Der Gespensterfilm: Skizzen für ein Genreporträt - Jörg Glasenapp - media/rep
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Repositorium für die Medienwissenschaft Jörg Glasenapp Der Gespensterfilm: Skizzen für ein Genreporträt 2020 https://doi.org/10.25969/mediarep/14867 Veröffentlichungsversion / published version Zeitschriftenartikel / journal article Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Glasenapp, Jörg: Der Gespensterfilm: Skizzen für ein Genreporträt. In: MEDIENwissenschaft: Rezensionen | Reviews, Jg. 38 (2020), Nr. 2-3, S. 151–165. DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/14867. Nutzungsbedingungen: Terms of use: Dieser Text wird unter einer Creative Commons - This document is made available under a creative commons - Namensnennung 3.0/ Lizenz zur Verfügung gestellt. Nähere Attribution 3.0/ License. For more information see: Auskünfte zu dieser Lizenz finden Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/ http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/
Perspektiven 151 Perspektiven Sollte es wahr sein, was Siegfried des Nicht-mehr, zugleich aber, da der Kracauer in seiner eorie des Films Film als „Mumie der Veränderung“ (1985 [engl. Erstfassung 1960]) (Bazin 2004, S.39) im Gegensatz zur behauptet – dass Motive und emen ‚zukunftslosen‘ Fotografie den Fluss als „filmgemäß“ zu gelten haben, „wenn des Lebens einfängt, als bewegte sie mit der einen oder anderen Eigen- Gegenwart. „[A] ghostly medium that schaft des Films identisch sind oder challenges the binary of presence and aus ihr hervorwachsen“ (S.356) –, dann absence“ (Leeder 2018, S.352) nennt wird man dem Gespenst, jenem spu- Murray Leeder denn auch den Film, kenden Rest eines in ihm an- und und er kann sich dabei auf filmprakti- zugleich abwesenden Verstorbenen,1 sche und -theoretische ebenso wie auf das Attribut „filmgemäß“ schwerlich philosophische Prominenz berufen: absprechen können. Auch ist kaum zu etwa auf Robert Wiene, den Regisseur leugnen (obschon dies Roland Barthes des expressionistischen Horrorfilms tut, vgl. 1989, S.100), dass dem Film Das Cabinet des Dr. Caligari (1920), etwas flagrant Gespenstisches eignet. der vom „Gespenstige[n] des Film- Schließlich sind die Dinge auf der bildes“ (zit. n. Kiening/Beil 2012, Leinwand als Rest- und Spurphäno- S.291) spricht, auf Gilberto Perez, der mene einer einstigen Wirklichkeit die Metapher vom „material ghost“ da und nicht da. Gespenstergleich ins Spiel bringt, um dem ‚Wesen‘ präsentieren sie sich uns im Modus des „phantom medium“ (1998, S.38) Film gerecht zu werden, oder aber auf 1 „[T]he ghost“, so Michael Newton, „is a Jacques Derrida, den Diskursbegrün- way of engaging with our mystification der des sogenannten spectral turn, der, about death. It survives with the belief interviewt in Ken McMullens Ghost that there is something left over when the human body becomes a corpse, that there Dance (1983), das Kino kurzerhand zur is a residue, or remnant, that does not „Gespensterkunst“ erklärt. Dass diese cease in the moment of dying“ (Newton bereits von ihren Anfängen an ein aus- 2010, S.xxi). Murray Leeder hingegen geprägtes Interesse für Gespenster und spricht vom Gespenst als „a spectral testi- monial to the past’s survival“ (Leeder deren „nur halbe[s] Sein“ (Brittnacher 2019, S.132). Zur Antwort auf die selbst- 1994, S.318) erkennen lässt – es äußert redend notorisch schwierige Frage ‚Was sich beispielsweise in Le manoir du ist ein Gespenst?‘ vgl. neben Newton und Leeder auch Morton 2017, S.12-21, pas- diable (1896) und Le château hanté sim. (1897) von Georges Méliès oder in
