Steuern in der Schweiz - Informationen für die Lehrperson

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Steuern in der Schweiz - Informationen für die Lehrperson
Fallstudie

Informationen für die Lehrperson

Steuern in der Schweiz
Druck von innen (Gerechtigkeitsinitiative)
und aussen (Steuerharmonisierung EU, OECD)
Prof. Dr. Roland Waibel
Grundüberlegungen

Das Thema Steuern fristet in den Lehrplänen auf der Sekundarstufe II ein Mauerblümchendasein, ganz im
Gegensatz zum praktischen Leben, wo es Individuen wie Gemeinwesen stark betrifft. Hintergrund der vor-
liegenden Fallstudie ist das Ziel, aus aktuellem Anlass das Thema Steuern breiter und vernetzter zu behan-
deln. Konkrete Anknüpfungspunkte sind die seitens der SP 2008 eingereichte Volksinitiative «Für faire Steu-
ern. Stopp dem Missbrauch beim Steuerwettbewerb (Steuergerechtigkeits-Initiative)» intern sowie der per-
manente Druck auf die Schweizer Steuerpolitik von extern (EU, OECD, USA usw.). Die Initiative wurde im
Herbst 2009 vom Ständerat behandelt, die Behandlung durch den Nationalrat steht aktuell (Frühsommer
2010) noch aus. Zur Volksabstimmung wird die Initiative frühestens Herbst 2010, wahrscheinlicher aber
2011 gelangen. Die Fallstudie greift die Initiative auf, will aber die zentralen Konzepte «Wirkung des Steu-
erwettbewerbs» sowie «Steuerharmonisierung» durch Einbezug der europäischen Dimension noch breiter
verankern. Da das Steuerthema ein komplexes Gebiet darstellt und die Lernenden in aller Regel wenig Vor-
wissen und emotionalen Bezug haben, ist eine Hinführung und ein persönlicher Einbezug in die Thematik
sehr wichtig. Dies wird über die Module A und B angestrebt.
   Dem Fall liegen die folgenden weiteren Überlegungen zu Grunde:
• Anknüpfungspunkt sind nicht primär die Lehrpläne von Gymnasien, Handelsmittelschulen und kauf-
   männischer Berufsausbildung, weil diese i.d.R. wenig zum Thema «Steuern» vorsehen. Im Wirtschafts-
   gymnasium werden Steuern häufig als Inhalte genannt (z.B. sind Steuern Lerninhalte der dritten/vierten
   Klasse in Wirtschaft und Recht des Lehrplans der Kantonsschule Büelrain Winterthur), oft werden dabei
   die Themen «Steuererklärung» und «Steuerbelastung anhand unterschiedlicher Voraussetzungen» prä-
   zisiert (z.B. Lehrplan der HMSplus der Kantonsschule Hottingen Zürich, Enge Zürich, Büelrain Winter-
   thur). Insgesamt messen die Lehrpläne der Sekundarstufe II der Steuerthematik wenig Gewicht bei. Die
   geplante Fallstudie knüpft hier an den herkömmlichen Lehrplänen an, geht danach aber deutlich über
   die genannten Themen hinaus.
• Modularer Aufbau (je nach Zeitumfang und Fach können mehr oder weniger Fallbestandteile bearbei-
   tet werden).
• Zentrale pädagogische Absichten:
   – Vertieftes Verständnis und Reflexion des die Steuerprogression begründenden Grundsatzes der Be-
       steuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (so verankert in Art. 127 Abs. 2 der Bundes-
       verfassung).
   – Einsicht, dass Gerechtigkeit ein normatives Konstrukt ist und nicht objektiviert werden kann.
   – Vernetztes Verständnis der Wirkungsweise von Steuerwettbewerb bzw. des Mangels an Wettbewerb
       (Harmonisierung).
   – Verständnis der kritischen Punkte der Gerechtigkeitsinitiative.
   – Einsicht in das Bestreben der EU, den europäischen Steuerwettbewerb zu mildern und als «Steuer-
       oasen» wahrgenommene Länder wie die Schweiz stärker unter Druck zu setzen. Ableiten von mög-
       lichen Handlungsstrategien für die Schweiz.
• Aufbau auf relevanten Informationsgrundlagen, wie z.B.: Dokumente des Finanzdepartements EFD,
   Homepage der SP www.steuer-gerechtigkeit.ch, Steuertariflisten von Kantonen und Gemeinden, um-
   fangreiche Datenmaterialien des Kantons Zürich, Dossier Schweizer Fernsehen SF «Schweiz am Steuer-
   pranger» mit vielen Fernsehausschnitten usw.

Lernziele

Es sind keine mit der Fallstudie korrespondierenden Lernziele in den gängigen Lehrplänen vorhanden.

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Zu fördernde Kompetenzen

Primäre, mit dem Fall zu fördernde Kompetenzen sind:
• Fachkompetenzen: Fähigkeit zur kognitiven Verarbeitung des Wissens rund um die oben genannten In-
   halte und Konzepte
• Methodenkompetenzen: vernetztes Denken (Grundkreislauf der Wirkung von Steuerwettbewerb und
   Modell-Anreicherungen), analytisches Denken (Anwendung des Modells auf die konkrete Situation
   zweier Gemeinden, Aufarbeitung der vielfältigen Informationsquellen, insbesondere der Steuerdaten),
   konzeptionelles Denken (Modell des Steuerwettbewerbs in seiner dynamischen Wirkung)
• Sozialkompetenzen: Kommunikationsfähigkeiten (Rollenspiel)

Vertiefende Hintergrundinformationen

In der Fallstudie sind sehr viele Internetquellen angegeben, welche auf relevante und teils auch vertiefen-
de Informationen hinweisen. Bei der Auswahl der Quellen wurde nebst Gehalt vor allem auch auf eine zu-
verlässige Verfügbarkeit und Aktualisierung geachtet. Ein Ziel war ausserdem, «attraktive» Video-Aus-
schnitte für eine interessante Wissensaufbereitung zu integrieren.

