Der Gespensterfilm: Skizzen für ein Genreporträt - Jörg Glasenapp - media/rep

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Repositorium für die Medienwissenschaft

   Jörg Glasenapp
   Der Gespensterfilm: Skizzen für ein Genreporträt
   2020
   https://doi.org/10.25969/mediarep/14867

   Veröffentlichungsversion / published version
   Zeitschriftenartikel / journal article

Empfohlene Zitierung / Suggested Citation:
Glasenapp, Jörg: Der Gespensterfilm: Skizzen für ein Genreporträt. In: MEDIENwissenschaft: Rezensionen | Reviews,
Jg. 38 (2020), Nr. 2-3, S. 151–165. DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/14867.

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Perspektiven                              151

Perspektiven

Sollte es wahr sein, was Siegfried                des Nicht-mehr, zugleich aber, da der
Kracauer in seiner eorie des Films               Film als „Mumie der Veränderung“
(1985 [engl. Erstfassung 1960])                   (Bazin 2004, S.39) im Gegensatz zur
behauptet – dass Motive und emen                 ‚zukunftslosen‘ Fotografie den Fluss
als „filmgemäß“ zu gelten haben, „wenn             des Lebens einfängt, als bewegte
sie mit der einen oder anderen Eigen-             Gegenwart. „[A] ghostly medium that
schaft des Films identisch sind oder              challenges the binary of presence and
aus ihr hervorwachsen“ (S.356) –, dann            absence“ (Leeder 2018, S.352) nennt
wird man dem Gespenst, jenem spu-                 Murray Leeder denn auch den Film,
kenden Rest eines in ihm an- und                  und er kann sich dabei auf filmprakti-
zugleich abwesenden Verstorbenen,1                sche und -theoretische ebenso wie auf
das Attribut „filmgemäß“ schwerlich                philosophische Prominenz berufen:
absprechen können. Auch ist kaum zu               etwa auf Robert Wiene, den Regisseur
leugnen (obschon dies Roland Barthes              des expressionistischen Horrorfilms
tut, vgl. 1989, S.100), dass dem Film             Das Cabinet des Dr. Caligari (1920),
etwas flagrant Gespenstisches eignet.              der vom „Gespenstige[n] des Film-
Schließlich sind die Dinge auf der                bildes“ (zit. n. Kiening/Beil 2012,
Leinwand als Rest- und Spurphäno-                 S.291) spricht, auf Gilberto Perez, der
mene einer einstigen Wirklichkeit                 die Metapher vom „material ghost“
da und nicht da. Gespenstergleich                 ins Spiel bringt, um dem ‚Wesen‘
präsentieren sie sich uns im Modus                des „phantom medium“ (1998, S.38)
                                                  Film gerecht zu werden, oder aber auf
1   „[T]he ghost“, so Michael Newton, „is a       Jacques Derrida, den Diskursbegrün-
    way of engaging with our mystification         der des sogenannten spectral turn, der,
    about death. It survives with the belief      interviewt in Ken McMullens Ghost
    that there is something left over when the
    human body becomes a corpse, that there       Dance (1983), das Kino kurzerhand zur
    is a residue, or remnant, that does not       „Gespensterkunst“ erklärt. Dass diese
    cease in the moment of dying“ (Newton         bereits von ihren Anfängen an ein aus-
    2010, S.xxi). Murray Leeder hingegen          geprägtes Interesse für Gespenster und
    spricht vom Gespenst als „a spectral testi-
    monial to the past’s survival“ (Leeder        deren „nur halbe[s] Sein“ (Brittnacher
    2019, S.132). Zur Antwort auf die selbst-     1994, S.318) erkennen lässt – es äußert
    redend notorisch schwierige Frage ‚Was        sich beispielsweise in Le manoir du
    ist ein Gespenst?‘ vgl. neben Newton und
    Leeder auch Morton 2017, S.12-21, pas-
                                                  diable (1896) und Le château hanté
    sim.                                          (1897) von Georges Méliès oder in
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Edwin S. Porters Uncle Josh in a Spooky         das Gespenst vielen Menschen als
Hotel (1900) –, erscheint vor der Folie         „[i]m allerhöchsten Grade unheim-
des Gesagten nur logisch. Dass sich             lich“ (Freud 1999e, S.254) erscheint,
mit der Zeit ein regelrechtes Genre             so Sigmund Freud in seiner psycho-
des Gespensterfilms mit einigerma-               ästhetischen Konzeptualisierung des
ßen spezifischem Konventionenarsenal             Unheimlichen, in der er dieses als eine
herausbildet, ebenso. Schauen wir uns           eigentümliche Gefühlslage profiliert,
dieses im Folgenden etwas genauer an.           bei welcher – ein Binaritätenkollaps
                                                auch hier – das Unvertraut-Fremde
                                                und das Heimische respektive Altbe-
1. Unheimlich | fantastisch
                                                kannte zusammenfallen. Von Freud als
                                                „wirklich nichts Neues oder Fremdes,
Während viele Genres ihre Dynamik               sondern etwas dem Seelenleben von
aus dem Antagonismus zweier strikt              alters her Vertrautes“ (ebd.) deklariert,
voneinander getrennter Entitäten                kommt das Unheimliche zustande,
bzw. Prinzipien beziehen – erinnert             „wenn verdrängte infantile Komplexe
sei hier nur an das Gegenüber von               durch einen Eindruck wiederbelebt
Wildnis und Zivilisation im Western,            werden oder wenn überwundene pri-
von Stadt und Land im Heimatfilm,                mitive Überzeugungen wieder bestä-
von Berg und Tal im Bergfilm, von                tigt scheinen“ (ebd., S.263). Das
road und home im Roadmovie oder                 Unheimliche hat somit zur Voraus-
von den Geschlechtern in der screw-             setzung, was Freud andernorts „die
ball comedy –, ist der ‚Grenzabbau‘             Erhaltung des Vergangenen im See-
sowie das Ausloten von Schwellen-               lenleben“ (Freud 1999f, S.430) nennt;
und Zwischenbereichen die eigentli-             es rekurriert auf das Frühkindliche wie
che Domäne bzw. das ‚Hauptgeschäft‘             das Frühmenschliche in uns, es speist
des Gespenstergenres. Wie könnte es             sich aus unserem ontogenetischen
auch anders sein? Schließlich setzt             sowie phylogenetischen Erbe. Inso-
es ein im Lotman’schen Sinne hoch               fern als es das Resultat einer erlebten
„bewegliches“ (Lotman 1993, S.338)2             Wiederkehr darstellt, steht es – als „a
Wesen der Liminalität und Trans-                ghostly concept and feeling“ (Royle
gression zentral, das die vielleicht            2003, S.vii) – dem Gespenst nahe,
wichtigste kulturelle Leitdiff erenz,            einem revenant und Wiedergänger, an
jene von tot und lebendig, destruiert           dessen Existenz unsere der Weltauf-
beziehungsweise aus dem Reich der               fassung des Animismus verpflichteten
Toten auf die Welt der Lebenden                 Vorfahren noch glaubten. Jene Spur,
übergreift. Dies sei der Grund, warum           die sie damit in unserer Psyche hinter-
                                                lassen haben, nutzt nun der Gespen-
2     Bei Lotman heißt es: „Eine bewegliche
                                                sterfilm als Trigger für das beim
      Figur ist eine, die das Recht hat, die    Publikum auszulösende Gefühl des
      Grenze zu überschreiten.“ (Lotman 1993,   Unheimlichen; das heißt, er schlach-
      S.338).
Perspektiven                                153

