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                            VERNETZT LEBEN   Das Magazin der   www.login-magazin.de

Wann sind wir endlich da?   Mobile Gesellschaft
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login // editorial                                                 02_2018                                                 inhalt // Mobile Gesellschaft

    Bewegungsfreiheit // „Etwas Besseres als den Tod finden wir über-                                                          TITEL                                INSIDE OUT
    all“, heißt es im Märchen der Bremer Stadtmusikanten. Sich aufzumachen,
    um etwas Besseres zu suchen – auch auf abenteuerliche, gefährliche Weise                                                   04 // im gespräch                    21 // nachgefragt
    – ist ein menschliches Grundbedürfnis. Seit unsere Vorfahren vor 100 000                                                   Ist virtuelles Reisen die Zukunft?   Hin und Her. Mitarbeiterinnen
    Jahren aus Afrika aufbrachen, um ihre Lage zu verbessern, sind Menschen                                               04   Technikphilosoph Bruno Gransche      und Mitarbeiter der regio iT über
    unterwegs. Bewegungsfreiheit ist ein elementares Menschenrecht.                                                            über den Komfort einer VR-Reise      ihre berufliche Beweglichkeit.
                                                                                                                               und die Beschwerlichkeiten des
    Moderne Nomaden // Regionale, nationale und zeitliche Grenzen                                                              Unterwegsseins.                      22 // ausbildung
    werden durch die Digitalisierung aufgelöst. Wer will, kann als Digital-                                                                                         Frauen in der IT sind eine Minder-
    nomade mit dem Laptop unter Palmen statt im Großraumbüro arbeiten,                                                         07 // wandergesellen                 heit. Wieso sie dazu gehören,
    solange das Netz funktioniert. Wenn globale Konzerne allerdings wie moder-                                                 Immer in Bewegung: Wieso gehen       erzählen sechs Mitarbeiterinnen
    ne Nomaden Arbeitsplätze an einem Ort abbauen, um an anderer Stelle                                                        junge Handwerker heute noch auf      der regio iT.
    zu günstigeren Konditionen zu produzieren, dann ist das keine Freiheit,                                                    die Walz?
    sondern Mobilität ohne soziale Verantwortung. Welche Formen Mobilität
    annimmt, hat immer Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft. Darum                                                        11 // gesellschaft
    geht es in dieser Ausgabe.                                                                                                 Gehen oder bleiben? Mobilität ist    CAMPUS
                                                                                                                               nur schön, solange man sich aus-
                                                                                                                          07
    Mobilität als Mythos // Das Gebot der Stunde lautet: Reise deiner                                                          suchen kann, wie flexibel man sein   26 // zoom
    Verwertbarkeit nach! Wer pendeln muss, tut dies nicht aus Jux, sondern                                                     will.                                In Bewegung: der Braunkohle-
    um seinen Status zu erhalten. Und weil er nicht wegziehen will. Die meisten                                                                                     tagebau Hambach.
    Deutschen bleiben da, wo sie herkommen, so eine Studie der Universität                                                     14 // meinung
    Luzern zum Mobilitätsverhalten. Andere Studien zeigen, dass eine globale                                                   Verschlafen wir die Verkehrswende    27 // erweiterte realität
    Identität bis jetzt sehr gering ausgeprägt ist: Selbst wer um die Welt jettet                                              in Deutschland? Eine Frage, drei     Pokémon Go war nur der Anfang:
    und mehr Zeit in Wartebereichen als Zuhause verbringt, ist immer noch                                                      Antworten.                           Die Welt mischt sich zunehmend
    regional verwurzelt. Man kann diesen Wunsch nach Sesshaftigkeit als unzeit-                                                                                     mit digitalen Elementen.
    gemäß abtun. Oder anerkennen, dass gerade in bewegten Zeiten Menschen                                                      16 // kultur
    vermehrt nach Stabilität suchen. Und daraus Konsequenzen ziehen.                                                           Albrecht Dürer kam auf seiner
                                                                                                                               einjährigen Reise nach Antwerpen
    regio iT in Bewegung // In der regio iT gibt es seit Oktober eine neue                                                     auch in Aachen vorbei. Aber nicht    LOGOUT
    Organisationseinheit, den Smart Hub. Die neue Struktur bündelt Zukunfts-                                              22   wegen der Printen.
    themen wie Mobility, Internet of Things oder die intelligente Steuerung des                                                                                     30 // gewinnspiel
    Energieverbrauchs, um sie gezielter zu entwickeln. Dafür arbeiten die zu-                                                  20 // service                        Reihenrätsel
    ständigen Kolleginnen und Kollegen künftig in einem zentralen und inter-                                                   Rückkehrer-Romane boomen:
    disziplinären Team in eigenen Räumen, begleitet und geschult von Experten.                                                 Drei Empfehlungen.                   31 // karikatur
    Läuft alles erfolgreich, sollen die agilen Strukturen später unternehmens-                                                                                      Impressum
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2                                                                                   login // 02_2018   login // 02_2018                                                                                  3
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TITEL

