Die Corona-Krise und ihre psychischen Folgen - Wieder gut im Leben - Konzept einer adaptierten psychosomatischen Rehabilitation - St. Franziska ...
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Wieder gut im Leben. Die Corona-Krise und ihre psychischen Folgen Konzept einer adaptierten psychosomatischen Rehabilitation
IMPRESSUM Herausgeber St. Franziska-Stift Bad Kreuznach Direktorium Franziska-Puricelli-Str. 3 55543 Bad Kreuznach Autorin Petra Stadtfeld-Oertel Leitende Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin, Supervisorin Realisation ctt Reha-Fachkliniken GmbH Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit Friedrich-Wilhelm-Straße 32 54290 Trier
1 INHALT TEIL 1 Einleitung................................................................................................................8 Gefährdete Personengruppen durch die COVID-19-Pandemie ........... 10 Alleinstehende...............................................................................................10 Partnerschaften.............................................................................................10 Familien.........................................................................................................10 Häusliche Gewalt..........................................................................................10 Personen in systemrelevanten Berufen........................................................10 Ältere Menschen...........................................................................................11 Menschen mit psychischer Vulnerabilität und Vorerkrankungen..................11 Menschen mit Angststörungen......................................................................11 Menschen mit depressiven Störungen..........................................................11 Folgen für Personen mit COVID-19-Infektion und deren Angehörige...........11 Präventions- und Interventionsansätze..................................................... 12 Resilienz............................................................................................................... 12 Zusammenfassung und Ausblick................................................................. 13 Aufgabe der medizinischen Rehabilitation................................................. 14 Struktur der Einrichtung................................................................................14 Personal........................................................................................................14 Rehabilitationsprozess..................................................................................14 2 Ein Beispielhaftes Rehabilitationsprogramm nach überstandener akuter COVID-19-Infektion............................................................................18 Literatur.............................................................................................................. 19 INHALT TEIL 2 Einführung........................................................................................................... 22 Gruppentherapie und hierfür sinnvolle Rahmenbedingungen.............. 23 Vorbereitung auf die Gruppentherapie....................................................... 23 RS-13 Resilienzfragebogen............................................................................ 25 Soziale Unterstützung (1–2 Sitzungen)..................................................... 26 Information zu sozialer Unterstützung...........................................................26 Übungsauswahl:............................................................................................26 Einzelarbeit: Die Fäden des sozialen Netzes................................................26 Übung zur Nachbereitung der Sitzung:.........................................................27 Arbeitsblatt zur Einzelarbeit während der Sitzung........................................28 Übung zur Nachbereitung der Sitzung: mein soziales Netz..........................29
Selbstwirksamkeit (1–2 Sitzungen)............................................................ 33 Information zur Selbstwirksamkeit................................................................33 2 Übungsauswahl.............................................................................................33 Übung: Meilensteine meines Lebens ...........................................................33 Übung zur Nachbereitung der Gruppensitzung: Meilensteine meines Lebens — Meine Erfolge und Stärken........................34 Übung zur Nachbereitung der Gruppensitzung: Lobrede auf sich selbst......35 Übung: Innere Mutmacher ...........................................................................36 Übung in der Gruppe: Miesmachergedanken...............................................36 Übung: Formulieren eines goldenen Satzes.................................................36 Übung:Verankerung des goldenen Satzes ..................................................37 Übung zur Nachbereitung der Gruppe: Wie möchte ich meinen goldenen Satz einüben?...............................................................................37 Optimismus und Lösungsorientierung (1–2 Sitzungen)........................ 38 Information zu Optimismus...........................................................................38 Übungsauswahl:............................................................................................39 Übung in der Gruppe (Einzelarbeit) zu den eigenen Eigenschaften.............39 Übung zur Nachbereitung der Gruppe: Eigenschaften gruppieren, sich anhand seiner Haupteigenschaften konkreter beschreiben..........................40 Übung zur Nachbereitung der Gruppe: Reflektion des eigenen Verhaltens am Tag: in welchen Situationen war das Verhalten an den eigenen zugeschriebenen Eigenschaften orientiert, in welchen nicht?......................40 Übung zur Nachbereitung der Gruppe: Übernahme von Selbstverantwortung 40 Information: Optimismus ..............................................................................40 Übung zur Nachbereitung der Gruppe: Schreiben Sie einen Brief aus der Zukunft an sich selbst:..................................................................................40 Übung in der Gruppe: Falten Sie ein Stück Papier in drei Teile....................41 Übung zur Nachbereitung der Gruppe: Rechnen Sie mit Erfolg...................41 Übung zur Nachbereitung der Gruppe: Optimistisch schlafen gehen...........41 Kurzgeschichte: der alte Scheich und seine 17 Kamele (zur Lösungsorientierung) ............................................................................41 Übung in der Gruppe und Nachbereitung: Lösungsorientierung:..................42 Positiver Bewertungsstil (1–2 Sitzungen)................................................. 