Depressionen erkennen und behandeln: Eine Hilfe zur Selbsthilfe
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Depressionen erkennen und behandeln: Eine Hilfe zur Selbsthilfe MediClin Klinik für Akutpsychosomatik MediClin Reha-Zentrum am Hahnberg Bad Wildungen Fachklinik für Psychosomatik und Psychotherapie Fachklinik für Konservative Orthopädie Prävention l Akut l Reha l Pflege
Inhalt Einleitung l 03 01 Beschreibung des Krankheitsbildes l 05 01 Allgemeines l 05 01 Wenn Verstimmung zur Depression wird l 06 01 Psychische Merkmale einer Depression l 07 01 Körperliche Merkmale einer Depression l 12 01 Zwischenmenschliche, familiäre, berufliche u.a. Folgen l 15 02 Die verschiedenen Formen von Depressionen und ihre Ursachen l 16 01 Depressive Episoden l 16 01 Dysthymia – Depressive Entwicklung – Chronische Depression l 17 01 Organisch bedingte Depression l 17 03 Häufigkeit, Risikofaktoren, Verlauf und Prognose l 18 01 Häufigkeit und Risikofaktoren l 18 01 Verlauf und Prognose l 19 01 Folgekrankheiten (Komorbidität) l 19 04 Hilfreiche Strategien gegen Depressionen l 20 01 Psychotherapeutische Behandlung der Depression l 20 01 Psychotherapeutische Verfahren l 21 01 Medikamentöse Behandlung der Depression l 22 01 Hinweise für Familie und Freunde l 24 01 Weiterführende Behandlungsmöglichkeiten der Depression l 26 05 Kognitive Verhaltenstherapie l 27 01 Allgemeine Aspekte l 27 01 Zusammenhang zwischen Stimmung - Denken - Fühlen l 27 01 Wieder aktiv sein l 28 01 Verbesserung sozialer Kompetenzen l 28 01 Verbesserung der partnerschaftlichen Kommunikation l 29 01 Kognitive Methoden l 30 01 Gruppentherapie l 31 01 Rückfallprophylaxe l 32 01 Effektivität der Behandlung l 32 Literatur l 33 © MediClin (10 / 132) Stand: Januar 2012 Z / Öffentlichkeitsarbeit, Offenburg Text: MediClin Klinik für Akutpsychosomatik am Hahnberg / MediClin Reha-Zentrum am Hahnberg, Bad Wildungen Satz und Layout: Tine Klußmann, www.TineK.net
Einleitung Eines Tages kamen Fremde an die Kreuzung und fragten die junge Frau, was sie denn hier mache. »Ich bin unterwegs zum Meer«, gab sie Auskunft, »aber Als Einstimmung in die Thematik soll ein Mär- mein Weg endet hier. Nun weiß ich nicht, welche Richtung chen für Erwachsene von Roland Kübler die- ich wählen soll.« nen und vielleicht schon an dieser Stelle zum »Dann komm doch mit uns,« sagten die Fremden, »wir sind Nachdenken anregen. unterwegs in eine Stadt, die nur einige Stunden von hier entfernt ist.« Die große Wegkreuzung (Roland Kübler) Aber die junge Frau wollte ans Meer, im warmen Sand sitzen, sich von der wilden Kraft der Wellen umschäumen „Seit unendlichen Zeiten zieht die Erde ihre Bahn lassen und den salzig frischen Atem des Meeres auf ihren um die Sonne, empfängt Wärme und Licht. Und der Lippen spüren. Mond umkreist die Erde, spendet seine silbernen Sie bedankte sich bei den Fremden für das Angebot und Strahlen, hebt und senkt die Meere. blieb weiter auf ihrer Wegkreuzung sitzen. Wieder saß sie Hoch oben in den Bergen wuchs ein Kind auf. Spielte lange Zeit allein und konnte sich für keinen der Wege ent- sich in der klaren Luft und auf sattgrünen Wie- scheiden. sen zur jungen Frau. Packte eines Tages ihr kleines Viele Tage später kam ein einsamer Wanderer und setzte Bündel und sagte zu Vater und Mutter, dass sie ge- sich zu ihr. Lange Zeit saß er bei ihr und erzählte, was er hen wolle, um das Meer zu sehen. Denn während alles erlebt hatte auf seiner Wanderschaft, wo er überall ge- ihrer ganzen Jugend hatte sie sich nichts sehnlicher wesen war, und was er alles erfahren hatte. Er aß mit der gewünscht, als einmal auf den Lippen den salzigen jungen Frau Brot und trank mit ihr Wein. Oft saßen sie noch Atem des Meeres spüren zu können. zusammen, um die Sonne hinter den Bergen versinken zu Die junge Frau ging den vertrauten Weg hinab ins sehen. Und irgendwann fragte er sie, ob sie nicht mit ihm Tal. Aber sie hielt nicht in jenem kleinen Dorf, in kommen wolle. Er sei unterwegs zu einem Wald ganz in der dem sie immer ihre Milch verkauft hatte. Sie hielt Nähe, um dort zu jagen. Aber die Frau auf der Wegkreu- auch nicht bei der kleinen Sennerhütte, wo sie als zung sagte auch ihm, dass sie nicht in den Wald, sondern Kind jedes Mal einige Süßigkeiten und eine kalte, ans Meer wolle. schaumig gerührte Buttermilch bekommen hatte. Die Wochen vergingen, und mit ihnen wechselten die Sie ging weiter. Weiter als sie je gegangen war an Jahreszeiten. Die Frau saß auf dem Platz zwischen den We- der Hand ihres Vaters. Sie ging, weil sie ein Ziel hat- gen und sah den Wolken nach, die sich übers Gebirge jagten te. Sie wollte ihren Körper im schäumenden Meer und bunte Blüten der Phantasie an den Himmel malten. baden und den salzig frischen Atem dieser endlosen Eines Morgens wurde sie von Fremden geweckt, die unter- Weite auf den Lippen spüren. Und so begleitete wegs zu Bauern waren. Sie fragten, ob sie nicht mitkom- sie die kleinen Bergbäche, die aufgeregt über die men wolle, um bei der Ernte zu helfen. Und weil die Frau Steine sprangen, suchte sich ihren Weg vorbei an schon so lange untätig dort gesessen hatte, entschied sie den wiederkäuenden Kühen hinunter ins Tal. Viele sich, dieses Mal mit den Fremden zu gehen. Sie kamen in ein Menschen traf sie auf ihrem langen Weg. Oft wurde kleines Dorf und den ganzen Herbst half sie, die Ernte einzu- ihr auch abgeraten, weiter zu gehen. Der Weg zum fahren. Es gefiel ihr gut bei den Bauern. Nur eine Sehnsucht Meer sei weit und beschwerlich, wurde ihr gesagt. blieb in ihr und wuchs und wuchs, während der Winter die Aber sie ließ sich nicht beirren. Sie nahm die Gast- Landschaft in stille weiße Träume verpackte. lichkeit dankbar an und ging weiter den Weg, den Sie wollte ans Meer. Und deshalb packte sie an einem klaren sie für sich gewählt hatte, weiter auf dem Weg, der Frühlingsmorgen ihr Bündel und sagte den freundlichen sie zum Meer führen sollte. Bauern, dass sie wieder gehen wolle, denn sie sei unter- Eines Tages, sie war schon sehr müde, kam sie an wegs zum Meer. eine große Wegkreuzung. Der Weg, dem sie bisher gefolgt war, gabelte sich vor einem großen Gebirge in vier Pfade, von denen zwei links und zwei rechts um die Berge herumzuführen schienen. Die junge Frau wusste nicht weiter und setzte sich mitten auf die Kreuzung, um zu rasten, Brot zu essen und Wein zu trinken. So saß sie lange Zeit auf der Erde und konnte sich für keinen der vier Wege entschei- den. Jeder schien ihr ungewiss. 03 l
