Depressionen erkennen und behandeln: Eine Hilfe zur Selbsthilfe

 
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Depressionen erkennen und behandeln: Eine Hilfe zur Selbsthilfe
Depressionen erkennen und behandeln:
Eine Hilfe zur Selbsthilfe

MediClin Klinik für Akutpsychosomatik
MediClin Reha-Zentrum am Hahnberg
Bad Wildungen

Fachklinik für Psychosomatik und Psychotherapie
Fachklinik für Konservative Orthopädie

                                                  Prävention l Akut l Reha l Pflege
Depressionen erkennen und behandeln: Eine Hilfe zur Selbsthilfe
Inhalt

Einleitung                                                                                               l 03

01 Beschreibung des Krankheitsbildes                                                                     l 05
01   Allgemeines                                                                                         l 05
01       Wenn Verstimmung zur Depression wird                                                            l 06
01       Psychische Merkmale einer Depression                                                            l 07
01       Körperliche Merkmale einer Depression                                                           l 12
01       Zwischenmenschliche, familiäre, berufliche u.a. Folgen                                           l 15

02 Die verschiedenen Formen von Depressionen und ihre Ursachen                                           l 16
01   Depressive Episoden                                                                                 l 16
01       Dysthymia – Depressive Entwicklung – Chronische Depression                                      l 17
01       Organisch bedingte Depression                                                                   l 17

03 Häufigkeit, Risikofaktoren, Verlauf und Prognose                                                       l 18
01   Häufigkeit und Risikofaktoren                                                                        l 18
01       Verlauf und Prognose                                                                            l 19
01       Folgekrankheiten (Komorbidität)                                                                 l 19

04 Hilfreiche Strategien gegen Depressionen                                                              l 20
01   Psychotherapeutische Behandlung der Depression                                                      l 20
01       Psychotherapeutische Verfahren                                                                  l 21
01       Medikamentöse Behandlung der Depression                                                         l 22
01       Hinweise für Familie und Freunde                                                                l 24
01       Weiterführende Behandlungsmöglichkeiten der Depression                                          l 26

05 Kognitive Verhaltenstherapie                                                                          l 27
01   Allgemeine Aspekte                                                                                  l 27
01       Zusammenhang zwischen Stimmung - Denken - Fühlen                                                l 27
01       Wieder aktiv sein                                                                               l 28
01       Verbesserung sozialer Kompetenzen                                                               l 28
01       Verbesserung der partnerschaftlichen Kommunikation                                              l 29
01       Kognitive Methoden                                                                              l 30
01       Gruppentherapie                                                                                 l 31
01       Rückfallprophylaxe                                                                              l 32
01       Effektivität der Behandlung                                                                     l 32

Literatur                                                                                                l 33

© MediClin (10 / 132)
Stand: Januar 2012
Z / Öffentlichkeitsarbeit, Offenburg
Text: MediClin Klinik für Akutpsychosomatik am Hahnberg / MediClin Reha-Zentrum am Hahnberg, Bad Wildungen
Satz und Layout: Tine Klußmann, www.TineK.net
Depressionen erkennen und behandeln: Eine Hilfe zur Selbsthilfe
Einleitung                                                Eines Tages kamen Fremde an die Kreuzung und fragten die
                                                                 junge Frau, was sie denn hier mache.
                                                                 »Ich bin unterwegs zum Meer«, gab sie Auskunft, »aber
       Als Einstimmung in die Thematik soll ein Mär-
                                                                 mein Weg endet hier. Nun weiß ich nicht, welche Richtung
       chen für Erwachsene von Roland Kübler die-
                                                                 ich wählen soll.«
       nen und vielleicht schon an dieser Stelle zum
                                                                 »Dann komm doch mit uns,« sagten die Fremden, »wir sind
       Nachdenken anregen.
                                                                 unterwegs in eine Stadt, die nur einige Stunden von hier
                                                                 entfernt ist.«
       Die große Wegkreuzung
       (Roland Kübler)                                           Aber die junge Frau wollte ans Meer, im warmen Sand
                                                                 sitzen, sich von der wilden Kraft der Wellen umschäumen
       „Seit unendlichen Zeiten zieht die Erde ihre Bahn         lassen und den salzig frischen Atem des Meeres auf ihren
       um die Sonne, empfängt Wärme und Licht. Und der           Lippen spüren.
       Mond umkreist die Erde, spendet seine silbernen           Sie bedankte sich bei den Fremden für das Angebot und
       Strahlen, hebt und senkt die Meere.                       blieb weiter auf ihrer Wegkreuzung sitzen. Wieder saß sie
       Hoch oben in den Bergen wuchs ein Kind auf. Spielte       lange Zeit allein und konnte sich für keinen der Wege ent-
       sich in der klaren Luft und auf sattgrünen Wie-           scheiden.
       sen zur jungen Frau. Packte eines Tages ihr kleines
                                                                 Viele Tage später kam ein einsamer Wanderer und setzte
       Bündel und sagte zu Vater und Mutter, dass sie ge-
                                                                 sich zu ihr. Lange Zeit saß er bei ihr und erzählte, was er
       hen wolle, um das Meer zu sehen. Denn während
                                                                 alles erlebt hatte auf seiner Wanderschaft, wo er überall ge-
       ihrer ganzen Jugend hatte sie sich nichts sehnlicher
                                                                 wesen war, und was er alles erfahren hatte. Er aß mit der
       gewünscht, als einmal auf den Lippen den salzigen
                                                                 jungen Frau Brot und trank mit ihr Wein. Oft saßen sie noch
       Atem des Meeres spüren zu können.
                                                                 zusammen, um die Sonne hinter den Bergen versinken zu
       Die junge Frau ging den vertrauten Weg hinab ins          sehen. Und irgendwann fragte er sie, ob sie nicht mit ihm
       Tal. Aber sie hielt nicht in jenem kleinen Dorf, in       kommen wolle. Er sei unterwegs zu einem Wald ganz in der
       dem sie immer ihre Milch verkauft hatte. Sie hielt        Nähe, um dort zu jagen. Aber die Frau auf der Wegkreu-
       auch nicht bei der kleinen Sennerhütte, wo sie als        zung sagte auch ihm, dass sie nicht in den Wald, sondern
       Kind jedes Mal einige Süßigkeiten und eine kalte,         ans Meer wolle.
       schaumig gerührte Buttermilch bekommen hatte.
                                                                 Die Wochen vergingen, und mit ihnen wechselten die
       Sie ging weiter. Weiter als sie je gegangen war an
                                                                 Jahreszeiten. Die Frau saß auf dem Platz zwischen den We-
       der Hand ihres Vaters. Sie ging, weil sie ein Ziel hat-
                                                                 gen und sah den Wolken nach, die sich übers Gebirge jagten
       te. Sie wollte ihren Körper im schäumenden Meer
                                                                 und bunte Blüten der Phantasie an den Himmel malten.
       baden und den salzig frischen Atem dieser endlosen
                                                                 Eines Morgens wurde sie von Fremden geweckt, die unter-
       Weite auf den Lippen spüren. Und so begleitete
                                                                 wegs zu Bauern waren. Sie fragten, ob sie nicht mitkom-
       sie die kleinen Bergbäche, die aufgeregt über die
                                                                 men wolle, um bei der Ernte zu helfen. Und weil die Frau
       Steine sprangen, suchte sich ihren Weg vorbei an
                                                                 schon so lange untätig dort gesessen hatte, entschied sie
       den wiederkäuenden Kühen hinunter ins Tal. Viele
                                                                 sich, dieses Mal mit den Fremden zu gehen. Sie kamen in ein
       Menschen traf sie auf ihrem langen Weg. Oft wurde
                                                                 kleines Dorf und den ganzen Herbst half sie, die Ernte einzu-
       ihr auch abgeraten, weiter zu gehen. Der Weg zum
                                                                 fahren. Es gefiel ihr gut bei den Bauern. Nur eine Sehnsucht
       Meer sei weit und beschwerlich, wurde ihr gesagt.
                                                                 blieb in ihr und wuchs und wuchs, während der Winter die
       Aber sie ließ sich nicht beirren. Sie nahm die Gast-
                                                                 Landschaft in stille weiße Träume verpackte.
       lichkeit dankbar an und ging weiter den Weg, den
                                                                 Sie wollte ans Meer. Und deshalb packte sie an einem klaren
       sie für sich gewählt hatte, weiter auf dem Weg, der
                                                                 Frühlingsmorgen ihr Bündel und sagte den freundlichen
       sie zum Meer führen sollte.
                                                                 Bauern, dass sie wieder gehen wolle, denn sie sei unter-
       Eines Tages, sie war schon sehr müde, kam sie an          wegs zum Meer.
       eine große Wegkreuzung. Der Weg, dem sie bisher
       gefolgt war, gabelte sich vor einem großen Gebirge
       in vier Pfade, von denen zwei links und zwei rechts
       um die Berge herumzuführen schienen. Die junge
       Frau wusste nicht weiter und setzte sich mitten
       auf die Kreuzung, um zu rasten, Brot zu essen und
       Wein zu trinken. So saß sie lange Zeit auf der Erde
       und konnte sich für keinen der vier Wege entschei-
       den. Jeder schien ihr ungewiss.

