Obdachlosen die Haare schneiden - 2,20 EUR - Hempels

Die Seite wird erstellt Isger Miller
 
WEITER LESEN
Obdachlosen die Haare schneiden - 2,20 EUR - Hempels
2,20 EUR
                                                             davon 1,10 EUR
# 274                                                            für die Ver-
Februar 2019                                                   käufer/innen

                 Das Straßenmagazin für Schleswig-Holstein

               WIE FRISEUR-ENGEL KOSTENLOS HELFEN

                Obdachlosen die
                Haare schneiden
Obdachlosen die Haare schneiden - 2,20 EUR - Hempels
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
         für die meisten Menschen ist es selbstverständlicher Alltag, von Zeit zu Zeit ei-
    nen Friseur, eine Friseurin aufzusuchen. Ein schöner, individueller Haarschnitt kann
    helfen, das Selbstbewusstsein zu stärken. Obdachlose und andere bedürftige Menschen
    haben diese Möglichkeit nicht; ihnen fehlt schlicht das Geld für einen Friseurbesuch.
    Die Barber Angels, ein Zusammenschluss von Friseurinnen und Friseuren, haben sich
    deshalb der Aufgabe verschrieben, diesen Menschen in ihrer Freizeit kostenlos die Haa-
    re zu schneiden. Wir waren bei einem Termin dabei. Lesen Sie ab Seite 10.
         Wer hat eigentlich nicht die eine oder andere Jeans im Kleiderschrank liegen?
    Bevor sie bei uns in den Geschäften gekauft werden können, haben die meisten eine
    Weltreise hinter sich durch Länder, in denen Arbeitskräfte billig und Produktionskos-
    ten gering sind – mit katastrophalen Folgen für Mensch und Umwelt. Denn nur die
    wenigsten Jeans werden umwelt- und sozialverträglich produziert. Wir zeichnen diesen
    Arbeitsprozess nach. Ab Seite 18.
         Und schließlich noch ein Tipp: Sie besitzen noch nicht unseren Jahreskalender
    2019 mit tollen Fotos von Lesern, auf denen die ihren Lieblingsort festgehalten haben?
    Dann sollten Sie jetzt zugreifen: Unsere Verkäuferinnen und Verkäufer bieten die rest-
    lichen Exemplare jetzt für nur noch 2,20 Euro an!
         				                                                      Ihre HEMPELS -Redaktion

                                                                    gewinnspiel

                     sofarätsel                                                 Gewinne
         Auf welcher Seite dieser HEMPELS-Ausgabe versteckt               3 x je ein Buch der Ullstein Verlagsgruppe. Im Januar war das
         sich das kleine Sofa? Wenn Sie die Lösung wissen, dann           kleine Sofa auf Seite 25 versteckt. Die Gewinner werden im März
         schicken Sie die Seitenzahl an: raetsel@hempels-sh.de            veröffentlicht.
         oder: HEMPELS, Schaßstraße 4, 24103 Kiel. Teilnehmende
         erklären sich einverstanden, dass im Falle eines Gewinns         Im Dezember haben gewonnen:
         ihr Name in HEMPELS veröffentlicht wird.                         Anke Grot (Kühsen), Bernd Kusche (Noer) und Margret Preuss
                                                                          (Stockelsdorf) je ein Buch der Ullstein Verlagsgruppe.
                                                                          Allen Gewinnern herzlichen Glückwunsch!
         Einsendeschluss ist der 28.2.2019.
         Der Rechtsweg ist wie immer ausgeschlossen.

2 | inh a lt                                                                                                                    Hempe l s # 2 74 2/2 0 19
Obdachlosen die Haare schneiden - 2,20 EUR - Hempels
Titel

                                                                                                SchÖn gemacht
                                                                                                Sie nennen sich Barber Angels, Friseur-Engel, und haben

                                                                      Titelfoto: Peter Werner
                                                                                                sich einer besonderen Aufgabe verschrieben: In ihrer Frei-
                                                                                                zeit schneiden sie Obdachlosen kostenlos die Haare. Wir ha-
                                                                                                ben drei professionelle Friseurinnen dabei begleitet.
                                                                                                se i t e 10

                            das Leben in zahlen                                                                           auf dem sofa

                            4    Ein etwas anderer Blick                                                                  34 Verkäufer Rainer aus Flensburg
                                 auf den Alltag

                            bild des monats                                                          Inhalt

                            6    Gefahrenabwehr                                                      2        Editorial

                                                                                                     31	rezept

                                                                                                     32 CD-Tipp; Buchtipp; Kinotipp

                                                                                                     33	Service: Mietrecht; Sozialrecht
                            Schleswig-Holstein Sozial                                                36	Leserbriefe; Impressum
                            8    Meldungen
                                                                                                     37	Verk äufer in anderen LÄNDERN; Meldung
                            9    Darf ich das?
                                 Gewissensfragen im Alltag
                                                                                                     38	Sudoku; K arik atur
                            17   Liebe statt Hiebe
                            18   Die lange Reise einer Jeans                                         39	Satire: Scheibners Spot
                            24   Lydia Lohse hilft Waisen-
                                 kindern in Kenia
                            25   Hilfe für straffällige Geflüchtete
                            26   Obdachlose als Opfer rechter
                                 Gewalt
                            28   Kostenlose Arzttermine in SH

                                                                                                                                     Bitte kaufen Sie
                                                                                                                                     HEMPELS nur bei
                                                                                                                                     Verkäufern, die diesen
                                                                                                                                     Ausweis sichtbar tragen

He mpel s # 2 74 2/2 0 19                                                                                                                               inh a lt | 3
Obdachlosen die Haare schneiden - 2,20 EUR - Hempels
das leben in zahlen

    Je länger eine Ehe,
  umso älter das Rollenbild
 Ja, nee – ist schon klar: Die Arbeit im Haushalt wuppen aufgeklärte Paare heutzutage natürlich gemeinsam.
     Und Papi bringt die Lütten morgens auch in die Kita. Oder etwa doch nicht? Eine Studie der Konrad-
  Adenauer-Stiftung (KAS) hat jetzt die Lebenswirklichkeit im mittleren Erwachsenenalter untersucht, also
  bei den 35- bis 59-Jährigen. Rund zwei Drittel der Deutschen fallen in dieser Lebensphase demnach in alte
Rollenmuster zurück, Familienarbeit ist für sie wieder Frauenarbeit. Immerhin: Zu Beginn einer Partnerschaft
                  praktiziert fast die Hälfte (46 Prozent) eine partnerschaftliche Aufteilung. Pb

               Anfangs 46 % mit Rollenaufteilung                 Später Frauen zu 2/3 mit Hausarbeit

4 | das l ebe n in z a hl e n                                                              Hempe l s # 2 74 2/2 0 19
Obdachlosen die Haare schneiden - 2,20 EUR - Hempels
Glück für Jung und Alt,
       Frust in der Lebensmitte
  Man hatte sich das als glücklich im Berufsleben stehender Mensch fast schon gedacht: Am allerglücklichsten
   sind junge Menschen bis 20 und ältere ab 70 nach Renteneintritt bis zum 80. Lebensjahr. Laut Studie der
  Konrad-Adenauer-Stiftung sinkt zwischendurch bis zum Alter von 45 bis 50 Jahren die Lebenszufriedenheit
 der Deutschen. Dass der Frust in dieser Lebensphase hoch ist, hat laut Forschern mit unerfüllten Hoffnungen
      zu tun und damit, dass viele Menschen sich durch langfristige Entscheidungen gefangen fühlen. pb

                                                                                                                  Foto: Pixabay

He mpel s # 2 74 2/2 0 19                                                                  das l ebe n in z a hl en | 5
Obdachlosen die Haare schneiden - 2,20 EUR - Hempels
bild des monats

Gefahrenabwehr

6 | bil d de s mon at s                     Hempe l s # 2 74 2/2 0 19
Obdachlosen die Haare schneiden - 2,20 EUR - Hempels
Nein, das hier ist kein Elterntaxi, zu
                                                            sehen sind eher gelangweilte Jugendliche
                                                            beim Versuch, überschüssiges Testoste-
                                                            ron aus den Knochen zu schütteln. Sollte
                                                            man auf gar keinen Fall nachmachen, lie-
                                                            be junge Racker unter den Lesern, nicht
                                                            auf Kuba, nicht bei uns, nirgends. Womit
                                                            wir – ja, der Übergang ist jetzt etwas hart
                                                            – fast schon mitten im Thema wären.
                                                                Denn es ist an der Zeit, dass sich auch
                                                            diese kleine Zeitungsspalte endlich mal
                                                            mit den wichtigen Dingen des Lebens
                                                            befasst. Kommen wir also zu den soge-
                                                            nannten Helikopter-Eltern, die den eige-
                                                            nen Nachwuchs so gerne in Watte hüllen
                                                            und beispielsweise mit ihren Elternta-
                                                            xen die häufig schon gar nicht mehr so
                                                            kleinen Kinder am liebsten sogar bis in
                                                            die Schulräume hinein transportieren
                                                            würden – der Alltag draußen auf den
                                                            Straßen hält ja so viele Gefahren bereit.
                                                            Gerade hat man wieder über eine wis-
                                                            senschaftliche Studie lesen können, wie
                                                            sehr Helikopter-Eltern ihre Brut benach-
                                                            teiligen. Wobei, nebenbei bemerkt, diese
                                                            Brut gelegentlich eh schon genug gestraft
                                                            ist, wenn sie mit Vornamen ausgestattet
                                                            wurde, die an französische Weichkä-
                                                            sesorten oder Duftwassermarken den-
                                                            ken lassen. Zusammengefasst lässt sich
                                                            das wenig überraschende Ergebnis der
                                                            Studie so zitieren: Wer seine Kinder auf
                                                            Schritt und Tritt kontrolliert, wer stets
                                                            Harmonie sucht, statt auch Konflikte zu-
                                                            zulassen, darf sich nicht wundern, wenn
                                                            aus den Kleinen später frustrierte Große
                                                            ohne Eigenverantwortung werden, die
                                                            ihre Emotionen nicht im Griff haben und
                            Foto: REUTERS / Ivan Alvarado

