Gefahr im Job Wie moderne Technologie schützt - DEKRA Solutions
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Magazin Alles im grünen Bereich 1/2017 Gefahr im Job Wie moderne Technologie schützt Revolution Technische Entwicklungen prägen die Arbeitswelt von morgen Cybersicherheit So gelingt die Absicherung vernetzter Infrastruktursysteme Risikoberufe Gefahrenmanagement für maximale Sicherheit
Editorial Investition in Sicherheit Inhalt 1/2017 Stefan Kölbl über den Wandel der Arbeitswelt Liebe Leserinnen und Leser, viele von Ihnen erleben in ihrem beruflichen Umfeld bereits die Auswirkungen der digitalen Revolution. Ständige Erreichbarkeit, Echtzeit reaktion und Logistik im Minutentakt wird in vielen Branchen bereits vorausgesetzt. Das Rad der Effizienzsteigerung dreht sich immer schnel ler. Gesteigerte Produktivität hat etwas Positives. Doch das darf nicht zulasten von Sicherheit und Gesundheit gehen. Hier liegt aber oft der Fehler im System: Nur sel ten wird der zeitliche Gewinn nachhaltig genutzt, wie das Gespräch mit der Organisationspsycholo gin Dr. Susan L. Koen in dieser Ausgabe zeigt. Auf der DEKRA Safety-in-Action-Konferenz in Antwer pen hielt die Expertin dazu einen bemerkenswerten 8 Vortrag, und in unserem Interview auf Seite 32 gibt Spektakuläre sie wertvolle praktische Tipps für jeden von uns. Arbeitsplätze Wir haben diese Ausgabe ganz der Frage nach mit Risikofaktor der Balance zwischen Effizienz und Sicherheit im Zuge des technologischen Wandels in der Arbeits welt gewidmet. Dabei haben wir auch für eigentlich 08 Hohes Risiko Titelthema risikoreichere Berufe ermutigende Entwicklungen Monotone, gefährliche oder körperlich herausgefunden. So reduzieren sinnvoll einge anstrengende Arbeiten sollen in Zukunft setzte Technik und professionelle Mitarbeiterschu Roboter übernehmen. Wie sehen die lung die Gefahren erheblich. Schöner Nebeneffekt Arbeitskonzepte der Zukunft aus? dabei: Die Investition in Sicherheit zahlt sich am Ende ebenso auf der Habenseite Ihrer Bilanz aus. 18 Interview – Zukunft der Arbeitswelt Und seien Sie sich sicher: Auch 2017 wird sich Ingenieur und Arbeitswissenschaftler Prof. DEKRA mit ganzer Kraft für noch mehr Sicherheit Wilhelm Bauer über die Arbeitswelt von im Verkehr, bei der Arbeit und zu Hause einsetzen. morgen und wie wir sie gestalten können. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen guten Start in ein erfolgreiches neues Jahr. Ihr Stefan Kölbl Vorsitzender des Vorstands 18Prof. Wilhelm DEKRA e. V. und DEKRA SE Bauer im Interview
20 Roboter ermöglichen höchste Präzision Digital E-Paper Sie möchten DEKRA solutions auf dem Tablet lesen und direkt auf Links und Videos klicken? Kein Problem, einfach 32 Dr. Susan 20 Der große Wandel Mehr Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit. kostenlos downloaden. L. Koen im Sie finden das Gespräch Wie neue Technologien die Arbeitswelt revolutionieren und sicherer machen. E-Paper auch auf: www.dekra- 26 Angriffsziel Netz solutions.com Heute gibt es mehr miteinander vernetzte Geräte als Menschen auf der Welt. Doch das Internet der Dinge ist verwundbar. 28 Mehr als alarmierend Burnout ist keine Modekrankheit. Pro- gramme in Unternehmen minimieren das Stress- und Überlastungsrisiko. solutions online Das DEKRA Magazin hat 32 Interview – Arbeitseffizienz nun auch seine eigene Organisationspsychologin Dr. Susan L. Homepage mit täglichen Koen über Arbeitssysteme, Teamarbeit und Neuigkeiten aus der Welt die Bedeutung von Tiefschlafphasen. von DEKRA – mit Sicher- heit spannend. Wir freuen 34 Kein Platz für Routine uns auf Ihren Besuch. 34 Für viele unvorstellbar, für einige liegt Mehr Informationen Genaue Risiko- abwägung ist gerade darin der Reiz: Jobs mit hohem zu diesem Thema: lebenswichtig Risikofaktor. www.dekra- solutions.com 40 Heißes Eisen Sicherheit Nachhaltige Verbesserung der Sicherheit. Diese Voraussetzung haben die drei Preis- Icons träger des DEKRA Award 2016 erfüllt. Video Standards 02 Editorial Webverweis 04 News 42 Impressum Telefon E-Mail 40 Verleihung des DEKRA Award 2016 Termin 3 DEKRA solutions 1/2017
Nachrichten Tunnel-Test DER BASISTUNNEL DURCH DAS SCHWEIZER dem Ladungssicherungsbereich der DEKRA Nie Unter der Erde GOTTHARD-MASSIV entlastet die Umwelt und derlassung Bielefeld von Januar bis April 2016 Die Betriebssicherheit verlagert Straßentransporte unterirdisch auf Testfahrten in verschiedenen Konstellationen der Güterzüge muss im die Schiene. Aber bis zu 2.300 Meter unter gefahren. Die Prüfer gaben grünes Licht. „Die Tunnel gewährleistet dem Gestein ist es feucht und die Temperatu Beschleunigungsbelastungen lagen deutlich sein. Die Schweiz setzt hierbei auf die Expertise ren liegen um die 40 Grad Celsius. Zudem sind unter den Grenzwerten der Regelwerke“, sagt von DEKRA die Züge einem erhöhten Luftwiderstand aus Projektleiter Wolfgang Bühren. An der Siche gesetzt, wenn sie in der 57 Kilometer l angen rung von Planen musste allerdings nachgebes Röhre mit 100 km/h im Wechsel mit 200 km/h sert werden. Aufgrund der sehr hohen Schwin schnellen Personenzügen verkehren. Um die gungsbelastungen bei der Tunneldurchfahrt Betriebssicherheit unter diesen extremen seien z. B. Bremsmechanismen in den Planen Bedingungen zu gewährleisten, hat die Schwei gurtschlössern zwingend erforderlich, so das zer Güterbahn SBB Cargo AG zusammen mit Fazit von DEKRA. GROSSBRITANNIEN 15 POLEN Investor-Magnet 43 69 36 LAUT EINER STUDIE der Prüfungs- und Bera- FRANKREICH tungsgesellschaft Ernst & Young zur Attraktivität des Wirtschaftsraums Europa und zu tatsächli chen Investitionsprojekten ausländischer Unter nehmen in Europa liegt Deutschland auf Platz 1. 14 In einer weltweiten Befragung von 735 Unterneh NIEDERLANDE 19 SPANIEN men nannten 69 Prozent Deutschland als Top- Angaben in Prozent – drei Nennungen möglich Favoriten für Investitionen. Einer der Hauptgründe DEUTSCHLAND Quelle: Ernst & Young ist die gute Qualifikation der Arbeitskräfte. 4 DEKRA solutions 1/2017