Lösungen (kursiv)

1. Intuitiv und aus dem Bauch heraus: Wie viel gesamte Einkommenssteuer (Bund, Kanton, Gemeinde
   und Kirche) erachten Sie als angemessen für einen Jahreslohn von CHF 50‘000? Wieviel sollte jemand
   Einkommenssteuer bezahlen, der CHF 250‘000 verdient? Nennen Sie je eine konkrete Zahl in Franken.
   Individuelle Antworten

2. Diskutieren Sie mit Ihrem Nachbarn bzw. in der Klasse: Welche Beträge wurden genannt? Welche
   Überlegungen stecken hinter diesen Zahlen? Auf welche Kriterien sollte sich eine «gerechte» Steuer-
   bemessung abstützen?
   Individuelle Antworten

3. In der Schweizerischen Bundesverfassung werden in Artikel 127 die Grundsätze der Besteuerung ge-
   nannt. Die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichmässigkeit der Besteuerung besagen, dass grund-
   sätzlich jede Person Steuern zahlen muss und keine Privilegien geschaffen werden dürfen. Bei der Be-
   steuerung nach dem Grundsatz der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit geht es darum, nicht alle Per-
   sonen gleich zu behandeln, sondern jene stärker zu belasten, die mehr verdienen («Ungleiche ungleich
   behandeln»). Entsprechen diese Grundsätze Ihren Überlegungen unter Aufgabe 2. zu einer «gerech-
   ten» Steuerbemessung?
   Individuelle Antworten

4. Der Grundsatz der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verlangt, dass Personen, die mehr verdienen,
   mehr Steuern bezahlen sollen. Wie würden Sie dies hinsichtlich der konkreten prozentualen Ausge-
   staltung der Steuersätze umsetzen: Sollen beispielsweise alle Personen einem gleichen (proportiona-
   len) Einkommenssteuersatz unterliegen (z.B. 12% vom Einkommen) oder sollen jene, die mehr Ein-
   kommen haben, einen höheren Prozentsatz bezahlen (z.B. tiefere Einkommen 10%, höhere Einkom-
   men 20% vom Einkommen)?
   Individuelle Antworten

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5. Berechnen Sie die Bundessteuer sowie die kantonale Einkommenssteuer für ein Einkommen von CHF
   50‘000 sowie CHF 250‘000 (Annahme: einzelne Person, evangelische Konfession) in Ihrer Gemeinde
   in CHF und in %. Alternativ zu Ihrer Gemeinde können Sie auch die Steuerbelastung in den Zürcher
   Gemeinden mit dem höchsten und tiefsten Steuerfuss (2010: Knonau und Zumikon) berechnen.

Knonau (gesamter Steuerfuss 2010: 236%)

                                        Bundessteuer                   Staatssteuer    Total Einkommenssteuer

   Einkommen CHF 50‘000                CHF 496 (1%)               CHF 5185 (10.4%)        CHF 5681 (11.4%)

   Einkommen CHF 250‘000             CHF 20‘888 (8.4%)           CHF 55‘878 (22.4%)      CHF 76‘766 (30.7%)

Zumikon (gesamter Steuerfuss 2010: 182%)

                                        Bundessteuer                   Staatssteuer    Total Einkommenssteuer

   Einkommen CHF 50‘000                CHF 496 (1%)                CHF 3999 (8.0%)        CHF 4495 (9.0%)

   Einkommen CHF 250‘000             CHF 20‘888 (8.4%)           CHF 43‘092 (17.2%)      CHF 63‘980 (25.6%)

6. Vergleichen Sie die Ergebnisse mit Ihren Aussagen unter 4.: Welches Prinzip wird umgesetzt? Erken-
   nen Sie Unterschiede zwischen der Steuerbelastung bei der Bundessteuer und der kantonalen Staats-
   steuer?
   Es besteht kein proportionaler Steuersatz, höhere Einkommen werden mit einem höheren Prozentsatz
   besteuert. Diese Progression ist bei der Bundessteuer sehr ausgeprägt, weshalb diese den Charakter
   einer Reichtumssteuer hat.

7. Wurde der verfassungsmässige Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähig-
   keit Ihrer Meinung nach umgesetzt? Finden Sie die Besteuerung gerecht oder haben Sie eine andere
   Vorstellung? Begründen Sie.
   Die individuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hängt als Mass für die Steuerlast von der wirtschaft-
   lichen Position des Steuerzahlers ab. Hier wird unterschieden zwischen:
   • Horizontaler Steuergerechtigkeit: Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit sind auch gleich
       hoch zu besteuern.
   • Vertikaler Steuergerechtigkeit: Steuerpflichtige mit ungleicher Leistungsfähigkeit müssen auch un-
       terschiedlich besteuert werden.

    M.a.W. gilt es, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Bei der Besteuerung nach dem
    Grundsatz der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit geht es darum, nicht alle Rechtssubjekte schema-
    tisch gleich zu behandeln, sondern jene stärker zu belasten, deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
    höher ist. Überwiegend wird von Experten die Meinung vertreten, dass dieser Grundsatz im Einkom-
    menssteuerrecht nach progressiven Steuersätzen rufe. Doch ist auch eine abweichende Meinung (z.B.
    vom berühmten deutschen Steuerrechtler Tipke) zu verzeichnen, welche davon ausgeht, der progres-
    sive Tarif sei nicht Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzips, sondern des Sozialstaatsprinzips. Die gleich-
    mässige Anwendung des Leistungsfähigkeitsprinzips führe zur proportionalen und nicht zur progres-
    siven Besteuerung1.

