Der Weg Schwerpunkt: Entspannende Freiheit - SBV-FSA

 
WEITER LESEN
Der Weg Schwerpunkt: Entspannende Freiheit - SBV-FSA
der Weg
Mitgliedermagazin
Juni 2020 • Nr. 2

                    Schwerpunkt:
                    Entspannende
                    Freiheit
Der Weg Schwerpunkt: Entspannende Freiheit - SBV-FSA
Inhaltsverzeichnis

Editorial                                 3    Sicher und stressfrei von A nach B –
Forum                                     4    mit der SBV-App «MyWay Pro»          19
Aufschwung der Selbsthilfe in der              Sportliche Ambitionen mit der
Corona-Krise                              4    Segel-App SARA                       21

Menschen                                  6    Verbandsleben                               23
Leandro Zamuner – «Im Vertrauen                Standpunkt: Charly Meyer                    23
darauf, dass nichts passiert»             6    25 Jahre Sektion Berner Oberland            24
                                               Veranstaltungen                             27
Schwerpunkt                              10
Begleitet hinaus in die Welt             10    SBV-Intern                                  31
Unbeschwert aufbrechen                   12    Vom Einzahlungsschein
Unter den Sternen des                          zur QR-Rechnung                             31
Karibik-Himmels                          14    Verschiebung der Delegierten-
Ferienenttäuschungen vermeiden           16    versammlung 2020                            34
Sandrine Chauvy – «Sport ist                   Leserwettbewerb:
für mich wie Reisen»                     17    Auflösung und Gewinner                      35

Impressum
Mitgliederzeitschrift des Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverbands SBV
im 107. Jahrgang. Sie erscheint viermal im Jahr in Grossdruck, in Braille, als Daisy-CD,
im Elektronischen Kiosk und im Web sowie auf Bestellung per E-Mail (ohne Fotos) und
auf VoiceNet (031 390 88 88, Rubrik 2 5 1) in Deutsch und Französisch («Clin d’œil»).
In SBV-Mitgliedschaft inbegriffen. Für Nichtmitglieder: CHF 28.– (Inland), CHF 34.–.

Herausgeber:        Schweizerischer Blinden- und Sehbehindertenverband SBV,
                    Könizstrasse 23, Postfach, 3001 Bern, www.sbv-fsa.ch
Redaktion:          SBV, 3001 Bern, 031 390 88 00, redaktion@sbv-fsa.ch,
                    Roland Erne (rer), Hervé Richoz (hr)
Übersetzungen:      Apostroph Bern AG, Jolanda Schönenberger
Foto Titelbild:	Auch wenn er seit Geburt quasi blind ist, geniesst der nun 30-jährige
                 Maximilien Thilo aus Pully (VD) das Segeln auf dem Genfersee – mit
                 der App SARA künftig auch als autonomer Steuermann.
                 Foto: Véronique Thilo-De Rovinelli.
ISSN-Nummern:       1422-0490 (Print), 2296-2018 (Braille), 2296-2026 (Audio)
Layout und Druck: Ediprim AG, Biel/Bienne
Braille:            Hanni und Hans Ueli Wüthrich, Anton Niffenegger
Audio:              Markus Amrein, Bern
Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe: Freitag, 31. Juli 2020

                                           Druck auf umweltfreundliches
2                                          FSC-Papier
Der Weg Schwerpunkt: Entspannende Freiheit - SBV-FSA
Editorial

Liebe Leserinnen und Leser
Kaum waren die angedachten Inhalte
dieser Ausgabe im Kern weitgehend
festgelegt, beschloss der Bundesrat
aufgrund der Covid-19-Pandemie den
Mitte März längst nicht mehr uner-
warteten Lockdown. Das damals um
sich greifende Corona-Virus machte
fast alles anders – auch im Redaktions-                            Roland Erne.
alltag: keine persönlichen Treffen für                             Foto:
Interviews oder Porträts, keine Foto-                              Nico Zonvi
termine, keine Besprechungen am
Sitzungstisch. Stattdessen Home-            Sie am Lebensweg von Triathletin
Office und Online-Meetings. Kein            Sandrine Chauvy teilhaben und zeigt
Wunder, hielt Bundespräsidentin             Ihnen, was dienliche Apps wie die
Simonetta Sommaruga zur Eröffnung           komplett revidierte SBV-Eigenentwick-
der Corona-Session des Parlaments           lung «MyWay Pro» oder die neu ent-
in den Bernexpo-Hallen zwei Monate          wickelte Segel-App SARA Betroffenen
später im Vorfeld etappenweiser             inzwischen ermöglichen. Nichts könnte
Lockerungen unmissverständlich fest:        dies deutlicher machen, als unser Titel-
«Die Krise hat uns in unserem Selbst-       bild. Lesen Sie zudem das Porträt
verständnis getroffen.»                     Leandro Zamuners, der trotz Blindheit
In eben jenen Wochen ist auch die nun       seit Geburt bestens im ersten Arbeits-
vorliegende Ausgabe entstanden, die         markt zu bestehen vermag, Beiträge
selbstredend die ausserordentliche          zum 25-jährigen Bestehen der Sektion
Lage spiegelt – bei Weitem aber nicht       Berner Oberland und zur bald ein-
nur! Denn: Zum einen ist im Zeichen         geführten QR-Rechnung, zur Ver-
der Corona-Krise eine bemerkenswerte        schiebung der diesjährigen Delegierten-
Belebung und Stärkung der Selbsthilfe       versammlung und zur Begegnung mit
zu verzeichnen, zum anderen entspricht      Dann Dupraz, Gewinner des jüngsten
das für dieses Juni-Heft gesetzte           Leserwettbewerbs. PS: Auch der
Schwerpunkt-Thema einer Zuversicht,         Veranstaltungskalender kommt Corona-
die uns allen erhalten bleiben soll. Ihr    bedingt etwas anders als sonst daher.
Mitgliedermagazin nimmt Sie mit auf
Reisen der ehemaligen Mitarbeitenden        Ich wünsche Ihnen eine spannende
Jolanda Gehri und Norbert Müller, ent-      und entspannende Lektüre.
führt auf eine Karibik-Kreuzfahrt von elf
Betroffenen aus der Romandie, lässt         Roland Erne

                                                                                   3
Der Weg Schwerpunkt: Entspannende Freiheit - SBV-FSA
Forum

Aufschwung der Selbsthilfe in der Corona-Krise
Hervé Richoz, Redaktor «Clin d’œil»

Aufblühende menschliche Wärme,             Das jäh zum Stillstand gekommene
gemeinsame Wiedersehen, in-                wirtschaftliche und gesellschaftliche
spirierende Momente im Freien –            Leben hat den Menschen freilich nicht
all dies versprach der ersehnte            nur ihre Ängste, sondern auch ihre
Frühling, als die Corona-Pandemie          Ressourcen ins Bewusstsein gerufen
um sich griff und zu einer radikalen       und gezeigt, dass man zunächst nur
Veränderung unserer Gewohn-                auf sich selbst zählen kann. Dabei
heiten, Verhaltensweisen wie auch          blieb es indes nicht: Vielmehr manifes-
Bedürfnisse führte. Eine Tour              tierte sich gegenseitige Unterstützung
d’horizon zur erstarkten Selbsthilfe       auch berührender Ausprägung.
unter Berücksichtigung der Tat-
sache, dass die Romandie vom               Rasch informieren
Virus deutlich stärker getroffen           Die verantwortlichen Instanzen des
wurde als die Deutschschweiz.              SBV erkannten das Ausmass der Krise.
                                           So stellten sie alle Aktivitäten ein,
Bei der Bekämpfung von Covid-19            welche die Gemeinschaft – unabhängig
erklärten die Gesundheits- und             von einer SBV-Mitgliedschaft – hätten
Bundesbehörden Seniorinnen und             gefährden können, und schützten ihre
Senioren sowie Menschen mit Vor-           Mitarbeitenden, die sehbehinderte
erkrankungen zu «Risikopersonen».          Personen betreuen. Die verbands-
Im SBV sind fast 55% der Mitglieder        eigene Interessenvertretung nutzte die
65-jährig oder älter. 40% der Mitglieder   verschiedenen vorhandenen Kanäle
wiederum gehören zur Altersgruppe,         überdies für Empfehlungen, Tipps und
die sich für die Sektionsaktivitäten und   Richtlinien, um alle auf dem neusten
das Kurs- und Begegnungsangebot            Stand zu halten. Im Bewusstsein der
des SBV interessieren oder auf die Fach-   Einsamkeit, des Alters und der Verletz-
leute der Beratungsstellen zählt. Ihnen    lichkeit einiger Mitglieder hat der SBV
wurden die Orte des Miteinanders und       zudem eine von Fachpersonen be-
des Austauschs brutal entzogen.            treute Notfallnummer eingerichtet.
Schlimmer noch: Ihnen wurde auch
ihre Unterstützung vorenthalten – so-      Kontakte aufrechterhalten
wohl seitens der freiwilligen Assistenz-   Die mit den Bedürfnissen ihrer Klienten
personen, die zur Risikogruppe gehö-       vertrauten Mitarbeitenden der SBV-
ren, als auch seitens der Spezialisten     Beratungsstellen vermochten rasch
der geschlossenen Beratungsstellen.        jene zu identifizieren, die zu verein-

