Pflege und Betreuung in Wien 2030 Vorausschauend und vorbereitet - Strategiekonzept
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Pflege und Betreuung in Wien 2030 Vorausschauend und vorbereitet Strategiekonzept
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2. Aktuelle und künftige Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Demografische Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Gesellschaftliche Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Herausforderungen des österreichischen Pflegevorsorgesystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Herausforderungen des Wiener Pflegevorsorgesystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 3. Vision Pflege und Betreuung in Wien 2030 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 4. Leitlinien Pflege und Betreuung in Wien 2030 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Leitlinie 1 | Gezielte Information, gestützte Entscheidungsfindung und vereinfachter Zugang zu den Pflege- und Betreuungsleistungen in Wien . . . . . . . . . . . . . 20 Leitlinie 2 | Selbstständige Lebensführung bis ins hohe Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Leitlinie 3 | Integrierte Versorgung mit individuellen, flexiblen und durchlässigen Pflege- und Betreuungsangeboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Leitlinie 4 | Inklusive Pflege- und Betreuungsleistungen, die für alle gesellschaftlichen Gruppen zugänglich und auf alle unterschiedlichen Formen und Stadien von Pflege- und Betreuungsbedarfen vorbereitet sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Leitlinie 5 | Frühzeitige Entlastung und zielgerichtete Unterstützung der pflegenden bzw. betreuenden Angehörigen, insbesondere von Frauen, sowie flankierende Maßnahmen für Freiwillige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Leitlinie 6 | Partizipation, aktive Teilhabe und Prävention – die Eckpunkte einer neuen SeniorInnenpolitik in Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Leitlinie 7 | Pflege und Betreuung als Produktivfaktor und wichtige Investition in die Zukunft unserer Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Leitlinie 8 | Ein nachhaltiges Finanzierungssystem sowie ein sozial ausgewogenes Kostenbeitragssystem tragen zur Finanzier- und Leistbarkeit der Pflege und Betreuung in Wien auch in Zukunft bei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Leitlinie 9 | Evidenzbasierte Planung und wirkungsorientierte Steuerung sichern die Versorgung der WienerInnen mit qualitativ hochwertigen Pflege- und Betreuungsangeboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 5. Literatur, Abbildungs- und Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 6. Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Ergebnisse eines Feedback-Workshops zum Strategiekonzept mit den Wiener Sozialeinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Evaluierung der Umsetzung des Geriatriekonzepts 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1
Pflege und Betreuung in Wien 2030 | Strategiekonzept Vorwort Sehr geehrte Damen und Herren, das Thema Pflege und Betreuung trifft uns alle, obwohl es sehr oft verdrängt wird. Früher oder später sind auch wir da- von betroffen, entweder weil wir Angehörige mit Pflege- oder Betreuungsbedarf haben bzw. betreuen oder weil wir selbst Foto: Peter Rigaud Unterstützung benötigen. Umso wichtiger ist die Frage, wie die Pflege und Betreuung in den nächsten Jahren angesichts der demografischen Entwicklungen organisiert und finanziert wird. Während die einen ganz bewusst Horrorszenarien ent- wickeln, um das Geschäft mit Pflegeversicherungen etc. an- zukurbeln, sind andere wiederum damit beschäftigt, zu kalmieren oder nur stolz auf das Erreichte zu verweisen und die Zukunft auszublenden. Als amtsführende Stadträtin für Ge- sundheit, Soziales und Generationen liegen mir beide Handlungsweisen nicht. Mir ist es des- halb wichtig, anhand von evidenzbasierten Fakten, eine Strategie zu erarbeiten, die dann als Grundlage für die Umsetzung dient. Das Geriatriekonzept 2004 wurde durch die Geriatriekommission erarbeitet und in Folge umgesetzt. Ich bin stolz darauf, dass dieses Konzept fristgerecht 2015 umgesetzt wurde. Die Stadt Wien hat rund 919 Mio. Euro für die Modernisierung der Pflege und Betreuung aufge- wendet. Den Wienerinnen und Wienern steht nunmehr ein qualitativ hochwertiges und vor allem vielfältiges Angebot an Pflege- und Betreuungsleistungen zur Verfügung. Der Fonds So- ziales Wien steuert nicht nur dieses Angebot, sondern sorgt dafür, dass die Wienerinnen und Wiener im Falle eines Pflege- oder Betreuungsbedarfes, die entsprechende Unterstützung erhalten, die sie brauchen. Und die Pflege- und Betreuungsangebote in Wien sind aufgrund der sozialen Staffelung der Kostenbeiträge für alle Wienerinnen und Wiener leistbar – ein Punkt der mir besonders wichtig ist. Die Grundlage für eine ausreichende und wohnortnahe Versorgung bildete wiederum der Bedarfsplan der MA 24. Die Wienerinnen und Wiener können sich auch in Zukunft auf die Stadt Wien verlassen. Das Strategiekonzept Pflege und Betreuung in Wien 2030 stellt nun die Weichen für die nächsten 15 Jahre. Damit die Pflege und Betreuung auch in Zukunft gesichert ist. Im Unterschied zum Geriatriekonzept 2004 liegt der Schwerpunkt diesmal nicht im Bau neu- er Einrichtungen, sondern bei der inhaltlichen Weiterentwicklung der Angebote sowohl im mobilen und teilstationären Bereich als auch bei den Wohnangeboten mit integrierten Pflege- und Betreuungsleistungen. Die Angebote in der mobilen Betreuung werden flexibler, für die Angehörigen wurde ein Unterstützungspaket entwickelt und die präventiven und rehabilita- tiven Angebote werden forciert. Zusätzlich übernehmen die Wohnangebote mit integrierten Pflege- und Betreuungsleistungen neue Versorgungsaufgaben, insbesondere im Bereich der Remobilisation und Stabilisation. Die Maßnahmen der Strategie ermöglichen den Ausbau 2
