25 Jahre KISS Hilfe zur Selbsthilfe - Selbsthilfemagazin

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25 Jahre KISS Hilfe zur Selbsthilfe - Selbsthilfemagazin
Ausgabe 2012

          Selbsthilfemagazin
                   für Kassel und Umgebung

    25 Jahre KISS
    Hilfe zur Selbsthilfe

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25 Jahre KISS Hilfe zur Selbsthilfe - Selbsthilfemagazin
Impressum                                                Inhaltsverzeichnis
Herausgeber:                                              Editorial                                        3
      Stadt Kassel
      Gesundheitsamt Region Kassel                        25 Jahre KISS
      Kontakt- und Informationsstelle                     Grußwort                                         3
      für Selbsthilfegruppen
                                                          Aktivitäten: „Ein gelungenes Fest“               5
      Wilhelmshöher Allee 32A
      34117 Kassel
                                                          Geschichte
                                                          „Die KISS hat sich sehr positiv entwickelt“      6
      Telefon: 0561/92005-53 99
      Fax: 0561/92005-5322
                                                          Die Aufgaben
      E-Mail: kiss@stadt-kassel.de
                                                          Die KISS
Redaktion:                                                Ein breites Spektrum und vielfältige Aufgaben    8
      Carola Jantzen (v.i.S.d.P.),                        Supervision
      Texte: Jacqueline Engelke,                          „Hohe Komplexität der Aufgaben“                  11
      vitaminbe kommunikation, Kassel
                                                          Öffentlichkeitsarbeit
Druck:                                                    Pro Tag ein paar hundert Gespräche geführt       12
         Grafische Werkstatt, Kassel
                                                          Gemeinschaft fördern
                                                          Von den Erfahrungen der anderen profitieren      14
Layoutgestaltung:
      Wilfried Momberg, Kassel                            Amerikanische Besatzungskinder
                                                          „Alle wussten von mir – nur ich wusste nichts“   16
Auflage:                                                  Alleinerziehende
       1000                                               Wir fühlen uns gut unterstützt                   18
Copyright:                                                Psychose
       Nachdruck nur mit Genehmigung                      Sich über Erlebtes austauschen                   20

Bildernachweis:                                           Förderrat:
       Titelfotos: Bundesregierung/Atelier                „Gelebte Basisdemokratie“                        22
       Schneider, KISS                                    Fortbildung
         Bundesregierung/Atelier Schneider                Das 1 x 1 der Gruppenleitung                     23
         Foto Berlinfahrt, (S. 5)                         Supervision für Gruppen
         Privat. Die Fotos der Grußworte wurden           „Eine Entlastung und Ermutigung“                 24
         freundlicherweise von den jeweiligen Ver-        Landesarbeitsgemeinschaft
         fassern zur Verfügung gestellt)                  „Typische reflektierende Haltung“                26
         KISS: documenta-Besuch (S.5), Selbst -           Praktikum
         hilfetag (12), Neujahrsempfang (S.13),           Eine Vielfalt von Menschen und Aufgaben          27
         Fortbildung (S. 23)
                                                          Zertifikat
         Engelke (S. 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 14, 28, 30)   Garantierte Qualität der Arbeit                  28

         Fotolia.com: Gerhard Seybert (S.16)              Das KISS Team                                    30
         Rubysoho (18), kzenon (19), crimson (20),
         Schlierner (22), marem (24), freshidea (25),     Informationen
                                                          Finanzielle Unterstützung durch den
         Fotos ohne Bildunterzeilen dienen                Förderrat 2012                                   29
         lediglich illustrativen Zwecken                  Selbsthilfethemen Region Kassel 2012             31

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25 Jahre KISS Hilfe zur Selbsthilfe - Selbsthilfemagazin
Grußwort
                         ls Gesundheitsdezernentinnen in der Stadt und im Landkreis Kassel
                  A      gratulieren wir der Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegrup-
                  pen (KISS) zu 25 Jahren erfolgreicher Arbeit und aktiver Förderung des Selbst-
                  hilfegedankens in unserer Region.
                  Im Jahr 1987 hat sich die Stadt Kassel – damals noch im Rahmen eines Bun-
                  desmodellprogramms – entschlossen, Selbsthilfepotenziale der Bürgerinnen
                  und Bürger mit der Einrichtung einer Kontakt- und Informationsstelle zu unter-
                  stützen und zu aktivieren. Seit der Einrichtung des Gesundheitsamts Region
                  Kassel im Jahr 2008 beteiligt sich auch der Landkreis Kassel an der Finanzie-
                  rung der KISS.
                  Dieses öffentliche Engagement hat sich gelohnt und wir können heute stolz
                  sein auf die Vielfalt des Selbsthilfeangebots, auf das die Bürgerinnen und Bür-
Anne Janz         ger in unserer Region im Bedarfsfall zurückgreifen können.
                  Die Rolle von Selbsthilfegruppen in der medizinischen und psychosozialen In-
                  frastruktur in Fachkreisen und Politik wurde zunächst recht kontrovers disku-
                  tiert und wurde zum Zeitpunkt der Gründung der KISS noch breit diskutiert.
                  Das Verhältnis zwischen professionell erbrachten Angeboten und Selbsthilfe
                  war nicht geklärt. Selbsthilfegruppen wurden ja oft auch gerade in kritischer
                  Distanz zu bestehenden professionellen Versorgungsstrukturen gegründet.
                  Diese kritische Distanz und der Anspruch der Selbsthilfegruppen, als Betrof-
                  fene für Betroffene da zu sein, standen zunächst durchaus in Konkurrenz zu
                  bestehenden professionellen Angeboten. Außerdem mussten die Gruppen
                  für sich klären, ob sie auf eine institutionalisierte, aus öffentlichen Mitteln ge-
                  tragene Form der Unterstützung zurückgreifen wollen. Es gab durchaus Skep-
                  sis bei den Gruppen, ob dies nicht dem Selbsthilfegedanken widerspricht und
                  dem speziellen Charakter der Unterstützung und gegenseitigen Hilfeleistung
                  von Betroffenen zuwiderläuft. Diese Diskussion wurde vor 25 Jahren auch
                  in Kassel geführt. Bei den Selbsthilfegruppen war die Einrichtung der KISS
Susanne Selbert
                  zunächst nicht unumstritten.
                  Heute hat die Selbsthilfe in unserer Region ihren selbstverständlichen Platz
                  neben den medizinischen Professionen. Scheinbare Widersprüche sind im
                  Verlauf der Jahre einem guten und konstruktiven Miteinander gewichen. Pro-
                  fessionelles Angebot und Selbsthilfe, Selbsthilfe und Institutionalisierung wer-
                  den schon lange als Ergänzung begriffen. Wenn heute Therapeutinnen und
                  Therapeuten oder andere Professionelle bei der KISS nach geeigneten Selbst-
                  hilfegruppen für ihr Klientel fragen, wenn heute auch Krankenkassen die Ar-
                  beit unterstützen, dann zeugt das von der hohen Akzeptanz, die die Selbsthil-
                  fegruppenarbeit mittlerweile vom professionellen Versorgungssystem erfährt.
                  Und die Selbsthilfegruppen haben – und das vor allem auch durch die sen-
                  sible und gute Arbeit der KISS – ihre anfängliche Skepsis abgebaut und auf
                  die Chancen, die eine Kontakt- und Informationsstelle bietet, gesetzt. Sie ha-
                  ben sich, vermittelt durch die KISS und durch die Anbindung an das Gesund-
                  heitsamt der Region Kassel, Stimme und Gehör für ihre Anliegen verschaffen
                  können. Der gemeinsame Erfolg kann sich sehen lassen: Mit derzeit ca. 250
                  bei KISS registrierten Selbsthilfegruppen verfügen wir über eine hohe Versor-
                  gungsdichte für die Bürgerinnen und Bürger in der Region. Dies verdanken
                  wir neben den vielen ehrenamtlich Tätigen in den Selbsthilfegruppen auch
                  der engagierten Arbeit der KISS. Wir stützen diese Überzeugung auch auf
                  wissenschaftliche Befunde, die aufzeigen, dass eine Selbsthilfekontaktstelle,
                  wenn sie kontinuierlich wirken kann, ein Garant für mehr und stabilere Selbst-

3                                                                                                       3
25 Jahre KISS Hilfe zur Selbsthilfe - Selbsthilfemagazin
Grußwort

           hilfegruppen ist. Die kompetente Arbeit der KISS ist seit dem letzten Jahr auch mit
           einem Qualitätssiegel versehen.
           Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von KISS haben in den vergangenen 25 Jahren
           gezeigt, dass eine Kontakt- und Informationsstelle viel tun kann, um den Selbsthil-
           fegedanken weiter in die Bevölkerung zu tragen und das vielfältige Angebot bei den
           Bürgerinnen und Bürgern in unserer Region transparent und bekannt zu machen.
           Das hat auch mit personeller Kontinuität zu tun. Vertrauen und Erfahrung wachsen
           über Jahre und dies ist auch bei der zukünftigen Sicherung der Arbeit der KISS zu
           beachten.