4
Der Weg Schwerpunkt: Entspannende Freiheit - SBV-FSA
Forum

samen drohten, und erkundigten sich         Gratisangeboten im Netz oder zum
telefonisch nach ihrer Situation. Auch      Streaming von Büchern und Videos
Jeanene Guye, Leiterin des Bildungs-        austauschen. All die pragmatischen
und Begegnungszentrums (BBZ)                Fragen und keineswegs voreiligen
Lausanne erkannte die Bedeutung             Antworten dieser Art dokumentieren,
um jeden Preis aufrechterhaltener           wie sehr die Selbsthilfe wieder an
Kontakte: «Eine Liste mit Interessierten,   Bedeutung gewonnen hat. Den Teil-
die ihr Einverständnis dazu gegeben         nehmenden ist dabei offenbar an so
hatten, wurde rasch länger.» So             etwas wie kommunikativer Sorgfalt
pflegte das BBZ-Team mittels wöchen-        gelegen, auch in Koch- und Lektüre-
tlicher Telefonate diese Solidaritäts-      gruppen. Vielleicht besteht die
beziehung, welche die Stärke des BBZ        Erneuerung ja genau darin.
ausmacht. Zudem war eine Zunahme
der Solidarität zu verzeichnen, zumal
die Telefonliste auch unter den BBZ-
Nutzern verwendet wurde. Damit nicht
genug, hat die BBZ-Mitarbeiterin
Cécile Ponce eine den Zusammenhalt
stärkende WhatsApp-Gruppe zwecks
Verbreitung von Neuigkeiten wie auch
dem kapitelweisen Vorlesen aus einem
Buch oder dem Teilen von Videos ins
Leben gerufen.

In Verbindung bleiben
Die zuvor von der Rationalisierung
und Individualisierung der Gesellschaft
nicht unversehrt gebliebene Selbsthilfe
hat so schweizweit spontan einen
(Wieder-)Aufschwung erlebt – auch
mit weiteren WhatsApp-Gruppen. Eine
willkommene Option, wenn man etwa
herausfinden will, ob der IV-Assistenz-
beitrag bei Abwesenheit der Assistenz-
person bezahlt wird oder wie man sich
mit Lebensmitteln eindecken kann.
Für eine gestärkte Selbsthilfe sprechen
ferner WhatsApp-Gruppen, die sich           Screen-Shot WhatsApp-Gruppe.
mit Empfehlungen zu neuen Apps, zu          Foto: Hervé Richoz

                                                                                  5
Der Weg Schwerpunkt: Entspannende Freiheit - SBV-FSA
Menschen

Leandro Zamuner
«Im Vertrauen darauf, dass nichts passiert»
Roland Erne, Redaktor «der Weg»

Immer schon hat Leandro Zamuner           Australien – aufgrund der damals
seine Erlebenswelt nicht sehend           grassierenden Waldbrände für ihn
wahrnehmen können, sondern sich           leider ohne Süd-West-Passage auf
im Alltag vielmehr dem aufmerk-           Schienen ab Adelaide. Eine zehn-
samen Hinhören und Erfühlen               tägige Interrail-Reise wiederum hat
seiner Umgebung überlassen. Mit           ihn 2015 zudem durch mindestens halb
der Unterstützung des SBV-Job-            Europa geführt – sechs Zugnächte
Coachings ist es ihm gelungen,            inbegriffen. Freie Tage durchquert er
sein Arbeitspensum und die daran          schweizweit überdies bevorzugt mit
geknüpften Möglichkeiten auf dem          seinem GA und lässt dabei «seine
Arbeitsmarkt auszubauen. Ein wäh-         Gedanken fliessen». Nicht zuletzt im
rend der Corona-Krise realisiertes        Bewusstsein, sich allein autonom be-
Porträt ohne persönliches Treffen.        wegen zu können und «auf niemanden
                                          angewiesen zu sein». Mit anderen
Als jüngster Sohn einer Brasilianerin     Worten: Leandro Zamuner ist das,
und eines Schweizers kennt er seit        was ein seit Kindheitstagen quasi ein-
jeher zwei Welten: Im November            gefleischter Bahn-Fan genannt werden
1989 blind geboren, lebte Leandro         darf, der nur schon das Geräusch
Zamuner mit seiner Familie zunächst       eines Zugs «als eine Art Musik im
ein paar Monate in Brigels (GR),          Körper» nicht missen mag.
danach für dreieinhalb Jahre in der       Früh schon kam ihm dies erklärter-
Heimat seiner Mutter, ehe er mit          massen entgegen, zumal er von 1996
seinen Eltern und zwei Geschwistern       bis 2008 die Blindenschule Zollikofen
zurückkehrte. Heute spricht er ziemlich   (BE) absolvierte und übers Wochen-
astreinen Bündner Dialekt, zu seinen      ende jeweils zwischen dem schul-
Muttersprachen gehören selbstredend       eigenen Internat und seinem Zuhause
aber auch Portugiesisch und Räto­         pendelte – gleichbedeutend mit zehn
romanisch.                                Stunden Bahnfahrt hin und zurück.
                                          Hatte er sich anfangs darauf gefreut,
Geräuschvolle Art Musik im Körper         ist ihm das im Unterschied zu Schwes-
Inzwischen hat er weitere Erdteile        ter und Bruder wiederkehrende «Weg-
erkundet, namentlich Neuseeland           gehen-Müssen» danach aber bald
(2014) und zu Jahresbeginn zuletzt        einmal «schwergefallen». Die ärztlich

6
Der Weg Schwerpunkt: Entspannende Freiheit - SBV-FSA
Menschen

ungenügend bis widersprüchlich
erklärte Blindheit hingegen blieb für
ihn eher sekundär: «Wichtiger ist, dass
ich ansonsten gesund bin», so Leandro
Zamuner.
Nach der obligatorischen Schulzeit hat
er sich 2010 im geschützten Rahmen
einer mit der IV kooperierenden Ein-
gliederungsinstitution in Chur einer
kaufmännischen Ausbildung zugewandt,
zunächst zum Büroassistenten mit
eidgenössischem Berufsattest, danach
als «solides Fundament» mit einer
KV-Lehre (E-Profil), die ihn entgegen
einstiger Vorbehalte und umgeben von
zumeist fünf Jahre jüngeren Klassen-
kollegen in seinem gefällten Entscheid
bestätigte. Zumal er vorweg erkannt
hatte, dass ihm eine Tätigkeit im
Bereich der medizinischen Massage          Home-Office im Zeichen der
oder Physiotherapie nicht entsprechen      Corona-Krise: Leandro Zamuner am
würde.                                     Laptop mit Braille-Zeile. Foto: zVg
2016 gelang ihm mit Unterstützung der
IV der direkte Berufseinstieg im ersten    ten Entscheid für Begleitetes Wohnen
Arbeitsmarkt bei Swiss Life in Zürich-     in der Zürcher Institution «Mobile»
Binz, auch wenn die Versicherungs-         (siehe März-Ausgabe 2020) damals
branche nicht unbedingt einem aus-         etwas viel zugemutet: «Das war zu
gesprochenen Herzenswunsch gleich-         ehrgeizig. Ich habe mich dadurch
kam. Einem entsprechenden Arbeits-         indes selbst besser kennengelernt
versuch folgte dennoch prompt eine         und weiss seither genauer, was ich
Festanstellung mit einem 60%-Pensum,       will und warum.»
wenig später die Erprobung eines
erhöhten Arbeitspensums – ein vorerst      Wertvolle SBV-Dienstleistungen
nicht umsetzbares Vorhaben. Leandro        In jene Zeit auch fielen erste Orientie-
Zamuner verschweigt nicht, dass ihm        rungs- und Mobilitätstrainings mit Fach-
sein ursprüngliches Aufgabengebiet mit     personen der SBV-Beratungsstellen
für ihn belastenden Telefonanrufen bei     Chur und Zürich, die seine an Dank-
Privatkunden zugesetzt hat. Zudem          barkeit und Wertschätzung geknüpfte
habe er sich mit seinem parallel erfolg-   Autonomie stärkten. «Ihre von Geduld