42 Information zum positiven Bewertungsstil.....................................................42 Übung in der Gruppe: Mit der eigenen Energie sorgsam umgehen..............43 Übung zur Nachbereitung der Gruppe: Tagebuch achtsam schreiben.........44 Therapeutische Geschichte: Drei Siebe des Sokrates..................................44 Übung in der Gruppe: Busfahrer sein. Das achtsame Betrachten von hinderlichen Gedanken................................45 Übung zur Nachbereitung der Gruppe: Welche Antworten fallen Ihnen ein? Wie können Sie diese Krisenzeit nutzen?.....................................................46 Übung in der Gruppe: Wohlfühlschatzkiste...................................................47 Übung in der Gruppe: Stellen Sie sich vor, ein Wunder ist geschehen und Sie haben sich zu einem äußerst resistenten Menschen entwickelt. ...........48 Hand-out: Krisenmanagement und Notfallkoffer...........................................49 Literatur.............................................................................................................. 50
3 INHALT TEIL 3 Übung: Fantasiereise an den Ort von Ruhe und Kraft ........................... 52 Übung: Zusammenhang zwischen Gedanken und Vorstellungen und körperlichen Reaktionen ........................................... 53 Übung: Gesunde Funktionen.......................................................................... 53 Übung: Veränderung des Krankheitsprozesses....................................... 54 Übung: Visualisierung Zukunft ohne Krankheit....................................... 56 Kurzanleitung zu eigenen Visualisierungsübungen................................. 57 Übung: Visualisierung nach Simonton und anderen (1982) (Eigenübung)...................................................................................................... 58 Hintergrundinformation zur Visualisierungsübung................................ 59 Vorschläge für die Entwicklung eigener Vorstellungsbilder, orientiert an Patientenbeispielen:................................................................ 60 Hinweise zu den Visualisierungsübungen.................................................. 61 Literatur.............................................................................................................. 62
PETRA STADTFELD-OERTEL Psychologische Psychotherapeutin, Supervisorin DIE CORONA-KRISE UND IHRE 1 PSYCHISCHEN FOLGEN Konzept einer adaptierten psychosomatischen Rehabilitation TEIL 1
Die Corona-Krise und ihre psychischen Folgen — Teil 1 EINLEITUNG In dem gesamten Text wurde zur besseren und Quarantänemaßnahmen. Bekannt ist, Lesbarkeit die männliche Schreibweise für dass neben dem physischen Risiko auch eine Personen und Personengruppen verwendet. Gefahr für die psychische Gesundheit be- Gemeint sind selbstverständlich alle Ge- steht. Quarantänemaßnahmen scheinen mit schlechter. dem vermehrten Auftreten posttraumatischer, depressiver und Angstsymptomatik sowie ge- »Psyche in der Krise« titelt Spektrum.de und steigerter Gereiztheit und vermehrtem Ärger beschreibt die vielfältigen Belastungen, de- assoziiert zu sein. In einer Übersichtsarbeit nen die Menschen durch die Corona-Pande- von Brooks et al 2020 werden als ergänzen- mie ausgesetzt sind: de Stressoren eine längere Quarantänedau- • Mögliche eigene Infektion mit unklaren er, Infektionsängste, Frustration, Langeweile, Langzeitfolgen unzureichende Informationen, finanzielle Ein- • Social distancing durch Quarantäne, bußen und wahrgenommene Stigmatisierung Kontakteinschränkung, Maskenpflicht, aufgeführt. Untersuchungen zur Finanzkri- Homeoffice etc. se der Vereinigten Staaten von 2007–2009 im Hinblick auf die psychische Gesundheit • Bildungshindernisse durch Schließung konnten herausstellen, dass die Menschen, von Schulen, Kitas und damit einherge- die mindestens eine finanzielle, arbeits- oder hende Mehrbelastung von Eltern, insbe- berufsbezogene Einbuße erlebt hatten, selbst sondere von Berufstätigen und Alleiner- 3–4 Jahre nach dem Ende der Rezession ziehenden immer noch eine höhere Wahrscheinlichkeit • Überlastung der Menschen, die in aufwiesen, Symptome von Depressivität, medizinischen Berufen tätig sind bei Angst, Panik und problematischem Substanz- gleichzeitiger Infektionsangst und Sorge, konsum zu zeigen (Forbes und Krüger 2019). in ethische Problemkonstellationen zu Vor diesem Hintergrund vergangener Erfah- geraten rungen kann die aktuelle COVID-19 Pande- • Wirtschaftliche Bedrohung von Betrieben mie als ein neuer, einzigartiger, multidimen- und Arbeitnehmern, Kurzarbeit, Verlust sionaler und potenziell toxischer Stressfaktor von Arbeitsplätzen, finanzielle und exis- interpretiert werden. tenzielle Krisen In der Zeitschrift für klinische Psychologie • Abschneiden von Ressourcen durch und Psychotherapie 2020 stellen Brakemeier Reduktion von Sozialkontakten, Verringe- et al. fünf spezifische Charakteristika dieser rung von Aktivität und Bewegung Stressoren dar: • Erschwerter Zugang zu Hilfen im Ge- 1. Die globale weltweite Verbreitung von sundheitssystem unvorhersehbarer Dauer, die Ängste und Unsicherheit auslösen kann. • Unabwägbarkeit der Dauer und Lang- zeitentwicklung der Krisensituation und 2. Die individuelle Auswirkung auf ver- damit das Erleben von Kontrollverlust schiedene Lebensbereiche eines jeden Einzelnen, die psychisch belastend sein Bei inzwischen ca. 1-jähriger Dauer dieser können. Belastungssituation befinden sich viele Men- schen in einer chronischen Stresssituation, 3. Einen damit verbundenen subjektiv die das Risiko für die Entwicklung einer psy- unterschiedlich gravierend wahrgenom- chischen Krankheit erhöht. menen Kontrollverlust, einhergehend mit Hilflosigkeitsgefühlen. Diese Erkenntnis stützt sich auch auf das Wissen aus vorangegangenen Pandemien 8 Einleitung