                                                            überfordert sind bei der Entwicklung ei-
                                                            gener Bewältigungsstrategien.
                                                                Eltern wollen, dass ihre Kinder glück-
                                                            lich sind, klar. Wenn Eltern dieses Glück
                                                            jedoch um fast jeden Preis zu fördern
                                                            versuchen, weil sie glauben nur dann als
                                                            kompetent wahrgenommen zu werden,
                                                            dann leben sie lediglich ihren eigenen
                                                            Narzissmus aus. Give a warm applause to
                                                            the Nicht-Helikopter. PB

He mpel s # 2 74 2/2 0 19                                                           bil d de s mon at s | 7
Obdachlosen die Haare schneiden - 2,20 EUR - Hempels
meldungen
+++                                                                     +++

Sozialverband: Zahl Kältetoter & Wohnungsloser steigt                   Tafeln kämpfen mit personellen Engpässen
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW)                 Die Tafeln in Deutschland haben immer wieder mit personel-
warnt vor einer steigenden Zahl mutmaßlicher Kältetoter                 len Engpässen zu kämpfen. Der Betrieb ist zwar meist nicht
unter Obdachlosen. »Wir wissen von neun Menschen, die bis               gefährdet, wie aus einer Umfrage des Evangelischen Presse-
Ende 2018 nachts ohne Fremdverschulden gestorben sind«,                 dienstes (EPD) hervorgeht. »Doch die Helfer kommen an ihre
sagt die Geschäftsführerin des Bundesverbandes, Werena Ro-              Belastungsgrenzen«, sagt Sprecherin Johanna Matuzak vom
senke. Im Vorjahreszeitraum seien mindestens drei Menschen              Dachverband der deutschen Tafeln. Vielerorts fehlten Ehren-
an Kälte gestorben. Nach den Schätzungen der BAGW waren                 amtliche, »insbesondere jüngere, in den Leitungsfunktionen,
2016 etwa 860.000 Menschen in Deutschland ohne eigene                   als Fahrer oder bei der Lebensmittelausgabe«. Vor allem kleine
Wohnung, davon 52.000 Menschen ohne jegliches Obdach.                   Tafeln in ländlichen Regionen hätten es meist schwer. In Flens-
Die Zahl könne bald auf 1,2 Millionen steigen. epd                      burg ist aktuell die Suppenküche geschlossen. »Wir haben 40
                                                                        Helfer, bräuchten aber mindestens 60«, so Tafelleiter Klaus
+++                                                                     Grebbin. epd

Erstmals Kältebus für Hamburger Obdachlose                              +++
In Hamburg ist seit Jahresanfang erstmals ein Kältebus für
Obdachlose unterwegs. Das Gefährt der katholischen Tages-               Verdopplung der Anzahl Obdachloser in Hamburg
aufenthaltsstätte »Alimaus« kreuzt jeden Abend von 19 bis               In Hamburg ist die Zahl der obdachlosen Menschen deutlich
24 Uhr durch die Stadt, um Obdachlosen in Not zu helfen.                gestiegen. Nach einer Zählung im Auftrag der Sozialbehörde
Das Team der Fahrer ist ehrenamtlich im Einsatz, der Wagen              lebten im März vorigen Jahres 1.910 Menschen auf der Straße,
wurde von einem Autohaus günstig gemietet. Zuvor waren                  wie die Sozialbehörde mitteilte. Bei der vorangegangenen
in Hamburg innerhalb eines Monats vier Menschen auf der                 Zählung 2009 waren es nur 1.029, eine Steigerung um 86
Straße erfroren. Als einzige Stadt in Schleswig-Holstein ist vor        Prozent. epD
kurzem auch in Lübeck ein Kältebus beschlossen worden. epd
                                                                        +++
+++
                                                                        Gut gebildete Migranten im Niedriglohnsektor
Mehr Geld für Wohnungslosenhilfe in SH                                  In Deutschland arbeiten im internationalen Vergleich beson-
Die Diakonie und das Sozialministerium haben den Beschluss              ders viele Migranten im Niedriglohnbereich in Jobs für gering
des Schleswig-Holsteinischen Landtages begrüßt, die Bera-               Qualifizierte. Während in Deutschland 40 Prozent dieser Jobs
tungsangebote der Wohnungslosenhilfe finanziell besser aus-             von Migranten ausgeübt werden, sind es im Durchschnitt der
zustatten. Demnach werden die Landeszuschüsse ab diesem                 Europäischen Union und der Staaten der Organisation für
Jahr auf eine Million Euro aufgestockt. Das entspricht einem            wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) nur etwa ein Viertel.
Plus von 60 Prozent. In den vergangenen Jahren war auch im              Viele gut gebildete Migranten arbeiten in Berufen, für die sie
nördlichsten Bundesland die Zahl der von Wohnungslosigkeit              eigentlich überqualifiziert sind. pb
betroffenen und bedrohten Menschen kontinuierlich gestie-
gen. pb                                                                 +++

                                       HEMPELS IM RADIO
                                       Jeden ersten Montag im Monat ist im Offenen Kanal Lübeck das HEMPELS-Radio zu hören. Nächster
                                       Sendetermin ist am 4. Februar ab 17.05 bis 18 Uhr. Wiederholt wird die Sendung am darauf folgenden
                                       Dienstag ab 10 Uhr. Das HEMPELS-Radio bietet einen Überblick über einige wichtige Themen des aktuellen
                                       Heftes und will zugleich Einblicke in weitere soziale Themen aus der Hansestadt ermöglichen.
                                       Zu empfangen ist der Offene Kanal im Großraum Lübeck über UKW Frequenz 98,8. Oder Online über
                                       den Link »Livestream« auf www.okluebeck.de

8 | me l dunge n                                                                                                            Hempe l s # 2 74 2/2 0 19
Obdachlosen die Haare schneiden - 2,20 EUR - Hempels
gewissensfragen im alltag

                                                  Darf ich das?

                                                                                      Foto: Luitgardis Parsie

                                                                                                                                                         Foto: Dirk Sander
                                      Foto: NDR

 Klaus Hampe                                      Luitgardis Parasie                                            Sabine Hornbostel

Frage eines Mannes: Ich bin ein Dutzend Jahre nach Ende                rea und den USA: Menschen erklären andere Menschen zu
des Zweiten Weltkriegs geboren. Es ärgert mich, dass ich               Unmenschen. Weil sie anders denken, anders glauben, anders
mich mitschuldig fühlen soll an Krieg und Holocaust. Ich               aussehen. Und dann fallen Menschen über Menschen her.
kann kein schlechtes Gewissen haben, wegen der »Sünden                 Zuerst beschimpfen und bespitzeln sie sich und dann töten
der Väter«. Bin ich gewissenlos?                                       sie einander. Und wir wissen es: Jede liebevolle Mutter, jeder
                                                                       treusorgende Vater kann Mittäter dieses Unrechts werden.
   Klaus Hampe: Nein, sind Sie nicht. Der Friedensnobelpreis-             Nein, Sie sind nicht gewissenlos, wenn Sie sich nicht schul-
träger Elie Wiesel, selbst Überlebender des Holocaust, sagt: Die       dig fühlen. Aber: Sie und ich, wir sind das Gewissen der Welt,
Kinder von Mördern sind keine Mörder. Also: Sie und ich, die           das dafür sorgen muss, dass wir nicht wieder schuldig werden,
wir das Glück hatten, nach dem Nazi-Unrechtsregime geboren             weil wir menschenverachtende Hetze einfach geschehen las-
zu werden, sind keine Täter, sind nicht schuldig.                      sen. Wir wissen noch aus erster Hand, dass Mord und Gewalt
   Aber wir sind die entscheidenden Zeugen. Denn wir wissen:           in der Gestalt des freundlich-friedlichen netten Nachbarn
Unsere Großeltern, die Menschen, die damals die Machthaber             daher kommt.
gewählt und bejubelt haben, die zu Versammlungen der Nazis                Wenn wir mit diesem Wissen nicht zum Gewissen der Ge-
gegangen sind, die als Soldaten oder in Munitionsfabriken              sellschaft werden, dann wird die Welt tatsächlich gewissenlos.
oder in der Verwaltung die Unrechts- und Todesmaschine am
Laufen hielten, diese Menschen haben wir kennengelernt als
liebevolle Großväter und Großmütter. Sie schenkten uns Ge-
borgenheit und zu Weihnachten einen Teddy. Es waren ganz
normale Menschen. Sie und ich, wir hätten an ihrer Stelle ste-
hen können, wären wir ein paar Jahre früher geboren worden.
   Das ist unsere Rolle als Nachkommen. Wir sind die Wäch-
ter! Denn es passiert schon wieder. In Syrien und im Irak. In
der Ukraine und auf Pegida-Demonstrationen. In Nordko-