                                                                                  7
Der Weg Schwerpunkt: Entspannende Freiheit - SBV-FSA
Menschen

und Offenheit für meine Anliegen         einen kontinuierlichen Austausch mit
getragene Unterstützung hat mir mass-    ihm und Swiss Life, die sich mit der
geblich geholfen», betont Leandro        Initiative «Berufsleben aktiv gestalten»
Zamuner im von der Corona-Krise          auch als Arbeitgeberin für ein «selbst-
geprägten Gespräch von Home-Office       bestimmtes Leben» engagiert. Die
zu Home-Office. Nicht von ungefähr       regelmässigen Kontakte bis hin zu
hat er sich bald darauf mit seinen       Round-Table-Gesprächen wiederum
beruflichen Möglichkeiten auseinander-   ermöglichten eine schrittweise Pensen-
gesetzt und sich für eine Beratung       Erhöhung im Rahmen eines erneuten
durch das Job Coaching des SBV           Arbeitsversuchs 2019 sowie letztlich
entschieden – mit dem wiederaufge-       eine Anpassung des Stellenprofils, des
nommenen Ziel einer Erhöhung des         Arbeitsvertrags und der IV-Rente. Die
Arbeitspensums auf 80%, um so auch       ihm nun übertragenen administrativen
seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt       Aufgaben im sogenannten Lead-
wie auch bei seinem Arbeitgeber zu       management sind denn auch wie
steigern.                                zugeschnitten auf ihn. Dazu gehören
Die Begleitung von Catherine Rausch      die Erfassung und Bearbeitung von
und Beat Arnold seitens SBV-Job-         Kundendaten oder das Erstellen von
Coaching umfasste insbesondere           Excel-Rapporten in Zusammenarbeit

Eisenbahn-Fan durch und durch: Leandro Zamuner auf einer gebuchten
Führerstandsfahrt mit einer SBB-Lokomotive Re 4/4 I auf der Gotthard-
strecke zwischen Arth-Goldau und Locarno. Foto: zVg

8
Der Weg Schwerpunkt: Entspannende Freiheit - SBV-FSA
Menschen

mit den Vorsorgeberatern und dem            Leandro Zamuner vorstellen, sich bei
Call-Center.                                Gelegenheit im Zeichen der fortschrei-
«Diese am Laptop mit Braille-Zeile und      tenden Digitalisierung auch weiterzu-
Sprachausgabe erledigten Arbeiten in        bilden, um sich beruflich weiterzuent-
einem kleinen Team gefallen mir sehr        wickeln. Und er zeigt sich überzeugt,
gut», bekräftigt Leandro Zamuner.           dass ihm dies gelingen wird. Wer so
Auch der Arbeitsweg zwischen Chur,          spricht, glaubt an sich und seine Zu-
wo er bei seiner Mutter wohnt, und          kunft. Weiterhin nicht zu kurz kommen
Zürich ist für den bekennenden Bahn-        sollen ferner seine Kontakte im Kollegen-
Fan eher Gewinn denn zur Not in Kauf        kreis mit anderen Betroffenen und
genommene Pflicht. Überdies könne er        Sehenden wie auch seine Begeisterung
auf einen «tollen Chef» zählen, der         für Heavy-Metal und Abende für sich
sich Zeit nimmt, ihn auch sonst unter-      allein am Computer. Warum auch nicht
stützt und seinen äusserst positiven        eine Reise mit der Transsibirischen
Einfluss auf die Teamentwicklung            Eisenbahn, im japanischen Schnellzug
anerkennend würdigt: «Leandro ist           Shinkansen oder aber eine sechs-
selbstständig und hat auch den Wech-        tägige Zugfahrt von Moskau nach
sel ins Home-Office gut gemeistert.         Peking ohne Umsteigen anvisieren!
Zudem trägt er dazu bei, dass im Team       Vor allem aber sollen ihm die in der
mehr kommuniziert und gegenseitig           Regel jährlichen Abstecher nach
Rücksicht genommen wird, beispiels-         Brasilien erhalten bleiben, wo er einst
weise für die Verteilung der Aufgaben       im Herkunftsort seiner Mutter – ein
im Tagesgeschäft. Generell ist er           Fischerdorf – buchstäblich «erwacht»
bestens integriert», bestätigt Team-        sei und begann, «die Welt zu ent-
leiter Tobias Stocker auch die eigene       decken». Längst auch kennt und schätzt
Einschätzung seines blinden Mit-            Leandro Zamuner die brasilianische
arbeiters. «Ich fühle mich gut integriert   Fröhlichkeit, Lebensfreude und Offen-
und sehe mich darin bestätigt, im           heit, die nach überstandener Pande-
ersten Arbeitsmarkt bestehen zu             mie für ihn auch hierzulande vermehrt
können», hält der 30-Jährige fest.          erwünscht wäre. Nichtsdestotrotz
                                            geblieben ist ihm der Respekt vor der
Glauben an die Zukunft                      in Brasilien grassierenden Kriminalität
Nicht weniger entscheidend sei die für      und lebensgefährlichen, weil dem
ihn «optimale», weil stets «aufbauende»     Motto «Auto vor Mensch» geschuldeten
Unterstützung der SBV-Job-Coaching-         Strassenüberquerungen, die er nie
Verantwortlichen gewesen, die an-           alleine wagt. Dennoch mag er sich
haltendes Vertrauen in ihn gezeigt          grundsätzlich nicht blockieren lassen
hätten. Getreu der Devise: «Wir schaf-      – «im Vertrauen darauf, dass nichts
fen das!» Unbesehen davon kann sich         passiert».

                                                                                   9
Schwerpunkt

Begleitet hinaus in die Welt
Roland Erne, Redaktor «der Weg»

Für von Blindheit oder massivem            Das Angebot von «anders-sehn» hat
Sehverlust Betroffene wie Jolanda          sie vor drei Jahren erstmals erprobt.
Gehri, im März 2019 pensionierte           Damals für einen schon länger er-
Mitarbeiterin des Besucher-                wogenen Besuch Hamburgs. Später
empfangs im SBV-General-                   folgten Abstecher nach Prag und
sekretariat und Vizepräsidentin            Cuxhaven, Firmensitz des inhaber-
der Sektion Bern, sind Reisen mit          geführten Unternehmens von Susanne
spezialisierten Veranstaltern eine         Hahn, die als ausgebildete Ethnologin
willkommene Entlastung. Ein                und Kulturmanagerin mit blinden- und
Erfahrungsbericht.                         sehbehindertengerechten Reisen seit
                                           2004 europaweit das Unsichtbare
Eigentlich wäre Jolanda Gehri im           durch sinnliche Eindrücke erlebbar
Frühjahr nach Asien gereist und hätte      machen will – im Zeichen der Nach-
Vietnam kennengelernt – bereit für         haltigkeit bevorzugt mit öffentlichen
«andere Düfte und Geräusche, eine          Verkehrsmitteln und vor Ort zu Fuss.
andere Kultur» und im Vertrauen auf        Dieses Bekenntnis für «sanften Touris-
ein Angebot von «tour de sens». Die        mus» hat Jolanda Gehri indes auch
Corona-Pandemie hat dies nicht             schon zur Improvisation infolge massi-
zu­gelassen. Umso mehr hofft sie,          ver Verspätungen der Deutschen Bahn
dass ihre Städtereise nach Wien            gezwungen, zumal die organisierten
kommenden Oktober mit «anders-             Umsteigehilfen nicht zum Tragen
sehn» möglich sein wird. Beide auf         kamen und sie zur praktikablen Not
Reisen für Blinde und Sehbehinderte        auf ihr fremde Leute zugehen musste.
spezia­lisierten Veranstalter setzen auf   Kein Wunder, hat sie sich so auch
eine 1:1-Begleitung durch Sehende.         schon für eine Flugverbindung
Ein Konzept, das Jolanda Gehri ent-        entschieden.
scheidend entgegenkommt, wie sie im
Gespräch betont: «Auf meinen Reisen        Unerlässliche Reisevorbereitungen
möchte ich mich sicher fühlen und          Generell ist ihr an der sorgfältigen
unterwegs nicht von Ängsten ergriffen      Vorbereitung einer Urlaubsreise samt
werden. Zudem ist es nicht einfach,        einsetzbarer Bezahloptionen gelegen.
eine Begleitung selbst zu organisieren.    Vor allem aber hat sie schätzen gelernt,
Ich musste auch schon auf eine             dass Alleinreisende mit Hilfebedarf auf
Flussfahrt verzichten, weil sich           einen Servicepool sehender Begleit-
niemand fand.»                             personen zurückgreifen können. Mit

10
Schwerpunkt

einer entsprechenden Zusatzpauschale
sind die Kosten für Unterkunft, Ver-
pflegung, Aufwandsentschädigung
und Versicherung der Begleitung ab-
gedeckt. Ein ähnliches Modell verfolgt
«tour de sens» auch für Fernreisen in
andere Kontinente mit ebenfalls jeweils
rund 15 Teilnehmenden, wobei Sehen-
de einen Reisegast mit Sehbeeinträch-
tigung begleiten, indem sie ihm bei der
Fortbewegung und Orientierung helfen,
und im Gegenzug von vergünstigten
Konditionen profitieren – für Jolanda
Gehri «eine coole Idee».