St. Franziska-Stift Bad Kreuznach 4. Systemische Auswirkung auf verschie- ein Anhalten der psychischen Beschwerden dene Bereiche und Gruppen der Gesell- von Depressivität, Ängsten und posttrauma- schaft. tischen Belastungsreaktionen beobachtet worden. Noch als vorläufig zu betrachtende 5. Einschränkungen bis hin zu zumindest Daten weisen darauf hin, dass die aktuelle kurzfristigen Blockaden des Zugangs zu Pandemie eine bereits zuvor bestehende psy- Schutzfaktoren und Hilfesystemen. chische Störung verschlimmern kann. Bekannt ist, dass der Mensch durchaus auf Die Studienlage bezieht sich überwiegend auf vorübergehende Belastungssituationen mit den chinesischen Raum, die Übertragbarkeit einer Mobilisierung seiner Ressourcen und dieser Befunde auf die Situation in Deutsch- damit einhergehender adäquater Stressbe- land ist möglicherweise nicht direkt möglich. wältigung reagieren kann. Jedoch ist aus der neurobiologischen Stressforschung ebenfalls Zur Situation in Deutschland sind Daten zwi- bekannt, dass bei zu häufiger, zu langer oder schen März und Anfang November 2020 do- zu massiver Aktivierung der biologischen kumentiert, die einer Studienlage von ca. 200 Stresssysteme bei einem gleichzeitigen Er- Studien entsprechen. Bei ca. 85 davon han- leben von Unkontrollierbarkeit die psychische delte es sich um psychologische Studien. In Gesundheit gefährdet ist. Neben der Bedro- der »CorDis (Corona Distancing) Online-Stu- hung durch die verschiedenen Stressoren die« mit 817 Teilnehmern zeigt sich durch- körperlicher, finanzieller und sozialer Art er- schnittlich eine mild ausgeprägte depressive scheint insbesondere das Abgeschnittensein Symptomatik sowie eine mild ausgeprägte von Hilfssystemen und von normalerweise Angstsymptomatik. Beide durchschnittlichen protektiven Faktoren von besonderer Bedeu- Werte fielen jedoch höher aus als die zuvor tung zu sein. in repräsentativen Bevölkerungsstichproben erhobenen Normwerte. In der Studie COS- Nach ersten internationalen Studien zeigt sich MO (COVID-19 Snapshot Monitoring) der eine deutliche Zunahme psychischer Proble- Universität Erfurt zeigt sich, dass das Belas- me und Symptome in der Akutphase (während tungserleben seit September in allen Alters- des Lock-Downs). In einer chinesischen Stu- gruppen der deutschen Bevölkerung deutlich die wird auf die besondere Vulnerabilität im angestiegen ist. In der 25. Datenerhebung im Gesundheitswesen tätiger Personen für eine querschnittlichen Design zeigten sich über posttraumatische Belastungsstörung hinge- 50% der Befragten in den Altersgruppen un- wiesen (Liu et al 2020). Des Weiteren wurde ter 65 Jahren belastet. In der Altersgruppe ein Anstieg von Symptomen der posttrauma- über 65 Jahre finden sich 38% belastet. In tischen Belastungsstörung und Depressivität der längsschnittlich angelegten »Bochum op- auch bei an COVID-19 erkrankten Patienten timism and mental health study, (BOOM)« an beobachtet. In einer Metaanalyse von Rogers Studierenden der Ruhruniversität Bochum er- et al. (2020) wird die Punktprävalenz bei auf wies sich das Ausmaß psychischer Gesund- einer Intensivstation behandelten Patientin- heit vor der Pandemie als Prädiktor für eine nen, die an COVID-19 erkrankten, auf 32% für geringere Belastung während des partiellen eine PTBS, 15% für Depression und 15% für Lock-Downs. Der protektive Effekt positiver Angststörungen benannt. Einige der an CO- Gesundheit und die negativen Auswirkun- VID-19 erkrankten Patienten berichten auch gen der Stresssymptome wurden durch das noch Wochen und Monate nach der über- wahrgenommene Gefühl von Kontrolle ver- standenen Infektion über eine Persistenz von mittelt (Bralovskaia & Margraf, 2020). Insge- Fatigue, Dyspnoe und neuropsychologischen samt legen erste nationale und internationale Symptomen, was auch als Post-COVID-Syn- Untersuchungen nahe, dass die Pandemie drom diskutiert wird. Des Weiteren ist auch Einleitung 9
Die Corona-Krise und ihre psychischen Folgen — Teil 1 vermutlich auch in Deutschland zu einer Zu- sondere von Depression, Anpassungsstörun- nahme psychischer Probleme in der Bevölke- gen, Angsterkrankungen und Traumafolge- rung führen wird. Aufgrund der längeren In- störungen erwartet. kubationszeit psychischer Störungen, bedingt durch diagnostische Zeitkriterien und erfolg- lose Anpassungsversuche über die Zeit, wird ein nachweisbarer Anstieg der Prävalenz und Inzidenzraten psychischer Störungen insbe- GEFÄHRDETE PERSONENGRUPPEN DURCH DIE COVID-19-PANDEMIE Alleinstehende Häusliche Gewalt Für Alleinstehende kann die Gefahr in einer Nach Berichten der WHO aus China, Großbri- Zunahme der objektivierbaren Isolation und tannien und den Vereinigten Staaten scheint der damit erlebten Einsamkeit bestehen. Je die häusliche Gewalt gegen Frauen seit Be- nach beruflicher Situation kann hierzu auch ginn der Pandemie zuzunehmen (WHO, noch der Verlust der Tagesstruktur kommen. 