus“ – Die Fragen stellte Philippa Halder, Trainee, Abteilung Kommunika- meinschaften, Kulturgemeinschaften zelnen Ländern und Regionen müssen das ist unser Schlagwort in der Sendung. tion und Marketing durchschneiden und bis heute vorhan- voneinander gelöst betrachtet und jeder Natürlich hatten die afrikanischen Länder den sind.“ einzeln für sich angegangen werden. Ein in den letzten 60 Jahre Zeit, eigene Struk- Bartholomäus Grill, ehemaliger Afrikakorrespondent und Schritt nach dem anderen. Aber dazu turen aufzubauen, die vielleicht besser Buchautor kommt es gar nicht, weil immer noch viel funktionieren als das, was sie jetzt haben. zu viele externe Staaten in diese Konflik- Aber Kolonialismus bedeutet ja nicht ein- Bartholomäus Grill spricht in der Sen- te verwickelt sind und eigene Interessen fach nur das Wegnehmen von Boden- dung die willkürlichen Grenzziehungen haben. Dabei geht es zum Beispiel um schätzen, sondern auch eine kulturelle durch die Kolonialmächte an, auf die viele den Zugang zu Ressourcen, es geht um Ausplünderung und eine gesellschaftliche heutige Probleme zurückgeführt werden Hegemonialmacht. Und solange das so Traumatisierung. Das muss man sich mal können. Woran liegt es, dass diese Struk- ist, wird es weitergehen. vorstellen: Da kommen auf einmal Koloni- turen fortbestehen? Ganz einfach: Weil alherren aus Europa an und sagen „Ich will sie nicht geändert wurden. Es wäre auch „Die europäischen Länder nutzen immer alles!“, beherrschen das Land, zwingen eine ziemliche Katastrophe, wenn man noch indirekte Wege, um sich in die die Menschen zur Arbeit und verschlep- das jetzt einfach machen würde. Damals Abläufe dieser Länder einzumischen.“ pen sie sogar. Das hat langfristige Folgen! wurden schnurgerade Grenzen gezo- Veye Tatah, Chefredakteurin des Magazins „Africa Positive“ Mit „Eine Stunde History“ versuchen wir und Informatikerin gen, dabei müssten sie vielmehr nach rüberzubringen, wie die Dinge zusammen- geografischen, kulturellen, ethnischen, hängen. Zum Beispiel, dass Ursachen der sprachlichen, religiösen Zugehörigkeiten Inwiefern sehen Sie Europa in der Ver- Proteste gegen Polizeigewalt und Rassis- verlaufen. Man kann den Prozess nicht antwortung? Was können wir von hier aus mus in den USA auch in der Kolonialge-
38 DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte 39 Gastkommentar von Jürgen Zimmerer, Programmheft Das Magazin 03/2020 MENSCHEN, NICHT NUR OBJEKTE ren, sich in der Außen-, Sicherheits- und auch Flüchtlingspoli- tik innerhalb kolonialer Vorstellungs- und Diskurskontinuitäten zu bewegen. Zwar gelang es in den letzten Jahren insbesonde- re zivilgesellschaftlichen Gruppen und der Wissenschaft nicht 2019 jährte sich das formale Ende des deutschen Kolonialrei- zuletzt durch den Katalysator Humboldt Forum, eine Auseinan- ches zum 100., der Beginn der Berliner Afrika- oder „Kongo“- dersetzung mit dem kolonialen Erbe zu erzwingen. Allerdings, Konferenz zum 135. Mal. Beides sind Daten von erheblicher sym- und das erweist sich nun als Hypothek, verschob die Politik die bolischer Bedeutung, gerade auch für Deutschlands Geschichte Frage kolonialer Aufarbeitung in den Bereich des Kulturellen in der Welt. Im öffentlichen, und ins Ausland. Über (einzelne) Objekte wird diskutiert, Muse- Die Debatte um das Erbe des Kolonialis- insbesondere im politischen umsgespräche werden (in der ganzen Welt) mus ist eine der zentralen Zukunftsde- Diskurs blieben sie weitgehend abgehalten, Bundestagsdebatten zum Thema batten unserer Zeit. Die deutsche Poli- unbemerkt. finden für 30 Minuten (spät) abends statt. tik reduziert sie jedoch auf den Bereich der Kultur. Dabei geht es um weit mehr: Dabei ist das Interesse am Die breite politische und gesellschaftliche um postkoloniale Identitäten, die Deko- (deutschen) Kolonialismus der- Auseinandersetzung über die Folgen des lonisierung der internationalen Ordnung zeit größer, als es seit dem Kolonialismus, die kulturellen, sozialen, öko- und globale soziale Gerechtigkeit. Ende des Zweiten Weltkrie- nomischen oder epistemischen, scheint nicht ges jemals war. Die koloniale gewollt, sondern wird in Gremien, Kommis- Heroisierung, die nostalgisierende Verniedlichung, die koloniale sionen und Förderzentren entsorgt. Amnesie ist am Schwinden. Der koloniale Kern des Humboldt Forums in Berlin, die Frage kolonialer Raubkunst in deutschen Über die Gründe mag man spekulieren: Die Museen und auch der nicht aufgearbeitete Genozid an den generelle Entpolitisierung des Politischen Jürgen Zimmerer ist Professor Herero und Nama sind Themen, die es immer wieder über die in der Ära Merkel oder die Angst vor einem für Globalgeschichte an der Wahrnehmungsschwelle in den öffentlichen Diskurs schaffen. Querschnittsthema, das Fragen der Identi- Universität Hamburg und leitet Dennoch kein Wort der Kanzlerin zur