Nachrichten » Öffnen Sie sich für Flexibilisierungsmodelle. Arbeit wird immer zeit- und ortsunabhängiger. Der klassische Büroschreibtisch mit Präsenzpflicht wird mittelfristig zum Auslaufmodell. Setzen Sie sich also frühzeitig mit Konzepten wie Vertrauensarbeitszeit, aber auch mit transparentem Monitoring und leistungsbasierter Honorierung auf Grundlage von Datenanalyse auseinander « KURZ NOTIERT Managementempfehlung Nr. 1 der Unternehmensberatung Sopra Steria Consulting zum Thema „Arbeitswelt der Zukunft“ INTERNET DER DINGE DAS LONG RANGE WIDE AREA NETWORK (LoRaWAN) ist eine offene Spezifikation, um End- Rekord-Roboter geräte für eine sichere Kommunikation im Inter- zertifiziert net der Dinge zu verbinden. DEKRA bietet fortan DEKRA prüft und in Nordamerika und Europa Prüfdienstleistun- zertifiziert den weltweit gen für Produkte nach dem LoRaWAN Zertifizie- größten Laserroboter, rungs-Programm an. Die Labore befinden sich in der von Flugzeugen Herndon im US-Bundesstaat Virginia sowie im Lacke und Beschich- spanischen Málaga. Die DEKRA Tochtergesell- tungen hochpräzise schaft AT4 wireless ist in Nordamerika das erste entfernt. Das Gerät von der LoRa Alliance akkreditierte Prüflabor. des niederländischen Herstellers LR Systems B.V. setzt für die Weitere Informationen zu diesem Thema: Entschichtung einen www.at4wireless.com 20-kW-Laser ein. Es wird erwartet, dass der LCR-Roboter schneller und präziser arbeitet als herkömmliche Metho- Bessere Luft den und sich damit die Stillstandszeiten der Flugzeuge verringern. UM DIE LUFTQUALITÄT ZU VERBESSERN, müssen 60 % Autoabgase genauer gemessen und Fahrzeuge mit unzulässig hohen Emissionen identifiziert werden. Deshalb setzen sich der Zentralverband Deutsches Kfz-Gewerbe (ZDK) und DEKRA der Top-Manager dafür ein, dass bei der Abgasuntersuchung fühlen sich nach einer wieder sowohl eine Abgasmessung als auch eine gemeinsamen Studie elektronische On-Board-Diagnose verpflichtend von Hill+Knowlton eingeführt werden. Zur Weiterentwicklung einer Strategies und „The zeitgemäßen Abgasuntersuchung gehörten Economist Group“ insbesondere die Entwicklung einer Methode von der Masse an zur Messung von Stickoxiden und deren Informationen, die täglich auf sie einströmt, Integration in die Abgasuntersuchung sowie die überfordert. Für mehr Festlegung entsprechender Grenzwerte. Dem als die Hälfte der Bundesverkehrsministerium haben ZDK und weltweit 1.600 befrag- DEKRA vorgeschlagen, gemeinsam mit Interes- ten Führungskräfte ist senvertretern eine Arbeitsgruppe einzurichten, die der unablässige Strom kurzfristig einen Vorschlag für eine modernisierte an Inhalten Stress und Abgasuntersuchung unterbreitet. Belästigung. 5 DEKRA solutions 1/2017
Nachrichten 64 KURZ NOTIERT Prozent der Autofahrer wünschen sich einer TRAGBARER Bitkom-Umfrage zufolge beim Parken SPASS Unterstützung durch IN EINIGEN US-FIRMEN fangen Fitness-Tracker einen Autopiloten. an, fast so alltäglich zu werden wie der Mitarbei- terausweis. Nach einer Umfrage von Willis Towers Watson bieten 31 Prozent von 540 befragten Firmen mit 1.000 oder mehr Angestellten ihren Beschäftigten die Geräte fürs Handgelenk an. Diese sollen mehr Spaß bei der Arbeit bringen, gleichzeitig die Gesundheit verbessern und die Arbeitsproduktivität steigern. THE ROADMAP TO SAFETY EXCELLENCE: 8 ESSENTIAL STEPS FOR CHANGE Jede Sekunde erleiden weltweit zehn Menschen einen Arbeitsunfall. Dabei Studie ist Sicherheit am CONTINENTAL BEFRAGTE IN SEINER Mobility Arbeitsplatz keine Frage Study 2016 rund 190 Logistiker, Spediteure und der Umstände oder Flottenbetreiber in Deutschland und China nach des Zufalls. Vielmehr ihrer Haltung bezüglich Fahrzeugvernetzung, müssen Maßnahmen Platooning und automatisiertem Fahren. Die erarbeitet werden, Chinesen denken digitaler als die Deutschen. die die Sicherheit am Arbeitsplatz gewähr- DEUTSCHLAND CHINA leisten. DEKRA Insight hat eine achtstufige 21 8 33 38 6 16 75 Anleitung entwickelt, die Führungskräften Wichtigkeit von ... Fahrzeugvernetzung dabei helfen soll, einen nachhaltigen Plan 24 16 36 25 11 8 22 47 zur Verbesserung der Sicherheit zu erstellen Wichtigkeit von ... Platooning und ihn letztlich in der Unternehmenskultur zu verankern. 34 12 28 26 23 12 23 33 Vernetzt Wichtigkeit von ... automatisiertem Fahren AUTOS, DIE MITEINANDER UND MIT DER INFRA- Weitere Infos: STRUKTUR „REDEN“ KÖNNEN, sind das Ziel der www.dekra- 10 (= sehr wichtig) bis 8 3 bis 2 Europäischen Strategie für Kooperative Intelli- insight.com/en/ 4 bis 7 1 (= völlig unwichtig) gente Verkehrssysteme (C-ITS). Ab 2019 sollen ebook-safety- so Straßenverkehrssicherheit, Verkehrseffizienz roadmap Quelle: Continental Mobility Study 2016 und Fahrkomfort deutlich verbessert werden. 6 DEKRA solutions 1/2017
Mehr digitale Assistenten ARBEITNEHMER WERDEN KÜNFTIG MEHR VON Sichere Unterstützung xibler und kostengünstiger zu produzieren, pla- DIGITALEN ASSISTENTEN UNTERSTÜTZT. Derzeit Die Digitalisierung ver- nen oder diskutieren 20 Prozent den Einsatz die- wendet nur ein Prozent der Unternehmen Cogni- spricht mehr Sicherheit ser Technologie. Im produzierenden Gewerbe tive Computing beziehungsweise Verfahren der bei der Entwicklung liegt der Anteil der Nutzer bereits bei 16 Prozent, künstlichen Intelligenz an, aber sieben Prozent neuer Geschäftsideen weitere 40 Prozent machen Planungen. und Arbeitsmodelle der befragten Betriebe stehen vor ihrer Einfüh- Die zunehmende Digitalisierung hat bei 41 Pro- rung. Das ergab eine repräsentative Umfrage bei zent der befragten Betriebe zu neuen Produkten Unternehmen aller Branchen ab 20 Mitarbeitern oder Dienstleistungen geführt, 63 Prozent haben im Auftrag des Digitalverbands Bitkom. ihr Angebot digital ergänzt. Jedes fünfte Unter- Aus der gleichen Umfrage ergab sich auch der nehmen will mit digitalen Service-Angeboten Trend zum 3D-Druck. Während bisher erst fünf punkten – wie zum Beispiel einer Fernwartung Prozent der Unternehmen versuchen, damit fle- per Internet. FOTOS: ALPTRANSIT GOTTHARD AG, AT4 WIRELESS, GETTY IMAGES (2), DEUTSCHLAND 12 SPANIEN 12 LR SYSTEMS, GARMIN, ISTOCK, CONNECTED-DOUVRIN.COM ITALIEN 10 GROSSBRITANNIEN 10 Automatisierung USA 9 WENN 70 PROZENT DER AUFGABEN automatisierbar sind, gilt ein Arbeitsplatz als FRANKREICH 9 automatisierungsgefährdet. In Deutschland trifft dies auf zwölf Prozent der Arbeitsplätze zu. Das JAPAN 7 geht aus einem Arbeitspapier der OECD hervor. SCHWEDEN 7 Anteil der Entscheidend dabei sei die Wirtschaftsstruktur Beschäftigten eines Landes: In Ländern mit einem hohen in Jobs mit hohem POLEN 7 Automatisierungs- Anteil an Stellen im Dienstleistungsbereich ist Risiko (in Prozent) das Risiko geringer als in Ländern mit Schwer- ESTLAND 6 Quelle: OECD punkt Industrie. 7 DEKRA solutions 1/2017
Arbeitssicherheit Hohes Risiko Computer, Drohnen und Roboter sollen den Menschen von gefährlicher oder monotoner Arbeit befreien. Werden gesundheitsgefährdende Jobs in Zukunft wirklich sicherer – oder ganz ersetzt? Text Karl-Gerhard Haas 8 DEKRA solutions 1/2017