Danach ging sie ihren Weg zurück, bis sie wieder an die große Der Wind packte ihr langes, graues Haar, zerwühlte es mit Kreuzung kam. Ratlos setzte sie sich. Wenn sie nur wüsste, klammen Fingern und riss an ihrer Kleidung. Sie öffnete den welchen dieser Wege sie wählen sollte, um endlich an das Ziel Mund, um diese Gewalt in sich hinein zu saugen. Erschöpft ihrer Sehnsucht zu kommen. Sehr lange saß sie an der Weg- und keuchend atmete sie gegen den Wind. Und endlich öff- kreuzung, bis nach Wochen eine Frau kam, die unterwegs nete sie ihre Augen und schaute sich um. Der Anblick über- war in ein kleines Dorf. Sie wolle dort ihre Waren verkaufen, wältige sie. Tief unten entdeckte sie, ganz klein jetzt, die erzählte sie und fragte die Frau, ob sie Lust hätte, sie zu Wegkreuzung, auf der sie so lange gesessen hatte. Sie sah die begleiten. Und weil diese wusste, dass sie allein zu keinem vier Pfade, die sich dort unter verzweigten. Der eine führte Entschluss kommen würde, ging sie mit der fremden Frau in in eine große Stadt, direkt auf den Marktplatz und darüber das kleine Dorf. Es gefiel ihr gut dort. Sie half Hemden und hinaus. Der andere schlängelte sich durch einen dichten Hosen nähen und später auf dem Markt zu verkaufen. Aber Wald, nahe an ein kleines Häuschen. Aber auch er endete immer blieb in ihr die Sehnsucht nach dem Meer. dort nicht. Der dritte war ihr bekannt: Er wand sich in das Tal zu den Bauern, denen sie bei der Ernte geholfen hatte, klet- Eines Tages hielt sie es nicht mehr aus. Wieder packte sie terte dann über einige kleine Hügel und führte weiter in eine ihre Habseligkeiten zusammen, verabschiedete sich von der fruchtbare Ebene. Und der vierte traf auf jenes kleine Dorf, in Frau und wanderte zurück an jene Kreuzung. Hier war ihr dem sie Hemden und Hosen geschneidert hatte. Doch auch inzwischen alles schon so vertraut. Sie suchte sich wieder dieser zog durch das Dorf hindurch und weiter. ihren alten Platz und machte es sich gemütlich. Dann saß sie dort, fast unbeweglich, eine lange, lange Zeit. Ihr Haar war Die alte Frau stand auf dem Gipfel des Berges und zitterte. inzwischen dünn und grau geworden. Ihr Rücken beugte sich Die vier Wege trennten sich vor dem Gebirge, umringten es immer mehr unter der Last der sich ständig wiederholenden und näherten sich einander in einer weiten Ebene, vereinigten Jahreszeiten. Noch immer wusste sie nicht weiter, konnte sich sich und setzten ihre Reise fort bis zum Meer, in dem sich weit einfach nicht entscheiden, welchen dieser Wege sie denn entfernt der Horizont zu spiegeln schien. Die alte Frau saß nun wählen solle. Manchmal glaubte sie in stillen, schlaflosen hoch oben auf den Felsen, die vor ihr steil abbrachen und Nächten ein leises, fernes Rauschen zu hören, als ob das Meer dort hinten, jenseits der Ebene, verlor sich ihr suchender Blick sie rufen würde. Und wenn der Nachtwind mit lauem Hauch in die Unendlichkeit des Meeres. Je länger sie schaute, umso von den Bergen strich, vermeinte sie sogar auf ihren Lippen deutlicher glaubte sie, das schäumende Wasser zu sehen. Sie einen zarten salzigen Geschmack spüren zu können. meinte fast, die tosende Kraft der Wellen zu spüren, die weit vor ihr in die zerfurchten Klippen schlugen und zersprangen. Es war eine solche Nacht, als sie sich entschloss, einfach die Aber sie konnte nichts hören, so weit weg stand sie, hoch Berge hinaufzusteigen. Die Wanderung war sehr beschwer- oben auf dem Gipfel und wusste, sie hatte nicht die Kraft lich. Durch beängstigend verwirrende Felsengärten, dichtes zurückzugehen an jene große Wegkreuzung, wo sie so lange Unterholz und über steil abfallende Grate führte ihr Weg nach gesessen hatte. Zurück, um irgendeinen Weg zu wählen, der oben. Höher und höher stieg sie bei ihrer einsamen Wan- sie ans Meer bringen würde. Sie hatte keinen dieser Wege derung. Nachts war es längst nicht mehr so warm wie unten gewählt, war keinen bis zum Ende gegangen. Erst hier, hoch an der großen Wegkreuzung. Sie fror und kauerte sich hilflos oben auf den Felsen, erkannte sie, dass jeder dieser Wege an den nackten, kalten Fels. Manchmal glaubte sie auch, ihre ans Meer geführt hätte. Und plötzlich wusste sie: Niemals Kraft würde nicht ausreichen. Immer schwieriger schien es, in ihrem Leben würde der salzig frische Atem grenzenloser sich die steilen Hänge empor zu quälen, um wieder feststellen Weite ihre Lippen netzten. Und niemals in ihrem Leben würde zu müssen, dass hinter dem eben erklommenen Gipfel der sie das wildschäumende Wasser des Meeres auf ihrem Körper nächste auf sie wartete. Und dann endlich – sie hatte schon spüren.“ Albert-Wybranietz, Körner L., Körner H., Kübler, Steiner, Stiller, fast nicht mehr daran geglaubt – stand sie ganz oben. Streibel: aus „Die Farben der Wirklichkeit“, 2005, Lucy Körner Verlag Sicher werden auch Sie Unsicherheiten kennen, wenn Sie Dabei ist die Behandlung als Hilfe zur Selbsthilfe zu verste- vor einer Entscheidung stehen, welcher Weg für Sie der rich- hen. Eine erfolgreiche Behandlung einer Depression (sowie tige ist. Und gerade bei depressiven Verstimmungen fällt es jeder psychischen Erkrankung) hängt sehr von Ihrer Mitarbeit umso schwerer, Entscheidungen für sich zu treffen. Sie er- ab, da verschiedene Übungen oder auch Veränderungen von halten jedoch nur eine Antwort auf die Frage, welchen Weg Lebensgewohnheiten notwendig sein werden, was jedoch Sie wählen sollen, wenn sie den einen oder anderen auch unter Anleitung und Hilfestellung Ihres Therapeuten er- ausprobiert haben. Bei der Wahl kann Ihnen der Aufenthalt folgt. Somit gilt, dass Psychotherapie nicht nur in den thera- in unserer Klinik behilflich sein. peutischen Sitzungen stattfindet, sondern dass die einzelnen Übungen, therapeutische Aufgaben, Verhaltensexperimente Diese Informationsbroschüre soll Ihnen Anregungen geben, usw. zwischen den einzelnen Sitzungen sehr bedeutsam sind, im Rahmen Ihres Aufenthaltes Ihre depressive Stimmung zu um die notwendigen Veränderungen herbeiführen zu kön- erkennen, zu verstehen und zu bewältigen. nen. Daher gilt auch für die Bewältigung von depressiven Stimmungen unter therapeutischer Anleitung: Handeln – nicht behandeln lassen!
