Der Expertenbrief - ecostra
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EXPERTENBRIEF Oktober 2021 Der Expertenbrief • Machen kommunale Einzelhandelskonzepte heute noch Sinn? Ein Plädoyer für einen Paradigmenwechsel • Innenstadtdialog Ulm 2030. Dialogorientierte Stadtentwicklung im Zeichen der Pandemie • GSPRD2020: Kaiser-Joseph-Straße in Freiburg Top, Limbecker Straße in Essen Flop! • Neue gif-Richtlinie: Qualitätskriterien für Einzelhandelskonzepte • Überraschung beim neuen SCPROE: Messepark in Dornbirn trotz fehlender Schweizer Kundschaft wieder bestes Shoppingcenter • Outlet-Center in Deutschland: Neue Projekte meist unterhalb des Radars der Genehmigungsbehörden • Die aktuelle Grafik: Vergleich der Umsatzentwicklung in Shoppingcentern und Retail Parks während der Corona-Krise • Frisch aus der Ablage Märkte verstehen | Risiken bewerten | Chancen erkennen
Impressum Herausgeber: ecostra GmbH Wirtschafts-, Standort- und Strategieberatung in Europa Bahnhofstrasse 42 D-65185 Wiesbaden Tel. +49 (0)611 71 69 57 5 0 Fax +49 (0)611 71 69 57 5 25 www.ecostra.com info@ecostra.com www.ecostra.com
Machen kommunale Einzelhandelskonzepte heute noch Sinn? Ein Plädoyer für einen Paradigmenwechsel Kommunale oder regionale Einzelhandelskonzepte sind Konzepte im Bereich des Städtebaus und der Raumordnung, in denen planerisch festgehalten ist, nach welchen Vorgaben und Zielsetzungen sich der Einzelhandel in einem geographischen Raum entwickeln soll. Es handelt sich somit um ein planerisches System der zentralen Orte und den Steuerungsinstrument u.a. für Einzel- diesen zugewiesenen, abgestuften Ver- handelsansiedlungen oder –erweite- sorgungsfunktionen gerade auch für rungen. Einzelhandelskonzepte sind den Einzelhandelswaren sollen die gleich- sog. „informellen“ städtebaulichen wertigen Lebensverhältnisse so gut wie Planungen zuzuordnen und stehen somit irgend möglich erreicht werden. Dem neben den „förmlichen“ Bauleitplänen zugrunde liegt der klassische Gedanke an (Flächennutzungsplan, Bebauungspläne). einen physischen Marktplatz, auf dem Sie haben denselben rechtlichen Status Angebot und Nachfrage zusammen- wie z.B. kommunale Konzepte zur Ver- treffen und auf dem der Handel mit den kehrsentwicklung, zur Gewerbeansied- entsprechenden Waren stattfindet. Durch lung oder zum Wohnungsbau. Damit sind räumliche Steuerung sollen diese die Vorgaben und Zielaussagen – einmal Marktplätze entwickelt, stabilisiert und vom Stadt- oder Gemeinderat beschlos- erhalten werden. Wie das im Einzelnen sen – zwar nicht unüberwindlich, aber erfolgen soll, regelt dann das jeweilige meist orientiert sich die kommunale Einzelhandelskonzept. So weit, so gut! Planung bei Genehmigungsverfahren zur Neuansiedlung oder Erweiterung von Handelsbetrieben doch sehr stark an dem jeweiligen Konzept, insbesondere an Inhalt dessen Festlegung von zentralen Ver- Seite sorgungsbereichen und der Sortiments- Machen kommunale Einzelhandelskonzepte einteilung in zentren- und nicht-zentren- heute noch Sinn? Ein Plädoyer für einen relevante Warengruppen. Zwischenzeit- Paradigmenwechsel 1 lich dürfte fast jede Stadt oder Gemeinde in Deutschland über ein solches Innenstadtdialog Ulm 2030. Dialog- Einzelhandelskonzept verfügen. Ob orientierte Stadtentwicklung im immer aktuell und in welcher Qualität Zeichen der Pandemie 6 bearbeitet, steht auf einem anderen Blatt und ist nur im Einzelfall zu bewerten. 1 GSPRD2020: Kaiser-Joseph-Straße in Freiburg Top, Limbecker Straße in Essen Flop! 14 Das bisherige Paradigma Neue gif-Richtlinie: Qualitätskriterien Ob kommunales oder regionales Einzel- für Einzelhandelskonzepte 17 handelskonzept, alle sind v.a. getragen vom Gedanken der Versorgung der Be- Überraschung beim neuen SCPROE: völkerung mit Waren und Dienstleis- Messepark in Dornbirn trotz fehlender tungen. Dies gilt genauso für die über- Schweizer Kundschaft wieder bestes örtliche Planung, sei es die Region oder Shoppingcenter 20 die Ebene des Bundeslandes. Die Outlet-Center in Deutschland: Neue Schaffung gleichwertiger Lebensverhält- Projekte meist unterhalb des Radars nisse gilt als zentrale Leitvorstellung der der Genehmigungsbehörden 24 Raumordnung. Mit dem hierarchischen Die aktuelle Grafik: Vergleich der 1 Umsatzentwicklung in Shoppingcentern Zu den Anforderungen an ein qualifiziertes und Retail Parks während der Einzelhandelskonzept vgl. gif Gesellschaft für im- Corona-Krise 27 mobilienwirtschaftliche Forschung e.V. (Hrsg.): Qualitätskriterien für Einzelhandelsgutachten. Ein- zelhandelskonzepte und projektbezogene Auswir- Frisch aus der Ablage 28 kungsanalysen. Wiesbaden, 07 / 2020 www.ecostra.com 1
Digitaliserung schafft neue Realität heute nicht nur ubiquitär verfügbar, sondern auch hinsichtlich ihrer Bezugs- Allerdings trifft dieser physische Markt- quellen austauschbar: das Produkt ist platzgedanke auf eine neue Realität, die physisch dasselbe, egal ob dieses im von einer stark fortschreitenden Digital- innerstädtischen Fachhandel, im Shop- isierung geprägt ist. Die Verbraucher pingcenter, Fachmarktzentrum oder bei haben – unabhängig davon, ob der einem Online-Shop gekauft wird. Zwar Wohnort eine Großstadt oder ein Berg- hat auch der stationäre Handel seine dorf ist – heute über das Internet die Stärken, aber der Online-Handel hat eine Möglichkeit, sich zu einem Warenangebot starke Wettbewerbsposition. zu informieren und auf dieses zuzu- greifen, das in dieser Breite und Tiefe Verbraucherverhalten führt zu nicht einmal in London oder New York Marktanteilsverschiebungen erhältlich ist. Das Online-Shopping ist hinsichtlich Dies hat zweifelsohne Rückwirkungen nicht nur auf das Einkaufsverhalten der • der Auswahlvielfalt unschlagbar, Bevölkerung, sondern auch auf die • aber auch hinsichtlich der Möglichkeit Versorgungsfunktionen bestimmter Ge- und Geschwindigkeit, sich einen schäftslagen und Vertriebskanäle des möglichst umfassenden Überblick Einzelhandels. Und auch Rückwirkungen über das Gesamtangebot zu ver- auf essentielle Fragen der Stadtent- schaffen, unschlagbar, und schließ- wicklungsplanung und der Raumordnung. lich auch Bei nahezu sämtlichen Waren, welche nicht unmittelbar der Nahversorgung • im Hinblick auf das Preisniveau (Lebensmittel, Drogeriewaren etc.) zuzu- unschlagbar. rechnen sind, ist der Online-Handel augenscheinlich besser in der Lage, gleichwertige Lebensverhältnisse herzu- stellen und einen entsprechenden Ver- sorgungsauftrag zu erfüllen als der stationäre Handel. Der Wohnort selbst spielt hier keine Rolle mehr; vielmehr ist entscheidend, ob ein guter und stabiler Internet-Breitbandanschluss