                                                                                                          login // Während wir über virtuel-       Wie sieht dieser Rahmen aus?             Ist virtuelles Reisen eine Option,

        im gespräch // „Die Illusion ist hoch.“
                                                                                                          les Reisen sprechen, sind Sie mit        Wenn Sie virtuell nach Paris reisen,     um Städte wie Barcelona, Vene-
                                                                                                          Ihrer Familie in Südfrankreich im        dann können Sie sich nicht aus-          dig oder Amsterdam vor dem
                                                                                                          Urlaub. Wieso machen Sie sich            suchen, was Sie sehen wollen. Sie        Touristenansturm zu schützen?
                                                                                                          noch auf den Weg?                        werden bei Ihrem virtuellen Rund-        Ja, das ist sogar wünschenswert.
        Technikphilosoph Bruno Gransche über virtuelle Reisen                                             BRUNO GRANSCHE // Weil die Un-           gang an Grenzen stoßen, wo es            Der wachsende globale Tourismus
        und wieso die wahren Abenteuer nicht im Kopf, sondern auf                                         terschiede zwischen einer virtuellen     heißt: Karte zu Ende. In der Wirk-       hat viele negative Effekte. Wenn
        der Straße liegen.                                                                                und einer wirklichen Reise unüber-       lichkeit dagegen ist es immer mög-       es um Reisen geht, bei denen es
                                                                                                          windbar sind. Obwohl beide Reise-        lich, geplante Wege zu verlassen         keinen Unterschied macht, ob ich
                                                                                                          formen technisch vermittelte Erleb-      und Unbekanntes zu entdecken.            physisch vor Ort bin oder nicht,
        DAS GESPRÄCH FÜHRTE BIRGIT-SARA FABIANEK
                                                                                                          nisse sind, wie so ziemlich alles,       Deshalb sollte sich jeder die Ver-       ist es schonender, seine Reise aufs
                                                                                                          was Menschen heute tun: Ich bin im       mittlungseffekte der Technik klar        Virtuelle zu beschränken.
                                                                                                          Auto hierher gereist und hatte die       machen.
                                                                                                          Klimaanlage an – dadurch habe
                                                                                                          ich meine Umgebung nur teilweise         Was meinen Sie damit?
                                                                                                          wahrgenommen oder sogar ausge-           Bevor man die VR-Brille aufsetzt,                  WER VIRTUELL REIST,
                                                                                                          blendet, die Hitze zum Beispiel. Bei     um an einen fernen Ort zu reisen,
                                                                                                          einer virtuellen Reise geht mir aller-
                                                                                                          dings jeder Kontakt zur Wirklichkeit
                                                                                                                                                   sollte man sich bewusst darüber
                                                                                                                                                   sein, was bereits alles ‒ vom System,
                                                                                                                                                                                                      REIST NICHT MEHR
                                                                                                          verloren. Es ist eine sehr reduzierte    vom Gestalter, von der Anwendung,
                                                                                                          und vorselektierte Form des tech-        von der Auswahl und den Algorith-                  DURCH DIE WELT,
                                                                                                          nisch simulierten Erlebens.              men ‒ ausgefiltert wurde und einem

                                                                                                          Was fehlt Ihnen denn dabei?
                                                                                                                                                   an Wahlmöglichkeiten abgenom-
                                                                                                                                                   men wurde. Und auf dieser Grund-
                                                                                                                                                                                                      SONDERN DIE WELT
                                                                                                          Beim virtuellen Reisen sammelt           lage entscheiden, ob man damit
                                                                                                          man vor allem visuelle Eindrücke,        einverstanden ist. Wer virtuell reist,             REIST DURCH IHN.
                                                                                                          während Riechen, Schmecken und           reist nicht mehr durch die Welt,
                                                                                                          Fühlen fast sämtlich fehlen. Wenn        sondern die Welt reist durch ihn,
                                                                                                          in der Provence die Sonne auf ei-        vermittelt durch eine spezielle Tech-    Außerdem kostet es nicht so viel.
                                                                                                          nem Pinienwald steht oder der            nik. Und was zum unbeweglichen           Richtig. Virtuelles Reisen ist er-
                                                                                                          Lavendel blüht, nehme ich das mit        Beobachter gelangen kann, ist nur        schwinglicher und ermöglicht auch
                                                                                                          allen Sinnen wahr. Und wenn ich          das, was durch diesen bestimmten         Menschen mit geringerem Einkom-
                                                                                                          mich auf dem Markt mit einer frem-       Kanal passt. Nur das, was von der        men oder Menschen, die örtlich
                                                                                                          den Sprache abmühe und vielleicht        Welt digitalisierbar ist, kann auch      gebunden sind oder zu krank zum
                                                                                                          missverstanden werde und nicht           über digitale Technik vermittelt         Reisen, neue Eindrücke. Wenn Sie
                                                                                                          das bekomme, was ich eigentlich          werden. Aber es gibt Dinge in der        mit einem tollen Detailgrad virtuell
                                                                                                          möchte, dann kämpfe ich mit einer        Welt, die lassen sich nicht digitali-    durch Venedig gondeln, dann wa-
                                                                                                          Menge unvorhersehbarer Wider-            sieren. Und diese Dinge werden           ren Sie zwar nicht vor Ort, aber Sie
                                                                                                          stände. Reisen ist immer auch            dem virtuellen Reisen immer fehlen.      haben es gesehen und werden sich
                                                                                                          schwierig und beschwerlich. Aber                                                  zurechtfinden, sollten Sie später
                                                                                                          ich möchte mir nicht vorschreiben        Sehen Sie nur Nachteile im virtu-        einmal dort sein. Oder wenn Sie in
                                                                                                          lassen, welche Eindrücke ich auf         ellen Reisen oder auch Vorteile?         einem Regime leben, dass jede
                                                                                                          einer Reise sammle.                      Man kann virtuelle Reisen mit gut        Reisemöglichkeit unterbindet. In
                                                                                                                                                   gemachten Dokumentarsendungen            dem Fall könnten virtuelle Reisen
                                                                                                          Branchenvertreter versprechen            vergleichen. Die sind schön und          vielleicht sogar revolutionäres
                                                                                                          bei richtiger Umsetzung der Tech-        interessant und man kann auf einer       Potenzial haben.
                                                                                                          nik authentische, einprägsame,           virtuellen Reise durch den Louvre
                                                                                                          hoch emotionale und auch senso-          eine halbe Stunde vor der Mona           Oder man reist an Orte, die sonst
                                                                                                          rische Erfahrungen.                      Lisa verweilen, ohne dass ständig        nicht zugänglich sind, in den
                                                                                                          Ich bin überzeugt davon, dass sich       jemand durchs Bild latscht. Virtuel-     Weltraum zum Beispiel.
                                                                                                          die Möglichkeiten virtuellen Rei-        les Reisen hat seine Berechtigung,       Man kann auch in die Steinzeit rei-
                                                                                                          sens weiter ausreizen und perfek-        weil man sich einfach und unkom-         sen oder ins Paris des Mittelalters.
                                                                                       © Robert Poorten