1 Quelle: http://www.vpb.admin.ch/deutsch/doc/51/51.61.html#_number0

Seite 4                                                                                   Jugend und Wirtschaft
Nach gültiger Rechtssprechung des Schweizerischen Bundesgerichts entsprechen also progressive und
     proportionale Steuertarife dem Grundsatz von Art. 127 Abs. 2 BV, nicht aber degressive Steuertarife
     (d.h. besser Verdienende zahlen absolut mehr Steuern als weniger gut Verdienende, prozentual aller-
     dings zu geringeren Sätzen). Bei der Bemessung der Bundessteuer wie der Zürcher Staatssteuer liegen
     progressive Sätze vor. Im Sinne der bisherigen Rechtssprechung sind diese in Übereinstimmung mit
     dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
     Nur individuell zu beantworten ist die Frage nach der Gerechtigkeit von progressiven Systemen. Das
     nachfolgende Beispiel3 von Gerhard Schwarz, langjähriger Wirtschaftschef der NZZ, zeigt auf, dass es
     auch kritische Stimmen gibt:

     «Rechtsanwalt Meier ist dreissig Jahre alt, arbeitet viel und kommt, so nehmen wir einmal an, auf ein
     Bruttoeinkommen von 200’000 Fr. im Jahr. Darauf zahlt er als Verheirateter mit Wohnsitz in der Stadt
     Zürich nach allen Abzügen nicht ganz 40’000 Fr. Steuern. Sein Berufskollege Müller ist gleich alt und
     hat das Studium ebenso brillant abgeschlossen wie Meier. Er könnte es ihm in jeder Hinsicht gleichtun,
     hat aber andere Präferenzen. Als begeisterter Segler will er genug Zeit für sein Hobby zur Verfügung
     haben. Er beschliesst, nur 50% zu arbeiten, und verdient daher 100’000 Fr. Der Staat belohnt dies, in-
     dem er ihm nicht, wie Meier, fast 20% des Einkommens an Steuern abverlangt, sondern 10%. Er
     schenkt Herrn Müller mit andern Worten jährlich 10’000 Fr. dafür, dass er nicht so viel arbeitet, seine
     Talente nicht nachfragegerecht einsetzt, sein Studium nicht in dem Ausmass «amortisiert», wie es mög-
     lich wäre. Sein Einkommen nach Steuern liegt bei 90’000 Fr., das des ambitionierteren Meier bei
     160’000 Fr. Müller verdient unter dem Strich mehr als die Hälfte von Meier, obwohl er nur halb so viel
     arbeitet.»

8. Hauptpunkt der steuerpolitischen Diskussion bildet das Ringen um Steuergerechtigkeit, z.B. die «ge-
   rechte» Besteuerung von Arm und Reich. Was meinen Sie: Lässt sich «Steuergerechtigkeit» präzise de-
   finieren? Begründen Sie.
   «Steuergerechtigkeit» ist wie die konkrete Ausprägung «Leistungsfähigkeit» nur normativ zu bestim-
   men und kann wissenschaftlich nicht präzise gefasst werden. Schon Gustav Schmoller, der Gründer
   des Vereins für Socialpolitik, warnte vor 150 Jahren vor dessen Hohlheit: «Die Leistungsfähigkeit ist ein
   leerer Begriff, mit dem man ohne näheren Inhalt nichts machen kann, man mag ihn drehen und wen-
   den, wie man will.» Charles B. Blankart, Professor für Finanzwissenschaft an der Berliner Humboldt-
   Universität mit Schweizer Pass, kommt in seinem mehrfach aufgelegten Standardwerk «Öffentliche
   Finanzen in der Demokratie» zum Schluss, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip jedwede Steuerstruktur
   zulasse: «Sie kann progressiv, regressiv oder proportional sein.»4 Ob dies als gerecht empfunden wird,
   ist letztlich nur subjektiv bestimmbar.

9. Weshalb ist es grundsätzlich wichtig, dass möglichst viele Bürger eines Gemeinwesens (Gemeinde,
   Kanton, Land) die Steuerordnung als möglichst «gerecht» empfinden?
   Voraussetzung für eine breite Akzeptanz ist, dass die Verteilung der Steuerlast von vielen als gerecht
   empfunden wird. Wenn Bürger ein Steuersystem als stossend und ungerecht empfinden, wehren sie
   sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten dagegen. Dazu gehören beispielsweise Handlungen wie Steuer-
   vermeidung (wenn z.B. wegen hohen Steuersätzen weniger gearbeitet wird), Steuerhinterziehung und
   -betrug oder Abwanderung. Ein Gemeinwesen ist interessiert daran, die Quote solcher Aktivitäten so
   gering wie möglich zu halten, weil dadurch das Steueraufkommen geschmälert wird.

2 Die Bundesrichter haben 2007 die Beschwerden gegen die Obwaldner Regelung gutgeheissen, die von den Stimmberechtigten
  2005 mit 86 Prozent Ja-Stimmen angenommen wurde. Nach Auffassung des Gerichts widersprechen degressive Steuern dem
  Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Obwalden führte daraufhin 2008 eine proportionale Steuer
  ein (flat rate tax) mit einem einheitlichen Steuersatz von 12.6% auf dem Einkommen.
3 Quelle: http://www.hayek.de/der-zwischenruf/81-von-der-ungerechtigkeit-des-leistungsfaehigkeitsprinzips
4 Quelle:http://www.hayek.de/der-zwischenruf/81-von-der-ungerechtigkeit-des-leistungsfaehigkeitsprinzips

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10. Lernen Sie die beiden Gemeinden im Kanton Zürich mit dem aktuell (2010) höchsten und tiefsten Steu-
    erfuss, Knonau und Zumikon, besser kennen. Sie können dazu auf der Gemeindekarte des Kantons
    verschiedene Kriterien eingeben und die Daten der beiden Gemeinden abrufen. Zu Ihrer Information:
    Zumikon findet sich oberhalb des nördlichen Ufers des Zürichsees, Knonau ganz im Südwesten des
    Kantons. Die beiden Gemeinden werden uns in den kommenden Aufgaben weiter begleiten.
    Individuelles Entdecken