           Bei den vielen Aktivitäten von KISS denken wir insbesondere an:
           • die Selbsthilfetage, die bereits seit 1988 jährlich stattfinden – mit außer-
             ordentlich guter Resonanz
           • an den Selbsthilfewegweiser
           • viele weitere öffentliche Informationsveranstaltungen
           • die sehr gut angenommene Veranstaltungsreihe des Gesundheitsamtes
             Region Kassel „Gesundheit im Gespräch“, bei der KISS seit 2006 offizieller
             Mitveranstalter ist
           • die Unterstützung bei der Bereitstellung von Räumlichkeiten und
             Vernetzung der Gruppen, von Betroffenen, die eine Gruppe gründen
             möchten, Fortbildungen zu rechtlichen Fragen, zur Finanzierung, usw.

           Mit engagierter und fachlich hervorragender Arbeit hat KISS sich in den letzten 25
           Jahren zu einer im wahrsten Sinne des Wortes tragenden Struktur für den Selbst-
           hilfegedanken und die Selbsthilfegruppen in der Region Kassel entwickelt. Mit Un-
           terstützung der KISS können das Erfahrungswissen und die Selbsthilfepotenziale
           unserer Bürgerinnen und Bürger erschlossen werden. Sie ergänzen das professio-
           nelle Angebot durch die Betroffenenperspektive in einem ganzheitlichen Sinn und
           helfen damit immer wieder, Lücken in der vorhandenen Versorgungsstruktur zu
           schließen. Das ist ein wichtiger Beitrag zu Solidarität und Lebensqualität in unserer
           Region.
           Wir danken den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihre erfolgreiche Arbeit.

           Anne Janz                                                        Susanne Selbert
           Stadträtin                                               Erste Kreisbeigeordnete

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25 Jahre KISS Hilfe zur Selbsthilfe - Selbsthilfemagazin
25 Jahre KISS
„Ein gelungenes Fest“
Aktivitäten
 ktivitäten zum Jubiläum: Grillfest, Berlin-Fahrt
und
 nd documenta-Besuch

25 Jahre KISS – aber kein Festakt. Stattdessen eine
Würdigung der Selbsthilfegruppen mit drei Aktivitäten:
einem Grillfest im Restaurant Bootshaus an der Fulda,
einer documenta-Führung und einer Fahrt nach Berlin
auf Einladung der Kasseler FDP-Bundestagabgeordneten
Mechthild Dyckmans, finanziert vom Presse- und
Informationsamt der Bundesregierung.
„Die Berlin-Fahrt war ein Erlebnis“, erzählt Luise Öhler,
Mitglied der Polio Selbsthilfegruppe. Sie fand nicht nur
das Programm gut, sondern dass es für sie als Fahrerin       nicht alleine. Auf jeden Fall besser als lange Reden. Beim
im E-Rollstuhl die Möglichkeit zu einer solchen Fahrt gab.   Grillfest mit rund 100 Besuchern der Selbsthilfegruppen
„Insgesamt war es ein sehr informative Fahrt“, fasst         und leckerem Essen wurde miteinander gefeiert und
Hans-Peter Schwadron von der Arbeitsgemeinschaft             geredet.
Sucht zusammen.                                              Eher etwas zum Zuhören war die Fortbildung mit Führung
Eine Fahrt mit zwei Übernachtungen und einem                 zur documenta 13. Die KISS stellte in der Einladung
vollen Programm. Einer Stadtrundfahrt, Besichtigung          dazu fest: Dieser documenta ging es um eine andere
unter anderem des Bundestags sowie Diskussionen              Sicht auf die Welt, um ein geschärftes Bewusstsein.
mit Mechthild Dyckmans und ein Besuch im
Bundesministerium für Gesundheit. Diese Gespräche,
wie Politik funktioniert, haben nicht nur Adeltraud Müller
von der Gruppe Leben mit Morbus Behcet beeindruckt.
Und noch ein Aspekt ist Adeltraud Müller wichtig: „Die
Fahrt hat das Miteinander der Gruppenleiter gestärkt.“
Ein Miteinander war auch bei dem Grillfest im Bootshaus
in Kassel erwünscht. „Schöne Musik, ein gelungenes
Fest“, sagt Adeltraud Müller und steht mit dieser Meinung

                                                             Darüber lässt sich trefflich diskutieren, was bei einem
                                                             Kaffee nach der Führung möglich war. Die Führung „war
                                                             gut und verständlich“, sagt Hans-Peter Schwadron.
                                                             Was angesichts der manchmal schwer zugänglichen
                                                             modernen Kunst nicht ganz unwichtig ist.
                                                             Die documenta findet nur alle fünf Jahre statt. Aber die
                                                             Fahrt nach Berlin, „die könnte man öfter anbieten“, meint
                                                             Schwadron. Luise Öhler und Adeltraud Müller hätten
                                                             vermutlich nichts dagegen.

5                                                                                                                    5
25 Jahre KISS Hilfe zur Selbsthilfe - Selbsthilfemagazin
Geschichte

Das Titelfoto des Selbsthilfewegweisers aus dem Jahr 2000, zweite v. links:
Christiane Winter-Heider, KISS-Leiterin 1987-2000.

„Die KISS hat sich sehr positiv entwickelt“
Von den Anfängen bis heute gab es auch Diskussionen und unsichere Zeiten

Selbsthilfe – dieser Begriff tauchte erstmals Mitte      das von 1987 bis 1991 lief. Das Programm wurde
des 19. Jahrhunderts auf. Schon damals sollte die        wissenschaftlich begleitet. Der damalige Psychiatrie-
Selbsthilfe fehlende staatliche Versorgung ersetzen.     koordinator der Stadt Kassel, Peter Eisenberg, wurde
Mitte des vergangenen Jahrhunderts gewann die            auf das Bundesprogramm aufmerksam. Da Kassel
Selbsthilfebewegung noch einmal eine ganz eigene         die einzige Stadt war, in der die Selbsthilfekon-
Bedeutung. Ende der 60er und in den 70er Jahren          taktstelle beim Gesundheitsamt angesiedelt werden
begannen Menschen, sich öffentlich zu ihrem Pro-         sollte, wurde sie zusammen mit 19 anderen Städten
blem zu bekennen. Hans Jürgen Otto, langjährige          und Kreisen in das Programm aufgenommen. Die
Kontaktperson der Selbsthilfegruppe Morbus Crohn/        Konstellation mit dem Gesundheitsamt wurde zwar
Colitis ulcerosa und noch heute in der Gruppe und im     von einigen mit Skepsis betrachtet, doch sie sollte
Bundesverband der Deutschen Morbus Crohn Colitis         im Modellprogramm ebenfalls untersucht werden.
ulcerosa Vereinigung in Berlin aktiv, erinnert sich an   Die Ergebnisse zeigten, dass auch Kommunen für die
die Zeiten, als es noch keine KISS in Kassel gab.        Trägerschaft eine Kontaktstelle geeignet sind, ebenso
                                                         Wohlfahrtsverbände und Vereine. Voraussetzung ist,
 Basisdemokratische Gegenbewegung                       dass sie die Anforderungen an eine solche Kontaktstelle
Selbsthilfe verstand sich als basisdemokratische         erfüllen. Zum Beispiel geeignetes Fachpersonal
Gegenbewegung zum Gesundheitssystem. „Viele wa-          einstellen, das ausschließlich für die Aufgaben der
ren gegenüber dem Gesundheitssystem etwas kritisch       Kontaktstelle zuständig ist, so eine Empfehlung im
eingestellt, es ließ Lücken und die Zusammenarbeit,      Kurzbericht der wissenschaftlichen Begleitung des
die Verzahnung funktionierte damals wie heute nicht      Modellprogramms.
gut“, schildert Hans Jürgen Otto. Räume zu finden war
für die Gruppen schwierig und eine Gruppengründung        Räume für die Selbsthilfegruppen
oder eine geplante Aktivität konnte am Fehlen von        In Kassel begann Christiane Heider, spätere Winter-
100 D-Mark scheitern. Doch „die Politik merkte,          Heider, als erste Mitarbeiterin im Projekt für die neue
dass sie etwas tun muss“, sagt Otto, denn die            Kontaktstelle am 1. Dezember 1987 in einem winzigen
Selbsthilfebewegung war schon seit einigen Jahren        Zimmer mit einem Aktenordner und ein paar Briefen,
aktiv.                                                   wie sie selbst in einem Grußwort schreibt. Ein Haus
In den 80er Jahren stellte die Bundespolitik ein         für Selbsthilfe hatte für die Gruppen damals eine
Modellprogramm zur Gründung von Informations- und        hohe Priorität. Tatsächlich gelang es, am Weinberg
Unterstützungsstellen für Selbsthilfe zur Verfügung,     ein erstes Domizil zu bekommen, eine Wohnung mit