                                                                                                          tionieren lassen. Doch es ist nicht      pliziert einen Eindruck von einer        Nur darf man sich davon nicht täu-
                                                                                                          möglich, den technischen Rahmen          Stadt oder einem Museum verschaf-        schen lassen, denken: Aha, so war
                                                                                                          dieses Mediums zu überschreiten.         fen kann.                                es also im Mittelalter. Was Sie    →

4                                                                   login // 02_2018                      login // 02_2018                                                                                                         5
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TITEL                                                                                                                                                                                                                                                    TITEL

                                                                  → dort sehen, sind Inszenierungen        Virtualität vergisst und der Meinung
                                                                  von Menschen, die bei der Herstel-
                                                                  lung dieser Illusion bestimmte Ge-
                                                                                                           ist, man hätte alles bereist, obwohl
                                                                                                           man nur Modelle davon gesehen                                  wandergesellen //
                                                                                                                                                                          Nur noch kurz die Welt checken
                                                                  staltungsentscheidungen getroffen        hat. Das Problem taucht in der Tech-
                                                                  haben. Man lernt dadurch keine           nikgestaltung häufig auf. Und dann
                                                                  andere Zeit kennen, sondern die          werden systematisch alle Dinge
                                                                  Vorstellung von Gestaltern über          missachtet, die im Modell nicht vor-
                                                                                                                                                                          Mit Stock und Hut gehen Handwerksgesellen bis heute auf die
                                                                  diese Zeit.                              gesehen sind und dort kein Forum
                                                                                                           bekommen.                                                      Walz. Während ihrer dreijährigen Tippelei haben sie ihr Hab und
                                                                  In einem Cluburlaub halte ich                                                                           Gut stets dabei, folgen strengen Regeln und sind auf sich allein
                                                                  mich auch in einer künstlich ge-         Was ist daran problematisch?
                                                                  stalteten und durchgestylten             Solange man sich im Klaren dar-                                gestellt. Warum machen sie das? TEXT: BERND MÜLLENDER, FOTOS: ROBERT POORTEN
                                                                  Umgebung auf. Sind das Paralle-          über ist, dass man eine gebaute,
                                                                  len zum virtuellen Reisen?               inszenierte und modellierte Realität
                                                                  Was Sie dort vorfinden, ist gestaltete   virtuell bereist, hat das vielleicht
                                                                  Gleichartigkeit. Eine hoch artifizi-     Potenzial. Aber man muss dafür
                                                                  elle Umgebung lässt sich viel einfa-     sorgen, dass an dieser Stelle keine
                                                                  cher virtuell nachbauen, weil dort       Missverständnisse entstehen und
                                                                  bereits viele Entscheidungen getrof-     falsche Schlüsse aus den Erlebnis-
                                                                  fen worden sind, was die Auswahl         sen gezogen werden.
                                                                  betrifft. Doch auch in einem Center-
                                                                  parc können Sie am Pool noch Ihren       Wovor warnen Sie genau?
                                                                  zukünftigen Lebenspartner kennen-        Vor dem Komfort, den das virtuelle
                                                                  lernen. Das wird auf einer virtuellen    Reisen bietet. Dadurch gehen uns
                                               © Robert Poorten