tet die Tatsache aus, dass die „alten        Hoffmanns Nachtstück steht indes im
[Überzeugungen]“, so Freud, „noch            Einklang beispielsweise mit Prosper
in uns fort[leben] und [...] auf Bestä-      Mérimées Erzählung La Vénus d’Ille
tigung lauern“ (Freud 1999e, S.262).         (1837) oder Henry James‘ bekanntester
Bekanntlich entwickelt Freud seine           ghost story, e Turn of the Screw (1898),
Überlegungen zum Unheimlichen                die beide ebenfalls sowohl eine psycho-
anhand einer mitunter recht forcier-         logisch erklärende wie eine vom Wirken
ten, den Kastrationskomplex ins Zen-         übernatürlicher Kräfte überzeugte
trum stellenden Deutung von E.T.A.           Lesart gestatten, also ebenso als durch-
Hoffmanns Nachtstück Der Sandmann             weg fantastisch bezeichnet werden
(1816). Freilich ist dieses nicht nur        können (vgl. Todorov 2013, S.58).
unheimlich, sondern auch fantastisch –           Letzteres gilt auch für so manchen
und zwar durch und durch, zumindest          Gespensterfilm – Olivier Assayas‘ Per-
wenn man sich an den vieldiskutierten        sonal Shopper (2016) wäre hier etwa zu
und -kritisierten, aber nach wie vor hilf-   nennen, in dem die Entscheidung dar-
reichen strukturalistischen Definitions-      über, ob wir die Gespenster, die seine
vorschlag Tzvetan Todorovs aus dessen        Heldin wahrzunehmen vermeint, als
Einführung in die fantastische Litera-       ‚echt‘ oder als von ihr eingebildet auf-
tur (1970) hält. Der nämlich streicht        zufassen haben, bis zum Schluss sus-
den „Grenzcharakter“ (Todorov 2013,          pendiert bleibt –, nicht aber für das
S.36) des Fantastischen heraus, indem        Gros der Genres. Man denke in diesem
er es zwischen dem Seltsamen und             Zusammenhang beispielsweise an
dem Wunderbaren verortet und an die          e Changeling (Peter Medak, 1980),
Unschlüssigkeit impliziter Leser_innen       Ring (Hideo Nakata, 1998), e Sixth
bei der Beurteilung eines geschilderten      Sense (M. Night Shyamalan, 1999),
merkwürdigen Geschehens gebunden             e Others (Alejandro Amenábar,
sieht: Ist dieses natürlichen oder aber      2001), Loft (Kiyoshi Kurosawa, 2005)
übernatürlichen Ursprungs (vgl. ebd.,        oder e Awakening (Nick Murphy,
S.33-53)? Gegen die Beantwortung             2011): Sie alle setzen zunächst auf
dieser Frage sperrt sich Hoffmanns            Unschlüssigkeit und Ambiguität, das
Text konsequent – im Gegensatz etwa          heißt, sie starten im Modus des Fan-
zu den gothic novels von Ann Radcliffe        tastischen und halten die Möglich-
oder den Horror-Geschichten Howard           keit des explained supernatural à la
Phillips Lovecrafts. In diesen nämlich       Radcliffe eine Zeitlang im Raum, um
finden die Absonderlichkeiten und             sie aber ausnahmslos schlussendlich
Aberrationen letzten Endes eine zwar         zu verwerfen. Damit bestätigen sie
seltsame, aber rationale, mit den über-      Todorov, der das Fantastische als vom
lieferten Naturgesetzen vereinbare           Umschlag ins Wunderbare oder Selt-
Erklärung (Radcliffe) beziehungsweise         same, also in die Eindeutigkeit, „stets
führen zu einer Anerkennung des Jen-         bedroht“ (ebd., S.55) apostrophiert.
seitig-Wunderbaren und damit einer               Todorovs Behauptung, der Sieges-
neuen Ordnung der Welt (Lovecraft).          zug der Psychoanalyse habe das Fan-
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tastische (als gleichsam camouflierte                  sich lohnt, dies im Blick zu halten, wenn
écriture des im 19. Jahrhundert anders                man sich in die Gefilde des Gespens-
nicht darstellbaren, weil tabuisierten                terfilms begibt und dessen ‚Grenzver-
Unbewussten) aufs ästhetische Abstell-                kehr‘ auslotet, versteht sich von selbst.
gleis verbannt,3 ist natürlich grandios
verfehlt und hinlänglich widerlegt.                   2. Verortet | entortet
Das Fantastische boomt weiterhin
allerorten, einerlei, ob man eine weite               Zeichnet sich das Fantastische durch
oder enge, Todorov‘sche Definition                     keinerlei nennenswerte Ortspräferenz
zu Grunde legt. Und nicht zufällig                    aus, so liegt der Fall beim Unheim-
entfaltet es, wie das Unheimliche und                 lichen entschieden anders. Bereits
das Gespenstische auch, als eine Art                  Freud macht als dessen prominente
Denkkonzept in kulturtheoretischen                    Wirkungsstätte die Sphäre des Häusli-
Kontexten sein irritierendes, subversi-               chen aus, und gewiss wird er sich dies-
ves Potenzial. Speziell emanzipatori-                 bezüglich durch die Literatur des 19.
sche Ansätze, denen es um produktive                  Jahrhunderts bestätigt gefühlt haben.
Verunsicherung via Binarismen- und                    In dieser nämlich wird, und zwar
Essenzialismenüberwindung sowie das                   auf breitester Front, das Haus entge-
Infragestellen hegemonialer Diskurse                  gen dem mit ihm verbundenen, von
und Diskurspraktiken geht, wissen                     Gaston Bachelard und Otto Friedrich
dieses zu nutzen, die Postcolonial, die               Bollnow so eindringlich reflektierten
Gender oder die Queer Studies etwa, auf               Schutz- und Sekuritätsversprechen
die das Fantastische ob seines transgre-              (vgl. Bachelard 2003; Bollnow 2011,
dierenden in-between-Charakters, seines               S.95-109) als Ort für unheimliche Stö-
Status als tertium datur, eine besondere              rungen förmlich zelebriert. Nicht eigens
Faszination förmlich ausüben muss (vgl.               betont werden muss, dass Letztere viel-
Brittnacher 2013, S.192-194). Dass es                 fach auf Gespenster zurückzuführen
                                                      sind, die, so flüchtig ihre Erscheinung
3     „[D]ie Psychoanalyse“, so Todorov, „hat         auch sein mag, „offenbar eine spezifi-
      die fantastische Literatur ersetzt (und
      damit überflüssig gemacht). Man hat es           sche lokale Bindung [brauchen], um
      heute nicht mehr nötig, auf den Teufel          überhaupt in Erscheinung treten zu
      zurückzugreifen, um über eine exzessive         können“ (Fischer 2015, S.160).4 Mögen
      sexuelle Begierde zu sprechen, wie man
      auch der Vampire nicht länger bedarf,           sie, wie oben vermerkt, nach Lotman
      um deutlich zu machen, welche Anzie-
      hungskraft von Leichen ausgeht: die Psy-        4   Neben ‚ihrem‘ Ort haben Gespenster
      choanalyse und die Art der Literatur, die,          oftmals auch ‚ihre‘ Zeit. Klassischerweise
      direkt oder indirekt, von ihr inspiriert ist,       ist es die Stunde von Mitternacht bis ein
      handeln davon in unverhüllten Begriffen.             Uhr, die sprichwörtliche Geister- oder
      Die emen der fantastischen Literatur               Gespensterstunde, das heißt, passend
      sind buchstäblich zum Gegenstand der                zum gespenstischen in between, ein tem-
      psychoanalytischen Forschung der letzten            porales Dazwischen an der Schnittstelle
      fünfzig Jahren geworden“ (Todorov 2013,             zweier Tage (vgl. auch Brittnacher 1994,
      S.197).                                             S.76-77).
Perspektiven                                           155