01 Beschreibung des Krankheitsbildes 01 Allgemeines Gegenwärtig wird der Begriff der Depressionen häufig ge- Dies kann zu einem Teufelskreis werden. Hier ist es wichtig, braucht. Auch in den modernen Medien werden Depressionen wieder zu lernen, mit den alltäglichen Gemütsschwankun- immer öfter besprochen, sodass viele Menschen schon einmal gen fertig zu werden und vermehrt zu natürlichen Bewäl- von einer Depression gehört oder diese selbst kennengelernt tigungsmöglichkeiten zu greifen (z.B. Selbstgespräche, haben. In der Gegenwart nimmt die Anzahl der Depressio- Aussprache mit Freunden, körperliche Aktivität, Bürstenmas- nen zu. Dabei ist jedoch eine genaue Diagnostik erforderlich, sage, Wechselduschen, Sauna, Kneippsche Anwendungen, damit nicht jede Alltagsverstimmung als Depression bezeich- genussvolles Essen usw.). Auch Entspannungsverfahren kön- net wird. Dies ist nicht nur eine Übertreibung, sondern kann nen sehr hilfreich sein. Diese sollten jedoch schon erlernt auch verhängnisvolle Konsequenzen haben. Wenn man jede worden sein, bevor man sie braucht, um dann in einer Krisen- Gemütsveränderung mit einer Depression gleichsetzt, wird situation darauf zurückgreifen zu können. Vielleicht lächeln man im Laufe der Zeit eine wirklich krankheitsrelevante und Sie auch an dieser Stelle über die Vorschläge, da sie sehr ba- behandlungsbedürftige Störung nicht mehr abgrenzen kön- nal klingen mögen. Aber erinnern Sie sich an das Märchen nen. Besonders schwierig wird es, wenn die Depression sich am Anfang. Auch hier wäre ein sehr banaler Vorschlag (einen hinter der Maske körperlicher oder zwischenmenschlicher der Wege zu gehen) dienlich gewesen. Vielmehr sind wir ge- Schwierigkeiten verbirgt, was häufig der Fall ist. Deshalb ist neigt, auf Genussgifte, eine verschleißende Lebensführung eine Differenzierung der verschiedenen Gemütszustände er- oder Arzneimittel zurückzugreifen – oder wir erhoffen vom forderlich. Arzt oder Therapeuten eine möglichst schnelle Besserung. Bei Stimmungsschwankungen ist der Arzt aber nicht erforder- Nicht jede Stimmungsschwankung ist als Depression anzuse- lich, sondern jeder selbst mit all seinen Möglichkeiten ist ge- hen, da sie auch allgemeine Möglichkeiten menschlichen Er- fordert. Es gilt also, natürliche Reaktionen auch natürlich zu lebens darstellen. Sie sind also alltäglich. Sie sind oft auf kon- bewältigen. Wir haben das Nutzen unserer Ressourcen jedoch krete Beeinträchtigungen und ihre sozialen bzw. seelischen verlernt, da wir glauben, „alles im Griff“ haben zu müssen, Folgen zurückzuführen (z.B. zwischenmenschliche oder beruf- was selbstverständlich auch für die Gesundheit und Leis- liche Belastungen, körperliches Unwohlsein usw.). Es kann tungsfähigkeit gilt. Die richtige Einstellung beginnt also mit aber auch sein, dass man keine Erklärung für die Verstimmung der Erkenntnis, dass Verstimmungszustände keine Depression finden kann. Jedoch gehören diese Gemütsschwankungen sind und von Ihnen selbst reguliert werden können. zum menschlichen Leben. Andererseits sind wir geneigt, eine gute Stimmung als Selbst- verständlichkeit zu akzeptieren, ohne lange darüber nachzu- denken, warum wir uns gerade gut fühlen. Dies sieht bei ei- ner bedrückten Stimmung ganz anders aus, weil diese als lästig empfunden wird und wir uns damit beschäftigen. Scheinbar haben wir verlernt, mit den alltäglichen Belastungen in unse- rem Leben in eigener Verantwortung zurechtzukommen und auch negative Seiten zu tragen. Anders ausgedrückt gilt, nur wer Kummer kennt, kann auch Freude schätzen. Selbst Traurigkeit, Resignation und Angst haben einen Sinn im Leben. Sie prägen unsere Persönlichkeit und regen zum Nachdenken, zu Offenheit, zur Toleranz usw. an. Wir neigen eher dazu, unangenehme Gefühlsregungen frühzeitig zu unterdrücken (auch durch Medikamente z.B. Beruhigungs- mittel) und angenehme Gefühle künstlich zu erzeugen (z.B. durch Genussmittel, Lebensstil). l 05
Wenn Verstimmung zur Depression wird Auch Trauer ist keine Depression, sondern eine normale Unter einer Depression ist ein Gemütsleiden mit unterschied- Reaktion auf einen Schicksalsschlag oder schwerwie- lichen Ursachen zu verstehen. Sie können „reaktiv“ als Folge genden Verlust. Sie können und dürfen über Dinge eines belastenden Ereignisses (z.B. Misserfolg, Schicksals- trauern, die für Sie einen persönlichen Wert darstellen, schlag, Scheidung usw.) auftreten, aber auch „endogen“ (im auch, wenn dies nach außen unbedeutend erscheinen Körper selbst und nicht durch äußere Einflüsse entstanden) mag. In unserer Leistungsgesellschaft gibt es aber wenig auf biologischer Grundlage, ausgelöst durch ein körper- Raum für Trauer, da sie nicht mehr in unseren Lebens- liches Leiden, vorkommen. Eine Depression äußert sich in stil passt. Sie wird als Belastung empfunden und sollte seelischen, geistigen und körperlichen Symptomen und deshalb möglichst schnell überwunden werden. Dabei hat entsprechende partnerschaftliche, familiäre oder beruf- ist bei Trauer eine sogenannte „Trauerarbeit“ erforder- liche Folgen. lich und diese bedarf eines gewissen Zeitrahmens. Die Trauer verläuft in verschiedenen Phasen. Sie sollten nie- Häufig sind die Beschwerden sehr vielschichtig, sodass die mals versuchen, dem Trauernden die Trauer zu nehmen Störung oft nicht rechtzeitig erkannt wird (auch von den Be- und nie mit den eigenen Maßstäben messen wollen. troffenen selbst). Einige Symptome einer Depression kennt Häufig werden Trauernde nach einer gewissen Zeit der jeder (z.B. Niedergeschlagenheit, Energielosigkeit, Selbst- Schonung als Belastung empfunden. Sie müssen aber zweifel, Wertlosigkeit, Sinnlosigkeit, häufig Ängstlichkeit, ihre Gefühle zeigen können. Es sollten falsche Rat- Unruhe, Erschöpfung usw.). schläge, nutzlose Appelle und leere Redensarten ver- Die Grenzen zur Depression sind fließend. Die Depression mieden werden, da sie keine Hilfe darstellen, sondern ist keine reine Reaktion auf Stress oder Überforderung. Die die Trauerarbeit nur erschweren. Auch sollte nicht ober- Schwelle hierzu ist bereits überschritten. Auch ein Urlaub flächlich getröstet oder der Verlust heruntergespielt bringt häufig nicht die erwünschte Besserung. werden. Viel hilfreicher sind das stille und verständnisvolle Mit- gefühl und Geduld auf lange Sicht. Anteilnahme sollte zeitlich gestreckt werden: nicht unbedingt am Anfang (da kommen alle), Vorsicht ist an Wochenenden, Fei- ertagen und Jahrestagen geboten, da dann häufig die Einsamkeit, Erinnerungen oder Rückblicke kommen. In der Not signalisieren kleine Aufmerksamkeiten Verbun- denheit (z.B. Postkarte, Anruf, kurzer Besuch). Hilfreich können auch entsprechende Bücher oder Kontakte mit Menschen sein, die ihren Trauerprozess erfolgreich ab- schließen konnten. Der Einsatz von Beruhigungsmitteln sollte sehr kritisch erfolgen, ist aber unter bestimmten Bedingungen sicher auch notwendig. Viele gutwillige Menschen meiden den Kontakt zu Trauernden, weil sie nicht wissen, wie sie mit den Betroffenen umgehen bzw. was sie sagen sollen. Sie brauchen aber keine guten Tröster zu sein, da häufig die Anwesenheit und stumme Zuwendung mehr bedeuten können als Worte. Sie kön- nen hilfreicher sein als „ständig hilfloses Reden“. 06 l