                                                                  Reise schwierig.                         wesentliche Fähigkeiten verloren,
                                                                                                           die wir sonst durchs Reisen trainie-
                                                                  Lassen sich gemeinsame Erleb-            ren: Selbst wenn Sie Cluburlaub
                                                                  nisse nicht virtualisieren?              machen, müssen Sie zumindest zum
                                                                  Diese Multi-User-Option bleibt           Flughafen fahren und treffen am
        Bruno Gransche, geboren                                   schwierig, weil die Simulation exakt     Check-In fremde Menschen, mit
                                                                  auf allen Geräten absolut zeitgleich     denen Sie sich auseinandersetzen
        1981 in Leimen nahe Heidelberg,
                                                                  laufen muss. Das kennen Sie vom          müssen. Oder Ihre Liege ist belegt
        ist Fellow am Fraunhofer ISI in                           Skypen, wenn Ton und Bild nicht          und dafür müssen Sie eine Lösung
        Karlsruhe und arbeitet seit 2017 als                      synchron laufen, und schon kleine        finden. Sie setzen sich der Welt aus.
                                                                  Zeitverschiebungen die Kommuni-          Und nur dort, wo Sie mit Wider-
        Technikphilosoph am Forschungs-
                                                                  kation sehr beeinträchtigen. Das         ständen zu kämpfen haben, können
        kolleg „Zukunft menschlich ge-                            wird derzeit prototypisch erforscht      Sie etwas lernen, Kompetenzen
        stalten“ der Universität Siegen. Er                       für Operationen im medizinischen         gewinnen oder Ihre Weltsicht um
                                                                  Bereich, wo mehrere Ärzte an ver-        eine neue Perspektive erweitern.
        forscht dort zur Philosophie neuer
                                                                  schiedenen Standorten zusammen           Das nennt man Bildung.
        Mensch-Technik-Verhältnisse und                           über eine Multi-User-Anwendung
        gesellschaftlichen und ethischen                          eine OP durchführen. Das heißt,          Sie halten es also nicht für beru-
                                                                  man ist auf dem Weg, aber noch           higend, dass man sich auf einer
        Aspekten der Digitalisierung. Mit                         nicht soweit, dass es authentisch        virtuellen Reise nicht verirren
        seiner Familie lebt er in Siegen.                         und emotional stimmig gestaltet          kann?
                                                                  werden kann. Virtuelle Reisen sind       Im Gegenteil. Das Schöne am Ver-
                                                                  deshalb bis auf weiteres eine indi-      irren ist die Erkenntnis, dass man
                                                                  viduelle Sache.                          sich in völlig unbekanntem Gelände
                                                                                                           auf irgendeine Weise zurechtfinden
                                                                  Das Schöne am virtuellen Reisen          und sich aus seiner misslichen Lage
                                                                  ist, dass es völlig risikolos ist.       befreien kann. Man kommt in der
                                                                  Man kann es auch anders sehen:           Regel immer irgendwo an. Diese
                                                                  Es gibt ein sehr großes Risiko – dass    menschliche Grundkompetenz ist
                                                                  man der Illusion aufsitzt, den Un-       aus meiner Sicht auf den direkten
                                                                  terschied zwischen Realität und          Weltkontakt angewiesen.

6                                                                                                                                   login // 02_2018   login // 02_2018                                                                                     7
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TITEL