         »Darf ich das ? Gewissensfragen im Alltag« ist ein Nachdruck einer R adio-Rubrik der E vangelischen K irche
      im NDR. Im regelmäS Sigen Wechsel beantworten K l aus Hampe, L eiter der Öffentlichkeitsarbeit des E vangelisch-
               lutherischen Missionswerks in Niedersachsen, Luitg ardis Par asie, Pastorin und Buchautorin,
                       sowie Sabine Hornbos tel , L ektorin und T herapeutin, F ragen zur Alltagsethik .
                                           Mehr dazu unter www.radiokirche.de

He mpe l s # 2 74 2/2 0 19                                                                                                 ge wis sensf r agen im A l ltag | 9
Obdachlosen die Haare schneiden - 2,20 EUR - Hempels
titel

            Schön
           gemacht
    Sie nennen sich Barber
  Angels, Friseur-Engel, und
haben sich einer besonderen
   Aufgabe verschrieben: In
 ihrer Freizeit schneiden die
Profis Obdachlosen kostenlos
 die Haare. Wir waren dabei

                  Carola Konetzny stutzt den Bart
                 von Werner. »Es tut auch mir gut,
                    wenn ich helfen kann«, sagt die
                   Friseurmeisterin aus Elmshorn.

10 | TIT E L                                          Hempe l s # 2 74 2/2 0 19
He mpel s # 2 74 2/2 0 19   t i t e l | 11
Rubrik
                                                                titel

                Text: GEORG MEGGERS
                FOTOS: PETER WERNER

   Der Mann zieht ein Portemonnaie aus
seiner Hosentasche. »Darf ich dir zehn
Euro geben?« Darf er nicht; Friseurin
Kristina Tewes möchte kein Geld. Dann
umarmt sie den Mann, dem sie eben die
Haare geschnitten hat – »als Bezahlung
akzeptiere ich nur eine Umarmung«.
Tränen sammeln sich an seinen unteren
Augenrändern, drohen herabzufallen.
»Danke«, sagt er, ganz oft, während er
den Raum verlässt, der eigentlich ein
Speisesaal ist – und kein Friseursalon.

»Ich habe Glück im Leben,
                                                 Ina Peterson im Einsatz: »Schon als Kind wollte ich Menschen schön machen – und zwar
    davon möchte ich etwas                          alle; nicht nur die, die es sich leisten können«, sagt die Friseurmeisterin aus Borgstedt.

  weitergeben«, sagt Barber
                                              mensch in der Kieler Innenstadt be-              Haarschnitt, denn zu Besuch sind drei
       Angel Kristina Tewes                   treibt. Auch wir von HEMPELS haben               Barber Angels, auf Deutsch: Friseur-
                                              in dem Haus unsere Räume; viele unse-            Engel. So nennen sich Friseurinnen
                                              rer Verkäufer besuchen regelmäßig den            und Friseure aus ganz Deutschland und
                                              TaKo und können dort wie andere woh-             anderen europäischen Ländern, die Be-
  Der Speisesaal gehört zum TaKo. So          nungslose oder arme Menschen essen               dürftigen kostenlos Kopf- und Barthaa-
wird der Tagestreff und Kontaktladen          und erhalten Unterstützung. Heute be-            re schneiden.
kurz genannt, den die stadt.mission.          kommen sie im TaKo auch einen neuen                 In Schleswig-Holstein laden die Bar-
                                                                                               ber Angels etwa einmal im Monat zu
                                                                                               ihren »Aktionen« ein, wie sie sie nen-
                                                                                               nen. Diese finden wie heute oft in den
                                                                                               Räumen sozialer Einrichtungen statt.
                                                                                               Schnell rücken die Friseurinnen die
                                                                                               Tische beiseite, an denen vorher noch
                                                                                               gegessen wurde, dann packen sie Hand-
                                                                                               spiegel und Rasierer aus, zücken Kamm
                                                                                               und Schere – und legen los. Bald finden
                                                                                               sich überall im TaKo abgeschnittene
                                                                                               Haare auf dem Fußboden: Insgesamt
                                                                                               zwanzig Männer und Frauen frisieren
                                                                                               die Barber Angels an diesem Tag.
                                                                                                  Zu ihnen gehört Katherina. Die
                                                                                               47-Jährge isst oft zu Mittag im TaKo;
                                                                                               meist zusammen mit ihrem Freund, ei-
                                                                                               nem HEMPELS-Verkäufer. 2018 war sie
                                                                                               für ein halbes Jahr wohnungslos, schlief
                                                                                               während dieser Zeit in Notunterkünf-
                                                                                               ten. Nun setzt sie sich auf einen der frei-
Dennis besucht fast täglich den TaKo – heute auch, um sich die Haare schneiden zu lassen.      en Stühle – und Barber Angel Kristina
Die Barber Angels kennt er bereits von einer »Aktion« am Kieler Hauptbahnhof.                  Tewes hüllt sie bis zum Hals in einen

12 | t i t el                                                                                                          Hempe l s # 2 74 2/2 0 19
Insgesamt zwanzig Menschen frisieren die Barber Angels an diesem Tag;
                               zu ihnen gehört auch Stephanie, der Ina Peterson die Haare schneidet.

He mpel s # 2 74 2/2 0 19                                                                 t i t e l | 13
titel

Auch Thomas lässt sich im TaKo von Barber Angel Kristina Tewes die Haare schneiden.

Kittel. Weil sie sich keinen professionel-   dann steht Katherina lächelnd auf: »Sehr   und oben längeren Haaren. »Ich bin voll
len Friseur leisten kann, schneidet sich     schön – ich fühle mich so viel wohler!«    zufrieden – und werde gleich auf der
Katherina ihre Haare meist selbst. Das          Auch der 27-jährige Dennis besucht      Straße hoffentlich von vielen freundlich
muss sie heute nicht; mit schnellen und      fast täglich den TaKo. Die Barber Angels   angeschaut!«
geübten Handgriffen kämmt, schnei-           kennt er bereits von einer »Aktion« am        Immer nur wenige Sekunden bleibt
det und stylt Kristina Tewes ihr Haar.       Kieler Hauptbahnhof. Den TaKo ver-         ein Stuhl frei, dann setzt sich schon der
Noch ein Blick in deren Handspiegel,         lässt er heute mit kurzrasierten Seiten    nächste Gast. Trotzdem wirken die drei

14 | t i t el                                                                                                Hempe l s # 2 74 2/2 0 19
Brotjobs frei. Trotzdem machen sie auch
                                                                                        heute das, wofür sie an Arbeitstagen be-
                                                                                        zahlt werden – bloß ehrenamtlich. War-
                                                                                        um sie das tun? Die drei Frauen wirken
                                                                                        nicht so, als würden sie sich aufopfern –
                                                                                        als müssten sie sich zu einer guten Sache
                                                                                        zwingen, die ihnen keinen Spaß macht.
                                                                                        Sie wirken wie Freundinnen; lachen laut,
                                                                                        schnacken untereinander und mit den
                                                                                        Gästen, umarmen sich und sie, klopfen
                                                                                        auf Schultern. Und zwischendurch fegen
                                                                                        sie die abgeschnittenen Haare auf dem
                                                                                        Fußboden zusammen – zu einem Haufen
                                                                                        in Herzform.
                                                                                           »Ich habe Glück: eine Familie, ein
                                                                                        Haus, eine Arbeit – von diesem Glück
                                                                                        möchte ich etwas weitergeben«, sagt die
                                                                                        35-jährige Kristina Tewes. Die gelern-

                                                                                        Die Barber Angels
                                                                                        Brotherhood

                                                                                        auf Deutsch: die Bruderschaft der Fri-
                                                                                        seur-Engel, wurde 2016 von Friseurm-
                                                                                        eister Claus Niedermaier in Biberach
                                                                                        an der Riß in Baden-Württemberg
                                                                                        gegründet. Inzwischen gibt es Barber
                                                                                        Angels in allen deutschen Bundeslän-
                                                                                        dern sowie in Österreich, der Schweiz,
                                                                                        der Niederlande und Spanien. Mitglie-
                                                                                        der des Vereins zahlen 15 Euro pro Mo-
                                                                                        nat. Durch die Mitgliedsbeiträge sowie
                                                                                        Spenden und den Verkauf von Lizen-
                                                                                        zen zugunsten von Produkten, die
                                                                                        dann das Label »Barber Angels« tragen
                                                                                        dürfen, finanzieren sie etwa ihre Ar-
                                                                                        beitsmaterialien und ihre Verwaltung.
                                                                                        Weitere Information zu den Barber
                                                                                        Angels unter: www.b-a-b.club     MGG