Städtereisen statt Strandferien
Für die angesagte Wiener Reise
unter dem Motto «Kaiser, Kaffee und
Agenten» wiederum kann sie erneut
ein möglichst barrierefreies Programm
erwarten, das neben einem Stadtrund-
gang zu Fuss auch geführte Museums-
besuche und weitere Besichtigungen
umfasst. Lebhaft erinnert sie sich          Abstecher an die deutsche Nordsee-
überdies an die «Spezialführung durch       küste: Jolanda Gehri mit der Reise-
Hamburgs Kiez», die nicht zuletzt der       gruppe von «anders-sehn» in Cux-
Bedeutung der Bezeichnung «Reeper-          haven. Foto: Carola Zeh
bahn» im Vergnügungs- und Rotlicht-
viertel des Stadtteils St. Pauli gewidmet   geniesse es, «in Gesellschaft zu sein».
war. Überhaupt wollen ihr Städte-           Gerne auch hat Jolanda Gehri früher
reisen lohnender erscheinen als etwa        verbandseigene Reiseangebote nach
Strandferien weitgehend ohne für sie        Berlin, Tunesien oder China und
nachwirkende Erlebnisse. Denn: All          Aufenthalte im «Solsana» etwa über
das «Gewusel» einer Grossstadt mit          Weihnachten – stets mit Begleitung –
ihren Aromen und Märkten sei weit           genutzt, was zu ihrem Bedauern inzwi-
spannender: «Man nimmt mehr wahr            schen nicht mehr möglich sei. Ihre vor
und schmeckt viel!» Zudem habe              der Pensionierung stehende Blinden-
sie mit ihren Begleitpersonen bisher        führhündin «Hekla» hat sie dabei nie
«nur gute Erfahrungen» gemacht und          ins Ausland mitgenommen. Ihre Nach-

                                                                                 11
Schwerpunkt

folge aber soll einen nochmals neuen       dereinst eine Reise mit der Trans-
Lebensabschnitt mitprägen: «Ich            sibirischen Eisenbahn oder auf die
brauche diese Herausforderung und          Philippinen antreten zu können,
habe auch die nötige Kraft», hält die      wo sie einem abermals «anderen
65-jährige Bernerin fest.                  spannenden Alltag» begegnen soll.
Ihre Vietnam-Reise schliesslich hat sie
im Verzicht auf das November-Ersatz-        Blinden- und sehbehinderten-
datum bewusst verschoben. Nach der          gerechte Reisen
Corona-Krise dürfte 2021 ferner die         • anders-sehn:
dieses Jahr nicht zustande gekommene           Tel. +49 (0)4721 699 8567,
Toskana-Reise der Sektion Bern mit             E-Mail: hahn@anders-sehn.de,
einwöchigem Aufenthalt im Hotel                Internet: www.anders-sehn.de
«Centro Le Torri» (siehe Seite 13)          • tour de sens:
durchgeführt werden können, die                Tel. +49 (0)711 88875530,
Jolanda Gehri mit Vorstandskollegin            E-Mail: info@tourdesens.de,
Antonella Zanatta aufgegleist hat.             Internet: www.tourdesens.de
Und nicht zuletzt ist da die Hoffnung,

Unbeschwert aufbrechen
Roland Erne, Redaktor «der Weg»

Ob für Strandferien in der Toskana         Zufriedenheit läuft.» Dieser Grundsatz
oder für Abstecher ins heimatliche         ist für ihn daran geknüpft, sich im Vor-
Saarland: Auch ohne Augenlicht             aus schlau zu machen. Warum also
möchte Norbert Müller entspannende         nicht rechtzeitig im gebuchten Hotel
Urlaubsreisen nicht missen. Deshalb        anrufen und sich nach dem Weg ab
sein Rat: Vorausplanen hilft. Ein          Bahnhof oder unterstützendem Perso-
Gespräch mit dem ehemaligen                nal erkundigen! Fraglos nicht weniger
VoiceNet-Redaktor Deutschschweiz           hilfreich ist eine auf die Bedürfnisse
im Ruhestand mit Wohnsitz in Basel.        von blinden und sehbehinderten Gästen
                                           ausgerichtete Ausstattung, insbeson-
Wenn er wegfährt, mag sich Norbert         dere mit Braille-Beschriftungen beim
Müller nicht Tag für Tag mit anstrengen-   Zugang zu den Hotelzimmern und Lifts.
den Abklärungen vor Ort abplagen.
Mit seinen Worten: «Im Urlaub will ich     Verlässliche Begleitung
mich erholen und nicht täglich darum       In dieser Hinsicht kann selbstredend
kämpfen müssen, dass alles zu meiner       ein auf Betroffene zugeschnittenes

12
Schwerpunkt

Hotel wie das «Centro Le Torri» in
Tirrenia bei Pisa im Besitz des italie-
nischen Verbands für Blinde und Seh-
behinderte punkten, das Norbert
Müller im Herbst 2017 kennengelernt
hat. Unschätzbarer Vorteil einer
«spezifischen Einrichtung» sei nur
schon die Garantie für ihm beispiels-
weise beim Frühstück behilfliches
Personal: «Ich will nicht am Buffet-
Tisch stehen und nichts finden
können.» Zum bedürfnisgerechten           2006 wahr gewordener Traum:
Angebot gehören überdies etwa an          Auf seiner Tandem-Tour an der Saar
der Bar mögliche Kartenzahlungen mit      geniesst Norbert Müller eine Pause.
genanntem Restbetrag und ein hotel-       Foto: zVg
eigener Strand, erreichbar über einen
markierten Weg, samt Lautsprecher-        seiner Heimat, durchstreift er so bevor-
Anlage, die Badende im richtigen          zugt die nahen Wälder mit gebannter
Bereich aus dem Wasser lotst. «Eine       Gefahr, sich dabei zu verlaufen. In
sichere Orientierung ist unerlässlich»,   bester Erinnerung sind ihm ferner
so Norbert Müller. Hinzu kämen            seine USA-Reisen in den späten acht-
organisierte Ausflüge und Abend-          ziger und neunziger Jahren geblieben,
veranstaltungen sowie «auf uns ein-       die ihn unter anderem zu den Niagara-
gestellte Angestellte, die nach einem     Fällen geführt haben. Einmal mit einem
schauen». Von diesen Annehmlichkeiten     kompletten Limousinen-Service, später
sollen denn auch die Teilnehmenden        auf einer um letztlich drei Stunden
einer inzwischen ins Jahr 2021            verlängerten Bustour in einer Gruppe
verschobenen Toskana-Reise der            mit Sehenden, die sich ihm und seiner
Sektion Freiburg profitieren.             ebenfalls blinden Begleitung vorbildlich
                                          annahmen und sie alle gemeinsam
Unterwegs mit Navigations-Apps            erst noch mehr erleben liess.
Ebenso wichtig ist Norbert Müller         Überhaupt nutzt er nicht ungern auch
zudem die Option selbstständig unter-     «reguläre Angebote», etwa für Hotel-
nommener Spaziergänge mithilfe von        Aufenthalte. Getreu seiner Devise, sich
Navigations-Apps wie «BlindSquare»        dorthin zu begeben, wo es ihm «wohl
oder «MyWay» – geleitet von zahl-         ist». Stets Voraussetzung jedoch ist,
reichen Orientierungspunkten, die         dass Gastgeber den mit seiner Blind-
markierte Routen vorgeben. Weilt er       heit verbundenen Anliegen und Erwar-
jeweils im saarländischen Sulzbach        tungen buchstäblich entgegenkommen.