Vorwort der Pflege- und Betreuungsleistungen ohne einen weiteren Ausbau von stationären Plätzen. Die Basisversorgung der Wienerinnen und Wiener ist durch die bestehenden Einrichtungen gewährleistet. Zusätzlich sollen das altersgerechte Wohnen bzw. alternative Wohnformen verstärkt gefördert werden. Als amtsführende Stadträtin sowohl für den Gesundheits- als auch den Sozialbereich, zu dem auch die Pflege und Betreuung zählt, ist es mir ein ganz großes Anliegen, die Schnitt- stellen zwischen diesen beiden Systemen zu beseitigen und die Kommunikation und Koope- rationen auf eine neue Basis zu stellen. Die Wienerinnen und Wiener sollen in Zukunft eine Leistung aus einem Guss erhalten und sich nicht über Zuständigkeiten den Kopf zerbrechen. Die Leistungen sollen auch dort erbracht werden, wo sie am effizientesten und besten orga- nisiert werden können (Best point of service). Dies spielt Mittel für die Weiterentwicklung und den Ausbau der Pflege und Betreuung in Wien frei. Die neue Durchlässigkeit erstreckt sich aber nicht nur auf das Gesundheits- und Sozial- wesen, sondern auch auf die Leistungen in der Pflege und Betreuung selbst. Die bisherige strikte Trennung zwischen mobiler und stationärer Versorgung sowie die meist linearen Ver- läufe in der Pflegekette müssen sich hin zu einem durchlässigeren und vor allem reversiblen System entwickeln. Stationäre Pflege- und Betreuungsleistungen sollen stärker zur tempo- rären Inanspruchnahme genutzt werden. Ziel ist die gesundheitliche Stabilisierung und die Wiedererlangung der Selbstständigkeit der Betroffenen und die Rückkehr in die gewohnte Wohnumgebung. Dies entspricht auch dem Wunsch der Wienerinnen und Wiener, möglichst selbstständig so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden leben zu können. Angesichts des Rückgangs der Verwandtenpflege und -betreuung, hat der Ausbau der mobi- len Versorgung oberste Priorität. Dies bedeutet aber nicht nur eine quantitative Steigerung, sondern auch die Entwicklung neuer, vor allem flexibler Angebote (z.B. Nachtbetreuung). Zu- sätzlich wird die Stadt Wien ein Angehörigenpaket schnüren, das zur Entlastung der Angehö- rigen beitragen wird. Gerade in einer Zeit von größerer Mobilität und Flexibilität, erscheint es mir vor allem aus frauenpolitischer Sicht entscheidend, entsprechende Unterstützungs- angebote zu entwickeln, die die Versorgung und Betreuung unserer Angehörigen sicherstellt. Wie bereits das Geriatriekonzept 2004 wird das nun vorliegende neue Strategiekonzept Pfle- ge und Betreuung in Wien 2030 in den nächsten Jahren Schritt für Schritt umgesetzt, damit sich die Wienerinnen und Wiener im Falle eines auftretenden Pflege- oder Betreuungsbedar- fes auch 2030 sicher sein können, dass es das passende Angebot für sie gibt. Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre! Sonja Wehsely Stadträtin für Gesundheit, Soziales und Generationen 3
Pflege und Betreuung in Wien 2030 | Strategiekonzept 1. Einleitung Das vorliegende Strategiekonzept Pflege Die Ergebnisse dieses Prozesses finden Sie und Betreuung in Wien 2030 wurde im Rah- in diesem Bericht. Entlang der Leitlinien men eines Projektes und unter Beteiligung wird die Stadt Wien das Angebot an Pflege- von Fonds Soziales Wien (FSW), Kuratorium und Betreuungsleistungen in den nächsten Wiener Pensionisten-Wohnhäuser (KWP), Jahren weiter entwickeln. Die Erstellung Teilunternehmung Pflegewohnhäuser des der Strategie Pflege und Betreuung in Wien Wiener Krankenanstaltenverbundes (KAV), 2030 stellt demnach keinen Endpunkt, son- Dachverband Wiener Sozialeinrichtungen dern den Beginn eines Prozesses dar. Die (DV), Büro der Geschäftsgruppe Gesundheit, Maßnahmen müssen noch konkretisiert Soziales und Generationen (GSG) sowie Ma- werden, in manchen Fällen bedarf es auch gistratsabteilung 24 Gesundheits- und So- einer Abstimmung mit anderen Politikbe- zialplanung, Gruppe Berichterstattung und reichen (z.B. dem Gesundheitswesen) oder Sozialplanung (MA 24) erarbeitet. Die Pro- einer österreichweiten Vorgehensweise. jektleitung oblag der MA 24. Daher wurde auch bei der Erstellung des Strategiepapiers auf die Anschlussfähig- Der Prozess gliederte sich in mehrere Phasen: keit an das aktuelle Regierungsprogramm der österreichischen Bundesregierung, die 1. Bewertung der Umsetzung des Geriat- Ergebnisse der Reformarbeitsgruppe Pfle- riekonzepts (Ergebnisse im Anhang) ge sowie auf die Projekte des Wiener Lan- 2. Definition der derzeitigen und künftigen deszielsteuervertrages geachtet. Das Papier Herausforderungen in der Pflege und Be- baut auf dem Geriatriekonzept 2004 auf und treuung setzt für die nächsten 15 Jahre neue Akzente 3. Erarbeitung der Leitlinien Pflege und und Schwerpunkte. Im Mittelpunkt steht die Betreuung in Wien 2030 (Kernstück) Durchlässigkeit der Angebote. Eine Bevor- 4. Erstellung eines groben Maßnahmen- rangung der mobilen Versorgung (vor einer plans stationären Versorgung) wird nicht mehr 5. Feedback-Workshop zum Strategiekon- explizit gefordert; vielmehr steht die Fra- zept mit den Wiener Sozialeinrichtungen ge nach der geeignetsten Versorgungsform (Ergebnisse im Anhang). für die jeweilige Situation im Vordergrund. Das Prinzip ambulant vor stationär wurde abgelöst durch das Prinzip Prävention und Rehabilitation vor Langzeitpflege. 4
Aktuelle und künftige Herausforderungen 2. Aktuelle und künftige Herausforderungen Ziel der Strategie ist es, die Pflege- und Be- niert. Die nachfolgenden Darstellungen – die treuungsangebote in Wien kontinuierlich sich auf die wichtigsten Herausforderun- weiterzuentwickeln und bestmöglich an die gen beschränken – unterscheiden zwischen sich stets wandelnden Lebensrealitäten der exogenen (Demografie, gesellschaftliche Menschen anzupassen. Daher wurden in ei- Entwicklungen) und endogenen Herausfor- nem ersten Schritt die Umsetzung des Geri- derungen (Österreichisches Pflegevorsorge- atriekonzepts 2004 evaluiert (Ergebnisse im system, Wiener Pflegevorsorgesystem). Die Anhang) und in einem weiteren Schritt die Herausforderungen und möglichen Folgen aktuellen und künftigen Herausforderungen werden jeweils in einer Eingangsgrafik dar- für die Pflege und Betreuung in Wien defi- gestellt und im Folgenden kurz beschrieben. 2.1. Demografische Herausforderungen Demografische Entwicklungen Anstieg älterer Anstieg von Veränderungen Personen aufgrund gestiegene Einpersonen im Verhältnis geburtenstarker Lebenserwartung haushalten Jung zu Alt Jahrgänge Rückgang mehr formelle Anstieg Hochaltriger mehr formelle informelle Pflege, Pflege- und und ev. höhere Pflege- und Finanzierungslücke, Betreuungsleistungen Pflegeintensität Betreuungsleistungen Personalengpässe Abbildung 1: Demografische Entwicklung Quelle: MA 24, eigene Darstellung 5