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25 Jahre KISS Hilfe zur Selbsthilfe - Selbsthilfemagazin
Geschichte

Die KISS bekam zum Geburtstag viele Glückwunsche von den Gruppen.

drei Räumen. „Wir mussten manchmal ganz schön               die Selbsthilfegruppen wichtig. Meilensteine der
kämpfen“, erinnert sich Hans Jürgen Otto an die erste       Entwicklung der vergange-nen 25 Jahre sind für ihn
Zeit. Die Zimmer waren sehr einfach eingerichtet, „aber     zum Beispiel die Räume der KISS in der Wilhelmshöher
wir hatten zumindest kostenlose Räumlichkeiten“,            Allee und dass sich die KISS etabliert hat. Die Teilnahme
sagt Otto.                                                  an den Gesundheitstagen oder dem Selbsthilfetag,
                                                            überhaupt die Übernahme von Öffentlichkeitsarbeit
1991 lief das Modellprogramm aus – wer würde die
                                                            und die Supervision für Kontaktpersonen der Gruppen
Finanzierung übernehmen? Schließlich gab es Mittel
                                                            – das alles und noch mehr sind für Otto wichtige
vom Land und auch die Stadt trug zur Finanzierung
                                                            Errungenschaften und Unterstützung für die Arbeit
bei. Dennoch stand die finanzielle Existenz der KISS
                                                            der Gruppen. „In den Jahren, nachdem die KISS fest
eine ganze Weile auf wackligen Füßen. Ein Problem
                                                            etabliert war, hat sich alles positiv entwickelt“, meint
bildete damals auch der Landkreis Kassel, der sich
                                                            Hans Jürgen Otto abschließend. Aber, sagt er, es ist
nicht beteiligen wollte, sagt Otto. „Wir haben heftig
                                                            ebenfalls wichtig, wie die Gruppen mitmachen. „Sie
gestritten und diskutiert.“ Mit Erfolg. Er findet es sehr
                                                            müssen ihren Anspruch deutlich machen“, gibt er
anerkennenswert, dass Christiane Winter-Heider trotz
                                                            denen mit auf den Weg, die heute aktiv sind. „Nur
der anfangs unsicheren Verhältnisse weitermachte.
                                                            wenn aktiv mitgestaltet wird, kann es erfolgreich für
Auch die Angliederung an das städtische                     unser beider Zukunft etwas werden.“
Gesundheitsamt führte zu Diskussionen, nicht
zuletzt wegen der damals üblichen kameralistischen
Haushaltsführung, nach der das zur Verfügung                  •   „Nur gute Erfahrungen“
gestellte Geld nicht auf das nächste Jahr übertragen          „Selbsthilfegruppen stellen eine
werden konnte. Manche Verwaltungsregel passte                 wichtige Versorgungsebene im
nicht zu dem basisdemokratischen Anspruch der                 Gesundheitswesen dar. Bei ab-
Selbsthilfebewegung. Doch die Stadt „kam uns                  sehbarem       Personalmangel     in
entgegen“, erzählt Otto. So wurde unter anderem               der Pflege und im medizinischen
ein Förderrat aus dem Plenum der Selbsthilfegruppen           Bereich werden sie in Zukunft
gewählt, der gespendete Gelder verwaltete und auf             immer wichtiger werden. Denn ihre Stärke ist es, die
Antrag an die Gruppen vergab.                                 individuellen Fähigkeiten zu beachten und zu stärken.
                                                              Ich bin sehr froh, dass mit KISS eine zentrale Anlauf-
 Wichtige Unterstützung für die Gruppen                      und Koordinationsstelle zur Verfügung steht und habe
Die KISS habe sich gut entwickelt, sagt Otto                  damit bisher nur gute Erfahrungen gemacht.“
heute. „ Es kann aber immer noch besser werden.               Dr. med. Uwe Popert, Arzt für Allgemeinmedizin,
Denn Stillstand ist Rückschritt“, meint er weiter.            Vorsitzender des Gesundheitsnetzes Nordhessen.
Eine gute und vernünftige Unterstützung sei für

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25 Jahre KISS Hilfe zur Selbsthilfe - Selbsthilfemagazin
Die KISS
Ein breites Spektrum und vielfältige Aufgaben
Das KISS-Team berät, vermittelt, sorgt für Öffentlichkeit und Fortbildung

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                                                                            viel gefragten Aufgaben
                                                                            der KISS. Drei Mal pro
                                                                            Woche beantwortet Karl-
                                                                            Heinz Brestrich in der
                                                                            Sprechzeit die Fragen von
                                                                            Ratsuchenden am Telefon
                                                                            oder persönlich.

An der Klinke zum Beratungsbüro der Kontakt- und            Drei Mal pro Woche, am Montag, Mittwoch und
Beratungsstelle für Selbsthilfegruppen ist heute, wie       Donnerstag, sitzt der Sozialpädagoge und Supervisor
an jedem Donnerstag, ein kleiner Schaumstoffring            am Beratungstelefon der KISS. Diese Tätigkeit ist sein
angebracht. Damit bleibt die Tür immer einen Spalt offen    Arbeitsschwerpunkt, für den er eine Halbtagsstelle hat.
und signalisiert: Komm herein, du bist willkommen.
Im Büro klingelt das Telefon. „Kontaktstelle für             Filter und Schutzfunktion für die Gruppen
Selbsthilfegruppen, mein Name ist Brestrich, guten          Viele erfahren über das Internet von den Selbst-
Morgen“, meldet sich KISS-Mitarbeiter Karl-Heinz            hilfegruppen und rufen anschließend bei der KISS
Brestrich.                                                  an. Die wenigsten kommen persönlich zur Beratung.
                                                            Wenn, sind es eher Ratsuchende, die die deutsche
Der Anrufer fragt, ob es in Kassel eine Selbsthilfegruppe
                                                            Sprache weniger gut beherrschen.
für Menschen mit Angst und Depressionen gibt. Er
sei in ärztlicher Behandlung, aber es gehe ihm sehr         „Bei körperlichen Erkrankungen ist aufgrund der
schlecht. Karl-Heinz Brestrich klärt zuerst mit ihm, ob     Diagnose meist schnell klar, was die Anrufer
es sich um eine akute Krise mit Selbstmordgedanken          suchen“, erläutert Karl-Heinz Brestrich. Mehr Finger-
handelt. Dann würde er die Gesundheitsamtskollegen          spitzengefühl benötigt er, wenn es um psychische
vom     sozialpsychiatrischen      Dienst     empfehlen.    Beeinträchtigungen geht. In diesen Fällen muss er die
Da das nicht so ist, gibt er Informationen zu Ort,          Problematik im Gespräch herausarbeiten, über die sich
Zeit und Kontaktmöglichkeiten für verschiedene              der Interessent mit anderen austauschen will, damit er
Selbsthilfegruppen weiter, die sich in Kassel zu den        die richtige Gruppe empfehlen kann.
Themen Angst und Depression treffen. Je nach
                                                            Manche Gruppen haben auch Kriterien für die
Problemschwerpunkt kann der Anrufer daraus selbst
                                                            Teilnahme an der Gruppe entwickelt. Diese Kri-
die passende für sich auswählen.
                                                            terien, die Ansprechpartner der Gruppen, deren
Karl-Heinz Brestrich erzählt von den Vorzügen des           Telefonnummern und alle anderen Informationen zu
gegenseitigen Erfahrungsaustauschs Betroffener und          den rund 250 Selbsthilfegruppen stehen griffbereit
ermuntert den Anrufer, die Selbsthilfegruppe anfangs        (und unabhängig vom Ausfall von PC- und Strom) auf
probehalber und später möglichst kontinuierlich zu          Karteikarten im großen Kasten auf dem Schreibtisch
besuchen, um eine Vertrauensbasis zu schaffen. Am           von Karl-Heinz Brestrich. Dick rot angestrichen sind
Ende des Gesprächs zeigt er ihm auch alternative            die Informationen, die nicht weitergegeben werden
Hilfemöglichkeiten    wie     Psychotherapie    oder        dürfen, weil Gruppenleiter anonym bleiben wollen.
Telefonseelsorge auf.                                       Zum Schutz der Privatsphäre vereinbart KISS mit

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25 Jahre KISS Hilfe zur Selbsthilfe - Selbsthilfemagazin
Die KISS
                                                           an andere Beratungsstellen oder Ansprechpartner
                                                           vermittelt. Um über die Angebote im Bild zu sein
                                                           greift das KISS-Team morgens häufig zur Schere und
                                                           schneidet aus der Zeitung Artikel über Beratungsstellen
                                                           und andere Hilfeangebote aus. Auch Flyer und andere
                                                           nützliche Informationen wandern in die mittlerweile
                                                           auf eine stattliche Zahl angewachsenen Aktenordner.
                                                           „Sogar das Stadtarchiv hat deswegen schon bei uns
                                                           angefragt, weil wir wohl die Einzigen sind, die zu
                                                           diesem Thema so ausführliche Unterlagen sammeln“,
                                                           erzählt Carola Jantzen.