                                                                               13
Schwerpunkt

Dies ist mit auch Grund dafür, dass der     würden. Norbert Müller sagt es so:
67-Jährige bisher nicht mit spezialisier-   «Urlaub auf eigene Faust ist preis-
ten Veranstaltern wie «tour de sens»        werter und macht mich unabhängiger.»
(siehe Seite 12) für tendenziell «eher      So hat er sich 2006 auch den Wunsch
teure» Reisen unterwegs war. Selbst         erfüllt, auf einer Tandem-Tour an der
wenn ihn Destinationen wie Chile,           Saar mit sehender Begleitung von der
Kuba oder Vietnam durchaus reizen           Quelle bis zur Mündung zu fahren.

Unter den Sternen des Karibik-Himmels
Hervé Richoz, Redaktor «Clin d’œil»

Für elf blinde und sehbehinderte            Seit 2008 hat die «Costa Luminosa»
Passagiere, die mit ihren Begleit-          bereits mehrmals die Welt umrundet.
personen eine Woche lang den                Auf ihr ist Kunst durch das innovative
glamourösen Prunk einer Karibik-            Design und die Skulptur des kolum-
Kreuzfahrt geniessen durften, ist           bianischen Bildhauers und Malers
ein Traum wahr geworden. Es fehlte          Fernando Botero im zentralen Atrium
weder an unzähligen Unterhaltungs-          des Schiffs allgegenwärtig. Wer von da
angeboten noch an der Einladung,            aus einen der neun Etagen erschliessen-
mit Delfinen zu schwimmen. Ein              den Glaslifte nutzt, entdeckt einen
Bericht über grosse Freuden und             italienisch angehauchten Ozeanriesen
kleine Frustrationen.                       mit funkelnden Kronleuchtern aus
                                            Murano-Glas, schillernden Tapeten
Im Urlaub in Welten eintauchen, die         und einer Innenbeleuchtung, welche
nichts mit dem Alltag zu tun haben, und     die ausgesuchte Eleganz der ganzen
sich für die Weite der Welt öffnen, ent-    Ausstattung in den drei Bars und zwei
spricht fraglos einer ersehnten Wunsch-     Restaurants, im Kasino und in den
erfüllung. Genau dies ermöglicht eine       Veranstaltungssälen akzentuiert.
Kreuzfahrt auf der «Costa Luminosa»
– für die elf Betroffenen einer 26-köpfi-   Durch prunkvolles Labyrinth führen
gen Reisegruppe ein Anfang Februar          Vor allem aber sehen sich die Begleit-
in Miami vertäuter Meeresgigant von         personen angesichts dieses Prunks
294 Metern Länge mit 12 Brücken,            zweifellos auch an ihre nicht ganz
der vor ihnen nicht weniger als 59          einfache Aufgabe erinnert, das Sehen
Meter in die Höhe ragte. Zunächst           der Betroffenen zu übernehmen und
einmal mussten die 2800 Passagiere          ihnen so – im übertragenen und
aber erst an Bord gebracht werden.          eigentlichen Sinn – Zugang zu

14
Schwerpunkt

verschaffen zu den unzähligen Räum-        Zuschnitts, eine Rohne-Flusskreuz-
lichkeiten: vom Badebereich mit vier       fahrt kombiniert mit Wanderungen
Whirlpools, Schwimmbecken und              2018, war für die teilnehmenden
Saunalandschaft über einen Kinosaal        SBV-Mitglieder schon mal eine positive
mit Grossleinwand und ein Fitness-         Erfahrung. Es war dann Sabrina
Studio bis zum Oberdeck mit Schiebe-       Faretra, ebenfalls Mitglied der Sektion
dach. All dies bedarf einer sorgfältigen   Waadt und ehemalige Reisebürofach-
Vorbereitung und eines ausgeprägten        frau, die das magische Wort aussprach:
Bewusstseins für die Bedürfnisse           «Karibik». Zuvor hatte die 43-Jährige
jedes einzelnen wie auch für die Auf-      mit ihrer Familie – ihre Mutter und ihre
gaben als Begleitperson, die nicht         Tanten sind ebenfalls betroffen –
zuletzt versucht sein könnte, primär       immerhin elf Mittelmeer-Kreuzfahrten
an die eigenen Ferien zu denken.           unternommen. Nun galt es, sie alle
Wie aber ist es überhaupt dazu             in die Karibik mitzunehmen.
gekommen? Initiantin des Projekts
«zugänglicher Kreuzfahrten» ist Myriam     Fülle an Möglichkeiten
Kernen, die Begleiterin von Tamara         und Optionen
Rossi, langjähriges Mitglied der Sektion   Bald war es so weit: Vom Seehafen
Waadt aus Morges. An einem Wende-          Port Everglades bei Fort Lauderdale
punkt in ihrem Leben wollte sie mehr       aus nahm die «Costa Luminosa»
über die Begleitung von Menschen mit       zunächst Kurs auf Kuba, um danach
Sehverlust wissen und entdeckte den        auch Amber Cove (Dominikanische
spezialisierten englischen Flugreise-      Republik), Ocho Rios (Jamaika),
veranstalter «Traveleyes». Wenig später    George Town (Kaimaninseln), Roatan
begegnete sie zufällig auch Roberto        (Honduras) und Cozumel (Mexico)
Camporeale von «Majestic Voyages»,         anzusteuern. Bei den Zwischenstopps
Reiseanbieter für Kreuzfahrten in Cully    erfüllten sich für die Teilnehmenden
(VD): «deux yeux pour deux» war            zahlreiche Ferienträume: Sonne und
geboren! Die erste Reise dieses            Strände, landestypische Düfte und

Impressionen der Karibik-Kreuzfahrt mit der «Costa Luminosa». Fotos: zVg

                                                                                15
Schwerpunkt

Speisen, Delfin-Schwimmen, Ausflüge        abzusprechen ist, damit auch nur
in die Städte, Souvenirkäufe und eine      minimale Frustrationen weitgehend
Tour durchs imposante Kreuzfahrt-          ausgeschlossen werden können.
schiff mit seinen über tausend             Jeden Abend zogen sich alle Teil-
Angestellten der Service-Equipe.           nehmenden denn auch in einen
Diese Fülle an Möglichkeiten und           ruhigen Salon zurück, um gemeinsam
Optionen zeigt indes auch auf, dass        die Erlebnisse und Anekdoten der bis
eine derartige Reise zwingend sorg-        zu den frühen Morgenstunden aus-
fältig vorbereitet sein will und mit der   gefüllten Tage Revue passieren zu
eigenen Begleitperson umfassend            lassen.

Ferienenttäuschungen vermeiden
Hervé Richoz, Redaktor «Clin d’œil»

Die unterstützende Begleitung              Probe gestellt werden. Für den
von blinden und sehbehinderten             Lausanner Psychologen Vincent
Menschen mit besonderen Bedürf-            Ducommun gilt es, sich bei der Ferien-
nissen im Urlaub ist eine Heraus-          planung die wahren Bedürfnisse in
forderung, die einer sorgfältigen          Sachen Wohnsituation, Ruheangebot,
Vorbereitung und gezielten Sensi-          Freizeitaktivitäten und Gruppen-
bilisierung bedarf. Mangelt es             zusammensetzung bewusst zu
daran, kann es zu frustrierenden           machen statt sich aufgrund einer trotz
Erlebnissen kommen – wie für               Zusatzkosten zum Glück gefundenen
Patric Vuillème in seinen letzt-           Lösung schlicht anzupassen und dabei
jährigen Ferien.                           letztlich auf eigene Wünsche zu
                                           verzichten. Eine Begleitperson wieder-
Alle haben das Recht, gemäss den           um müsse sich darüber im Klaren sein,
eigenen Mitteln und Vorlieben ab und       dass sich professionelle Aufmerksam-
zu dem Alltag zu entfliehen, sprich        keit für das ersehnte Ferienerlebnis
Ferien zu machen. Doch: Die eigene         von Betroffenen nicht darin erschöpft,
Umgebung zu verlassen, bedeutet für        für Sicherheit zu garantieren. «Vielmehr
blinde und sehbehinderte Menschen          ist es wahrhaft eine Aufgabe, die eine
– vor allem, wenn sie allein leben –       Gabe für Antizipation, Selbstlosigkeit
auf «andere Augen» angewiesen zu           und dauerhaftes Beschreiben des Ge-
sein. Eine mehrtägige Begleitung will      schehens voraussetzt», so Ducommun.
indes gut vorbereitet sein, denn auch      Vorab sei demnach zu vereinbaren,
Freundschaften können auf eine harte       was man zu tun bereit ist und dies