11. Steuern sind ein wesentlicher Faktor für die Frage des Wohnsitzes und bestimmen (nebst anderen) die
    Standortattraktivität für Personen, aber auch Unternehmen. Auf dem «Lokalisator» können für das
    ganze Kantonsgebiet Zürich entsprechend von Wunschkriterien geeignete Gebiete ermittelt werden
    (grün = günstig, gelb = neutral, rot = ungünstig). Aufgrund der subjektiven Gewichtung einer Vielzahl
    von Standortfaktoren lässt sich eine persönliche Standortgunstkarte des besiedelten Gebiets im Kan-
    ton Zürich ermitteln. Geben Sie aus Sicht einer Familie mit Kindern (mit den Basis-Zielwerten bei «Kin-
    der bis 6 Jahre» sowie «Kinder 7 bis 15 Jahre» von mind. +20) tiefe Zielwerte (-100) für das Kriterium
    «Steuerfuss» ein und beobachten Sie, welche Ergebnisse sich für das Gemeindegebiet von Zumikon
    und Knonau ergeben. Geben Sie alternativ ebenfalls tiefe Zielwerte ein für die Kriterien «Bodenprei-
    se» und «Wohnungsmieten» und interpretieren Sie die Ergebnisse wiederum für die beiden Gemein-
    den im Blickfeld. Erkennen Sie einen Zusammenhang zwischen den genannten Kriterien?
    Zumikon weist sehr gute Werte (grün) für das Kriterium «Steuerfuss» auf, Knonau ist im eher ungüns-
    tigen orangen Bereich. Umgekehrt sieht es für die Kriterien Bodenpreise» und «Wohnungsmieten» aus:
    hellgrün bei Knonau, rot bei Zumikon.
    Zusammenhang: Tiefe Steuern ziehen finanzkräftige Personen an, welche für gute Lagen hohe Preise
    zu zahlen bereit sind, so dass die Boden- und Mietpreise steigen. Auf der anderen Seite weisen Ge-
    meinden mit hohen Steuerfüssen oft tiefe Boden- und Mietpreise auf.

12. Wie verwenden Gemeinden ihre Steuererträge im herrschenden Steuerwettbewerb? Gemeinden wis-
    sen, dass sie im Attraktivitätswettbewerb zu anderen Gemeinden sind und Gemeindemitglieder ge-
    winnen oder verlieren können.
    Das nachfolgende Netzwerk zeigt den zentralen Kreislauf mit den Zusammenhängen zwischen Steu-
    erniveau und Standortattraktivität auf. Das einfache Modell zur Wirkung von Steuerwettbewerb blen-
    det die Wirkung weiterer Standortfaktoren aus und beleuchtet nur den Einfluss des Faktors «Steuer-
    niveau» (entspricht dem Steuerfuss).
    Bestimmen Sie für jeden Pfeil, ob der dargestellte Zusammenhang gleichgerichtet (je grösser, desto
    grösser oder je kleiner, desto kleiner) ist und damit ein + oder entgegengesetzt (je grösser, desto klei-
    ner oder je kleiner, desto grösser) und damit ein -. Multiplizieren Sie die vier eingesetzten Vorzeichen
    miteinander: Sofern sich ein + ergibt, ist der zentrale Kreislauf ein «Motor» und damit selbstverstär-
    kend, bei einem – ein Stabilisator. Tragen Sie das Vorzeichen im Kreis in der Mitte ein.

    Der Zusammenhang zwischen Steuerertrag und Steuerniveau ist nicht zwingend ein entgegengesetz-
    ter, in der Praxis aber sehr plausibel: Gemeinden mit hohen Steuererträgen setzen diese im Steuerwett-
    bewerb dazu ein, die Steuerfüsse zu senken, um ihre Attraktivität weiter zu steigern.

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13. Denken Sie die Funktionsweise des Netzwerkes durch, indem Sie die Wirkungen von Steuerwettbe-
    werb in mehreren Kreisläufen abschätzen: Wie wird sich das Steuerniveau sowie die Standortattrakti-
    vität im Laufe der Zeit entwickeln? Welche Folgerungen ziehen Sie daraus für eine finanzschwache so-
    wie eine finanzstarke Gemeinde (d.h. mit tiefen bzw. hohen Steuererträgen)?
    Der dargestellte Motor ist ein sehr mächtiger Selbstverstärker: bei tiefem Steuerniveau werden sich
    über die Zeit eine höhere Attraktivität und durch Zuwanderung finanzkräftiger Steuerzahler eine wei-
    tere Senkung der Steuerfüsse ergeben (Engelskreis). Eine Gemeinde mit geringem Steuerertrag und
    hohen Steuerfüssen wird an Attraktivität und Einwohnern verlieren und gezwungen sein, die Steuern
    weiterhin zu erhöhen (Teufelskreis).

14. Lassen sich die Modellzusammenhänge für Knonau und Zumikon bestätigen? Ergänzen Sie die nach-
    folgende Tabelle mit den gesammelten Daten zur Steuersituation.

   Steuerdaten                               Zumikon                                   Knonau
                                     1990               aktuell               1990                aktuell

   Steuerfuss Gemeinde
   in % (nat. Person,
   evangelisch)                      94%              82% (2010)              126%             136% (2010)

   Anzahl Einwohner8                 2746             3263 (2008)              573              1122 (2008)

   Durchschnittliches
   Reineinkommen pro
   Person in CHF                   115‘029           143‘125 (2008)          46‘081            52‘494 (2008)

   Steuerkraft pro
   Einwohner in CHF                  6111            12‘599 (2008)            1433              1850 (2008)

    Welche der im Modell mit Pfeilen postulierten Zusammenhänge lassen sich für die Daten von Zumi-
    kon, welche für die Daten von Knonau bestätigen? Haben Sie eine Erklärung für jene Modellzusam-
    menhänge, die von den Daten nicht gestützt werden?
    Für Zumikon lassen sich alle im positiven Sinne selbstverstärkenden Modellvoraussagen bestätigen:
    Zwischen 1990 und 2010 (bzw. 2008) haben die Steuerniveaus (Steuerfüsse) abgenommen, und die-
    se erhöhte Attraktivität hat sich in zusätzlichen, finanzstarken Einwohnern (vgl. Entwicklung Reinein-
    kommen) sowie einem deutlich höheren Steuerertrag (vgl. mehr als verdoppelte Steuerkraft) nieder-
    geschlagen.
    Im Falle von Knonau zeigt sich, wie vom Modell postuliert, eine negative selbstverstärkende Wirkung
    hinsichtlich Steuerniveau: der Steuerfuss hat über die zwei Jahrzehnte zugenommen. Nicht bestätigt
    werden kann eine negative Zuwanderung und tiefere Steuererträge, auch wenn die Steuerkraft deut-
    lich weniger zugenommen hat als bei Zumikon.
    Erklärung: Offensichtlich wird die Zuwanderung bzw. Attraktivität nicht nur durch das Steuerniveau
    beeinflusst (wie z.B. die weiteren Kriterien im Lokalisator zeigen). Plausibel ist beispielsweise, dass Kno-
    nau tiefe Boden- und Mietpreise aufweist und eine Zuwanderung durch Personen stattfindet, welche
    dies höher als das Steuerniveau gewichten. Das oben postulierte Modell scheint hinsichtlich Zuwande-
    rung primär für sehr finanzkräftige Personen gültig zu sein. Dies zeigt sich stark in der unterschiedli-
    chen Entwicklung der Steuerkraft zwischen den beiden Gemeinden.