Pflege und Betreuung in Wien 2030 | Strategiekonzept Wien wird vor 2030 die zwei-Millionen- bilanz zurückzuführen. Die Bevölkerungs- EinwohnerInnenmarke überschritten ha- prognose der nächsten zehn Jahre zeigt ei- ben. Der Zuwachs ist sowohl auf steigende nen deutlichen Zuwachs in der Altersgruppe Geburtenzahlen (aufgrund der Zuwande- der unter 15-Jährigen (+16%) sowie der über rung von Frauen im gebärfähigen Alter) bei 75-Jährigen (+37%). Wien wird also gleich- gleichzeitig konstanter Sterberate wie auch zeitig älter und jünger.1 auf eine andauernde positive Wanderungs- 95 Anstieg der älteren Personen A 90 Die Gesamtanzahl der Personen, die das 85 80 B C 75. Lebensjahr vollendet haben, wird im 75 Jahr 2030 um 39% höher sein als 2015. 70 65 Der Anstieg in der Personengruppe der 60 D 55 über 85-Jährigen wird noch stärker 50 E ausfallen. Nach einer vorübergehenden 45 40 Abnahme dieser Personengruppe wird 35 30 die Anzahl der über 85-Jährigen, die den 25 F Hauptteil der gepflegten und betreuten 20 15 WienerInnen stellen, im künftigen Pla- 10 5 nungszeitraum von 2015 bis 2030 um 0 rund 20.000 Personen ansteigen (+47%). 1,0 0,5 0,0 0,0 0,5 1,0 Der Anstieg der älteren Personen wird A Geburtenausfall in den 1930er-Jahren D Babyboom in den 1960er-Jahren B Babyboom in den 1940er-Jahren E Geburtenrückgang in den 1970er-Jahren in den nächsten Jahren vor allem einen C Geburtenausfall zum Ende des 2. Weltkriegs F Geburtenrückgang in den 1990er-Jahren höheren Bedarf an mobilen Leistungen Abbildung 2: Altersstruktur nach Geschlecht, 2014 (Wien) mit sich bringen. Quelle: MA 23, bearbeitet durch die MA 24 200.000 180.000 160.000 140.000 Personen 120.000 100.000 80.000 60.000 40.000 20.000 0 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026 2027 2028 2029 2030 Männer 75+ Gesamt 75 + Frauen 75+ Männer 85+ Gesamt 85+ Frauen 85+ Abbildung 3: Bevölkerungsentwicklung 75+ und 85+, 2010–2030 (Wien) Quelle: Statistik Austria – Bevölkerung im Jahresdurchschnitt für Österreich und die Bundesländer 1952 bis 2075, berechnet durch die MA 24 6
Aktuelle und künftige Herausforderungen Gestiegene Lebenserwartung ausgegangen werden, dass es zu einer Ver- Der stetige Anstieg der allgemeinen Lebens- schiebung des Beginns der Pflegebedürf- erwartung ist auch mit einem bemerkens- tigkeit in spätere Lebensjahre kommt. Au- werten Zuwachs an Lebensjahren in guter ßerdem steigt der Anteil der „Jahre ohne Gesundheit verbunden. Daher kann davon chronische Krankheiten“ stetig an. Frauen Männer Lebenserwartung in Jahren Anteil der Lebenserwartung in Jahren Anteil der zusammen davon Jahre … Jahre ohne zusammen davon Jahre … Jahre ohne Jahr chronische chronische ohne mit Krankheit ohne mit Krankheit chronische chronischer (%) chronische chronischer (%) Krankheit Krankheit Krankheit Krankheit 2010 21,0 7,2 13,9 34 17,7 7,6 10,0 43 2011 21,2 8,3 12,9 39 17,9 8,0 9,9 45 2012 21,0 8,8 12,2 42 17,8 8,4 9,4 47 2013 21,2 9,1 12,1 43 17,9 8,4 9,5 47 Tabelle 1: Fernere Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren, 2010–2013 (Österreich) Quelle: Statistik Austria – Sterbetafeln und EUSILC, bearbeitet durch die MA 24 Allerdings kommt es in den Jahren der Pfle- in den nächsten Jahren stark zunehmen. gebedürftigkeit immer häufiger zu einer Bundesweit wird von 165.000 demenz- Steigerung der Pflegeintensität und zu Mul- kranken Personen im Jahr 2030 ausgegan- timorbidität – insbesondere durch Demenz. gen.2 Eine demenzielle Erkrankung ist der Auf- nahmegrund bei fast 50% aller Aufnahmen Verhältnis Jung zu Alt in stationäre Pflegeeinrichtungen. Durch die Wien wird gleichzeitig älter und jünger. Veränderungen in der Altersstruktur der Be- Das Verhältnis von Jung zu Alt tendiert in völkerung und durch die steigende Lebens- den nächsten Jahrzehnten dennoch zu ei- erwartung wird die Prävalenz der Demenz nem größeren Anteil älterer Menschen. Altersindizes für Wien Jahr 2010 2015 2020 2025 2030 Veränderung 2010–2030 Hochbetagtenquote 2,4 2,4 2,1 2,4 3,1 30,7% Berechnung: Anzahl der 85jährigen und älteren WienerInnen pro 100 WienerInnen Jahr 2010 2015 2020 2025 2030 Veränderung 2010–2030 Ageing Index 87,0 88,2 86,7 88,8 94,3 8,4% Berechnung: Anzahl der 65jährigen und älteren WienerInnen pro 100 WienerInnen unter 20 Jahren Jahr 2010 2015 2020 2025 2030 Veränderung 2010–2030 Greying Index 38,8 33,4 35,8 44,1 44,7 15,0% Berechnung: Anzahl der 80jährigen und älteren WienerInnen pro 100 WienerInnen zwischen 65 und 79 Jahren Tabelle 2: Altersindizes für Wien Quelle: Statistik Austria – Bevölkerung im Jahresdurchschnitt für Österreich und die Bundesländer 1952 bis 2075, berechnet durch die MA 24 7
Pflege und Betreuung in Wien 2030 | Strategiekonzept Die Hochbetagtenquote zeigt den Anteil der Anstieg von Einpersonenhaushalten ältesten Personen in Wien auf. Im Jahr 2030 Wien weist bundesweit den höchsten Anteil wird der Anteil der Hochbetagten um 30% an Ein-Personen-Haushalten auf, wobei die gegenüber 2010 gestiegen sein. Der Ageing Anzahl der Ein-Personen-Haushalte in den Index misst die Verschiebungen von Jung zu letzten Jahren stetig gestiegen ist. Außer- Alt. 2030 wird sich der Anteil der alten Wie- dem hat Wien auch den höchsten Anteil an nerInnen (65+) zu den jungen WienerInnen kinderlosen Paaren.3 (unter 20 Jahre) um 8% gesteigert haben. Der Greying Index hingegen beschreibt den Al- Diese Zahlen spiegeln gesellschaftliche terungsprozess in der älteren Bevölkerung. Entwicklungen wider, die das zukünftige Bis zum Jahr 2030 verschieben sich die hö- Pflege- und Betreuungssystem maßgeblich heren Alterskohorten derart, dass 15% mehr beeinflussen. Kinderlose Paare sind auf die über 80-Jährige unter der Bevölkerung ab Unterstützung der – oftmals gleichaltrigen 65 Jahren zu finden sind als 2010. – PartnerInnen angewiesen und alleinleben- den Personen fehlt häufig jegliche informel- Diese Änderungen haben einerseits Aus- le Hilfestellung, sodass früher und häufiger wirkungen auf das informelle und formelle (mobile) Pflege- und Betreuungsleistungen Pflege- und Betreuungspotenzial, anderer- in Anspruch genommen werden müssen. seits auf die Finanzierung. 2.2. Gesellschaftliche Herausforderungen passendes Angebot? vielfältigere und individuellere Angebote Kosten? Erleichterungen? neue Zielgruppen Migration, diversere Gesellschaft technologischer Fortschritt (Menschen mit Behinderun (E-Health, Ambient Assisted gen, junge Menschen, ältere Living (AAL) …) Drogenabhängige, …) Gesellschaftliche Entwicklungen steigende Individualität, Rückgang der informellen Pflege: selbstbewusste Frauenerwerbstätigkeit, höheres KonsumentInnen, Wunsch zu Veränderungen der Arbeitslosigkeit/ Pensionsalter von Frauen, neue Hause gepflegt zu werden Veränderungen der Einkommenshöhen Lebensformen, Mobilität vielfältigere und Auswirkungen auf Kosten- stärkere Nachfrage nach individuellere Angebote beiträge, informelle Pflege? formeller Pflege Abbildung 4: Gesellschaftliche Herausforderungen Quelle: MA 24, eigene Darstellung 8