Frauen der Barber Angels nie gestresst;     ihn. Also griff der 34-Jährige oft selbst   te Friseurin arbeitet als selbstständige
sie begrüßen jeden Gast, fragen nach        zu Schere und Rasierer. »Das ist dann       Visagistin und Kosmetikerin in Otten-
dessen Wünschen und geben Tipps – ein       nicht so schön – aber die Haare müs-        dorf. Auch Ina Peterson frisiert heute als
Prozedere, wie es viele Menschen von        sen halt runter.« Runter kommen seine       Friseur-Engel im TaKo. Mit ihrem Ein-
ihren Friseurbesuchen kennen. Auch für      Kopf- und Barthaare auch heute; aber        satz für die Barber Angels erfüllt sich die
den gelernten Lokführer Florian war es      mit einem anderen Ergebnis: »Sieht echt     44-jährige Friseurmeisterin aus Borgs-
früher selbstverständlich, einfach zum      gut aus!«                                   tedt einen Kindheitstraum: »Schon als
Friseur zu gehen. Doch seit er wegen psy-      Es ist ein Montag: Wie in vielen Fri-    Kind wollte ich Menschen schön machen
chischer Probleme nicht mehr arbeiten       seursalons üblich, haben die Barber         – und zwar alle; nicht nur die, die es sich
kann, sind solche Besuche zu teuer für      Angels an diesem Wochentag in ihren         leisten können.«

He mpel s # 2 74 2/2 0 19                                                                                                t i t el   | 15
titel

   Der dritte Barber Angel bei der »Ak-        fen nicht alle frisieren: Hat jemand etwa      was sie von ihren Gästen erfahren ha-
tion« im TaKo ist Carola Konetzny,             Ungeziefer im Haar oder eine offene            ben. »Das hilft uns, damit umzugehen«,
Friseurmeisterin aus Elmshorn. Für ihr         Wunde am Kopf, müssen die Friseurin-           sagt Kristina Tewes.
Ehrenamt hat die 38-Jährige zwei Grün-         nen ihn zurückweisen – so verlangen es            Anderthalb Stunden und zwanzig
de: Zunächst, natürlich, um den Bedürf-        die Hygiene-Vorschriften. Das erklären         Haarschnitte später stecken die drei
tigen zu helfen; dafür zu sorgen, dass sie     sie der Person dann ganz leise, sodass         Barber Angels ihre Scheren und Kämme
sich mit neuem Haarschnitt wohler füh-         es niemand anderes mitbekommt, sagt            wieder in die Gürteltaschen, ein TaKo-
len. »Aber es tut auch mir gut, wenn ich       Carola Konetzny: »Das können unsere            Mitarbeiter serviert ihnen Kaffee – für
helfen kann.«                                  Gäste nachvollziehen – und natürlich           heute haben sie Feierabend. Oder doch
   Bei ihren »Aktionen« tragen die Fri-        dürfen sie wiederkommen.«                      nicht; denn ein Mann mit langen grauen
seurinnen stets schwarze Kutten, wie              Einige Gäste lächeln still, während         Haaren und fast ebenso langem grauen
man sie sonst eher von Biker-Clubs             ihnen die Haare geschnitten werden.            Bart kommt auf sie zu. »Darf ich noch?«
kennt. Der Grund: So gekleidet sind sie        Manche führen Smalltalk. Und wieder            Darf er. Kristina Tewes stellt ihre Kaf-
leicht als Barber Angels zu erkennen.          andere erzählen den Friseurinnen von           feetasse beiseite, rückt den Stuhl wie-
Und: »In unseren Kutten können wir             sich und ihrem Leben. Diese Lebensge-          der hin, zückt Schere und Kamm und
besser Kontakt aufbauen zu Menschen            schichten sind oft tragisch: Es geht dar-      schneidet los. Seit vierzig Jahren war der
von der Straße – das wäre wohl anders          um, was schief gelaufen ist – und warum        Mann nicht mehr beim Friseur, erzählt
in den schicken Klamotten, die wir sonst       ein Mensch abkam vom Weg, den er ei-           er; all die Jahre hat er sich die Haare im-
in unseren Studios tragen«, sagt Kristi-       gentlich gehen wollte. Viele Geschichten       mer selbst geschnitten.
na Tewes.                                      lassen die Barber Angels auch nach ih-            »Es ist mir eine Ehre!«, sagt Kristina
   Alle Menschen sollen bei den Barber         ren »Aktionen« nicht los. Sie setzen sich      Tewes, während sie seinen Bart stutzt.
Angels willkommen sein; doch sie dür-          dann zusammen und sprechen darüber,

Ina Peterson, Carola Konetzny und Kristina Tewes (v.l.n.r.) im TaKo: Sie wirken nicht so, als würden sie sich
aufopfern – als müssten sie sich zu einer guten Sache zwingen, die ihnen keinen Spaß macht.

16 | t i t el                                                                                                       Hempe l s # 2 74 2/2 0 19
Liebe statt Hiebe

                              In den 1970er Jahren wurden immer noch bis zu 75 Prozent der Kinder
                              von ihren Eltern geschlagen und jedes fünfte dabei regelrecht verprügelt.
                            Nur ein knappes Drittel erlebte damals vonsseiten der Eltern viel Zuwendung
                                  und Liebe in Form von häufigem Schmusen, Loben und Trösten.
                                  Seitdem hat sich die elterliche Erziehungskultur stark gewandelt.

                          Heute zeigen Forschungsdaten: Die in der Kindheit viel Geschlagenen sind
                        nach eigenen Angaben im Vergleich zu den viel Geliebten im vergangenen Jahr
                       4,5-mal so häufig selbst gewalttätig geworden. Sie haben außerdem 6,5-mal so oft
                      ernsthaft über Suizid nachgedacht. Im Gegensatz berichtete die gewaltfrei erzogene
                            Gruppe sechsmal häufiger von einer sehr hohen Lebenszufriedenheit.

                         Eine gewaltfreie und liebevolle Erziehung fördert den aufrechten Gang und die
                        Empathie. Sie vermittelt positive Erfahrungen der Selbstwirksamkeit und schützt
                                             vor der Flucht in Suizid oder Drogen.

                                                  CHRISTIAN PFEIFFER, 74, K RIMINO -
                                                  LOGE , LEITE TE VON 1985 BIS 2015
                                                DAS K RIMINOLOGISCHE FORSCHUNGS -
                                                 INSTITUT NIEDERSACHSEN UND WAR
                                                   JUSTIZMINISTER IN HANNOVER.

                                                     Zitiert aus: Süddeutsche Zeitung
                                        Foto: © Superbass / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

He mpel s # 2 74 2/2 0 19                                                                          s chl e s wig - hol s t ein s ozi a l | 17
schleswig-holstein sozial

                                        Die lange Reise
                                          einer Jeans
  Sie gehört zu den beliebtesten Kleidungsstücken überhaupt. Rund zwei
 Milliarden Jeans gehen jährlich weltweit über die Ladentheken. Nur die
   wenigsten werden umwelt- und sozialverträglich produziert. Bevor sie
 bei uns in den Geschäften liegen, haben die meisten eine Weltreise hinter
  sich durch Länder, in denen Arbeitskräfte billig und Produktionskosten
     gering sind – mit katastrophalen Folgen für Mensch und Umwelt

                                                   TEXT: HANS PETER HEINRICH

   Die Nachfrage ist gigantisch, die            Überflüssig zu erwähnen, dass            Taiwan, wo aus diesem Baumwollgarn
Preisspanne ebenfalls. So kostet die         Kleidung zu solchen Preisen nicht im        in Webereien der Jeansstoff entsteht.
Fertigung einer in den USA hergestell-       Land produziert werden kann. Auch in        Polen produziert die chemische Indigo-
ten Luxusjeans des Labels True Religion      Deutschland nicht, wo neun von zehn         farbe zum Einfärben. Der Jeansstoff aus
72,06 Dollar. Der Ladenpreis für den         Kleidungsstücken aus Billiglohnländern      Taiwan landet anschließend in Tunesien
Verbraucher beträgt am Ende 310 Dol-         wie China, Bangladesch, Indien, Pakis-      und wird dort mit der Indigofarbe aus
lar. Die Kosten für die Herstellung einer    tan oder Indonesien stammen. Welchen        Polen eingefärbt. Der fertige Stoff kann
Billigjeans in Bangladesch für den US-       Produktionsweg eine für den deutschen       nun veredelt, das heißt weich und knit-
amerikanischen Handelskonzern Wal-           Markt bestimmte Billigjeans nimmt,          terarm gemacht werden. Das geschieht
mart belaufen sich auf lediglich 11,17       zeichnet die Grafik auf Seite 20 nach.      in Bulgarien. In China wird die Jeans
Dollar, obwohl dort noch die Verschif-          Der Rohstoff für die Jeans, die Baum-    zusammengenäht sowie mit Knöpfen
fung und Kosten wie Hafengebühren            wolle, stammt aus Kasachstan, wo sie        und Nieten aus Italien und Futterstoff
hinzukommen. Verkauft wird sie für           – mit Hilfe großer Mengen Pestizide –       aus der Schweiz versehen. Ihren letzten
22,10 Euro – und das in Masse. (Zah-         angebaut und von Hand oder maschi-          Schliff bekommt die Jeans in Frank-
len aus 2016; Quellen: Friedrich Ebert       nell geerntet wird. Von dort aus geht die   reich, den Stone-washed-Effekt bei-
Stiftung, Greenpeace, Forum Umwelt-          Baumwolle in die Türkei, wo sie zu Garn     spielsweise, der durch das Waschen mit
bildung.)                                    gesponnen wird. Die nächste Etappe ist      Bimsstein entsteht.