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15. Ziehen Sie ein Fazit, insbesondere gestützt auf die Zahlen zur Steuerkraft: Wie stark wirkt der Steuer-
    wettbewerb zwischen Gemeinden? Konkret: Was kann eine gut positionierte Gemeinde mit hohen
    Steuererträgen und tiefen Steuersätzen für die Zukunft erwarten? Wie sieht der Ausblick für eine Ge-
    meinde mit tiefen Steuererträgen und hohen Steuersätzen aus?
    Der Steuerwettbewerb wirkt sehr stark selbstverstärkend, wie die Zahlen zur Steuerkraft z.B. von Zu-
    mikon zeigen. Zumikon konnte in zwei Jahrzehnten die Steuerkraft pro Person mehr als verdoppeln,
    während der Anstieg bei Knonau bescheiden ausfiel. Eine gut positionierte Gemeinde blickt in eine ro-
    sige Zukunft: der Engelskreislauf wird es ihr fast sicher ermöglichen, die eigene Position im Wettbe-
    werb weiter zu verbessern. Sehr viel schwieriger sieht es für eine finanzschwächere Gemeinde aus: Sie
    wird von finanzkräftigen Personen gemieden und wird aufgrund des geringen Steuerertrags kaum die
    Steuern im Wettbewerb senken können. Über die Zeit dürfte sie im Vergleich mit den stärkeren Ge-
    meinden zunehmend mehr ins Hintertreffen geraten (Teufelskreis). Sofern nicht das Glück eines finanz-
    starken Zuzugs ihr hier Spielraum bietet, kann sie aus eigener Kraft kaum etwas dagegen unterneh-
    men.

16. Da der Steuerwettbewerb so stark spielt, besteht auf kommunaler und kantonaler Ebene das Instru-
    ment des Finanzausgleichs5. Mit dem Finanzausgleich werden starke Gemeinden zur Kasse gebeten.
    Deren Beiträge kommen den finanzschwachen Gemeinden zugute. Teils bekommen diese mehr aus
    dem Finanzausgleich als sie selber Steuererträge erhalten. Mit diesem Instrument wird das Ziel verfolgt,
    dass die Steuerschere sich nicht laufend weiter öffnet und starke Gemeinden immer tiefere Steuersät-
    ze, schwache immer höhere Steuerfüsse ausweisen (müssen).
    Ergänzen Sie die folgende Tabelle zur Steuerkraft vor und nach Finanzausgleich. Welche Schlussfolge-
    rungen ziehen Sie zur Bedeutung des Finanzausgleichs für den Steuerwettbewerb?

   Steuerdaten                                       Zumikon                                         Knonau
                                           1990                  aktuell                   1990                  aktuell

   Steuerkraft pro
   Einwohner in CHF6                       6111               12‘599 (2008)                1433               1850 (2008)

   Berichtigte Steuerkraft
   pro Einwohner in CHF7
   (nach Finanzausgleich)                  3104                5664 (2008)                 1738               2786 (2008)

     Schlussfolgerung: Der Finanzausgleich führt zu einer starken Umverteilung der Steuererträge: In Zumi-
     kon wird die Steuerkraft fast halbiert, in Knonau fast verdoppelt. Dennoch ist die Steuerkraft auch nach
     Umverteilung in Zumikon immer noch doppelt so hoch wie in Knonau. Ohne Finanzausgleich würde
     der Steuerwettbewerb so selbstverstärkend wirken, dass schwächere Gemeinden bald keine Zukunft
     mehr hätten.
     Eine Studie des Statistischen Amtes des Kantons Zürich8 über die letzten dreissig Jahre kommt zu fol-
     gender Schlussfolgerung:

     «Die Steuerkraft ist in den letzten dreissig Jahren deutlich angestiegen. Dabei gibt es beträchtliche Un-
     terschiede zwischen den einzelnen Zürcher Gemeinden. Die vorliegende Studie untersucht, wie sich

5 Das Zürcher Gesetz zum Finanzausgleich findet sich unter:
  http://www.statistik.zh.ch/themen/18/steuern/gemeindesteuern.php (Finanzausgleichsgesetz; vgl. dort insbesondere die Artikel 8-
  11)
6 Quelle: http://www.statistik.zh.ch/themen/18/steuern/gemeindesteuern.php (Steuerkraft, Nettosteuerertrag zu 100%)
7 Quelle: http://www.statistik.zh.ch/themen/18/steuern/gemeindesteuern.php (Berichtigte Steuerkraft, nach Finanzausgleich)
8 Quelle: Perrez, J. (2010). Die Entwicklung der Steuerkraft in den Zürcher Gemeinden. Statistik.Info 06/10.

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die Verteilung der Steuerkraft über die Zeit entwickelt hat. In einem konzeptuellen Teil werden Masse
     für Ungleichheit diskutiert. Die daran anschliessende Analyse zeigt, dass die Pro-Kop-Steuerkraft der
     besonders finanzstarken Gemeinden seit Mitte der 1990er-Jahre überdurchschnittlich angestiegen ist.
     Der Anteil dieser Gemeinden an der gesamten kantonalen Steuerkraft hat sich daher erhöht. Die Grup-
     pe der Gemeinden mit der tiefsten Pro-Kopf-Steuerkraft konnte ihren Anteil halten. Der mittelfristige
     Trend einer Zunahme der Ungleichheit bleibt bestehen, wenn der Einfluss der konjunkturellen Entwick-
     lung berücksichtigt wird. Eine statistische Analyse der Positionen der einzelnen Gemeinden zeigt zu-
     dem, dass die Gruppe der steuerkräftigsten über die Zeit relativ homogen geblieben ist.»