152 MEDIENwissenschaft 02-03/2020 Edwin S. Porters Uncle Josh in a Spooky das Gespenst vielen Menschen als Hotel (1900) –, erscheint vor der Folie „[i]m allerhöchsten Grade unheim- des Gesagten nur logisch. Dass sich lich“ (Freud 1999e, S.254) erscheint, mit der Zeit ein regelrechtes Genre so Sigmund Freud in seiner psycho- des Gespensterfilms mit einigerma- ästhetischen Konzeptualisierung des ßen spezifischem Konventionenarsenal Unheimlichen, in der er dieses als eine herausbildet, ebenso. Schauen wir uns eigentümliche Gefühlslage profiliert, dieses im Folgenden etwas genauer an. bei welcher – ein Binaritätenkollaps auch hier – das Unvertraut-Fremde und das Heimische respektive Altbe- 1. Unheimlich | fantastisch kannte zusammenfallen. Von Freud als „wirklich nichts Neues oder Fremdes, Während viele Genres ihre Dynamik sondern etwas dem Seelenleben von aus dem Antagonismus zweier strikt alters her Vertrautes“ (ebd.) deklariert, voneinander getrennter Entitäten kommt das Unheimliche zustande, bzw. Prinzipien beziehen – erinnert „wenn verdrängte infantile Komplexe sei hier nur an das Gegenüber von durch einen Eindruck wiederbelebt Wildnis und Zivilisation im Western, werden oder wenn überwundene pri- von Stadt und Land im Heimatfilm, mitive Überzeugungen wieder bestä- von Berg und Tal im Bergfilm, von tigt scheinen“ (ebd., S.263). Das road und home im Roadmovie oder Unheimliche hat somit zur Voraus- von den Geschlechtern in der screw- setzung, was Freud andernorts „die ball comedy –, ist der ‚Grenzabbau‘ Erhaltung des Vergangenen im See- sowie das Ausloten von Schwellen- lenleben“ (Freud 1999f, S.430) nennt; und Zwischenbereichen die eigentli- es rekurriert auf das Frühkindliche wie che Domäne bzw. das ‚Hauptgeschäft‘ das Frühmenschliche in uns, es speist des Gespenstergenres. Wie könnte es sich aus unserem ontogenetischen auch anders sein? Schließlich setzt sowie phylogenetischen Erbe. Inso- es ein im Lotman’schen Sinne hoch fern als es das Resultat einer erlebten „bewegliches“ (Lotman 1993, S.338)2 Wiederkehr darstellt, steht es – als „a Wesen der Liminalität und Trans- ghostly concept and feeling“ (Royle gression zentral, das die vielleicht 2003, S.vii) – dem Gespenst nahe, wichtigste kulturelle Leitdiff erenz, einem revenant und Wiedergänger, an jene von tot und lebendig, destruiert dessen Existenz unsere der Weltauf- beziehungsweise aus dem Reich der fassung des Animismus verpflichteten Toten auf die Welt der Lebenden Vorfahren noch glaubten. Jene Spur, übergreift. Dies sei der Grund, warum die sie damit in unserer Psyche hinter- lassen haben, nutzt nun der Gespen- 2 Bei Lotman heißt es: „Eine bewegliche sterfilm als Trigger für das beim Figur ist eine, die das Recht hat, die Publikum auszulösende Gefühl des Grenze zu überschreiten.“ (Lotman 1993, Unheimlichen; das heißt, er schlach- S.338).
Perspektiven 153 tet die Tatsache aus, dass die „alten Hoffmanns Nachtstück steht indes im [Überzeugungen]“, so Freud, „noch Einklang beispielsweise mit Prosper in uns fort[leben] und [...] auf Bestä- Mérimées Erzählung La Vénus d’Ille tigung lauern“ (Freud 1999e, S.262). (1837) oder Henry James‘ bekanntester Bekanntlich entwickelt Freud seine ghost story, e Turn of the Screw (1898), Überlegungen zum Unheimlichen die beide ebenfalls sowohl eine psycho- anhand einer mitunter recht forcier- logisch erklärende wie eine vom Wirken ten, den Kastrationskomplex ins Zen- übernatürlicher Kräfte überzeugte trum stellenden Deutung von E.T.A. Lesart gestatten, also ebenso als durch- Hoffmanns Nachtstück Der Sandmann weg fantastisch bezeichnet werden (1816). Freilich ist dieses nicht nur können (vgl. Todorov 2013, S.58). unheimlich, sondern auch fantastisch – Letzteres gilt auch für so manchen und zwar durch und durch, zumindest Gespensterfilm – Olivier Assayas‘ Per- wenn man sich an den vieldiskutierten sonal Shopper (2016) wäre hier etwa zu und -kritisierten, aber nach wie vor hilf- nennen, in dem die Entscheidung dar- reichen strukturalistischen Definitions- über, ob wir die Gespenster, die seine vorschlag Tzvetan Todorovs aus dessen Heldin wahrzunehmen vermeint, als Einführung in die fantastische Litera- ‚echt‘ oder als von ihr eingebildet auf- tur (1970) hält. Der nämlich streicht zufassen haben, bis zum Schluss sus- den „Grenzcharakter“ (Todorov 2013, pendiert bleibt –, nicht aber für das S.36) des Fantastischen heraus, indem Gros der Genres. Man denke in diesem er es zwischen dem Seltsamen und Zusammenhang beispielsweise an dem Wunderbaren verortet und an die e Changeling (Peter Medak, 1980), Unschlüssigkeit impliziter Leser_innen Ring (Hideo Nakata, 1998), e Sixth bei der Beurteilung eines geschilderten Sense (M. Night Shyamalan, 1999), merkwürdigen Geschehens gebunden e Others (Alejandro Amenábar, sieht: Ist dieses natürlichen oder aber 2001), Loft (Kiyoshi Kurosawa, 2005) übernatürlichen