vorhanden ist. Dies ist eine der Lehren, welche gerade auch in der Phase der Corona- Im Jahr 2020 erzielte Amazon allein in Deutschland bedingten Lockdowns gezogen werden einen Umsatz von 24,7 Mrd. €. Eine Steigerung konnte. gegenüber dem Vorjahr um ca. 33 %, wobei die Corona-Pandemie ein wesentlicher Treiber war. Online-Marktanteil bei Mode bereits bei knapp 40 % Es kommen weitere Stärken hinzu: Die Beratungsintensität gewinnt nicht nur Nach Angaben des HDE Online Monitor durch übersichtliche Auflistungen, hatte das Online-Shopping in Deutsch- sondern auch durch eine Vielzahl von land im Jahr 2020 einen Marktanteil am Kundenbewertungen. Auch hinsichtlich Einzelhandel im engeren Sinne von ca. der Transaktionskosten erscheint der 12,6 % (Vorjahr ca. 10,8 %); in der Online-Handel nahezu unschlagbar. Der innerstädtischen Leitbranche Fashion & Käufer muss nicht mehr in die Innenstadt Accessoires lag der Marktanteil bereits oder zu irgendwelchen Einkaufsorten bei ca. 39,8 % (Vorjahr ca. 30,0 %). 1 fahren, denn die Ware wird ihm nach Wie neueste Marktdaten zeigen, stieg der Hause geliefert. Und das mit einer Online-Umsatz mit Bekleidung im 1. zwischenzeitlich enorm ausgefeilten Quartal 2021 gegenüber dem Vorjahres- Logistik. Bestellen kann er jederzeit, auch zeitraum um nochmals ca. 29,9 %, bei sonntags oder in der Nacht. Im Wettbe- werb um Convenience hat der Online- Handel somit keine schlechten Karten. 1 Dazu kommt, dass die Bedeutung der Vgl. HDE HAUPTVERBAND DES DEUTSCHEN EINZELHANDELS: Online-Monitor Ware an sich gesunken ist. Eine Ware ist 2021. Berlin, 2021 2 www.ecostra.com
Schuhen war ein Zuwachs von ca. 12,9 Versorgung der Bevölkerung und zur % zu verzeichnen! 1 Herstellung gleichwertiger Lebensver- hältnisse offensichtlich nicht mehr Die neue Situation. Sind Einzel- benötigt. Es spricht vieles dafür, dass es handelskonzepte obsolet? mit dem Online-Shopping eine neue Vertriebsform des Einzelhandels gibt, Wenn in der innerstädtischen Leitbranche welche diese Aufgaben genauso gut, Fashion & Accessoires, welche in jedem vielleicht sogar besser bewältigen kann kommunalen Einzelhandelskonzept den als der stationäre Handel. Fazit: eine sog. zentrenrelevanten Sortimenten Versorgungsaufgabe trägt als Begrün- zugerechnet wird und der somit ein ent- dung für einen Steuerungsanspruch der sprechendes Angebot für die städte- Raumordnung im Einzelhandel zumindest baulich integrierten zentralen Versor- für die Sortimente des mittel- und gungsbereiche vorbehalten sein soll, langfristigen Bedarfs nicht mehr. dann drängt sich eine Frage geradezu auf: Wie soll ein solches Einzelhandels- konzept seine planerische Steuerungs- wirkung entfalten, wenn bereits etwa 40 % des gesamten Branchenumsatzes dieses für die zentralen Lagen wichtig- sten Sortiments überhaupt nicht durch den stationären Handel gebunden werden? Spielt es da noch eine Rolle, ob weitere Kaufkraft für Mode bei Fach- märkten an der städtischen Peripherie landet? Sind Einzelhandelskonzepte durch die Digitalisierung obsolet geworden? Der Online-Handel und der auch ansonsten intensivierte Wettbewerb hat seine Spuren im Stadtbild vieler Städte hinterlassen. Im hessischen Weilburg werden Ladenleerstände in der Innenstadt als kostenlose Pop-Up-Stores angeboten. Der Lebensmittelhandel ist durch das Online- Auf dem Weg zu einem neuen Shopping bislang nur wenig betroffen und hat seine Paradigma (Nah-) Versorgungsfunktion somit weitgehend behalten. Wenn dies so richtig ist, ist ein Para- Versorgungsfunktion reicht nicht digmenwechsel erforderlich. Die Versor- mehr gungsbedeutung des stationären Handels ist gesunken und wird noch weiter Abgesehen von Themen der Nahversor- sinken. Wird der stationäre Handel dann gung, welche sich nur auf den kurz- überhaupt noch gebraucht? Konsequent fristigen Bedarf beziehen, werden Einzel- zu Ende gedacht, müsste die Schluss- handelskonzepte zur Sicherung der folgerung doch lauten: eigentlich nein, zur Versorgung der Bevölkerung wird der stationäre Handel nicht mehr unbedingt 1 Vgl. BEVH BUNDESVERBAND E-COMMERCE gebraucht. Aber dieser vielleicht ketzer- UND VERSANDHANDEL DEUTSCHLAND: Umsätze ische Gedanke darf über etwas anderes im E-Commerce im 1. Quartal 2021 weiter von nicht hinwegtäuschen. Der stationäre Corona-Effekten geprägt – Bereinigtes Wachstum zeigt solides Plus insbesondere durch Güter des Handel ist nicht nur für die Versorgung täglichen Bedarfs. Pressemitteilung vom 13.04.2021 da. Dieser Handel gewinnt eine neue www.ecostra.com 3
Funktion, die so neu eigentlich gar nicht öffentliche Straßen, Plätze und Grün- ist: Während die Versorgungsfunktion zonen etc. sind wichtige Bausteine einer nämlich zurückgeht, steigt gleichzeitig die Innenstadt. Aber ohne Einzelhandel wird städtebauliche Bedeutung! Was ist damit das nicht reichen. Es ist keine attraktive gemeint? Innenstadt ohne einen ebensolchen Einzelhandel vorstellbar. Gastronomie, so wichtig sie sein mag, ist letztlich nicht genug. Schaufenster und Warenauslagen des Einzelhandels ebenso wie ebenerdig zugängliche Ladenflächen sind für die Aufenthaltsqualität und Bummelatmos- phäre einer Innenstadt ein unverzicht- bares Element. Hieraus gewinnt der Handel seine Bedeutung für den Städte- bau und partizipiert gleichzeitig an den Frequenzen, welche der handelsüber- greifende Nutzungsmix schafft. Aufgabe In Hechingen (Zollernalbkreis) wird versucht, mit des Einzelhändlers ist dann, diese Hinweisschildern Besucher zum Besuch der Frequenzen zum Schritt in den Laden zu Innenstadt zu motivieren. Bislang augenscheinlich motivieren, welcher Teil des öffentlichen mit nur begrenztem Erfolg. Raumes wird. Dies sollte dem Handel doch gelingen können, verfügt er doch Menschen brauchen „dritte Orte“ auch über Wettbewerbsvorteile gegen- über dem Online-Handel. Er hat zum Der Mensch ist ein soziales Wesen. Und Beispiel die Möglichkeit, Bedarf zu selbst wenn in der digitalen Welt die wecken, leicht den haptischen Kontakt sozialen Medien auch in der zwischen- zur Ware herzustellen, die Auswahl durch menschlichen Kommunikation einiges An- und Ausprobieren zu erleichtern, die verändert haben, so ist doch unstrittig: persönliche Beratungsfunktion, die Der persönliche, physische Kontakt der Warenkombinationsfunktion, die Laden- Menschen untereinander, das geplante gestaltung, die es mit jeder Website oder auch zufällige Treffen oder auch nur aufnehmen kann usw. Das mag nicht für die Neugier auf Begegnungen erfordern, alle Waren und für alle Verbraucher dass physische Räume in der Form von ausschlaggebend sein, aber doch für