2020). Kontaktbeschränkungen betreffen alleinste- hende Menschen in besonderem Maße. Erwerbstätige Partnerschaften Bei Erwerbstätigen wurde je nach Möglichkeit ein Teil der Tätigkeit ins Homeoffice verlegt, In Partnerschaften können aus der plötzlichen was negativ mit einem Verlust der Tagesstruk- Notwendigkeit mehr Zeit als üblich miteinan- tur einhergehen kann, positiv jedoch auch zu der zu verbringen unter Reduktion anderer einem Wegfall des Arbeitsweges führt. Durch sozialer und beruflicher Aktivitäten vermehrte die wirtschaftlichen Schwierigkeiten einiger Konflikte entstehen. Hierbei sind nicht-kons- Betriebe, verbunden mit der Corona-Pande- truktive Konflikte und eskalierende Konflikte mie, fürchten zahlreiche Berufstätige um ih- von besonderer Bedeutung. (Exkurs: häusli- ren Arbeitsplatz, sind in Kurzarbeit geraten che Gewalt). oder haben bereits ihren Arbeitsplatz verlo- Familien ren. Dies ist als weiterer Stressor neben den generellen Belastungen durch die Pandemie Familien können insbesondere in Überforde- anzusehen. rungssituationen kommen durch den Fern unterricht, dem Schließen der Schulen und Personen in systemrelevanten Berufen Kitas, wirtschaftlichen und finanziellen Not Insbesondere pflegerisches, medizinisches lagen, Homeoffice und hieraus resultierende und therapeutisches Personal wird durch die räumliche Enge, Fehlen von Rückzugsmög- Pandemie über alle Maßen gefordert, aber lichkeiten. auch gefährdet. Neben einer gestiegenen Bei Alleinerziehenden kann eine besondere Arbeitsbelastung und einem erhöhten Infek- Problemsituation durch die Schulschließung tionsrisiko besteht auch die Gefahr, an einer und gleichzeitiger Erwerbstätigkeit entstehen. Stressfolgestörung zu erkranken. Durch das Ausbleiben von Unterstützung Sollte es zu einer nicht lösbaren Überlas- können Kinder aus sozial schwachen Famili- tung des Gesundheitssystems kommen, en Nachteile bezüglich ihrer Chancen im Bil- sind ebenfalls Entscheidungen über statio- dungssystem erleiden. näre Aufnahme oder Behandlungsintensität zu treffen, was für das ärztliche Personal zu Weitere Belastungen in Familien können aus moralischen Konflikten führen kann, die wie- der Notwendigkeit der Pflege Angehöriger derum psychischen Stress auslösen sowie oder der Sorge um Angehörige in Altenpfle- Scham- und Schuldgefühle hervorrufen. geheimen resultieren. 10 Gefährdete Personengruppen durch die COVID-19-Pandemie
St. Franziska-Stift Bad Kreuznach Ältere Menschen jedoch aufrechterhaltend auf die Störung wir- ken dürfte. Ältere Menschen gehören zu den Personen gruppen, die nach heutigem Kenntnis Menschen mit depressiven Störungen stand ein höheres Risiko für einen Studien aus der deutschsprachigen Schweiz schwerenKrankheitsverlauf von COVID-19 und aus Deutschland berichten über einen Infektionen haben. Hieraus resultiert eine Anstieg depressiver Symptome. Gegenüber besondere Notwendigkeit langfristiger der Virusinfektion selbst dürfte eine gefühlte Kontaktbeschränkungen. Ob hieraus ein Hilflosigkeit und Machtlosigkeit erlebt werden, höheres Risiko der Entwicklung einer die nach dem Konzept der erlernten Hilflo- psychischen Erkrankung resultiert, dürfte sigkeit mitverursachend für eine depressive von den psychischen Ressourcen und Symptomatik sein können. Die Einschränkun- der Resilienz der Betroffenen abhängen. gen und Veränderungen des Alltages führen Ältere Menschen können häufig auf mehr zu einer Reduktion antidepressiver Strategien Lebenserfahrung und mehr bewältigte Krisen wie Bewegung und die Praxis von Sozialkon- im eigenen Leben zurückblicken, was sie takten und verstärken das Einsamkeitsleben. resilienter erscheinen lässt. Zudem sind sie Rollenkonflikte und der Verlust der Tages- häufiger konzentriert auf kleinere, jedoch struktur und angenehmer Aktivitäten, Arbeits- auch engere soziale Netzwerke als jüngere losigkeit und finanzielle Probleme können Menschen. Andererseits verfügen sie häufig weiterhin zur Aufrechterhaltung einer depres- über eine geringere Möglichkeit digitaler siven Symptomatik beitragen. Kompensationen als jüngere Menschen und Folgen für Personen mit COVID-19- sind oft sehr stark auf soziale Zuwendung an- Infektion und deren Angehörige gewiesen. Bei 35% der ambulant behandelten und 87% Menschen mit psychischer Vulnerabili- der hospitalisierten COVID-19 PatientIn- tät und Vorerkrankungen nen wird über eine Persistenz von Fatigue, Es ist anzunehmen, dass COVID-19 als mul- Dyspnoe und neuropsychologischen Symp- tidimensionaler toxischer Stressor bei gleich- tomen berichtet (Carfi et al., 2020; Tenforde, zeitigem Verlust von Schutzfaktoren – insbe- 2020). Neben diesen persistierenden körper- sondere bei Menschen mit Vulnerabilität für lichen Symptomen, deren Dauer und Behand- psychische Störungen – eine gravierende lungsmöglichkeit noch weitgehend unklar ist, negative Auswirkung auf die psychische Ge- weisen diese PatientInnen deutlich höhere sundheit haben wird. Depressions- und Angstwerte auf als bei- Menschen mit Angststörungen spielsweise PatientInnen, die stationär wegen einer Lungenentzündung behandelt wurden. Bei Menschen mit vorbestehenden Angststö- Dies kann im Sinne einer Anpassungsstörung rungen könnte die Pandemie zu Rückfällen interpretiert werden. bzw. Symptomexazerbationen führen. Spe- zifische Schutzmaßnahmen wie das Tragen Auch Angehörige dieser Patienten weisen ein eines Mundnasenschutzes könnten zu er- erhöhtes Belastungserleben auf, insbesonde- heblichen aversiven Empfindungen bis hin re wenn es zum Versterben eines erkrankten zu Panikattacken führen. Bei entsprechend Angehörigen kam. disponierten ZwangspatientInnen könnten die zuvor schon bestandenen Kontaminations- ängste zunehmen. Sowohl Kontaktbeschrän- kungen als auch häufiges Händewaschen und Desinfektion könnten als Normalisierung eines Symptomverhaltens interpretiert wer- den, wodurch kurzfristig eine Symptomre- duktion erlebt werden könnte, was langfristig Gefährdete Personengruppen durch die COVID-19-Pandemie 11
Die Corona-Krise und ihre psychischen Folgen — Teil 1 PRÄVENTIONS- UND INTERVENTIONSANSÄTZE Im Hinblick auf Präventions- und Interventi- für Resilienzforschung, dass erste Zwische- onsmöglichkeiten stellt sich die Frage, welche nergebnisse der Onlinebefragung von inzwi- Menschen mit dem durch die aktuelle Krise schen rund 5000 Teilnehmern aus Europa ausgelösten Stress besser umgehen können vorliegen. Es scheint sich herauskristallisie- und warum. Es werden also protektive Fak- ren, dass psychische Gesundheit stark davon toren wie zum Beispiel Resilienz untersucht abhängt, wie Bedrohungen wahrgenommen und diskutiert. Resilienz bezeichnet dabei die und persönlich bewertet werden. Wer in vei- Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne ner Krise positive Aspekte sehen kann und anhaltende psychische Beeinträchtigung zu die Situation akzeptieren kann, hinsichtlich überstehen. Sie stellt das Ergebnis eines An- der Faktoren, die nicht änderbar sind, scheint passungsprozesses