Psychische Merkmale einer Depression Mutlosigkeit: Es kommt oft zu einer pessimistischen, resignativen und ratlosen Sichtweise der Dinge („schwarze Brille“, „Glas ist immer halb leer“). Betroffene sind häufig verzagt, nehmen alles sehr schwer und sind leicht ir- ritierbar. Diese Einstellungen können lange manchen anderen eindeutigen Zeichen einer Depression voraus- gehen. Die Betroffenen sind häufig beunruhigt über ihr bisheriges Vorgehen oder Auftreten; sie meinen dann, bisher nur Glück gehabt zu haben. Ohne erkennbaren Traurigkeit: Grund wird das Verhalten geändert und auf die Bremse Dieses Gefühl, „herabgestimmt“ zu sein, betrifft nicht nur die getreten. Dieser Richtungswandel wird nachvollziehbar Seele, sondern auch das körperliche Befinden. Häufig fühlen und plausibel erklärt, obgleich die Situation dies nicht sich die Betroffenen unglücklich, bedrückt, niedergeschla- erforderlich macht. Dadurch können sogar Nachteile gen, resignativ, trostlos, schwermütig usw. Leises Weinen, entstehen. Häufig wird von der Umgebung dieser Wan- tiefe Seufzer bis zu Weinkrämpfen sind zu finden. Es kann del bemerkt, führt aber meist nicht zu Einwänden. Erst aber auch die Unfähigkeit zu trauern, vor allem zu weinen später wird erkannt, dass die Vorsicht keine Berechti- (innerlich sich ausgebrannt und leer fühlen) im Vordergrund gung hatte, sondern erstes Zeichen (der Hemmung) im stehen („Gefühl der Gefühllosigkeit“). Manchmal liegt keine Rahmen einer sich entwickelnden Depression ist. „seelische Schwermut“, sondern eine „leibliche Traurig- keit“ vor. Diese wird dann auch eher körperlich in Form von Hilflosigkeit: Schmerzen (z.B. Kopf, Magen, Brust, Wirbelsäule, Gelenke Hierbei werden Probleme überbewertet und es entwi- usw.) empfunden. ckeln sich Gefühle der Perspektiv- und Hoffnungslosig- keit, insbesondere von Machtlosigkeit, an der gegen- Interesselosigkeit: wärtigen Situation überhaupt etwas ändern zu können. Es kann zur Verarmung, Einengung bis hin zum Schwund Es ist möglich, dass dies zu einer (selbst-)zerstörerischen jeglichen Interesses an alltäglichen Aufgaben und Verpflich- Lebenseinstellung (Selbsttötungsgefahr) führen kann. tungen kommen, die vorher bedeutsam waren. Bei längerem Oft wird diese Hilflosigkeit auch nach außen begrün- Verlauf ist häufig eine völlige Gleichgültigkeit zu finden. det, indem ausschließlich nach fatalistischen und nega- Freudlosigkeit: tiven Dingen gesucht wird. Die Folgen dieses Verhaltens Dies ist eines der wichtigsten Symptome und beschreibt die sind negative Konsequenzen im familiären, aber auch mangelnde Fähigkeit, auf eine freundliche Umgebung oder insbesondere im beruflichen Bereich. Zuerst sind Be- ein erfreuliches Ereignis stimmungsmäßig positiv zu rea- einträchtigungen bei Entscheidungen unter Zeit- oder gieren. („Ich kann mich über nichts mehr freuen“.) Hinzu Leistungsdruck zu finden. Es folgen weitere Schwie- kommt eine Genussunfähigkeit, Lustlosigkeit und vor allem rigkeiten unter früher üblichen Stress- oder mehr- die Unfähigkeit, sich unbekümmert zu freuen oder überhaupt schichtigen Anforderungssituationen. Im Laufe der Zeit etwas zu empfinden. werden sogar Routineaufgaben und zuletzt selbst Ent- lastungssituationen als nicht zu bewältigen erlebt. Energielosigkeit: Oft fehlt der Schwung, Antrieb, Energie, Spannkraft, Ausdau- Minderwertigkeitsgefühle: er, Elan oder auch Initiative. Betroffene fühlen sich schwach, Hierunter versteht man eine allgemeine Unsicherheit, kraftlos, leicht und schnell ermüdbar und schon bei geringen mangelndes Selbstwertgefühl, eine negative Selbstein- Anforderungen und Routineaufgaben schnell erschöpft und schätzung bis hin zu einem ausgeprägten Kleinheits- überfordert. Häufig verhalten sich die Betroffenen auch sehr gefühl. Andererseits sind auch überhöhte Selbstan- passiv. forderungen mit unkritischer Selbstüberschätzung zu finden, was ein Versagen sehr wahrscheinlich werden lässt. Häufig ist eine unflexible „Entweder-Oder-Men- talität“ zu finden, was auch als „Schwarz-Weiß-Denk- en“ bezeichnet werden kann. Die Selbstunsicherheit kann bis zur Selbstentwertung führen (z.B. „Ich bin ein Versager.“ „Ich mache alles falsch.“). Leider wird dieses Gefühl der Nutzlosigkeit oder sogar der Schuld von anderen Menschen ausgenutzt (z.B. Versetzung, Herabstufung, Vorruhestand, Empfehlung, in Rente zu gehen), was das negative Selbstgefühl noch verstärken kann. l 07
Empfindlichkeit: Betroffene sind häufig sensibel, leicht verletzbar, schnell kränkbar, teilweise auch unzufrieden und vorwurfsvoll. Häufig haben sie das Gefühl, nicht verstanden zu wer- den, zu wenig Zuwendung, Fürsorge oder Mitgefühl und Liebe zu bekommen. Diese Menschen leiden oft still vor sich hin, können aber auch unvermittelt mit Verzweiflung reagieren, sodass sie oft schwer kalkulierbare Reaktionen zeigen können. Sie wirken sehr „dünnhäutig“. Angstzustände: Denkstörungen: Diese treten bei depressiver Verstimmung in der Form auf, Oft wird das Denken als verlangsamt, umständlich, zäh- nicht erwünscht oder im Wege zu sein (zu stören), nicht ge- flüssig, einfallsarm und mühsam erlebt. Das Denken liebt oder akzeptiert zu werden, bis hin zu Ängsten, dass sich kann auf wenige Themen eingeengt sein, um die es wichtige Bezugspersonen (z.B. Ehepartner, Kinder) abwenden dann kreist. Ideenarmut, Merk- und Konzentrations- könnten. Es sind aber auch konkrete Zwangsbefürchtungen störungen, Vergesslichkeit sowie Haftenbleiben sind als in bestimmten Situationen (z.B. bei Phobien) und vor allem Auffälligkeiten zu finden. Von den Betroffenen wird eine auch häufig unbegründete (motivationslose) Ängste zu find- „Leere im Kopf“ beklagt, was besonders bedrohlich von en. Teilweise treten Panikattacken, hypochondrische (sog. geistig interessierten Menschen erlebt wird. Gespräche eingebildetes Kranksein) Ängste auf, die von der Umgebung mit depressiven Menschen erscheinen aufgrund dieser nicht nachvollziehbar sind. Beeinträchtigungen häufig unproduktiv, einsilbig bis hin, dass der Eindruck entstehen kann, dass ein geistiger Ab- Zwänge: bau (Demenz) vorliegt. Die Denkstörungen bilden sich bei Unter Zwängen versteht man alles beherrschende Erlebnisse, Besserung der Depression wieder zurück. die mit dem Gefühl der Unausweichlichkeit und Machtlosig- keit verbunden sind, obwohl sie als unsinnig