17. Wie würde sich wohl das Steuerniveau der Gemeinden und Kantone ohne Steuerwettbewerb entwi-
    ckeln, d.h. wenn alle den gleichen Steuerfuss hätten? Begründen Sie Ihre Antwort.
    Ohne Steuerwettbewerb würde das starke Argument der Abwanderung des Bürgers fehlen. Dadurch,
    dass der Staat Steuern einfordern kann und die Bürger «Zwangskunden» sind, kann ein Gemeinwe-
    sen als Monopolist sein Steueraufkommen maximieren9. Es würde also ein wirksames Korrektiv gegen
    höhere Steuern und eine effiziente Verwendung von Zwangsabgaben wegfallen. Das Steuerniveau
    dürfte substanziell ansteigen.

18. Im Teil B) haben wir die Wirkung des Steuerwettbewerbs zwischen Gemeinden in der Schweiz vertieft
    kennengelernt. Sie wissen nun, dass der Steuerwettbewerb ein für das Schweizer Steuersystem prä-
    gender Faktor ist. Die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) hat 2008 eine Volksinitiative einge-
    reicht, um in gewissen Bereichen den Steuerwettbewerb einzuschränken bzw. zu harmonisieren. Ver-
    schaffen Sie sich die für das Verständnis notwendigen Wissensgrundlagen, indem Sie im Dossier des
    Eidg. Finanzdepartements (EFD) zum Thema «Steuerwettbewerb» den Text der Einstiegsseite sowie
    den weiterführenden Link «Das Schweizer Steuersystem als Abbild des Föderalismus» studieren. Ihre
    Lehrperson hilft Ihnen bei Fragen und Unklarheiten weiter.
    Individuelle Vorbereitung

19. Teilen Sie sich in der Klasse in zwei Expertengruppen auf. Eine Gruppe übernimmt die Rolle der Initia-
    tiv-Befürworter, eine Gruppe jene der Initiativ-Gegner. Studieren Sie dazu als Befürworter das Argu-
    mentarium der SP (Internetseite der SP zur Steuergerechtigkeits-Initiative), als Gegner jenes des EFD
    (Information des EFD zur Steuergerechtigkeits-Initiative) und bereiten Sie sich auf ein Rollenspiel vor,
    indem Sie die wichtigsten Argumente zusammenfassen und sich eine Diskussionsstrategie überlegen.
    Führen Sie anschliessend das Rollenspiel jeweils zu zweit in 20 Minuten durch.
    Individuelle Durchführung

20. Zur Veranschaulichung der Wirkung einer Harmonierung des Wettbewerbs machen wir ein kleines
    Experiment. Bilden Sie dazu Vierergruppen und verteilen Sie die Rollen der Wirte 1 bis 4 untereinan-
    der:
    Stellen Sie sich vor, Sie vier seien alle zusammen Wirte von Restaurants in Interlaken, und zwar genau
    jener vier Restaurants, welche von der Terrasse einen perfekten Blick auf die weltberühmte Bergkette
    mit Eiger, Mönch und Jungfrau bieten. Sie werden entsprechend auch Jahr für Jahr von vielen Touris-
    ten aus dem In- und Ausland besucht, welche einen Ausflug in die herrliche Alpenwelt nach Interla-
    ken machen. Obwohl sie sich durch den hervorragenden Standort nicht über Besucher beklagen kön-
    nen, finden Sie alle den Preiswettbewerb untereinander hart, weil einige von Ihnen versuchen, über
    tiefere Preise noch mehr Personen für das eigene Restaurant zu gewinnen. Wirt 4 hat deshalb die Idee,
    doch mal «gemeinsam über die Preise zu reden»; vielleicht könnte eine einheitliche Preispolitik helfen?
    In der nachfolgenden Tabelle sind die notwendigen Informationen festgehalten. Sie alle finden die Idee

9 Vgl. das Leviathan-Modell von Brennan und Buchanan, nach dem Politiker und Verwaltung eine homogene Interessengruppe bil-
  den, welche den Bürgern gegenübersteht. Der Leviathan-Staat verhält sich als Monopolist und maximiert sein Steueraufkommen,
  weil keine wirksamen Schranken bestehen (Brennan & Buchanan, 1980, The Power to Tax: Analytical Foundations of a Fiscal
  Constitution, Cambridge).

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gut. Diskutieren Sie in 5 Minuten am Beispiel des Preises für den Klassiker «Schweinsschnitzel, Pommes
    und Gemüse», ob Sie sich auf einen gemeinsamen Preis auf der Karte festlegen wollen. Wenn ja, be-
    stimmen Sie den neuen Preis sowie den jeweiligen Gewinn und halten Sie die Angaben in der Tabelle
    fest.
    Individuelle Antworten; typischerweise ergibt sich ein höherer Einheitspreis, z.B.:

   Schweinsschnitzel,          Kosten                  Bisher                            Neu
   Pommes, Gemüse                              Preis            Gewinn         Preis           Gewinn
   (alle Beträge in CHF)

   Wirt 1                        20              21               1             24                 4

   Wirt 2                        20              22               2             24                 4

   Wirt 3                        22              23               1             24                 2

   Wirt 4                        22              24               2             24                 2

   Durchschnitt                  21            22.50             1.50           24                 3