Die beste Lebensversicherung 100-prozentig sichere Technik und menschliches Können – wie hier an einem Funkmasten in Arizona 9 DEKRA solutions 1/2017
Arbeitssicherheit D azu braucht man keine Statistik – der Beruf ten Dampfseilwinden bedeuteten Lebensgefahr des Bergarbeiters gehört zu denen, die von für ihre Bediener. Mal flog ihnen der Kessel um Unfall oder gar Tod mit am häufigsten betrof- die Ohren, mal riss das Stahlseil und zerschlug fen sind. Aber dort, wo in der westlichen Welt über- dabei alles, was ihm im Wege war. In den USA galt haupt noch Kumpel in die Schächte einfahren, ist noch in den 1930ern beim Bau des Hoover-Stau- deren Arbeitsplatz deutlich weniger gefährlich als damms: Kranke oder verletzte Arbeiter sind raus etwa der ihrer chinesischen Kollegen – erst Anfang – die Schlange derjenigen, die den Job sofort über- November 2016 starben nahe dem südwestchinesi- nehmen, ist lang genug. schen Chongqing 33 Minenarbeiter. Auch in vielen Derlei rücksichtslose Ausbeutung menschli- »Unser Entwicklungsländern sind tödliche Arbeitsunfälle schrecklicher Alltag – bis hin zur Katastrophe. 2013 cher Arbeitskraft ist in der westlichen Welt heute die Ausnahme. Doch trotz aller Sicherungs- und Oberkörper- waren in einer Textilfabrik in Bangladesch nach Schutzmaßnahmen: Noch immer gibt es gefährli- exoskelett einem Feuer über 1.100 Tote zu beklagen. che Jobs in Deutschland, Europa und den USA (siehe unterstützt den So bitter es klingt: Dass diese Jobs gefährlich Infografik S. 16). Lebensretter aller Art zählen zu Träger, lässt sind, ist nicht verwunderlich. Als 1994 die Welt- den Gefährdeten, also Polizisten, Soldaten, Feuer- dabei aber auch handelsorganisation WTO gegründet wurde, for- wehrleute oder Berg- und Seenotretter. Ebenso sind derte die damalige US-Regierung die Einbeziehung Jobs auf dem Bau sowie in der Land- und Forstwirt- schnelle und sozialer Mindeststandards in die Verträge. Die Ent- schaft auf den vorderen Plätzen – Letztere, obwohl intuitive Bewe- wicklungsländer waren dagegen, denn dann hät- die Dampfseilwinden lange verschrottet wurden. gungen zu« ten sie nicht mehr so einfach mit ihrem größten Aber auch Hochseefischer oder Kraftfahrer aller Art Pfund wuchern können: billiger Arbeit. Ähnli- liegen in den Statistiken vorn. Dr. med. Urs Schneider, che Zustände kennt man aus Westeuropa Andere Berufe sind nicht lebensgefährlich Leiter Biomecha- aus den Anfangstagen der Industriali- im Wortsinn, aber ihre Ausübung kann tronische Systeme sierung. Kinder sammelten unter langfristig negative Folgen für die Gesund- bei IPA-Fraunhofer, Lebensgefahr den Schmutz unter heit haben. Fast alle Menschen, die hart Stuttgart laufenden Webstühlen ein. Die vor körperlich arbeiten, müssen im fortge- der Motorisierung von Wald- und schrittenen Alter damit rechnen, dass Holzerntefahrzeugen Rücken oder Knie nicht mehr mitmachen. häufig genutz- Egal ob akute Lebensgefahr oder Beeinträchtigungen, die zur Aufgabe des erlernten Berufs zwingen – moderne Tech- nik kann in vielen Fällen helfen, den Beruf sicherer oder gesundheitsschonender auszuüben. In anderen Branchen, etwa der Pflege oder der Landwirtschaft, ist 20,8 Milliarden Euro betrug der Ausfall an Bruttowertschöpfung im Jahr 2014 in Deutsch- land, verursacht durch Erkrankungen des Äußerst zupackend Muskel-Skelett-Systems Dieses Exoskelett und des Bindegewebes. von IPA-Fraunhofer wird Quelle: Bericht der Bundesanstalt bereits bei der Gepäck- für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin verladung am Flughafen „Volkswirtschaftliche Kosten durch Arbeitsunfähigkeit 2014“ Frankfurt erprobt
nicht die Gefährlichkeit der zu erledigenden Aufga 30 Meter hohen Kirchturm eher nicht. Andere Modell-Bau aus der Luft ben das Problem – die Jobs sind monoton, anstren Branchen stehen vor ähnlichen Problemen: Wind Die Fakultät Bauinge- gend oder schlicht schlecht bezahlt. Helfer bei der räder, Staumauern oder Brücken lassen sich nur nieurswesen der Uni Spargelernte etwa wissen abends, was sie tagsüber mühsam und manchmal bloß unter Gefahr für Leib Weimar inspiziert Gebäude geleistet haben. und Leben inspizieren. Die Fakultät Bauingenieurs per Drohne und hoch Viele der genannten Probleme lassen sich mit wesen der Bauhaus-Universität Weimar ließ das auflösender Bildtechnik moderner Technik wirkungsvoll angehen – das Wort nicht ruhen. Sie stattete Drohnen von Ascending – 3D-Darstellung inklusive von der Industrie 4.0 macht seit einiger Zeit die Technologies mit hochwertiger digitaler Foto- und Runde. Deutsche Forschungseinrichtungen entwi Videotechnik aus. Sie schießt Tausende, manch ckeln und erproben an vorderster Front – mal sind mal Zehntausende Einzelfotos des zu inspizieren es nur Prototypen, mit denen man erkunden will, den Bauwerks. Aus diesen Aufnahmen entsteht im wohin die Reise gehen könnte, mal bereits vollstän Computer ein 3D-Modell des Objekts – mit exakten dig ausgearbeitete, praxistaugliche Lösungen. Standort- und Maßangaben sowie deutlich hervor Dachdecker etwa leben gefährlich und Unfälle gehoben Schäden. Reparieren können diese Droh sind allgegenwärtig. Den Sturz von dem Einfami nen allerdings noch nicht. Hier ist der Mensch lienhaus überlebt man mit etwas Glück, den vom einstweilen nicht zu ersetzen. Die zehn gefährlichsten Berufe der Welt Bomben- entschärfer Nicht nur in Kriegsge Fensterputzer bieten ist der Job eines Ein Beruf, bei dem das Kampfmittelbeseitigers Risiko vermeintlich kal gefährlich. Die Ausbil kulierbar ist, gehört zu dung findet zumeist in den gefährlichsten Jobs speziellen Einheiten des weltweit. Ähnliches gilt Militärs statt. für Gerüstbauer. 11 DEKRA solutions 1/2017