Ursprungs (vgl. ebd., oder e Awakening (Nick Murphy, S.33-53)? Gegen die Beantwortung 2011): Sie alle setzen zunächst auf dieser Frage sperrt sich Hoffmanns Unschlüssigkeit und Ambiguität, das Text konsequent – im Gegensatz etwa heißt, sie starten im Modus des Fan- zu den gothic novels von Ann Radcliffe tastischen und halten die Möglich- oder den Horror-Geschichten Howard keit des explained supernatural à la Phillips Lovecrafts. In diesen nämlich Radcliffe eine Zeitlang im Raum, um finden die Absonderlichkeiten und sie aber ausnahmslos schlussendlich Aberrationen letzten Endes eine zwar zu verwerfen. Damit bestätigen sie seltsame, aber rationale, mit den über- Todorov, der das Fantastische als vom lieferten Naturgesetzen vereinbare Umschlag ins Wunderbare oder Selt- Erklärung (Radcliffe) beziehungsweise same, also in die Eindeutigkeit, „stets führen zu einer Anerkennung des Jen- bedroht“ (ebd., S.55) apostrophiert. seitig-Wunderbaren und damit einer Todorovs Behauptung, der Sieges- neuen Ordnung der Welt (Lovecraft). zug der Psychoanalyse habe das Fan-
154 MEDIENwissenschaft 02-03/2020 tastische (als gleichsam camouflierte sich lohnt, dies im Blick zu halten, wenn écriture des im 19. Jahrhundert anders man sich in die Gefilde des Gespens- nicht darstellbaren, weil tabuisierten terfilms begibt und dessen ‚Grenzver- Unbewussten) aufs ästhetische Abstell- kehr‘ auslotet, versteht sich von selbst. gleis verbannt,3 ist natürlich grandios verfehlt und hinlänglich widerlegt. 2. Verortet | entortet Das Fantastische boomt weiterhin allerorten, einerlei, ob man eine weite Zeichnet sich das Fantastische durch oder enge, Todorov‘sche Definition keinerlei nennenswerte Ortspräferenz zu Grunde legt. Und nicht zufällig aus, so liegt der Fall beim Unheim- entfaltet es, wie das Unheimliche und lichen entschieden anders. Bereits das Gespenstische auch, als eine Art Freud macht als dessen prominente Denkkonzept in kulturtheoretischen Wirkungsstätte die Sphäre des Häusli- Kontexten sein irritierendes, subversi- chen aus, und gewiss wird er sich dies- ves Potenzial. Speziell emanzipatori- bezüglich durch die Literatur des 19. sche Ansätze, denen es um produktive Jahrhunderts bestätigt gefühlt haben. Verunsicherung via Binarismen- und In dieser nämlich wird, und zwar Essenzialismenüberwindung sowie das auf breitester Front, das Haus entge- Infragestellen hegemonialer Diskurse gen dem mit ihm verbundenen, von und Diskurspraktiken geht, wissen Gaston Bachelard und Otto Friedrich dieses zu nutzen, die Postcolonial, die Bollnow so eindringlich reflektierten Gender oder die Queer Studies etwa, auf Schutz- und Sekuritätsversprechen die das Fantastische ob seines transgre- (vgl. Bachelard 2003; Bollnow 2011, dierenden in-between-Charakters, seines S.95-109) als Ort für unheimliche Stö- Status als tertium datur, eine besondere rungen förmlich zelebriert. Nicht eigens Faszination förmlich ausüben muss (vgl. betont werden muss, dass Letztere viel- Brittnacher 2013, S.192-194). Dass es fach auf Gespenster zurückzuführen sind, die, so flüchtig ihre Erscheinung 3 „[D]ie Psychoanalyse“, so Todorov, „hat auch sein mag, „offenbar eine spezifi- die fantastische Literatur ersetzt (und damit überflüssig gemacht). Man hat es sche lokale Bindung [brauchen], um heute nicht mehr nötig, auf den Teufel überhaupt in Erscheinung treten zu zurückzugreifen, um über eine exzessive können“ (Fischer 2015, S.160).4 Mögen sexuelle Begierde zu sprechen, wie man auch der Vampire nicht länger bedarf, sie, wie oben vermerkt, nach Lotman um deutlich zu machen, welche Anzie- hungskraft von Leichen ausgeht: die Psy- 4 Neben ‚ihrem‘ Ort haben Gespenster choanalyse und die Art der Literatur, die, oftmals auch ‚ihre‘ Zeit. Klassischerweise direkt oder indirekt, von ihr inspiriert ist, ist es die Stunde von Mitternacht bis ein handeln davon in unverhüllten Begriffen. Uhr, die sprichwörtliche Geister- oder Die emen der fantastischen Literatur Gespensterstunde, das heißt, passend sind buchstäblich zum Gegenstand der zum gespenstischen in between, ein tem- psychoanalytischen Forschung der letzten porales Dazwischen an der Schnittstelle fünfzig Jahren geworden“ (Todorov 2013, zweier Tage (vgl. auch Brittnacher 1994, S.197). S.76-77).