03 l
Depressionen erkennen und behandeln: Eine Hilfe zur Selbsthilfe
Danach ging sie ihren Weg zurück, bis sie wieder an die große    Der Wind packte ihr langes, graues Haar, zerwühlte es mit
Kreuzung kam. Ratlos setzte sie sich. Wenn sie nur wüsste,       klammen Fingern und riss an ihrer Kleidung. Sie öffnete den
welchen dieser Wege sie wählen sollte, um endlich an das Ziel    Mund, um diese Gewalt in sich hinein zu saugen. Erschöpft
ihrer Sehnsucht zu kommen. Sehr lange saß sie an der Weg-        und keuchend atmete sie gegen den Wind. Und endlich öff-
kreuzung, bis nach Wochen eine Frau kam, die unterwegs           nete sie ihre Augen und schaute sich um. Der Anblick über-
war in ein kleines Dorf. Sie wolle dort ihre Waren verkaufen,    wältige sie. Tief unten entdeckte sie, ganz klein jetzt, die
erzählte sie und fragte die Frau, ob sie Lust hätte, sie zu      Wegkreuzung, auf der sie so lange gesessen hatte. Sie sah die
begleiten. Und weil diese wusste, dass sie allein zu keinem      vier Pfade, die sich dort unter verzweigten. Der eine führte
Entschluss kommen würde, ging sie mit der fremden Frau in        in eine große Stadt, direkt auf den Marktplatz und darüber
das kleine Dorf. Es gefiel ihr gut dort. Sie half Hemden und      hinaus. Der andere schlängelte sich durch einen dichten
Hosen nähen und später auf dem Markt zu verkaufen. Aber          Wald, nahe an ein kleines Häuschen. Aber auch er endete
immer blieb in ihr die Sehnsucht nach dem Meer.                  dort nicht. Der dritte war ihr bekannt: Er wand sich in das Tal
                                                                 zu den Bauern, denen sie bei der Ernte geholfen hatte, klet-
Eines Tages hielt sie es nicht mehr aus. Wieder packte sie
                                                                 terte dann über einige kleine Hügel und führte weiter in eine
ihre Habseligkeiten zusammen, verabschiedete sich von der
                                                                 fruchtbare Ebene. Und der vierte traf auf jenes kleine Dorf, in
Frau und wanderte zurück an jene Kreuzung. Hier war ihr
                                                                 dem sie Hemden und Hosen geschneidert hatte. Doch auch
inzwischen alles schon so vertraut. Sie suchte sich wieder
                                                                 dieser zog durch das Dorf hindurch und weiter.
ihren alten Platz und machte es sich gemütlich. Dann saß sie
dort, fast unbeweglich, eine lange, lange Zeit. Ihr Haar war     Die alte Frau stand auf dem Gipfel des Berges und zitterte.
inzwischen dünn und grau geworden. Ihr Rücken beugte sich        Die vier Wege trennten sich vor dem Gebirge, umringten es
immer mehr unter der Last der sich ständig wiederholenden        und näherten sich einander in einer weiten Ebene, vereinigten
Jahreszeiten. Noch immer wusste sie nicht weiter, konnte sich    sich und setzten ihre Reise fort bis zum Meer, in dem sich weit
einfach nicht entscheiden, welchen dieser Wege sie denn          entfernt der Horizont zu spiegeln schien. Die alte Frau saß
nun wählen solle. Manchmal glaubte sie in stillen, schlaflosen    hoch oben auf den Felsen, die vor ihr steil abbrachen und
Nächten ein leises, fernes Rauschen zu hören, als ob das Meer    dort hinten, jenseits der Ebene, verlor sich ihr suchender Blick
sie rufen würde. Und wenn der Nachtwind mit lauem Hauch          in die Unendlichkeit des Meeres. Je länger sie schaute, umso
von den Bergen strich, vermeinte sie sogar auf ihren Lippen      deutlicher glaubte sie, das schäumende Wasser zu sehen. Sie
einen zarten salzigen Geschmack spüren zu können.                meinte fast, die tosende Kraft der Wellen zu spüren, die weit
                                                                 vor ihr in die zerfurchten Klippen schlugen und zersprangen.
Es war eine solche Nacht, als sie sich entschloss, einfach die
                                                                 Aber sie konnte nichts hören, so weit weg stand sie, hoch
Berge hinaufzusteigen. Die Wanderung war sehr beschwer-
                                                                 oben auf dem Gipfel und wusste, sie hatte nicht die Kraft
lich. Durch beängstigend verwirrende Felsengärten, dichtes
                                                                 zurückzugehen an jene große Wegkreuzung, wo sie so lange
Unterholz und über steil abfallende Grate führte ihr Weg nach
                                                                 gesessen hatte. Zurück, um irgendeinen Weg zu wählen, der
oben. Höher und höher stieg sie bei ihrer einsamen Wan-
                                                                 sie ans Meer bringen würde. Sie hatte keinen dieser Wege
derung. Nachts war es längst nicht mehr so warm wie unten
                                                                 gewählt, war keinen bis zum Ende gegangen. Erst hier, hoch
an der großen Wegkreuzung. Sie fror und kauerte sich hilflos
                                                                 oben auf den Felsen, erkannte sie, dass jeder dieser Wege
an den nackten, kalten Fels. Manchmal glaubte sie auch, ihre
                                                                 ans Meer geführt hätte. Und plötzlich wusste sie: Niemals
Kraft würde nicht ausreichen. Immer schwieriger schien es,
                                                                 in ihrem Leben würde der salzig frische Atem grenzenloser
sich die steilen Hänge empor zu quälen, um wieder feststellen
                                                                 Weite ihre Lippen netzten. Und niemals in ihrem Leben würde
zu müssen, dass hinter dem eben erklommenen Gipfel der
                                                                 sie das wildschäumende Wasser des Meeres auf ihrem Körper
nächste auf sie wartete. Und dann endlich – sie hatte schon
                                                                 spüren.“ Albert-Wybranietz, Körner L., Körner H., Kübler, Steiner, Stiller,
fast nicht mehr daran geglaubt – stand sie ganz oben.
                                                                 Streibel: aus „Die Farben der Wirklichkeit“, 2005, Lucy Körner Verlag

Sicher werden auch Sie Unsicherheiten kennen, wenn Sie           Dabei ist die Behandlung als Hilfe zur Selbsthilfe zu verste-
vor einer Entscheidung stehen, welcher Weg für Sie der rich-     hen. Eine erfolgreiche Behandlung einer Depression (sowie
tige ist. Und gerade bei depressiven Verstimmungen fällt es      jeder psychischen Erkrankung) hängt sehr von Ihrer Mitarbeit
umso schwerer, Entscheidungen für sich zu treffen. Sie er-       ab, da verschiedene Übungen oder auch Veränderungen von
halten jedoch nur eine Antwort auf die Frage, welchen Weg        Lebensgewohnheiten notwendig sein werden, was jedoch
Sie wählen sollen, wenn sie den einen oder anderen auch          unter Anleitung und Hilfestellung Ihres Therapeuten er-
ausprobiert haben. Bei der Wahl kann Ihnen der Aufenthalt        folgt. Somit gilt, dass Psychotherapie nicht nur in den thera-
in unserer Klinik behilflich sein.                                peutischen Sitzungen stattfindet, sondern dass die einzelnen
                                                                 Übungen, therapeutische Aufgaben, Verhaltensexperimente
Diese Informationsbroschüre soll Ihnen Anregungen geben,
                                                                 usw. zwischen den einzelnen Sitzungen sehr bedeutsam sind,
im Rahmen Ihres Aufenthaltes Ihre depressive Stimmung zu
                                                                 um die notwendigen Veränderungen herbeiführen zu kön-
erkennen, zu verstehen und zu bewältigen.
                                                                 nen. Daher gilt auch für die Bewältigung von depressiven
                                                                 Stimmungen unter therapeutischer Anleitung:

                                                                 Handeln – nicht behandeln lassen!
Depressionen erkennen und behandeln: Eine Hilfe zur Selbsthilfe
01 Beschreibung des Krankheitsbildes