Halt mal! In Zukunft könnte ihm dabei aber modernste etwa drei Jahren. Mit einem geschätzten Preis von ANNIE von IFF- Technik zur Hand gehen und ihn sichern. An Exo dann 30.000 Euro ist das Exoskelett sicher noch Fraunhofer assistiert auf skeletten, also einer Art Roboteranzug, arbeiten nichts für den kleinen Handwerksbetrieb, aber für Zuruf bei der Arbeit viele Firmen und Forschungseinrichtungen. Sie die Serienfertigung oder eine konstant hohe Zahl sollen beispielsweise das Anheben schwerer Lasten abzufertigender Güter in der Industrie eine über- sichern und erleichtern. Viele bisherige Produkte schaubare Investition. Der Bremer Ableger des sind aber noch schwerfällig und nicht ausreichend Deutschen Forschungszentrums für künstliche sicher. Das in Stuttgart angesiedelte Fraunhofer- Intelligenz (DFKI) erprobt ein ähnliches Konzept Institut für Produktionstechnik und Automatisie- in Zusammenarbeit mit einer Werft. rung (IPA) will dies mit seinem Prototyp ändern. Auch Arbeiter auf Ölbohrplattformen gehören Aktuell wird er in der Kabelmontage bei einem Bus- zu den Hochrisikogruppen. Für die Arbeit in dieser hersteller erprobt; außerdem beim Gepäckein- und rauen Umgebung heißt die Antwort von Fraunhofer -ausladen am Flughafen Frankfurt. Institutsspre- MIMROex. Laut IPA ist der mobile Wartungs- und cherin Ramona Hönl rechnet mit der Serienreife in Inspektionsroboter der weltweit Erste seiner Art. Ice-Road-Fahrer Die etwa 600 Kilometer lange Ice-Road im Feuerwehrmann Norden Kanadas ist Für die Rettung anderer das Einsatzgebiet der riskieren Feuerwehr- Ice-Road-Lkw-Fahrer. kräfte oft ihr Leben. Auf den zugefrorenen Dieser Beruf gehört Seen transportieren sie deshalb weltweit zu den tonnenschwere Ladung. gefährlichsten. 12 DEKRA solutions 1/2017
Arbeitssicherheit 125,8 Er begutachtet selbsttätig Rohrleitungen, zeichnet Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Ober- die Daten auf und stellt sie dem Betreiber in einer pfaffenhofen tüftelt seit 2008 am Rollin’ Justin. Er zentralen Datenbank zur Verfügung. Auch er macht könnte dereinst beispielsweise bei der Besiedelung den Menschen nicht überflüssig – an die entspre- des Mars helfen. Als autonomes System könnte Jus- Millionen Arbeits- chenden Stellen der Bohrinsel muss der Roboter tin – auch vernetzt zu kleinen Einheiten – in der für unfähigkeitstage noch geschoben werden. Dann aber erledigt er ermü- Menschen kaum zu ertragenden Marsatmosphäre gingen im Jahr 2014 dende, doch notwendige Routinekontrollen automa- selbsttätig Arbeiten verrichten. Die Bedienung des auf Erkrankungen des tisch und erspart den Mitarbeitern die mühselige, Justin-Oberkörpers aus großen Distanzen probte Muskel-Skelett-Systems zeitraubende und fehlerträchtige Dokumentation. das DLR bereits 2015. Im Rahmen des Kontur-2-Pro- und des Bindegewebes Die Magdeburger Kollegen vom Fraunhofer-Insti jekts wurde er per kraftreflektierendem Joystick von zurück. tut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF der Internationalen Raumstation ISS aus bedient. Quelle: Bericht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin gehen mit „Annie“ noch einen Schritt weiter: Die- Diese Force-Feedback-Joysticks kennen die meis- „Volkswirtschaftliche Kosten durch Arbeitsunfähigkeit 2014“ ser Roboter soll Arbeiter unterstützen – und zwar ten Konsolen- und Computerspieler. Sie vermitteln anders als bisherige Industrieroboter nicht an einer aber nicht den vollen Eindruck der festen Position irgendwo in einer Fabrikhalle, son- Kräfte, die auf den Roboter ein- dern frei beweglich. Auf Zuruf, also per Sprachsteu- wirken. Einen Schritt weiter erung, reicht die Blechkollegin Schraubendreher ging im Sommer 2016 das oder hält Werkstücke fest. Auch Annie ist noch ein erwähnte DFKI Bremen. In Prototyp. In Zusammenarbeit mit dem IFF entsteht der marsähnlichen Wüste zur Zeit ebenso ein Blumenkohlernter, eine Weiter- des US-Bundesstaats Utah entwicklung des Instituts-„Spargelpanthers“. Viele bauten die Forscher ihre Roboter landwirtschaftliche Betriebe finden kaum noch auf, die von Bremen aus per geeignete Erntearbeiter – schon der seit 2014 gel- Exoskelett bedient wurden. tende Mindestlohn in Deutschland ist für die Bau- Ähnlich wie ein Baggerfah- Für die Routine ern eine Belastung, Deutsche bücken sich zu diesem rer, der an den Bewegungen Der von IPA- Tarif nicht zehn Stunden am Tag nach Spargel. Bei seines Fahrzeugs spürt, was Fraunhofer Blumenkohl kommt noch hinzu: Menschliche wie um ihn vorgeht, bekam dank entwickelte maschinelle Ernter müssen Blätter beiseiteschie- des Hightech-Anzugs auch MIMROex ben, um zu beurteilen, ob der Kohl schon reif ist der Bediener eine unmittel- inspiziert – nur dann kann er gepflückt werden. Eine soge- bare Rückmeldung über die Ölbohrinseln nannte Hyperspektralkamera erkennt in der „Vita- Roboter und ihre Werkzeuge. Panther“ genannten Maschine, ob der Blumenkohl Auf den ersten Blick geerntet werden kann. unspektakulär, aber min- Ganz andere Probleme lauern im Weltraum. Das destens genauso hilfreich Robotik- und Mechatronikzentrum des Deutschen sind Brillen wie etwa die von Dachdecker Pilot Trotz aller Sicher- Zwar gilt das Flugzeug heitsmaßnahmen gilt als das sicherste die Baubranche und Verkehrsmittel, doch insbesondere der Beruf bei Abstürzen ist das des Dachdeckers als Todesrisiko umso höher. einer der riskantesten. 13 DEKRA solutions 1/2017
Arbeitssicherheit »Wir erfassen mit unseren Drohnen die 600 Meter lange und 20 Meter hohe Schutzwand des Jagdbergtunnels an der A 4 in 20 Minuten« Dipl.-Ing. Norman Hallermann, Bauhaus-Universität Weimar Vuzix, die dem Nutzer zusätzliche Informationen weise die passgenaue Überlagerung von Realität anzeigen oder wahlweise per Kamera die Reali- und Zusatzdaten für den jeweiligen Nutzer. Beim tät um digitale Informationen ergänzen – etwa, DFKI Kaiserslautern entwickelte Dr. Nils Petersen wo genau sich ein Bauteil auf einem Gerät befin- im Rahmen seiner Dissertation Software, die die- det. Je nach Einsatz und örtlichen Gegebenhei- sen Prozess weitgehend automatisiert, den Aug- ten kommen die Informationen per WLAN, Kabel mented-Reality-Brillen also weitere Einsatzfelder oder von einer Micro-SD-Speicherkarte in die Brille. eröffnet. Zwischenzeitlich wurde das Forschungs- Fehlerquelle Mensch Die Brillen sind von mehreren Anbietern verfüg- feld in die Firma IOXP ausgegründet. Fahrer gehören zur bar. Die Herausforderung für den praktischen Solche Konzepte wurden auch schon für den Ein- Risiko-Berufsgruppe – Einsatz besteht darin, Bewegtbilder anwender- satz bei der Polizei erprobt, um etwa bei Kontrol- insbesondere Lkw-Lenker freundlich aufzubereiten. Dazu gehört beispiels- len schneller prüfen zu können, ob ein Verdächtiger zur Fahndung ausgeschrieben ist. Für die Frauen und Männer in Blau ist aber oft elementarer Schutz noch wichtiger: Als sich im Sommer 2016 im texa- nischen Dallas ein Amokläufer, der bereits fünf Polizisten getötet hatte, in einem schwer zugäng- lichen Parkhaus verschanzte, nutzte die Polizei einen Roboter, um den Täter mittels Sprengstoff zu stoppen. Scharfschützen