dar, der während einer stärker aus der Krise hervorzugehen. Zudem Krise stattfindet, und ist erlernbar. scheint sich ein Zusammenhang zwischen psychischer Gesundheit und empfundener Die »DynaCORE Studie« (dynamische Mo- sozialer Unterstützung, Optimismus und dellierung der Corona Resilienz) verfolgt das Selbstwirksamkeit abzuzeichnen. Ziel, Resilienzfaktoren zu identifizieren, um hieraus Handlungsempfehlungen ableiten zu können. In einem Spiegel Online Interview sagt Professor Kalisch vom Leibnitz Institut RESILIENZ Der Begriff der Resilienz ist auf das lateini- aus der psychologischen Forschung zum Bei- sche Wort resilire = zurückspringen zurück- spiel Hardiness nach Kobasa bekannt oder zuführen. In der psychologischen Forschung der Kohärenzsinn nach Antonovsky. In die- wird damit die Widerstandsfähigkeit eines se Kategorie fallen ebenfalls Konstrukte der Individuums beschrieben. Die Resilienz- Kontrollüberzeugungen nach Rotter, Selbst- forschung hat ihren Beginn in der Entwick- wirksamkeit nach Bandura oder dispositionel- lungspsychologie, die Resilienzfaktoren unter ler Optimismus nach Carver und Scheier. chronischen Stressoren zunächst im Kindes- Seit Beginn der Resilienzforschung wurde alter beschrieb. In späteren klinisch- psycho- eine Vielzahl an psychologischen Resilienz- logischen Arbeiten wurden Resilienzfaktoren faktoren identifiziert. Belastungsübergreifend bei kritischen Lebensereignissen im Erwach- scheinen sich Faktoren wie Selbstwirksam- senenalter untersucht. In der klinischen For- keit oder ein sicherer Bindungsstil begünsti- schung wird Resilienz von Resistenz, Er- gend für einen resilienten Verlauf auszuwir- holung und Reifung unterschieden. Unter ken. Belastungsspezifisch scheinen wieder Resilienz wird dabei ein spezifisches Ver- andere Faktoren wirksam zu werden wie zum laufsmuster verstanden, bei dem nach dem Beispiel soziale Unterstützung. Auftreten eines potenziell stressenden Ereig- nisses die betroffene Person eine kurzfristige Bei der Einordnung in das transaktionale Beeinträchtigung erfährt, die jedoch nicht zu Stressmodell nach Lazarus können Resili- Funktionseinschränkungen führt. enzfaktoren wirksam werden, die einerseits die Wertung eines potenziellen Stressors in Dies impliziert das Vorhandensein bestimm- die Perspektive »weniger bedrohlich« richten, ter Resilienzfaktoren, die eine erfolgreiche andererseits ein adäquates Bewältigungsver- Anpassung im Sinne einer Aufrechterhaltung halten, zum Beispiel ein problemorientiertes des normalen Funktionsniveaus begünstigen. Vorgehen, unterstützen. Dies dürfte dem Dabei werden eher globale Konstrukte von Stressmodell zufolge zu einer schnelleren Er- eng umschriebenen einzelnen Faktoren un- holung der Stressreaktion beitragen. terschieden. An globaleren Konstrukten sind 12 Präventions- und Interventionsansätze/Resilienz
St. Franziska-Stift Bad Kreuznach Des Weiteren wurden biologische Resilienz- Im Hinblick auf die Belastung durch die Co- faktoren identifiziert, die jedoch im Sinne einer rona Pandemie scheint nach ersten Zwische- psychotherapeutischen Trainingsmaßnahme nergebnissen der »DynaCorestudie« (siehe von Resilienzfaktoren von untergeordneter oben) ein Resilienztraining von Vorteil zu sein, Bedeutung sind. An resilienzförderlichen In- das Module zur Förderung von Optimismus, terventionen dürften für ein adaptiertes psy- positivem Bewertungsstil, Inanspruchnahme chosomatisches Rehabilitationsprogramm sozialer Unterstützung und Selbstwirksam- im Kontext von Belastungen durch die Coro- keit fördert. Entsprechend wurde in der psy- na-Pandemie vor allem sekundärpräventive chosomatischen Fachklinik St. Franziska-Stift Interventionen (zur Vorbeugung psychischer ein entsprechendes Training konzipiert, das Probleme bei Menschen, die einem hohen durch eine Vorher- und Nachher-Messung Ausmaß an Stress ausgesetzt sind) und von bestehenden Resilienzfaktoren begleitet tertiärpräventive Interventionen (nach dem werden soll. Das ausführliche, manualisierte Auftreten von potenziell stressenden Ereig- Konzept hierzu findet sich in Teil II dieses Re- nissen, wenn bereits eine psychische Be- habilitationskonzeptes. Das Resilienztraining einträchtigung vorliegt) von Bedeutung sein. soll bei entsprechender Indikation durch eine Hierfür gibt es unterschiedliche Trainingskon- Atemtherapie mit Visualisierungsübungen zur zeptionen, die überwiegend eine modulare Verbesserung der Krankheitsbewältigung er- Zusammenstellung unterschiedlicher Kom- gänzt werden. Die Atemtherapie soll im Rah- binationen von kognitiv-verhaltenstherapeu- men der physiotherapeutischen Behandlung tischen Techniken beinhalten. Grundsätzlich erfolgen. Bewährte Visualisierungsübungen scheint eine Wirksamkeit gegeben zu sein, zur Verbesserung der Krankheitsbewältigung wobei eine ausführliche und umfassende Me- befinden sich in Teil III dieses Konzeptes. taanalyse der erzielten Effekte noch aussteht. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK Zusammenfassend stellt sich dar, dass auf- weitere Berufsgruppen unterstützt werden. grund der Corona-Pandemie in Deutschland Um einer Chronifizierung durch begrenz- ein Anstieg psychischer Erkrankungen zu te Versorgungskapazitäten vorzubeugen, erwarten ist. Vor der Corona-Pandemie betrug sollte eine schnelle Hilfe durch individu- in 2018 die Wartezeit für eine Richtlinien-Psy- alisierte und interprofessionelle Behand- chotherapie bundesweit im Durchschnitt 20 lung ermöglicht werden. Damit könnten Wochen (BPtK, 2018). Hier wurde schon vor langfristige Beeinträchtigungen des Leis- der Krisensituation die Begrenztheit der Ka- tungsvermögens und der Teilhabe vermie- pazitäten deutlich. Neben der im Januar 2020 den oder wenigstens reduziert werden. eingetretenen Krisensituation, die zu einem Vor diesem Hintergrund soll ein multimodales, erhöhten psychotherapeutischen Bedarf führ- verhaltenstherapeutisch orientiertes Behand- te, kam es aufgrund der Schutzmaßnahmen lungskonzept im Rahmen einer stationären zu einem Wegfall zahlreicher stationärer und psychosomatischen Rehabilitation dargestellt teilstationärer Behandlungsplätze in Psychiat- werden. rie und Psychosomatik. Damit kam es zu einer weiteren Verminderung der Versorgungs- Neben den bewährten Behandlungsmo- kapazitäten und zu einer zu erwartenden dulen wurde, entsprechend der sich her- Überlastung des bestehenden psychothera- auskristallisierenden ersten Ergebnisse peutischen und psychiatrischen Versorgungs- aus der Resilienzforschung, ein Gruppen- systems. Neben der Einrichtung indizierter training zum Aufbau von Resilienz und präventiver Maßnahmen und niederschwelli- zur Förderung der Ressourcenaktivierung ger kurzfristiger Angebote sollten Hilfsange- konzipiert. bote etabliert werden, bei denen psychothera- peutische Strategien interprofessionell durch Resilienz/Zusammenfassung und Ausblick 13