16
Schwerpunkt

dann nicht zu vergessen: «Je besser          entspricht einem Mix verschiedener
man sich zu kennen glaubt, desto             Kulturen mit unterschiedlichen Bedürf-
wichtiger sind gute Abmachungen.»            nissen, die sich hinsichtlich Dringlich-
                                             keit und Zeitbedarf zu stark unterschei-
Unterschiedliche Bedürfnisse                 den.» Helena Bigler, Leiterin Reisen
All dies hat Patric Vuillème, langjähriges   und Sport, bedauert die Unannehm-
Mitglied der Sektion Neuenburg, in           lichkeiten Patric Vuillèmes und verweist
seinen Procap-Ferien mit anderen             auf das seit diesem Jahr bestehende
behinderten Menschen leider gefehlt.         Angebot individueller Reisen (www.
Über Gebühr beschäftigte und teil-           procap.ch). Zudem erinnert sie daran,
weise überforderte Begleitpersonen           dass Procap als spezialisierte Reise-
vermochten seinen Bedürfnissen nur           agentur für barrierefreies Reisen
bedingt nachzukommen, wodurch                auftritt, die bisher mit einer vergleichs-
er sich isoliert fühlte. Für Vincent         weise geringen Nachfrage von Seh-
Ducommun keine Überraschung:                 behinderten konfrontiert war und
«Eine Gruppe von Ferienreisenden             künftig entsprechende Empfehlungen
mit verschiedenen Behinderungen              gerne entgegennimmt.

Sandrine Chauvy
«Sport ist für mich wie Reisen»
Hervé Richoz, Redaktor «Clin d’œil»

Sie wirkt unbeschwert und erscheint          mit den Unwägbarkeiten des Lebens
zierlich – was kaum vermuten lässt,          und jüngst der Corona-Pandemie um-
dass Sandrine Chauvy eine derart             zugehen. «Ich fühlte mich anfänglich
anspruchsvolle Freizeitertüchtigung          im Stich gelassen. Auch in meinem
pflegt und dabei als Triathletin immer       Umfeld mussten sich alle erst einmal
wieder auf «andere Gedanken»                 beruhigen und sich organisieren.
kommt. Ein Corona-bedingt als                Danach erhielt ich zum Glück Whats-
Videokonferenz geführtes Gespräch.           App-Nachrichten sowie Unterstützung
                                             für den Haushalt und die Einkäufe»,
Das Leben ist und hat eine offensicht-       gesteht die in Fleurier (NE) lebende
lich unkontrollierbare Kraft – wie eine      Waadtländerin. Dabei kommt ihr frag-
Knospe, die im Frühling ohne Vor-            los entgegen, dass die ihr nahestehen-
warnung und weiteres Zutun spriesst.         den Menschen im Pflegebereich tätig
Eben diese Kraft hilft Sandrine Chauvy,      sind und ihr den Alltag erleichtern.

                                                                                    17
Schwerpunkt

Was freilich nichts daran ändert, dass
ihre Guides sie zuletzt für Trainings
nicht mehr begleiten konnten: «So
musste ich lernen, allein zu trainieren.
Und der Triathlon de Sion von Mitte
Mai, ursprünglich Anlass und eigent-
liches Thema dieses Interviews,
musste abgesagt werden.»
Abgesehen von ihrer schlanken
Erscheinung, die wie für den Laufsport
gemacht ist, würde man nicht denken,
dass sich die 46-Jährige für Triathlon
begeistert – eine Ausdauersportart, die
aus einem Mehrkampf der Disziplinen        Sandrine Chauvy hat sich gefunden
Schwimmen, Radfahren und Laufen            – mit Coach Alain Pointet an ihrer
besteht und nacheinander in dieser         Seite. Foto: Jean-Paul Guinnard
Reihenfolge zu absolvieren ist. «Ich
mache das für mich und will nicht          begeisterte sie sich damals fürs Spinning,
etwa Profi werden. Sport ist für mich      absolvierte eine Ausbildung und
vielmehr wie Reisen», hält sie gut         erteilte Unterricht. Doch: Eingeholt von
gelaunt fest. Als nicht sonderlich für     ihrer Behinderung, wurde sie unverse-
Sport motivierte Schülerin des Centre      hens entlassen und war entsprechend
Pédagogique pour Handicapés de la          niedergeschlagen.
Vue (CPHV) in Lausanne habe sie
indes gelernt, dass nichts unmöglich       Herausforderungen bestehen
ist und sah sich dazu ermuntert, trotz     Zudem habe sich die Stadt Neuenburg
Lyell-Syndrom – einer akuten Haut-         in jenen Jahren für sie gewandelt
veränderung – alles auszuprobieren.        und sie sich vom Stress anderer zu-
Später durchlief Sandrine Chauvy           nehmend absorbieren lassen, so
eine Ausbildung zur Bankkauffrau,          Sandrine Chauvy. Da eine sehbehin-
zwischenzeitlich wegen schwer-             derte Freundin in Fleurier wohnte und
wiegenden Hornhautschädigungen             sie überdies ihren Coach Alain Pointet
hospitalisiert. Mit 20 Jahren nach         für Wettkämpfe kennengelernt hatte,
Neuenburg gezogen, stand ihr der           entschied sie sich, ebenfalls ins Val-de-
Sinn nach Bodybuilding, ehe sie – ihre     Travers zu ziehen: «Das war der beste
weibliche Seite wiederentdeckend –         Entschluss meines Lebens.» Sie liess
Fitness-Gruppenkurse für Bodypump,         sich helfen und musste sich wieder-
Cardio-Boxen und Step-Aerobic              finden. Inzwischen ist sie mit sich im
besuchte – eine «Erleuchtung». Ebenso      Reinen, meditiert regelmässig und

18
Schwerpunkt

pflegt das Lebendige in ihr, nachdem        zu wagen. Beide verstehen sie in-
sie auch die bahnbrechende Anwen-           zwischen besser, weshalb ihnen
dung von Hilfsmitteln anzunehmen            seitens des Organisators nachdrücklich
vermochte. Heute ist sie stolz, jeden       empfohlen wurde, sich in der Anfänger-
Tag mit Freude angehen zu können.           kategorie einzuschreiben. Sie sei
Längst auch war ihr an einer nicht          glücklich und stolz gewesen, ins Ziel
allein ausgeübten Sportart gelegen.         gekommen zu sein, habe sich aber
Die Begegnung mit Alain Pointet wieder-     auch eingestehen müssen, dass der
um war für Sandrine Chauvy nichts           Parcours und die dabei neu erlebte
weniger als eine «freundschaftliche         Welt eine erschöpfende Erfahrung
Liebe auf den ersten Blick». Gerne          gewesen sei, bekennt Sandrine
nahm sie so auch die Chance wahr,           Chauvy. Seither folgte ein Triathlon
mit ihm die auf sechs Etappen durch         auf den nächsten. Kein Wunder, ist sie
den Kanton Neuenburg führende BCN           mittlerweile bereit für den Zermatt-Trail
Tour und im Sommer 2017 in La Chaux-        – im Zeichen einer nochmals neuen
de-Fonds zudem ihren ersten Triathlon       Herausforderung der Zukunft.

Sicher und stressfrei von A nach B
Roland Erne, Redaktor «der Weg»

Sei es eine (Städte-)Reise oder eine Wanderung: Wer ohne oder mit stark
eingeschränktem Sehvermögen bisher unbekanntes Gebiet erkundet, kann
im Smartphone-Zeitalter zum Glück auf Navigations- und Orientierungs-
Apps wie «MyWay» vertrauen. Die SBV-Eigenentwicklung ist ab 22. Juni
als komplett revidierte Neu-Auflage «MyWay Pro» im App-Store verfügbar.