Plätzen und Kommunikationsräumen viele. Den Begriff hierfür gibt es schon: vorhanden sind oder geschaffen werden. Konversionsrate. Es sind in einem erweiterten Sinn jene Räume, welche der amerikanische Soziologe Ray Oldenburg bereits Ende der 1980er Jahre als den „dritten Ort“ jenseits von Wohnen und Arbeiten beschrieben hat. Prädestiniert für diesen „dritten Ort“ ist die Innenstadt. Attraktive städtische Räume und Plätze, welche Urbanität und Aufenthaltsqualität vermit- teln und über ein gutes Gastronomie- angebot gerade auch im öffentlichen Straßenraum verfügen, sind gegenüber den Wirkungen der Online-Shops weit- (Straßen-) Gastronomie, Begrünung und eine gehend immun. attraktive Gestaltung und Möblierung sind wichtige Elemente attraktiver öffentlicher Räume. Auch der Keine attraktive Innenstadt ohne Handel bleibt hier unverzichtbar. Im Bild: die Handel Innenstadt von Heidelberg. Gastronomie und Dienstleistungen, eine Planerischer Steuerungsanspruch besondere oder abwechslungsreiche muss erhalten bleiben Architektur, Kulturangebote in jeglicher Form, Sehenswürdigkeiten, öffentliche Damit sollte auch klar sein: eine Einrichtungen, attraktive und benutzbare Reduktion des kommunalen Steuerungs- 4 www.ecostra.com
anspruchs in der Einzelhandelsentwick- leistung. 1 Dies wird gerade auch bei lung darf auch in Anbetracht eines strittigen Genehmigungsverfahren vor Marktanteils des Online-Shoppings bei dem Hintergrund der aktuellen Recht- dem innerstädtischen Leitsortiment Mode sprechung des Europäischen Gerichts- & Accessoires von knapp 40 % nicht hofes (Urteil vom 30.01.2018, Rs. C- erfolgen. Das Argument, eine ver- 31/16, Visser / Appingedam) und den weigerte Genehmigung für einen Anforderungen aus der Umsetzung der zentrenrelevanten Einzelhandelsbetrieb Dienstleistungsrichtlinie zunehmend im Gewerbegebiet würde dazu führen, wichtiger werden. dass das Internet noch mehr Marktan- teile gewinnt, reicht nicht. Denn ein Eine neue Lust „Stadt“ zu erleben solcher Standort wird einen weiteren Umsatzzuwachs des Internets nicht Zum Einkaufen muss heute niemand verhindern. Hier sind andere Maßnahmen mehr in die Innenstadt. Es braucht gefordert. andere Motive: eine neue Lust auf Stadt, getragen von der Möglichkeit zum gemeinsamen Bummeln, dem Gastronomiebesuch, dem zufälligen oder arrangierten Treffen von Freunden und Bekannten, vielleicht aber auch nur getragen von der Neugier auf unerwartete Erlebnisse. Innenstadträume, welche den Bewohnern und Besuchern solche Anreize bieten, sind dann die „dritten Orte“, sind identitäts- stiftende Agora und Bürger- forum, sind so auch wesentliche Grundlage eines demokratischen Gemeinwesens. Ohne Handel wird dies nicht gehen, nur mit Handel auch nicht. Darauf müssen zukunftsorientierte Einzelhandelskonzepte reagieren und für die Stadtentwicklungs- planung Antworten finden. Für Im österreichischen Innsbruck sind bis vor wenigen Jahren noch Autos und Busse durch die den innerstädtischen Handel Maria-Theresien-Straße gefahren. Mit der Neugestaltung als Fußgängerzone hat die Stadt muss eine ökonomische Basis einen attraktiven Erlebnisraum gewonnen, der vielfältige Möglichkeiten bietet. Dabei war die gegeben sein, die geeignete besondere städtebauliche Kulisse schon vorher da, wird jetzt aber erst richtig in Szene gesetzt. Seit Umsetzung dieser Maßnahmen hat sich auch die Qualität des hier lokalisierten Handels Standortbedingungen, Nachbar- merklich verbessert. Attraktive und hochwertige Marken haben Shops eröffnet. schaften, Aufenthalts- und Erlebnisqualitäten erfordert, welche er nicht selbst allein schaffen Neue Themenschwerpunkte für kann, zu der er aber selbst einen Einzelhandelskonzepte wesentlichen Beitrag liefert. Ohne steuernde und gleichzeitig investive Was bedeutet dies für Einzelhandels- sowie gestaltende kommunale konzepte? In der inhaltlichen Ausrichtung Maßnahmen wird der Wunsch und nicht dieser Konzepte ist ein Paradigmen- die Tat der Vater des Gedankens bleiben. wechsel dahingehend notwendig, deut- lich stärker auf die städtebauliche Bedeu- tung des Handels bzw. auf den Beitrag des Handels zu einer attraktiven 1 Dem steht nicht entgegen, dass bei der städtebaulichen Situation v.a. in der Bestimmung von Nahversorgungsstandorten bzw. Innenstadt zu reflektieren, weniger stark ZVBs mit der Funktion „Nahversorgung“ innerhalb auf die Versorgungsbedeutung und – eines Einzelhandelskonzepts eben auch diese Ver- sorgungsfunktion in den Blick genommen wird. Hier sind städtebauliche Aspekte weiterhin nachrangig. www.ecostra.com 5
Innenstadtdialog Ulm 2030. Dialogorientierte Stadt- entwicklung im Zeichen der Pandemie von Dipl.-Ing. Architekt Volker Jescheck (Kontakt: plan@smudajescheck.com) Als Gunter Czisch, der Oberbürgermeister der Stadt Ulm, den Innenstadtdialog Ende 2018 aus der Taufe hob, war die globale Virusinfektion allenfalls Sciencefiction, außerhalb jeglicher realer Vorstel- lung. Anlass für den Ulmer Innenstadtdialog war auch nicht ein konkretes umstrittenes Bauprojekt, denn die Sedelhöfe, das neue urbane Einkaufsquartier in der zentralen Fußgängerzone war ausdiskutiert und im Bau. Lage ruhig leben möchten, findet ein jüngeres Publikum Events und Parties richtig gut. Die einen wollen bis vors Geschäft mit dem Auto fahren, die anderen das Teufelszeug am liebsten weit aus der Stadt verbannen. Handlungsfelder - Das Programm für den strukturierten Dialog Der Ausgangspunkt für die inhaltliche Struktur des Dialogs war die Identifizie- rung relevanter Handlungsfelder, die ecostra der etwa zwanzigköpfigen Pro- jektgruppe, in der wesentliche Akteure Volker Jescheck lebt und arbeitet in München. Von der Innenstadt repräsentiert sind, in der Beruf ist er Architekt und berät Kommunen sowie Auftaktveranstaltung am 04.12.2018 vor- Unternehmen bei städtebaulichen und planungsrechtlichen Themen. Er ist ein gefragter geschlagen hat: Fachpreisrichter für Planungswettbewerbe. 1. Mobilität Volker Jescheck hat in München und Darmstadt Architektur studiert. Nach einigen Jahren in 2. Gestaltung / Besondere Räume Architekturbüros fokussierte er sich Mitte der 80er 3. Handel / Dienstleistungen Jahre auf die Stadtplanung. Von 1988 bis 1991 arbeitete er in der Obersten Baubehörde im 4. Gastronomie Bayerischen Staatsministerium des Innern und 5. Wohnen anschließend neun Jahre im Stadtplanungsamt Freiburg. Der neue Stadtteil Vauban war das große 6. Kultur & Veranstaltungen Projekt dieser Zeit. Von 2000 bis 2018 war Herr 7. Natur, Grünbereiche und die Donau Jescheck Chef der Stadt- und Umweltplanung in Ulm. Derzeit ist der Innenstadtdialog Ulm sein 8. Digitalisierung Schwerpunkt. 9. Neue Branchen für die Innenstadt Der starke Impuls für den Innenstadt- 10. Übergreifende Themen dialog ist vielmehr die politische Idee, die wesentlichen Akteure der Innenstadt auf Die Projektgruppe ist alle Handlungs- einer Plattform zusammenzubringen: felder in einer Art Brainstorming zügig Miteinander reden - nicht übereinander! durchgegangen. Die beiden ersten Sitzungen waren so moderiert, dass alle Denn die Interessen der Menschen, die Beteiligten ihre Ideen und Beiträge auf sich auf die Innenstadt fokussieren, Kärtchen geschrieben haben, die an- gehen bisweilen weit auseinander und in schließend vorgelesen wurden und der Folge auch ihre Meinungen und Be- gemeinsam zu den Themengruppen wertungen, was gut, was akzeptabel und sortiert wurden. Grundsatz: Alles ist unzumutbar ist. Während die Bewohn- berechtigt, nichts fällt unter den Tisch. er*innen der Altstadt trotz der zentralen 6 www.ecostra.com