01 Allgemeines

Gegenwärtig wird der Begriff der Depressionen häufig ge-              Dies kann zu einem Teufelskreis werden. Hier ist es wichtig,
braucht. Auch in den modernen Medien werden Depressionen             wieder zu lernen, mit den alltäglichen Gemütsschwankun-
immer öfter besprochen, sodass viele Menschen schon einmal           gen fertig zu werden und vermehrt zu natürlichen Bewäl-
von einer Depression gehört oder diese selbst kennengelernt          tigungsmöglichkeiten zu greifen (z.B. Selbstgespräche,
haben. In der Gegenwart nimmt die Anzahl der Depressio-              Aussprache mit Freunden, körperliche Aktivität, Bürstenmas-
nen zu. Dabei ist jedoch eine genaue Diagnostik erforderlich,        sage, Wechselduschen, Sauna, Kneippsche Anwendungen,
damit nicht jede Alltagsverstimmung als Depression bezeich-          genussvolles Essen usw.). Auch Entspannungsverfahren kön-
net wird. Dies ist nicht nur eine Übertreibung, sondern kann         nen sehr hilfreich sein. Diese sollten jedoch schon erlernt
auch verhängnisvolle Konsequenzen haben. Wenn man jede               worden sein, bevor man sie braucht, um dann in einer Krisen-
Gemütsveränderung mit einer Depression gleichsetzt, wird             situation darauf zurückgreifen zu können. Vielleicht lächeln
man im Laufe der Zeit eine wirklich krankheitsrelevante und          Sie auch an dieser Stelle über die Vorschläge, da sie sehr ba-
behandlungsbedürftige Störung nicht mehr abgrenzen kön-              nal klingen mögen. Aber erinnern Sie sich an das Märchen
nen. Besonders schwierig wird es, wenn die Depression sich           am Anfang. Auch hier wäre ein sehr banaler Vorschlag (einen
hinter der Maske körperlicher oder zwischenmenschlicher              der Wege zu gehen) dienlich gewesen. Vielmehr sind wir ge-
Schwierigkeiten verbirgt, was häufig der Fall ist. Deshalb ist        neigt, auf Genussgifte, eine verschleißende Lebensführung
eine Differenzierung der verschiedenen Gemütszustände er-            oder Arzneimittel zurückzugreifen – oder wir erhoffen vom
forderlich.                                                          Arzt oder Therapeuten eine möglichst schnelle Besserung. Bei
                                                                     Stimmungsschwankungen ist der Arzt aber nicht erforder-
Nicht jede Stimmungsschwankung ist als Depression anzuse-
                                                                     lich, sondern jeder selbst mit all seinen Möglichkeiten ist ge-
hen, da sie auch allgemeine Möglichkeiten menschlichen Er-
                                                                     fordert. Es gilt also, natürliche Reaktionen auch natürlich zu
lebens darstellen. Sie sind also alltäglich. Sie sind oft auf kon-
                                                                     bewältigen. Wir haben das Nutzen unserer Ressourcen jedoch
krete Beeinträchtigungen und ihre sozialen bzw. seelischen
                                                                     verlernt, da wir glauben, „alles im Griff“ haben zu müssen,
Folgen zurückzuführen (z.B. zwischenmenschliche oder beruf-
                                                                     was selbstverständlich auch für die Gesundheit und Leis-
liche Belastungen, körperliches Unwohlsein usw.). Es kann
                                                                     tungsfähigkeit gilt. Die richtige Einstellung beginnt also mit
aber auch sein, dass man keine Erklärung für die Verstimmung
                                                                     der Erkenntnis, dass Verstimmungszustände keine Depression
finden kann. Jedoch gehören diese Gemütsschwankungen
                                                                     sind und von Ihnen selbst reguliert werden können.
zum menschlichen Leben.

Andererseits sind wir geneigt, eine gute Stimmung als Selbst-
verständlichkeit zu akzeptieren, ohne lange darüber nachzu-
denken, warum wir uns gerade gut fühlen. Dies sieht bei ei-
ner bedrückten Stimmung ganz anders aus, weil diese als lästig
empfunden wird und wir uns damit beschäftigen. Scheinbar
haben wir verlernt, mit den alltäglichen Belastungen in unse-
rem Leben in eigener Verantwortung zurechtzukommen und
auch negative Seiten zu tragen. Anders ausgedrückt gilt, nur
wer Kummer kennt, kann auch Freude schätzen.

Selbst Traurigkeit, Resignation und Angst haben einen Sinn
im Leben. Sie prägen unsere Persönlichkeit und regen zum
Nachdenken, zu Offenheit, zur Toleranz usw. an. Wir neigen
eher dazu, unangenehme Gefühlsregungen frühzeitig zu
unterdrücken (auch durch Medikamente z.B. Beruhigungs-
mittel) und angenehme Gefühle künstlich zu erzeugen (z.B.
durch Genussmittel, Lebensstil).

                                                                                                                                       l 05
Depressionen erkennen und behandeln: Eine Hilfe zur Selbsthilfe
Wenn Verstimmung zur Depression wird

       Auch Trauer ist keine Depression, sondern eine normale       Unter einer Depression ist ein Gemütsleiden mit unterschied-
       Reaktion auf einen Schicksalsschlag oder schwerwie-          lichen Ursachen zu verstehen. Sie können „reaktiv“ als Folge
       genden Verlust. Sie können und dürfen über Dinge             eines belastenden Ereignisses (z.B. Misserfolg, Schicksals-
       trauern, die für Sie einen persönlichen Wert darstellen,     schlag, Scheidung usw.) auftreten, aber auch „endogen“ (im
       auch, wenn dies nach außen unbedeutend erscheinen            Körper selbst und nicht durch äußere Einflüsse entstanden)
       mag. In unserer Leistungsgesellschaft gibt es aber wenig     auf biologischer Grundlage, ausgelöst durch ein körper-
       Raum für Trauer, da sie nicht mehr in unseren Lebens-        liches Leiden, vorkommen. Eine Depression äußert sich in
       stil passt. Sie wird als Belastung empfunden und sollte      seelischen, geistigen und körperlichen Symptomen und
       deshalb möglichst schnell überwunden werden. Dabei           hat entsprechende partnerschaftliche, familiäre oder beruf-
       ist bei Trauer eine sogenannte „Trauerarbeit“ erforder-      liche Folgen.
       lich und diese bedarf eines gewissen Zeitrahmens. Die
       Trauer verläuft in verschiedenen Phasen. Sie sollten nie-    Häufig sind die Beschwerden sehr vielschichtig, sodass die
       mals versuchen, dem Trauernden die Trauer zu nehmen          Störung oft nicht rechtzeitig erkannt wird (auch von den Be-
       und nie mit den eigenen Maßstäben messen wollen.             troffenen selbst). Einige Symptome einer Depression kennt
       Häufig werden Trauernde nach einer gewissen Zeit der          jeder (z.B. Niedergeschlagenheit, Energielosigkeit, Selbst-
       Schonung als Belastung empfunden. Sie müssen aber            zweifel, Wertlosigkeit, Sinnlosigkeit, häufig Ängstlichkeit,
       ihre Gefühle zeigen können. Es sollten falsche Rat-          Unruhe, Erschöpfung usw.).
       schläge, nutzlose Appelle und leere Redensarten ver-         Die Grenzen zur Depression sind fließend. Die Depression
       mieden werden, da sie keine Hilfe darstellen, sondern        ist keine reine Reaktion auf Stress oder Überforderung. Die
       die Trauerarbeit nur erschweren. Auch sollte nicht ober-     Schwelle hierzu ist bereits überschritten. Auch ein Urlaub
       flächlich getröstet oder der Verlust heruntergespielt         bringt häufig nicht die erwünschte Besserung.
       werden.

       Viel hilfreicher sind das stille und verständnisvolle Mit-
       gefühl und Geduld auf lange Sicht. Anteilnahme sollte
       zeitlich gestreckt werden: nicht unbedingt am Anfang
       (da kommen alle), Vorsicht ist an Wochenenden, Fei-
       ertagen und Jahrestagen geboten, da dann häufig die
       Einsamkeit, Erinnerungen oder Rückblicke kommen. In
       der Not signalisieren kleine Aufmerksamkeiten Verbun-
       denheit (z.B. Postkarte, Anruf, kurzer Besuch). Hilfreich
       können auch entsprechende Bücher oder Kontakte mit
       Menschen sein, die ihren Trauerprozess erfolgreich ab-
       schließen konnten. Der Einsatz von Beruhigungsmitteln
       sollte sehr kritisch erfolgen, ist aber unter bestimmten
       Bedingungen sicher auch notwendig. Viele gutwillige
       Menschen meiden den Kontakt zu Trauernden, weil sie
       nicht wissen, wie sie mit den Betroffenen umgehen bzw.
       was sie sagen sollen. Sie brauchen aber keine guten
       Tröster zu sein, da häufig die Anwesenheit und stumme
       Zuwendung mehr bedeuten können als Worte. Sie kön-
       nen hilfreicher sein als „ständig hilfloses Reden“.