Aktuelle und künftige Herausforderungen Steigende Individualität miert, die neue Technologien und ein sozia- Die zunehmende Pluralität in der Gesell- les Umfeld miteinander verbinden, mit dem schaft bedingt eine individuellere und fle- Ziel, die Lebensqualität für Menschen in al- xiblere Angebotsstruktur der Dienstleis- len Lebensabschnitten, vor allem im Alter, tungen der Stadt Wien. Der Wunsch der zu erhöhen. Sie sollen (lt. Arbeitsprogramm BürgerInnen, auch im Pflege- und Betreu- der österreichischen Bundesregierung) dazu ungsfall möglichst lange zuhause sein zu beitragen, die Selbstständigkeit älterer können, setzt eine adäquate Wohnsituation Menschen in gewohnter Wohnumgebung voraus. Wohnungen müssen barrierefrei länger zu erhalten.5 zugänglich und nutzbar sein, sodass kleine Beeinträchtigungen nicht dazu führen, eine Derzeit gibt es noch keine Strukturen, die ansonsten eigenständige Lebensführung den Einsatz von AAL-Produkten flächende- aufzugeben. Auch die Grundrissplanung ckend fördern. Die Skepsis bei den Betroffe- und Größe der Wohnung spielen eine Rolle, nen, den DienstleisterInnen und Fördergebe- wenn anstelle einer stationären Unterbrin- rInnen ist groß. Neben Akzeptanzproblemen gung eine 24-Stunden-Betreuung eingesetzt (Umgang mit neuen Technologien etc.), gibt werden soll. Der Wunsch nach alternativen es auch ethische (Überwachung etc.) und Wohnformen im Alter – also nach indivi- ungeklärte finanzielle Fragen (Wartungs- duellen Wohnformen mit Betreuungs- und kosten etc.). Es ist aber davon auszugehen, Pflegeangeboten – wird auch hier eine stär- dass die zunehmende Technologisierung der kere Nachfrage erzeugen. Haushalte die Akzeptanz und technische Machbarkeit in den nächsten Jahren erhö- Neue Zielgruppen hen wird. Der medizinische Fortschritt führt dazu, dass sich die Lebenserwartung von Men- Steigende Anzahl älterer MigrantInnen schen mit Behinderung an jene der Ge- Bis 2030 wird sich die Anzahl der WienerIn- samtbevölkerung angleicht. Das bedeutet nen über 60 Jahre, die nicht in Österreich allerdings, dass im höheren Lebensalter geboren wurden, stark erhöhen. WienerIn- zusätzlich zur Behinderung altersbedingte nen, die in Serbien, Montenegro oder dem Beeinträchtigungen entstehen und zusätzli- Kosovo geboren wurden, stellen mit 23.851 cher Pflege- und Betreuungsbedarf gegeben Personen die größte Personengruppe mit ist. Die Pflege und Betreuung von morgen nicht-österreichischem Geburtsland. Die- sieht sich daher sowohl einer steigenden se Bevölkerungsgruppe wird bis 2030 um Nachfrage von (jüngeren) Menschen mit 54% bzw. mehr als 12.900 Personen anwach- schwerster Behinderung als auch von älte- sen. Andere Bevölkerungsgruppen der über ren Menschen mit Behinderung gegenüber. 60-Jährigen werden sich – je nach Geburts- land – mehr als verdreifachen (Türkei, Slo- Technologischer Fortschritt wakei, Bosnien und Herzegowina), mehr als Noch haben sich Ambient Assisted Living- vervierfachen (Rumänien, Russische Föde- Produkte (AAL) im Pflege- und Betreuungs- ration) oder im Fall von Personen aus Bul- bereich nicht durchgesetzt. Unter dem garien sogar versechsfachen. Das bedeutet Begriff der AAL werden laut dem Positions- aus den genannten Bevölkerungsgruppen papier der AAL Vision Österreich4 Konzepte, eine Zunahme von mehr als 58.400 Perso- Produkte und Dienstleistungen subsum- nen, während die in Österreich geborenen 9
Pflege und Betreuung in Wien 2030 | Strategiekonzept WienerInnen im gleichen Zeitraum um mehr ausgeprägten sozialen Umfeld sowie an der als 27.000 Personen steigen werden.6 vorhandenen Sprachbarriere.7 Bei der stati- onären Versorgung zeigt sich ein ähnliches Allerdings unterscheiden sich die einzelnen Bild. Alle Bevölkerungsgruppen – mit Aus- Bevölkerungsgruppen in der Inanspruch- nahme der Personen aus der Slowakei – sind nahme sowohl von mobilen wie auch sta- deutlich seltener stationär versorgt: 33% der tionären Pflege- und Betreuungsleistungen in Österreich geborenen WienerInnen, zwi- deutlich. Während rund 26% der in Öster- schen 4% und 15% der nicht in Österreich reich geborenen Personen über 85 Jahre geborenen WienerInnen.8 Gründe für die- eine mobile Pflege- oder Betreuungsleistung se Unterschiede können in der Religion, in erhalten, sind es – mit Ausnahme der Per- der Kultur, in der Familiensituation oder im sonen aus der Slowakei – nur zwischen 0% Gesundheitszustand der Betroffenen liegen, und 13% der oben genannten Bevölkerungs- aber auch durch Sprachbarrieren und Infor- gruppen. Das liegt zu einem großen Teil am mationsdefizite bedingt sein. Abbildung 5: KundInnen 85+ der ambulante Pflege station ambulanten Pflege 30,0% 26,00% 60,0% 24,20% nach Geburtsland 25,0% 50,0% (2011) 20,0% 40,0% 33,3 15,0% 12,80% 30,0% 10,0% 7,20% 20,0% 3,20% 4,50% 5,0% 2,90% 10,0% 0,00% 0,0% 0,0% . , .. na ei i n n n ke ich ich nie tio rie rk ro wi wa re re ra Tü eg lga mä go ter ter de Slo ten Bu ze Ru Fö Ös Ös on er he dH ,M isc un ien ie ss ien rb rb Ru Se Se sn Bo Abbildung 6: stationäre Pflege KundInnen 85+ der 60,0% 24,20% 49,50% stationären Pflege 50,0% nach Geburtsland 40,0% 33,30% (2011) 30,0% 7,20% 20,0% 15,40% 4,50% 10,20% 8,80% 3,20% 6,90% 5,40% 4,50% 10,0% 0,00% 0,0% ... na ei i n on n i i n n n ke e ke ich , nie rie nie tio rie rk rk ro wi ati wa wa Quelle: re ra Tü Tü lga eg lga mä mä go er ter de Slo Slo ten Bu Bu d ze Ru Ru Fö Fö Ös Sirlinger, Kröß: on er he he dH ,M isc isc Spezialbericht un ien ss ss ien rb Ru Ru Se Migrationshintergrund der sn Bo Kundinnen und Kunden des Fonds Soziales Wien, Anteil der Personen in Wien Wien 2013 Anteil der Personen mit dem jeweiligen Geburtsland 10
Aktuelle und künftige Herausforderungen Veränderungen der Arbeitslosigkeit und Ein- Rückgang des informellen Pflege- und kommen Betreuungspotenzials Wieweit sich Veränderungen der Arbeitslo- Die informelle Pflegearbeit erfolgt zu einem sigkeit auf das informelle Pflege- und Be- großen Teil von Frauen. Gleichzeitig stei- treuungspotenzial auswirken, ist ungeklärt. gen die Frauenerwerbsquote und das Frau- Dass eine prekäre Lebenssituation durch- enpensionsantrittsalter. Dadurch wird der aus negative Auswirkungen auf den Ge- Anteil der informellen Pflege- und Betreu- sundheitszustand und die Lebenserwartung ungsarbeit sinken. Zusätzlich erschwert die hat, ist nachgewiesen. Zusätzlich ist länger- gestiegene Mobilität in unserer Gesellschaft fristig mit sinkenden Pensionseinkommen und die zeitliche Flexibilität am Arbeits- (Pensionsreform 2000, keine durchgängigen markt die Pflege und Betreuung von Ange- Erwerbsbiografien mehr etc.) und damit ge- hörigen. ringeren Eigenmitteln der Betroffenen (was höhere Förderungen bedeutet) zu rechnen. 2.3. Herausforderungen des österreichischen Pflegevor- sorgesystems Pflegevorsorgesystem in Österreich Schnittstellen Ausstieg aus Reform des Pflegefonds Gesundheitswesen der Sozialhilfe Gesundheitswesens finanzierung (Sozialversicherung) finanzierung (Zielsteuerung) – Sozialbereich Zukunft (Finanz Entlastung des Akut ausgleichs- Finanzierungsform? Gesundheitsreform bereiches à Mehr Verhandlungen), Mehrkosten? als Chance? kosten in der Pflege Vereinheitlichung? Abbildung 7: Pflegevorsorgesystem in Österreich Quelle: MA 24, eigene Darstellung 11