Die Corona-Krise und ihre psychischen Folgen — Teil 1 AUFGABE DER MEDIZINISCHEN REHABILITATION Ziel der medizinischen Rehabilitation ist es, deren Fortschreiten verhindert werden den Auswirkungen von Krankheit und Behin- sollten. Dies wäre im Sinne der Sekun- derung entgegenzuwirken oder sie zu über- därprävention zu verstehen. winden. Im Zuge der durch die Corona-Pan- Struktur der Einrichtung demie feststellbaren Mehrbelastung der Erwerbstätigen bei gleichzeitigem Wegfall von Die psychosomatische Fachklinik St. Franzis- normalerweise erreichbaren Schutzfaktoren ka-Stift in Bad Kreuznach bietet 191 stationä- durch die coronabedingten Einschränkungen re und 12 teilstationäre Behandlungsplätze ergibt sich eine besondere Gefährdung der an. Derzeit sind die teilstationären Behand- Gesunderhaltung und damit der Erwerbsfä- lungsplätze aufgrund der Corona Pandemie higkeit im Allgemeinen und insbesondere bei nicht belegbar. Es besteht die Möglichkeit für hierfür vulnerableren Menschen. Gleichzeitig Alleinerziehende, die die Versorgung ihrer erhöht sich die Gefahr der Chronifizierung minderjährigen Kinder während einer sta- bereits im Vorfeld bestehender psychischer tionären Rehabilitation nicht gewährleisten Erkrankungen. Daher ist es ein Ziel der medi- können, Kinder als gesunde Begleitpersonen zinischen, insbesondere psychosomatischen mitzubringen. Rehabilitation für die Betroffenen oder gefähr- Personal deten Menschen zeitnah ein stationäres Re- habilitationskonzept anzubieten, dass unter • Ärzte anderem das spezifische Belastungserleben • Approbierte Psychologische Psychothe- durch die Corona-Pandemie berücksichtigt. rapeuten und Psychologische Psychothe- Hierbei wird insbesondere an folgende belas- rapeuten in Ausbildung tete Gruppen gedacht: • Fachschwestern und Fachpfleger für • Menschen, die eine Covid-19-Infektion psychosomatische Rehabilitation, Ge- akut überstanden haben, jedoch weiter- sundheits- und Krankenpfleger hin an einem postinfektiösen Syndrom • Ergotherapeuten, Kunsttherapeuten und leiden und eine psychische Symptomatik Gestaltungstherapeuten entwickelt haben. • Diplom-Oecotrophologen • Menschen, die belastet sind durch die • Physiotherapeuten allgemeine psychische Herausforderung durch die Pandemie und die damit ver- • Diplom Sozialarbeiter, Sozialtherapeuten bundenen Einschränkungen (Lock-Down, • Sport und Bewegungstherapeuten Einschränkung von Sozialkontakten, Ein- schränkung von Aktivitäten, etc.). Hierzu Rehabilitationsprozess zählen auch Menschen, die darunter Identifizierung von Patienten, die aufgrund leiden, dass Angehörige an Covid-19 von Belastungen durch die Coronapandemie erkrankt sind oder waren oder möglicher- die Rehabilitation kommen: weise sogar verstorben sind. • Ein wichtiges Datenerhebungs- und • Menschen, die in medizinisch-pflegeri- Screeninginstrument ist die Patien- schen Berufen arbeiten und durch die ten-Basisdokumentation des St. Franzis- Corona Pandemie in eine länger wäh- ka-Stiftes. rende Überlastung und Überforderungs- • Mit der Patienten-Basisdokumentation situation geraten sind, teilweise auch werden die familiäre Situation, der schu- in ethisch-moralische Problemkonstel- lische und berufliche Werdegang, der lationen. Hierbei kann es sich auch um berufliche Status, die individuelle Arbeits- Erkrankungen in frühen Stadien handeln platzsituation, Belastungen am Arbeits- (z.B. »Burnout« mit sich möglicherweise platz, Kontextfaktoren im Arbeitsleben, entwickelnder depressiver Symptomatik), 14 Aufgabe der medizinischen Rehabilitation
St. Franziska-Stift Bad Kreuznach somatische und psychische Beschwer- bensmuster (AVEM), den, der arbeitsbezogene Gesundheits- • Fragebogen zur beruflichen Belastung zustand, die berufliche Perspektive, ein (SIBAR). eventueller Rentenwunsch, fördernde und hindernde Kontextfaktoren im sozia- Die Ergebnisse der Psychometrie werden mit len Umfeld sowie die Ziele für die Reha- dem Patienten durch seinen Bezugsthera- bilitation erfasst. peuten besprochen. Je nach Indikation und Schwerpunkt der Behandlung werden ad- Im Hinblick auf die Coronapandemie und die aptiv weitere testpsychologische Verfahren damit verbundene psychosomatische Reha- eingesetzt, die ein breites Spektrum zu er- bilitation sollen folgende zusätzliche Informa- fassender Merkmale beinhalten. Hierbei sind tionen ergänzend erfasst werden: sowohl explizit berufsbezogene Verfahren als • Die Patienten sollen zu einer möglichen auch Verfahren zur Messung der kognitiven stattgehabten Coronainfektion befragt Leistungsfähigkeit, der Intelligenz, einer mög- werden und Angaben dazu machen, lichen Demenz einsetzbar, als auch diverse ob persistierende Symptome oder klinische Testverfahren für die Bereiche De- Folgeerkrankungen bestehen (zum pression, Angst, Zwang, Essstörungen, Per- Beispiel fortdauernde Fatigue, Dyspnoe, sönlichkeitsstörungen, Tinnitus, Adipositas, Depressionen, Angstsymptome, Sympto- Schmerz, ADHS. me einer posttraumatischen Belastungs- Zu Beginn des Rehabilitationsprozesses er- störung, persistierende Schmerzen etc.). hält jeder Patient eine psychotherapeuti- • Des Weiteren sollen die Patienten Anga- sche Aufnahme und eine ärztliche Auf- ben dazu machen, ob sie im vergange- nahmeuntersuchung. nen Jahr Lebenskrisen zu bewältigen In der psychotherapeutischen Aufnah- hatten, welcher Art diese Krisen waren, me wird eine Kriterienorientierte Exploration