• Welche Bereiche der Ulmer Innen- stadt florieren, welche erleben einen relativen Niedergang oder haben zu wenig Frequenz? • Wo gibt es Probleme mit Sauberkeit, Sicherheit oder Beleuchtung? • Was kann man tun, um die Donau besser in das Stadterlebnis zu integrieren? • Welche kulturellen Projekte können die Innenstadt beleben? • Wie ist die Relation zwischen Die Auftaktsitzung des Innenstadtdialog Ulm fand im historischen Schwörhaus von Ulm statt. Auf dem Balkon dieses Gebäudes findet jeweils am vorletzten Montag im Eventisierung und Lebensqualität der Juni die sog. „Schwörrede“ des Oberbürgermeisters statt. Diese Rede bildet den Innenstadt zu bewerten? Beginn und das Ende des politischen Jahres in Ulm. Der OB hat hierbei gegenüber den Bürgern Rechenschaft abzulegen und schwört „Reichen und Armen ein gemeiner Mann zu sein in allen gleichen, gemeinsamen und redlichen Dingen ohne allen Vorbehalt, so wahr ihm Gott helfe“. Foto: SWP Südwestpresse / Volkmar Könneke Dieser Start hat geholfen, dass sich alle ernst genommen fühlen und sich gegen- seitig wertschätzen. Die Feinjustierung und Konkretisierung der Handlungsfelder war durchaus bunt und gab deutliche Hinweise auf individuelle Wahrnehm- ungen, Konflikte oder Defizite: • Welche Räume und Plätze sind besonders wichtig in der Ulmer Innenstadt? • Welche Themen sind unter dem Begriff Mobilität abzuarbeiten? • In welchen Quartieren parken zu viele Autos? • Warum gibt es so wenig Grün in der Die Hirschstraße in Ulm stellt die innerstädtische Stadt? Haupteinkaufslage. Ein hoher Filialisierungsgrad und mehrere großdimensionierte, leistungsstarke • Wie schaffe ich Platz für Lastenfahr- Handelsbetriebe garantieren eine weiträumige räder, Handwerkerfahrzeuge, Logistik Anziehungskraft. Im Hintergrund das Ulmer Münster. und Anlieferung? • Welche Konflikte bestehen zwischen Handlungsfeld „Öffentlicher Raum“ den Interessen der Innenstadt- nutzer*innen? Anschließend hat sich die Projektgruppe entschieden, das umfangreiche zweite • Welche Orte sind Hotspots mit nächt- Handlungsfeld mit dem neuen Titel lichem Lärm, der das Wohnen erheb- »Besondere Plätze / Öffentlicher Raum« lich stört, und welche Lösungen sind vorzuziehen. Es war eine kluge Entschei- vorstellbar? dung, sich zunächst auf die öffentliche • Was erwartet man sich künftig von Bühne der Stadt zu konzentrieren. Denn einem Besuch der Ulmer Innenstadt? der öffentliche Raum hat sich seit den 60er Jahren in zwei gegensätzliche Rich- • Mit welchen Strategien kann man auf tungen entwickelt: Ehemalige Pracht- die veränderte Bedeutung des straßen verkamen zu unwirtlichen Handels für die Citylagen reagieren? Schneisen mit reiner Verkehrsfunktion. www.ecostra.com 7
Mit der Erfindung der Fußgängerzone aufgeweitet haben. Im Juli 2019 gab es wurden dagegen multifunktionale öffent- schließlich ein sogenanntes World Café liche Räume neugestaltet, wo man mit fast hundert aktiven Teil- flanieren, sich erholen, kommunizieren, nehmer*innen zum Thema „Öffentlicher Waren anbieten, Straßenmusik und sogar Raum“. An fünf runden Tischen wurde kulturelle Topveranstaltungen erleben diskutiert, gestritten, gearbeitet. Die kann. Ergebnisse aller drei Dialogebenen, • Projektgruppe, • online Plattform • und öffentliches Forum wurden am Ende in einem Maß- nahmendokument zusammengefasst und dem Gemeinderat vorgelegt. In welche Zielrichtung sollen Maßnahmen im öffentlichen Raum der Innenstadt aus- gerichtet werden? Die TOP 7 aus Sicht der Bürgerschaft Ulms sind: Die Hafengasse in Ulm zeigt einen hohen Besatz an inhabergeführten Fachgeschäften. • Mehr Grün in der Stadt • Mehr öffentliche Angebote zum Zu Beginn haben wir weite Bereiche der Sitzen oder Verweilen, Spielplätze für Ulmer Innenstadt konkret vor Ort Kinder und Jugendliche angeschaut, Qualitäten und Defizite • Weniger Autos in der Innenstadt beschrieben und Maßnahmen entwickelt. Auch ein Nachtspaziergang war auf der • Besser begehbare und befahrbare Agenda. Pflasteroberflächen • Bessere Beleuchtung der Innenstadt • Mehr Sauberkeit • Mehr Sicherheit Das große Handlungsfeld Mobilität, mit dem sich der Innenstadtdialog aktuell beschäftigt, ist damit bereits angeschnit- ten. Die Vorschläge für den öffentlichen Raum sind durchwegs konkret: Mehr Bäume oder mobiles Grün, mehr Sitz- gelegenheiten ohne Konsumzwang, nicht nur Stühle, sondern auch bequemes Der Marktplatz bei Nacht. Der Platz wird von historischen (u.a. das Rathaus) sowie modernen Mobiliar zum »Chillen« werden Gebäuden (im Bild: die pyramidenförmige Stadt- gewünscht. Das Thema »barrierefreie bibliothek) eingerahmt. Ein Beleuchtungskonzept Stadt« ist mit den von der ästhetischen würde hier zu einer weiteren Aufwertung beitragen. Anmutung her beliebten, aber oft sehr unebenen Pflasteroberflächen aufge- Um noch mehr Meinungen abzubilden, rufen. Die Neugestaltung oder der Teil- haben wir drei Wochen lang eine Online umbau ist freilich eine aufwendige und Plattform zum Thema Öffentlicher Raum daher nur mittelfristig lösbare Aufgabe, eingerichtet, die hunderte wertvoller zumal die meisten Ulmer Plätze und Ideen und Beiträge einbrachte. Als dritte Gassen schön gestaltet sind, aber eben Dialogform haben wir öffentliche Foren in einer Zeit, als der Barrierefreiheit noch im Ulmer Stadthaus organisiert. Bei der nicht die Bedeutung von heute zuge- ersten Veranstaltung im März 2019 sprochen wurde. gaben eine Landschaftsarchitektin, ein Experte für den Handel und einer für Die Beleuchtung wird schon seit Jahren Mobilität mit ihren pointierten Statements nach dem Ulmer Lichtkonzept hochwertig Impulse, die die Denkräume des Innen- umgestaltet. Es gibt dennoch Bereiche, stadtdialogs nachhaltig dynamisiert und etwa die Stadtmauer oder der zentrale 8 www.ecostra.com