21. Interpretieren Sie das Ergebnis der neuen Durchschnittspreise und -gewinne: Was passiert grundsätz-
    lich auf der Preisseite, wenn Wettbewerb eingeschränkt wird? Warum ist dies so? Begründen Sie, wes-
    halb eine Preisabsprache wie oben simuliert vom Gesetzgeber als Kartell (vertragliche Absprache) ein-
    gestuft wird und in der Schweiz wie in den meisten anderen Ländern verboten ist.
    Eine Beschränkung des Wettbewerbs führt grundsätzlich zu höheren Preisen, weil der Anreiz des Wett-
    bewerbs, durch ein besseres Angebot als die Konkurrenz einen Vorteil zu erlangen, wegfällt. Wettbe-
    werb führt generell zu grossen Anstrengungen der Anbieter, im Entdeckungsverfahren (Versuch und
    Irrtum) Innovationen und neue Angebote (auch preisseitig) zu kreieren, welche den Bedürfnissen der
    Nachfrager entsprechen und deshalb bevorzugt werden. Die Aussicht auf grösseren Gewinn führt zu
    dynamischem Verhalten der Anbieter: Was Erfolg hat, wird weiterverfolgt, was bei den Nachfragern
    durchfällt, wird eliminiert. Vertragliche Absprachen unterlaufen die Wirkungskraft des Wettbewerbs
    und verschaffen den Anbietern einen ungerechtfertigten Vorteil. Deshalb ist eine Kartellbildung ver-
    boten. Der Wettbewerb soll grundsätzlich nicht eingeschränkt werden.

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22. Das bisherige Netzwerk wurde nachfolgend um den Einfluss einer Steuerharmonisierung erweitert. Er-
    gänzen Sie für die beiden neuen Pfeile wiederum die richtigen Vorzeichen, denken Sie die Auswirkung
    der Harmonisierung durch und erläutern Sie, welche grundsätzlichen Folgen sich im dargestellten Mo-
    dell ergeben. Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie?

     Eine Steuerharmonisierung führt im Modell zu einer Beschränkung des Wettbewerbs und mildert den
     Effizienzdruck der betroffenen Gemeinwesen. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit eines generell höhe-
     ren Steuerniveaus, der alle Steuerpflichtigen treffen würde. Eine eingeschränkte Standortattraktivität
     von Schweizer Kantonen würde die Zuwanderung und den Steuerertrag negativ beeinflussen. Es ent-
     steht durch mehr Harmonisierung ein Teufelskreislauf (Spirale nach unten).
     Schlussfolgerung: individuell, je nach (politischen) Präferenzen.10

23. In den letzten Jahren sah sich die Schweiz mit ihrem Steuersystem permanentem Druck aus dem Aus-
    land (EU, OECD, USA, Brasilien usw.) ausgesetzt. Mal wurde sie von der OECD auf eine graue Liste von
    angeblichen Steueroasen gesetzt, mit der Erfordernis, bis Ende 2009 12 Doppelbesteuerungsabkom-
    men unterzeichnet zu haben, um nicht auf die schwarze Liste zu kommen und Vergeltungsmassnah-
    men zu erleiden. Ein anderes Mal verglich der frühere Deutsche Finanzminister Steinbrück die Schwei-
    zer mit «Indianer», bei denen man die «Kavallerie» ausreiten lassen sollte. Alt-SPD-Chef Müntefering
    verstieg sich gar zur Aussage: «Früher hätte man da Soldaten hingeschickt». Diese Beispiele zeigen,
    dass die Schweiz sich einem rauen Klima ausgesetzt sieht, und die frühere meist wohlwollende aus-
    ländischen Zurückhaltung hinsichtlich der nationalen Belange der Schweiz ist offener Interessen-, ja
    teils sogar Machtpolitik gewichen. Zwei kurze Fernsehausschnitte zeigen Ihnen beispielhaft den Druck
    von aussen sowie auch die Tonalität der Auseinandersetzung auf. Das Schweizer Fernsehen SF hat auf
    seinem Videoportal ein Dossier «Schweiz am Steuerpranger»11 mit vielen Fernsehausschnitten einge-
    richtet. Schauen Sie dazu die beiden Ausschnitte vom 05.05.2009 («Steinbrück bezeichnet die Schweiz
    als Bananenrepublik») sowie 03.07.2009 («Peer Steinbrück droht mit neuem Gesetz») als Einführung.
    Individuelle Erarbeitung

10 Eine mögliche Vertiefung hinsichtlich vernetztem Denken in der Steuerpolitik stellt der Artikel «Die Pflege der Steuermoral
   zahlt sich aus» (Roland Waibel) mit integriertem und gegenüber der vorliegenden Fallstudie erweitertem Netzwerk dar. Der
   Artikel zeigt die Zusammenhänge einer systemischen Steuerpolitik als «Strategie des Imkers» zur nachhaltigen Generierung
   hoher Steuererträge über tiefes Steuerniveau und massvolles Staatsgebaren (Vertrauensprinzip) auf (Finanz und Wirtschaft,
   28. April 2010, S.25).
11 Quelle: http://www.sf.tv/sfwissen/dossier.php?docid=11145&navpath=wir

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24. Als Informationsgrundlage: Machen Sie sich mit einer Internationalen Steuerübersicht vertraut, indem
    Sie insbesondere die Fiskalquoten und Lohnsteuerstatistiken der aufgeführten Länder vergleichen12.
    Welche Schlussfolgerungen lassen sich für die Schweiz im internationalen Steuerwettbewerb ziehen?
    Weshalb hat der Druck auf das Schweizerische Steuersystem in letzter Zeit merklich zugenommen?
    Die Schweiz steht in Steuerbelangen im internationalen Vergleich, insbesondere auch gegenüber den
    EU-Ländern, sehr gut da. Die Belastungen sind meist deutlich tiefer als der EU-Schnitt.
    Der Druck hat zugenommen, weil die Lage im Steuerwettbewerb sich für viele Länder gegenüber der
    Schweiz in den letzten Jahren verschlechtert hat und die massive Zunahme der Verschuldung in vielen
    Ländern ein erhöhter künftiger Finanzbedarf nach sich zieht. Dieser muss gedeckt werden, was zu ei-
    ner weiteren relativen Verschlechterung der Länder gegenüber der Schweiz führen würde. Die Länder
    suchen mit ihrer Politik Ansätze, die Schweiz stärker zu belasten.