                              Öffentlichkeits-              Den Selbsthilfe-Gedanken verbreiten
                              arbeit ist eine von
                              vielen Aufgaben              Neben dem Regal mit den Aktenordnern steht ein alter,
                              von KISS-Leiterin            großer Kaktus. Er hat seine eigene Geschichte. Ebenso
                              Carola Jantzen.              wie der goldene Frosch, der wie ein Buddha lächelnd
                                                           auf einem kleinen Tisch hockt – das Geschenk der
                                                           Borderline Trialog Selbsthilfegruppe zum 25jährigen
                                                           Bestehen der KISS. Er schaut auf eine grüne Tür, die
                                                           in den Raum führt, in dem Carola Jantzen und Beatrice
jedem Gruppenleiter schriftlich bis ins kleinste Detail,   Busch ihren Arbeitsplatz haben.
was weitergegeben werden darf.
Die nächste Anruferin an diesem Morgen ist eine            Diplom-Psychologin Carola Jantzen, Leiterin der KISS,
Gruppenleiterin. Auch die Gruppenleiter können sich        kümmert sich neben der Gründung neuer und der
ohne vorherige Terminabsprachen in der Sprechzeit bei      Beratung bestehender Selbsthilfegruppen um die
KISS melden. Oft geht es um Organisatorisches, um          Vertretung der KISS nach Innen, dem Gesundheitsamt
Räume, Fotokopien oder Postversand. Manchmal sind          und der Stadtverwaltung, sowie nach Außen mit
damit Fragen zum Ablauf des Gruppengeschehens              der Öffentlichkeitsarbeit. Hinzu kommt der Bereich
oder zu konflikthaften Themen verbunden. Das KISS-         der Fortbildung für Selbsthilfegruppenleiter/innen,
Team hat immer ein offenes Ohr und hilft weiter. Jeder     das Qualitätsmanagement, die Jahrespläne, die
soll nach dem Anruf mindestens einen Schritt weiter        Förderanträge, die Anleitung der Praktikanten, und
sein. Ein Ziel, das so gut wie immer erreicht wird, sagt   vieles mehr.
Carola Jantzen.                                            Gerade tippt sie eine Ankündigung für das erste
Die Zahl der Anrufe von Professionellen wie Ärzten         Treffen einer neuen Gruppe in den Computer und
oder Therapeuten nimmt zu, hat Karl-Heinz Brestrich        mailt sie an die HNA. Die Öffentlichkeitsarbeit macht
beobachtet. Sie bestellen den Wegweiser, in dem alle       einen großen Teil der Arbeit aus. „Unser oberstes Ziel
Gruppen aufgelistet sind, oder fragen, ob es zu einem      ist es, den Selbsthilfegedanken zu verbreiten, damit
bestimmten Thema eine Selbsthilfegruppe gibt. Gibt
es in der KISS keine Gruppe zu diesem Thema, wird

 Zahl der Beratungen 2011                           1025
 dabei verschiedene Themen                           147
 davon waren
 Betroffene                                         759
 74% aller Anfragen, davon 233 Männer
 und 526 Frauen                                             Beatrice Busch
 Angehörige                                         187     bringt die
 18% aller Anfragen, davon                                  Termine für die
 26 Männer und 162 Frauen                                   HNA auf den
 Professionelle                                      79     neuesten Stand.
 8% der Anfragen

9                                                                                                               9
25 Jahre KISS Hilfe zur Selbsthilfe - Selbsthilfemagazin
Die KISS
                                                                           Aktuelle Termine
                                                               Die Tür öffnet sich und Beatrice
                                                               Busch kommt herein. Die Kauffrau für
                                                               Bürokommunikation übernimmt mit einer
                                                               15 Stunden-Stelle bei KISS administra-
                                                               tive Aufgaben. Wöchentlich stellt sie
                                                               die Termine von Selbsthilfegruppen
                                                               für die entsprechende Rubrik in der
                                                               HNA zusammen. Die Inhalte ändern
                                                               sich von Woche zu Woche, denn die
                                                               Vortragsthemen wiederholen sich nicht.
                                                               Diese Arbeit steht auch an diesem
                                                               Donnerstag auf ihrem Arbeitsplan.
                                                               Einmal im Jahr wird der Wegweiser
                                                               überarbeitet, in dem alle Gruppen
                                                               aufgelistet sind. Nicht immer ist es
                                                               ganz einfach, alle ehrenamtlich tätigen
                                                               Gruppenleiter zu erreichen und eine
Dieser Frosch ist das Jubiläumsgeschenk einer Gruppe.           Rückmeldung von ihnen zu bekommen.
                                                                Daneben kümmert sich Beatrice Busch
noch viel mehr Menschen vom Erfahrungswissen der    um das Bestellwesen sowie die Anträge an den
Selbsthilfegruppen profitieren können“, sagt sie.   Förderrat.
Neben der Pressearbeit für die KISS und die Gruppen         Eine Aufgabe nehmen alle drei gemeinsam wahr:
hält sie die Informationen auf der Internetseite aktuell.   Sie tüten zusammen die 350 Rundbriefe ein.
„Das ist ganz wichtig. Dort schauen jährlich über           Alle paar Wochen bekommen Gruppenleiter und
50 000 Besucher nach Selbsthilfegruppen. Deshalb            Stellvertreter Post von der KISS. Darin sind Hinweise
müssen die Infos stimmen, auch wenn das viel Zeit           auf Veranstaltungen, Termine wie Frühstück oder
kostet“, führt sie an. Noch viel mehr Arbeitszeit steckt    Supervision oder Fortbildungen sowie andere
in der organisatorischen Vorbereitung von Veran-            interessante Meldungen, die die KISS-Leiterin zu-
staltungen, bei denen sich die Selbsthilfegruppen in        sammenstellt. „Mit E-Mail sind noch nicht so viele der
der Öffentlichkeit präsentieren, wie Selbsthilfe- oder      älteren Gruppenleiter ausgestattet, so dass wir noch
Gesundheitstage oder der jährliche Neujahrsempfang.         auf die Briefpost angewiesen sind. Wir haben schon
Für die Veranstaltungsreihe „Gesundheit im Ge-              nach einer Kuvertiermaschine gesucht, aber die war
spräch“ macht sie Themenvorschläge, bei denen die           zu teuer“, erläutert Busch. Das Eintüten dauert etwa
Selbsthilfegruppenleiter gut zur Geltung kommen.            drei bis vier Stunden und wird möglichst gemeinsam
„Dazu kommt noch die Vertretung der Selbsthilfe in          erledigt. Morgen ist es wieder so weit, stellen Carola
verschiedenen Netzwerken, aber das geht nur, wenn           Jantzen und Beatrice Busch unisono fest.
noch Kapazitäten vorhanden sind“, sagt Carola Jantzen.      An der Tür von Karl-Heinz Brestrich ist mittlerweile
Ihr Know-How als Psychologin ist gefragt, wenn die          der Schaumstoff-Ring verschwunden. Ein buntes
Gruppenleitenden oder Mitglieder der Gruppen mit            Schild verkündet: Außer Haus. Am Montag wird er
Problemen oder Fragen zu ihr kommen. Bei Bedarf geht        wieder am Telefon sitzen und sich freundlich melden.
sie selbst mit in die Gruppe. „Zum Beispiel biete ich in    „Kontaktstelle für Selbsthilfegruppen, mein Name ist
den neuen Selbsthilfegruppen, wenn gewünscht, ein           Brestrich, guten Morgen.“
Modell für die Gesprächsleitung an und führe hilfreiche
Gesprächsregeln ein.“
Und dann sind da noch die Gespräche zwischendurch
auf dem Flur im Selbsthilfetreffpunkt mit Gruppen-
teilnehmern, die Besuche von Jubiläen, die Vorträge
vor Fachleuten, Gespräche über finanzielle Selbst-
hilfeförderung und mehr – eine Vielfalt von Aufgaben,
die von der KISS-Leiterin erledigt werden.