                                                                                                                                   VERBINDLICHE VERAB-
                                                                    und Flüchtlingen beim Hüttenbau geholfen. Und Holz
                                                                    gehackt für die Feuer nachts. Wir Wandersleute wissen,
                                                                    wie das ist, nichts zu haben. Alle Menschen sind so
                                                                                                                                   REDUNGEN: WER KEIN
                                                                    gleich. Überall. Das lernst du.“
                                                                                                                                   HANDY HAT, KANN AUCH
                                                                    Das Wandern der Handwerker, die vielleicht unge-
                                                                    wöhnlichste Form der Mobilität, folgt harten Regeln:           NICHT ABSAGEN.
                                                                    kein Handy, keine Ausgaben für Transport oder Über-
                                                                    nachtung; und pflegt eine seltsam antiquierte Spra-
                                                                    che: Sie haben den Stenz in der Hand (Wanderstab)              Moritz Meyer überlegt, welche Erlebnisse er zuerst
                                                                    und den Charlottenburger geschultert (das Bündel mit           erzählen möchte. Das Trampen auf dem holländischen
                                                                    dem Notwendigsten). Unterwegs schallert man schon              Binnenschiff. Sollte nur ein paar Kilometer von Essen
                                                                    mal. Das heißt, es wird gesungen. Beim Aufnahme-               bis Datteln gehen. An Bord gab es genug zu reparieren.
                                                                    ritual wird mit Hammer und Nagel blutig ein Ohrloch            Die Reise ging dann bis nach Brügge. Die Einsamkeit
                                                                    geschlagen, da kommt der Ehrenring rein. Wer die               im schwedischen Uppsala und das Gegenteil davon in
                                                                    Gemeinschaft verrät oder schummelt, dem wird der               Uruguay: „Da habe ich die freundlichsten, höflichsten
                                                                    Ring herausgerissen. Derjenige gilt fortan als Schlitz-        Menschen der Welt erlebt.“ Ein Jahr brauche es etwa,
                                                                    ohr, genau.                                                    um sich einzugewöhnen. Sich auf immer neue Situatio-
                                                                                                                                   nen einzustellen. Vertrauen in die Welt und die Men-
                                                                    Wer wandern will, darf keine Schulden haben, keine             schen zuzulassen, wertfrei jedem gegenüberzutreten,
                                                                    Vorstrafen, keine Kinder und muss beim Start jünger            wirklich jedem, tiefe Gelassenheit zu lernen, sich seiner
                                                                    sein als 30 Jahre. Während der Wanderschaft gilt es,           Freiheit bewusst zu werden, auf Zufall und Glück zu
                                                                    eine Bannmeile von 60 Kilometern von Zuhause einzu-            vertrauen und sich an kleinen Dingen zu erfreuen. Lutz
                                                                    halten. Dorthin darf man bis zum Ende der Walz nicht           Schmerbauch fasst es so zusammen: „Man kommt in
                                                                    zurück – nicht mal, wenn die Mutter lebensbedrohlich           Balance mit sich und der Welt.“
                                                                    erkrankt. „Das haben wir neulich noch diskutiert“, er-
                                                                    klärt beim Kölsch in Kalk Lutz Schmerbauch, 52, Stein-         Mehrfach hat Moritz draußen geschlafen. „Und deut-
                                                                    metz, in jungen Jahren selbst unterwegs. „Das sind             sche Winter sind kalt.“ Man lerne, ohne Frust Dauerre-
                                                                    alte Regeln, die gelten.“ Ausnahme sind Beerdigungen           gen zu ertragen: „Was nass wird, trocknet auch wieder.“
        Jannik Karlson, Dachdecker, saniert gerade bei Sieg-        Verwandter. Und dann höchstens 48 Stunden.                     Wichtig sei der Kontakt zu anderen Reisenden. Wie
        burg das Fachwerk eines 200 Jahre alten Gutshofs.                                                                          denn, ohne Handy? Man verabrede sich eben über viele
        „Ein tolles Projekt. Aber nach acht Wochen jucken           Moritz Meyer, 31, studiert am Aachener Uniklinikum             Wochen im Voraus, zum Beispiel am zweiten Samstag
        langsam die Füße“, sagt er. Er will woanders hin, neue      Medizin im sechsten Semester. Auch er war über drei            im Oktober um zwölf am Rathaus Trondheim. Das funk-
        Arbeit suchen. Seit dreieinhalb Jahren ist der 25-Jäh-      Jahre Wandergeselle. Das lag am deutschen Bildungs-            tioniere, bestätigen alle. Wer kein Smartphone habe,
        rige aus der Nähe von Mannheim schon auf der Walz.          system und seinem mäßigen Abiturdurchschnitt. Meyer            könne auch nicht absagen, erzählt Felix. „Das macht es
        „Ein Jahr noch“ ‒ wandern und trampen, mal hier             musste sechs Jahre auf seinen Studienplatz warten.             verbindlicher. Und das klappt.“
        arbeiten, mal dort. Jannik gehört zum Rolandschacht         Nach Zivildienst und einem Jahr in Neuseeland wollte
        der Bauhandwerker, 1891 gegründet und einer von             er auf dem Bau arbeiten. Daraus wurde eine Lehre in            Dass ihre Kluft die Leute zum Staunen bringt, wissen
        acht Schächten in Deutschland. So heißen die Bünde          einer Zimmerei. Dort lernte er Wandergesellen kennen.          sie: „Für viele sind wir komische Vögel“, sagt Felix. Oft
        der Wandergesellen.                                         Das habe ihm so imponiert, dass er „Riesenohren“               werden sie für Schornsteinfeger, Zauberer, Juden oder
                                                                    bekommen habe. Mit 25 Jahren machte er sich selbst             Amish-People gehalten. „In Irland brüllte mal jemand
        In einer Kneipe in Köln-Kalk treffen sich die Rolands-      für dreieinhalb Jahre auf den Weg. „Im Rückblick bin ich       durch die Kneipe: Hey, Abraham Lincoln is back“, erzählt
        brüder jeden zweiten Freitag, alle in ihrer maßge-          so froh über meinen schlechten NC.“                            der vollbärtige Jannik. Außerhalb der deutschsprachi-
        schneiderten Kluft aus dickem schwarzem Cord samt                                                                          gen Länder sind reisende Gesellen unbekannt. Die New
        weitkrempigem Hut, das „Zeichen des freien Mannes“,         Moritz erzählt, wie es bei ihm losging: Exportgesellen         York Times berichtete neulich ganz verwundert von
        wie sie es nennen. Heute ist auch Felix Kautt, 26, dabei,   bringen die Neuen für ein paar Wochen auf den Weg.             ein paar German Journeymen am Big Apple. „Wir fallen
        ein Zimmermann aus Reutlingen. „Wir könnten dich            Man müsse „auch mal eine Nacht bei Regen im März               auf“, sagt Moritz, „und wer auffällt, kommt sofort ins →
        noch zwei Tage brauchen“, sagt Jannik, „keine Lust?“        auf einer Parkbank schlafen“, also testen, ob man
        Felix winkt ab. Er will am nächsten Tag weiter nach         „straßentauglich“ sei. Irgendwann während dieser
        Mecklenburg und dann „ein bisschen Berlin machen.“          Anwärterzeit müsse man endgültig Ja sagen. „Dann                        Linke Seite: Jannik Karlson saniert gerade das
        In Köln hat er gerade einen Pferdestall ausgebaut. „Da      bekommt man die Ehrbarkeit.“ Das ist beim Roland-                          Fachwerk eines alten Gutshofs bei Siegburg.
        konnten wir auch schlafen. Hütte mit Couch, Luxus           schacht der dünne, blaue Binder zur Staude, dem
        pur.“ In Schottland war er, in England – und in Calais:     weißen, kragenlosen Hemd. Fortan gelte: „Vorwärts                       Rechte Seite: Ins Wanderbuch tragen Gesellen
        „Da habe ich bei einer Hilfsorganisation übernachtet        immer, rückwärts nimmer.“                                                         Arbeitszeugnisse ein und Städtesiegel.

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                                                                                                                                                     gesellschaft // Mobilität und Macht
                                                         »WIEDER NACH HAUSE ZU
                                                                                                                                                     Mobilität kann ein Privileg sein. Oder eine Zumutung.
                                                         GEHEN, IST SCHWERER ALS                                                                     Und häufiger, als es sein sollte, ist sie ungerecht verteilt.
                                                                                                                                                     TEXT: MARTIN RASPER, ILLUSTRATIONEN: MORITZ BLUMENTRITT
                                                         LOSZULAUFEN.« Jannik Karlson

                                                                   herzuziehen, damit sie selbst und ihre Familien über-
                                                                   leben können, weil sie vertrieben werden oder nicht
                                                                   ausreichend Futter für ihr Vieh haben“, sagt Moritz. Sie
                                                                   dagegen seien allein, wollen sich kulturell bereichern
                                                                   und Erfahrungen sammeln, die es auf anderem Wege
                                                                   nicht gäbe, und sie gingen „absolut freiwillig“.