oder andere Spezial- kräfte wären ohne Gefahr für ihr Leben nicht nah genug an den Mörder herangekommen. Nach die- sem Ereignis flammte in den Medien eine Diskus- sion darüber auf, ob Roboter töten dürfen. Doch die Maschine traf keine eigene Entscheidung, sondern fungierte ferngesteuert als verlängerter Arm des Gesetzes. Auch Minenräumroboter, wie sie Militär und Kampfmittelräumer einsetzen, machen fern bedient nur das, was ein Mensch will. Bei einer möglichen Automatisierung dieser Geräte stellt sich dann die Frage nach der Verantwortung. Die meisten Toten fordert in vielen Ländern der Welt immer noch der Straßenverkehr. Ein Groß- teil der Unfälle geht auf menschliches Versagen zurück. Bei Berufskraftfahrern im Fernverkehr kommen mehrere Gefahrenquellen zusammen. Soldat Hochseefischer Der Tod gehört bei Bei eisigen Temperatu- diesem Beruf zum ren, schwerem Seegang allgegenwärtigen Risiko. und extremer körperli- Denn die Gefahren, cher Belastung ist das denen ein Soldat Fischen auf offener ausgesetzt ist, sind See mit hohen Risiken vielfältig. verbunden. 14 DEKRA solutions 1/2017
Zu den hohen Jahresfahrleistungen jenseits der liglohnländern abgewickelt wird, die oft ältere Lkw Hallo Zukunft! FOTOS: GETTY IMAGES (8), FRAUNHOFER IPA & IFF, BÖWING,DAIMLER AG, RICK GERSHON/DISCOVERY CHANNEL, UNIVERSITÄT WEIMAR (2),RAINER BEZ/FRAUNHOFER IPA, ISTOCK, DDP IMAGES, FOTOLIA, ULLSTEIN BILD 100.000 Kilometer gesellt sich häufig extremer mit längeren Laufzeiten unterhalten. Mercedes-Benz erprobt Stress. Enge Zeitfenster beim Be- und Entladen Technisch ist der Lkw bereits in der Lage, auto- in seinem „Future Truck und die Einhaltung aller gesetzlich bestimmten matisiert zu fahren. Auf der gesetzlichen Seite sind 2025“ autonomes Fahren Lenk- und Ruhezeiten verschärfen den Druck. Das noch viele Fragen offen. Experten gehen davon aus, auf öffentlichen Straßen andere Extrem sind eintönige Nachtfahrten, bei dass sich mit dieser Technik nicht bloß Unfälle denen die Gefahr der Unaufmerksamkeit oder des durch menschliches Versagen verhindern lassen, gefürchteten Sekundenschlafs steigt. Und wenn sondern dass sich damit gleichfalls das Berufsbild es dann kracht, ist es meist gravierend. Regelmä- stark verändern wird. So könnte die Einteilung der ßig liest man die Meldungen über Auffahrunfälle kostbaren Lenkzeit eines Fahrers besser an Route mit Lkw, bei denen Menschen schwer verletzt oder und Verkehrssituation angepasst werden, womit getötet wurden. die Wirtschaftlichkeit solcher Systeme z unähme. Für Abhilfe wird mit zunehmender Marktdurch- Der Autopilot wird den Fahrer in absehbarer Zeit setzung der Notbremsassistent sorgen. Seit Novem- nicht vollständig ersetzen, aber teilweise. Neben ber 2015 ist er in der EU für alle neu zugelassenen seiner Entlastung im stressigen Autobahnver- schweren Lkw Pflicht. Allerdings ist nicht von der kehr macht ein automatisierter Lkw nicht bloß Hand zu weisen, dass ein Großteil des internatio- den Beruf seines Fahrers sicherer, sondern schützt nalen Straßengüterverkehrs von Firmen aus Bil- auch andere Verkehrsteilnehmer. Zirkusartist Polizist Als Zuschauer genießt Sie werden dann man die künstlerische gebraucht, wenn Darbietung. Für Zirkus- extreme Umstände artisten wie Akrobaten dies erfordern. Dadurch oder Tierdompteure sind Polizisten weltweit gehen dagegen mit der Gefahren für Leib und Ausübung des Berufs Leben ausgesetzt. Risiken einher. 15 DEKRA solutions 1/2017
USA Das Amt für Arbeitsstatistik (Bureau of Labour Statistics, BLS) 23,7 verzeichnet in den USA im Jahr 2014 die meisten schweren oder tödli- chen Arbeitsunfälle bei den Berufskraftfahrern. Die Landwirtschaft und das Baugewerbe zählen ebenfalls zu den risikoreichsten Branchen. beträgt die Unfallquote der TAXI meldepflichtigen Arbeits unfälle je 1.000 Vollarbeiter Quelle: „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2014“, Unfallverhütungsbericht Arbeit der Bundes anstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 15 Eisen- und Stahlarbeiter 270 68 22 Großbritannien 82 Im Jahr 2014 verzeichnete das Health and Safety Exe- Landwirt/Bauer/Viehzüchter cutive in Großbritannien die meisten tödlichen Arbeits- Taxifahrer und Chauffeure Fischerei 880 unfälle in dem am stärksten ausgeprägten Wirtschafts- Piloten und Flugingenieure 27 zweig, dem Dienstleistungssektor. 108 78 Berufskraftfahrer Abfall- und Müllwerker Bauindustrie Holzfäller » 80undbisUnfälle 90 Prozent der schweren Verletzungen werden durch menschliches Versagen verursacht « 38 20 Bauindustrie Susan L. Koen, CEO und Gründerin von RoundTheClock Resources, 161 Herstellung und Produktion einem Partner von DEKRA Insight 36 11 Dienstleistungssektor Abfall und Recycling Landwirtschaft Risikojob Menschen verschiedener Berufsgruppen sind spezifischen Risiken ausgesetzt, die die Gesundheit oder gar das Leben bedrohen. Ein Ländervergleich zwischen USA, Großbritannien und Deutschland. 16 DEKRA solutions 1/2017
Deutschland Im Jahr 2014 gab es in Deutschland insgesamt 639 tödliche Arbeitsunfälle, die meisten davon in der Landwirtschaft. Unfallursachen 2014 in Deutschland Nach dem Statistischen Bundesamt ist es im Haushalt deutlich gefährlicher als am Arbeitsplatz. Sport- & Verkehrsunfall Spielunfall 185 3.597 Schulunfall 4 Häus- licher Unfall 9.044 139 45 25 370 9.517 Sonstiger Unfall 76 Arbeitsunfall Tiefbau Landwirtschaft Öffentliche Verwaltung und Verteidigung 78 Landverkehre und Transport in Rohrfernleitungen Baustellenarbeiten Deutschland Nach dem Bericht „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2014“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ist der Bausektor der risikoreichste unter den zehn Wirtschaftszweigen mit den höchsten Unfallzahlen. 1 2 Bergbau und Tagebau 33.739 Gas-, Elektrizität- und Wasserversorgung 50.583 83.222 Gesundheitswesen 30.409 Herstellung von Metallerzeugnissen 63.906 37.964 Landwirtschaft 28.572 Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln 103.817 Öffentliche Verwaltung und Verteidigung Vermittlung und Überlassung von Arbeitskräften Gastronomie 44.999 Baustellenarbeiten ILLUSTRATION: BLUEBOX CONCEPT 66.787 Landverkehr und Trans- port in Rohrfernleitungen Einzelhandel Bei der jeweiligen Berufsgruppe sind sowohl männliche als auch weibliche Arbeitskräfte gemeint 17 DEKRA solutions 1/2017