auch insofern ,beweglich‘ sein, als sie          beide werden Anfang der 1960er Jahre
die Grenze zwischen Tod und Leben                kongenial verfilmt: James‘ Erzählung
überqueren; auf Erden sind sie es nicht          als e Innocents (1961) von Jack Clay-
oder allenfalls in sehr eingeschränktem          ton, Jacksons Roman als e Haunting
Maße.                                            (1963) von Robert Wise. Die Bedeu-
    Zumindest wird uns dieser Schluss            tung des Filmduos für das Gespenster-
durch Texte wie Heinrich von Kleists             genre kann, wie jene der etwa zeitgleich
Das Bettelweib von Locarno (1810), Sir           entstandenen Filme Psycho von Alfred
Walter Scotts e Tapestried Chamber              Hitchcock (1960) und Peeping Tom von
(1828), Charles Dickens‘ e Signalman            Michael Powell (1960) für das Horror-
(1866) oder Oscar Wildes e Canter-              genre, schwerlich überschätzt werden –
ville Ghost (1887) nahegelegt, vor allem         auch weil es in vielerlei Hinsicht jenen
aber durch das Hauptsegment der ghost            Grundriss des haunted house festlegt,
story, die haunted-house-Geschichte.             der die Schreckenstopik des Gespens-
Bereits in der Antike, etwa bei Plinius          terfilms für Jahrzehnte, ja, letztlich bis
dem Jüngeren,5 anzutreffen, darf diese            heute maßgeblich prägt.
seit Mitte des 19. Jahrhunderts als fest             Selbstredend geht das literari-
etabliert gelten. Sie erreicht, zumindest        sche wie fi lmische haunted house auf
was die US-amerikanische Literatur               die Burgen und Schlösser der gothic
anbelangt, mit e Turn of the Screw und          novel zurück, als deren (groß-)bürger-
Shirley Jacksons ebenfalls zur Gänze             liches Pendant es zahlreiche Merk-
fantastischem Roman e Haunting of               male seiner Vorgänger übernimmt.
Hill House (1959) ihre zwei Zenitpunkte          Dies beginnt bei der Topologie: Es ist
(vgl. auch Weinstock 2018, S.211-213).           alleinstehend sowie ‚inselhaft‘,7 sein
Beide rücken – und das ist für haunted           Standort entlegen, und die Demarka-
house stories nicht ungewöhnlich – eine          tion von der Restwelt fällt strikt und
psychisch derangierte (zu Zeiten Freuds          unmissverständlich aus – nicht selten
und James‘ hätte es geheißen: ,hysteri-          in Form einer Mauer samt Gittertor,
sche‘) junge Frau ins Zentrum,6 und              das als prägnante Schwelle Einlass