Grünraum »Wilhelmshöhe« an der Produkte, Servicequalität bis hin zur Donau, die extrem dunkel sind. Die Entwicklung der Donau und dem nächtliche Atmosphäre der Geschäfts- Marketing für den Städtetourismus. straßen sollte durch Schaufensterbe- leuchtung oder Fassadenbeleuchtung Das bedeutendste und teuerste Bau- inszeniert werden. Dafür müssen sich der projekt, das der Innenstadtdialog vor- Handel und die Eigentümer engagieren. schlägt, ist die Neugestaltung der in die Die Sauberkeit im öffentlichen Raums ist Jahre gekommenen Bahnhofstraße und unter den Bedingungen von Corona noch Hirschstraße, die 1a-Geschäftslage von viel wichtiger geworden. Insbesondere Ulm. Die brandneuen, architektonisch die neuen Abfallberge der ToGo chicen Sedelhöfe gegenüber dem Haupt- Verpackungen sind ein Ärgernis, das bahnhof sind ein zweites starkes sowohl mehr Reinigung und Leeren der Argument, jetzt in die 1a Lage zu Müllbehälter erfordert als auch eine investieren. Die Vorbereitungen für den Vermeidungsstrategie. Planungswettbewerb laufen erfreulicher- weise schon seit Sommer 2020, die Realisierung wird freilich noch einige Zeit brauchen. Die Projektgruppe appelliert auch klar an die privaten Eigentümer, für eine deutliche Modernisierung und optische Aufwertung der Geschäftshäuser zu sorgen. Corona hat dem Einkaufen im Internet einen kräftigen Schub verpasst. Die Zukunft des Einzelhandels wird aus Sicht der Projektgruppe Kombinationen von Standortpflege, realem Laden »brick and mortar« und online shopping erfordern. Auf kompetente Beratung und sehr guten Service muss noch viel mehr Wert gelegt werden. Die Ulmer City Marketing und die Stadt kooperieren beim Managen von drohenden Leerständen, eine wichtige Unmittelbar südlich der Ulmer City befindet sich das Fischerviertel. Die historischen Maßnahme für die Atmosphäre der Gebäude bilden ein städtebauliches Kleinod mit hoher Aufenthaltsqualität und sind Geschäftslagen. Besser koordinierte Öff- – neben dem Münster – das Ziel vieler Touristen. Hier finden sich viele nungszeiten, ein kontrovers diskutierter Gastronomiebetriebe, aber gleichzeitig ist auch der Wohnanteil nach wie vor hoch. Vorschlag, der die Personalressourcen des Handels berührt, sind nur mit sehr Handlungsfeld „Wirtschaftsstandort viel Überzeugungskraft der Ulmer City Innenstadt“ Marketing zu erreichen. Als zweites Handlungsfeld hat sich die Projektgruppe mit der komplexen Thematik Wirtschaftsstandort Innenstadt befasst. Drei Ziffern der ursprünglichen Liste sind hier zusammengefasst: • Handel, • Dienstleistungen, • Gastronomie, Tourismus, Hotellerie. Die diskutierten Themen und Vorschläge sind noch filigraner, diverser und vielschichtiger als beim Öffentlichen Raum. Sie reichen von der Neugestaltung Die Platzgasse bildet einen wichtigen Zulauf von Norden zentraler Bereiche über koordinierte auf den Münsterplatz. Auch hier hat sich ein fast Öffnungszeiten, Pop Up Stores, regionale durchgehender, leistungsstarker Fachgeschäftsbesatz etabliert. www.ecostra.com 9
In Ulm gibt es bisher keine Claims für Corporate Identity der Lufthansa sind bestimmte Geschäftslagen („Straße der Kreationen aus dem Geist der HfG. Das Spezialisten, „Einmalig schön ein- Hochschulgebäude auf dem Kuhberg, kaufen“). Es gibt keine klar bezeichneten eine Ikone der Moderne von Max Bill, mit Quartiere in der teilweise sehr roman- schönen Designausstellungen, wird viel tisch anmutenden Altstadt, mit Aus- zu selten besucht. Der berühmteste nahme des kürzlich eröffneten neuen Wissenschaftler der Welt, Albert Einstein, Einkaufsquartiers Sedelhöfe und dem wurde in Ulm geboren und ist in der gastronomisch dominierten Fischerviertel. Stadt zu wenig präsent. Schließlich Die Projektgruppe empfiehlt sehr, dass beherbergt das Museum Ulm den Löwen- sich Handel und Gastronomie hierzu menschen, die älteste Skulptur einer Gedanken machen. In diesem Zusam- menschlichen Figur. Die agile Direktorin menhang wird generell eine zeitge- des Museums hat für die bessere mäßere Signaletik empfohlen, um die Präsentation dieser Sensation einen gut sich die Ulm / Neu-Ulm Touristik (UNT) dotierten Zuschuss aus dem Kulturetat federführend kümmern wird. des Bundes erhalten. Ein »Ulmer Korb« mit regionalen Produkten und Probier- stände auf dem Wochenmarkt vor dem Münster, könnten das Image einer Genussregion Ulm befördern. Ulm an der Donau! Die Projektgruppe hat Vorschläge gemacht, kurzfristig und mit wenig Aufwand das Erleben von Stadt und Fluss erweitern. Dazu gehören die Vermietung von Booten und Standup Paddeling sowie neue Schiffahrtsange- bote, z.B. auch mit der historischen Eine nicht nur auf dem Judenhof in der Ulmer Ulmer Schachtel. Innenstadt umgesetzte Maßnahme des Innenstadt- dialogs: neue, flexibel nutzbare Stühle als Als Folge der Pandemie sind gut Möblierung des öffentlichen Raumes Foto: V. Jescheck 2020 gemachte, großzügig bemessene öffent- liche Freiräume eine Attraktion, nach der Der Städtetourismus wird als große Städte künftig stärker bewertet werden. Chance für den Wirtschaftsstandort Deshalb kommt es aus Sicht der Projekt- Innenstadt begriffen. Corona ist gruppe jetzt darauf an, Maßnahmen, die zumindest in den nächsten Jahren eine keine Generalplanung brauchen kurz- »Chance« für näher gelegene Desti- fristig, auch im Vorgriff auf große nationen. Die Projektgruppe hat viele Lösungen umzusetzen. Vorschläge gemacht, die zum Besuch der Innenstadt oder zu einer Reise nach Ulm animieren können. Außer dem groß- artigen gotischen Münster, das (noch) den höchsten Kirchturm der Welt besitzt, gibt es viele andere spannende Sehens- würdigkeiten mit Potenzial. Ulm ist nicht nur Mittelalter, sondern eine innovative Industrie- und Universitätsstadt. Zur Technikgeschichte könnten historische Magirus Feuerwehrfahrzeuge ausgestellt werden. Die Drehleiter ist made in Ulm. Die legendäre Hochschule für Gestaltung Die Projektgruppe des Innenstadtdialog bei einem (HfG) hat das internationale Design nach der Stadtrundgänge, welche bei Tag wie auch bei Nacht stattfanden. Dabei wurde auch ein Blick in 1945 revolutioniert. Produkte, wie der die Nebenlagen und Hinterhöfe geworfen. berühmte »Schneewittchensarg« 1, das stapelbare Geschirr TC 100 oder die Das Handlungsfeld Wohnen wurde zügig 1 abgehakt. Das vorbildliche Ulmer Modell Hierbei handelt es sich um eine Plattenspieler- Radio-Kombination von Braun. kommunaler Bodenbevorratung, der sehr 10 www.ecostra.com