Pflege und Betreuung in Wien 2030 | Strategiekonzept Die Herausforderungen des österreichi- Entwicklungen der letzten Jahre deuten je- schen Systems der Pflegevorsorge setzen an denfalls auf eine Ausweitung der Sachleis- drei Punkten an: tungen hin, während die Ausgaben für das Pflegegeld nicht im selben Ausmaß gestie- 99 große Zahl an Schnittstellen (Zuständig- gen sind. keiten), 99 Sozialhilfefinanzierung und Ausstieg aus der Sozialhilfefinanzierung 99 Uneinheitlichkeit von Angeboten, Finan- Der Ausstieg aus der Sozialhilfefinanzierung zierung, Versorgung etc. wird bereits seit langem diskutiert. Anders als im beitragsfinanzierten Gesundheitssys- Unterschiedliche Anschauungen gibt es tem werden die Kosten der Pflege und Be- auch über die Frage des Verhältnisses bzw. treuung auch zu einem erheblichen Anteil der Wirkungen von Geld- und Sachleistun- von den Betroffenen getragen. 2013 betrug gen. Während die BefürworterInnen von der Kostendeckungsgrad (aus Beiträgen und Geldleistungen vor allem die Autonomie und Ersätzen) in Wien im stationären Bereich die Wahlmöglichkeit der NutzerInnen sowie 36% und bei den mobilen Diensten 27%. We- die Regulationsfähigkeit des Marktes in den sentlich höher ist der Kostendeckungsgrad Vordergrund stellen, sehen die anderen die mit 61% bei den alternativen Wohnformen Treff- und Versorgungssicherheit sowie die (u.a. KWP). Über alle Pflege- und Betreu- Leistbarkeit vor allem durch Sachleistungen ungsleistungen betrug der Anteil der Kos- gewährleistet. Auch diese Fragen spielen bei ten, der von den Betroffenen aus Einkom- der künftigen Finanzierungsform der Pfle- men (Pension und Pflegegeld) und Vermögen ge und Betreuung eine wichtige Rolle. Die finanziert wurde, 38%. Leistungen 2013 lt. Pflegedienstleistungsstatistik Bruttoausgaben Beiträge, Ersätze Kostendeckungsgrad Mobile Dienste 217.357.286 58.746.433 27% Stationäre Dienste 732.160.336 261.410.457 36% Teilstationäre Dienste 17.013.890 2.078.115 12% Kurzzeitpflege 10.204.713 4.106.040 40% Alternative Wohnformen 199.972.359 122.621.990 61% Gesamt 1.176.708.584 448.963.035 38% alle Beträge in Euro Abbildung 8: Kostendeckungsgrad Pflege- und Betreuungsleistungen, 2013 (Wien) Quelle: FSW, 2013 Die Anzahl der ungeförderten Plätze in Pfle- nächst ihr Einkommen und Vermögen ver- geheimen ist gering. Demzufolge muss ein werten und ist schließlich auf Leistungen Großteil der Personen, die stationäre Pfle- der Sozialhilfe angewiesen. Der angestreb- ge und Betreuung in Anspruch nehmen, zu- te Ausstieg aus der Sozialhilfefinanzierung 12
Aktuelle und künftige Herausforderungen würde vor allem die Abschaffung der fast Finanzierbarkeit des öffentlichen Gesund- 100%igen Vermögens- und Einkommensver- heitswesens durch einen vereinbarten und wertung bedeuten. nachhaltigen Ausgabendämpfungspfad si- chergestellt wird. Pflegefonds Kern der vorliegenden bundesgesetzlichen Der Pflegefonds stellt den Ländern in den Regelungen ist die Einrichtung eines part- Jahren 2011 bis 2016 jährlich einen Zweck- nerschaftlichen Zielsteuerungssystems auf zuschuss zur Verfügung. Auf Wien entfiel im Basis von privatrechtlichen Zielsteuerungs- Jahr 2013 ein Zuschuss in Höhe von rund verträgen auf Bundes- und Landesebene, 40,9 Mio. Euro und im Jahr 2014 von 48,1 das eine bessere Abstimmung zwischen dem Mio. Euro. Für 2015 werden rund 56,9 Mio. Krankenanstaltenbereich und dem nieder- Euro aus dem Pflegefonds erstattet. gelassenen Versorgungsbereich garantieren wird, sowie die Verpflichtung des Bundes Der Zweckzuschuss wird für die Sicherung und der gesetzlichen Krankenversicherung, sowie für den Aus- und Aufbau der Be- an diesem Zielsteuerungssystem mitzuwir- treuungs- und Pflegedienstleistungen der ken. Länder im Bereich der Langzeitpflege zum laufenden Betrieb sowie für begleitende Im Wiener Landeszielsteuerungsvertrag qualitätssichernde Maßnahmen und für in- sind einige Projekte definiert, die an der novative Projekte gewährt. Daneben verfolgt Schnittstelle zwischen dem Gesundheitswe- der Pflegefonds insbesondere das Ziel, eine sen und dem Sozialbereich liegen. österreichweite Harmonisierung im Bereich der Dienstleistungen der Langzeitpflege zu Diese sind vielfältig und ergeben sich vor erreichen. allem aus den unterschiedlichen Finanzie- rungslogiken und Fördertöpfen (Zuständig- Sowohl die Zukunft des Pflegefonds als auch keiten). Diese Strukturen stehen derzeit ei- die im Pflegefondsgesetz avisierte Harmo- ner integrierten Versorgung entgegen. nisierung der Dienstleistungen haben Aus- Die derzeitige Gesundheitsreform setzt hier wirkungen auf die Pflege- und Betreuung in an und versucht die unterschiedlichen Sys- Wien. tempartnerInnen und somit auch das ge- samte System besser abzustimmen, damit Reform des Gesundheitswesens die Pflege und Betreuung auch in Zukunft Im Interesse der in Österreich lebenden leistbar bleibt. Die Auswirkungen haben Menschen sind Bund, Länder und Sozial- aufgrund des Subsidiaritätsprinzips in der versicherung übereingekommen, ein part- Sozialhilfe nicht nur die Länder und Ge- nerschaftliches Zielsteuerungssystem zur meinden zu tragen, sondern auch die Be- Steuerung von Struktur, Organisation und troffenen. Umso dringender erscheint die Finanzierung der österreichischen Gesund- Klärung der künftigen Finanzierung der heitsversorgung einzurichten. Pflege und Betreuung. Weiters bedarf es kla- rer Regeln über den Kostentransfer aus dem Mit der partnerschaftlichen Zielsteuerung- Gesundheitssystem (Einsparungen) in das Gesundheit soll erreicht werden, dass die Pflegesystem (Mehrkosten). 13