5   So erzählt er in seinen Briefen vom Phi-
    losophen Athenodorus, der in Athen                  Heldinnen, die – Radcliffes gothic novels
    ein Spukhaus mietet (vgl. Plinius 1998,             sind stets auch weibliche Bildungsro-
    S.507-509).                                         mane – „zu der Einsicht gelangen [sol-
6   Vgl. in diesem Zusammenhang auch                    len], die eigene Empfänglichkeit nicht
    Elizabeth Wilson: „In general, female               als erfreuliche Sensibilität, sondern als
    hysteria – or alternatively the greater             gefährliche Beeinflußbarkeit wahrzu-
    power of women to link to the supernatu-            nehmen“ (Brittnacher 1994, S.71).
    ral – is the motivating force of the haun-   7      Die Ich-Erzählerin aus e Turn of the
    ted house tale“ (Wilson 2013, S.118).               Screw vergleicht den Landsitz Bly, das
    Natürlich handelt es sich bei den ‚hyste-           „big ugly antique but convenient house“,
    rischen‘ Frauen der Spukhausgeschich-               in dem sie ihrem Dienst als Gouvernante
    ten um psychoanalytisch durchleuchtete              nachgeht, als „great drifting ship“. ( James
    Urenkeltöchter Radcliffes empfindsamer                2017, S.159).
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gewährt.8 In e Haunting, dem – wenn               „ist die Zeit geronnen und auf Dauer
man so will – „Flaggschiff“ (McKechneay             gestellt“ (2016, S.274), ist das Vergan-
2007, S.121) des haunted-house-Films,              gene „undying“ (Freeman 2018, S.328).
kommt zusätzlich noch ein Torhüter                 Dies führt nicht zuletzt dann zu Kom-
ins Spiel, ein unwirscher Hausmeis-                plikationen und Konfliktlagen, wenn
ter, wobei unklar bleibt, ob es sein               das Gebäude, wie so oft im Horror-
Blick oder der des Hauses beziehungs-              und Gespensterfilm – beispielsweise in
weise eines möglichen gespenstischen               e Amityville Horror, e Changeling,
Bewohners ist, der die mit dem Auto                Beetlejuice (1988), e Others, e Con-
ankommende Heldin erwartet.                        juring (2013) oder Personal Shopper –,
     Ist, wie oben betont wurde, das               zum Verkauf oder zur Vermietung steht
Gespenst ein Rest, so darf Selbiges in             oder neu bezogen wird.9
gewisser Weise auch für das Gebäude                     Mark Fisher zufolge „[stellt sich]
behauptet werden, das es beherbergt.               [d]as Gefühl des Gespenstischen
Das haunted house nämlich ist alt,                 [...] dann ein, wenn entweder etwas
mitunter sehr alt, ein Residuum des                da ist, wo nichts sein sollte, oder
Einst, oder, wie es im Trailer von e              wenn nichts da ist, wo doch etwas
Amityville Horror (1979) voll sardoni-             sein sollte“ (Fisher 2017, S.75). Ein-
scher Ironie heißt, „the kind of house             dringlich lässt sich diese Behauptung
they don’t build anymore, a relic of a             anhand des haunted house stützen, ja,
time when the world wasn’t in such a               mehr noch: Für das haunted house ist
hurry, when there was still time for a             eine eigentümliche Kausalität von
little charme and elegance“. Wer die               gespenstischer Präsenz und Absenz
Schwelle eines haunted house über-                 spezifisch, wobei Erstere aus Letzterer
tritt, tut demnach einen Schritt in die            hervorgeht. Entscheidend in diesem
Vergangenheit, ja, begibt sich auf eine            Zusammenhang ist der Umstand, dass
Zeitreise, wobei er/sie sich mit einer –           das – im Film üblicherweise zunächst
an Unmoral und Gewalttaten zumeist                 durch eine (Super-)Totale in seiner
überreichen – Geschichte des jeweiligen            Gesamtheit erfasste – Haus stets viel
Hauses konfrontiert sieht, die, wie das            zu groß beziehungsweise viel zu leer
Gespenst, nicht ruhen will und massiv              ist und die Leere, also die Absenz
in die Gegenwart hineinwirkt. „Im                  dessen, was da sein sollte – nämlich
haunted house“, so Peter Podrez treffend,           eine der Zimmer- und Quadratme-
                                                   teranzahl zumindest annähernd ange-
                                                   messene Anzahl von Bewohner_innen –,
8     Ich charakterisiere hier wie nachfolgend
      das gleichsam idealtypische haunted house.
      Vgl. zum haunted house und dessen Mani-      9   Hiervon freilich wusste schon die ghost
      festationen in Literatur und Film auch           story des 19. Jahrhunderts ausgiebig zu
      Vidler 2002, Grein 1995, Brittnacher             berichten – man denke an Kleists Das
      1994, S.90-94, Bailey 1999, Wilson 2013,         Bettelweib von Locarno, Edward Bulwer
      McKechneay 2007, Podrez 2016 sowie               Lyttons e Haunted and the Haunters
      Freeman 2018.                                    (1865) oder Wildes e Canterville Ghost.
Perspektiven                               157