große Anteil städtischer oder genossen- unterstreicht die Bedeutung, die der schaftlicher Mietwohnungen und die Oberbürgermeister dem Projekt zumisst. proaktive Ulmer Planungskultur sorgen im Vergleich süddeutscher Großstädte für Beteiligung der Öffentlichkeit ein noch relativ günstiges Preisniveau. Die Bürgerschaft Ulms und die Menschen Organisation des Innenstadtdialogs in der Region können sich in die öffentlichen Foren im Stadthaus Ulm Administrativ ist das Projekt sehr schlank einbringen oder sich über moderierte aufgesetzt. Es gibt keine Vollzeitkraft für Online Plattformen beteiligen. das Projekt, sondern lediglich eine Geschäftsstelle bei der Abteilung Liegen- schaften und Wirtschaftsförderung. Die beteiligten Mitarbeiter*innen wickeln den Innenstadtdialog neben ihrem sonstigen Tagesgeschäft ab. Als externe Fachleute unterstützen Dr. Joachim Will, ecostra GmbH, und der Architekt Volker Jescheck (vormals Stadt Ulm) die Geschäftsstelle. Die Online-Beteiligungsplattform „Bürgerblick“ fand eine große Resonanz und generierte viele konstruktive Beiträge zur Verbesserung der Situation der Innenstadt. Quelle: Snapshot aus www.zukunftsstadt-ulm.de Die Resonanz war auf beiden Kanälen sehr gut und konstruktiv. Die Beiträge der Öffentlichkeit werden in der Projekt- gruppe diskutiert und dem Gemeinderat schriftlich vorgelegt. Leider konnten wir 2020 keine Stadt- hausveranstaltung durchführen. Das Handlungsfeld Mobilität wurde Ende 2020 Für den Innenstadtdialog Ulm wurde ein eigenes Logo entwickelt. online aufgerufen und brachte mehr als zweihundert konkrete Vorschläge. Die Zusammensetzung der Projekt- Projektgruppe hat das begonnene Thema gruppe im Sommer 2021 wieder aufgegriffen. Herzstück des Innenstadtdialogs ist die Projektgruppe, in der die wesentlichen Akteure der Innenstadt vertreten sind. Mitglieder sind die Ulmer City Marketing, die IHK, die DEHOGA, die Ulm / Neu-Ulm Touristik (UNT), die Stadtwerke SWU, der BUND, die regionale Planungsgruppe Mitte / Ost (eine Art Bürgerverein), der Verein „Leben in der Stadt“, der Verein Bürgerimpulse, das Frauenbüro, Jugend aktiv in Ulm, der Inklusionsbeauftragte, die Digitale Agenda (eine Abteilung der Wildes Parken und ein starker Parksuchverkehr Stadt), Vertreter*innen der Fraktionen nach Stellplätzen im öffentlichen Straßenraum – v.a. in den Nebenstraßen - sind ebenfalls ein und die Geschäftsstelle Innenstadtdialog. Problem, das im Innenstadtdialog intensiv diskutiert Die Projektgruppe tagt monatlich im wurde. Dabei gibt es in Ulm eine Vielzahl von PKW- repräsentativen Ulmer Schwörhaus. Die Abstellmöglichkeiten in vergleichsweise kosten- ästhetische Wertigkeit der Location günstigen Tief- und Hochgaragen. www.ecostra.com 11
Die Entscheidungen für öffentliche nomie und Hotellerie - eine Art Task Maßnahmen trifft der Gemeinderat Force zu bilden, um wichtigen Maß- nahmen für den Neustart im Frühjahr Die Projektgruppe ist ein beratendes Schub zu verleihen. In zwei Video- Gremium. Maßnahmen, die die Stadt konferenzen wurden die einschlägigen betreffen, in der Regel auch Geld kosten Maßnahmen aus dem Innenstadtdialog und Personalressourcen binden, be- durchgecheckt und um Vorschläge schließt der Gemeinderat und beauftragt ergänzt, die wegen der doch länger die Verwaltung mit der Durchführung dauernden Pandemie zweckmäßig oder Prüfung. Die Vorschläge der erscheinen. Die gesamte Projektgruppe Projektgruppe zum Öffentlichen Raum wurde per Email eingebundenen und und zum Wirtschaftsstandort Innenstadt hatte die Gelegenheit, zusätzliche Vor- wurden dem Gemeinderat in einer schläge zu unterbreiten. Die Maßnahmen umfangreichen Drucksache vorlegt. wurden mit dem Oberbürgermeister Ursprünglich für die Sitzung im März abgestimmt und sind für die Verwaltung 2020 geplant, konnte bedingt durch die verpflichtend. Die Maßnahmen sollen zu Pandemie erst im Oktober darüber einem Besuch der Innenstadt animieren. beraten werden. Die Stadträtinnen und Es geht insbesondere um neue, »chillige« Stadträte waren voll des Lobes für die Sitzmöbel, zusätzliche Kübelpflanzen, Ergebnisse des Innenstadtdialogs. Die besser koordinierte Öffnungszeiten der Vorlage wurde einstimmig verabschiedet. Läden, mehr Außenflächen für Gastro- Jetzt kommt es darauf an, möglichst viele nomie, so sie denn öffnen darf, groß- Maßnahmen zu realisieren oder mit zügige Genehmigung von mobilen „To konkretem Zeitplan zu beginnen. Go“-Angeboten, öffentliche und private Desinfektionsspender, kreative (Kunst) Aktionen, z.B. Fassadenprojektionen, Straßenmusik. Die Erwartungen, dass konkret sichtbares geschieht, werden mit zunehmender Laufzeit des Innenstadtdialogs immer größer. Deshalb wird künftig bei jeder Sitzung der Projektgruppe berichtet, welche der vorgeschlagenen Sofort- maßnahmen zum Neustart von Handel und Gastronomie in der Innenstadt Eine einfach und kostengünstig umzusetzender bereits umgesetzt sind. Maßnahme des Innenstadtdialogs war, den Wald aus Schildern und Aufstellern im öffentlichen Raum auszudünnen. Auch hierzu gibt es bereits entsprechende Beschlüsse des Stadtrates. Freilich ist zu beachten, dass viele Maßnahmen von der privaten Wirtschaft zu erledigen sind, teilweise in Zusam- menarbeit mit der Stadt. Es ist wichtig, dass Stadt und Wirtschaft gemeinsam an einem Strang ziehen und nicht aufeinander warten, wer zuerst beginnt. Task Force - Neustart Innenstadt nach dem zweiten Lockdown Zwischen November 2020 und März 2021 gab es wegen der Infektionslage keine Treffen der Projektgruppe. Die Ge- schäftsstelle hat sich deshalb zu Beginn Während der Corona-bedingten Lockdowns erlebte auch die Ulmer Innenstadt des Jahres entschlossen, mit den am einen massiven Frequenzeinbruch. Nur vergleichsweise wenige Menschen meisten Betroffenen - Handel, Gastro- tummelten sich auf dem Münsterplatz. Zwischenzeitlich hat sich die Passantenfrequenz fast wieder auf das Vor-Corona-Niveau erholt. 12 www.ecostra.com