                                                                   Seit 700 Jahren ist die Walz bekannt. Bis ins 19. Jahr-
                                                                   hundert war sie sogar Pflicht. Ohne Wanderjahre keine
                                                                   Meisterprüfung. Man sollte neue Länder und Techniken
                                                                   kennenlernen, eben gut bewandert zurückkehren. Da-
                                                                   mals ging man nur zu Fuß oder nahm höchst selten mal
                                                                   eine Kutsche. Heute ist für den Wechsel eines Konti-
                                                                   nents auch Fliegen erlaubt. Ansonsten wird getrampt.
                                                                   „Die Menschen“, berichtet Felix, „erzählen dir dabei
                                                                   mehr als ihrem besten Freund. Man sieht sich ja nie
                                                                   wieder.“ Viele würden auch sagen: „Sonst nehmen wir
                                                                   nie jemanden mit. Aber Wandergesellen immer“, sagt
                                                                   Jannik. „Wir stehen mit unserer Kluft für Vertrauen.“
                                                                   Einen tröstete er einmal unterwegs, weil seine Freundin
        → Gespräch.“ Unterschiedlichste Unterkünfte habe           ihn zwei Stunden zuvor verlassen hatte. „Der hat mich
        er kennengelernt, Einladungen von Hartz IV-Beziehern,      so dankbar umarmt nachher.“ Wandergesellen als
        von Pfarreien, aber auch von „richtig Reichen“.            mobile Seelentröster. „Alles, was bei mir über Autolänge
                                                                   geht, wird getrampt“, sagt Jannik, „andere latschen
        Etwa 500 Handwerker sind in Deutschland auf der            immer, selbst von Kiel nach Basel“. Die Schweiz sei bei
        Walz, rund 50 davon sind Frauen. Allerdings nicht beim     Wandergesellen beliebt, wegen der hohen Löhne.                                    Die Deutschen fliegen in den Urlaub     Mobilität kostet Geld, Zeit und Ner-   bestimmte Aufträge schon nicht
        Rolandschacht. „Bei uns sind keine Frauen“, sagt Lutz                                                                                        mal eben nach Thailand oder auf         ven, und sie belastet die Umwelt.      mehr annehmen, weil so viel Zeit
        Schmerbauch. Wieso? Er überlegt eine Weile. „Ich kann      Drei Jahre die Welt checken – und dann? „Manche ha-                               die Malediven, so wie man früher        Und je mehr Menschen gleichzeitig      für die Anfahrt draufgeht.
        es nicht begründen. Vielleicht ist es gut, wenn es etwas   ben nachher Probleme, wieder ins bürgerliche Leben                                nach Frankreich oder Südtirol fuhr.     unterwegs sind, desto unbeweg-
        gibt, das sich nicht vermischt.“                           zurückzukommen“, sagt Moritz. Jannik meint: „Wieder                               Auch beruflich sind wir mobil, mehr     licher werden sie. In Nordrhein-       Mobil zu sein, ist eine menschliche
                                                                   nach Hause zu gehen, ist schwerer als loszulaufen.“                               als acht Millionen Menschen in          Westfalen stauten sich im vergan-      Konstante. Lange Zeit gingen For-
        Die Tischlerin Kirsten Berg aus dem Eifelstädtchen         Und nach kurzer Pause: „Ich kann mir das Aufhören                                 Deutschland pendeln täglich zur         genen Jahr Autos auf einer Länge       scher davon aus, dass die Zeit, die
        Blankenheim war mehr als vier Jahre als Gesellin auf       noch gar nicht vorstellen.“ Felix glaubt, man sei da-                             Arbeit. Und erreichbar sind wir so-     von rund 455 000 Kilometern, eine      Menschen im Laufe eines Tages für
        der Walz. Die Kölnische Rundschau berichtete groß          nach überall zu Hause. „Heimat löst sich auf. Es gibt                             wieso jederzeit und an jedem Ort.       Strecke, die elfmal um die Erde        ihre Wege aufwenden, unabhängig
        darüber. Auch die heute 34-Jährige berichtete begeis-      ja auch Schöneres als Reutlingen.“ Die meisten, sagt                              Wir werden ständig mobiler – wenn       reicht; ein Kölner Autofahrer ver-     von ihrer Lebensweise und den
        tert von ihren Erlebnissen. Heute blockt ihr Vater jeden   Lutz Schmerbauch, blieben ihrem Schacht verbunden,                                auch der Einzelne nicht immer ge-       bringt im Jahr die Zeit eines kom-     technischen Möglichkeiten immer
        Kontakt ab. „Meine Tochter war sehr enttäuscht von         „auch 30 Jahre später, auch mit eigener Familie, eige-                            fragt wird, ob er oder sie denn über-   pletten Wochenendes damit, im          ähnlich sei, ganz gleich, welches
        den Zeitungsartikeln“, sagt er am Telefon. Warum?          nem Haus oder eigenem Betrieb.“                                                   haupt so mobil sein will. Klar ist:     Auto auf der Straße zu stehen. In      Verkehrsmittel sie benutzen. Con-
        „Das müsste sie erklären. Ich gebe ihr Bescheid.“ Sie                                                                                        Auf welche Weise wir mobil sind         Städten wie München oder Ham-          stant travelling time, konstante
        meldet sich nicht.                                         Medizinstudent Moritz will Chirurg werden. Das liege                              und wie wir Mobilität organisieren,     burg sind die großen Zufahrts-         Wegezeit, hieß dieser Grundsatz.
                                                                   doch nahe. Wieso? „Chirurgen sind auch Handwerker.                                ist keine Frage der persönlichen        straßen im morgendlichen Berufs-       Früher lebte man im Dorf und ging
        Die Bezeichnung „moderne Nomaden“ gefällt keinem           Und die Werkzeuge sind ähnlich: Hammer, Meißel,                                   Vorlieben, sondern wirkt sich auf       verkehr so verstopft, dass Hand-       viel zu Fuß, dafür waren die Wege
        der Wandergesellen. „Nomaden sind gezwungen um-            Stemmeisen, Bohrer, Schrauben.“ Moritz grinst.                                    unsere gesamte Gesellschaft aus.        werksfirmen aus dem Umland             kürzer; heute legt man längere →