gewissermaßen produktiv wird. Sie             als ‚gefährdet‘ begreift, führt dies auf
führt zu dem Gefühl, es mit einer             die nun schon jahrzehntelang andau-
Präsenz zu tun zu haben, die nicht            ernde Krise der Familie zurück. „[I]t
da sein sollte: einem Gespenst oder           was the permanence of the Victorian
aber der ‚Macht‘ des Hauses selbst            family“, so Wilsons ese, „that once
(vgl. Wilson 2013, S.114). Dieses             seemed so oppressive, so deathly. With
freilich wäre dann genau genom-               that gone, there is nothing any longer
men weniger haunted, heimgesucht,             to haunt or to be haunted; the family
als vielmehr haunting, also heimsu-           home is too flimsy and too provisio-
chend, also eine „Heimsuchung derer           nal for ghosts to take root. Ghosts,
[...], die [in ihm] ein Heim suchen“          or at least haunted houses, have had
(McKechneay 2007, S.121).10 Was               their day. As we have sloughed off the
damit gemeint ist, zeigt mustergültig         family, we have left the haunted house
                                              behind“ (2013, S.118). Selbstredend
Hill House, das in Jacksons Roman
                                              könnte man in dieser Richtung noch
als „house without kindness, never
                                              erheblich weiter gehen und für den
meant to be lived in“ ( Jackson 2009,
                                              Niedergang des ‚vergangenheitsgesät-
S.35), in Wises Adaption als „house
                                              tigten‘ Spukhauses die sich mit ihm
that was born bad“ näher charakte-            so ganz und gar nicht vertragende,
risiert wird und in seiner steinernen         die Erosion des Familialen unmittel-
Monumentalität und Burgähnlichkeit            bar im Gepäck führende postmoderne
geradezu frappant aus der Zeit gefal-         Lebensweise verantwortlich machen.
len zu sein scheint.                          Der nämlich geht es, wie Zygmunt
     Hier freilich ist hinzuzufügen,          Bauman vermerkt, darum, „die Gegen-
dass letztlich jedes Spukhaus, sei es         wart von der Geschichte zu lösen“, das
nun haunted oder haunting, aus Stein,         heißt „den Fluß der Zeit in eine stete
Holz oder Beton, mittlerweile eini-           Gegenwart einzuebnen“, und „sich vor
germaßen relikthaft anmutet und von           langfristigen Bindungen zu hüten:
einer Aura des Anachronistischen              Sich zu weigern, auf die eine oder
umflort ist, denn während die Zeit             andere Weise ‚festgelegt‘ zu werden;
im haunted house nicht vergehen will,         sich nicht an einen Ort zu binden [...];
gehört seine eigene (große) Zeit der          sein Leben nicht nur einem einzigen
Vergangenheit an. Elizabeth Wilson,           Beruf zu widmen; keinem Menschen
die neben dem Gebäude sogar auch              und keiner Sache Beständigkeit oder
dessen gespenstischen Bewohnenden             Treue zu schwören“ (1995, S.145).
                                              Keine Frage: In „flüchtigen Zeiten“
10 Zur Unterscheidung von haunted und         (Bauman 2008), in denen Menschen
   haunting house, die – siehe das Overlook
   Hotel aus e Shining (Stanley Kubrick,     nicht Konformität, sondern Flexibi-
   1980) – oftmals nicht trennscharf oder     lität abverlangt wird und das Leben
   interpretationsabhängig ist, vgl. neben    jedes/r Einzelnen in eine Abfolge
   McKechneay 2007, S.121 auch Podrez
   2016, S.263-265 sowie Freeman 2018,        kurzfristiger Projekte und Episoden
   S.329-334.                                 zerfällt (vgl. ebd., S.9-11; Sennett
158                           MEDIENwissenschaft 02-03/2020