Perspektiven 155 auch insofern ,beweglich‘ sein, als sie beide werden Anfang der 1960er Jahre die Grenze zwischen Tod und Leben kongenial verfilmt: James‘ Erzählung überqueren; auf Erden sind sie es nicht als e Innocents (1961) von Jack Clay- oder allenfalls in sehr eingeschränktem ton, Jacksons Roman als e Haunting Maße. (1963) von Robert Wise. Die Bedeu- Zumindest wird uns dieser Schluss tung des Filmduos für das Gespenster- durch Texte wie Heinrich von Kleists genre kann, wie jene der etwa zeitgleich Das Bettelweib von Locarno (1810), Sir entstandenen Filme Psycho von Alfred Walter Scotts e Tapestried Chamber Hitchcock (1960) und Peeping Tom von (1828), Charles Dickens‘ e Signalman Michael Powell (1960) für das Horror- (1866) oder Oscar Wildes e Canter- genre, schwerlich überschätzt werden – ville Ghost (1887) nahegelegt, vor allem auch weil es in vielerlei Hinsicht jenen aber durch das Hauptsegment der ghost Grundriss des haunted house festlegt, story, die haunted-house-Geschichte. der die Schreckenstopik des Gespens- Bereits in der Antike, etwa bei Plinius terfilms für Jahrzehnte, ja, letztlich bis dem Jüngeren,5 anzutreffen, darf diese heute maßgeblich prägt. seit Mitte des 19. Jahrhunderts als fest Selbstredend geht das literari- etabliert gelten. Sie erreicht, zumindest sche wie fi lmische haunted house auf was die US-amerikanische Literatur die Burgen und Schlösser der gothic anbelangt, mit e Turn of the Screw und novel zurück, als deren (groß-)bürger- Shirley Jacksons ebenfalls zur Gänze liches Pendant es zahlreiche Merk- fantastischem Roman e Haunting of male seiner Vorgänger übernimmt. Hill House (1959) ihre zwei Zenitpunkte Dies beginnt bei der Topologie: Es ist (vgl. auch Weinstock 2018, S.211-213). alleinstehend sowie ‚inselhaft‘,7 sein Beide rücken – und das ist für haunted Standort entlegen, und die Demarka- house stories nicht ungewöhnlich – eine tion von der Restwelt fällt strikt und psychisch derangierte (zu Zeiten Freuds unmissverständlich aus – nicht selten und James‘ hätte es geheißen: ,hysteri- in Form einer Mauer samt Gittertor, sche‘) junge Frau ins Zentrum,6 und das als prägnante Schwelle Einlass 5 So erzählt er in seinen Briefen vom Phi- losophen Athenodorus, der in Athen Heldinnen, die – Radcliffes gothic novels ein Spukhaus mietet (vgl. Plinius 1998, sind stets auch weibliche Bildungsro- S.507-509). mane – „zu der Einsicht gelangen [sol- 6 Vgl. in diesem Zusammenhang auch len], die eigene Empfänglichkeit nicht Elizabeth Wilson: „In general, female als erfreuliche Sensibilität, sondern als hysteria – or alternatively the greater gefährliche Beeinflußbarkeit wahrzu- power of women to link to the supernatu- nehmen“ (Brittnacher 1994, S.71). ral – is the motivating force of the haun- 7 Die Ich-Erzählerin aus e Turn of the ted house tale“ (Wilson 2013, S.118). Screw vergleicht den Landsitz Bly, das Natürlich handelt es sich bei den ‚hyste- „big ugly antique but convenient house“, rischen‘ Frauen der Spukhausgeschich- in dem sie ihrem Dienst als Gouvernante ten um psychoanalytisch durchleuchtete nachgeht, als „great drifting ship“. ( James Urenkeltöchter Radcliffes empfindsamer 2017, S.159).
156 MEDIENwissenschaft 02-03/2020 gewährt.8 In e Haunting, dem – wenn „ist die Zeit geronnen und auf Dauer man so will – „Flaggschiff“ (McKechneay gestellt“ (2016, S.274), ist das Vergan- 2007, S.121) des haunted-house-Films, gene „undying“ (Freeman 2018, S.328). kommt zusätzlich noch ein Torhüter Dies führt nicht zuletzt dann zu Kom- ins Spiel, ein unwirscher Hausmeis- plikationen und Konfliktlagen, wenn ter, wobei unklar bleibt, ob es sein das Gebäude, wie so oft im Horror- Blick oder der des Hauses beziehungs- und Gespensterfilm – beispielsweise in weise eines möglichen gespenstischen e Amityville Horror, e Changeling, Bewohners ist, der die mit dem Auto Beetlejuice (1988), e Others, e Con- ankommende Heldin erwartet. juring (2013) oder Personal Shopper –, Ist, wie oben betont wurde, das zum Verkauf oder zur Vermietung steht Gespenst ein Rest, so darf Selbiges in oder neu bezogen wird.9 gewisser Weise auch für das Gebäude Mark Fisher zufolge „[stellt sich] behauptet werden, das es beherbergt. [d]as Gefühl des Gespenstischen Das haunted house nämlich ist alt, [...] dann ein, wenn entweder etwas mitunter sehr alt, ein Residuum des da ist, wo nichts sein sollte, oder Einst, oder, wie es im Trailer von e wenn nichts da ist, wo doch etwas Amityville Horror (1979) voll sardoni- sein sollte“ (Fisher 2017, S.75). Ein- scher Ironie heißt, „the kind of house dringlich lässt sich diese Behauptung they don’t build anymore, a relic of a anhand des haunted house stützen, ja, time when the world wasn’t in such a mehr noch: Für das haunted house ist hurry, when there was still time for a eine eigentümliche Kausalität von little charme and elegance“. Wer die gespenstischer Präsenz und Absenz Schwelle eines haunted house über- spezifisch, wobei Erstere aus Letzterer tritt, tut demnach einen Schritt in die hervorgeht. Entscheidend in diesem Vergangenheit, ja, begibt sich auf eine Zusammenhang ist der Umstand, dass Zeitreise, wobei er/sie sich mit einer – das – im Film üblicherweise zunächst an Unmoral und Gewalttaten zumeist durch eine (Super-)Totale in seiner überreichen – Geschichte des jeweiligen Gesamtheit erfasste – Haus stets viel Hauses konfrontiert sieht, die, wie das zu groß beziehungsweise viel zu leer Gespenst, nicht ruhen will und massiv ist und die Leere, also die Absenz in die Gegenwart hineinwirkt. „Im dessen, was da sein sollte – nämlich haunted house“, so Peter Podrez treffend, eine der Zimmer- und Quadratme- teranzahl zumindest annähernd ange- messene Anzahl von Bewohner_innen –, 8 Ich charakterisiere hier wie nachfolgend das gleichsam idealtypische haunted house. Vgl. zum haunted house und dessen Mani- 9 Hiervon freilich wusste schon die ghost festationen in Literatur und Film auch story des 19. Jahrhunderts ausgiebig zu Vidler 2002, Grein 1995, Brittnacher berichten – man denke an Kleists Das 1994, S.90-94, Bailey 1999, Wilson 2013, Bettelweib von Locarno, Edward Bulwer McKechneay 2007, Podrez 2016 sowie Lyttons e Haunted and the Haunters Freeman 2018. (1865) oder Wildes e Canterville Ghost.