Pflege und Betreuung in Wien 2030 | Strategiekonzept 2.4. Herausforderungen des Wiener Pflegevorsorge systems Verhältnis „ambulant vor Überforderung Zugang/Übergang Infodefizite u. Komplexität stationär“ blieb gleich bei Auswahl u. Steuerung bürokratischer Zugang zur Pflege Konzentration des und Betreuung starke Differenzierung Geriatriekonzepts 2004 auf des Angebotes die stationäre Versorgung Wiener Pflegevorsorgesystem unklare Zielgruppen, zwischen Überregulierung A ngebote und Bedarfslagen: und fehlenden Lücken im Angebot (z.B. Nachtbe P ensionistenklubs, Tageszentren, Rechtsgrundlagen treuung), geringe Flexibilität der medikalisierte Pflege … Angebote, viele geteilte Dienste hohe Kosten und Auslastungsprobleme, Unsicherheit „Alternative“: stationäre Versorgung hohe Kosten, Potenziale? Abbildung 9: Wiener Pflegevorsorgesystem Quelle: MA 24, eigene Darstellung Konzentration des Geriatriekonzepts 2004 auf das Verhältnis zwischen mobil betreuten die stationäre Versorgung und stationär versorgten Personen in den Der Wunsch der WienerInnen ist es, so lange letzten Jahren kaum verändert. Auch die wie möglich zu Hause leben zu können. Dem Schwerpunkte der Pflege- und Betreuungs- wurde im Geriatriekonzept 2004 durch das politik in Wien waren notwendigerweise Leitprinzip „ambulant vor stationär“ ent- auf die Neuausrichtung des stationären sprochen. Auch im Pflegefondsgesetz findet Angebots ausgerichtet, das mobile Angebot sich dieses Prinzip wieder. stand deshalb weniger im Fokus der Weiter- entwicklung. Es ist davon auszugehen, dass im Rahmen des Case Managements des FSW die mobile Zugang zu Pflege und Betreuungsleistungen Unterstützung Vorrang hat vor einer stati- Die Sozialhilfelogik macht eine genaue Prü- onären Unterbringung. Allerdings hat sich fung der Anspruchsvoraussetzungen erfor- 14
Aktuelle und künftige Herausforderungen derlich (z.B. Prüfung, ob Vermögensbesitz der Tageszentren und Pensionistenklubs vorhanden ist oder der genauen Einkom- nicht endgültig geklärt. Dementsprechend menshöhen). Dementsprechend nimmt die sind auch die Angebote nur ungenau de- Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen im finiert. Diese Entwicklung darf aber nicht Assessment einen – manchmal zu – gewich- ausschließlich negativ gesehen werden, da tigen Stellenwert ein. Bedarfe sehr oft nur schwer zu ermitteln sind und eine Weiterentwicklung nur durch Vor allem in Krisensituationen (plötzlicher Trial and Error möglich ist. Allerdings er- Eintritt eines Pflege- oder Betreuungsbe- scheint es notwendig, neue Instrumente zur darfes, Verschlechterung des Gesundheits- Erfassung des Bedarfs zu entwickeln bzw. zustandes, Rückkehr nach Krankenhausauf- einzusetzen und bei einigen Angeboten Prä- enthalten etc.) entsprechen die verfügbaren zisierungen vorzunehmen. Standardprodukte des FSW nicht immer der tatsächlichen individuellen Bedarfslage. Angebot weiter erschließen Durch den prognostizierten Rückgang des Wie bereits in der Reformarbeitsgruppe Pfle- familiären Betreuungspotenzials werden ge festgestellt, ist die 24-Stunden-Betreuung daher individualisiertere Unterstützungen trotz des ständigen Anstiegs kein breiten- umso wichtiger, um Spitalsaufenthalte oder wirksames Instrument zur Versorgung von Heimeinweisungen zu verhindern bzw. An- Menschen mit Pflege- und Betreuungsbe- gehörige zu entlasten. darf. Vor allem die hohen Kosten sowie die räumlichen Voraussetzungen, aber auch die Starke Differenzierung des Angebots permanente Anwesenheit der Betreuungs- Die Ausdifferenzierung der Angebote hat personen stehen einer Inanspruchnahme oft zwar mehr Vielfalt in die Pflege- und Be- entgegen. Die 24-Stunden-Betreuung kann treuungslandschaft gebracht, aber auch die daher nur als Ergänzung zum bestehenden Komplexität der Steuerung und Auswahl Betreuungssystem gesehen werden, aber erhöht. So ist die Auswahl der geeignetsten nicht als deren Ersatz. Ungeklärt ist, ob eine Betreuungsform nicht nur für die Betroffe- 24-Stunden-Betreuung nicht auch deshalb nen und ihre Angehörigen, sondern auch für eingesetzt wird, da das Betreuungsangebot die Case ManagerInnen des FSW mitunter der Länder unflexibel (z.B. keine Nachtdiens- diffizil. te) bzw. das durchschnittlich zur Verfügung stehende Stundenangebot unzureichend ist. In den letzten Jahren wurde auch das In- Obwohl die Versorgung in Wien mit mobilen formationsangebot über die Pflege- und Be- Diensten gut ausgebaut ist, weist auch Wien treuungsleistungen in Wien verstärkt. Es eine Lücke zwischen 24-Stunden-Betreuung trägt aber der neuen Vielfalt und dem Prin- und den mobilen Diensten auf. Zudem wer- zip der Wahlfreiheit nur bedingt Rechnung. den auch die vielen geteilten Dienste sowie der Wechsel von Betreuungspersonal kriti- Klarere Definition der Zielgruppen siert. Die Differenzierung und Entwicklung der Leistungsangebote erfolgte nicht immer Neue gesetzliche Grundlagen erforderlich entsprechend dem Bedarf, sondern manch- Im stationären Bereich sorgt das umfas- mal aufgrund eines allgemeinen Trends. So sende Wiener Wohn- und Pflegeheimgesetz sind vor allem die Rollen und Zielsetzungen für die entsprechenden Standards, die auch 15
Pflege und Betreuung in Wien 2030 | Strategiekonzept regelmäßig kontrolliert werden. Die in die- Verjüngung in Wien, sodass mehr potentiel- sem Gesetz festgelegten Standards betref- le MitarbeiterInnen in der Pflege zur Verfü- fen etwa die Personalausstattung, baulich- gung stehen könnten. Allerdings findet die technische Vorgaben, die Betriebsführung, Verjüngung in einem geringeren Ausmaß als die Wahrung der Rechte der BewohnerInnen die Alterung statt. Laut ExpertInnen ist es und die Pflichten der HeimträgerInnen. notwendig, den Pflegeberuf deutlich attrak- Eine weitere landesgesetzliche Grundlage tiver zu gestalten, um ausreichend Personal bietet das Wiener Sozialhilfegesetz (WSHG). aufbauen zu können. Dazu zählt neben einer Mit Einführung der Bedarfsorientierten entsprechenden Entlohnung auch die Ver- Mindestsicherung (2010) dient das Wiener besserung der Arbeitsbedingungen. Sozialhilfegesetz ausschließlich als gesetz- liche Grundlage für die Pflege und Betreu- Informelle Pflege ung sowie die Wohnungslosenhilfe. Das Der Anteil der informellen Pflege ist im in- WSHG ist wiederum die Grundlage für die ternationalen Vergleich hoch, aber auch der Förderrichtlinien des FSW. Unterstützungsgrad pflegender Angehöriger Angesichts der rasanten Veränderung und durch die öffentliche Hand weist ein hohes Bedeutung der Pflege und Betreuung ist die Niveau auf. Der Anteil der informell pflegen- Schaffung einer neuen gesetzlichen Grund- den Personen – die zu einem großen Teil aus lage in Wien erforderlich. Frauen zwischen 40 und 59 Jahren besteht – wird sich in Zukunft verringern. Personal 2013 haben in Wien 5.482 Personen in den In Wien jedoch wird der Rückgang der infor- mobilen Diensten, 11.419 im stationären mellen Pflege nicht so deutlich ausfallen wie Bereich, 285 in teilstationären Diensten, in anderen Bundesländern, da in Wien die 236 im Bereich Kurzzeitpflege, 2.195 in al- oben genannten gesellschaftlichen Faktoren ternativen Wohnformen und 118 im Case- bereits in stärkerem Ausmaß eingetreten und Care-Management gearbeitet.9 In den sind. Außerdem erleichtern die steigende nächsten Jahren wird es eine demografisch Mobilität der Bevölkerung und die ständig bedingte steigende Nachfrage im Pflegebe- verbesserte Infrastruktur die Durchführung reich geben, gleichzeitig gibt es auch eine der informellen Pflege in Wien. 16