bzw. unangemes- Grübelneigung: sen angesehen werden. Zu den Zwangsmechanismen zählen Hierunter sind die gleichen Denkinhalte bei erschwertem Zwangsdenken, Zwangsbefürchtungen und Zwangshandlun- Gedankenwechsel zu verstehen. Aber auch eine Sprung- gen. haftigkeit im Denken, nicht am Problem bleiben zu kön- nen, nicht zu Ende denken zu können, sind zu finden. Reizbarkeit: Zuletzt kommt es zu Gedankenkreisen und Grübelzwang Hierunter versteht man, wenn die Betroffenen missmutig, (insbesondere nach dem quälenden Früherwachen) mit vermehrt irritierbar, mürrisch („schlecht gelaunt“) oder sogar Panik vor dem nächsten Tag und einem beklemmenden aufbrausend, missgünstig, aggressiv bzw. passiv oder offen Gefühl auf der Brust. feindselig wahrgenommen werden. Dies ist vorrangig bei der sog. chronischen Depression mit langwierigem Verlauf ohne Reaktionsfähigkeit: wesentlichen Behandlungserfolg trotz vieler Bemühungen Häufig ist eine Verlangsamung oder aufgehobene Reak- zu finden. Im Gegensatz dazu sind viele depressive Men- tionsfähigkeit zu finden, was im Extremfall bis zur völli- schen eher freundlich, mitfühlend, warmherzig, zugewandt gen Erstarrung (Stupor) führen kann. Die eingeschränkte sowie sehr pflichtbewusste und gewissenhafte Menschen. Reaktionsfähigkeit macht sich auf verschiedenen Ebenen Aber auch chronisch depressive Menschen leiden unter ihrer bemerkbar: auf geistig-seelischer Ebene ist eine ver- Störung langsamte und mühsame Denkweise insbesondere bei Gesprächen auffällig; körperlich sind weniger im Alltag, Innere Unruhe: sondern mehr bei speziellen Anforderungen (z.B. Nach- Die Betroffenen erscheinen sehr nervös, fahrig, innerlich vibrie- lassen der Reflexe im Sport, verlangsamte Reaktionsfähig- rend („wie unter Strom stehend“) oder gespannt. Teilweise keit im Straßenverkehr mit evtl. verlängerten Bremswe- ist ein Beschäftigungsdrang zu finden, eine ziel- oder rastlose gen) Beeinträchtigungen zu finden. Weitere Merkmale Getriebenheit, vieles anfangen und nichts zu Ende bringen sind Energielosigkeit, reduzierte Aufmerksamkeit, rastlose können. Auf der anderen Seite sind die Betroffenen klagsam, Unruhe, Hilflosigkeit sowie rasche Überforderung. anklammernd bis „nervend“, ggf. ungehaltene bzw. krän- kende Reaktionen provozierend, was wiederum die Selbst- tötungsgefahr erhöhen kann. 08 l
Entscheidungsunfähigkeit: Gefühl der „Inneren Leere“: Dies äußert sich darin, dass die Betroffenen unschlüssig, Damit ist das Absterben aller Gefühle bzw. eine Gefühllosig- entschlussunfähig, hin und her gerissen sein können, alles bis keit gemeint. Es erscheint alles so leer, abgestumpft, dumpf, zum Ende durchdenken wollen oder müssen. Dabei kommen ausgebrannt und belastend. Häufig wird dies auch mit sie nie zum Ende, wiegen ängstlich alle Möglichkeiten ab und „körperlich traurig“ oder „wie tot“ zu sein umschrieben. sind damit ziellos. Es kann zu fruchtlosen Diskussionen kom- Glaubensverlust: men, die zu keiner Entscheidungsfindung beitragen und/oder Hierbei tritt ein Nachlassen der religiösen Glaubensfähigkeit die Entscheidungsunfähigkeit verbergen sollen. Letztendlich auf (z.B. Gebet, Kirchgang, Beichte, Sakramente usw.) bis hin ist dies demotivierend und zermürbend für Angehörige und zu einer völligen Glaubensunfähigkeit, was insbesondere von Mitarbeiter. gläubigen Menschen als sehr qualvoll erlebt wird. Schuldgefühle: Depressiver Wahn: Hierbei kommt es zu einer Überbewertung früherer oder ak- Unter Wahn versteht man eine krankheitswertige Fehl- tueller Ereignisse (meist geringfügige bis lächerliche Dinge), beurteilung der Wirklichkeit, wobei Wahnphänomene nicht die häufig maßlos überzogen oder grundlos sind. Die schuld- nur im Rahmen einer Schizophrenie zu finden sind, sondern hafte Verarbeitung führt zu dem Eindruck, nichts zu können auch bei der sog. endogenen Depression auftreten können. und ein Versager zu sein, was ggf. zu Versündigungsideen Der Wahn muss hierbei der depressiven Herabgestimmtheit oder Selbstanschuldigungen ohne objektiven Grund führen entsprechen. Dies äußert sich insbesondere im depressiven kann. Das kann zu erheblichen Verunsicherungen in der Part- Verarmungswahn, hypochondrischen Wahn, im nihilistischen nerschaft, Familie, Beruf o.Ä. führen. Wahn („Ich bin ein Nichts.“ lat.: nihil = nichts), im Versündi- Beziehungsstörung: gungswahn, in wahnhaften Fehldeutungen usw. Aufgrund der stimmungsmäßigen Schwingungs- und Erleb- Als Unterscheidungsmerkmal zwischen einem schizophrenen nisfähigkeit ist ein Verlust zwischenmenschlicher Beziehun- Wahn und dem depressiven Wahn dient der sog. „Zeiger der gen zu befürchten oder es tritt ein Gefühl der Leere zu an- Schuld“, der bei der Depression meist auf sich selbst, bei der deren Menschen auf. Dies spiegelt sich im Nachlassen von Schizophrenie vorrangig auf die Umwelt zeigt. Interesse, Zuneigung, Mitleid, Liebe usw. für Menschen, Tiere oder Dinge wider, die vorher eine individuelle Bedeutung für die Betroffenen hatten oder wofür sie sich früher interes- sierten. Dabei kann sich die Distanz zur Umwelt sehr ausbrei- ten. Andererseits kann sich aus Furcht vor dieser Entwicklung eine überzogene Anspruchshaltung in Bezug auf mögliche Zuwendung, Liebe, z.T. mit jammerndem, vorwurfsvollem Ton herausbilden. l 09
Die verschiedenen Formen sollen nun kurz im Einzelnen skizziert werden: Verarmungsidee: Paranoide Fehldeutung: Hierunter werden Äußerungen verstanden, nichts vorwei- Das Auftreten von wahnhaften Beziehungsideen mit Angst sen zu können, nichts zu haben, durch die Krankheit nur vor übler Nachrede wird hierunter zusammengefasst. Dies Geld zu kosten, die Familie der Not auszusetzen usw. Diese kann zu einem verstärkten Misstrauen und ratloser Ängst- Verarmungsideen können sich bis zum Verarmungswahn lichkeit führen. Manchmal können auch Verfolgungsideen ausdehnen. auftauchen. Im Vordergrund stehen jedoch die Furchtsam- keit und die gedrückte Stimmung, weniger das reizbare Hypochondrische Befürchtungen / und aggressive Auftreten, wie es bei manchen paranoiden hypochondrischer Wahn: (wahnhaften) Symptomen von Schizophrenen zu finden Dabei kommt es zu einer Überschätzung vorhandener und / ist. oder zu unkorrigierbaren Befürchtungen, nicht nachweis- barer seelischer, aber vor allem körperlicher Beschwerden. Weitere Wahrnehmungsstörungen: Am häufigsten sind überbesorgte, ängstliche Einstellungen Andere Formen der Wahrnehmungsstörungen können mit monotoner Schilderung und Klagen zu finden. Überempfindlichkeit auf Geräusche und Licht, Änderung der Geruchs- und Geschmackswahrnehmung, aber auch Schuld- und Versündigungswahn: ein herabgesetztes Hörvermögen bzw. kein normaler Die Betroffenen erleben sich schuldig am eigenen Zustand, Geruchs- und Geschmackssinn sein. an fremder Not bzw. an früheren oder