10
Supervision
Hohe Komplexität der Aufgaben
Regelmäßige Supervision dient der Qualität der Arbeit der KISS

Die Diplom-Supervisorin Hella Schuler-Roepell
ist seit rund neun Jahren Supervisorin der
Mitarbeiter der Kontakt- und Informationsstelle
für Selbsthilfegruppen. Die Supervision dient
dazu, Probleme und eventuelle Rollenkonflikte zu
klären und die Qualität der eigenen Arbeit weiter
zu entwickeln. Das KISS-Magazin sprach mit Hella
Schuler-Roepell über ihre Arbeit für die KISS.

KISS-Magazin: Frau Schuler-Roepell, wie kann ich mir
Ihre Arbeit als Supervisorin vorstellen?
Hella Schuler-Roepell: Ich bearbeite mit den
Mitgliedern des Teams von KISS alle Fragen der
beruflichen Praxis. Zu Beginn frage ich nach den
Themen und Fragen, die anliegen und besprochen
werden sollen. Gemeinsam versuchen wir, das                Hella Schuler-Roepell
Problem zu verstehen und eine adäquate Lösung
                                                           KISS-Magazin: Was zeichnet die KISS besonders
zu erarbeiten. Ich gebe keine Ratschläge, vielmehr
                                                           aus?
erarbeiten wir gemeinsam ein Verständnis und eine
Lösung zu der jeweiligen Frage.                            Hella Schuler-Roepell: Dass es gelingt, die oben
                                                           geschilderten Rollen sehr professionell zu meistern
KISS-Magazin: Welchen Eindruck haben Sie von der
                                                           und in der „Abstinenz“ zu bleiben, sich also bei den
Arbeit bei KISS im Hinblick auf Qualität und Intensität?
                                                           Gruppen nicht einzumischen und sich nicht in das
Hella Schuler-Roepell: Die regelmäßige Supervision         Gruppengeschehen selbst verwickeln zu lassen.
der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der KISS aber
                                                           KISS-Magazin: Was hat sich nach Ihrer Beobachtung
auch der Gruppenleiter und Gruppenleiterinnen
                                                           im Laufe der Jahre an den Themen und der Arbeit der
fördert sicher die Qualität. Die Arbeit in der KISS
                                                           KISS verändert?
bringt eine hohe Komplexität der Aufgaben mit sich
angesichts der Vielfalt der Selbsthilfegruppen. Immer      Hella Schuler-Roepell: Die Anzahl der Gruppen hat
mehr Selbsthilfegruppen entstehen, so dass der             stetig zugenommen. Selbsthilfe ist in der Öffentlichkeit
Arbeitsaufwand steigt und die Intensität zunimmt.          bekannter geworden, die Nachfrage steigt. Damit ist
                                                           das Pensum der Arbeit für die KISS enorm gewachsen.
KISS-Magazin: Was ist Ihrer Meinung nach das
Besondere an der KISS?                                     KISS-Magazin: Was schätzen Sie an der KISS
                                                           besonders?
Hella Schuler-Roepell: Für mich ist das Besondere
das Thema Selbsthilfe. Zum Selbstverständnis der           Hella Schuler-Roepell: Das permanente Bemühen,
Selbsthilfe gehört die Autonomie der Gruppen.              den Gruppen einerseits beratend zur Seite zu stehen,
Gleichzeitig werden die Gruppen und deren Leiter           andererseits die Autonomie der Gruppe zu respektieren.
und Leiterinnen von den Mitarbeitenden der KISS            Diesen Balanceakt zu bewältigen ist sicher nicht
begleitet, die aber immer nur beratend tätig sind. Sie     einfach. Ebenso bringt die Öffentlichkeitsarbeit einen
dürfen sich in die eigentliche Arbeit der Gruppe nicht     enormen Aufwand mit sich. Ich bewundere das
einmischen. Zusätzlich gehört es zu den Aufgaben           Durchhaltevermögen der Mitarbeitenden der KISS
der KISS, den Gedanken der Selbsthilfe in der              und die zuverlässige Präsenz, die ihnen gelingt.
Öffentlichkeit zu vertreten und bekannt zu machen.         KISS-Magazin: Frau Schuler-Roepell, vielen Dank für
Als Teil des Gesundheitsamtes der Stadt müssen die         das Gespräch.
Rahmenbedingungen dieses Amtes respektiert und
akzeptiert werden. Jede dieser Aufgaben verlangt von         Hella Schuler-Roepell ist Diplom-Pädagogin und
den KISS-Mitarbeitenden, sehr unterschiedliche Rollen        Diplom-Supervisorin mit Ausbildung in Gestalt-
einzunehmen und zu meistern. Diese Rollen zu klären,         Therapie und Psycho-Drama. Sie ist seit 1983 in
ist ein häufiges Thema der Supervision.                      eigener Praxis freiberuflich tätig.

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Öffentlichkeitsarbeit
Pro Tag ein paar hundert Gespräche geführt
Gesundheits- und Selbsthilfetage machen auf Selbsthilfe-Angebote aufmerksam

Die Arbeit und das Selbstverständnis
der Selbsthilfegruppen bekannt zu
machen ist eine wichtige Aufgabe
der KISS. Im Laufe der Jahre hat sich
die Kontakt- und Informationsstelle
für die Teilnahme der Selbsthilfe
an      vielen      Veranstaltungen
engagiert beziehungsweise solche
Veranstaltungen sogar        initiiert.
Der alljährliche Neujahrsempfang
gehört ebenso dazu wie die
Veranstaltungsreihe     „Gesundheit
im Gespräch“.
Der Selbsthilfetag auf dem Frie-
drichsplatz bietet die Gelegenheit,
das Angebot darzustellen und
mit Menschen ins Gespräch zu
kommen. Die Teilnahme an den            Das KISS-Team beim Selbsthilfetag auf dem Friedrichsplatz.
Kasseler Gesundheitstagen macht
die Öffentlichkeit auf die Selbsthilfegruppen         Gesundheitsnetz Nordhessen, die Volkshochschule,
aufmerksam. Davon profitieren neben den Gruppen       die HNA, die gesetzlichen Krankenkassen sowie
vor allem die Menschen in Stadt und Landkreis.        einige weitere Experten. Nach Rücksprache mit den
                                                           Selbsthilfegruppen schlägt auch KISS-Leiterin Carola
„Selbsthilfe ist eine wichtige Säule im Gesund-
                                                           Jantzen Themen vor und gehört zu dem Gremium, das
heitssystem“, stellt Dr. Karin Müller, Leiterin des
                                                           über die endgültigen Themen der Reihe entscheidet.
Gesundheitsamtes der Region, fest. Wenn man
Gesundheit erreichen, Lebensqualität erhalten
und Krankheit bewältigen wolle, sei die Selbsthilfe         Nutzen der Selbsthilfe unbestritten
unverzichtbar. Menschen brauchen neutrale und gute         Weniger an die allgemeine, sondern mehr an
Informationen, sagt Karin Müller. Dazu dient auch die      politische Öffentlichkeit und die Krankenkassen
Reihe „Gesundheit im Gespräch“, die mittlerweile ins       als wichtige Geldgeber richtet sich der alljährliche
siebte Jahr geht. „Die KISS war von Beginn an daran        Neujahrsempfang der KISS. Eingeladen sind neben
beteiligt“, erläutert die Leiterin des Gesundheitsamtes.   Vertretern der Parteien und der Stadt auch Vertreter
Bei den sechs jährlichen öffentlichen Veranstaltungen      von Krankenkassen und Sponsoren. Sie erfahren
der erfolgreichen Reihe „Gesundheit im Gespräch“           Neuigkeiten über die Selbsthilfe, die sich beim
werden allgemeine Gesundheitsthemen aufgegriffen.          Neujahrsempfang präsentiert und über neue Gruppen
Auf dem Podium sitzen ein Experte aus einer Klinik,        sowie Ereignisse des vergangenen Jahres informiert,
ein Experte aus der Praxis sowie ein Vertreter der         schildert Dr. Müller.
Selbsthilfe, die Moderation übernimmt ein Redak-           Für die Leiterin des Gesundheitsamtes ist der Nutzen
tionsmitglied der HNA. Die Selbsthilfevertreter sind       der Selbsthilfe und der KISS für Stadt und Landkreis
als gleichberechtigte Partner mit dabei, erläutert         unbestritten. „Menschen mit chronischen Krankheiten
Karin Müller. So lernen die Zuhörer das Angebot            brauchen jemanden, der sie auf ihrem Weg begleitet.“
der Selbsthilfe zum jeweiligen Thema kennen. Die           Sie brauchen Experten und Expertinnen zu der Frage,
Veranstaltung wird aufgezeichnet und ist im Internet       wie man mit der jeweiligen Krankheit lebt. Kassel
und im regionalen Fernsehen „Offener Kanal Kassel“         gehöre zum „Netzwerk Gesunde Stadt“. Schon das ist
abrufbar. Noch eine Besonderheit: Die Beiträge werden      nach Ansicht von Dr. Müller eine Verpflichtung, sich
von Gebärdendolmetschern übersetzt. Für die Reihe          für den Erhalt von Gesundheit und die Bewältigung
kooperieren neben dem Gesundheitsamt die KISS, das         von Krankheit stark zu machen. „Die KISS ist eine ganz