Interview „Die digitale Welt kommt nicht über uns, wir können sie gestalten“ Weniger belastende Tätigkeiten, mehr Kreativität – die Arbeitswelt der Zukunft wird Freiräume schaffen, meint der Arbeitswissenschaftler Prof. Wilhelm Bauer. Interview Regina Weinrich Wie werden die Jobs der Zukunft aussehen? beeinflussen und steuern. Wir werden durch Tech- Bauer: Genau weiß das niemand. Sie werden sich nisierung gefährdende oder körperlich belastende durch die Digitalisierung wandeln. Wir erwarten, Tätigkeiten weiter automatisieren und ersetzen dass insbesondere kognitive Systeme, also daten- und damit zu einer ergonomischeren Arbeit in den basierte neue Geschäftsmodelle zu Veränderun- Betrieben beitragen. gen führen. Technik wird bestimmte, sehr leicht formalisierbare Prozesse übernehmen. In welchen Zeiträumen müssen wir uns das vorstellen? ZUR PERSON Heißt das, es steht nicht ein Job als Ganzes auf Bauer: Die digitale Transformation findet nicht dem Spiel, sondern lediglich einzelne Aufgaben? Wilhelm Bauer innerhalb weniger Jahre statt. Die Arbeitsteilung Bauer: Wenn wir ganz langfristig denken, wer- zwischen Mensch und Maschine wird sich konti- den bestimmte Berufe komplett verschwunden Der Ingenieur und nuierlich weiterentwickeln. Das haben wir in den sein. Sicher ist, dass sich Jobprofile verändern. Arbeitswissenschaftler vergangenen drei Jahrzehnten auch schon erlebt. Bestimmte Aufgaben werden von der Technik ist geschäftsführender Es wurde immer so viel wie möglich rationalisiert übernommen, andere aber auch nicht. Institutsleiter am Fraun- und automatisiert. Trotzdem ist der Beschäfti- hofer-Institut für Arbeits- gungsgrad in unserem Land heute höher denn je. Gibt es dafür ein Beispiel? wirtschaft und Organisa- Die große Sorge, dass die Entwicklung zu großer Bauer: Denken wir an Pflegeeinrichtungen. Wenn tion IAO in Stuttgart. Er Arbeitslosigkeit führen wird, ist nicht begründet. hier Roboter älteren Menschen regelmäßig Wasser steuert und verantwortet bringen, entlastet die Maschine das Pflegeperso- die Bereiche Innovati- Folglich gehen Ihrer Einschätzung nach unterm nal und schafft Freiräume für eine persönlichere onsforschung, Technolo- Strich zumindest in Deutschland überhaupt keine Betreuung. Einfache und leicht programmierbare giemanagement, Leben Jobs verloren? Aufgaben übernimmt die Technik. Anspruchsvol- und Arbeiten in der Bauer: Es werden Arbeitsplätze durch Technik lere, soziale oder kreative Tätigkeiten bleiben bei Zukunft, Smarter Cities ersetzt werden und neue mit höheren Qualifi- den Menschen. Das ist das Positive an der Digita- und Mobility Innovations. kationen entstehen. Rationalisierungen werden lisierung, dass Menschen künftig interessante, Der Professor berät als wir eher im mittleren Bereich erleben, bei Fach- eher höherwertige Tätigkeiten machen werden Mitglied in verschiede- arbeit in der Fabrik und Sachbearbeitung in den und Maschinen die monotonen, schwierigeren nen Gremien Politik und Büros. Eine neue Studie geht von einem Verlust oder kraftraubenden Jobs. Menschen werden mehr Wirtschaft. von insgesamt 60.000 Jobs in Deutschland inner- koordinieren, steuern und planen. halb von zehn Jahren aus. Aber der wird durch das Ausscheiden der Babyboomer-Generation aus dem Werden die Jobs zukünftig vom gesundheit Arbeitsleben mehr als kompensiert. Wir werden lichen Aspekt her sicherer sein? Wird es weni unseren Fachkräftemangel in den nächsten Jah- ger Berufsunfälle geben? ren und Jahrzehnten hoffentlich durch Automati- Bauer: Wenn man zwischen Mensch und Maschine sierung ausgleichen können. noch ein Tablet als Steuerungsschnittstelle ein- fügt, kann der Arbeitnehmer in der Fabrik bei- Die Roboter werden dringend gebraucht, weil es spielsweise aus sicherer Entfernung Abläufe zu wenige qualifizierte Arbeitskräfte gibt? 18 DEKRA solutions 1/2017
Bauer: Es wird zwar auch in der Zukunft Jobs Zukunftsdenker intelligenter. Datenwelt und physische Welt sind geben, bei denen sich Automatisierung betriebs- 2012 erhielt Wilhelm dann im Internet der Dinge miteinander verbun- wirtschaftlich nicht rechnet, denn auch die Tech- Bauer die Auszeichnung den. Deutschland ist in der physischen Welt stark nik muss finanziert werden. Ein großes Problem als „Übermorgen und muss jetzt die Verknüpfung mit der digitalen ist aber, dass aufgrund der schrumpfenden Bevöl- macher“. Der Technolo Welt schaffen. giebeauftragte des kerung nicht genügend Arbeitskräfte für die höher Landes Baden-Würt qualifizierten Tätigkeiten nachrücken. Das heißt, Sehen Sie da gute Ansätze? temberg setzt sich be- wir müssen ausreichend weiterqualifizieren. sonders für die Einbin- Bauer: Viele Unternehmen verändern sich zum dung des Mittelstands Teil sehr schnell. So sind beispielsweise die Auto- Der digitale Nachwuchs muss also aus den eige- in die Digitalisierung ein mobilhersteller dabei, sich zu Mobilitätsdienst- nen Reihen kommen? leistern weiterzuentwickeln. Die digitalisierte Bauer: Auch. Wer heute 40 Jahre alt ist und even- Welt kommt nicht über uns, sondern wir können FOTO: BORIS SCHMALENBERGER tuell bis zum 70. Lebensjahr arbeiten wird, der sie gestalten. Wir organisieren ja unser Priva- muss sich auf die digitalere Welt einstellen. Dazu tes heute schon immer mehr über digitale Inst- muss er die Fähigkeit erlangen, in immer digitale- rumente, über das Smartphone und Plattformen. ren Geschäftsmodellen zu denken und dafür Pro- Wir gestalten die Veränderung durch unser Ver- dukte sowie Services zu entwickeln und in den halten und unseren Konsum, im Privaten wie im Markt zu bringen. Wir werden auch in Zukunft Beruflichen. Jede Veränderung birgt Gefahren und Autos, Maschinen und andere physische Pro- Chancen. Ich sehe jede Menge Raum nach oben dukte bauen. Aber diese Produkte werden immer für positive Entwicklungen. 19 DEKRA solutions 1/2017
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Evolution in der Arbeitswelt Der große Wandel Neue Technologien revolutionieren die Arbeitswelt. Ziele sind mehr Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit. Die Sicherheit steht weiterhin im Fokus. Text Regina Weinrich Adidas Speedfactory Roboter ersetzen manuelle Fertigung – Adi Dassler 1927 im Produktionsgebäude der Gebrüder Dassler Schuhfabrik