06 l
Depressionen erkennen und behandeln: Eine Hilfe zur Selbsthilfe
Psychische Merkmale einer Depression                             Mutlosigkeit:
                                                                 Es kommt oft zu einer pessimistischen, resignativen
                                                                 und ratlosen Sichtweise der Dinge („schwarze Brille“,
                                                                 „Glas ist immer halb leer“). Betroffene sind häufig
                                                                 verzagt, nehmen alles sehr schwer und sind leicht ir-
                                                                 ritierbar. Diese Einstellungen können lange manchen
                                                                 anderen eindeutigen Zeichen einer Depression voraus-
                                                                 gehen. Die Betroffenen sind häufig beunruhigt über ihr
                                                                 bisheriges Vorgehen oder Auftreten; sie meinen dann,
                                                                 bisher nur Glück gehabt zu haben. Ohne erkennbaren
Traurigkeit:                                                     Grund wird das Verhalten geändert und auf die Bremse
Dieses Gefühl, „herabgestimmt“ zu sein, betrifft nicht nur die   getreten. Dieser Richtungswandel wird nachvollziehbar
Seele, sondern auch das körperliche Befinden. Häufig fühlen        und plausibel erklärt, obgleich die Situation dies nicht
sich die Betroffenen unglücklich, bedrückt, niedergeschla-       erforderlich macht. Dadurch können sogar Nachteile
gen, resignativ, trostlos, schwermütig usw. Leises Weinen,       entstehen. Häufig wird von der Umgebung dieser Wan-
tiefe Seufzer bis zu Weinkrämpfen sind zu finden. Es kann         del bemerkt, führt aber meist nicht zu Einwänden. Erst
aber auch die Unfähigkeit zu trauern, vor allem zu weinen        später wird erkannt, dass die Vorsicht keine Berechti-
(innerlich sich ausgebrannt und leer fühlen) im Vordergrund      gung hatte, sondern erstes Zeichen (der Hemmung) im
stehen („Gefühl der Gefühllosigkeit“). Manchmal liegt keine      Rahmen einer sich entwickelnden Depression ist.
„seelische Schwermut“, sondern eine „leibliche Traurig-
keit“ vor. Diese wird dann auch eher körperlich in Form von      Hilflosigkeit:
Schmerzen (z.B. Kopf, Magen, Brust, Wirbelsäule, Gelenke         Hierbei werden Probleme überbewertet und es entwi-
usw.) empfunden.                                                 ckeln sich Gefühle der Perspektiv- und Hoffnungslosig-
                                                                 keit, insbesondere von Machtlosigkeit, an der gegen-
Interesselosigkeit:                                              wärtigen Situation überhaupt etwas ändern zu können.
Es kann zur Verarmung, Einengung bis hin zum Schwund             Es ist möglich, dass dies zu einer (selbst-)zerstörerischen
jeglichen Interesses an alltäglichen Aufgaben und Verpflich-      Lebenseinstellung (Selbsttötungsgefahr) führen kann.
tungen kommen, die vorher bedeutsam waren. Bei längerem          Oft wird diese Hilflosigkeit auch nach außen begrün-
Verlauf ist häufig eine völlige Gleichgültigkeit zu finden.        det, indem ausschließlich nach fatalistischen und nega-
Freudlosigkeit:                                                  tiven Dingen gesucht wird. Die Folgen dieses Verhaltens
Dies ist eines der wichtigsten Symptome und beschreibt die       sind negative Konsequenzen im familiären, aber auch
mangelnde Fähigkeit, auf eine freundliche Umgebung oder          insbesondere im beruflichen Bereich. Zuerst sind Be-
ein erfreuliches Ereignis stimmungsmäßig positiv zu rea-         einträchtigungen bei Entscheidungen unter Zeit- oder
gieren. („Ich kann mich über nichts mehr freuen“.) Hinzu         Leistungsdruck zu finden. Es folgen weitere Schwie-
kommt eine Genussunfähigkeit, Lustlosigkeit und vor allem        rigkeiten unter früher üblichen Stress- oder mehr-
die Unfähigkeit, sich unbekümmert zu freuen oder überhaupt       schichtigen Anforderungssituationen. Im Laufe der Zeit
etwas zu empfinden.                                               werden sogar Routineaufgaben und zuletzt selbst Ent-
                                                                 lastungssituationen als nicht zu bewältigen erlebt.
Energielosigkeit:
Oft fehlt der Schwung, Antrieb, Energie, Spannkraft, Ausdau-     Minderwertigkeitsgefühle:
er, Elan oder auch Initiative. Betroffene fühlen sich schwach,   Hierunter versteht man eine allgemeine Unsicherheit,
kraftlos, leicht und schnell ermüdbar und schon bei geringen     mangelndes Selbstwertgefühl, eine negative Selbstein-
Anforderungen und Routineaufgaben schnell erschöpft und          schätzung bis hin zu einem ausgeprägten Kleinheits-
überfordert. Häufig verhalten sich die Betroffenen auch sehr      gefühl. Andererseits sind auch überhöhte Selbstan-
passiv.                                                          forderungen mit unkritischer Selbstüberschätzung zu
                                                                 finden, was ein Versagen sehr wahrscheinlich werden
                                                                 lässt. Häufig ist eine unflexible „Entweder-Oder-Men-
                                                                 talität“ zu finden, was auch als „Schwarz-Weiß-Denk-
                                                                 en“ bezeichnet werden kann. Die Selbstunsicherheit
                                                                 kann bis zur Selbstentwertung führen (z.B. „Ich bin
                                                                 ein Versager.“ „Ich mache alles falsch.“). Leider wird
                                                                 dieses Gefühl der Nutzlosigkeit oder sogar der Schuld
                                                                 von anderen Menschen ausgenutzt (z.B. Versetzung,
                                                                 Herabstufung, Vorruhestand, Empfehlung, in Rente zu
                                                                 gehen), was das negative Selbstgefühl noch verstärken
                                                                 kann.

                                                                                                                               l 07
Depressionen erkennen und behandeln: Eine Hilfe zur Selbsthilfe
Empfindlichkeit:
                                                                           Betroffene sind häufig sensibel, leicht verletzbar, schnell
                                                                           kränkbar, teilweise auch unzufrieden und vorwurfsvoll.
                                                                           Häufig haben sie das Gefühl, nicht verstanden zu wer-
                                                                           den, zu wenig Zuwendung, Fürsorge oder Mitgefühl und
                                                                           Liebe zu bekommen. Diese Menschen leiden oft still vor
                                                                           sich hin, können aber auch unvermittelt mit Verzweiflung
                                                                           reagieren, sodass sie oft schwer kalkulierbare Reaktionen
                                                                           zeigen können. Sie wirken sehr „dünnhäutig“.