bevorstehenden Katastrophen u.a. Leibgefühlsstörung (coenästhetische Störung): Abnorme, schwer beschreibbare Körperempfindungen sind Sinnestäuschungen: hierunter zu verstehen (z.B. Bewegungs-, Zug- und Druck- Darunter versteht man gelegentliche Halluzinationen gefühl im Körper oder an der Körperoberfläche, Hitze- und (Trugwahrnehmung), die jedoch ebenfalls der depres- Kälteempfindungen, Taubheits- und Steifigkeitsgefühl, siven Stimmung angepasst sind (z.B. schuldhaft gefärbt, umschriebene Schmerzen, wandernde Missempfindungen, ängstlich-schwermütig). Meistens treten akustische Sin- eigenartige Raumsinn- und Gleichgewichtsstörungen). nestäuschungen auf im Sinne von Stimmen hören (z.B. „innere Stimme, inneres Gewissen“), die überwiegend Zeitempfindungsstörungen: besorgt, mahnend, anklagend oder diffamierend sein kön- Für die Betroffenen zieht sich die Zeit endlos lang und nen. Es sind aber auch optische oder auch Geruchshalluzi- will nicht enden = Zeitdehnung. Das Gegenteil ist bei der nationen möglich. manischen Hochphase zu finden, indem sich alles viel zu schnell vollzieht = Zeitraffung. Entfremdungserleben: Hierunter fallen Depersonalisation („Ich bin nicht mehr ich.“) Mangelndes Krankheitsgefühl: und Derealisation („Alles wirkt fremd, abgerückt, irreal.“) Trotz massiver Beeinträchtigungen haben die Betrof- fenen häufig keine Krankheitseinsicht (insbesondere bei Schuldgefühlen, Schuldwahn, hypochondrischem oder nihilistischen Wahn). Die eigene Erkrankung ist eher Ge- genstand von Selbstvorwürfen und es wird eine Strafe von „oben“ erwartet. Folglich wird oft jegliche Behandlung abgelehnt unter dem Motto „Ich bin schuld und nicht krank“. 10 l
Lebensüberdruss und Selbsttötungsgefahr: Bei einigen Betroffenen kann diese schwer belastende Lebenseinstellung bis zu einer Ablehnung des Lebens führen und Todeswünsche aktivieren, die auch von der Zukunft oder Therapieergebnissen abhängig gemacht werden. Dabei kann eine Äußerung wie „Wenn man mir nicht helfen kann, ist meine letzte Möglichkeit, mir das Leben zu nehmen“ auftreten. Meist besteht davor der Wunsch nach Abstand, Ruhe, Vergessen, Schlaf usw. „Am liebsten würde ich einschlafen und wenn ich nicht mehr aufwache, ist es auch nicht schlimm.“ Zuletzt treten konkrete Selbsttötungsgedanken auf wie „Ich kann mich ja umbringen“ oder gar gezielte Handlungen; „Lasst mich gehen, ich werde mich umbringen und ich weiß auch schon wie“. Die ausgeführte Handlung kann mit und ohne Ankündigung erfolgen. An dieser Stelle sei nochmals auf die Schwere der Er- krankung hingewiesen, da die Anzahl der Selbsttötung höher liegt, als wir glauben und somit die Brisanz auch depressiver Erkrankungen verdeutlicht. Abschließend gilt festzuhalten, dass die Selbsttötung in der Gegenwart so ziemlich die letzte Freiheit ist, die wir über uns haben!! Dieser Schritt erscheint vielen de- pressiven Menschen ein Ausweg aus ihrer eben gerade ausweglos erscheinenden Situation zu sein, wenn alle Hoffnung verloren gegangen ist. Hier sind Psychothera- peuten stark gefordert, die Betroffenen vor dieser Han- dlung zu schützen, was auch teilweise die Einweisung in eine Klinik bedeuten kann, wenn erhebliche Gefahr für die eigene Person besteht. Die Einweisung in eine Klinik gegen den eigenen Willen bedeutet jedoch einen massiven Eingriff in die Persönlich- keitsrechte mit all den sich daraus ableitenden Schwierig- keiten. Dieser Schritt kann für Betroffene aber auch eine Chance bedeuten, indem alle therapeutischen Bemühun- gen darauf gerichtet sind, depressive Menschen wieder in das Leben zurückzuführen und ihr Interesse am Leben wieder zu wecken!!! l 11
Körperliche Merkmale einer Depression Die körperlichen Symptome der Depression ähneln den Be- schwerden, wie sie auch bei organischen Ursachen zu fin- den sind. So treten z.B. häufig Kopf-, Magen-, Rücken- oder Herzschmerzen auf, werden aber eher vage, diffus und als schwer beschreibbar dargestellt. Die Beschwerden können wechseln und wandern. Häufig ist auch eine Kombination eines körperlichen Beschwerdebildes mit einer Depression zu finden, indem sich „körperliche Schwachstellen“ bei Verstim- mungen eher mit den entsprechenden Symptomen bemerk- bar machen. Dadurch verstärkt sich gleichzeitig das körper- liche Leiden (z.B. Kopfschmerzen, Kreislaufbeschwerden, Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden, Magenschmerzen usw.). Oft wird die Depression aufgrund der im Vordergrund stehen- den körperlichen Beschwerden ausschließlich organisch be- handelt, obwohl ein depressives Leiden vorliegt. Wir sprechen dann von einer sog. lavierten Depression (lat.: larva = Maske). Leider wird diese Form der Depression erst spät erkannt und kann somit lange nicht konsequent behandelt werden. Es sollte bei der Diagnostik nicht nur auf körperliche Symptome geachtet werden, sondern auch nach Funktionsstörungen im seelischen und zwischenmenschlichen Bereich gesucht wer- den. Können Betroffene nicht offen über diesen Beschwer- dekomplex berichten oder verleugnen sie ihre seelischen Krankheitsanzeichen, erschwert dies zusätzlich die richtige und frühzeitige Diagnose. Häufig beharren die Betroffenen ausschließliche auf das Vor- liegen einer organischen/körperlichen Erkrankung, wodurch sich der Leidensweg erheblich verlängern kann. Besonders bei Männern werden psychische Beeinträchtigungen als Schwäche bewertet und folglich nicht als Krankheit erkannt. 12 l
An körperlichen Beschwerden können folgende Symptome auftreten: Schlafstörungen: Kreislaufstörungen: Häufig sind Ein- und Durchschlafstörungen sowie ein mor- Im Zusammenhang mit körperlichen Beschwerden werden gendliches Früherwachen. Kurze Schlafphasen werden oft häufig Schwindel, ein Flimmern vor den Augen, weiche Knie als unruhig und mit schlechten Träumen belastet erlebt. Es (wie auf Watte laufen) bis hin zu Gehstörungen mit Fallnei- kommt zu häufigem Erwachen. Schlafstörungen gehören zu gung beschrieben. Diese Symptome treten auch bei Angst- frühen Anzeichen einer Depression. Manchmal ist auch ein störungen auf, sodass manchmal eine Verwechslung möglich gesteigertes Schlafbedürfnis zu finden, was aber meist eher ist. Die Angststörung ist durch die Kernsymptome Schwin- eine „Flucht ins Bett“ mit sinnlosem Grübeln und Angst vor del, Benommenheitsgefühl, weiche Knie oder Beine, Zittern, den alltäglichen Anforderungen beinhaltet. Schwanken usw. charakterisiert. Der Unterschied besteht darin, dass bei der Angststörung zusätzlich eine Furchtsam- Appetitstörungen: keit und ein Gefühl der Schwäche vorliegen, während bei der Es kann zu einer Appetitlosigkeit mit relativ schnellem Ge- Depression eine Herabgestimmtheit sowie Freudlosigkeit und wichtsverlust kommen. Gelegentlich ist aber auch eine Appe- ein allgemeines Elendigkeitsgefühl überwiegen. Natürlich