Evolution in der Arbeitswelt W eltweit wurden im Jahr 2014 rund 1.660 onssysteme mbH. Die Brille ist mit ihrer Robustheit Millionen Tonnen Stahl produziert. Mit und einer Betriebsdauer von acht Stunden auf die über 800 Millionen Tonnen ist China Bedürfnisse der Industrie zugeschnitten und kann der bedeutendste Produzent. Die Herstellung von zusätzlich auch für Arbeitsaufträge oder in Verbin Roheisen hat früher viel Personal gebunden und dung mit einer Fernwartungszentrale für Reparatur großen physischen Einsatz verlangt. In moder oder Instandhaltung Einsatz finden. „Bis 2018 soll nen Stahlwerken werden heute hingegen Hoch die Brille produktionsreif sein“, sagt Gesis-Projekt öfen vom Leitstand aus am Bildschirm gesteuert. leiter Thorsten Schulz. Dann kann er sich ihren Ein Aber ohne den Schmelzer, der vor Ort Prozesse kon satz, in leicht abgewandelter Form, beispielsweise trolliert, läuft nach wie vor nichts. Angesichts von auch in einem Bergwerk vorstellen. Lärm und Hitze bis zu 800 Grad Celsius soll ein Veränderungen finden immer schneller in neuer Helm mit integrierter Datenbrille die Arbeits unseren Alltag und nehmen auch Einfluss auf sicherheit verbessern, denn herkömmliche Sirenen den Gesundheitssektor. Mithilfe von Scans sowie oder Ampeln dringen bei Gefahr zu den Stahlarbei CAD/CAM-Design lassen sich in einer Zahnarzt tern in Hitzeschutzkleidung nicht durch. Mit der praxis alle Arbeitsschritte bis zum fertigen Zahn Brille aber können virtuelle Warnungen direkt in ersatz digital und automatisch erledigen. Forscher das Sichtfeld des Schmelzers eingeblendet werden. arbeiten bereits an der Entwicklung von 3D-Dru Entwickelt hat den Schutzhelm die Fakultät ckern, die Hautflächen und ganze Organe liefern Elektrotechnik der Westsächsischen Hochschule sollen. Im Operationssaal eines Krankenhauses Zwickau in Zusammenarbeit mit einer Tochter der unterstützen Roboter bereits seit Längerem Ärzte Salzgitter AG, der Gesis Gesellschaft für Informati bei chirurgischen Eingriffen. Automatisierte AUSBLICK Innovation und Sicherheit Der Umbau der Arbeitswelt wird durch viele Faktoren beeinflusst. Dabei hat die Sicherheit weiterhin höchste Priorität. Impulsgeber Sicherheit kein Selbstläufer Vier „Mega-Driver“, also treibende Kräfte, für den Wandel in Neue Technologien bringen nicht automatisch Arbeitssicher- der Arbeitswelt hat der Chef der Internationalen Arbeitsorga- heit mit sich: Im Juni 2016 wurde eine Frau im US-Bundesstaat nisation (ILO), Guy Ryder, benannt: die technologische und Alabama von einem Roboter tödlich verletzt, als sie einen Sen- die demografische Entwicklung sowie den Klimawandel und sor reparierte. Wegen Missachtung der Sicherheitsvorschrif- die Globalisierung. Es sei nicht nur möglich, sondern vor- ten müssen die verantwortlichen Unternehmen eine Strafe von teilhaft, den Weg in eine CO2-arme Zukunft mit der Schaf- rund 2,6 Millionen Dollar zahlen. Die US-Arbeitsschutzbehör- fung von menschenwürdigen Arbeitsplätzen zu verknüpfen, de Occupational Safety and Health Administration berichtet für sagte Ryder. „Wir müssen uns in der Arbeitswelt gemein- 2015 von 4.836 tödlichen Arbeitsunfällen. Das ist der höchs- sam anstrengen, damit die Globalisierung fairer vorangeht, te Wert seit 2008. „Wir stehen in der moralischen Verantwor- die Armut beseitigt und Ungleichheiten verringert werden.“ tung, dafür zu sorgen, dass Arbeitnehmer, die heute im Betrieb Andernfalls stehe das Ende offener Märkte und der Rückzug in waren, auch morgen noch leben und arbeiten können“, sagte Nationalismus und Isolationismus bevor. Thomas E. Perez, US-Arbeitsminister in der Regierung Obama. 22 DEKRA solutions 1/2017
Medizintechnik Ermüdungsfreie Maschinen unter- stützen Chirurgen bei Operationen
Montagetisch Der digitale Helfer zeigt an, ob beim Zusammenbau auch alles passt gen inzwischen über Tausende Kilometer hinweg erfolgreich Eingriffe durch. Algorithmen und Roboter können Menschen bei bestimmten Tätigkeiten ergänzen oder ersetzen, sie tragen aber auch dazu bei, durch Kostenreduk- tion Wertschöpfung in Hochlohnländer zurückzu- holen. Das macht der Sportartikelhersteller Adidas mit dem Bau seiner Speedfactory im fränkischen Ansbach vor. Rund 500.000 Paar Laufschuhe sol- len die Fabrik jährlich verlassen, Roboter produzie- ren hier serienmäßig ab 2017 rund um die Uhr. Sie ysteme ermüden nicht, haben immer eine ruhige S sind nicht nur günstiger als menschliche Arbeits- Hand und nehmen minimalinvasive Eingriffe wie kräfte in Fernost, sie lassen sich auch schnell an Prostataresektionen oder andere Operationen Bedarf und individuelle Wünsche des Kunden im Bauchraum vor. Roboter erweitern die Fähig- anpassen. keiten von Ärzten und verbessern die Ergonomie Nähen und Verkleben gehört nicht zu den Aufga- des chirurgischen Arbeitsplatzes. Mittels Video- ben der Beschäftigten hier. Die etwa 160 Mitarbei- konferenz und Operationsroboter führen Chirur- ter in Ansbach sind insbesondere Techniker, die die 24 DEKRA solutions 1/2017
Evolution in der Arbeitswelt »Die Möglichkeit, kontrolliert das Unerwartete zu tun, wird eine Maschine niemals haben. Nur Menschen können intuitiv handeln« Professor Welf-Guntram Drossel, Leiter des Fraunhofer Instituts für Werkzeugmaschinen- und Umformtechnik (IWU), Chemnitz Maschinen bedienen und warten. Die Umstellung große Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte welt- auf eine On-Demand-Produktion könnte eine Lager- weit haben, betont Till Leopold, Projektleiter beim haltung nahezu überflüssig machen. „Wir arbei- World Economic Forum. Parallel dazu gebe es wich- ten an allen Fronten, um effizienter zu werden“, tige gesellschaftliche Entwicklungen wie eine sagte der langjährige Adidas-Vorstandschef Her- Überalterung in den Industriestaaten. In den auf- bert Hainer. Eine weitere Speedfactory soll eben- strebenden Märkten hingegen seien die Arbeits- falls 2017 in der Region Atlanta in den USA in die kräfte sehr jung und Frauen drängten verstärkt in Serienproduktion gehen. Den Schwellenländern den Beruf. „Zusammengenommen sind die sozia- stehen damit große Veränderungen bevor. len Faktoren fast genauso bedeutsam wie die tech- „Natürlich fallen durch Digitalisierung und nologischen und verstärken sich gegenseitig“, sagt Industrie 4.0 auch Tätigkeiten weg“, sagt Profes- der Ökonom. sor Welf-Guntram Drossel, Leiter des Fraunhofer Die wichtige Konsequenz daraus lautet: Weiter- Instituts für Werkzeugmaschinen- und Umform- bildung. Gerade auch in den Ländern mit einem technik (IWU) in Chemnitz. Aber gleichzeitig gebe hohen Bestand an älteren Arbeitskräften und es neue Jobs, beispielsweise in der Produktentwick- wenig Nachwuchs liege es im Interesse der Wirt- lung. „Dort, wo der kreative Geist von Menschen schaft, sich