ob ihnen die Bewältigung schwergefallen bestehender Beschwerden und Beeinträch- ist. tigungen durchgeführt, Sozialanamnese, • Zusätzlich sollen Resilienz-Faktoren Berufsanamnese und bestehende Risikofak- über einen Resilienzfragebogen erhoben toren erhoben. Unter Berücksichtigung der werden. Patientenbasisdokumentation und der Re- silienz-Skala wird exploriert, ob der Patient Die Patienten-Basisdokumentation wird vor mit einer besonderen Problemlage, bedingt der Aufnahme an den zukünftigen Patienten durch die Corona-Pandemie, zur Rehabilitati- verschickt, sodass die hieraus resultierenden on kommt und einer der oben beschriebenen Daten bei Aufnahme bereits vorliegen. In der Personengruppen mit erhöhter Belastung ersten Rehabilitationswoche wird ein Ein- durch die Corona-Pandemie zuzuordnen gangsassessment (testpsychologische ist. Mit dem Patienten werden rehabilitations- Verfahren), bei den Patienten durchgeführt. spezifische Ziele herausgearbeitet. Es werden folgende Verfahren eingesetzt: Bei der medizinischen Aufnahme des Pa- • Beck Angst-Inventar (BAI), tienten werden EKG, Labor und gegebenen- • Beck-Depressions-Inventar (BDI/II), falls ergänzende Diagnostik erhoben sowie eine allgemein internistische, orthopädische • Fragebogen zum Schmerzverhalten und orientierend neurologische Aufnah- (FSV), meuntersuchung vorgenommen. Körperliche • ICD-10-Symptom-Rating (ISR), Beeinträchtigungen von Aktivitäten und Teil- habe werden erfasst. Insbesondere sollen • Symptom-Checkliste nach Derogatis Beschwerden identifiziert werden, die der Pa- (SCL90 R), tient in Verbindung mit der Corona-Pandemie • Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erle- sieht oder die infolge einer eigenen Coronain- Aufgabe der medizinischen Rehabilitation 15
Die Corona-Krise und ihre psychischen Folgen — Teil 1 fektion eingetreten sind. tigung (Anorexia nervosa, Bulimia nervo- sa) Sowohl in der psychotherapeutischen als auch in der ärztlichen Aufnahme wird auf die • Indikative Gruppe zur Adipositasbewälti- berufliche Situation fokussiert und der mög- gung liche Einsatz berufsspezifischer Behand- • Indikative Gruppe zur Schmerzbewälti- lungsangebote geprüft. Hierbei wird der im gung testpsychologischen Eingangsassessment durchgeführte Fragebogen AVEM ebenfalls • Indikative Gruppe zur Tinnitusbewälti- mitberücksichtigt. Im Hinblick auf die Coro- gung na-Pandemie sollten insbesondere Förder- • Indikative Gruppe zur Verbesserung der und Barrierefaktoren im beruflichen Umfeld sozialen und emotionalen Fertigkeiten bei beachtet werden. Insbesondere zu berück- emotional instabilen Persönlichkeitsstö- sichtigen sind hierbei drohende Arbeitslosig- rungen (DBT) keit, Kurzarbeit, chronische Überlastung und Überforderungssituationen am Arbeitsplatz, Ergänzend kann dem Patienten ermöglicht Gefährdungssituationen am Arbeitsplatz werden, an einer Trauerbewältigungsgruppe (psychisch oder erhöhte Infektionsgefähr- teilzunehmen, falls sich im Aufnahmeprozess dung), Tätigkeit im Homeoffice inklusive mög- ein schwer zu bewältigender Verlust des Pa- licher Probleme der Selbststrukturierung im tienten herausgestellt hat, möglicherweise im Home Office sowie deren Auswirkungen auf Rahmen der Corona Pandemie. die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit des Reha- Ein weiteres Modul ist die problemlöseorien- bilitanden und seine psychische und körperli- tierte Basisgruppe, eine halboffene, metho- che Gesundheit. Je nach Indikation kann eine den- und zieloffene Gruppentherapie, in der weitere intensivierte berufsbezogene Diag- der Patient seine persönlichen Problemlagen nostik und Arbeitsplatzanalyse durchgeführt einbringen kann und in der überwiegend The- werden. men wie Emotionsregulation, Selbstwertsta- Nach den individuellen Aufnahmegesprä- bilisierung, Stressbewältigung und Problem- chen (ärztlich und psychotherapeutisch), der lösefähigkeit bearbeitet werden. testpsychologischen Diagnostik, der medizi- Jeder Patient erhält wöchentliche psycho- nischen Diagnostik und der Evaluation von therapeutische Einzelgespräche, deren Vorbefunden findet eine interprofessionelle Themen sich am individuellen bio-psycho- Aufnahmekonferenz des Behandlungs- sozialen Störungsmodell orientieren. teams statt. In dieser Aufnahmekonferenz Des Weiteren werden in der Aufnahmekonfe- wird unter Zusammenwirken aller Professio- renz die körperlichen Behandlungsmodule nen ein multimodaler Behandlungsplan erar- erarbeitet und individuell, an den jeweiligen beitet, wobei der Einsatz der gewählten Modu- Einschränkungen orientiert, festgelegt. Mög- le auf die mit dem Rehabilitanden festgelegten lich sind Maßnahmen aus der Sport- und Rehabilitationsziele abgestimmt wird. Je nach Bewegungstherapie, der Physiotherapie, vorrangig einschränkender Symptomatik wird Maßnahmen aus der balneophysikalischen das Modul der indikativen Gruppenthera- Abteilung, notwendige ergänzende medizi- pie gewählt. Hierbei sind folgende verhaltens- nische Diagnostik, Medikationsüberprüfung therapeutisch orientierten Gruppentherapien und gegebenenfalls -Optimierung. möglich: Orientiert an den jeweiligen Beeinträchti- • Indikative Gruppe zur Angstbewältigung gungen und Einschränkungen des Patienten • Indikative Gruppe zur Depressionsbewäl- können ergänzend Ernährungstherapie tigung und Ernährungsberatung sowie Entspan- • Indikative Gruppe zur Bewältigung Post- nungsverfahren in den Behandlungsplan in- traumatischer Belastungsstörungen tegriert werden. • Indikative Gruppe zur Essstörungsbewäl- Bei Patienten, bei denen ein nach überstan- dener Covid-19-Infektion postinfektiöses 16 Aufgabe der medizinischen Rehabilitation