2000), verflüchtigt sich der Fluch, der         2000er Jahre, das heißt an Filme wie
auf Häusern (und Familien) lastet, auf         Ring, One Missed Call (Takashi Miike,
drastische Weise.                              2003) oder Pulse (Kiyoshi Kurosawa,
    Doch wie steht es um die Gespens-          2001), aber auch an den Cyber-
ter? Kommen auch sie uns abhanden,             mobbing-Film Unfriended (Levan
wie es Wilson behauptet? Befragt man           Gabriadze, 2014).
den Gespensterfilm auf der Suche                    Dergestalt sorgen die – zumal auf
nach einer Antwort, so ist diese ein-          der Achse der Telekommunikation
deutig: nein. Doch hängt dies nicht so         und somit Raumüberwindung ope-
sehr damit zusammen, dass das Genre            rierenden12 – Medien für eine völlig
– siehe die oben bereits genannten             neue Topologie des Gespenstischen:
e Awakening und e Conjuring                  Sie setzen dessen Ortstreue ein Ende.
sowie Takashi Shimizus Ju-on: e               Was früher galt – dass sich die unlieb-
Grudge (2002), Kim Jee-Woons A                 same Begegnung mit Gespenstern
Tale of Two Sisters (2003) oder Per-           schlicht dadurch vermeiden lässt, dass
sonal Shopper – dem haunted house              man sich von ‚ihren‘ Lokalitäten fern-
bis in jüngere und jüngste Zeit die            hält –, hat als Verhaltensempfehlung
Treue hält und damit eine Art Refu-            damit ausgedient.
gium bietet. Eher weist es den ihrer
angestammten Heimstatt gleichsam               3. Betrauert | gefürchtet
beraubten Gespenstern seit geraumer
Zeit einen anderen prominenten Ort             Ungleich stärker noch als e Change-
zu: die von John Durham Peters als             ling oder e Sixth Sense, welche die aus
„liminal objects par excellence“ (Peters
2000, S.147) titulierten Medien, und
zwar bevorzugt die neuen und neue-             12 Filme wie e Haunting, e Others oder
                                                  A Tale of Two Sisters zeigen zur Genüge,
sten. Ob Fernseher, Handys oder das               dass es sich beim haunted house mitnich-
Internet – sie alle werden mit schö-              ten um eine a-mediale Lokalität handelt.
ner Regelmäßigkeit von Gespenstern                So profilieren sie das Gebäude, indem sie
invadiert und als Channeling-Portale              seine vergangenheitsbewahrende Quali-
                                                  tät herausstreichen, als Speichermedium,
zweckentfremdet, um „von jenseits der             das seinerseits ein ganzes Medienarsenal
Schwelle“ (Hartmann 1956) mit uns                 in sich birgt. Freilich geraten passender-
zu kommunizieren oder gar in unsere               weise zumal Gemälde, Bücher, Fotos und
                                                  Statuen in den Blick, solche Medien also,
Welt vorzudringen.11 Man denke hier               die tendenziell weniger der Raum- als der
speziell an den überaus wirkmächtigen             Zeitüberwindung und Tradierung die-
J-Horror der späten 1990er und frühen             nen. Bisweilen, wie in e Others und Jan
                                                  de Bonts e Haunting (1999), der zwei-
                                                  ten, überkandidelt-postmodernen Verfil-
11 Dass das ema vom paranormalen Me-             mung von Jacksons e Haunting of Hill
   dienbefall immer wieder, und so auch in        House, wird das Fehlen von Telekom-
   den drei genannten Filmen, an eine Medi-       munikationsmedien explizit thematisiert
   enschelte gekoppelt ist, wurde wiederholt      und damit die ‚Inselartigkeit‘ des haunted
   betont (vgl. vor allem Krautschick 2015,       house und die Isolation der in ihm Leben-
   passim).                                       den (oder Eingeschlossenen) betont.
Perspektiven                                      159