18 | s chl e s wig - hol s t ein s ozi a l                                                                   Hempe l s # 2 74 2/2 0 19
Fotos: Pixabay (2), pexels (2)

                Rund zwei Milliarden Jeans gehen weltweit jährlich über die Ladentheken – teure, billige, blaue, schwarze. Und wenn
             heutzutage viele Hosen auch Löcher aufweisen, dann ist das kein Qualitätsmangel, sondern Ausweis modischer Qualität.

He mpel s # 2 74 2/2 0 19                                                                                   s chl e s wig - hol s t ein s ozi a l | 19
schleswig-holstein sozial

                                                                                                                                               Grafik: Lisa Heinrich
              Der lange Weg einer Jeans: Der Rohstoff Baumwolle stammt aus Kasachstan (1). In der Türkei (2) wird der zu Garn gesponnen, in
         Taiwan (3) entsteht daraus der Jeansstoff. In Polen (4) wird die chemische Indigofarbe zum Einfärben produziert. Der Jeansstoff aus Tai-
          wan wird dann in Tunesien (5) mit der Indigofarbe aus Polen eingefärbt. In Bulgarien (6) wird der fertige Stoff veredelt, also weich und
           knitterfrei gemacht, in China (7) dann zusammengenäht sowie mit Knöpfen und Nieten aus Italien versehen. Den letzten Schliff, den
                    Stone-washed-Effekt, erhält die Hose schließlich in Frankreich (8), bevor in Deutschland (9) das Firmenlabel eingenäht wird.

   Die fertigen Jeans landen schließlich          angebot an Arbeitskräften gibt, laxe Ar-        preises gehen als Lohn an die Arbei-
in Deutschland. Hier wird nur noch                beitsschutzbedingungen herrschen und            ter. Elf Prozent kosten Transport und
das Firmen-Label eingenäht – und der              Gewerkschaften so gut wie unbekannt             Steuern, 13 Prozent sind Fabrikkosten,
größte Gewinn gemacht. Rund 60.000                sind. Die Nichtregierungsorganisa-              25 Prozent fallen für Werbung an. 50
Kilometer hat die Jeans für ihre Pro-             tion Clean Clothes Campaign (CCC),              Prozent aber, den Löwenanteil, kassiert
duktion bis hierhin zurückgelegt. Ganz            die sich für eine Verbesserung der Ar-          der Einzelhandel. Möglich wird das nur
zu Ende ist ihre Reise damit immer                beitsbedingungen und die Rechte von             durch massive Verstöße gegen Sozial-
noch nicht. Aus der Altkleidersamm-               ArbeiterInnen in der internationalen            standards in den Produktionsländern.
lung gehen viele Jeans noch einmal auf            Textilindustrie einsetzt, rechnet vor:          Gisela Burckhard von CCC bemerkt
Tour. Von Zwischenhändlern sortiert,              Gerade mal ein Prozent des Verkaufs-            dazu: »Weil die Discounter ihre Waren
werden sie meist von Holland aus per
Schiff nach Afrika gebracht, mit dem
LKW ins Inland transportiert und auf
Märkten an die einheimische Bevölke-
rung ein weiteres Mal verkauft. So legt
die Jeans noch einmal rund 8000 Kilo-
meter zurück.

 60.000 Kilometer legt eine
    Jeans in der Produktion
                       zurück

   Trotz des irrsinnig langen Produk-
tionsweges rentiert es sich für Dis-
counter, Jeans massenhaft in Ländern                          Mal schick im Kaufhaus-Schaufenster, mal lässig mit individuellen Botschaften
produzieren zu lassen, wo es ein Über-                                    verziert: Hosen und Jacken aus Jeansstoff gehören zum Alltagsbild.

2 0 | s chl e s wig - hol s t e in s ozi a l                                                                             Hempe l s # 2 74 2/2 0 19
He mpel s # 2 74 2/2 0 19   s chl e s wig - hol s t ein s ozi a l | 2 1
schleswig-holstein sozial

Sehr angesagt in der Modewelt ist momentan der Vintage-Look: Neue Jeans werden auf alt getrimmt; ein Verfahren,
das die ausführenden Arbeiter durch das Einatmen von giftigem Feinstaub großen Gefahren aussetzt.

hier in Deutschland zu absoluten Billig-                                                  benötigt, sondern es werden auch große
preisen anbieten wollen, üben sie enor-                                                   Mengen von Kohlendioxid in die Atmo-
men Druck auf die Hersteller aus. Und              Für die Produktion                     sphäre eingebracht. 8.000 Liter Wasser
das führt dazu, dass die Arbeiter in den                                                  verbraucht die Produktion einer Jeans.
Produktionsländern unter unwürdigen                einer Jeans werden                     Baumwollplantagen verschlingen ge-
Bedingungen arbeiten müssen. Dass die                                                     waltige Mengen an Wasser. Das Statis-
deutschen Discounter trotzdem so tun,                     8000 Liter                      tische Bundesamt errechnete für das
als lägen ihnen die fairen Arbeitsbedin-                                                  Jahr 2010 einen Bedarf von 6,4 Mil-
gungen am Herzen, ist einfach verlogen.«              Wasser benötigt                     liarden Kubikmeter Wasser allein für
   Nicht enthalten in dieser Rechnung                                                     Baumwollprodukte, die in einem Jahr
sind die katastrophalen Folgen für die                                                    in Deutschland verkauft werden. Die
Umwelt. Für die Zehntausende Trans-                                                       Menge ist mehr als doppelt so groß wie
portkilometer wird nicht nur viel Erdöl                                                   diejenige, die die privaten Haushalte im

2 2 | s chl e s wig - hol s t e in s ozi a l                                                                      Hempe l s # 2 74 2/2 0 19
gleichen Zeitraum zum Waschen, Ko-         Wasser und Luft gelangen). Weil er gera-   Chemieexperte bei Greenpeace, bringt
chen und Baden verbrauchen.                de angesagt ist, sei noch auf den Vinta-   es auf den Punkt: »Auch wenn deutsche
   Am Beispiel des Aralsees lassen sich    ge-Look hingewiesen. Mit Sandstrahlen      Gewässer heute zu den saubersten der
die Folgen des riesigen Wasserbedarfs      werden Jeans auf alt getrimmt, ein Ver-    Welt zählen – Verbraucher und Verbrau-
drastisch vor Augen führen. Auch wegen     fahren, das wegen seiner tödlichen Ne-     cherinnen müssen sich darüber im Kla-
der Bewässerung der Baumwollplanta-        benwirkungen (akute Silikose) nur noch     ren sein, dass die Umweltverschmutzung
gen in Kasachstan mit seinem Wasser        in Ländern praktiziert wird, wo Arbeits-   nicht gestoppt, sondern in andere Welt-
trocknete der früher viertgrößte Bin-      und Umweltschutzauflagen so gut wie        regionen verlagert wurde.«
nensee der Erde aus und wurde zur Salz-    unbekannt sind.
wüste. Eine der größten vom Menschen          Verseuchte Flüsse, ausgebeutete Ar-     Freundlicherweise zur Verfügung
verursachten Umweltkatastrophen. Die       beiter, verpestete Luft, kranke Men-       gestellt von fiftyfifty / INSP.ngo
Liste der durch die Billigproduktion       schen: Durch das Auslagern der Jeans-
von Jeans verursachten Umweltschä-         produktion in Billiglohnländer werden
den ließe sich beliebig fortsetzen (Pes-   nicht nur soziale Mindeststandards um-
tizide, Chemikalien und Reste giftiger     gangen, sondern auch die Schäden an der
Farbstoffe beispielsweise, die in Boden,   Umwelt ausgelagert. Manfred Santen,

                                                                                                                                               Anzeigen

He mpel s # 2 74 2/2 0 19                                                                       s chl e s wig - hol s t e in s ozi a l | 2 3
schleswig-holstein sozial

       Den Armen vor Ort helfen
                         Lydia Lohse unterstützt mit einer Fördergemeinschaft
                             in besonderer Weise Waisenkinder in Kenia

                                                 TEXT UND FOTO: PETER BRANDHORST

   Ihr Blick reicht schon lange weit            weise immenser Flüchtlingsbewegun-        gemeinde in Kiel Mettenhof, jährlich
vor die eigene Haustür. »Wir können             gen große Bedeutung zukommt. Denn         etwa 40.000 Euro Spendengelder nach
uns nicht satt hier niederlassen und            Lohse, und mit ihr die vielen anderen     Kenia. Die werden insbesondere ge-
den Rest der Welt vergessen«, sagt              Frauen und Männer der Förderge-           nutzt, um armen Waisen- und Halbwai-
Lydia Lohse aus Kiel dann. Wobei die            meinschaft »Ngelani-Waisenkinder«,        senkindern eine schulische Ausbildung
79-Jährige das nicht allgemein meint,           deren Vorsitzende sie ist, wollen vor     zu ermöglichen bis hin zu höheren
seit 40 Jahren kümmert sie sich um die          Ort Strukturen schaffen, die Men-         Abschlüssen. Gefördert wird auch die
Bekämpfung der Armut und Verbesse-              schen nicht automatisch in eine Flucht    berufliche Ausbildung an handwerkli-
rung der Lebensbedingungen in einer             zwingen.                                  chen Schulen. Lohse: »Die Menschen
ländlichen Region Kenias nahe der                  Mittlerweile überweist der Förder-     dort sollen nicht irgendwann in den
Hauptstadt Nairobi. Eine Aufgabe, der           kreis, ein selbstständiger Arbeitskreis   Slums von Nairobi landen oder ihr
besonders auch jetzt angesichts teil-           der Evangelischen Thomas-Kirchen-         Land verlassen müssen, sie sollen sich

Lydia Lohse erhielt für ihr Engagement das Bundesverdienstkreuz.