St. Franziska-Stift Bad Kreuznach Syndrom mit Dyspnoe und Fatigue sowie Ziele vereinbart. Die aus dem 3-wöchigen Re- geringer körperlicher Belastbarkeit festgestellt habilitationsprozess gewonnene voraussicht- wird, ist es von besonderer Bedeutung, die liche Einschätzung der Leistungsfähigkeit Bewegungstherapie an das Leistungsniveau wird mit dem Rehabilitanden besprochen. zu adaptieren und den Patienten körperlich Im Zeitraum zwischen der Zwischenbilanz mäßig ansteigend zu belasten. Diese Pati- und der Entlassung wird der Patient durch die enten sollen ergänzend Atemtherapie ent- Sozialberatung über die Konsequenzen der halten in Verbindung mit bewährten Visuali- sozialmedizinischen Einschätzung ausführ- sierungsübungen zur Verbesserung der lich informiert und über entsprechende Mög- Krankheitsbewältigung. lichkeiten nachfolgender Maßnahmen auf- Des Weiteren wird in der Aufnahmekonferenz geklärt, bei deren Einleitung gegebenenfalls die berufliche Situation des Patienten bespro- unterstützt. chen und eine eventuelle berufliche Prob- Im Zeitraum nach der Zwischenbilanz erfolgt lemlage identifiziert. Es wird geprüft, ob eine auch eine Vorbereitung auf die Zeit nach Rehabilitation mit oder ohne MBOR-Schwer- der Entlassung. Hierzu wird der Patient punkt stattfinden soll. Sollte sich aufgrund der ausführlich über bestehende Nachsorge- vorangegangenen Diagnostik die Indikation möglichkeiten informiert und gemeinsam für eine Reha mit MBOR-Schwerpunkt er- mit dem Bezugstherapeuten werden konkre- geben, wird nach dem Konzept der medizi- te Nachsorgemaßnahmen besprochen und nisch-berufsorientierten Rehabilitation im St. gegebenenfalls eingeleitet. Hierbei ist die Franziska- Stift von 2018 (siehe dort) verfah- Erreichbarkeit normalerweise bestehender ren. Nachsorgemöglichkeiten während der Coro- Ergänzend zu diesem Vorgehen wird in der na-Pandemie zu berücksichtigen. Zur Unter- Aufnahmekonferenz geprüft, ob der Pati- stützung bei der Stabilisierung des Erreichten ent einer der Gruppen von Menschen mit und des Transfers in den Alltag nach der Re- besonderen Belastungen durch die Co- habilitation kommt der Psy-RENA eine beson- vid-19 Pandemie zuzuordnen ist und ob dere Bedeutung zu. Der Patient wird durch eine Verbesserung der Resilienzfaktoren den Bezugstherapeuten bei der Suche nach indiziert ist. Entsprechend kann das neue geeigneten Anbietern unterstützt und gege- Ergänzungsmodul »Gestärkt aus der Krise benenfalls die Psy-RENA-Verordnung ausge- hervorgehen: Gruppentraining zum Aufbau stellt. Angesichts der Versorgungsengpässe von Resilienz-Faktoren und Förderung der sollten auch digitale Formate wie »Stress- Ressourcenaktivierung« in den Rehabilitati- frei leben nach Corona« (Hilfsprogramm der onsplan mit aufgenommen werden. Humboldt-Universität Berlin) berücksichtigt werden. Während der Behandlung werden Ziele und Zielerreichung regelmäßig überprüft, die hier- Einen vergleichbaren Prozess führt der Sta- für erforderlichen Behandlungsmaßnahmen tionsarzt mit den Patienten in Bezug auf Re- gegebenenfalls modifiziert, neue Ziele er- hasport durch. Rehasport kann bei Patienten gänzt und festgelegte Ziele gegebenenfalls mit postinfektiösem Syndrom nach Coronain- verändert. fektion eine besondere Bedeutung haben. Insbesondere die Verbesserung der körperli- Zum Zeitpunkt der Zwischenbilanz nach chen Belastbarkeit und die Reduktion der Er- dreiwöchiger Rehabilitation wird der bisherige schöpfungssymptome bedürfen einer regel- Rehabilitationsverlauf im interprofessionellen mäßigen mäßigen Belastung. Team kritisch geprüft und gemeinsam mit dem Rehabilitanden reflektiert. Der Rehabilitand Im Abschlussgespräch stellt der Bezugs- bereitet sich auf diesen Prozess vor, indem therapeut gemeinsam mit dem Rehabilitan- er den Zwischenbilanzbogen und den Ziele- den den Erreichungsgrad der festgelegten bogen im Vorfeld bearbeitet. In der Zwischen- Rehabilitationsziele fest. Diese werden aus bilanz werden eventuelle Veränderungen des der Sicht des Rehabilitanden festgehalten Behandlungsplanes und der anzustrebenden und es erfolgt hierzu eine fachliche Einschät- Aufgabe der medizinischen Rehabilitation 17
Die Corona-Krise und ihre psychischen Folgen — Teil 1 zung. Die sozialmedizinische Beurteilung der Beispielhaftes Rehabilitationsprogramm Arbeits- und Leistungsfähigkeit wird noch für einen Patienten nach überstandener mal mit dem Patienten ausführlich bespro- akuter COVID-19-Infektion mit Entwick- chen, nachdem eine erste Einschätzung lung einer depressiven Symptomatik bereits in der Zwischenbilanz mitgeteilt wur- sowie eines postinfektiösen Syndroms de. Der Übereinstimmungsgrad hinsichtlich mit Erschöpfung, Minderbelastbarkeit dieser Einschätzung der Leistungsfähigkeit und Dyspnoe wird festgestellt und festgehalten. Des Wei- Eingesetzte Behandlungsmodule: teren werden im Abschlussgespräch mit dem Bezugstherapeuten die während der Reha • problemlöseorientierte Basisgruppenthe- festgestellten Diagnosen mit dem Patienten rapie (pro Woche 2 × 75 Minuten) besprochen und erklärt. Die vereinbarten • Indikative Gruppe: kognitiv verhaltens- Nachsorgemaßnahmen werden wiederholt therapeutische Gruppentherapie zur und schriftlich festgehalten. Depressionsbewältigung (2 × 90 Minuten Im ärztlichen Abschlussgespräch werden die pro Woche) auf die körperliche Befindlichkeit bezogenen • Kognitiv verhaltenstherapeutische Ein- Rehabilitationsziele wiederholt und deren Er- zeltherapie (einmal pro Woche 30 Minu- reichungsgrad aus Sicht des Patienten fest- ten) gehalten. Nachfolgend notwendige medizini- sche Maßnahmen werden mit dem Patienten • Gruppentraining zum Aufbau von Re- besprochen und ebenfalls festgehalten. Bei silienzfaktoren und zur Förderung der entsprechender Notwendigkeit wird der Re- Aktivierung von Ressourcen (ein- bis habilitand zum Entlassungszeitpunkt mit ei- zweimal 90 Minuten pro Woche) ner Kurzinformation für den weiterbehandeln- • bedarfsorientierte, medizinische Versor- den Arzt versorgt (Kurzarztbrief). gung • Belastbarkeitsadaptierte aerobe Bewe- gungstherapie (adaptierte Frequenz) • Atemtherapie inklusive Visualisierungs- übungen zur Verbesserung der Krank- heitsbewältigung (zweimal pro Woche 60 Minuten) • Ergotherapie in der Gruppe (zweimal 75 Minuten pro Woche) • Nach Indikation: Ernährungsberatung bedarfsorientiert • Corona angepasste Veranstaltungen der Stationsgemeinschaft • Entspannungsverfahrens (zweimal 30 Minuten pro Woche) • Gesundheitsvorträge • Informationsveranstaltung zu Nachsorge- möglichkeiten 18 Aufgabe der medizinischen Rehabilitation
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