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Öffentlichkeitsarbeit
                                                                          um bei Politik und Wirtschaft auf uns
                                                                          aufmerksam zu machen.“ Viel zu selten
                                                                          werde von dieser Seite auf die Selbsthilfe
                                                                          verwiesen, findet er. Menschen mit der
                                                                          Diagnose Diabetes (oder einer anderen
                                                                          Krankheit) stürzten oft erst einmal in ein
                                                                          Loch, aus diesem Grund wird Selbsthilfe
                                                                          seiner Meinung nach immer wichtiger
                                                                          und sie trägt nicht unerheblich zur Kosten-
                                                                          einsparung im Gesundheitswesen bei.
                                                                      Der Selbsthilfetag auf dem Friedrichsplatz,
                                                                      eine weitere von der KISS organisierte
                                                                      Veranstaltung, ist für Fehr ein idealer
                                                                      Standort für die Präsentation der
                                                                      Selbsthilfe in der Stadt. Menschen
                                                                      kommen zufällig vorbei und entdecken
                                                                      die Informationsstände der Gruppen.
                                                                      Passanten, deren Oma oder Tante Diabetes
Beim Neujahrsempfang der KISS stehen die Ereignisse in der            hat und die sich hier Informationen holen,
Selbsthilfe des vergangenen Jahres im Mittelpunkt.                    aber auch Betroffene, bekommen so Kon-
                                                                      takt zur Selbsthilfe. Viele verschiedene
wichtige zentrale Anlaufstelle für Fragen im Selbst-     Gruppen sind vertreten und werden auf diese Art in
hilfebereich.“ Nicht umsonst gebe es mittlerweile        der Öffentlichkeit mit ihrem Angebot sichtbar und
rund 250 Gruppen in Kassel und Umgebung. Für die         bekannt.
Kommune sei KISS eine wichtige Institution. Wer sich
                                                         Zu all diesen Veranstaltungen gehört eine inten-
nachhaltig und langfristig für die Gesundheit einsetzen
                                                         sive Vorbereitung und Organisation sowie Öffent-
will, sollte sich auch mit der KISS zusammensetzen.
                                                         lichkeitsarbeit, um auf die Termine aufmerksam zu
                                                         machen. Sie wird von der KISS geleistet und nimmt viel
Ein paar hundert Gespräche
                                                         Arbeitszeit in Anspruch. „Die Gruppen werden stets
Von der Öffentlichkeitsarbeit der KISS profitieren       mit einbezogen, in gemeinsamen Vorbesprechungen
die Selbsthilfegruppen in vieler Hinsicht. Bei den       stimmen wir Termine, Werbemittel und Rahmen-
Gesundheitstagen, die jedes Jahr in der Stadthalle       programm miteinander ab und die Infozelte am
in Kassel stattfinden, „haben wir pro Tag ein paar       Selbsthilfetag bauen wir sogar gemeinsam auf“,
hundert Gespräche geführt“, erzählt beispielsweise       erzählt Carola Jantzen. Damit alles gelingt, muss jede
Karl-Heinz Fehr, Bezirksvorsitzender des Deutschen       Kleinigkeit gut durchdacht und vorbereitet sein. Doch
Diabetikerbundes, der neun Selbsthilfegruppen in der     der Aufwand lohnt sich. „Mehr Öffentlichkeit als an
Region betreut. Neben den Informationsständen der        einem so zentralen Ort wie dem Friedrichsplatz können
beteiligten Gruppen halten die Vertreter der Selbsthilfe wir bei einem Selbsthilfetag wohl kaum erreichen“,
Vorträge und „wir nutzen die Gesundheitstage auch,       stellt Karl-Heinz Fehr fest.

      • „Nicht mehr wegzudenken“
     „Mitglieder von Selbsthilfegruppen sind oft Experten beispielsweise für die
     eigene Krankheit. Sie tauschen sich aus, helfen sich gegenseitig, organisieren
     Informationsveranstaltungen, übernehmen selbst einen wichtigen Part bei
     „Gesundheit im Gespräch“. Und sie kämpfen – in vielen Fällen erfolgreich –
     für eine Verbesserung der Versorgung von Patienten und Angehörigen. Kurz:
     Selbsthilfegruppen sind aus unserem öffentlichen Leben nicht mehr wegzudenken.
     In Kassel ist dies zu einem großen Teil der engagierten Unterstützung der Kontakt-
     und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen in Kassel zu verdanken. KISS hat den Selbsthilfegruppen
     eine Stimme verliehen.“
     Martina Heise-Thonicke, Lokalredaktion Kassel der HNA, Ansprechpartnerin für Selbsthilfethemen

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Gemeinschaft fördern
Von den Erfahrungen der anderen profitieren
Treffen zum Frühstück – Austausch, Anregungen und viele Gespräche

Das Frühstückstreffen der KISS bietet die den Gruppenmitgliedern Gelegenheit zum Austausch.

Tassen klappern, Butter und Marmelade werden auf          Zwanglose Runde zum Austausch
Brötchen geschmiert. „Kann ich bitte den Teller mit      „Es gab damals zwar einen Stammtisch der Gruppen,
Käse haben“, fragt jemand. Zwischen Kaffeetrinken        bei dem Referenten zu interessanten Themen
und genüsslichem Kauen mischen sich angeregte            vortrugen“, erinnert sich KISS Leiterin Carola Jantzen.
Gespräche und das ein oder andere Lachen. Der            Was fehlte, war eine zwanglose Runde, um sich über
Joseph-Rinald-Raum im KISS-Selbsthilfetreffpunkt in      gemeinsame Themen und Probleme auszutauschen.
Kassel ist an diesem Morgen gut gefüllt. In der großen   Diese Möglichkeit eröffnet das Frühstück. Vertreter/-
Runde sitzen rund 20 Menschen, die meisten von           innen der Selbsthilfegruppen können Fragen erörtern
ihnen Ansprechpartner/-innen von Selbsthilfegruppen.     und miteinander ins Gespräch kommen. „Ich
                                                         profitiere hier von den Erfahrungen anderer“, stellt ein
                                                         regelmäßiger Besucher des Frühstücks fest. Andere
                                                         schätzen den Austausch, den Kontakt untereinander
     •   Motor für die Selbsthilfe
                                                         sowie die Möglichkeit, sich in lockerer Atmosphäre
     „Wenn es die KISS nicht schon                       kennen zu lernen.
     gäbe, müsste sie erfunden
                                                         Am Beginn des Frühstücks steht eine Vorstellungs-
     werden, denn sie ist als Motor
                                                         runde. Dabei wird die Vielfalt der Gruppen deutlich,
     für die Selbsthilfe unverzichtbar.
                                                         deren Vertreter/-innen sich an diesem Morgen
     Das hat auch die Suchtselbsthilfe
                                                         versammelt haben. Sie reicht von Herzerkrankungen
     erkannt und nimmt gerne die
                                                         über Krebs, den anonymen Gruppen, Epilepsie,
     Angebote von KISS wahr.“
                                                         psychischen Problemen, Diabetes bis hin zu Sucht
     Hans-Peter Schwadron, AG Sucht Kassel, Sprecher     und Polio. Schon bei dieser Runde gibt es die ein oder
     der Sprengel AG des Diakonischen Werkes             andere interessierte Nachfrage zu Krankheiten oder
                                                         Aktivitäten der Gruppen.