24 |   s chl e s wig - hol s t e in s ozi a l                                                                Hempe l s # 2 74 2/2 0 19
eine eigene Existenz schaffen können.«
Hilfe zur Selbsthilfe vor Ort, lautet das
Motto.
   Gegründet wurde der Kieler Förder-         Integration durch Integrierte
kreis 1977 von Gisela Weber, damals
eine Nachbarin von Lydia Lohse. Seit
1979 ist die frühere Berufsschullehre-       Ehrenamtliche mit Migrationsgeschichte
rin Lohse mit dabei, mittlerweile hat sie
die Region zehn Mal auf eigene Kosten             helfen jungen Geflüchteten,
in Begleitung von anderen Förderern
besucht, um vor Ort die Erfolge über-             die straffällig geworden sind
prüfen zu können und mit den keniani-
schen Partnern gemeinsam neue Vorha-
ben zu planen. Bis zu 300 Kindern kann         Als der 25-jährige Shahm         jugendliche Geflüchtete mit jähr-
inzwischen pro Jahr geholfen werden.        Moubayed vor sechs Jahren           lich 50.000 Euro Förderung. Pro-
Lohse: »Bei jedem Besuch sehen wir die      aus Syrien als Flüchtling nach      jektleiterin und Pädagogin Jördis
Not der Menschen dort, wir erkennen         Deutschland kam, »hatte ich kei-    Häbry: »Mit einem Vorbild an
aber auch ihre Fröhlichkeit und ihren       ne Ahnung von der deutschen         ihrer Seite können diese geflüch-
Optimismus.«                                Kultur. Es gibt große Unterschie-   teten Jugendlichen ihre Probleme
                                            de zwischen beiden Ländern, da-     angehen, um erneute Straftaten
                                            raus können Missverständnisse       zu vermeiden.«
                                            entstehen«, sagt der junge Mann        Mittlerweile wirken 45 Ehren-
          »Wir helfen mit                   heute, der in seiner Heimat ein     amtliche, die selbst nicht straf-
                                            BWL-Studium abgeschlossen hat.      fällig gewesen sind und in ihren
         ganzem Herzen«,                    Der inzwischen perfekt Deutsch,     Heimatländern meist eine hohe
                                            Englisch, Arabisch sowieso und      Bildung erfahren haben, in dem
          sagt Lydia Lohse                  auch etwas Kurdisch sprechende      Projekt mit und decken mehrere
                                            Moubayed hat es geschafft, seinen   Sprachen und Regionen ab. Für
                                            Weg zu gehen, in Kiel arbeitet er   ihre Aufgaben wurden sie be-
                                            als vereidigter Dolmetscher. Und    sonders geschult, ihre Klienten
                                            er widmet sich einer weiteren       werden ihnen von Gerichtshilfen,
   Dass Lohse für ihr Engagement            Aufgabe: Ehrenamtlich hilft er      Richtern oder Polizei vermittelt.
kürzlich aus der Hand von Minister-         beim Projekt »Integration durch     Die bisher erzielten Erfolge seien
präsident Daniel Günther das von Bun-       Integrierte« anderen geflüchteten   groß, so Projektleiterin Häbry,
despräsident Frank-Walter Steinmeier        jungen Menschen auf die Spur,       »wir bekommen viele positive
verliehene Bundesverdienstkreuz be-         die durch jugendtypische Straf-     Rückmeldungen«. Und Shahm
kommen hat, habe sie sehr überrascht,       taten mit deutschen Gesetzen in     Moubayed sagt: »Wir Ehrenamt-
sagt sie. Entgegengenommen hat sie es       Konflikt geraten sind.              lichen mit Migrationsgeschichte
stellvertretend für alle Mitglieder der        Seit April 2017 wird dieses      kennen die eine wie die andere
Kieler Fördergemeinschaft. »Wir hel-        Projekt landesweit vom Kreisver-    Kultur, deshalb können wir den
fen gemeinsam«, sagt sie, »und wir tun      band Kiel des Deutschen Roten       richtigen Weg zeigen.« pB
es mit ganzem Herzen.«                      Kreuz durchgeführt; das Justiz-
                                            ministerium unterstützt es als      Kontakt:
Kontakt: www.Ngelani-Waisenkinder.de        wichtigen Baustein im Bereich       straffaelligenhilfe@drk-kiel.de
                                            der ambulanten Sanktionsalter-
                                            nativen für straffällig gewordene

He mpel s # 2 74 2/2 0 19                                                                  s chl e s wig - hol s t e in s ozi a l   | 25
schleswig-holstein sozial

                           »Eine Wohnung ist
                           der beste Schutz«
Auch in Schleswig-Holstein erleben Obdachlose politisch rechts motivierte
Anfeindungen und Gewalt. Nur die wenigsten Vorfälle werden öffentlich

                                             TEXT: KAI STOLTMANN

   Im Herbst 2000 wurde der Obdachlose                  seit 1990 mindestens 40 wohnungslose
Malte Lerch auf den Schleswiger Königs-                 Menschen in Deutschland umgebracht
wiesen von zwei Neonazis brutal erschla-                wurden, weil sie nicht dem Weltbild der
gen. Er hatte dort zuvor mit den beiden                 Angreifer entsprochen haben.
Skinheads gemeinsam gezecht. Nach ne-                      Von sozialdarwinistischer Gewalt
gativen Bemerkungen über die Neonazi-                   wird in solchen Zusammenhängen häu-
Szene fühlten sich seine beiden Begleiter               fig gesprochen. Gemeint ist eine men-
beleidigt. Sie schlugen Lerch und traten                schenverachtende Perspektive auf Rand-
mit ihren Stahlkappenstiefeln auf ihn ein.              gruppen der Gesellschaft und sozial
Anschließend haben sie ihr Opfer schwer                 Schwächere. Solche Gewalt gegen woh-
verletzt zurückgelassen. Erst am folgen-                nungslose Menschen ist schon seit länge-
den Tag wurde die Leiche des Wohnungs-                  rem ein alltägliches Phänomen, wie Paul
losen von Passanten gefunden.                           Neupert betont. Als Fachreferent von
                                                        der Bundesarbeitsgemeinschaft Woh-
                                                        nungslosenhilfe (BAGW) beschreibt er
                                                        das Vorgehen der Täter als »oft spontan,
        Opfer werden meist                              überfallartig, enthemmt und sehr bru-
                                                        tal«. Meistens richten sich die Angriffe
          wehrlos im Schlaf                             gegen wehrlose Opfer, die beispielsweise
                                                        im Schlaf überrascht werden. Trotzdem
                  überrascht                            erstatten nur die wenigsten Betroffenen
                                                        bei der Polizei Anzeige. Die Opfer sind
                                                        nach der Tat weiterhin wohnungslos,
                                                        weshalb sie nach einer Anzeige die Rache
   Die beiden Täter wurden vom Flens-                   von den Tätern fürchten müssen.
burger Landgericht wegen gefährlicher                      Es werden somit vor allem jene Ge-
Körperverletzung mit Todesfolge zu je-                  walttaten öffentlich bekannt, bei denen
weils sieben Jahren Haft verurteilt. Über               couragierte Passanten oder die Polizei
das Leben von Malte Lerch ist nur wenig                 zufällig vor Ort gewesen sind. Dement-
bekannt. Ähnlich sieht es auch bei vielen               sprechend groß ist das Dunkelfeld von
anderen Wohnungslosen aus, die in den                   rechten Angriffen gegen wohnungslose
letzten Jahrzehnten mit einer politisch                 Menschen, belastbare Zahlen liegen selbst
rechten Motivation umgebracht wurden.                   bei der BAGW nicht vor. Unter den Woh-
Von einigen kennt man noch nicht einmal                 nungslosen gebe es jedoch kaum jeman-
den Namen. Sicher ist dagegen, dass allein              den, der die Gefahr nicht wahrnehme, so

26 | s chl e s wig - hol s t ein s ozi a l                                                          Hempe l s # 2 74 2/2 0 19
Paul Neupert weiter. Aus seiner Perspek-     gungen, wenn beispielsweise nachts auf       bra – Zentrum für Betroffene rechter
tive ist »eine Wohnung der beste Schutz«,    die Schlafsäcke uriniert oder das Eigen-     Angriffe«. Dort bekommen Opfer von
weshalb private Rückzugsräume nötig          tum von Wohnungslosen geklaut wird«.         sozialdarwinistischer Gewalt kostenlo-
sind, in denen sich die wohnungslosen        Dementsprechend werden entsprechende         se Hilfe, ohne dass eine Anzeige bei der
Menschen sicher fühlen können.               Übergriffe von den Gästen des Tagestreffs    Polizei notwendig ist. Zu den Aufgaben
   Die Notwendigkeit von sicheren Rück-      im Alltag immer wieder thematisiert.         von zebra gehört jedoch unter anderem,
zugsräumen zeigt sich auch vor Ort in        Möglichen Zeugen dieser Vorfälle emp-        wohnungslose Gewaltopfer bei ihrem
Kiel. »Bei uns ist die Lage gerade relativ   fiehlt Schmitz-Sierck, »sich einzumi-        Kontakt mit der Polizei und Justiz zu be-
ruhig, was richtige Gewalttaten gegen        schen, ohne sich dabei selbst in Gefahr zu   gleiten und die Perspektive von Betroffe-
Wohnungslose angeht«, so Teamleiter          bringen«.                                    nen nach einem Angriff medial bekannt
Michael Schmitz-Sierck vom Tagestreff           Unterstützung finden wohnungslo-          zu machen.
und Kontaktladen (TaKo) der stadt.mis-       se Betroffene, Angehörige und Zeugen
sion.mensch in der Kieler Innenstadt.        von rechten Gewalttaten in Schleswig-        Der Autor ist Berater bei »zebra –
Allerdings komme es »schon zu Belästi-       Holstein bei der Beratungsstelle »ze-        Zentrum für Betroffene rechter Angriffe«