25. Eine Front mit der EU besteht hinsichtlich der Beurteilung von Steuerwettbewerb. Die Schweiz beur-
    teilt Steuerwettbewerb als positiv und nützlich. Wie sieht dies bei der EU aus? Schauen Sie dazu im Vi-
    deodossier die beiden Fernsehausschnitte vom 08.06.2010 («EU-Verhaltenskodex in Steuersachen»)
    sowie vom 12.06.2010 («Steuerdialog mit der EU») und halten Sie die Sprachregelung der EU hinsicht-
    lich Steuerwettbewerb fest.
    Die EU spricht von sog. «schädlichen» oder «missbräuchlichen» Steuerpraktiken und sieht den Steuer-
    wettbewerb als kritisch an. Sie möchte Drittstaaten wie die Schweiz oder Liechtenstein, die sie als
    «Steuerparadiese» bezeichnet, gerade angesichts der «aktuellen wirtschaftlichen Situation der EU und
    der Welt» gerne stärker auf ihre Sicht verpflichten.

26. Wie wir wissen, ist das Steuerniveau praktisch in der gesamten EU meist deutlich höher als in der
    Schweiz, die im Gegensatz zu den EU-Staaten zwischen Kantonen und Gemeinden einen intensiven
    Steuerwettbewerb kennt. Was könnte das Problem der EU sein, wenn sie, wie in letzter Zeit zunehmend
    stärker kommuniziert, die Steuerharmonisierung in und ausserhalb der EU weitertreiben will? Denken
    Sie dabei insbesondere auch an das Verhältnis mit Wirtschaftsmächten wie Singapur oder Hongkong,
    welche ausserhalb des europäischen Raumes sehr tiefe Steuerbelastungen kennen. Welche Folgen
    könnten sich für die EU ergeben? Das nachfolgende, erweiterte Modell hilft Ihnen bei der Beurteilung.

    Das Problem der EU ist, dass sie mit stärkerer Steuerharmonisierung und höheren Steuerniveaus nicht
    nur die eigene Standortattraktivität, sondern auch wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit senkt: Menschen
    und Investitionen (Kapital) gehen nicht dorthin, wo ein grosser Teil vom Staat wegbesteuert wird. Da-
    von werden im globalen Steuerwettbewerb Länder ausserhalb Europas mit tiefen Steuern profitieren.
    Die Gefahr besteht, dass als Reaktion auf eine schlechtere Stellung im globalen Steuer- und Wirt-
    schaftswettbewerb die EU eine Abschottungspolitik betreibt (z.B. über höhere Zölle oder bürokratische
12 Quelle: http://www.efd.admin.ch/dokumentation/zahlen/00579/00608/00641/index.html?lang=de

Seite 12                                                                                       Jugend und Wirtschaft
Hürden). Dies schadet allerdings der eigenen Wirtschaftsleistung und hat die fatale Folge eines poten-
       ziell weitergehenden Teufelskreislaufes, indem tiefere Erträge zu noch höheren Steuerniveaus und
       noch mehr Abschottung führen. Letztlich besteht die Gefahr, dass sich die EU in der Welt isoliert und
       dadurch verarmt.

27. Was kann die Schweiz in einem solchen Szenario machen? Wie soll sie sich gegenüber der EU (und
    ähnlichen Mächten) verhalten?
    Die Schweiz ist als kleines Land mit wenig globaler Macht auf ein gutes Verhältnis mit den grossen
    Mächten EU oder USA angewiesen. Sie muss beharrlich ihre Standpunkte aufzeigen und verteidigen,
    indem sie sich clever verhält und alle möglichen Allianzen schmiedet. Ausserdem muss sie auf eine kon-
    sequente Globalisierungspolitik setzen, um nicht zu stark von Europa abhängig zu sein. Sie muss also
    Handel und Beziehungen ausserhalb Europas (z.B. mit den BRIC-Staaten) sehr strategisch pflegen und
    ausbauen.13

Phasenplan

Die nachfolgende Übersicht zeigt den Ablaufplan und Zeitbedarf für die Umsetzung der Fallstudie auf. Die-
se ist modular aufgebaut, so dass bei geringerem Zeitbudget oder abweichenden Lernzielen eine Auswahl
möglich ist.

   Zeitbedarf           Lernschritte/Inhalte                                              Methodisches
   (Lektionsfolge)                                                                        Vorgehen

   HA                   Vorbereitung: Studium Ausgangslage und weitere                    Einzelarbeit
                        Informationsquellen

   1                    Modul A (Steuerhöhe, Steuergerechtigkeit): Aufgaben 1–5           Einzelarbeit, Lehrgespräch

   2                    Modul A (Steuerhöhe, Steuergerechtigkeit): Aufgaben 6–9           Einzelarbeit, Lehrgespräch

   3                    Modul B (Knonau und Zumikon im Steuerwettbewerb):                 Einzelarbeit, Lehrgespräch
                        Aufgaben 10–13

   4                    Modul B (Knonau und Zumikon im Steuerwettbewerb):                 Einzelarbeit, Lehrgespräch
                        Aufgaben 14–17

   5                    Modul C (Steuergerechtigkeits-Initiative, Harmonisierung):        Gruppenarbeit, Rollenspiel
                        Aufgaben 18–19                                                    Lehrgespräch

   6                    Modul C (Steuergerechtigkeits-Initiative, Harmonisierung):        Gruppenarbeit, Experiment/
                        Aufgaben 20–22                                                    Rollenspiel, Lehrgespräch

   7                    Modul D (Druck von EU, OECD): Aufgaben 23–25                      Einzelarbeit, Lehrgespräch

   8                    Modul D (Druck von EU, OECD): Aufgaben 26–27,                     Einzelarbeit, Lehrgespräch
                        Zusammenfassung

13 Vgl. zu den Optionen der Schweiz und einer vertieften Analyse auch den Anlagekommentar der Bank Wegelin Nr. 269 vom
   22. März 2010 mit dem Titel»Wohlbefinden unter dem Damoklesschwert». Quelle: http://www.wegelin-anlagekommentar.ch/
   archiv/archivak.asp

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