Perspektiven 157 gewissermaßen produktiv wird. Sie als ‚gefährdet‘ begreift, führt dies auf führt zu dem Gefühl, es mit einer die nun schon jahrzehntelang andau- Präsenz zu tun zu haben, die nicht ernde Krise der Familie zurück. „[I]t da sein sollte: einem Gespenst oder was the permanence of the Victorian aber der ‚Macht‘ des Hauses selbst family“, so Wilsons ese, „that once (vgl. Wilson 2013, S.114). Dieses seemed so oppressive, so deathly. With freilich wäre dann genau genom- that gone, there is nothing any longer men weniger haunted, heimgesucht, to haunt or to be haunted; the family als vielmehr haunting, also heimsu- home is too flimsy and too provisio- chend, also eine „Heimsuchung derer nal for ghosts to take root. Ghosts, [...], die [in ihm] ein Heim suchen“ or at least haunted houses, have had (McKechneay 2007, S.121).10 Was their day. As we have sloughed off the damit gemeint ist, zeigt mustergültig family, we have left the haunted house behind“ (2013, S.118). Selbstredend Hill House, das in Jacksons Roman könnte man in dieser Richtung noch als „house without kindness, never erheblich weiter gehen und für den meant to be lived in“ ( Jackson 2009, Niedergang des ‚vergangenheitsgesät- S.35), in Wises Adaption als „house tigten‘ Spukhauses die sich mit ihm that was born bad“ näher charakte- so ganz und gar nicht vertragende, risiert wird und in seiner steinernen die Erosion des Familialen unmittel- Monumentalität und Burgähnlichkeit bar im Gepäck führende postmoderne geradezu frappant aus der Zeit gefal- Lebensweise verantwortlich machen. len zu sein scheint. Der nämlich geht es, wie Zygmunt Hier freilich ist hinzuzufügen, Bauman vermerkt, darum, „die Gegen- dass letztlich jedes Spukhaus, sei es wart von der Geschichte zu lösen“, das nun haunted oder haunting, aus Stein, heißt „den Fluß der Zeit in eine stete Holz oder Beton, mittlerweile eini- Gegenwart einzuebnen“, und „sich vor germaßen relikthaft anmutet und von langfristigen Bindungen zu hüten: einer Aura des Anachronistischen Sich zu weigern, auf die eine oder umflort ist, denn während die Zeit andere Weise ‚festgelegt‘ zu werden; im haunted house nicht vergehen will, sich nicht an einen Ort zu binden [...]; gehört seine eigene (große) Zeit der sein Leben nicht nur einem einzigen Vergangenheit an. Elizabeth Wilson, Beruf zu widmen; keinem Menschen die neben dem Gebäude sogar auch und keiner Sache Beständigkeit oder dessen gespenstischen Bewohnenden Treue zu schwören“ (1995, S.145). Keine Frage: In „flüchtigen Zeiten“ 10 Zur Unterscheidung von haunted und (Bauman 2008), in denen Menschen haunting house, die – siehe das Overlook Hotel aus e Shining (Stanley Kubrick, nicht Konformität, sondern Flexibi- 1980) – oftmals nicht trennscharf oder lität abverlangt wird und das Leben interpretationsabhängig ist, vgl. neben jedes/r Einzelnen in eine Abfolge McKechneay 2007, S.121 auch Podrez 2016, S.263-265 sowie Freeman 2018, kurzfristiger Projekte und Episoden S.329-334. zerfällt (vgl. ebd., S.9-11; Sennett
158 MEDIENwissenschaft 02-03/2020 2000), verflüchtigt sich der Fluch, der 2000er Jahre, das heißt an Filme wie auf Häusern (und Familien) lastet, auf Ring, One Missed Call (Takashi Miike, drastische Weise. 2003) oder Pulse (Kiyoshi Kurosawa, Doch wie steht es um die Gespens- 2001), aber auch an den Cyber- ter? Kommen auch sie uns abhanden, mobbing-Film Unfriended (Levan wie es Wilson behauptet? Befragt man Gabriadze, 2014). den Gespensterfilm auf der Suche Dergestalt sorgen die – zumal auf nach einer Antwort, so ist diese ein- der Achse der Telekommunikation deutig: nein. Doch hängt dies nicht so und somit Raumüberwindung ope- sehr damit zusammen, dass das Genre rierenden12 – Medien für eine völlig – siehe die oben bereits genannten neue Topologie des Gespenstischen: e Awakening und e Conjuring Sie setzen dessen Ortstreue ein Ende. sowie Takashi Shimizus Ju-on: e Was früher galt – dass sich die unlieb- Grudge (2002), Kim Jee-Woons A same Begegnung mit Gespenstern Tale of Two Sisters (2003) oder Per- schlicht dadurch vermeiden lässt, dass sonal Shopper – dem haunted house man sich von ‚ihren‘ Lokalitäten fern- bis in jüngere und jüngste Zeit die hält –, hat als Verhaltensempfehlung Treue hält und damit eine Art Refu- damit ausgedient. gium bietet. Eher weist es den ihrer angestammten Heimstatt gleichsam 3. Betrauert | gefürchtet beraubten Gespenstern seit geraumer Zeit einen anderen prominenten Ort Ungleich stärker noch als e Change- zu: die von John Durham Peters als ling oder e Sixth Sense, welche die aus „liminal objects par excellence“ (Peters 2000, S.147) titulierten Medien, und