Raubkunst, kein Wort der tät, des Rassismus, der (globalen) sozialen den dortigen Projektverbund Kanzlerin zur Berliner Afrika-Konferenz, kein Wort zum Genozid Ungleichheit, aber auch der Geflüchteten- „Forschungsstelle‚ Hamburgs an den Herero und Nama. politik im Mittelmeer und anderswo sowie die (post-)koloniales Erbe’“. Entwicklungs- und Sicherheitspolitik in einen Dabei wäre heute eine kritische Auseinandersetzung mit diskursiven Zusammenhang bringt, in dem Deutschlands kolonialem Erbe, das ja weit über die 30 Jahre for- die Privilegien der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft maler deutscher Kolonialherrschaft hinausreicht, notwendiger noch privilegierter erscheinen. Wo offen zutage träte, auf wel- denn je; in einem Deutschland, in dem (wieder) offen rassisti- chen rassistischen und ausbeuterischen Grundlagen der Wohl- sche Positionen artikuliert und als politische Vorschläge disku- stand Deutschlands, ja, Europas beruht. tiert werden, in dem latent koloniale Positionen allerorten mar- kiert werden können. Dabei hatte die vierte Regierung Merkel Wenn es denn unbedingt sein muss, gibt man doch lieber ein- die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit erstmals in der zelne Stücke kolonialer Beutekunst zurück, als dass man die Geschichte der Bundesrepublik zum Regierungsziel erhoben. grundsätzlichen Fragen der Zukunft angeht. Lieber teilt man die Allerdings scheint beides problemlos Hand in Hand zu gehen: geraubten Kunstschätze als die noch verbleibenden Ressourcen in der politischen Rhetorik koloniale Aufarbeitung zu reklamie- der Erde.
40 DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte DENKFABRIK – Große Themen, faire Debatte 41 Deutschlandfunk, Sportredaktion, 12-teilige Reihe „Weltspiele“ zu Sport und Kolonialismus DER SPORT IN DER KOLONIAL GESCHICHTE – ZWISCHEN UNTERDRÜCKUNG UND BEFREIUNGSKAMPF Der Sport ist aus der Kolonialgeschichte nicht wegzudenken. In der Reihe „Welt- spiele“ wollen wir Einblicke in die Rolle des Sports während der Kolonialzeit bieten – und wie imperiale Denkmuster auch in der Gegenwart noch immer zum Ausdruck kommen, zum Beispiel in Aus- tralien, Algerien, Namibia und den USA. Die Washington „Redskins“, Rothäute. Dieser Vereinsname landfunks steuert die zwölfteilige Serie „Weltspiele“ bei. Und stammt aus den 1930er Jahren, aus einer Zeit, in der US-Behör- am Beispiel USA werden die Dimensionen des Sports deutlich. den indigene Amerikaner in Reservaten festhalten, ihren Besitz Einerseits können Vereinsnamen, Symbole und Maskottchen beschlagnahmen, ihre Zeremonien verbieten. Jahrzehnte Denkmuster gegen indigene Amerikaner festigen. Andererseits später leben Indigene mehrheitlich in Städten, gut integriert. bietet Sport eine Bühne des Protests gegen strukturelle Diskri- Trotzdem weisen Symbole des Sports im 21. Jahrhundert in die minierung. Davon kann Douglas Cardinal berichten, ein Archi- Vergangenheit. In Profiligen, Universitäten, Schulen: Hunderte tekt indigener Herkunft aus dem kanadischen Ottawa. 2016, vor Teams bezeichnen sich in den USA als „Indianer“, „Krieger“ oder dem Baseballspiel der Cleveland „Indians“ in Toronto, beantragt „Rote Männer“. Cardinal eine einstweilige Verfügung. Er möchte nicht, dass in Kanada das Logo der „Indians“ zu sehen ist, eine Karikatur eines „Der Alltag indigener Menschen wird selten in den Medien dar- Anführers mit roter Haut. Cardinal trägt dazu bei, dass der Ver- gestellt“, sagt Rebecca Nagle, Aktivistin der indigenen Chero- ein 2019 das Logo ganz ablegt. kee, die seit Jahren über Diskriminierung aufklärt. „Wir werden auf das Exotische, auf das Wilde reduziert.“ Lange ist der „Toma- Ein Jahr später dann die Proteste gegen Rassismus nach dem hawk Chop“ ein beliebtes Stadionritual: Fans singen und bewe- Mord an George Floyd. Mehrere Vereine beugen sich dem Druck gen ihren Unterarm mit geöffneter Handfläche. Sie simulieren und legen ihre klischeebeladenen Namen ab, darunter der Ame- eine Streitaxt, wollen kampfbereit wirken, wie europäische Sied- rican-Football-Klub Washington „Redskins“. Viele Fans fühlen ler Anfang des 19. Jahrhunderts auf der Jagd nach einem Skalp. sich jedoch um ihre Tradition beraubt. „Wenn man ein Maskott- Rebecca Nagle: „Das hat negative Folgen für die Selbstachtung chen verbietet, bedeutet das nicht, dass sich die Einstellungen junger Menschen. Sie fühlen sich entmenschlicht.“ der Menschen über Nacht ändern“, sagt Lisa King, die sich an der Universität von Tennessee mit indigenen Kulturen beschäf- „Eine Welt 2.0 – Dekolonisiert Euch!“ Die Denkfabrik von tigt. „Nach Jahrzehnten von Verletzungen und Ohnmachtsge- Deutschlandradio blickt in vielen Facetten auf die Kolonial- fühlen hilft behutsame Kommunikation.“ geschichte und ihre Folgen. Die Sportredaktion des Deutsch-
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