Einmal dort unterwegs, wo man sich          Innovation (T&I) umgesetzten Neue-
(noch) nicht auskennt, gilt es, den rich-   rungen entsprechen insbesondere der
tigen Weg zu finden. Das ist einfacher      Zielvorgabe einer optimierten Funktio-
gesagt als getan. Umso hilfreicher ist      nalität im Zeichen einer benutzerfreund-
die barrierefrei entwickelte, mittels       licheren, intuitiven Bedienbarkeit und
VoiceOver bedienbare GPS-App                einer verbesserten Übersichtlichkeit.
«MyWay», die auf die Bedürfnisse von        «‹MyWay Pro› soll eine möglichst auto-
blinden und sehbehinderten Menschen         nome Anwendung ohne ermüdendes
zugeschnitten ist (siehe auch Septem-       Ausprobieren ermöglichen», bekräftigt
ber-Ausgabe 2019). Die von der feder-       Erkan Kuzucular, zuständiger Software-
führenden Fachstelle Technologie und        Entwickler im Team von T&I-Leiter

                                                                                   19
Schwerpunkt

Luciano Butera, das mit Rolf Roth           dienenden Kartenansicht angezeigt,
von der Spezifikation und Entwicklung       wobei einmal erfasste Routen auf dem
bis zum Testing und zur Abnahme der         Smartphone gespeichert bleiben. Hin-
Neu-Auflage gemeinsam «MyWay                zu kommt ein quasi selbsterklärendes
Pro» konzipierte.                           «Cockpit» mit den unmissverständ-
                                            lichen Buttons Home, Navigation,
Umfassende Neu-Auflage                      Einstellungen und Info.
Kernelement der acht Jahre nach der         Zu den mit der Version 1.0 implemen-
Lancierung umfassend erneuerten             tierten Funktionen gehören überdies
iOS-Applikation ist eine intelligente       insbesondere die verlässliche Navi-
Routenaufzeichnung, die zuverlässig         gation zu einer hinterlegten Adresse
von A nach B als vorgegebenem Ziel          (Take Me Home), die Markierung von
führt. Nach Bedarf individuell definierte   Routen als Favoriten, die Anzeige
Routenpunkte werden weiterhin in            sogenannter Points Of Interest (POI)
einer Listenansicht und neu auch in         und von Abfahrtszeiten ab öV-Halte-
einer namentlich Sehbehinderten             stellen, das Auffinden wegweisender
                                            Fussgängerstreifen oder Kreuzungen
                                            sowie die Möglichkeit, selbst erstellte
                                            Routen anderen zugänglich zu machen
                                            und Routen-Dateien der Formate
                                            OSM, GPX und PLIST aus anderen
                                            Navigations-Apps zu importieren.
                                            Nicht weniger dienlich sind der Routen-
                                            austausch via Mail und AirDrop, die
                                            Routenanweisung mittels Pieps-Signal
                                            und Vibration bei flach gehaltenem
                                            Handy und das abrufbare Handbuch.
                                            Einmal mehr konnte sich die Fachstelle
                                            T&I dabei auch auf Feedbacks einer
                                            aus Verbandsmitgliedern gebildeten
                                            Testgruppe stützen, die laut Erkan
                                            Kuzucular bestehen bleiben soll.
                                            Nach Abschluss der entsprechenden
                                            Anpassungen vor Monatsfrist wieder-
                                            um wurde die Übersetzung der Neu-
                                            Auflage «MyWay Pro» in die Wege
                                            geleitet, die nun auch in den Sprachen
Screen-Shot der Kartenansicht               Englisch, Französisch und Italienisch
mit POI-Anzeige. Foto: SBV                  zugänglich ist.

20
Schwerpunkt

Sportliche Ambitionen mit SARA
Hervé Richoz, Redaktor «Clin d’œil»

Blind oder stark sehbehindert eigen-      eignet, gibt es ein Quadrat, wo ich
ständig über einen See segeln –           aufrecht stehen kann», erläutert der
geht das? Kommen Sie an Bord mit          medizinische Masseur aus Pully (VD),
SARA (Sail and Race Audioguide),          der seit acht Jahren mit seinen vier
einer Gratis-App, die Betroffenen         sehenden Freunden jeweils ab Ende
buchstäblich neue Dimensionen             April jeden Mittwochabend an einer
eröffnet. Eine Begegnung mit dem          Regatta teilnimmt. Zu seinen Aufgaben
blinden Maximilien Thilo.                 für die Fahrt gehört es, die Segel
                                          klarzumachen und zu hissen, die Seil-
Es ist ein Tag mit Postkartenwetter:      winden zu bedienen und die vorderen
strahlend blauer Himmel, eine leichte     Segel zu trimmen. «Ich habe gelernt,
Brise bläst ins grosse Segel. Seit über   wie ich stabil stehen kann und wo
zweieinhalb Stunden sind drei Seh-        ich mich hinstellen muss. Nachdem
behinderte mit einem wendigen Segel-      mir der Baum einmal in den Rücken
boot allein unterwegs, ehe sie zum        geknallt ist, habe ich das rasch
Hafen Sciez am Genfersee auf franzö-      begriffen», so Maximilien Thilo lachend.
sischer Seite zurückkehren. Für einmal    Auch wenn das Segelboot aufgrund
ist ihre Begleitung nicht an Bord,        seiner Stabilisierung kaum Schlagseite
sondern etwas weiter entfernt in einem    hat, betont er deren gleichwohl gefühls-
Motorboot darauf bedacht, dass es zu      intensive Wirkung, die Kraft des über
keinen Zusammenstössen mit anderen        den See gleitenden Schiffs und die
Booten kommt. Was ist nur in dieses       Wahrnehmung des unüberhörbar
Sextett gefahren, das beim Projekt        durchs Wasser preschenden Rumpfs,
«Blindensegeln» (Cécivoile) des           vor allem aber das verbindende Erleb-
französischen Blindenverbands             nis unter Copains.
(UNADEV) mitmacht?                        Also: Schliessen Sie mal die Augen
                                          und stellen Sie sich folgendes vor:
Dem Alltag entkommen                      pralle, weisse Segel, azurblauer Him-
Szenenwechsel: Beim Segeln auf der        mel, ein leichter Wind im Gesicht und
gegenüberliegenden Schweizer See-         die sanfte Bewegung des Boots, das
seite kann Maximilien Thilo dem Alltag    übers Wasser gleitet. Haben Sie die-
entkommen und ein Gefühl von Freiheit     ses Bild vor Augen? Eingeschworene
sowie Ruhe und Gelassenheit erleben.      Fans werten Segeln denn auch nicht in
«Auf der 11 Meter langen Yacht X-372,     erster Linie als Sport, sondern erken-
die sich für Ausflüge und Regatten        nen darin vielmehr eine Lebensweise.

                                                                                21
Schwerpunkt

Segeln jedenfalls bedeutet, alle Facet-   Regatten und Segler wie Maximilien
ten des Boots genau zu kennen und zu      Thilo entwickelt. Und so funktioniert
geniessen, wie das Schiff auf die Ele-    sie: Wird eine Strecke aktiviert, sind
mente der Natur der Umgebung re-          Distanzangaben und Peilungen ebenso
agiert. Selbst wenn das Steuer führende   wie Informationen zum bestmöglichen
Betroffene logischerweise leider          Kurs bis zur nächsten Marke verfügbar.
ohne den Adrenalinschub auskommen         Grundsätzlich sollen die Angaben
müssen, den taktische Überlegungen        akustisch oder visuell dann erfolgen,
ohne fremde Hilfe, der zu haltende        wenn sie vom Segler benötigt werden.
Kurs und die optimale Geschwindigkeit     Ist die App entsprechend eingestellt,
oder aber das Ansteuern einer Boje        gibt sie beispielsweise kein Signal von
mit sich bringen, um dann über Steuer-    sich, solange ein bestimmter Kurs
bord zu wenden. Im Bewusstsein sol-       gehalten wird. So ist der sehbehinderte
cher Limiten hat das Entwicklungsteam     Segler stets informiert und kann sich
die App                                   aufs Wesentliche konzentrieren: den
SARA konzi-                               Wind hören. Überdies ermöglicht die
piert. Einer                              App, dem Verlauf einer Regatta zu
der Projekt-                              folgen: Sobald eine Linie, eine Marke
leiter ist                                oder ein Tor erreicht ist, wird automa-
Olivier                                   tisch die nächste Marke aktiviert. So
Ducruix, der                              wird auch der blinde Steuermann vor-
– selbst blind                            übergehend zum taktischen Skipper
– zu den                                  und Strategen! Für Maximilien Thilo ein
sehbehinder-                              noch so gern eingelöstes Versprechen.
ten Seglern
gehört, die                               Verein Sailability.ch
im Rahmen                                 Nicht nur die App SARA, sondern
von «Céci-                                auch der in Arbon (TG) am Boden-
voile» den                                see domizilierte Verein Sailability.ch
Genfersee                                 erschliesst blinden und sehbehinder-
erobern.                                  ten Menschen neue Erlebnismöglich-
                                          keiten. Ziel ist, das Leben von Men-
Zum Strategen werden                      schen mit besonderen Bedürfnissen
Wer die Applikation als Segler ohne       durch den Segelsport zu bereichern.
sportliche Ambitionen nutzt, profitiert   Zum Angebot gehören Segelkurse,
von Angaben zum gesegelten Kurs und       Camps und Ferienwochen. Kontakt:
zur Durchschnittsgeschwindigkeit          044 500 28 77, info@sailability.ch,
sowie von der Aufzeichnung der Fahrt.     www.sailability.ch.                 rer
Eigentlich aber wurde SARA für