Vision Pflege und Betreuung in Wien 2030 3. Vision Pflege und Betreuung in Wien 2030 »» Wien 2030: Die Anzahl der WienerIn- nen über 85 Jahre ist in den letzten 15 Jah- ren um etwa die Hälfte gestiegen . Derzeit leben rund 61 .800 über 85-Jährige in Wien . versicherung abgestimmte Rehabilitations- bzw. Remobilisationsstrategie erreicht. Auch der Mangel an Pflegekräften wurde durch aktive Rekrutierungs- und Ausbil- Das sind um fast 20 .000 mehr als noch 2015 . dungsmaßnahmen sowie verbesserte Rah- Zurückzuführen ist dies auf die steigende menbedingungen für das Personal beseitigt. Lebenserwartung – diese ist in den letzten 15 Jahren bei Frauen um 2,81 Jahre und Was vor ein paar Jahren noch unvorstell- bei Männern um 3,42 Jahre gestiegen – so- bar war, ist das Zusammenwachsen des Ge- wie auf die geburtenstarken Jahrgänge der sundheitsbereiches mit dem Sozialsektor. Weltkriegsjahre . Im gleichen Zeitraum ist Eine integrierte Versorgung und entspre- der Anteil der Erwerbspersonen in Wien an chende Finanzierungsausgleiche kommen der Gesamtbevölkerung von 49,4% auf 47,7% nicht nur den Betroffenen zugute (z.B. durch gesunken . Doch entgegen so mancher Kri- gemeinsame Anlaufstellen und abgestimm- senszenarien ist der Pflegenotstand in Wien te Unterstützungen), sondern führen zu ausgeblieben . Die Stadt Wien hat sich die- Einsparungspotenzialen, die für die Weiter- sen Herausforderungen gestellt und entwicklung der Leistungen genutzt werden rechtzeitig Vorsorge getroffen . können. In Zusammenarbeit mit dem Bund und unter Federführung der Stadt Wien ist Die Zahl der WienerInnen mit Pflege- und ein neues Finanzierungsmodell für die Pfle- Betreuungsbedarf ist 2030 langsamer ange- ge und Betreuung entstanden. Dieses Modell stiegen als die demografische Entwicklung beseitigt die Degradierung von Menschen es erwarten ließ. Dieser Rückgang wurde mit Pflege- und Betreuungsbedarf zu Sozi- durch umfassende präventive Maßnahmen alhilfebezieherInnen und sorgt dafür, dass und eine konsequente und mit der Sozial- die Pflege und Betreuung auch in Zukunft 17
Pflege und Betreuung in Wien 2030 | Strategiekonzept für alle leistbar bleibt. Das neue Kostenbei- Unterstützung eingeräumt. Dieser umfasst tragsmodell des Fonds Soziales Wien (FSW) nicht nur die Pflege und Betreuung, sondern wurde transparenter und nachvollziehbarer auch die Beratung und Schulung sowie Un- gestaltet. Es ermöglicht eine flexiblere Nut- terstützung. zung von Angeboten und setzt Anreize für rehabilitative Maßnahmen. Seit 2015 werden in Wien keine zusätzli- chen Plätze in Wohnformen mit integrier- Das Angebot an Unterstützungen ist in den ten Pflege- und Betreuungsleistungen mehr letzten 15 Jahren vielfältiger und vor allem geschaffen. Die bestehenden Häuser haben flexibler geworden. Die überwiegende Mehr- ihre Angebote auf die aktuellen Bedürfnis- heit der WienerInnen mit Unterstützungs- se angepasst und neue Versorgungsaufga- bedarf lebt zu Hause. Ermöglicht wird dies ben wie zum Beispiel die Bereitstellung von durch die Unterstützung bei der Adaptie- Pflege und Betreuung im Einzugsgebiet der rung von Wohnraum, den Einsatz von neu- Einrichtung übernommen. In manchen Fäl- en technischen Unterstützungssystemen, len kooperieren sie mit mobilen Pflege- und neue Wohnformen (seniorInnengerechtes Betreuungsdiensten. Das Angebot richtet Wohnen, Wohngemeinschaften), ein engma- sich verstärkt an Personen mit Pflege- und schigeres Netz an mobilen Diensten, die im Betreuungsbedarf, die nur vorübergehend Bedarfsfall zu allen Tages- und Nachtzeiten einer intensiveren Pflege und Betreuung be- zur Verfügung stehen (z.B. Nachtrufbereit- dürfen. Die Pflegewohnhäuser des Wiener schaftsdienste), sowie durch den Ausbau Krankenanstaltenverbundes (KAV) mit ih- der Tagesbetreuung. Ziel ist, die Versorgung rem hohen medizinischen Know-how bieten entsprechend den individuellen Bedarfs- Personen mit Pflege- und Betreuungsbedarf lagen, auszugestalten, Überversorgung zu eine kurzfristige Unterbringung bei Insta- verhindern und die Selbstständigkeit und bilität des Allgemein- bzw. Gesundheitszu- Unabhängigkeit der Betroffenen möglichst standes an. Viele Wohnformen mit integrier- lange zu erhalten. ten Pflege- und Betreuungsleistungen haben sich auch zu offenen Begegnungsstätten für Auch das neue Angehörigenpaket hat sich die gesamte Bevölkerung weiterentwickelt. bewährt und trägt zur psychischen und physischen Entlastung der Angehörigen bei. Zusätzliche Rehabilitations- bzw. Remobili- Es gibt den Angehörigen Sicherheit, dass sationsmaßnahmen, die durch eine gemein- ihre Angehörigen gut versorgt sind, und er- same Stelle von Sozialversicherung und möglicht insbesondere Frauen, ihren Beruf Stadt Wien koordiniert werden, sorgen da- weiter ausüben zu können. Der Wegfall von für, dass die Selbstständigkeit und alltags- Doppelbelastungen und zahlreicher Belas- praktischen Fähigkeiten der Betroffenen tungs- und Konfliktsituationen hat zu einer möglichst lange erhalten bleiben. Nebenef- neuen Qualität in den Beziehungen geführt. fekt ist die Reduzierung der Aufnahmen in Der FSW mit seinen anerkannten Partne- Akutkrankenanstalten. Das Kuratorium Wie- rInnenorganisationen bietet sehr flexible ner Pensionistenwohnhäuser (KWP) weitete Modelle der Unterstützung im Falle eines sein Angebot für Menschen mit Pflege- und Ausfalls von Pflege- und Betreuungsperso- Betreuungsbedarf aus. Dazu wurden die be- nen an. Den pflegenden bzw. betreuenden stehenden Häuser entsprechend adaptiert. Angehörigen wurde ein Rechtsanspruch auf 18