dem Horrorgenre so sattsam bekannte,       che Arbeit mit der Zeit den Schmerz
auf Angst, Furcht, Schrecken und           aus; das konnte und kann ich nicht
Schock setzende Affektmelange voll-         glauben, denn für mich tilgt die Zeit
umfänglich bedienen, zeigen Filme wie      nur die Empfindung des Verlusts (ich
Jerry Zuckers rillerkomödie Ghost         weine nicht), mehr nicht. Ansonsten ist
(1990), Kiyoshi Kurosawas elegischer       alles unbeweglich geblieben“ (Barthes
Reisefilm Journey to the Shore (2015)       1989 [frz. Erstfassung 1980], S.85).
oder David Lowerys minimalistische            Das Kino freilich, zumal das an
Zeitreflexion A Ghost Story (2017),         innerer und äußerer Bewegung so sehr
dass der Gespensterfilm, anders als der     interessierte classical cinema, hat sich
Horrorfilm, bisweilen dem Trauerfilm         an einer derartigen Kritik so gut wie
ausgesprochen nahesteht. Vor allen         nicht beteiligt. Im Gegenteil: Es ist
Dingen lässt er wie dieser ein Interesse   Freuds Konzeption der Trauerarbeit
dafür erkennen, was wir als Trauerar-      grosso modo gefolgt – zumindest stellt
beit zu bezeichnen gewohnt sind.           sich dieser Eindruck ein, wenn man
    Eingeführt hat diesen Begriff           die Geschichte des Trauerfilms (und
                                           letztlich auch des Gespensterfilms)
Freud, und zwar in seinem 1915 abge-
                                           vor dem inneren Auge Revue passie-
fassten metapsychologischen Beitrag
                                           ren lässt. Wundernehmen kann das
Trauer und Melancholie. In ihm wird die    natürlich nicht, ist es doch einfach zu
Trauerarbeit als eine Art Befreiungsar-    naheliegend, den Trauerprozess im
beit beziehungsweise als ein intrapsy-     Gewand der Heldenreise in Szene zu
chologischer Vorgang charakterisiert,      setzen. Dazu wird die mit dem Begriff
der notwendig an den Ablauf von Zeit       der Trauerarbeit verbundene „Vorstel-
gekoppelt ist und an dessen Ende idea-     lung, daß im Trauern dem Subjekt ein
liter ein wiederhergestelltes Ich steht.   aktives Verhalten abverlangt wird, daß
Letzteres habe sich durch den Abzug        es eine Leistung zu vollbringen hat“
der libidinösen Besetzungen vom            (Ecker 1999b, S.20), mit den narra-
geliebten Objekt der durch den Verlust     tiven Usancen des Handlungskinos
desselben verursachten Zumutungen          zusammengebracht.13
soweit entledigt, dass ein zumindest          Entsprechend führt der Trauerfilm
äußerlich normales Leben erneut            den Zuschauer_innen gewöhnlich vor,
möglich ist (vgl. Freud 1999d, S.430,      wie sich das durch einen Verlust in die
439, 442). Bekanntermaßen hat diese        Welt der Trauer geworfene – zumeist
Position immer wieder Kritik provo-        weibliche14     – Subjekt aus dieser
ziert, wurden Freuds Ausführungen
                                           13 Vgl. zur Heldenreise im classical cinema vor
zur gelingenden Trauerarbeit als allzu        allem Vogler 2018 und Krützen 2004.
normativ empfunden. So lesen wir bei-      14 Dies sollte uns nicht überraschen, ist es
spielsweise in Die helle Kammer, Roland       doch nicht nur in westlichen Kulturkon-
Barthes‘ fototheoretischer Reflexion           texten üblich, dass die Trauer bevorzugt an
                                              weiblichen Figuren vorgeführt wird bzw.
über den Tod seiner Mutter: „Es heißt,        das Trauern als eine tendenziell ‚weibliche‘
die Trauer lösche durch ihre allmähli-        Kulturtätigkeit gilt (vgl. Ecker 1999a).
160                         MEDIENwissenschaft 02-03/2020

hinaus- und in die Welt der Lebenden         dem Leben trachten und von Letzte-
zurückkämpft, indem es ihm gelingt,          ren gefürchtet und entsprechend tabui-
„im eigenen Leben den Tod des Ande-          siert werden. Erst das Ende der Trauer
ren zu beherbergen“ (Liebsch 2006,           besorge ein Abklingen der Angst und
S.13). Beobachten lässt sich dies in so      die Transformation der Verstorbenen
unterschiedlichen Filmen wie Todo            in hilfreiche und verehrungswürdige
sobre mi madre von Pedro Almodóvar           Ahnen (vgl. Freud 1999a, S.66-83;
(1999), P.S. I Love You von Richard          1999b, S.347).
LaGravanese (2007) und Ragnar                    Einige Jahre später kommt Freud
Bragasons Metalhead (2013). In gewis-        auf seine in Totem und Tabu vorge-
ser Weise trifft dies auch auf Krzysztof      stellten Überlegungen zurück, und
Kieślowskis Trois couleurs: Bleu (1993)      zwar in seiner oben bereits angeführ-
und Doris Dörries Kirschblüten –             ten Abhandlung über das Unheimli-
Hanami (2008) zu, vor allem aber auf         che, deren berühmte Kernthese vom
Caroline Links Im Winter ein Jahr            Unheimlichen als dem keineswegs
(2008) (vgl. Glasenapp 2016).                Fremden, sondern allein Entfremdeten
    Nicht erst in Trauer und Melancho-       er unter anderem anhand unseres mit
lie hat sich Freud mit dem Phänomen          Tod und Vergänglichkeit verbundenen
Trauer beschäftigt. Er tat dies zuvor        Denkens und Fühlens belegt. Dieses
bereits in einer ganzen Reihe von            sei „seit den Urzeiten“ (Freud 1999e,
Schriften, in Zeitgemäßes über Krieg und     S.255) weitgehend unverändert geblie-
Tod (1915) etwa oder Vergänglichkeit         ben, wobei vor allem das Wissen von
(1916) (vgl. Freud 1999b, S.347; 1999c,      der Faktizität des ,Sterbenmüssens‘ als
S.359-360), besonders prominent aber         Kernmoment des Realitätsprinzips in
in Totem und Tabu (1912/13), seinem          die phylogenetisch ältesten Bereiche
so außerordentlich kühnen Vorstoß in         unserer Psyche noch keinen Eingang
die Paläoanthropologie. Die entspre-         gefunden habe (vgl. ebd.; Liebsch 2006,
chenden Einlassungen finden sich in           S.130). „Da fast alle von uns in diesem
dessen zweiter Abhandlung, genauer:          Punkt noch so denken wie die Wilden“,
im Umfeld der Ausführungen zum               so führt Freud seine Behauptung weiter,
Verhältnis der ‚Primitiven‘ zu ihren         „ist es auch nicht zu verwundern, daß
verstorbenen       Familienangehörigen.      die primitive Angst vor dem Toten
Entscheidend geprägt werde dieses,           bei uns noch so mächtig ist und bereit
so Freud, durch die stets vorhandene,        liegt, sich zu äußern, sowie irgend etwas
allerdings im Unbewussten versteckte         ihr entgegenkommt. Wahrscheinlich
Antipathie den Toten gegenüber, die          hat sie auch noch den alten Sinn, der
nicht, wie beim Neurotiker, zur Quelle       Tote sei zum Feind des Überlebenden
der Selbstanklage wird, sondern statt-       geworden und beabsichtige, ihn mit
dessen gleichsam externalisiert und via      sich zu nehmen, als Genossen seiner
Projektion den Verschiedenen unter-          neuen Existenz“ (Freud 1999e, S.255-
stellt wird. Die Folge ist, dass diese als   256). Freuds ese bezüglich der fort-
Dämonen den Hinterbliebenen nach             lebenden Archaismen im Verhältnis
Perspektiven                               161