                                                         Gemeinsames Thema
Manche sind zum ersten Mal beim gemeinsamen
Frühstück dabei, andere waren schon häufiger bei         Bald kristallisiert sich ein Thema heraus, nämlich wie
diesem vierteljährlichen Treffen, das vor rund acht      mehr Menschen in die Selbsthilfegruppen geholt wer-
Jahren von der KISS ins Leben gerufen wurde.             den und dort gehalten werden können. Ein reger

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Gemeinschaft fördern
Austausch darüber beginnt, wie unterschiedlich
Gruppen mit Angeboten oder bestimmten Regeln
auf die Situation reagieren. Neben den regelmäßigen
Gruppentreffen bieten die einen Fahrten und
Freizeittreffen, andere machen Informationsveran-
staltungen oder sogar ein Symposium. Wieder anders
sind die Regeln bei den anonymen Gruppen. Vielen
in dem Kreis ist es ein Anliegen, den Grundgedanken
von Selbsthilfe in den Gruppen deutlich zu machen.
Sie beruht auf Gemeinschaft, dem Austausch über
gemeinsame Probleme sowie Gegenseitigkeit.
Zwischendurch wird gelacht und Kaffee aus den
roten Kannen nachgeschenkt. Trotz der zwanglosen
Atmosphäre sind alle engagiert bei der Sache. Es
wird auch mal ein kritischer Punkt zum Thema. Ein
Beispiel dafür an diesem Tag: Die großen Gruppen
stehen mit viel Öffentlichkeitsarbeit im Vordergrund.
Zu wenig anerkannt wird, dass die kleinen Gruppen zu
psychischen Themen besonders intensiv und hilfreich
sind.

                                                            Beim Frühstückstreffen der KISS locken
     •    „Danke für hervorragende Arbeit“                  leckere Brötchen, Obst und Kaffee.
                             „Seit nunmehr 25 Jahren
                             ist die Kontakt- und In-       Beim gemeinsamen Frühstück stehen nicht
                             formationsstelle für Selbst-   Krankheiten im Vordergrund, sondern die Gruppe und
                             hilfegruppen KISS die zen-     deren Leitung und Angebot. Eine Teilnehmerin, die
                             trale Anlaufstelle in Kassel   demnächst eine Gruppe übernehmen wird, nimmt
                             für Menschen, die sich in      eine Anregung für sich mit: Nicht allein, sondern
                             der Selbsthilfe engagieren     gemeinsam mit der Gruppe ein Jahresprogramm
                             wollen. Dazu gratuliere        aufzustellen - „das werden wir mal versuchen.“
                             ich Ihnen herzlich und
     danke Ihnen für die hervorragende Arbeit, die          KISS – „Hilfe zur Selbsthilfe“
     Sie in Ihrer Kontakt- und Informationsstelle           In einem scheinen sich alle einig: Die Unterstützung
     für Selbsthilfegruppen leisten. Ich danke auch         der KISS ist für die Selbsthilfegruppen ausgesprochen
     der Stadt Kassel, dem Landkreis Kassel, dem            hilfreich. „Ich kenne andere Bundesländer und weiß,
     Land Hessen sowie der Gemeinschaft der                 wie mühselig es dort oft ist, einen Raum für die
     gesetzlichen Krankenkassen Hessen, die diese           Treffen zu finden“, sagt ein Teilnehmer. Dass die
     erfolgreiche Arbeit möglich machen. Meine              KISS Räume zur Verfügung stellt, macht die Arbeit
     Besuche Ihrer Selbsthilfetage und Ihrer Kontakt-       einfacher. Die Fachkompetenz der Mitarbeitenden
     und Informationsstelle sowie Ihren Besuch in           wird lobend erwähnt, man könne zu Problemen und
     Berlin habe ich noch in guter Erinnerung. Dadurch      allen anderen Punkten anrufen, seine Fragen stellen
     hatte ich auch Gelegenheit, zahlreiche Menschen        und bekommt fundierte Antworten. „KISS ist eben
     aus dem Bereich der Selbsthilfe kennenzulernen,        Hilfe zur Selbsthilfe.“
     deren Engagement mich sehr beeindruckt hat.
                                                            Als der offizielle Teil des Frühstücks beendet ist, sitzen
     Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und Kraft bei Ihrer
                                                            manche noch eine ganze Weile zusammen, reden und
     wichtigen Arbeit und werde Ihr Engagement auch
                                                            tauschen sich über das ein oder andere aus, während
     weiterhin mit großem Interesse verfolgen.“
                                                            die leeren Tassen, Kannen und Körbe von anderen
     Mechthild Dyckmans, Drogenbeauftragte der              Helfern weggeräumt werden. In einem Vierteljahr wird
     Bundesregierung                                        es die nächste Gelegenheit geben, sich zu treffen und
                                                            gemeinsam Themen zu erörtern.

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Neue Gruppe

„Alle wussten von mir – nur ich wusste nichts“
Gruppe für amerikanische Besatzungskinder mit Hilfe von KISS gegründet

Ihr Schicksal fand lange Zeit keine Beachtung und ist     holen können. Sie selbst erfuhr erst spät von ihrem
noch immer ein Tabuthema in unserer Gesellschaft.         amerikanischen Vater. Nach dem Tod der Mutter
Doch in jüngster Zeit bekommen die Kinder ameri-          bekam sie von ihrem Onkel Informationen, die eine
kanischer Soldaten in Deutschland etwas mehr Öffent-      Suche ermöglichten. Nach einigen Umwegen stieß
lichkeit. Viele von ihnen haben sich auf die Suche nach   sie auf Ute Baur-Timmerbrink, Ansprechpartnerin der
ihren Vätern und ihren Wurzeln gemacht. Eine nicht        englischen Organisation Gitrace in Deutschland, die
immer einfache Suche, die mit gemischten Gefühlen         ehrenamtlich bei der Suche nach GI-Vätern hilft. Der
und psychischer Belastung verbunden ist. Und nicht        Antrag beim Amerikanischen Militärarchiv in St. Louis
zuletzt der Frage, ob die Suche überhaupt gelingt und     (NPRC) brachte die Auskunft, das ihr Vater leider schon
wo man sie beginnen kann.                                 verstorben war. Dank des Gitrace-Netzwerks fand sie
                                                          jedoch seine Familie und stellte den Kontakt her.
Ilona Laudien-Gasch, geboren 1946, ist Tochter eines
amerikanischen Besatzungs-Soldaten und kennt die
damit verbundenen Gefühle aus eigenem Erleben.             Unterstützung für die ersten Treffen
Sie hat in Kassel eine Selbsthilfegruppe gegründet, in    Es gibt in Nordhessen viel mehr Menschen, denen
der sich Betroffene austauschen sowie Rat und Hilfe       es so geht wie mir, sagte sich die Gruppengründerin.
                                                          „Ich möchte die großartige Hilfe, die ich erfahren
                                                          habe, an andere Betroffene weitergeben und ihnen
                                                          bei der Suche nach ihren Wurzeln helfen“, erzählt
     •   „Ein ganz verbundenes Dankeschön“
                                                          sie weiter. Nachdem in der Zeitung ein Artikel über
  „Viele Mitgliedsorganisationen                          ein deutsches Besatzungskind eines französischen
  des    PARITÄTISCHEN         sind                       Soldaten erschien, fragte sie bei der Zeitung nach, ob
  Selbsthilfeorganisationen oder                          auch ihr Schicksal interessiere. Der Artikel fand große
  kommen aus dem Bereich der                              Resonanz, viele Betroffene nahmen Kontakt zu ihr
  Selbsthilfe. Würde nicht die KISS                       oder zu Ute Baur-Timmerbrink auf.
  seit 25 Jahren in der Kasseler
  Region so hervorragend arbei-                           Im September 2011 organisierte Ilona Laudien-Gasch
  ten – der PARITÄTISCHE                                  ein erstes Treffen von Interessierten beziehungsweise
  müsste diese Arbeit leisten.                            Betroffenen. Schon dazu lud sie die Leiterin der
  Herzlichen Glückwunsch und ein ganz verbundenes         KISS, Carola Jantzen, ein. Ihr Vorschlag, eine
  Dankeschön!“                                            Selbsthilfegruppe zu gründen, fand großes Interesse
                                                          und schon bald fanden in der KISS erste Gespräche
  Harold Becker, Regionalgeschäftsführer Kassel des
                                                          zur Vorbereitung der Gruppengründung statt. Die KISS
  PARITÄTISCHEN Hessen
                                                          übernahm und organisierte die Pressearbeit und am