Vision Pflege und Betreuung in Wien 2030 Die größere Vielfalt der Angebote und die Das Wiener Pflege- und Betreuungssystem Mündigkeit der KundInnen erfordern eine 2030 versteht sich als inklusives Angebot, spezifischere Information der (potenziellen) das sich an alle gesellschaftlichen Gruppen KundInnen. Analog zu bestehenden Such- wendet. Dementsprechend gibt es zwar eine maschinen (z.B. Hotelsuchmaschinen) ist die Vielzahl von unterschiedlichen Angeboten, Auswahl durch ein interaktives Pflege- und aber keine ausdrücklichen Schwerpunkt- Betreuungsportal deutlich einfacher gewor- setzungen, die zu einer Ausgrenzung der den. Das Beratungszentrum des FSW unter- Betroffenen führen. Alle Pflege- und Betreu- stützt bei der Entscheidungsfindung und ungsdienste sind auf die Herausforderun- koordiniert als zentrale Steuerungs- und gen vorbereitet (z.B. Anstieg der an Demenz Datenschnittstelle den gesamten Pflege- und erkrankten Personen) und verschließen sich »» Betreuungsprozess. Das SeniorInnenservice keinen Tabus. Wien (der frühere Kontaktbesuchsdienst) wird als wichtige Informationsquelle für vor allem potenziell Betroffene etabliert. Die Wien 2030: Aus pflege- und betreu- MitarbeiterInnen dieser neuen Einrichtung ungsbedürftigen Personen werden Men- suchen proaktiv den Kontakt zur älteren schen, die in bestimmten Situationen ihres Bevölkerung (z.B. Organisation von Veran- Lebens unterschiedliche Unterstützungs- staltungen, aufsuchende Beratung und Kon- bedarfe haben . Die Pflege- und Betreuungs- taktaufnahmen mit MultiplikatorInnen). Sie leistungen der Stadt decken diese Bedarfe sind in den neuen SeniorInnentreffs ange- auf sehr individuelle Weise ab und schaf- siedelt und konzentrieren sich vor allem auf fen so die Voraussetzung für ein Leben in präventive Aufgaben (Vorbereitung auf das Selbstbestimmtheit und mit hoher Alter). Die SeniorInnentreffs initiieren und Lebensqualität bis zuletzt . koordinieren Beteiligungsprozesse, die die Gestaltung des unmittelbaren Lebensraums der Betroffenen zum Ziel haben. 19
Pflege und Betreuung in Wien 2030 | Strategiekonzept 4. Leitlinien Pflege und Betreuung in Wien 2030 LEITLINIE 1 | Gezielte Information, gestützte Entscheidungs- findung und vereinfachter Zugang zu den Pflege- und Betreuungsleistungen in Wien Die größere Angebotsvielfalt auf der einen tieftes Assessment und ein automationsun- Seite sowie pluralere und individuellere terstütztes Monitoring sowie den Einsatz Lebensentwürfe auf der anderen Seite be- neuer Technologien in der Pflege und Be- dingen transparentere Informationen, eine treuung wird die Steuerung der Versorgung Vereinfachung des Zugangs und eine ver- optimiert. besserte Abstimmung bei der Auswahl der Leistungen. Das Beratungszentrum Pflege Ein plötzlich eintretender Pflege- oder Be- und Betreuung des FSW ist bereits zentrale treuungsbedarf bedeutet sowohl für die Anlaufstelle für Menschen mit Pflege- und Betroffenen (z.B. Verlust von Autonomie) als Betreuungsbedarf und deren Angehörige auch für die Angehörigen (z.B. Hilf- und Rat- und soll sich in Zukunft zu einer Informa- losigkeit) einen massiven Einschnitt. Viele tions- und Datendrehscheibe für das ge- fühlen sich in diesen nicht alltäglichen Si- samte Pflege- und Betreuungsnetzwerk wei- tuationen überfordert und alleine gelassen, terentwickeln. Die Stadt Wien wird daher und die zunehmende Mobilität und Flexi- das Informations- und Beratungsangebot bilität am Arbeitsmarkt schränkt die kurz- sowie das Case Management weiterentwi- fristige Verfügbarkeit von Angehörigen oft ckeln. Dadurch sollen auch neue Bedarfs- stark ein. Mit einem neuen Angebot sollen lagen schneller erkannt und entsprechende die WienerInnen sowie deren Angehörige Angebote entwickelt werden. Durch ein ver- bei Eintritt eines Pflege- und Betreuungsbe- 20
Leitlinie 1 B darfes ganz individuell und unbürokratisch ei Entstehung neuer Bedarfslagen, ins- unterstützt und entlastet werden. Zudem besondere von Zielgruppen mit primär soll der generelle Zugang zu den Pflege- und medizinischen Indikationen, für die Betreuungsleistungen vereinfacht werden. das bestehende Angebot der Stadt (z.B. KAV und Haus der Barmherzigkeit) sehr oft un- Handlungsoptionen: zureichend ist, werden in Kooperation mit anderen TrägerInnen (z.B. der Krankenver- I nformation: Die Wahl der Pflege- und Be- sicherung) passende Lösungen (Versorgung, treuungsangebote für die Betroffenen Finanzierung) erarbeitet. Diese können ent- bzw. deren Angehörige wird durch ein weder nur den Einzelfall betreffen oder ge- einfaches, transparentes und nach stan- nereller Natur sein. Ausgangspunkt sind dardisierten Qualitäts- und Auswahlkrite- die Meldungen des Case Managements des rien ausgestaltetes Informationsangebot FSW über die nur unzureichend gedeckten erleichtert. Dies schafft auch einen guten Bedarfe. Überblick für alle in diesem Bereich tätigen B Personen und erleichtert die Kooperation. ei Eintritt eines Pflege- und Betreu- Eine generelle Informationsoffensive zum ungsbedarfes, der sehr oft mit einer Thema Pflege und Betreuung soll nicht nur Überforderung der Angehörigen ver- das Wissen der Bevölkerung über die zahl- bunden ist, bietet die Stadt ein geeignetes reichen Angebote der Stadt verbessern, son- Unterstützungs- und Entlastungsangebot dern auch die Auseinandersetzung mit dem für die Betroffenen und deren Angehörige an Alter und den Vorsorgemöglichkeiten för- und beschleunigt die Antragsbearbeitung. dern. Maßnahmen: C ase Management des FSW: Ein ver- tieftes Assessment verbessert die be- cc Erstellung eines interaktiven Informati- darfsgerechte Zuweisung der Personen onsportals Pflege und Betreuung in Wien mit Pflege- und Betreuungsbedarf in ein sich cc Umsetzung der Informationsoffensive ständig weiterentwickelndes und vor allem Pflege und Betreuung für Multiplikato- vielfältiges Angebot und liefert zusätzliche rInnen Informationen für die Planung und Steue- cc Weiterentwicklung des Case Manage- rung. Ein erweitertes Monitoring sorgt für ments (Assessment) eine bedarfsgerechte und vorausschauende cc Weiterentwicklung des Case Manage- Anpassung des Unterstützungsangebots. ments (Monitoring) Für den Betreuungsprozess notwendige In- cc Schaffung des Angebots Pflegeüber- formationen werden aus dem Case Manage- gangsbegleitung und Krisenunterstüt- ment des FSW an die TrägerInnenorganisa- zung tionen weitergegeben. Gleiches gilt auch für cc Erarbeitung eines Konzepts für eine un- wichtige Informationen aus dem Pflege- und bürokratischere Bearbeitung von Anträ- Betreuungsprozess, die zwecks besserer Ab- gen auf Pflege- und Betreuung stimmung dem Pflege- und Betreuungsnetz- werk und dem FSW zur Verfügung gestellt werden. Ziel ist eine lückenlose Informati- onskette. 21
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