                                                                                                                                                Foto: Pixabay

Viele Obdachlose haben einen Hund an ihrer Seite, als treuen Wegbegleiter und zum Schutz. Einige besitzen auch ein Prepaid-Handy, um im
      Notfall Hilfe rufen zu können. Doch wirklichen Schutz vor den Gefahren eines Lebens auf der Straße und vor Angriffen hat niemand.

 He mpel s # 2 74 2/2 0 19                                                                              s chl e s wig - hol s t ein s ozi a l     | 27
schleswig-holstein sozial

 Kostenlose medizinische
Hilfe in Schleswig-Holstein
praxen ohne grenzen:                                                             weitere sprechstunden:

Bad Segeberg                                  Stockelsdorf                       Flensburg
Kirchplatz 2                                  Marienburgstraße 5                 Tagestreff TAT
Telefon: (0 45 51) 95 50 27                   Telefon: (04 51) 88 19 18 55       Johanniskirchhof 19
Sprechstunde: Mittwoch,                       Sprechstunde: Mittwoch,            Otto Hübner, Dr. Ernst Latz, Dr. Jörn
15 bis 17 Uhr                                 15 bis 17 Uhr                      Pankow
                                                                                 Jeden Dienstag ab 11 Uhr; für Frauen
Elmshorn                                                                         und Männer (in Zusammenarbeit mit
„Haus der Begegnung“                                                             dem Gesundheitshaus Flensburg)
Hainholzer Damm 11                            medibüros:
Telefon: (0 41 01) 37 37 904                                                     Flensburg
Jeden Montag 18 bis 19 Uhr                    Kiel                               „Treppe“
                                              ZBBS                               Heiligengeistgang 4-8
Flensburg                                     Sophienblatt 64                    Jeden 1. und 3. Donnerstag im Monat ab
Gesundheitshaus                               Telefon während Sprechstunde:      10:30 Uhr; nur für Frauen
Norderstr. 58 – 60                            (0 15 77) 1 89 44 80
Telefon: (04 61) 85 40 32                     Jeden Dienstag 15:30 - 17:30 Uhr   Lübeck
Sprechstunde: Mittwoch,                                                          Gesundheitsmobil
15 bis 16 Uhr                                 Lübeck                             Sprechstunde an fünf Tagen in der
                                              AWO-Integrationscenter             Woche an zehn verschiedenen Orten
Husum                                         Große Burgstraße 51                in Lübeck, Fahrplan online auf
Markt 10 – 12 (Einhorn-Passage)               Telefon: (0 15 77) 933 81 44       www.gesundheitsmobil.org oder
Telefon: (0 48 41) 905 68 91                  Jeden Montag 14 - 17 Uhr           telefonisch: (04 51) 5 80 10 23
Sprechstunde: Mittwoch,
15 bis 17 Uhr                                 Neumünster                         Lübeck
                                              AWO-Integrationscenter             Gesundheitsstation
Preetz                                        Göbenplatz 2                       Sprechstunde mit dem Team des
Diakonisches Werk Preetz                      24534 Neumünster                   Gesundheitsmobils. Mit Geräten zur
Am Alten Amtsgericht 5                        Telefon: (0 43 21) 4 89 03 20      genaueren Diagnostik.
Telefon: (0 43 42) 7 17 0                     Jeden Mittwoch 15 – 17 Uhr         Haus der Diakonie, Mühlentorplatz
                                                                                 Jeden Mittwoch 9 – 11 Uhr
Jeden Mittwoch 15 bis 17 Uhr

Rendsburg                                                                        Kiel
Moltkestraße 1                                                                   Tagestreff & Kontaktladen
Telefon: (0 15 77) 5 88 57 55                                                    Schaßstraße 4,
Sprechstunde: Mittwoch 16 bis 17 Uhr,                                            Allgemeinärzte Dennis John Hülsberg
Donnerstag 10 bis 11 Uhr                                                         und Dr. Kai Ehrhardt
                                                                                 Jeden Mittwoch 10 - 13 Uhr

Alle Einrichtungen sind auf die Unterstützung durch Spenden angewiesen

2 8 | s chl e s wig - hol s t ein s ozi a l                                                          Hempe l s # 2 74 2/2 0 19
wie ich es sehe

                            Laut sagen, was man
                            braucht? Finde ich gut

                                                        von hans-uwe rehse

   »Wenn ich etwas brauche, bestelle ich es einfach beim Uni-        den Menschen zugewandt ist. Deshalb sprechen sie mit Gott
versum!« Eine interessante Bemerkung ist das. Ich habe sie im        und vertrauen darauf, dass sie gehört und verstanden werden.
Buch »Ich bin dann mal weg« von Hape Kerkeling gefunden.             Nicht alles, was im Gebet angesprochen wird, geht in Erfüllung.
Eine junge Frau erklärt, wie sie es schafft, den anstrengenden       Aber es hilft schon, wenn man sich jemandem anvertrauen
Jakobsweg immer weiter zu gehen ohne aufzugeben. Eine Be-            kann. Einen besonderen Platz hat dabei das Gebet für andere –
stellung beim Universum? Das macht neugierig. Hape Kerke-            gerade, wenn man merkt, dass man selber nur wenig tun kann.
ling versucht es auch mal damit – und er wundert sich, als es           Ich weiß nicht, was Sie vom Beten halten. Kann sein, dass es
klappt.                                                              Ihnen fremd bleibt. Aber vielleicht können Sie doch an andere
   Selbstverständlich ist das nicht. Schließlich bleibt offen, bei   Menschen denken und ihnen Gutes wünschen. Ich bin über-
wem man die Bestellung aufgibt. Und wer sorgt dafür, dass sie        zeugt:  Wo Menschen so eine Verbindung suchen und pflegen,
bearbeitet wird? Es klingt sehr geheimnisvoll. Aber: Es scheint      da entsteht eine tragende Kraft, die vieles verändert.
zu wirken! Ich habe es auch mal probiert, als ich lange auf je-
manden warten musste. Laut habe ich gesagt, was ich will –
und: Keine Minute später war die Wartezeit vorbei. Ich weiß:
das war nichts Großes und der Zufall wird mitgespielt haben.
Sicherlich kann man sich so auch nicht alle Wünsche erfüllen.
Trotzdem: Ich finde die Anregung gut. Laut zu sagen, was man
braucht – das ist wirklich hilfreich und notwendig. Manche tun                               Hans -Uwe Rehse is t Pas tor im
sich damit schwer. Sie mögen nicht zeigen, dass sie Hilfe brau-                              Ruhe s tand und war Ge schäf t s -
chen. Vielleicht haben sie auch schlechte Erfahrungen gemacht,                               führer der Vorwerk er Diakonie
und jetzt fehlt ihnen der Mut. Aber wenn man niemals was sagt,                               in Lübeck . SEINE KOLUMNE
dann bleibt man allein.                                                                      ERSCHEINT JEDEN MONAT
   Die Bestellungen ans Universum können deshalb eine gute
Sprechübung sein. Dass man was sagt, wenn man Unterstüt-
zung braucht. Zunächst probiert man es mit dem Universum.
Und dann spricht man mit den Menschen, die einem begegnen.
Wie gut, wenn das gelingt! Da kommt man in Kontakt. Und da
kann geholfen werden. Natürlich braucht es dazu auch Perso-
nen, die hören und sich ansprechen lassen. Wir sind dann ge-
fragt – nicht nur das Universum. Ich hoffe, dass wir dann auch
auf die Anrede reagieren.
   Übrigens: Das Universum muss kein anonymer Raum blei-
ben. Für religiöse Menschen ist es erfüllt von einer Kraft, die

He mpel s # 2 74 2/2 0 19                                                                             s chl e s wig - hol s t ein s ozi a l   | 29
anzeige

         HEMPELS-Jahreskalender 2019:
  Die Lieblingsorte unserer Leserinnen und Leser

Bei Ihren HEMPELS-Verkaufenden
können Sie neben dem jeweils aktuellen
Straßenmagazin auch den »HEMPELS-
Jahreskalender 2019« erwerben. Darin
zeigen wir Ihnen zwölf Lieblingsorte
unserer Leserinnen und Leser in
Schleswig-Holstein – außerdem erzählen
sie uns und Ihnen, warum dieser Ort so
besonders ist.
                                                                                                  och
                                                                                        Nur n
                                                                                                          are
Für unsere Jury war es keine leichte                                                     i g e E x e mp l
                                                                                     wen
                                                                                                      r
Aufgabe, aus vielen schönen Einsendungen                                                    f ür nu
zwölf Bilder auszuwählen. Doch nun ist
                                                                                              ur           o!
es vollbracht und der Kalender bei den                                                 2,20 E
Straßenverkaufenden Ihres Vertrauens
erhältlich. Süden wie Norden, Wasser
wie Wiese und viele andere spannende
Umgebungen werden vertreten sein: Es ist
ein Wandkalender geworden so bunt und
vielfältig wie das ganze Land.