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                                                                                                                                                                        oder umschulen – auch ihre Arbeits-    Homeoffice in Frage kommt, es           sind exakt ausgewiesen, alle teilen
                                                                                                                                                                        zeiten verflüssigen sich immer mehr    auch tatsächlich nutzen kann. „Nur      sich den Raum. Bei manchen Shared
                                                                                                                                                                        und vermischen sich mit der Zeit,      zwölf Prozent aller abhängig Be-        Spaces sind die Unfallzahlen zu-
                                                                                                                                                                        die einmal Feierabend genannt          schäftigten in Deutschland arbeiten     rückgegangen; in jedem Fall waren
                                                                                                                                                                        wurde.                                 überwiegend oder gelegentlich           die Unfälle weniger gravierend.
                                                                                                                                                                                                               von zu Hause aus, obwohl dies bei       Auch die Durchschnittsgeschwindig-
                                                                                                                                                                        Das macht Stress. Einer Studie         40 Prozent der Arbeitsplätze theo-      keit der Autos ist in Shared Spaces
                                                                                                                                                                        zufolge hatten 60 Prozent der Be-      retisch möglich wäre“, schreibt         geringer: Wer aufeinander achtet,
                                                                                                                                                                        fragten den Eindruck, immer mehr       Brenke. „Flexible Arbeit ist ein Ver-   kann eben nicht mit maximaler
                                                                                                                                                                        Arbeit in der gleichen Zeit schaffen   teilungsthema“, sagt Arbeitsmarkt-      Geschwindigkeit durch den Raum
                                                                                                                                                                        zu müssen. Yvonne Lott, Arbeits-       forscherin Lott. „Wir müssen soziale    düsen, sondern nur so schnell, wie
                                                                                                                                                                        marktforscherin am Wirtschafts-        Ungleichheiten auch in diesem           er auf andere reagieren kann. Aber
                                                                                                                                                                        und Sozialwissenschaftlichen Insti-    Punkt bekämpfen.“ Aber wie?             vielleicht ist genau das die ange-
                                                                                                                                                                        tut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung,                                           messene Formel für Mobilität als
                                                                                                                                                                        bestätigt das: „Die gefühlte Über-     Es gibt einen interessanten Ansatz,     gesellschaftliche Frage: Nicht neben-
                                                                                                                                                                        lastung nimmt eindeutig zu.“ Dazu      der sich in der Verkehrsplanung in      einander her und aneinander vor-
                                                                                                                                                                        kommt, dass die sogenannte „Nor-       den vergangenen Jahren teilweise        bei zu brausen, jeder in seiner Spur
                                                                                                                                                                        malarbeitszeit“ immer seltener         verbreitet hat: Shared Spaces. Das      und in seiner Geschwindigkeit,
                                                                                                                                                                        normal ist. Das einstige Standard-     sind öffentliche Verkehrsflächen,       sondern aufeinander Rücksicht zu
                                                                                                                                                                        modell – um 9 Uhr zur Arbeit, um       in denen nur noch wenige Regeln         nehmen und einander wahrzuneh-
                                                                                                                                                                        12 Uhr Mittag, um 17 Uhr Feierabend    gelten, wie rechts vor links. Ansons-   men. Und zu entdecken: Es gibt
                                                                                                                                                                        – sei „ein Auslaufmodell“, so Lott.    ten müssen die Verkehrsteilnehmer       auch noch andere Leute. Und die
                                                                                                                                                                                                               einfach aufeinander Rücksicht           haben ihr eigenes Tempo und ihre
                                                                                                                                                                        Überraschenderweise kann die zu-       nehmen. Weder die Flächen für           eigene Art sich zu bewegen.
                                                                                                                                                                        nehmende Flexibilität traditionelle
»MOBILITÄT UND SOZIALE                           am Karlsruher Institut für Techno-
                                                 logie (KIT), erforscht Mobilität und
                                                                                        „All das sind auch politische Fra-
                                                                                        gen“, sagt die Forscherin. „Wer
                                                                                                                                                                        Rollen verstärken, sagt Yvonne Lott.
                                                                                                                                                                        Frauen gelinge es in der Regel bes-
                                                 ihre Wirkung auf die Gesellschaft.     bestimmt die Zeitmaße der Mobili-                                               ser, sich gegen überzogene Ansprü-
UNGLEICHHEIT HÄNGEN                              Anhand zweier sogenannter Zeit-        tät, etwa in der Stadt?“ Also, wie                                              che ihrer Chefs abzugrenzen, auch
                                                 budgetstudien hat sie das Mobili-      schnell die Ampeln umschalten,                                                  weil sie oft neben ihrem Beruf noch