hier verstärkt zu engagieren, um wett- gefordert ist, wird eine Vielzahl von Arbeitsplät- bewerbsfähig zu bleiben. „Nötig ist ein gutes Tech- zen entstehen“, ist der Produktionswissenschaft- nikverständnis“, meint Leopold. Gebraucht würden ler überzeugt. auch Fähigkeiten, um komplexe Probleme zu lösen, Aber nicht nur die technische Revolution soziale Kompetenz und kritisches Denken. Lebens- mit künstlicher Intelligenz, Nanotechnologie, langes Lernen ist angesagt. Für jeden einzelnen wie 3D-Druck, Genetik oder Biotechnologie wird sehr für Unternehmen als Ganzes. ZAHLEN UND FAKTEN Weiterbildung ist eine zentrale Aufgabe der Gesellschaft Viele Industriestaaten stehen vor der Herausforderung, den digitalen Umbau ihrer Wirtschaft mit einer alternden Bevölkerung zu bewältigen. Die Anzahl der nachrückenden Facharbeitskräfte ist gering und die Berufsbilder wandeln sich zum Teil rasant. Die vorhandene Kompetenz durch Fortbildung aufrechtzuerhalten, ist die einzige Chance. Altersstruktur und Bevölkerungs- Beständigkeit der Arbeitsanforderungen, entwicklung in Europa 2015–2020, alle Branchen Quelle: United Nations – Department of Economic and Social Affairs Quelle: World Economic Forum FOTOS: ADIDAS, IMAGO, DLR, GETTY IMAGES (3), AUDI AG Bis 15 Jahre 15 – 65 Jahre Über 65 Jahre Branche Instabil Stabil 738,2 Mio. 744,2 Mio. 741,2 Mio. 692,9 Mio. 720,5 Mio. 726,8 Mio. Branchen gesamt 35 % 65 % 12,4 % 12,7 % 14,8 % 16,2 % 18,9 % 22,4 % Medien, Unterhaltung und Information 27 % 73 % Verbrauchsgüter 30 % 71 % Medizinische Versorgung 29 % 71 % 65,4 % 66,8 % 67,7 % 68,4 % Energie 30 % 70 % 65,1 % 62,2 % Professionelle Dienstleistungen 33 % 67 % Informations- und Kommunikationstechnologie 35 % 65 % Mobilität 39 % 61 % 22,2 % 20,5 % 17,6 % 15,4 % 16,1 % 15,4 % Grundstoffindustrie und Infrastruktur 42 % 58 % 1980 1990 2000 2010 2020 2030 Finanzdienstleistungen & Investoren 43 % 57 % 25 DEKRA solutions 1/2017
Digitale Sicherheit I nnerhalb weniger Minuten war der Verkehr in der Innenstadt zusammengebrochen, die Rückstaus erreichten binnen einer halben Stunde alle Zugangsstraßen. Schnell wurde den Verkehrsplanern klar, dass es ein Hackerangriff war, der alle vernetzten Ampeln gleichzeitig auf Rot geschaltet hatte. Über die Motivation des Angriffs sollte noch lange spekuliert werden – ein Bekenner meldete sich nie. Doch der erfolgreiche Angriff unterstrich die Verwundbarkeit vernetz- ter Infrastruktursysteme. Noch ist dieses Szenario fiktiv. Doch es ist alles andere als unmöglich – und laut Kennern der Szene wie Candid Wüest, Analyst beim IT-Sicherheits Angriffsziel Netz anbieter Symantec, keineswegs unwahrschein- lich. „Die Gefahren steigen mit jedem vernetzten Gerät, das öffentliche oder private Funktionen ausführt“, berichtet Wüest und erinnert daran, dass erst vor wenigen Wochen 900.000 Internet- Ohne Vernetzung sind zunehmender router der Deutschen Telekom ausfielen. Dass die Straßenverkehr oder die Energiewende nicht betroffenen Kunden plötzlich nicht mehr telefo- zu bewältigen. Doch die ans Internet nieren, per IPTV fernsehen oder das Internet nut- zen konnten, war in diesem Fall ein unbeabsich- angebundene Infrastruktur ist verwundbar – tigter Nebeneffekt des Angriffs. Eigentlich woll- und stellt daher neue Anforderungen an ten Hacker die Geräte kapern und mit ihrer Hilfe ihre technische Absicherung. andere Systeme überlasten und somit lahmlegen. Dieses Ziel misslang, ließ als Kollateralschaden Text Hannes Rügheimer aber die betroffenen Router abstürzen. Erst Tage später konnte die Telekom durch Filter in ihrem Netz und schnell verteilte Software-Updates die betroffenen Kunden wieder online bringen. 26 DEKRA solutions 1/2017
Die rasante Verbreitung vernetzter Geräte bezeichnen Fachleute als „Internet of Things“ oder kurz IoT. Sie kommen sowohl in Privathaushalten als auch in Unternehmen, Fabriken oder eben im öffentlichen Raum zum Einsatz. Die Vorteile der Vernetzung sind so groß, dass die Betreiber die damit verbundenen Risiken eingehen – dies gilt auch für kritische Branchen wie Energieversorger oder öffentliche Verkehrssysteme. Schon heute gibt es laut Marktforschern wie Gartner, IDC oder McKinsey mehr vernetzte Geräte als Menschen auf der Welt. Bis 2020 soll die Zahl auf 26 Milliar- den ans Internet angebundene Geräte ansteigen. Sie vor Hackern und Datenspionen zu schützen, gilt als eine der größten technischen Herausfor- derungen in der IoT-Welt. Gleichzeitig steigen auch die Bedrohungen. Neben Kriminellen, die durch Erpressungen oder den Verkauf erbeuteter vertraulicher Daten Geld verdienen wollen, ist längst bekannt, dass auto- ritäre Staaten Hacker finanzieren, um die Infra- 26 struktur und öffentliche Sicherheit in fremden Staaten zu beeinträchtigen. Milliarden vernetzte Geräte Doch die traditionellen Konzepte, mit denen erwartet Telekommunikations- IT-Experten vernetzte Computer und Firmennetz- ausrüster Ericsson bis zum Jahr werke schützen, greifen bei IoT-Anwendungen 2020. Schon 2022 oder 2023 kaum. So bereitet etwa die große Zahl betroffener sollen es dann 50 Milliarden Geräte im Fall eines Angriffs zusätzliche Schwierig- Geräte sein keiten wie die Routerprobleme der Telekom zeigten. Besseren Schutz versprechen koordinierte Maß- nahmen, die in mehrere Richtungen wirken. Dazu fälligkeiten sofort Alarm. Im eingangs beschrie- zählen etwa Prüfungen und Zertifizierungen, die benen Szenario hätte eine Verkehrsleitzentrale die Immunität vernetzter Geräte und Systeme dann etwa die Möglichkeit, die dynamische Steu- FOTO: BLEND IMAGES/ GETTY IMAGES gegen bekannte Angriffsmethoden sicherstellen. erung der Ampeln zu deaktivieren und die Anla- Künftig könnte die Cybersicherheit von Produk- gen auf einen starren Zeitplan zurückzuschalten. ten einen ähnlichen Stellenwert bekommen wie Das würde den Verkehrsfluss zwar verschlechtern, heute etwa die elektrische Sicherheit. Ein weiterer aber einen völligen Zusammenbruch verhindern – erfolgversprechender Ansatz ist die externe Ana- und den IT-Experten die nötige Zeit verschaffen, lyse von Funktionsbereitschaft und Erkennung um die attackierte Sicherheitslücke zu schließen. von Cyberangriffen. Zentrale Sicherheitssysteme analysieren den Datenverkehr und das Verhalten Weitere Informationen zu diesem Thema: der beobachteten Geräte und schlagen bei Auf- www.dekra-certification.com/en/cyber-security 27 DEKRA solutions 1/2017
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