ist titzunahme möglich, was bis zu Heißhungeranfällen (vor al- auch eine Kombination beider Störungsbilder möglich. lem auf kohlenhydratreiche Kost z.B. Teigwaren, Süßigkeiten) führen kann. Insbesondere die sog. Winterdepression in der Magen-Darm-Beschwerden: dunklen Jahreszeit ist von einer Zunahme des Appetits gekenn- Hier stehen Übelkeit, Brechreiz, Erbrechen, Völlegefühl, Bläh- zeichnet. ungen, Magendruck, Sodbrennen, Aufstoßen, krampfartige Magen-Darm-Beschwerden, wechselnder diffuser Bauch- Atmung: schmerz, Verstopfung oder Durchfall usw. im Vordergrund. Die Beschwerden können von einem Gefühl der Enge auf der Brust, Druck auf der Brust, Atemenge, Atemnot, Lufthunger, Muskulatur / Skelettsystem: abgeflachte Atmung usw. bis hin zu einem seelisch bedingten Betroffene klagen oft über muskuläre Verspannungen im Reizhusten reichen. Kopf-Schulter-Nacken-Bereich, an Armen und Beinen. Eben- so treten sehr häufig Rückenschmerzen, Nackenbeschwer- Kopfdruck: den, Gelenk- und Muskelschmerzen auf, die teilweise exakt Hierbei handelt es sich meist um einen diffusen Kopfschmerz, festlegbar, aber auch diffus oder wandernd auftreten. gelegentlich auch begrenzt auf oder über den Augen bzw. ein Helm- oder Schraubstockgefühl. Diese Beschwerden sind fast Augen: immer mit Muskelverspannungen im Kopf-Schulter-Nacken- Oft wird über falsche oder nicht ausreichende Sehkorrektur Bereich verbunden. geklagt. Ebenso treten chronische Entzündungen der vorde- ren Augenabschnitte, schlechtes Sehen ohne objektivierbaren Hals-Nasen-Ohren-Bereich: Befund auf. Es sind sogar Doppelbilder und Augenmuskel- Betroffene beschreiben häufig ein Kloß- oder Würgegefühl abweichungen möglich. Eine Lichtempfindlichkeit wird eben- im Hals (wie zugeschnürt). Weiterhin können ein Druckge- falls oft beschrieben. fühl auf den Ohren, Ohrgeräusche (z.B. Klingeln, Sausen, Ohrenschmerzen, Verminderung des Hörvermögens ohne or- Zahnbereich: ganischen Befund (verstärkt bei vorbestehenden Hörschäden) Es kann zu Zahnschmerzen ohne auffälligen Befund kommen. auftreten. Häufig wird auch eine Geräuschüberempfind- Oft wird über schlecht sitzenden Zahnersatz trotz mehrfacher lichkeit beschrieben. Überprüfungen geklagt. Herzbeschwerden: Blasenstörungen: Vorrangig kommt es zu Schmerzen und Missempfindungen Schmerzen beim Wasserlassen, häufiger Harndrang, Harn- in der Herzgegend (z.B. Herzrasen, Herzklopfen, Herzstechen träufeln, Ziehen oder Druckgefühl in der Blase sind möglich. „Herzschlag bis zum Hals“ usw.). Diese teilweise als Herz- attacken erlebten Beschwerden treten bevorzugt nachts und / oder zu Beginn einer depressiven Phase auf. l 13
Allgemeine Missempfindungen: Hierunter sind Symptome wie Ziehen, Reißen, Stechen von Nadeln, Kribbeln, „dumpfes Gefühl“, teils diffus, teils örtlich oder wandernd, Unruhe- oder Schweregefühl in den Beinen, schwerer lastender Gang bis hin zum schlur- fenden Gang zusammengefasst. Haut und Schleimhäute: Hier sind insbesondere Brennen der Zunge, unangeneh- mer Geschmack, Mundgeruch, Trockenheit der Nase (bis hin zu Verschorfung mit Nasenbluten) sowie im Mund- Allgemeiner Eindruck und Rachenbereich (bereits vor der Behandlung mit Anti- depressiva) zu nennen. Weiterhin können Trockenheit Stimme: der Scheidenschleimhaut mit Beschwerden beim Sexual- Die Stimme ist oft leise, eintönig und wenig moduliert, oft verkehr, unklarer Juckreiz in der Scheide, verminderte verlangsamte Sprache. Hautspannung mit trockener und blasser Haut (um Jahre gealterte Haut) sowie eine Hautüberempfindlichkeit Gesichtsausdruck: auftreten. Dieser ist meist ernst, wirkt welk und müde, teilweise wie erstarrt (vorgealtert). Tränen- und Schweißsekretion: Betroffene beklagen oft ein Versiegen der Tränensekre- Augen: tion, was zu einem glanzlosen und verschleierten Blick Sie sind glanzlos mit mattem, resignativem und verschleiertem führen kann („tränenlose Trauer“). An dieser Stelle sei Blick. Oft verstärkt sich die Oberlidfalte oder tritt erstmals auf darauf hingewiesen, dass die Fähigkeit zum Weinen ein und sie legt sich wie ein Vorhang über das Auge. (Dies ist gutes Zeichen ist, da hierdurch der „Gemütspanzer“ auf- bei alten Menschen normal, wenn die Hautspannung nach- geweicht worden ist und der Betroffene durch Weinen lässt.) eine Erleichterung erleben kann. Weiterhin kann eine Haare: verminderte Schweißsekretion auftreten. Es ist aber auch Sie sind oft spröde, glanzlos, struppig, ggf. auch Haarausfall eine örtliche oder auf den ganzen Körper bezogene, teil- Bewegung: Der Bewegungsablauf wirkt kraft- und schwung- weise anfallartig auftretende erhöhte Schweißsekretion los, matt, schleppend und vornübergebeugt („Bild des Jam- möglich. Dies tritt insbesondere nachts und zu Beginn merns“) einer depressiven Phase auf. Vegetatives Nervensystem: Die häufigsten körperlichen Symptome sind: Betroffene beschreiben oft vegetative Symptome in Form von Hitzewallungen und Kälteschauern, Zittern, leichtes reduzierte Vitalität: Erröten („hektische Flecken“), kalte Arme, Hände, Beine Die Betroffenen fühlen sich energie- und kraftlos, sind schnell oder Füße, Temperaturüberempfindlichkeit, Blutdruck- erschöpft und erleben sich leistungsunfähig. schwankungen usw. Appetitstörungen: Sexualität: Oft werde Gewichtsveränderungen (ab- oder zunehmen) Meist ist ein Desinteresse zu verzeichnen. Später kön- sowie Verdauungsstörungen (meist Verstopfung) beschrie- nen Libido- und Potenzstörungen (Erektionsstörungen, ben. Frigidität) hinzukommen. Häufig sind sexuelle Störungen Schlafstörungen: eine der ersten und auch zuletzt zurückgehenden Symp- Die Betroffenen beschreiben oft Ein- und Durchschlafstörun- tome. Hierzu zählen auch unklare Genitalbeschwerden, gen sowie ein frühzeitiges Erwachen. Häufig wird auch ein Menstruationsstörungen bis zum Ausbleiben der Mens- Morgentief mit abendlicher Stimmungsaufhellung beschrie- truation. ben. Sexualstörungen: Die Betroffenen klagen über Impotenz oder Frigidität, auch andere sexuelle Störungen sind möglich. Störungen des Leibesgefühls: Hierunter versteht man ein Enge- oder Druckgefühl ohne or- ganischen Befund. 14 l