Bereits realisierte oder in Realisierung • Trotz des Ziels, den MIV in der Stadt befindliche Maßnahmen: zu reduzieren, muss auch die Erreichbarkeit der Innenstadt für • Neue Stühle und Loungemöbel PKW’s verbessert werden. wurden im Mai und Juni aufgestellt. • Der Umstieg vom MIV auf den ÖPNV Diese werden von Bewohnern und ist erstrebenswert. Dafür muss der Besuchern sehr gut angenommen. ÖPNV an Nutzerfreundlichkeit und • Temporäre Zusatzflächen für die somit allgemein an Attraktivität Außengastronomie werden weiterhin gewinnen. genehmigt • Das Radfahren soll in Ulm attraktiver • Desinfektionsspender sind in Ge- werden. Dabei spielt vor allem die schäften und öffentlichen Einrich- Sicherheit gegenüber anderen tungen bereits installiert. Verkehrsteilnehmern eine wichtige Rolle. • Das gemeinsame Leerstandsmanage- ment von Stadt und Ulmer City Marketing ist etabliert. Kontroverse Diskussionen sind vorpro- grammiert. Gerade an dem besonders • Die Neugestaltung der touristischen heißen Thema Mobilität, kann und muss Leitsysteme ist vom Aufsichtsrat der sich die Stärke des Innenstadtdialogs UNT beschlossen. beweisen. Es geht uns nicht um den Austausch meist bekannter, fundamen- talistischer Positionen, sondern immer um die Antwort auf die Frage: Welche Kombinationen urbaner Mobilität bringen für Ulm, unter Abwägung aller wesent- lichen Belange, den größten Nutzen? Zukunft des Innenstadtdialogs Ein Blick auf die Themenliste von 2018 zeigt, dass sich der Innenstadtdialog in der zweiten »Halbzeit« befindet. Es fehlen noch die Handlungsfelder: Ein Beispiel aus Hamburg für die Nutzung des öffentlichen Raumes. Treffen und • Natur, Grünbereiche und Donau sozialer Austausch auf dem Platz vor der Kirche St. Petri. • Kultur und Veranstaltungen Foto: © Florian Marten (aus der Dokumentation „Altstadt für Alle“) • Digitalisierung • Übergreifende Themen Projektgruppe Aktuell: Handlungs- feld „Mobilität“ Im Laufe des Jahres 2022 werden voraussichtlich alle Handlungsfelder Im Sommer 2021 steht das besprochen sein. Handlungsfeld „Mobilität“ auf der Agenda der Projektgruppe. Die Ergebnisse aus Bis alle Maßnahmen umgesetzt werden der Online-Beteiligung im vergangenen können, insbesondere die kosten- Jahr sind kommuniziert und werden in trächtigen baulichen Maßnahmen, die Beratungen eingebracht, in gleicher erreichen wir voraussichtlich das Jahr Weise wie beim Handlungsfeld „Öffent- 2030 und das kommende Jahrzehnt. Die licher Raum“. Wir hoffen sehr, dass die Stadt ist niemals fertig oder ein Museum. Fortschritte der Impfkampagne auch ein öffentliches Forum im Stadthaus zu Der Dialog hat einen unschätzbaren diesem großen komplexen Thema nach sozialen Wert. Miteinander reden und den Sommerferien zulassen. Die geplante Strategien entwickeln ist produktiver als Face-to-Face Befragung ist bereits als sich ärgern und Briefe ans Rathaus angelaufen. Der Stand der Diskussion in schreiben. Der Innenstadialog Ulm ist ein der Projektgruppe kann in etwa wie folgt solider Baustein für eine lebendige, umrissen werden: streitbare Demokratie. www.ecostra.com 13
GSPRD2020: Kaiser-Joseph-Straße in Freiburg Top, Limbecker Straße in Essen Flop! Die zufriedensten Geschäftsinhaber einer innerstädtischen Haupteinkaufs- lage befinden sich in Freiburg im Breisgau. Die zwischen Martinstor und Europaplatz gelegene Kaiser-Joseph-Straße bildet hier den zentralen innerstädtischen Geschäftsbereich der südbadischen Großstadt, die offensichtlich nicht nur von der Sonne verwöhnt wird. Auch aus Sicht der Filialbetriebe des Handels, der Gastronomie und der Dienstleistungen herrscht gutes Wetter, denn offensichtlich können hier besonders gute Erträge erwirtschaftet werden. Hier brummt aus Sicht des Handels das Geschäft vergleichsweise ganz besonders gut. Und das auch noch in den Abendstunden. Die Kaiser-Joseph-Straße in Freiburg in Breisgau erreichte bei der Mieterbefragung zum Geschäftsstraßen Performance Report Deutschland 2020 den 1. Platz. So kann Freiburg nun von sich straßen Deutschlands insgesamt 1.145 behaupten, die diesbezüglich derzeit Ladengeschäfte betreiben. beste Geschäftsstraße Deutschlands zu haben. Die Kaiser-Joseph-Straße hat Überraschung: Zwei Hafenstädte an somit bekannte und hochgehandelte der Ostsee auf den Plätzen 2 und 3 Einkaufslagen, wie z.B. in München die Kaufingerstraße oder in Berlin den Mit einer Durchschnittsbewertung (nach Kurfürstendamm weit hinter sich Schulnoten) von 1,55 erreicht die Kaiser- gelassen. Dies ist das Ergebnis des Joseph-Straße ein Top-Ergebnis, das die erstmals von ecostra gemeinsam mit Wertschätzung dieser Lage durch die dem BTE Handelsverband Textil und dem dort verorteten Geschäfte illustriert. An Kölner Start-Up hystreet.com durch- zweiter Stelle folgt die Lange Straße in geführten Geschäftsstraßen Performance Greifswald (Ø 1,60) und an dritter Stelle Report Deutschland (GSPRD). An der die innerstädtische Haupteinkaufslage Untersuchung haben 55 Unternehmen von Rostock (Ø 1,75), welche sich aus teilgenommen, welche in den abge- der Achse Kröpeliner Straße, fragten 261 innerstädtischen Geschäfts- Universitätsplatz und Breite Straße zusammensetzt. Damit konnten sich 14 www.ecostra.com
überraschenderweise zwei Küstenstädte das Ranking aufgenommen wurden, hält in Mecklenburg-Vorpommern bei dieser die Limbecker Straße in Essen mit einer Untersuchung mit auf dem Siegertrepp- Durchschnittsbewertung von 4,50. Will: chen platzieren. „Dass Freiburg als Ein- „Offensichtlich ist hier die Unzufrieden- kaufsstadt einen sehr guten Kunden- heit besonders stark ausgeprägt. Essen zuspruch aus dem gesamten süd- war lange Zeit innerhalb des Ruhrgebiets badischen Raum hat und auch Einkäufer sowie für wesentliche Teile von Nord- aus Frankreich, der Schweiz wie auch rhein-Westfalen eine ´der´ Einkaufs- internationale Touristen anzieht, ist städte, hat jedoch in den letzten Jahren hinreichend bekannt. Gleichwohl hätten vor allem gegenüber Dortmund merklich wir die ´Ka-Jo´ nicht ganz so weit vorne an Anziehungskraft verloren. Die erwartet“, kommentiert der ecostra- schlechte Bewertung der Limbecker Geschäftsführer Dr. Joachim Will dieses Straße deutet auf einen dringenden Ergebnis und führt aus: „Aber dass Handlungsbedarf hin, damit sich dieser Greifswald und Rostock ebenfalls Abwärtstrend nicht weiter fortsetzt.“ Spitzenplätze belegen, ist die eigentliche Sensation. Offensichtlich ist das Ver- hältnis von Standortkosten und Umsätzen in diesen Städten für den Handel besonders vorteilhaft. Wahrscheinlich profitieren diese Lagen aber auch von dem stark anziehenden Ostsee- Tourismus der letzten Jahre.“ Problemfall: Die Limbecker Straße in Essen wird von den befragten Händlern sehr kritisch bewertet. Die Stadt Essen versucht zwischenzeitlich mit subventionierten Mieten Ladenleerstände wieder zu beseitigen. Haupteinkaufslagen mit teilweise stark unterschiedlicher Wertigkeit in den Metropolen Die Lange Straße in Greifswald erreichte bei GSPRD den 2. Platz. Das hätten nicht viele erwartet. In manchen Metropolen, wie Köln oder Hamburg, fallen aber auch die Bewer- tungen einzelner Geschäftslagen inner- halb derselben Stadt weit auseinander. So schaffte es die Kölner Schildergasse mit einem Wert von 2,00 auf einen aus- gezeichneten 5. Platz im Gesamtranking, während die Hohe Straße mit 3,75 von den befragten Betrieben durchaus kritisch gesehen wird. Diese Bewer- tungen der beiden Kölner Haupteinkaufs- lagen decken sich mit jüngsten Aussagen großer Maklerhäuser, welche aufgrund Ebenfalls eine Überraschung: die Kröpeliner Straße eines nicht mehr marktgerechten Miet- in Rostock landete auf dem 3. Platz. preisniveaus und häufig suboptimalen Flächenzuschnitten für die Hohe Straße Schlusslicht Limbecker Straße in zunehmende Vermietungsprobleme Essen erkennen. In Hamburg liegt die Mönckebergstraße mit einer Benotung Die „rote Laterne“ der insgesamt 110 von 2,14 auf dem 7. Platz des Geschäftsstraßen, die aufgrund einer Gesamtrankings, während die von der ausreichenden Zahl an Bewertungen in Mönckebergstraße zum Hauptbahnhof www.ecostra.com 15