zwar bevorzugt die neuen und neue- 12 Filme wie e Haunting, e Others oder A Tale of Two Sisters zeigen zur Genüge, sten. Ob Fernseher, Handys oder das dass es sich beim haunted house mitnich- Internet – sie alle werden mit schö- ten um eine a-mediale Lokalität handelt. ner Regelmäßigkeit von Gespenstern So profilieren sie das Gebäude, indem sie invadiert und als Channeling-Portale seine vergangenheitsbewahrende Quali- tät herausstreichen, als Speichermedium, zweckentfremdet, um „von jenseits der das seinerseits ein ganzes Medienarsenal Schwelle“ (Hartmann 1956) mit uns in sich birgt. Freilich geraten passender- zu kommunizieren oder gar in unsere weise zumal Gemälde, Bücher, Fotos und Statuen in den Blick, solche Medien also, Welt vorzudringen.11 Man denke hier die tendenziell weniger der Raum- als der speziell an den überaus wirkmächtigen Zeitüberwindung und Tradierung die- J-Horror der späten 1990er und frühen nen. Bisweilen, wie in e Others und Jan de Bonts e Haunting (1999), der zwei- ten, überkandidelt-postmodernen Verfil- 11 Dass das ema vom paranormalen Me- mung von Jacksons e Haunting of Hill dienbefall immer wieder, und so auch in House, wird das Fehlen von Telekom- den drei genannten Filmen, an eine Medi- munikationsmedien explizit thematisiert enschelte gekoppelt ist, wurde wiederholt und damit die ‚Inselartigkeit‘ des haunted betont (vgl. vor allem Krautschick 2015, house und die Isolation der in ihm Leben- passim). den (oder Eingeschlossenen) betont.
Perspektiven 159 dem Horrorgenre so sattsam bekannte, che Arbeit mit der Zeit den Schmerz auf Angst, Furcht, Schrecken und aus; das konnte und kann ich nicht Schock setzende Affektmelange voll- glauben, denn für mich tilgt die Zeit umfänglich bedienen, zeigen Filme wie nur die Empfindung des Verlusts (ich Jerry Zuckers rillerkomödie Ghost weine nicht), mehr nicht. Ansonsten ist (1990), Kiyoshi Kurosawas elegischer alles unbeweglich geblieben“ (Barthes Reisefilm Journey to the Shore (2015) 1989 [frz. Erstfassung 1980], S.85). oder David Lowerys minimalistische Das Kino freilich, zumal das an Zeitreflexion A Ghost Story (2017), innerer und äußerer Bewegung so sehr dass der Gespensterfilm, anders als der interessierte classical cinema, hat sich Horrorfilm, bisweilen dem Trauerfilm an einer derartigen Kritik so gut wie ausgesprochen nahesteht. Vor allen nicht beteiligt. Im Gegenteil: Es ist Dingen lässt er wie dieser ein Interesse Freuds Konzeption der Trauerarbeit dafür erkennen, was wir als Trauerar- grosso modo gefolgt – zumindest stellt beit zu bezeichnen gewohnt sind. sich dieser Eindruck ein, wenn man Eingeführt hat diesen Begriff die Geschichte des Trauerfilms (und letztlich auch des Gespensterfilms) Freud, und zwar in seinem 1915 abge- vor dem inneren Auge Revue passie- fassten metapsychologischen Beitrag ren lässt. Wundernehmen kann das Trauer und Melancholie. In ihm wird die natürlich nicht, ist es doch einfach zu Trauerarbeit als eine Art Befreiungsar- naheliegend, den Trauerprozess im beit beziehungsweise als ein intrapsy- Gewand der Heldenreise in Szene zu chologischer Vorgang charakterisiert, setzen. Dazu wird die mit dem Begriff der notwendig an den Ablauf von Zeit der Trauerarbeit verbundene „Vorstel- gekoppelt ist und an dessen Ende idea- lung, daß im Trauern dem Subjekt ein liter ein wiederhergestelltes Ich steht. aktives Verhalten abverlangt wird, daß Letzteres habe sich durch den Abzug es eine Leistung zu vollbringen hat“ der libidinösen Besetzungen vom (Ecker 1999b, S.20), mit den narra- geliebten Objekt der durch den Verlust tiven Usancen des Handlungskinos desselben verursachten Zumutungen zusammengebracht.13 soweit entledigt, dass ein zumindest Entsprechend führt der Trauerfilm äußerlich normales Leben erneut den Zuschauer_innen gewöhnlich vor, möglich ist (vgl. Freud 1999d, S.430, wie sich das durch einen Verlust in die 439, 442). Bekanntermaßen hat diese Welt der Trauer geworfene – zumeist Position immer wieder Kritik provo- weibliche14 – Subjekt aus dieser ziert, wurden Freuds Ausführungen 13 Vgl. zur Heldenreise im classical cinema vor zur gelingenden Trauerarbeit als allzu allem Vogler 2018 und Krützen 2004. normativ empfunden. So lesen wir bei- 14 Dies sollte uns nicht überraschen, ist es spielsweise in Die helle Kammer, Roland doch nicht nur in westlichen Kulturkon- Barthes‘ fototheoretischer Reflexion texten üblich, dass die Trauer bevorzugt an weiblichen Figuren vorgeführt wird bzw. über den Tod seiner Mutter: „Es heißt, das Trauern als eine tendenziell ‚weibliche‘ die Trauer lösche durch ihre allmähli- Kulturtätigkeit gilt (vgl. Ecker 1999a).