zum Tod und speziell der im modernen        ßen sie dabei nicht selten arg über das
Menschen noch waltenden Angst vor           Ziel hinaus. Es wird ihnen der Geist
den Verstorbenen wurde wiederholt           des Bettelweibs von Locarno mit seiner
bestätigt, so unter anderem in Werner       jedes Rechtsempfinden Hohn spre-
Fuchs einschlägiger Studie Todesbil-        chenden, da völlig unmäßigen Rache
der der modernen Gesellschaft (1973).       zur literarischen Patin. Zweifelsohne:
In ihr wird der apotropäische, gegen        Was Hans Richard Brittnacher mit
die von den Toten ausgehende Gefahr         Blick auf die Kleist’sche Erzählung
gewendete Charakter einer Vielzahl          vermerkt – dass in ihr „das Geister-
der Sepulkralpraktiken freigelegt und       reich Amok [läuft], [...] nicht etwa
auch das nach wie vor geltende De           Gerechtigkeit ein[klagt], sondern
mortuis nihil nisi bonum diskutiert, die    [...] unbegreifliche Verstörung als
Verhaltensvorschrift also, in Nachru-       neue Weltordnung über die Men-
fen, Grabreden und Todesanzeigen von        schen [verhängt]“ (Brittnacher 1994,
allen negativen Äußerungen abzusehen.       S.85) –, wird man getrost und sogar
In ihr „zeigt sich“, so Fuchs, „nicht nur   mit noch erheblich größerer Berech-
fromme Pietät, sondern untergründige        tigung auch für Filme wie Ring,
Angst vor den Toten. Ihre Rache und         Ju-on: The Grudge, One Missed Call,
ihr schädigender Eingriff in die Welt        The Conjuring oder Unfriended kon-
der Lebenden muß durch rituelle Lob-        statieren dürfen. Bezeichnenderweise
preisung abgewehrt werden“ (Fuchs           spielen in ihnen Trauer und Trauerar-
1973, S.144-145).                           beit so gut wie keine Rolle. Diese blei-
    Wie oben bereits vermerkt, spielt       ben jenem vergleichsweise kleinen, eher
der Gespensterfilm ausgiebig mit dieser      an der Peripherie oder im Grenzbereich
Angst, wobei er sie gewöhnlich nicht        zum Trauerfilm gelegenen Segment des
à la Freud zur Konsequenz einer Pro-        Gespensterfilmgenres vorbehalten.
jektion erklärt, sondern sie vielmehr
als in der äußeren Realität begründet          So traditionsreich und ausgeprägt
und gänzlich angemessen herausstellt.       es auch sein mag: Eine genretheo-
Schließlich belassen es die geistge-        retische Erschließung des – oftmals
wordenen Verstorbenen – und dies            allzu nonchalant seinem ‚Dachgenre‘,
natürlich speziell in jenen Genreein-       dem Horrorfilm, zugeschlagenen –
trägen, die unter dem ‚Dach‘ des Hor-       Gespenstergenres liegt noch nicht
rorfilms Platz finden – nur sehr selten       vor. Als eine Art Prolegomena zu
dabei, etwa die Lebenden via Spuk           einer solchen Erschließung möchte
um eine ordentliche Bestattung ihrer        ich die hier vorgestellten, bewusst
Gebeine zu bitten, wie dies das ket-        weit über die Domäne der Filmwis-
tenrasselnde Gespenst aus jener von         senschaft hinausgehenden Überle-
Plinius dem Jüngeren erzählten Spuk-        gungen verstanden wissen. In ihnen
hausgeschichte tut. Fordern sie, wie so     ging es mir um Viererlei: Erstens galt
oft, Vergeltung für ein ihrem lebenden      es, das Genre, welches ob seines the-
Selbst widerfahrenes Unrecht, so schie-     matischen Fokus auf das Spur- und
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Liminalphänomen ‚Gespenst‘ gleich-         haunted bzw. haunting house, expliziert
sam von Grund auf als ein eminent          werden. Drittens wurde die Nähe des
filmisches da filmgemäßes betrachtet         Gespensterfilms zum Trauerfilm her-
werden kann, an seine lange literarische   ausgestrichen und, viertens, psycho-
Vorgeschichte rückzubinden. Zweitens       analytisch informiert Aufschluss über
sollten einige seiner zentralen Topoi,     sein Wirkungskalkül gegeben, das auf
allen voran das schwellenumgebene,         das Unheimliche, Fantastische und –
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