       Angstzustände:                                                      Denkstörungen:
       Diese treten bei depressiver Verstimmung in der Form auf,           Oft wird das Denken als verlangsamt, umständlich, zäh-
       nicht erwünscht oder im Wege zu sein (zu stören), nicht ge-         flüssig, einfallsarm und mühsam erlebt. Das Denken
       liebt oder akzeptiert zu werden, bis hin zu Ängsten, dass sich      kann auf wenige Themen eingeengt sein, um die es
       wichtige Bezugspersonen (z.B. Ehepartner, Kinder) abwenden          dann kreist. Ideenarmut, Merk- und Konzentrations-
       könnten. Es sind aber auch konkrete Zwangsbefürchtungen             störungen, Vergesslichkeit sowie Haftenbleiben sind als
       in bestimmten Situationen (z.B. bei Phobien) und vor allem          Auffälligkeiten zu finden. Von den Betroffenen wird eine
       auch häufig unbegründete (motivationslose) Ängste zu find-            „Leere im Kopf“ beklagt, was besonders bedrohlich von
       en. Teilweise treten Panikattacken, hypochondrische (sog.           geistig interessierten Menschen erlebt wird. Gespräche
       eingebildetes Kranksein) Ängste auf, die von der Umgebung           mit depressiven Menschen erscheinen aufgrund dieser
       nicht nachvollziehbar sind.                                         Beeinträchtigungen häufig unproduktiv, einsilbig bis hin,
                                                                           dass der Eindruck entstehen kann, dass ein geistiger Ab-
       Zwänge:                                                             bau (Demenz) vorliegt. Die Denkstörungen bilden sich bei
       Unter Zwängen versteht man alles beherrschende Erlebnisse,          Besserung der Depression wieder zurück.
       die mit dem Gefühl der Unausweichlichkeit und Machtlosig-
       keit verbunden sind, obwohl sie als unsinnig bzw. unangemes-        Grübelneigung:
       sen angesehen werden. Zu den Zwangsmechanismen zählen               Hierunter sind die gleichen Denkinhalte bei erschwertem
       Zwangsdenken, Zwangsbefürchtungen und Zwangshandlun-                Gedankenwechsel zu verstehen. Aber auch eine Sprung-
       gen.                                                                haftigkeit im Denken, nicht am Problem bleiben zu kön-
                                                                           nen, nicht zu Ende denken zu können, sind zu finden.
       Reizbarkeit:                                                        Zuletzt kommt es zu Gedankenkreisen und Grübelzwang
       Hierunter versteht man, wenn die Betroffenen missmutig,             (insbesondere nach dem quälenden Früherwachen) mit
       vermehrt irritierbar, mürrisch („schlecht gelaunt“) oder sogar      Panik vor dem nächsten Tag und einem beklemmenden
       aufbrausend, missgünstig, aggressiv bzw. passiv oder offen          Gefühl auf der Brust.
       feindselig wahrgenommen werden. Dies ist vorrangig bei der
       sog. chronischen Depression mit langwierigem Verlauf ohne           Reaktionsfähigkeit:
       wesentlichen Behandlungserfolg trotz vieler Bemühungen              Häufig ist eine Verlangsamung oder aufgehobene Reak-
       zu finden. Im Gegensatz dazu sind viele depressive Men-              tionsfähigkeit zu finden, was im Extremfall bis zur völli-
       schen eher freundlich, mitfühlend, warmherzig, zugewandt            gen Erstarrung (Stupor) führen kann. Die eingeschränkte
       sowie sehr pflichtbewusste und gewissenhafte Menschen.               Reaktionsfähigkeit macht sich auf verschiedenen Ebenen
       Aber auch chronisch depressive Menschen leiden unter ihrer          bemerkbar: auf geistig-seelischer Ebene ist eine ver-
       Störung                                                             langsamte und mühsame Denkweise insbesondere bei
                                                                           Gesprächen auffällig; körperlich sind weniger im Alltag,
       Innere Unruhe:                                                      sondern mehr bei speziellen Anforderungen (z.B. Nach-
       Die Betroffenen erscheinen sehr nervös, fahrig, innerlich vibrie-   lassen der Reflexe im Sport, verlangsamte Reaktionsfähig-
       rend („wie unter Strom stehend“) oder gespannt. Teilweise           keit im Straßenverkehr mit evtl. verlängerten Bremswe-
       ist ein Beschäftigungsdrang zu finden, eine ziel- oder rastlose      gen) Beeinträchtigungen zu finden. Weitere Merkmale
       Getriebenheit, vieles anfangen und nichts zu Ende bringen           sind Energielosigkeit, reduzierte Aufmerksamkeit, rastlose
       können. Auf der anderen Seite sind die Betroffenen klagsam,         Unruhe, Hilflosigkeit sowie rasche Überforderung.
       anklammernd bis „nervend“, ggf. ungehaltene bzw. krän-
       kende Reaktionen provozierend, was wiederum die Selbst-
       tötungsgefahr erhöhen kann.

08 l
Depressionen erkennen und behandeln: Eine Hilfe zur Selbsthilfe
Entscheidungsunfähigkeit:                                        Gefühl der „Inneren Leere“:
Dies äußert sich darin, dass die Betroffenen unschlüssig,        Damit ist das Absterben aller Gefühle bzw. eine Gefühllosig-
entschlussunfähig, hin und her gerissen sein können, alles bis   keit gemeint. Es erscheint alles so leer, abgestumpft, dumpf,
zum Ende durchdenken wollen oder müssen. Dabei kommen            ausgebrannt und belastend. Häufig wird dies auch mit
sie nie zum Ende, wiegen ängstlich alle Möglichkeiten ab und     „körperlich traurig“ oder „wie tot“ zu sein umschrieben.
sind damit ziellos. Es kann zu fruchtlosen Diskussionen kom-
                                                                 Glaubensverlust:
men, die zu keiner Entscheidungsfindung beitragen und/oder
                                                                 Hierbei tritt ein Nachlassen der religiösen Glaubensfähigkeit
die Entscheidungsunfähigkeit verbergen sollen. Letztendlich
                                                                 auf (z.B. Gebet, Kirchgang, Beichte, Sakramente usw.) bis hin
ist dies demotivierend und zermürbend für Angehörige und
                                                                 zu einer völligen Glaubensunfähigkeit, was insbesondere von
Mitarbeiter.
                                                                 gläubigen Menschen als sehr qualvoll erlebt wird.
Schuldgefühle:
                                                                 Depressiver Wahn:
Hierbei kommt es zu einer Überbewertung früherer oder ak-
                                                                 Unter Wahn versteht man eine krankheitswertige Fehl-
tueller Ereignisse (meist geringfügige bis lächerliche Dinge),
                                                                 beurteilung der Wirklichkeit, wobei Wahnphänomene nicht
die häufig maßlos überzogen oder grundlos sind. Die schuld-
                                                                 nur im Rahmen einer Schizophrenie zu finden sind, sondern
hafte Verarbeitung führt zu dem Eindruck, nichts zu können
                                                                 auch bei der sog. endogenen Depression auftreten können.
und ein Versager zu sein, was ggf. zu Versündigungsideen
                                                                 Der Wahn muss hierbei der depressiven Herabgestimmtheit
oder Selbstanschuldigungen ohne objektiven Grund führen
                                                                 entsprechen. Dies äußert sich insbesondere im depressiven
kann. Das kann zu erheblichen Verunsicherungen in der Part-
                                                                 Verarmungswahn, hypochondrischen Wahn, im nihilistischen
nerschaft, Familie, Beruf o.Ä. führen.
                                                                 Wahn („Ich bin ein Nichts.“ lat.: nihil = nichts), im Versündi-
Beziehungsstörung:                                               gungswahn, in wahnhaften Fehldeutungen usw.
Aufgrund der stimmungsmäßigen Schwingungs- und Erleb-
                                                                 Als Unterscheidungsmerkmal zwischen einem schizophrenen
nisfähigkeit ist ein Verlust zwischenmenschlicher Beziehun-
                                                                 Wahn und dem depressiven Wahn dient der sog. „Zeiger der
gen zu befürchten oder es tritt ein Gefühl der Leere zu an-
                                                                 Schuld“, der bei der Depression meist auf sich selbst, bei der
deren Menschen auf. Dies spiegelt sich im Nachlassen von
                                                                 Schizophrenie vorrangig auf die Umwelt zeigt.
Interesse, Zuneigung, Mitleid, Liebe usw. für Menschen, Tiere
oder Dinge wider, die vorher eine individuelle Bedeutung für
die Betroffenen hatten oder wofür sie sich früher interes-
sierten. Dabei kann sich die Distanz zur Umwelt sehr ausbrei-
ten. Andererseits kann sich aus Furcht vor dieser Entwicklung
eine überzogene Anspruchshaltung in Bezug auf mögliche
Zuwendung, Liebe, z.T. mit jammerndem, vorwurfsvollem
Ton herausbilden.

                                                                                                                                   l 09
Depressionen erkennen und behandeln: Eine Hilfe zur Selbsthilfe
Die verschiedenen Formen sollen nun kurz im Einzelnen skizziert werden:

        Verarmungsidee:                                                  Paranoide Fehldeutung:
        Hierunter werden Äußerungen verstanden, nichts vorwei-           Das Auftreten von wahnhaften Beziehungsideen mit Angst
        sen zu können, nichts zu haben, durch die Krankheit nur          vor übler Nachrede wird hierunter zusammengefasst. Dies
        Geld zu kosten, die Familie der Not auszusetzen usw. Diese       kann zu einem verstärkten Misstrauen und ratloser Ängst-
        Verarmungsideen können sich bis zum Verarmungswahn               lichkeit führen. Manchmal können auch Verfolgungsideen
        ausdehnen.                                                       auftauchen. Im Vordergrund stehen jedoch die Furchtsam-
                                                                         keit und die gedrückte Stimmung, weniger das reizbare
        Hypochondrische Befürchtungen /                                  und aggressive Auftreten, wie es bei manchen paranoiden
        hypochondrischer Wahn:                                           (wahnhaften) Symptomen von Schizophrenen zu finden
        Dabei kommt es zu einer Überschätzung vorhandener und /          ist.
        oder zu unkorrigierbaren Befürchtungen, nicht nachweis-
        barer seelischer, aber vor allem körperlicher Beschwerden.       Weitere Wahrnehmungsstörungen:
        Am häufigsten sind überbesorgte, ängstliche Einstellungen         Andere Formen der Wahrnehmungsstörungen können
        mit monotoner Schilderung und Klagen zu finden.                   Überempfindlichkeit auf Geräusche und Licht, Änderung
                                                                         der Geruchs- und Geschmackswahrnehmung, aber auch
        Schuld- und Versündigungswahn:                                   ein herabgesetztes Hörvermögen bzw. kein normaler
        Die Betroffenen erleben sich schuldig am eigenen Zustand,        Geruchs- und Geschmackssinn sein.
        an fremder Not bzw. an früheren oder bevorstehenden
        Katastrophen u.a.                                                Leibgefühlsstörung (coenästhetische Störung):
                                                                         Abnorme, schwer beschreibbare Körperempfindungen sind
        Sinnestäuschungen:                                               hierunter zu verstehen (z.B. Bewegungs-, Zug- und Druck-
        Darunter versteht man gelegentliche Halluzinationen              gefühl im Körper oder an der Körperoberfläche, Hitze- und
        (Trugwahrnehmung), die jedoch ebenfalls der depres-              Kälteempfindungen, Taubheits- und Steifigkeitsgefühl,
        siven Stimmung angepasst sind (z.B. schuldhaft gefärbt,          umschriebene Schmerzen, wandernde Missempfindungen,
        ängstlich-schwermütig). Meistens treten akustische Sin-          eigenartige Raumsinn- und Gleichgewichtsstörungen).
        nestäuschungen auf im Sinne von Stimmen hören (z.B.
        „innere Stimme, inneres Gewissen“), die überwiegend              Zeitempfindungsstörungen:
        besorgt, mahnend, anklagend oder diffamierend sein kön-          Für die Betroffenen zieht sich die Zeit endlos lang und
        nen. Es sind aber auch optische oder auch Geruchshalluzi-        will nicht enden = Zeitdehnung. Das Gegenteil ist bei der
        nationen möglich.                                                manischen Hochphase zu finden, indem sich alles viel zu
                                                                         schnell vollzieht = Zeitraffung.
        Entfremdungserleben:
        Hierunter fallen Depersonalisation („Ich bin nicht mehr ich.“)   Mangelndes Krankheitsgefühl:
        und Derealisation („Alles wirkt fremd, abgerückt, irreal.“)      Trotz massiver Beeinträchtigungen haben die Betrof-
                                                                         fenen häufig keine Krankheitseinsicht (insbesondere bei
                                                                         Schuldgefühlen, Schuldwahn, hypochondrischem oder
                                                                         nihilistischen Wahn). Die eigene Erkrankung ist eher Ge-
                                                                         genstand von Selbstvorwürfen und es wird eine Strafe von
                                                                         „oben“ erwartet. Folglich wird oft jegliche Behandlung
                                                                         abgelehnt unter dem Motto „Ich bin schuld und nicht
                                                                         krank“.

10 l
Lebensüberdruss und Selbsttötungsgefahr:
Bei einigen Betroffenen kann diese schwer belastende
Lebenseinstellung bis zu einer Ablehnung des Lebens
führen und Todeswünsche aktivieren, die auch von der
Zukunft oder Therapieergebnissen abhängig gemacht
werden. Dabei kann eine Äußerung wie „Wenn man
mir nicht helfen kann, ist meine letzte Möglichkeit, mir
das Leben zu nehmen“ auftreten. Meist besteht davor
der Wunsch nach Abstand, Ruhe, Vergessen, Schlaf usw.
„Am liebsten würde ich einschlafen und wenn ich nicht
mehr aufwache, ist es auch nicht schlimm.“ Zuletzt treten
konkrete Selbsttötungsgedanken auf wie „Ich kann mich
ja umbringen“ oder gar gezielte Handlungen; „Lasst mich
gehen, ich werde mich umbringen und ich weiß auch
schon wie“. Die ausgeführte Handlung kann mit und
ohne Ankündigung erfolgen.

An dieser Stelle sei nochmals auf die Schwere der Er-
krankung hingewiesen, da die Anzahl der Selbsttötung
höher liegt, als wir glauben und somit die Brisanz auch
depressiver Erkrankungen verdeutlicht.

Abschließend gilt festzuhalten, dass die Selbsttötung
in der Gegenwart so ziemlich die letzte Freiheit ist, die
wir über uns haben!! Dieser Schritt erscheint vielen de-
pressiven Menschen ein Ausweg aus ihrer eben gerade
ausweglos erscheinenden Situation zu sein, wenn alle
Hoffnung verloren gegangen ist. Hier sind Psychothera-
peuten stark gefordert, die Betroffenen vor dieser Han-
dlung zu schützen, was auch teilweise die Einweisung in
eine Klinik bedeuten kann, wenn erhebliche Gefahr für
die eigene Person besteht.

Die Einweisung in eine Klinik gegen den eigenen Willen
bedeutet jedoch einen massiven Eingriff in die Persönlich-
keitsrechte mit all den sich daraus ableitenden Schwierig-
keiten. Dieser Schritt kann für Betroffene aber auch eine
Chance bedeuten, indem alle therapeutischen Bemühun-
gen darauf gerichtet sind, depressive Menschen wieder
in das Leben zurückzuführen und ihr Interesse am Leben
wieder zu wecken!!!

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Körperliche Merkmale einer Depression

       Die körperlichen Symptome der Depression ähneln den Be-
       schwerden, wie sie auch bei organischen Ursachen zu fin-
       den sind. So treten z.B. häufig Kopf-, Magen-, Rücken- oder
       Herzschmerzen auf, werden aber eher vage, diffus und als
       schwer beschreibbar dargestellt. Die Beschwerden können
       wechseln und wandern. Häufig ist auch eine Kombination
       eines körperlichen Beschwerdebildes mit einer Depression zu
       finden, indem sich „körperliche Schwachstellen“ bei Verstim-
       mungen eher mit den entsprechenden Symptomen bemerk-
       bar machen. Dadurch verstärkt sich gleichzeitig das körper-
       liche Leiden (z.B. Kopfschmerzen, Kreislaufbeschwerden,
       Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden, Magenschmerzen
       usw.).

       Oft wird die Depression aufgrund der im Vordergrund stehen-
       den körperlichen Beschwerden ausschließlich organisch be-
       handelt, obwohl ein depressives Leiden vorliegt. Wir sprechen
       dann von einer sog. lavierten Depression (lat.: larva = Maske).
       Leider wird diese Form der Depression erst spät erkannt und
       kann somit lange nicht konsequent behandelt werden. Es
       sollte bei der Diagnostik nicht nur auf körperliche Symptome
       geachtet werden, sondern auch nach Funktionsstörungen im
       seelischen und zwischenmenschlichen Bereich gesucht wer-
       den. Können Betroffene nicht offen über diesen Beschwer-
       dekomplex berichten oder verleugnen sie ihre seelischen
       Krankheitsanzeichen, erschwert dies zusätzlich die richtige
       und frühzeitige Diagnose.

       Häufig beharren die Betroffenen ausschließliche auf das Vor-
       liegen einer organischen/körperlichen Erkrankung, wodurch
       sich der Leidensweg erheblich verlängern kann. Besonders
       bei Männern werden psychische Beeinträchtigungen als
       Schwäche bewertet und folglich nicht als Krankheit erkannt.

12 l
An körperlichen Beschwerden können folgende Symptome auftreten:

Schlafstörungen:                                                Kreislaufstörungen:
Häufig sind Ein- und Durchschlafstörungen sowie ein mor-         Im Zusammenhang mit körperlichen Beschwerden werden
gendliches Früherwachen. Kurze Schlafphasen werden oft          häufig Schwindel, ein Flimmern vor den Augen, weiche Knie
als unruhig und mit schlechten Träumen belastet erlebt. Es      (wie auf Watte laufen) bis hin zu Gehstörungen mit Fallnei-
kommt zu häufigem Erwachen. Schlafstörungen gehören zu           gung beschrieben. Diese Symptome treten auch bei Angst-
frühen Anzeichen einer Depression. Manchmal ist auch ein        störungen auf, sodass manchmal eine Verwechslung möglich
gesteigertes Schlafbedürfnis zu finden, was aber meist eher      ist. Die Angststörung ist durch die Kernsymptome Schwin-
eine „Flucht ins Bett“ mit sinnlosem Grübeln und Angst vor      del, Benommenheitsgefühl, weiche Knie oder Beine, Zittern,
den alltäglichen Anforderungen beinhaltet.                      Schwanken usw. charakterisiert. Der Unterschied besteht
                                                                darin, dass bei der Angststörung zusätzlich eine Furchtsam-
Appetitstörungen:
                                                                keit und ein Gefühl der Schwäche vorliegen, während bei der
Es kann zu einer Appetitlosigkeit mit relativ schnellem Ge-
                                                                Depression eine Herabgestimmtheit sowie Freudlosigkeit und
wichtsverlust kommen. Gelegentlich ist aber auch eine Appe-
                                                                ein allgemeines Elendigkeitsgefühl überwiegen. Natürlich ist
titzunahme möglich, was bis zu Heißhungeranfällen (vor al-
                                                                auch eine Kombination beider Störungsbilder möglich.
lem auf kohlenhydratreiche Kost z.B. Teigwaren, Süßigkeiten)
führen kann. Insbesondere die sog. Winterdepression in der      Magen-Darm-Beschwerden:
dunklen Jahreszeit ist von einer Zunahme des Appetits gekenn-   Hier stehen Übelkeit, Brechreiz, Erbrechen, Völlegefühl, Bläh-
zeichnet.                                                       ungen, Magendruck, Sodbrennen, Aufstoßen, krampfartige
                                                                Magen-Darm-Beschwerden, wechselnder diffuser Bauch-
Atmung:
                                                                schmerz, Verstopfung oder Durchfall usw. im Vordergrund.
Die Beschwerden können von einem Gefühl der Enge auf der
Brust, Druck auf der Brust, Atemenge, Atemnot, Lufthunger,      Muskulatur / Skelettsystem:
abgeflachte Atmung usw. bis hin zu einem seelisch bedingten      Betroffene klagen oft über muskuläre Verspannungen im
Reizhusten reichen.                                             Kopf-Schulter-Nacken-Bereich, an Armen und Beinen. Eben-
                                                                so treten sehr häufig Rückenschmerzen, Nackenbeschwer-
Kopfdruck:
                                                                den, Gelenk- und Muskelschmerzen auf, die teilweise exakt
Hierbei handelt es sich meist um einen diffusen Kopfschmerz,
                                                                festlegbar, aber auch diffus oder wandernd auftreten.
gelegentlich auch begrenzt auf oder über den Augen bzw. ein
Helm- oder Schraubstockgefühl. Diese Beschwerden sind fast      Augen:
immer mit Muskelverspannungen im Kopf-Schulter-Nacken-          Oft wird über falsche oder nicht ausreichende Sehkorrektur
Bereich verbunden.                                              geklagt. Ebenso treten chronische Entzündungen der vorde-
                                                                ren Augenabschnitte, schlechtes Sehen ohne objektivierbaren
Hals-Nasen-Ohren-Bereich:
                                                                Befund auf. Es sind sogar Doppelbilder und Augenmuskel-
Betroffene beschreiben häufig ein Kloß- oder Würgegefühl
                                                                abweichungen möglich. Eine Lichtempfindlichkeit wird eben-
im Hals (wie zugeschnürt). Weiterhin können ein Druckge-
                                                                falls oft beschrieben.
fühl auf den Ohren, Ohrgeräusche (z.B. Klingeln, Sausen,
Ohrenschmerzen, Verminderung des Hörvermögens ohne or-          Zahnbereich:
ganischen Befund (verstärkt bei vorbestehenden Hörschäden)      Es kann zu Zahnschmerzen ohne auffälligen Befund kommen.
auftreten. Häufig wird auch eine Geräuschüberempfind-             Oft wird über schlecht sitzenden Zahnersatz trotz mehrfacher
lichkeit beschrieben.                                           Überprüfungen geklagt.

Herzbeschwerden:                                                Blasenstörungen:
Vorrangig kommt es zu Schmerzen und Missempfindungen             Schmerzen beim Wasserlassen, häufiger Harndrang, Harn-
in der Herzgegend (z.B. Herzrasen, Herzklopfen, Herzstechen     träufeln, Ziehen oder Druckgefühl in der Blase sind möglich.
„Herzschlag bis zum Hals“ usw.). Diese teilweise als Herz-
attacken erlebten Beschwerden treten bevorzugt nachts
und / oder zu Beginn einer depressiven Phase auf.

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Allgemeine Missempfindungen:
       Hierunter sind Symptome wie Ziehen, Reißen, Stechen
       von Nadeln, Kribbeln, „dumpfes Gefühl“, teils diffus, teils
       örtlich oder wandernd, Unruhe- oder Schweregefühl in
       den Beinen, schwerer lastender Gang bis hin zum schlur-
       fenden Gang zusammengefasst.

       Haut und Schleimhäute:
       Hier sind insbesondere Brennen der Zunge, unangeneh-
       mer Geschmack, Mundgeruch, Trockenheit der Nase (bis
       hin zu Verschorfung mit Nasenbluten) sowie im Mund-
                                                                     Allgemeiner Eindruck
       und Rachenbereich (bereits vor der Behandlung mit Anti-
       depressiva) zu nennen. Weiterhin können Trockenheit
                                                                     Stimme:
       der Scheidenschleimhaut mit Beschwerden beim Sexual-
                                                                     Die Stimme ist oft leise, eintönig und wenig moduliert, oft
       verkehr, unklarer Juckreiz in der Scheide, verminderte
                                                                     verlangsamte Sprache.
       Hautspannung mit trockener und blasser Haut (um Jahre
       gealterte Haut) sowie eine Hautüberempfindlichkeit             Gesichtsausdruck:
       auftreten.                                                    Dieser ist meist ernst, wirkt welk und müde, teilweise wie
                                                                     erstarrt (vorgealtert).
       Tränen- und Schweißsekretion:
       Betroffene beklagen oft ein Versiegen der Tränensekre-        Augen:
       tion, was zu einem glanzlosen und verschleierten Blick        Sie sind glanzlos mit mattem, resignativem und verschleiertem
       führen kann („tränenlose Trauer“). An dieser Stelle sei       Blick. Oft verstärkt sich die Oberlidfalte oder tritt erstmals auf
       darauf hingewiesen, dass die Fähigkeit zum Weinen ein         und sie legt sich wie ein Vorhang über das Auge. (Dies ist
       gutes Zeichen ist, da hierdurch der „Gemütspanzer“ auf-       bei alten Menschen normal, wenn die Hautspannung nach-
       geweicht worden ist und der Betroffene durch Weinen           lässt.)
       eine Erleichterung erleben kann. Weiterhin kann eine
                                                                     Haare:
       verminderte Schweißsekretion auftreten. Es ist aber auch
                                                                     Sie sind oft spröde, glanzlos, struppig, ggf. auch Haarausfall
       eine örtliche oder auf den ganzen Körper bezogene, teil-
                                                                     Bewegung: Der Bewegungsablauf wirkt kraft- und schwung-
       weise anfallartig auftretende erhöhte Schweißsekretion
                                                                     los, matt, schleppend und vornübergebeugt („Bild des Jam-
       möglich. Dies tritt insbesondere nachts und zu Beginn
                                                                     merns“)
       einer depressiven Phase auf.

       Vegetatives Nervensystem:                                     Die häufigsten körperlichen Symptome sind:
       Betroffene beschreiben oft vegetative Symptome in Form
       von Hitzewallungen und Kälteschauern, Zittern, leichtes       reduzierte Vitalität:
       Erröten („hektische Flecken“), kalte Arme, Hände, Beine       Die Betroffenen fühlen sich energie- und kraftlos, sind schnell
       oder Füße, Temperaturüberempfindlichkeit, Blutdruck-           erschöpft und erleben sich leistungsunfähig.
       schwankungen usw.
                                                                     Appetitstörungen:
       Sexualität:                                                   Oft werde Gewichtsveränderungen (ab- oder zunehmen)
       Meist ist ein Desinteresse zu verzeichnen. Später kön-        sowie Verdauungsstörungen (meist Verstopfung) beschrie-
       nen Libido- und Potenzstörungen (Erektionsstörungen,          ben.
       Frigidität) hinzukommen. Häufig sind sexuelle Störungen
                                                                     Schlafstörungen:
       eine der ersten und auch zuletzt zurückgehenden Symp-
                                                                     Die Betroffenen beschreiben oft Ein- und Durchschlafstörun-
       tome. Hierzu zählen auch unklare Genitalbeschwerden,
                                                                     gen sowie ein frühzeitiges Erwachen. Häufig wird auch ein
       Menstruationsstörungen bis zum Ausbleiben der Mens-
                                                                     Morgentief mit abendlicher Stimmungsaufhellung beschrie-
       truation.
                                                                     ben.

                                                                     Sexualstörungen:
                                                                     Die Betroffenen klagen über Impotenz oder Frigidität, auch
                                                                     andere sexuelle Störungen sind möglich.

                                                                     Störungen des Leibesgefühls:
                                                                     Hierunter versteht man ein Enge- oder Druckgefühl ohne or-
                                                                     ganischen Befund.