160 MEDIENwissenschaft 02-03/2020 hinaus- und in die Welt der Lebenden dem Leben trachten und von Letzte- zurückkämpft, indem es ihm gelingt, ren gefürchtet und entsprechend tabui- „im eigenen Leben den Tod des Ande- siert werden. Erst das Ende der Trauer ren zu beherbergen“ (Liebsch 2006, besorge ein Abklingen der Angst und S.13). Beobachten lässt sich dies in so die Transformation der Verstorbenen unterschiedlichen Filmen wie Todo in hilfreiche und verehrungswürdige sobre mi madre von Pedro Almodóvar Ahnen (vgl. Freud 1999a, S.66-83; (1999), P.S. I Love You von Richard 1999b, S.347). LaGravanese (2007) und Ragnar Einige Jahre später kommt Freud Bragasons Metalhead (2013). In gewis- auf seine in Totem und Tabu vorge- ser Weise trifft dies auch auf Krzysztof stellten Überlegungen zurück, und Kieślowskis Trois couleurs: Bleu (1993) zwar in seiner oben bereits angeführ- und Doris Dörries Kirschblüten – ten Abhandlung über das Unheimli- Hanami (2008) zu, vor allem aber auf che, deren berühmte Kernthese vom Caroline Links Im Winter ein Jahr Unheimlichen als dem keineswegs (2008) (vgl. Glasenapp 2016). Fremden, sondern allein Entfremdeten Nicht erst in Trauer und Melancho- er unter anderem anhand unseres mit lie hat sich Freud mit dem Phänomen Tod und Vergänglichkeit verbundenen Trauer beschäftigt. Er tat dies zuvor Denkens und Fühlens belegt. Dieses bereits in einer ganzen Reihe von sei „seit den Urzeiten“ (Freud 1999e, Schriften, in Zeitgemäßes über Krieg und S.255) weitgehend unverändert geblie- Tod (1915) etwa oder Vergänglichkeit ben, wobei vor allem das Wissen von (1916) (vgl. Freud 1999b, S.347; 1999c, der Faktizität des ,Sterbenmüssens‘ als S.359-360), besonders prominent aber Kernmoment des Realitätsprinzips in in Totem und Tabu (1912/13), seinem die phylogenetisch ältesten Bereiche so außerordentlich kühnen Vorstoß in unserer Psyche noch keinen Eingang die Paläoanthropologie. Die entspre- gefunden habe (vgl. ebd.; Liebsch 2006, chenden Einlassungen finden sich in S.130). „Da fast alle von uns in diesem dessen zweiter Abhandlung, genauer: Punkt noch so denken wie die Wilden“, im Umfeld der Ausführungen zum so führt Freud seine Behauptung weiter, Verhältnis der ‚Primitiven‘ zu ihren „ist es auch nicht zu verwundern, daß verstorbenen Familienangehörigen. die primitive Angst vor dem Toten Entscheidend geprägt werde dieses, bei uns noch so mächtig ist und bereit so Freud, durch die stets vorhandene, liegt, sich zu äußern, sowie irgend etwas allerdings im Unbewussten versteckte ihr entgegenkommt. Wahrscheinlich Antipathie den Toten gegenüber, die hat sie auch noch den alten Sinn, der nicht, wie beim Neurotiker, zur Quelle Tote sei zum Feind des Überlebenden der Selbstanklage wird, sondern statt- geworden und beabsichtige, ihn mit dessen gleichsam externalisiert und via sich zu nehmen, als Genossen seiner Projektion den Verschiedenen unter- neuen Existenz“ (Freud 1999e, S.255- stellt wird. Die Folge ist, dass diese als 256). Freuds ese bezüglich der fort- Dämonen den Hinterbliebenen nach lebenden Archaismen im Verhältnis
Perspektiven 161 zum Tod und speziell der im modernen ßen sie dabei nicht selten arg über das Menschen noch waltenden Angst vor Ziel hinaus. Es wird ihnen der Geist den Verstorbenen wurde wiederholt des Bettelweibs von Locarno mit seiner bestätigt, so unter anderem in Werner jedes Rechtsempfinden Hohn spre- Fuchs einschlägiger Studie Todesbil- chenden, da völlig unmäßigen Rache der der modernen Gesellschaft (1973). zur literarischen Patin. Zweifelsohne: In ihr wird der apotropäische, gegen Was Hans Richard Brittnacher mit die von den Toten ausgehende Gefahr Blick auf die Kleist’sche Erzählung gewendete Charakter einer Vielzahl vermerkt – dass in ihr „das Geister- der Sepulkralpraktiken freigelegt und reich Amok [läuft], [...] nicht etwa auch das nach wie vor geltende De Gerechtigkeit ein[klagt], sondern mortuis nihil nisi bonum diskutiert, die [...] unbegreifliche Verstörung als Verhaltensvorschrift also, in Nachru- neue Weltordnung über die Men- fen, Grabreden und Todesanzeigen von schen [verhängt]“ (Brittnacher 1994, allen negativen Äußerungen abzusehen. S.85) –, wird man getrost und sogar In ihr „zeigt sich“, so Fuchs, „nicht nur mit noch erheblich größerer