                 Die restlichen »HEMPELS-Jahreskalender 2019« gibt es für jetzt 2,20 Euro
                                     bei Ihren Straßenverkaufenden.

30 | a nze ige                                                                               Hempe l s # 2 74 2/2 0 19
Rezept

    Erdnussnudeln aus einem Topf
    von Florian Wiemers

    Für 4 Personen:

    ·        350 g Spaghetti oder Bavette
    ·        140 g geröstete und
             gesalzene Erdnüsse
     ·       2 EL Erdnussbutter (»crunchy«)
    ·        4 Frühlingszwiebeln
    ·        4 Möhren
    ·        2 Paprika

                                                                                                                                              Foto: Pixabay
    ·        1 l Gemüsebrühe
    ·        1 EL Tamarindensauce oder
             rote Currypaste
    ·        1 EL Rohrzucker
    ·        50 ml Sojasauce
    ·        4 Knoblauchzehen
    ·        etwas Ingwer

                                                  Nach 25 Jahren als Altenpfleger und einem Studium der Sozialen Arbeit
                                                  absolviert Florian Wiemers derzeit sein Anerkennungsjahr zum Sozialarbei-
                                                  ter bei HEMPELS in Kiel. Der 45-Jährige ist vierfacher Vater und »zu Hause
                                      r Wer ner

                                                  der Koch«. Florian liebt Gerichte, die in nur einem Topf zubereitet werden;
                                                  sogenannte One-Pot-Gerichte. »Die sind einfach zuzubereiten und trotzdem
                                   Foto: Pete

                                                  lecker. Ich konnte mit einem One-Pot-Gericht sogar meine Mutter überzeu-
                                                  gen – und die kocht sonst eher old school«, sagt Florian.

                                                  Frühlingszwiebeln, Möhren, Paprika, Knoblauch und Ingwer in kleine Stücke
                                                  schneiden. Dann alle Zutaten zusammen in einem großen Topf zum Kochen
                                                  bringen. Anschließend ohne Deckel rund 10 Minuten köcheln lassen, bis die
                                                  Nudeln bissfest sind. Dabei regelmäßig umrühren – fertig! Zum Gericht pas-
                                                  sen außerdem Kokosmilch oder Chiliflocken. Florians Tipp: Vor dem Servie-
                                                  ren noch etwas Limettensaft hinzufügen.

                                                  				                                  Florian Wiemers wünscht guten Appetit!

He mpel s # 2 74 2/2 0 19                                                                                                   re ze p t | 3 1
Tipps
                Zugehört                                   Durchgelesen                                 Angeschaut

                »Time«                                     »Bienen und Menschen«                        »Astrid«
                Pamela Méndez                              Olaf Nils Dube                               Pernille Fischer Christensen

   Die Schweiz gilt erst einmal nicht als        Was tun, wenn man vom einfachen,             Wer kennt und liebt sie nicht, die
Herkunftsland der musikalischen Pop-          von einem anderen Leben träumt, wäh-        Geschichten von Astrid Lindgren über
Kultur. Fernab der Show-Bombastik             rend einen die Last des Karrieremachens     Kalle Blomquist, Michel und, natürlich,
eines DJ Bobo gibt es immer mehr im           und Geldverdienens beinahe erdrückt? In     Pippi? Das Geheimnis über ihren un-
Schweizer Musikkosmos zu entdecken.           einer falschen Version der eigenen Exis-    ehelichen Sohn Lasse hat sie jedoch erst
So machte in den letzten Jahren die           tenz zu stecken - dieses Gefühl wurde in    mit 70 Jahren gelüftet, der Film »Astrid«
wunderbare Sophie Hunger mit schlau-          Olaf Nils Dube jahrelang immer stärker.     ist inspiriert von diesen Ereignissen.
em Elektropop von sich reden oder der         Als er Mitte Dreißig wurde, nahm er             Mit 16 Jahren beginnt Lindgren ein
Chansonnier Stephan Eicher. Ein weite-        seinen Mut zusammen und schmiss sei-        Volontariat in der Zeitung ihrer klei-
rer Name, den man sich merken sollte, ist     nen verantwortungsvollen Posten in der      nen Heimatstadt Wimmerby. Ein Jahr
Pamela Méndez. Die Musikerin ist aus-         Schlips- und Kragen-Welt hin. Er zog        später fängt sie ein Verhältnis mit dem
gebildete Jazzsängerin und veröffentlicht     mit seiner Frau und den Kindern von der     Chefredakteur Blomberg an und wird
im Februar ihr zweites Album »Time«.          Etagenwohnung im Prenzlauer Berg in         schwanger. Blomberg ist jedoch ver-
   Acht Jahre hat sie nach ihrem Debüt        einen Zirkuswagen im Berliner Umland.       heiratet. Ein Skandal droht in dieser
gebraucht, um die Songs für den Nach-         Er begann mit der Imkerei, wie übrigens     puritanischen Zeit (1926), und da eine
folger auszuwählen. Diese – teilweise         immer mehr jüngere Leute. Damals be-        Abtreibung nicht in Frage kommt, wird
vor Jahren geschrieben – hat sie immer        kam er von allen Seiten zu hören: »Da-      Lindgren zur Sekretärinnenausbildung
wieder geprüft, live getestet, dann erst      von kann man doch nicht leben!«             nach Stockholm geschickt. Doch als sie
für albumtauglich befunden. Kennzei-             Doch genau das gelang Dube. Denn         erfährt, dass der Kindsvater nicht be-
chen ihres Art-Pop ist die Power-Stim-        die sind, nach zehn Millionen Jahren        kannt werden darf, muss sie das Kind
me. Dabei liefert sie nicht die üblichen      Evolutionsgeschichte, schließlich eben-     in Kopenhagen zur Welt bringen, da sie
oktavreichen Soul-Balladen, sondern           falls echte Überlebenskünstler. In seinem   nur dort den Behörden Lasses Vater ver-
eigenwillige Kompositionen. Will man          Buch erzählt Dube, was er von ihnen ler-    schweigen darf. Drei Jahre lang bleibt
beim ersten Hören die Schublade »sou-         nen konnte, worauf es beim Imkern an-       ihr Kind in Dänemark bei einer Pflege-
liger Jazz« öffnen, muss man diese beim       kommt, was es mit dem Bienensterben         mutter. Nachdem ihre Ausbildung be-
zweiten Track »Start« zuknallen. Auf          auf sich hat und warum Bienenstöcke         endet, ihre Verhältnisse geklärt und die
einmal kommen nämlich zum Jazz pop-           wahre Schatztruhen sind. Vor allem aber     Trennung von Blomberg vollzogen ist,
pige Retro-Synthiesounds dazu. Im An-         beschreibt er die berührende Geschichte     kann sie endlich Lasse zu sich holen.
spieltipp »Irène Island« findet sich alles,   unserer jahrtausendealten Freundschaft          Hier endet der Film, was sehr schade
was Pamela Méndez’ Musik ausmacht:            zu einer Art, die uns Menschen noch         ist, denn Alba August spielt die Haupt-
starke Stimme, Groove, tanzbarer Pop          nie brauchte, während wir ohne sie zu-      rolle begeisternd. Wenn sie lacht, geht
und etwas schräge Klangwelten. Dabei          grunde gehen würden. Und das in einer       die Sonne auf, wenn sie traurig ist,
ist Pamela Méndez Vollblut-Künstlerin:        angenehm klaren Sprache: »Das Wun-          möchte man weinen. Oder mit ihr zu-
Sie dekonstruiert in ihren Texten Gesell-     derbare am Bienenhalten? Es ist keine       sammen lauthals schreien, wenn es mal
schaftliches, arbeitete immer wieder mit      Ersatzbefriedigung wie Shoppen oder         wieder so gar nicht läuft. Begleitet von
Tänzern und Performance-Künstlern             Torte zu essen, sondern hilft ganz di-      schöner Klaviermusik macht es einfach
zusammen und ließ sich zur Stimmphy-          rekt und einfach. Das Imkern bringt den     Spaß, sich vorzustellen, dass Astrid
siologin weiterbilden. Wer sich ihren Na-     Menschen zurück in die Kreisläufe und       Lindgren so zu einer der erfolgreichsten
men jetzt abspeichert, darf sich auf eine     Zusammenhänge der Natur.                    Schriftstellerinnen der Welt wurde.
interessante Reise im Musik-Business
freuen. Von der Schweiz in die Welt!

                Musiktipp                                 buchtipp                                    Filmtipp
                von Michaela Drenovakovic                 von Ulrike Fetköter                         von Oliver Zemke

3 2 | t ipp s                                                                                                  Hempe l s # 2 74 2/2 0 19
Sie können auch lesen