14 l
Zwischenmenschliche, familiäre, berufliche u.a. Folgen

Häufig führen erst die körperlichen Symptome im Zusammenhang mit einer Depression die Betroffenen zum Arzt, wobei schon
vorher meist seelische Beeinträchtigungen als erste Anzeichen einer depressiven Störung zu verzeichnen sind. Die sich daraus
ableitenden zwischenmenschlichen, familiären und beruflichen Folgen lassen meist nicht lange auf sich warten, werden aber in
diesem Zusammenhang nicht als Krankheit akzeptiert. Es werden andere Erklärungen für die festzustellenden Beeinträchtigun-
gen (z.B. Stress, besondere Belastungen, Überforderung usw.) herangezogen. Diese Muster sind zwar nicht günstig im Sinne
einer frühzeitigen Behandlung, aber nachvollziehbar. Die Betroffenen suchen meist erst einen Arzt auf, wenn sie feststellen müs-
sen, dass es mehr zu sein scheint, als eine alltägliche Überlastung. Dieses problematische Verhalten ist meist bei Betroffenen zu
finden, wenn sie erstmals an einer Depression erkranken. Aber auch Betroffene, die bereits mehrere depressive Phasen hatten,
verdrängen meist die frühen Warnsymptome und versuchen sogar noch bei sehr ausgeprägter Symptomatik ihren gewohnten
Alltag aufrecht zu erhalten.

Zwischenmenschliche Probleme:                                      Die am meisten geäußerten Sorgen depressiver
Die Betroffenen bemerken eine Minderung ihrer Kontakt-             Menschen im zwischenmenschlichen Bereich las-
fähigkeit bei jedoch unverändert vorhandenem Wunsch nach           sen sich wie folgt darstellen:
Kontakt. Hierin besteht die Gefahr der emotionalen Verein-
samung, des Rückzugs aus der Umwelt, des Abbruchs von                Versagensangst, abnehmende Leistungsfähigkeit bis hin
alten und wichtigen Beziehungen sowie die Unfähigkeit,               zur Leistungsunfähigkeit im Sinne von „Nichts können“
neue Beziehungen und Kontakte zu knüpfen. Es steht hierbei           bzw. „Nichts leisten“.
also die Isolation im Vordergrund. Es können auch weitere
                                                                     Minderwertigkeitsgefühle, abnehmendes Selbstwertgefühl
Probleme hinzukommen, die Auswirkungen auf die Umge-
                                                                     bis hin zum Kleinheitsgefühl im Sinne von „nicht gemocht
bung haben (z.B. Vernachlässigung von Kleidung und Körper-
                                                                     oder nicht geliebt werden“.
pflege, Unzuverlässigkeit u.v.m.).
                                                                     Selbstvorwürfe, Selbstanklage, Schuldgefühle, nicht alles
Berufliche Probleme:                                                  versucht zu haben. Häufig treten in diesem Zusammen-
Betroffene beschreiben häufig ihr Unvermögen, mit alltäg-             hang negative Gedanken wie „Ich kann nichts, ich bin
lichen Aufgaben und bisher problemlos bewältigten Schwie-            nichts, keiner mag mich, ich bin schuld an meinem Zu-
rigkeiten fertig zu werden. Teilweise können die einfachsten         stand“ auf.
Alltagsverrichtungen nicht erledigt werden oder es kostet
ungewohnt viel Mühe oder lange Anlaufzeit. Besondere               Diese vernichtenden Selbstaussagen und Selbst-
Schwierigkeiten ergeben sich dabei, eine Tätigkeit zu be-          beschuldigungen werden noch erschwert durch
ginnen und durchzuführen. Sogar automatisierte Fertig-             typische Einstellungen vieler depressiver Men-
keiten und Routineaufgaben können zu unüberwindbar                 schen:
erscheinenden Problemen werden. Ausgeprägte Probleme
treten dann auf, wenn neue und ungewohnte oder uner-                 Hilflosigkeit:
wartete bzw. schwierige Aufgaben zu verrichten sind, bei             „Ich kann an meiner Situation nichts ändern.“
Mehrfachbelastung, Arbeit unter Zeitdruck oder bei schnell
wechselnden Anforderungen. Hierbei wird der Leistungsab-             Hoffnungslosigkeit:
fall deutlich wahrgenommen. Die Folgen können Irritation,            „Nichts wird sich mehr verbessern.“
Verärgerung, demütigende Aussprachen, unnötige Ausein-
andersetzungen, Belastungen in Familie und Betrieb, Gefahr
der Versetzung, Herabstufung oder sogar der Verlust des Ar-
beitsplatzes sein.

                                                                                                                                    l 15
02 Die verschiedenen Formen von Depressionen und ihre Ursachen

       Depressive Episoden

       Unter einer depressiven Episode versteht man eine gewisse Anzahl von Symptomen, die typisch für eine Depression sind,
       die über einen längeren Zeitraum vorhanden sein müssen und nicht durch andere Erkrankungen bzw. Umstände zu erklären
       sind. Durch den Verlauf (einmalige Episode, rezidivierende Episoden), die Schwere (leicht, mittel, schwer) sowie die besondere
       Ausprägung der Symptomatik lassen sich verschiedene Untergruppen der depressiven Episode unterscheiden. Die Anzahl der
       vorhandenen Symptome sagt etwas über die Schwere der Depression aus, wobei v.a. die damit verbundenen Funktionsein-
       schränkungen wichtig sind.

       Bei einer leichten depressiven Episode erleben die Betroffenen    Eine depressive Episode kann auch als Folge eines belastenden
       zwar Beeinträchtigungen im Beruf und sozialem Umfeld, ge-         Ereignisses (z.B. Todesfall-Trauerreaktion, Wohnortwechsel –
       ben aber die allgemeinen Aktivitäten nicht vollständig auf.       sog. „Umzugsdepression“, Verlust des Arbeitsplatzes, Diag-
       Bei einer mittelgradigen depressiven Episode können die           nose einer anderen Erkrankung, Scheidung usw.) auftreten.
       Betroffenen nur unter großen Schwierigkeiten ihre sozialen,       In diesen Fällen spricht man von reaktiven depressiven Ver-
       häuslichen und beruflichen Aktivitäten fortsetzen. Die schwe-      stimmungen (reaktive Depression o.Ä.). Im Allgemeinen klingt
       re depressive Episode beschreibt ein Krankheitsbild, bei wel-     diese Form der Depression nach einer gewissen Phase der An-
       chem der Betroffene mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht       passung an die neuen Lebensumstände wieder ab, sie kann
       mehr in der Lage ist, seinen Verpflichtungen nachzugehen           aber auch in eine chronische Form übergehen, wenn nicht
       bzw. er kann dies nur in sehr begrenzten Umfang tun.              entsprechende Bewältigungsmöglichkeiten etabliert werden
                                                                         können.
       Alle drei Formen können einmal aber auch wiederholt
       auftreten. An eine depressive Phase kann sich auch eine           Depressive Episoden klingen im Allgemeinen bei adäquater
       Phase mit gehobener Stimmung anschließen. Dies wird dann          Behandlung nach einer gewissen Zeit wieder ab und die Be-
       als bipolare Störung bezeichnet. Die meisten Betroffenen          troffenen erleben keine Beeinträchtigungen mehr aufgrund
       erleben jedoch nur eine depressive Phase, wobei nach Ver-         ihrer vorherigen depressiven Stimmung. Sie können aber auch
       besserung der Stimmung einige Betroffene eine euphorische         einen chronischen Verlauf annehmen, wenn sich im Rahmen
       Stimmung bei sich feststellen, was jedoch eher Hinweis für        einer depressiven Phase eine innere Fehlhaltung entwickelt,
       das Abklingen der depressiven Phase anzusehen ist. Die weit-      die es dann wiederum schwer macht, sich den positiven und
       aus häufigste Form der depressiven Störung ist die einmalige       angenehmen Dingen des Lebens zuzuwenden.
       depressive Episode.

       Eine weitere Spezifizierung ergibt sich durch das jahreszeitlich
       gebundene Auftreten von depressiven Episoden (sog. „Win-
       terdepression“ bzw. „saisonal abhängige Depression“) und
       das Auftreten der Depression im engen zeitlichen Zusam-
       menhang mit der Geburt eines Kindes („Postpartale Depres-
       sion“). Diese Formen der Depression lassen eine biologische
       Ursache vermuten, sodass hier auch dringend ein antidepres-
       siv wirkendes Medikament (Antidepressivum) eingenommen
       werden sollte. Dies gilt im Übrigen auch für mittelgradige
       bzw. schwere depressive Episoden, da die körperlichen und
       psychischen Beeinträchtigungen so stark sind, dass psycho-
       therapeutische Maßnahmen erst zeitlich verzögert zum Ein-
       satz kommen können, bzw. aufgrund von Konzentrations-
       störungen usw. noch nicht wirken können.

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