Berech- fromme Pietät, sondern untergründige tigung auch für Filme wie Ring, Angst vor den Toten. Ihre Rache und Ju-on: The Grudge, One Missed Call, ihr schädigender Eingriff in die Welt The Conjuring oder Unfriended kon- der Lebenden muß durch rituelle Lob- statieren dürfen. Bezeichnenderweise preisung abgewehrt werden“ (Fuchs spielen in ihnen Trauer und Trauerar- 1973, S.144-145). beit so gut wie keine Rolle. Diese blei- Wie oben bereits vermerkt, spielt ben jenem vergleichsweise kleinen, eher der Gespensterfilm ausgiebig mit dieser an der Peripherie oder im Grenzbereich Angst, wobei er sie gewöhnlich nicht zum Trauerfilm gelegenen Segment des à la Freud zur Konsequenz einer Pro- Gespensterfilmgenres vorbehalten. jektion erklärt, sondern sie vielmehr als in der äußeren Realität begründet So traditionsreich und ausgeprägt und gänzlich angemessen herausstellt. es auch sein mag: Eine genretheo- Schließlich belassen es die geistge- retische Erschließung des – oftmals wordenen Verstorbenen – und dies allzu nonchalant seinem ‚Dachgenre‘, natürlich speziell in jenen Genreein- dem Horrorfilm, zugeschlagenen – trägen, die unter dem ‚Dach‘ des Hor- Gespenstergenres liegt noch nicht rorfilms Platz finden – nur sehr selten vor. Als eine Art Prolegomena zu dabei, etwa die Lebenden via Spuk einer solchen Erschließung möchte um eine ordentliche Bestattung ihrer ich die hier vorgestellten, bewusst Gebeine zu bitten, wie dies das ket- weit über die Domäne der Filmwis- tenrasselnde Gespenst aus jener von senschaft hinausgehenden Überle- Plinius dem Jüngeren erzählten Spuk- gungen verstanden wissen. In ihnen hausgeschichte tut. Fordern sie, wie so ging es mir um Viererlei: Erstens galt oft, Vergeltung für ein ihrem lebenden es, das Genre, welches ob seines the- Selbst widerfahrenes Unrecht, so schie- matischen Fokus auf das Spur- und
162 MEDIENwissenschaft 02-03/2020 Liminalphänomen ‚Gespenst‘ gleich- haunted bzw. haunting house, expliziert sam von Grund auf als ein eminent werden. Drittens wurde die Nähe des filmisches da filmgemäßes betrachtet Gespensterfilms zum Trauerfilm her- werden kann, an seine lange literarische ausgestrichen und, viertens, psycho- Vorgeschichte rückzubinden. Zweitens analytisch informiert Aufschluss über sollten einige seiner zentralen Topoi, sein Wirkungskalkül gegeben, das auf allen voran das schwellenumgebene, das Unheimliche, Fantastische und – sowohl heterotope wie heterochrone selbstredend – Gespenstische abzielt. Literatur: Bachelard, Gaston: Poetik des Raums. Frankfurt am Main: Fischer, 2003 (1957). Bailey, Dale: American Nightmares: e Haunted House Formula in American Popular Fiction. Bowling Green: Popular Press, 1999. Barthes, Roland: Die helle Kammer: Bemerkung zur Photographie. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1989 (1980). Bauman, Zygmunt: Flaneure, Spieler und Touristen: Essays zu postmodernen Lebens- formen. Hamburg: Hamburger Edition, 2007 (1995). Bauman, Zygmunt: Flüchtige Zeiten: Leben in der Ungewissheit. Hamburg: Ham- burger Edition, 2008 (2007). Bazin, André: „Ontologie des photographischen Bildes“ (1945). In: ders.: Was ist Film? Berlin: Alexander, 2004, S.33-42. Bollnow, Otto Friedrich: Mensch und Raum (1963). In: ders.: Schriften, Bd.6, Würzburg: Königshausen und Neumann, 2011. Brittnacher, Hans Richard: Ästhetik des Horrors: Gespenster, Vampire, Monster, Teufel und künstliche Menschen in der phantastischen Literatur. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994. Brittnacher, Hans Richard: „Phantastik-eorien“. In: Brittnacher, Hans Richard/ May, Markus (Hg.): Phantastik: Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart/Wei- mar: Metzler, 2013, S.189-197. Ecker, Gisela (Hg.): Trauer tragen – Trauer zeigen: Inszenierungen der Geschlechter. München: Wilhelm Fink, 1999 [im Text als Ecker 1999a]. Ecker, Gisela: „Trauer zeigen: Inszenierung und die Sorge um den Anderen“. In: dies. (Hg.): Trauer tragen – Trauer zeigen: Inszenierungen der Geschlechter. München: Wilhelm Fink, 1999, S.9-25 [im Text als Ecker 1999b]. Fischer, Ralph: „‚Home haunted home!‘ Zur Ortsspezifi k des Gespenstigen“. In: Aggermann, Lorenz u.a. (Hg.): ‚Lernen, mit den Gespenstern zu leben‘: Das
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