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Neue Gruppe
5. November 2011 versammelten sich betroffene
Besatzungskinder zum Gründungstreffen in den                 •   „Erfolgreiche Arbeit“
Räumen der KISS.                                            „25      Jahre     Selbsthilfe  in
 Carola Jantzen war bei den ersten Treffen mit dabei,       Kassel sind ein Nachweis für
„das fand ich sehr hilfreich“, erinnert sich Ilona          erfolgreiche Arbeit und viele
Laudien-Gasch. Die KISS-Leiterin erläuterte die Regeln      Ideen zur kritischen Begleitung
der Selbsthilfegruppen und stand ihr mit Rat und Tat        des Gesundheitswesens. Ich
                                                            bin dankbar, dass die KISS die
zur Seite. Als Ilona Laudien-Gasch erstmals selbst die
                                                            Selbsthilfegruppen professionell
Gruppenleitung übernahm „haben wir das gemeinsam
                                                            unterstützt und diese gesundheits- und sozial-
richtig geübt.“                                             politisch wichtige Aufgaben wahrnehmen. Die
Mittlerweile hat sich ein Kern von rund zehn                bundesweit zuständige Krankenkasse für den
Teilnehmenden gebildet. Neue Mitglieder, die auch           Gartenbau mit Hauptsitz in Kassel fördert seit elf
durch die gute Öffentlichkeitsarbeit der KISS zu der        Jahren Selbsthilfegruppen und die erfolgreiche
Gruppe finden, bekommen konkrete Hilfe bei der              Arbeit der KISS. Ich wünsche, dass die Vorstellungen
Suche nach dem amerikanischen Vater. Ilona Laudien-         und Ideale, das Engagement und die Beharrlichkeit
                                                            aller Akteure in Kassel fortgesetzt werden. Aus-
Gasch hat Halbgeschwister in den USA und nahm
                                                            drücklich möchte ich die KISS ermuntern, Neues
E-Mail Kontakt mit einer Nichte auf. „Alle wussten von
                                                            auszuprobieren und in bewährter Form die Gruppen
mir, nur ich wusste nichts“, stellte sie fest. Sie hat      zu unterstützen. Machen Sie weiter so: Der beste
ihre Verwandten in den USA bereits besucht, ebenso          Tag ist heute!“
wie andere Mitglieder der Gruppe. Solche Erfahrungen
                                                            Hans-Jürgen Altewischer, Verwaltungsdirektor der
werden natürlich bei den Treffen ausgetauscht.
                                                            Krankenkasse für den Gartenbau

 Ausführliche Gespräche halfen weiter
Nicht immer war die Leitung der Gruppe ganz einfach,      Denn ein Verein macht viel Arbeit. Für die Fahrt zu
manche Teilnehmende mussten Enttäuschungen                einer Fachtagung zum Thema Besatzungskinder in
verkraften. „Hier stand mir Carola Jantzen hilfreich      Wien bekam sie über den Förderrat der Kasseler
zur Seite“, sagt die Gruppenleiterin. Ausführliche        Selbsthilfegruppen die Fahrtkosten erstattet. Für alle
Gespräche halfen ihr weiter. Sie ist ebenso froh über     diese Hilfen „bin ich sehr dankbar.“
das Basisseminar zur Gruppenleitung, nahm bereits         Für die mittlerweile erwachsenen Kinder amerika-
einmal an der Supervision bei KISS teil und wuchs         nischer Soldaten gibt es in Kassel eine wichtige
so in ihre Aufgabe hinein. Ohne diese Hilfen „hätte       Anlaufstelle. Die wird nicht nur von den Kindern der
ich vermutlich aufgegeben“, sagt sie heute. Einen         ehemaligen Soldaten genutzt. Immer öfter suchen
Verein zu gründen wäre für sie ebenfalls nicht in Frage   Enkel nach ihren familiären Wurzeln und wenden sich
gekommen, „das hätte ich nicht leisten können.“           an die Kasseler Selbsthilfegruppe.

  Unterstützung bei der Suche

 In der Selbsthilfegruppe treffen       Der Kontakt konnte sehr oft mit     der Gruppe geführten Gespräche
 sich amerikanische Besatzungs-         Hilfe von Ute Baur-Timmerbrink      werden vertraulich behandelt.
 kinder aus dem Raum Kassel             und des ehrenamtlich arbei-
 und Nordhessen regelmäßig. Die         tenden Gitrace-Netzwerks in          
                                                                              Information & Kontakt
 Gruppe bietet unter anderem            den USA vermittelt werden.
                                                                             Ilona Laudien-Gasch, Mail:
 Unterstützung bei der Suche            Weiter bietet die Gruppe Hilfe
                                                                             laudien.ilona@t-online.de, oder
 nach dem amerikanischen Vater/         bei Übersetzungen oder wenn
                                                                             über KISS, Tel. 0561/92005-
 der Familie, wie Beratung bei          jemand Sprachschwierigkeiten
                                                                             5399. Gruppentreffen finden
 Beantragung einer Auskunft beim        hat, sowie Hilfen beim Kontakt
                                                                             zur Zeit alle zwei Monate statt
 Amerikanischen Militärarchiv (dem      mit der amerikanischen Familie,
                                                                             und werden in der HNA bekannt
 NPRC) in St. Louis. Die Auskunft ist   regelmäßige Treffen mit Er-
                                                                             gegeben beziehungsweise
 Grundlage für die Suche des Vaters     fahrungsberichten, Öffentlich-
                                                                             können bei KISS erfragt werden.
 oder der Angehörigen.                  keitsarbeit zum Thema. Die in

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Neue Gruppe
„Wir fühlen uns gut unterstützt“
KISS gab Hilfestellungen bei der Gründung der Gruppe für Alleinerziehende

Der     kleine    Junge    hüpft
lachend durch den Flur in der
Kindertagesstätte Wehlheiden.
Ein kleines Mädchen isst
genüsslich ein Vollkornbrötchen,
klappt es auf und sagt: „Mit
Butter.“ Während ihre Kinder
betreut werden, sitzen die
Mütter zusammen und reden
über ihre Situation. Sie sind
alle Alleinerziehende und froh
über die Unterstützung, die
sie in der Gruppe bekommen.
KISS ihrerseits unterstützte die
Gründung der Gruppe, die sich
im September 2012 erstmals
traf.
Die     Gruppengründerin,        die
anonym bleiben möchte, kam
im Sommer 2011 nach Kassel.
Sie erfuhr über das Netzwerk
Alleinerziehender, dass eine
Gruppe bei der KISS in Planung
war. Mehrfach rief sie bei der KISS
an und fragte schließlich: „Woran
scheitert die Gruppengründung
eigentlich?“ Es fehlte eine
Person,     die    Verantwortung
tragen wollte, zum Beispiel die Schlüssel für die        also tun? KISS Leiterin Carola Jantzen nutzte einen
Räume nahm. Die alleinerziehende Mutter konnte sich      glücklichen Zufall.
vorstellen, diese Aufgaben zu übernehmen und die
                                                         Sie brachte eine konkrete Raumanfrage zum Treffen
Mitarbeiter der KISS luden sie zum Gespräch ein. Dabei
                                                         im Familienkompetenzzentrum der Kindertagesstätte
wurde abgeklärt, was notwendig ist, welche Aufgaben
                                                         Wehlheiden mit. Dort findet bereits das Projekt
anfallen und welche Unterstützung die KISS bietet.
                                                         „Geschenkte Zeit“ des Netzwerks für Alleinerziehende
                                                         Kompass statt, bei dem alleinerziehende Eltern ihre
 Öffentlichkeitsarbeit übernommen                       Kinder zu bestimmten Zeiten kostenlos betreuen
Die KISS übernahm die Öffentlichkeitsarbeit,             lassen können, um etwas Zeit für sich zu haben. Man
benachrichtigte vorhandene Interessentinnen und          wurde sich einig, so dass die weiteren Treffen in der
Interessenten, warb im Netzwerk Alleinerziehender        Kita in Wehlheiden stattfinden können. Die Betreuung
und sorgte für die Ankündigung in der Presse.            der Kinder übernahmen eine ehemalige Praktikantin
Mindestens genau so wichtig war die Organisation         der KISS und deren Partner. Bis Ende 2012 trug
einer Kinderbetreuung, deren Organisation KISS für       KISS die Kosten dafür, für die Zeit danach müssen
das erste Vierteljahr zusagte. Beim ersten Treffen       Sponsoren gefunden werden.
in den Räumen des Selbsthilfetreffpunkts in der
                                                         „Eine regelmäßige Betreuung der Kinder ist wichtig“,
Wilhelmshöher Allee stellte sich heraus, dass der
                                                         sagt Caroline Bassing, die mittlerweile als weitere
Ort nicht ideal war. Die Kinder störten die anderen
                                                         Ansprechpartnerin für die Gruppe Alleinerziehender
Gruppen, liefen ständig zu ihren Müttern und die
                                                         zur Verfügung steht. Die Kinder, die häufig gerade
Umgebung erwies sich als zu wenig kindgerecht. Was
                                                         eine Trennung erlebt haben, laufen sonst ständig

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