Zwischenmenschliche, familiäre, berufliche u.a. Folgen Häufig führen erst die körperlichen Symptome im Zusammenhang mit einer Depression die Betroffenen zum Arzt, wobei schon vorher meist seelische Beeinträchtigungen als erste Anzeichen einer depressiven Störung zu verzeichnen sind. Die sich daraus ableitenden zwischenmenschlichen, familiären und beruflichen Folgen lassen meist nicht lange auf sich warten, werden aber in diesem Zusammenhang nicht als Krankheit akzeptiert. Es werden andere Erklärungen für die festzustellenden Beeinträchtigun- gen (z.B. Stress, besondere Belastungen, Überforderung usw.) herangezogen. Diese Muster sind zwar nicht günstig im Sinne einer frühzeitigen Behandlung, aber nachvollziehbar. Die Betroffenen suchen meist erst einen Arzt auf, wenn sie feststellen müs- sen, dass es mehr zu sein scheint, als eine alltägliche Überlastung. Dieses problematische Verhalten ist meist bei Betroffenen zu finden, wenn sie erstmals an einer Depression erkranken. Aber auch Betroffene, die bereits mehrere depressive Phasen hatten, verdrängen meist die frühen Warnsymptome und versuchen sogar noch bei sehr ausgeprägter Symptomatik ihren gewohnten Alltag aufrecht zu erhalten. Zwischenmenschliche Probleme: Die am meisten geäußerten Sorgen depressiver Die Betroffenen bemerken eine Minderung ihrer Kontakt- Menschen im zwischenmenschlichen Bereich las- fähigkeit bei jedoch unverändert vorhandenem Wunsch nach sen sich wie folgt darstellen: Kontakt. Hierin besteht die Gefahr der emotionalen Verein- samung, des Rückzugs aus der Umwelt, des Abbruchs von Versagensangst, abnehmende Leistungsfähigkeit bis hin alten und wichtigen Beziehungen sowie die Unfähigkeit, zur Leistungsunfähigkeit im Sinne von „Nichts können“ neue Beziehungen und Kontakte zu knüpfen. Es steht hierbei bzw. „Nichts leisten“. also die Isolation im Vordergrund. Es können auch weitere Minderwertigkeitsgefühle, abnehmendes Selbstwertgefühl Probleme hinzukommen, die Auswirkungen auf die Umge- bis hin zum Kleinheitsgefühl im Sinne von „nicht gemocht bung haben (z.B. Vernachlässigung von Kleidung und Körper- oder nicht geliebt werden“. pflege, Unzuverlässigkeit u.v.m.). Selbstvorwürfe, Selbstanklage, Schuldgefühle, nicht alles Berufliche Probleme: versucht zu haben. Häufig treten in diesem Zusammen- Betroffene beschreiben häufig ihr Unvermögen, mit alltäg- hang negative Gedanken wie „Ich kann nichts, ich bin lichen Aufgaben und bisher problemlos bewältigten Schwie- nichts, keiner mag mich, ich bin schuld an meinem Zu- rigkeiten fertig zu werden. Teilweise können die einfachsten stand“ auf. Alltagsverrichtungen nicht erledigt werden oder es kostet ungewohnt viel Mühe oder lange Anlaufzeit. Besondere Diese vernichtenden Selbstaussagen und Selbst- Schwierigkeiten ergeben sich dabei, eine Tätigkeit zu be- beschuldigungen werden noch erschwert durch ginnen und durchzuführen. Sogar automatisierte Fertig- typische Einstellungen vieler depressiver Men- keiten und Routineaufgaben können zu unüberwindbar schen: erscheinenden Problemen werden. Ausgeprägte Probleme treten dann auf, wenn neue und ungewohnte oder uner- Hilflosigkeit: wartete bzw. schwierige Aufgaben zu verrichten sind, bei „Ich kann an meiner Situation nichts ändern.“ Mehrfachbelastung, Arbeit unter Zeitdruck oder bei schnell wechselnden Anforderungen. Hierbei wird der Leistungsab- Hoffnungslosigkeit: fall deutlich wahrgenommen. Die Folgen können Irritation, „Nichts wird sich mehr verbessern.“ Verärgerung, demütigende Aussprachen, unnötige Ausein- andersetzungen, Belastungen in Familie und Betrieb, Gefahr der Versetzung, Herabstufung oder sogar der Verlust des Ar- beitsplatzes sein. l 15
02 Die verschiedenen Formen von Depressionen und ihre Ursachen Depressive Episoden Unter einer depressiven Episode versteht man eine gewisse Anzahl von Symptomen, die typisch für eine Depression sind, die über einen längeren Zeitraum vorhanden sein müssen und nicht durch andere Erkrankungen bzw. Umstände zu erklären sind. Durch den Verlauf (einmalige Episode, rezidivierende Episoden), die Schwere (leicht, mittel, schwer) sowie die besondere Ausprägung der Symptomatik lassen sich verschiedene Untergruppen der depressiven Episode unterscheiden. Die Anzahl der vorhandenen Symptome sagt etwas über die Schwere der Depression aus, wobei v.a. die damit verbundenen Funktionsein- schränkungen wichtig sind. Bei einer leichten depressiven Episode erleben die Betroffenen Eine depressive Episode kann auch als Folge eines belastenden zwar Beeinträchtigungen im Beruf und sozialem Umfeld, ge- Ereignisses (z.B. Todesfall-Trauerreaktion, Wohnortwechsel – ben aber die allgemeinen Aktivitäten nicht vollständig auf. sog. „Umzugsdepression“, Verlust des Arbeitsplatzes, Diag- Bei einer mittelgradigen depressiven Episode können die nose einer anderen Erkrankung, Scheidung usw.) auftreten. Betroffenen nur unter großen Schwierigkeiten ihre sozialen, In diesen Fällen spricht man von reaktiven depressiven Ver- häuslichen und beruflichen Aktivitäten fortsetzen. Die schwe- stimmungen (reaktive Depression o.Ä.). Im Allgemeinen klingt re depressive Episode beschreibt ein Krankheitsbild, bei wel- diese Form der Depression nach einer gewissen Phase der An- chem der Betroffene mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht passung an die neuen Lebensumstände wieder ab, sie kann mehr in der Lage ist, seinen Verpflichtungen nachzugehen aber auch in eine chronische Form übergehen, wenn nicht bzw. er kann dies nur in sehr begrenzten Umfang tun. entsprechende Bewältigungsmöglichkeiten etabliert werden können. Alle drei Formen können einmal aber auch wiederholt auftreten. An eine depressive Phase kann sich auch eine Depressive Episoden klingen im Allgemeinen bei adäquater Phase mit gehobener Stimmung anschließen. Dies wird dann Behandlung nach einer gewissen Zeit wieder ab und die Be- als bipolare Störung bezeichnet. Die meisten Betroffenen troffenen erleben keine Beeinträchtigungen mehr aufgrund erleben jedoch nur eine depressive Phase, wobei nach Ver- ihrer vorherigen depressiven Stimmung. Sie können aber auch besserung der Stimmung einige Betroffene eine euphorische einen chronischen Verlauf annehmen, wenn sich im Rahmen Stimmung bei sich feststellen, was jedoch eher Hinweis für einer depressiven Phase eine innere Fehlhaltung entwickelt, das Abklingen der depressiven Phase anzusehen ist. Die weit- die es dann wiederum schwer macht, sich den positiven und aus häufigste Form der depressiven Störung ist die einmalige angenehmen Dingen des Lebens zuzuwenden. depressive Episode. Eine weitere Spezifizierung ergibt sich durch das jahreszeitlich gebundene Auftreten von depressiven Episoden (sog. „Win- terdepression“ bzw. „saisonal abhängige Depression“) und das Auftreten der Depression im engen zeitlichen Zusam- menhang mit der Geburt eines Kindes („Postpartale Depres- sion“). Diese Formen der Depression lassen eine biologische Ursache vermuten, sodass hier auch dringend ein antidepres- siv wirkendes Medikament (Antidepressivum) eingenommen werden sollte. Dies gilt im Übrigen auch für mittelgradige bzw. schwere depressive Episoden, da die körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen so stark sind, dass psycho- therapeutische Maßnahmen erst zeitlich verzögert zum Ein- satz kommen können, bzw. aufgrund von Konzentrations- störungen usw. noch nicht wirken können. 16 l
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