abzweigende Spitaler Straße sich mit Zukünftig mehr Ladenschließungen 3,71 weit hinten einreiht. Entsprechend als Neueröffnungen. Druck auf die zeigt die Untersuchung zumindest für die Mieten nimmt weiter zu. Metropolen auch die Wertigkeit von verschiedenen Einkaufslagen oder deren Zwei Drittel der Innenstadtgeschäfte Veränderung innerhalb derselben Stadt. haben während der Corona-Lockdowns ihre Miete gekürzt oder ganz ausgesetzt. Etwa 15 % haben sich auf eine Stundung der Mietzahlungen eingelassen. Über 80 % der Befragten wollen als Konsequenz aus der Corona-Krise die Ladenmieten nachverhandeln oder haben dies bereits getan. Die Schildergasse in Köln (im Bild) scheint ein guter Ort für Geschäfte zu sein und wird – trotz hoher Mieten – von den Händlern positiv bewertet. Dagegen fällt die benachbarte Einkaufslage Hohe Straße deutlich ab. Corona-Pandemie: Umsatzverlage- rung zum Online-Handel nur teil- weise umkehrbar Neben der wirtschaftlichen Performance der Einkaufslagen aus Sicht der Geschäftstreibenden gibt der Report aber auch Auskunft zu diversen Fragestel- lungen, welche aktuell selbstverständlich von der Corona-Pandemie und den be- hördlichen Maßnahmen zum Infektions- schutz bestimmt werden. Gerade die verordneten Ladenschließungen und Zugangsbeschränkungen sowie die un- klaren weiteren Öffnungsperspektiven setzen dem Handel enorm zu, was sich dann auch in den wirtschaftlichen Perspektiven bemerkbar macht. So gehen etwa 71 % der Befragten davon aus, dass die Corona-Pandemie mit mehr oder weniger großer Sicherheit eine nachhaltige Verlagerung von Umsätzen vom stationären Einzelhandel in den Online-Handel bewirkt und dass wesent- Der GSPRD2020 kann als gedruckter Berichtsband (ca. 130 Seiten, Paperback) liche Teile dieses Umsatzes auch nach im ecostra-Webshop zum Preis von 290,-- € (zzgl. MwSt.) bestellt werden. Wiedereröffnung der Läden nicht mehr Mitgliedsunternehmen der Einzelhandelsverbände (HDE, EHV, BTE etc.) zurückfließen werden. Entsprechend erhalten bei Bestellung einen Sonderrabatt von 30 % auf den Verkaufspreis. pessimistisch ist die Einschätzung, wann in etwa das Niveau der Vor-Corona- Auch bei der weiteren Standortexpansion Umsätze wieder erreicht werden kann: wird kräftig auf die Bremse getreten: knapp die Hälfte geht davon aus, dass jeder Befragungsteilnehmer plant inner- dies noch gut 2 bis 3 Jahre dauern kann; halb der nächsten 12 Monate im Durch- etwa jeder 10. Befragte vermutet, dass schnitt 4,7 neue Filialen zu eröffnen, dies frühestens im Jahr 2025 oder sogar gleichzeitig sollen aber im Mittel 6,0 überhaupt nicht mehr der Fall sein wird. bestehende Standorte geschlossen 16 www.ecostra.com
werden. Der negative Saldo wird dazu Aengenvoort, optimistisch: „Der Report führen, dass die Zahl der Ladenleer- liefert in seiner ersten Auflage einen stände auch in den innerstädtischen wertvollen Einblick in die Realität der Haupteinkaufslagen zunimmt und durch deutschen Einkaufsstraßen. Wir glauben eine sinkende Flächennachfrage das aber, dass sich die Lage nach Corona bisher dort noch erzielte Mietpreisniveau schnell wieder bessern wird. Die Leute weiter unter Druck kommen wird. Trotz wollen und werden, wenn sie wieder der stark von Corona beeinflussten können, in die Innenstädte kommen und Untersuchungsergebnisse zeigt sich der einkaufen.“ Geschäftsführer von hystreet.com, Julian Neue gif-Richtlinie: Qualitätskriterien für Einzel- handelskonzepte Die Einzelhandelsverbände, die Industrie- und Handelskammern, Regional- verbände und Landesplanungsämter werden nicht müde, die Städte und Gemeinden dahingehend zu ermahnen, kommunale Einzelhandelskonzepte zu erstellen oder zu aktualisieren. Dies hat seinen Grund: ein sorgfältig und abgewogen sein. Dies ist, wie die Praxis fachlich korrekt erarbeitetes Einzel- zeigt, nicht immer der Fall. Entsprechend handelskonzept bildet ein wichtiges sind gerade auch Einzelhandelskonzepte Instrument zur zielorientierten Steuerung oder auf diesen basierende planerische der örtlichen Einzelhandelsentwicklung, Vorgaben immer wieder Gegenstand es dient der Begründung für Einzel- verwaltungsgerichtlicher Auseinander- handelsbeschränkungen im Wege der setzungen. Bauleitplanung ebenso wie der Abwehr von Ansiedlungs- oder Erweiterungs- planungen in Nachbargemeinden, sofern diese ein entsprechendes Gefährdungs- potenzial für den eigenen zentralen Versorgungsbereich oder für Standorte der Nahversorgung zeigen. Ein solches Konzept ist aber auch eine Grundlagen- ermittlung und somit ein Instrument der Freie-Presse, 14.02.2015 Wirtschaftsförderung. Die Kompetenzgruppe Einzelhandel der gif Gesellschaft für Immobilienwirtschaft- liche Forschung e. V. hat sich vor dem Hintergrund der zahlreichen Nutzer von General-Anzeiger, 19.03.2020 Einzelhandelsgutachten, der Komplexität der verschiedenen Fragestellungen und aufgrund der häufigen politischen und Die Rechtsprechung stellt an solche rechtlichen Streitigkeiten, die sich oft an Einzelhandelskonzepte hohe Anforde- Gutachten anschließen, zum Ziel gesetzt, rungen dahingehend, dass diese „nach- das Feld „Einzelhandelsgutachten“ zu vollziehbar und in sich widerspruchsfrei“ strukturieren. Die Ergebnisse dieser sein müssen. Dies bedeutet nicht nur, Arbeit wurden jetzt unter dem Titel dass die Sachverhalte (Einwohnerzahl, „Qualitätskriterien für Einzelhandelsgut- Kaufkraft, Bestands- und Leistungsdaten achten – Einzelhandelskonzepte und des Einzelhandels etc.) zutreffend und projektbezogene Auswirkungsanalysen“ vollständig zu ermitteln sind, sondern als gif-Richtlinie veröffentlicht auch die Bewertungen und Prognosen müssen nachvollziehbar begründet und Nachfolgend wird beschrieben, in mögliche planerische Eingriffe sorgfältig welcher Form die gif-Richtlinie die www.ecostra.com 17
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