22
Verbandsleben

Standpunkt
Charly Meyer, Abteilungsleiter Sensibilisierungen & Schulungen (S&S)

Liebe Leserin, lieber Leser
Die Abteilung S&S will mithelfen, die
Inklusion der betroffenen Menschen zu
verbessern. Erreicht werden soll dies
mit Sensibilisierungen und Schulungen,
geleitet vor allem von den Sektionen.
Unsere Abteilung bewegt sich im Drei-
eck Sektionen-Interessenvertretung-                               Charly Meyer.
Sensibilisierungen & Schulungen und                               Foto: SBV
kann auf eine gute Zusammenarbeit
bauen. Während die Sektionen im               damit eine betroffene Person vor dem
Bereich Sensibilisierungen an vorderster      Flughafengebäude auch erfährt, wo sie
Front aktiv sind, stellt sich die Abteilung   ist und wohin sie gehen soll. Wir arbei-
S&S in ihren Dienst. Sie unterstützt          ten mit Signaletik-Spezialisten, damit
diese in administrativen und personellen      die Abflugzeiten korrekt lesbar und in
Fragen, damit die vorhandenen                 richtiger Höhe montiert sind. Begleit-
Ressourcen optimal genutzt werden             personal wird von uns geschult, um
können. Die Interessenvertretung des          adäquat kommunizieren und führen zu
SBV engagiert sich für die Chancen-           können. Und wenn Flugbegleiter an
gleichheit, zum Beispiel im Bereich           Bord nicht nur möglichst einfach und
Zugänglichkeit. Ergeben sich daraus           genau beschreiben, was sie gerade tun
Bedürfnisse nach Sensibilisierungen           und servieren, sondern nach dem Kauf
und Schulungen, klären wir die                eines Getränks auch noch das Rück-
Anfrage und leiten sie an die jeweilige       geld vorbildlich in die Hand zählen oder
Sektion weiter.                               die Kartenzahlung exakt kommentieren
Mit der Abteilung S&S soll einerseits         – dann ist unsere Mission erfüllt.
eine möglichst einheitliche Linie be-         Die Gesellschaft muss mehr Lern-
treffend Angebote etabliert, andererseits     bereitschaft und Akzeptanz zeigen.
die Unterstützung der Sektionen auf           Lernen, wie man mit betroffenen
der fachlichen, personellen und admi-         Menschen kommuniziert, die Umge-
nistrativen Ebene professionalisiert          bung anpasst und sie begleitet. Akzep-
werden. Wie wichtig eine umfassende           tieren, dass es Gesetze gibt, die umge-
Schulung der verschiedensten Berufs-          setzt werden müssen. Adäquater und
gruppen ist, zeigt sich am Beispiel           respektvoller Umgang mit sehbehinder-
einer Flugreise. Wir schulen Taxifahrer,      ten und blinden Menschen ist lernbar!

                                                                                    23
Verbandsleben

25 Jahre Sektion Berner Oberland
Roland Erne, Redaktor «der Weg»

Am 8. April 1995 war es so weit: Im Spiezer Gemeindezentrum Lötschberg
wurde in Anwesenheit von Verbandspräsident Hansburkard Meier, Regio-
nalsekretär Felix Schneuwly sowie 34 Stimmberechtigten die SBV-Sektion
Berner Oberland gegründet und Rösli Polgar zur ersten Präsidentin
gewählt. Die diesjährige Generalversammlung (GV) von Anfang März war
Anlass genug, das 25-jährige Bestehen im Beisein von Generalsekretär
Kannarath Meystre zu feiern. Eine Bestandsaufnahme mit dem amtieren-
den Präsidenten und vormaligen Vizepräsidenten Bruno Seewer.

Die Gründung der Sektion kam selbst-      Für den anlässlich der GV 2020
redend nicht aus dem Nichts. Eine         von Vorstandsmitglied Reto Koller
Arbeitsgruppe um Rösli Polgar leistete    vor rund 50 Teilnehmenden und
vielmehr wertvolle Vorbereitungsarbeit    Gästen präsentierten Rückblick im
mit Abklärungen in Sachen Bedarf und      Zeichen des 25-Jahr-Jubiläums
Interesse, nicht zuletzt auch mit Blick   wiederum konnte er sich auf eine
auf das weitläufige Gebiet der Sektion    Arbeitsgruppe mit Sekretär Hans
Bern. Im von Margaretha Kilchenmann,      Amport verlassen. Gefragt war Seh-
damals Vorstandsmitglied der Sektion      vermögen, zumal es Jahresberichte
Bern, unterzeichneten Protokoll zur       und Protokolle auf Papier zu sichten
Gründungsversammlung ist überdies         und auszuwerten galt.
nachzulesen: «Nachforschungen zu-
folge hat es bereits früher einmal eine   Fakten, Zahlen, Anekdoten
Sektion Spiez gegeben.» Den somit         Im Hinblick auf das historische Ereignis
logischen Schritt in die Selbstständig-   der Gründung nicht von ungefähr zu
keit begründet Bruno Seewer ins-          vermerken waren dabei grosszügige
besondere denn auch mit dem Ver-          Zuwendungen. Zum einen seitens
weis auf eine «zersplitterte Region»      SBV-Präsident Hansburkard Meier, der
zwischen Innertkirchen-Meiringen-         den Sektionen gemäss Gründungs-
Hasliberg, Kandertal und dem bis zur      protokoll «eine besondere Bedeutung
französischen Sprachgrenze reichenden     in unserem Verband» zumass, mit
Saanenland. Auch im Wissen darum,         einer Starthilfe von 5’000 Franken,
dass sich der Hauptanteil einer kons-     zum anderen seitens der Sektion Bern
tant gebliebenen Anzahl von knapp         mit einem bemerkenswerten Start-
150 Sektionsmitgliedern auf Thun          kapital von 25’000 Franken. Die von
und Umgebung konzentriert.                Hanni Wüthrich als Tagespräsidentin

24
Verbandsleben

geleitete Gründungsversammlung von
1995 konnte es so bei einem beschei-
denen Mitgliederbeitrag von 15 Franken
bewenden lassen, der bereits ein Jahr
später indes auf 25 Franken angepasst
wurde. SBV-Regionalsekretär Felix
Schneuwly hingegen blieb es vor-
behalten, «der neuen Sektion die
nicht ganz einfachen Strukturen des
Gesamtverbandes näherzubringen».
Reto Kollers augenzwinkernder
Kommentar dazu: «Das würdi üs vilich
o hüt no guet tue …»
Abgesehen von Fakten, die das Ge-
deihen der Sektion mit Zahlen unter-
mauerten, durften ähnlich verschmitzte
Anekdoten auch sonst nicht fehlen. So
etwa ist das erfreuliche Jahresergebnis
2000 nicht ohne 80 von der Kassierin
verschickte Mahnungen zustande
gekommen und sollten im Folgejahr
zum Tag des Weissen Stocks (TWS)
– ein Sonntag – Pfarreiverantwortliche
für den Alltag von Blinden und Seh-
behinderten sensibilisiert werden – mit
offenbar überschaubarem Erfolg. Nicht
unerwähnt bleiben sollten überdies ein
Auto-Event mit gratis mitmachenden
Fahrlehrern unter dem Motto «Blindes
Vertrauen am Steuer» auf dem Flug-
platz Interlaken (2008), ein legendärer   Sektionspräsident Bruno Seewer
Ausflug ins Emmental samt Besuch          mit Vorstandsmitglied Reto Koller
des «Kambly»-Fabrikladens in              und Generalsekretär Kannarath
Trubschachen (2016) oder die den          Meystre, Ehrengast und Gründungs-
Defiziten der letzten Jahre geschuldete   mitglied Ursula Haller, Georges-
Einführung von drei «Eiger», «Niesen»     André Althaus, Präsident des
und «Stockhorn» genannten Passiv-         Lions Clubs Stockhorn, übergibt
mitglieder-Kategorien (2018) mit bisher   Bruno Seewer einen Check.
mässigem Erfolg.                          Fotos: Yvonne Baldinini

                                                                         25
Sie können auch lesen