ZUSAMMEN.« Caroline Kramer                       tätsverhalten der Deutschen unter-
                                                 sucht. „Mobilität und soziale Un-
                                                                                        wie lange die Tram hält, wie schnell
                                                                                        die Türen schließen, wie schnell
                                                                                                                                                                        Haushalt und Kinder managen
                                                                                                                                                                        müssten. Männer hätten in der Regel
                                                 gleichheit hängen zusammen“,           die Rolltreppen laufen? Das sind                                                mehr Möglichkeiten, die Erwartun-
                                                 sagt Kramer. Je wichtiger Mobilität    Absprachen, die alle betreffen –                                                gen ihrer Arbeitgeber zu erfüllen,
                                                 im Alltag ist, desto mehr bildet sie   aber von denen längst nicht alle                                                und daher auch ein höheres Risiko,
                                                 auch Ungleichheit ab: Wer sich         gleichermaßen profitieren. Zeitfra-                                             sich dabei selbst auszubeuten.
          → Wege zurück, das aber schneller.     mehr leisten kann, kann sich auch      gen, sagt Caroline Kramer, seien
          Die insgesamt aufgewendete Zeit,       mehr Mobilität leisten. Umgekehrt      immer auch Machtfragen: „Jeman-                                                 Übrigens trifft der Ruf nach mehr
          etwa eine Stunde pro Tag, bleibt       werden viele Menschen zur Mobili-      den warten zu lassen, ist auch eine                                             Flexibilität zwar irgendwie alle,
          dabei ungefähr gleich – so die An-     tät gezwungen, ohne sich wirklich      Form der Machtausübung.“ Solche                                                 aber die Vorteile flexibleren Arbei-
          nahme. Doch das stimmt nicht           wehren zu können. Wenn etwa die        Fragen zu entscheiden und dabei                                                 tens kommen eher den ohnehin
          mehr. Tatsächlich sind wir heute       Mieten in Städten immer weiter         die Schwächeren nicht zu benach-                                                schon Privilegierten zugute. „Die
          im Durchschnitt fast eineinhalb        steigen, können sich immer weni-       teiligen, müsse als politische Auf-                                             schönen Formen der selbstbe-
          Stunden am Tag unterwegs; Fach-        ger Menschen eine Stadtwohnung         gabe begriffen werden, fordert die                                              stimmten Arbeit sind meist den
          leute vom Statistischen Bundesamt      leisten und sind gezwungen zu          Professorin: „Es geht darum, gleich-                                            höheren Statusgruppen vorbe-
          kamen mit einer etwas anderen          pendeln. Und auf dem Land oder         wertige Lebensverhältnisse für alle                                             halten“, sagt Lott. „Homeoffice
                                                 in Regionen mit hoher Arbeitslosig-    zu schaffen.“
                                                                                                                                   © plainpicture / Carmen Spitznagel

          Methodik sogar auf mehr als zwei                                                                                                                              zum Beispiel ist in Deutschland
          Stunden täglich – ein Ergebnis,        keit, bleibt den Bewohnern nichts                                                                                      teilweise ein Privileg.“
          das sie selbst überraschte.            anderes übrig, als jeden Tag weite     Auch in anderer Hinsicht ist die
                                                 Wege auf sich zu nehmen, um ihre       mobile Gesellschaft gefordert: Ar-                                              Das stützen wissenschaftliche Stu-
          Was passiert mit einer Gesellschaft,   Existenz zu sichern. Oder zum Arzt,    beitgeber erwarten eine immer                                                   dien. Der Soziologe und Volkswirt
          die immer mobiler wird? Und wer        in die Schule oder aufs Amt zu         höhere Flexibilität von ihren Mitar-                                            Karl Brenke vom Deutschen Institut
          macht die Regeln? Caroline Kramer,     kommen. Wer dann kein Auto hat,        beitern. Sie sollen umziehen, wenn                                              für Wirtschaftsforschung zeigte
          Professorin für Humangeographie        steckt fest.                           das Unternehmen es verlangt,                                                    2015, dass tatsächlich nur ein klei-

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meinung //
Verschlafen wir die
Verkehrswende?
Eine Frage, drei Antworten.
Im Jahr 2015 überschritten 90 deutsche                                                                                        2) Weniger Flächen für Autos
Städte die EU-Grenzwerte für den Aus-                                                                                         76 Millionen Fahrräder befinden sich in Deutschland

                                           © e.GO Mobile AG

                                                                                                                                                                                                                                                                   © Georg Heimes
stoß von Stickstoffdioxid. 2017 waren es                                                                                      in privatem Besitz. Sie sind der Schatz, den eine Ver-
                                                                                                                              kehrswende heben kann ‒ und muss. Auf dem Weg zur
immer noch 65 Städte. Ein Fortschritt                                                                                         Arbeit passiere ich ein Ghostbike, dass an eine im Jahr
im Schneckentempo.                                                                                                            2017 getötete Radfahrerin erinnert – mitten in Aachen.

                                                              1) Bezahlbare Elektromobilität                                                                                                            3) Mobilität nutzen statt besitzen
                                                                                                                              Dass sie es war und nicht ich, ist Zufall; auch ich erlebe
                                                                                                                              als Radfahrerin regelmäßig existenziell bedrohliche
                                                                                                                              Situationen.
                                                              Die Verkehrswende wird in den Städten stattfinden.                                                                                        Klar ist, dass neue Fahrzeugtechnologien unsere aktuelle
                                                              Das Beste wäre ein U-Bahn-Konzept, doch das lässt sich          Für eine Verkehrswende wünsche ich mir eine Infrastruk-                   Mobilität nicht Eins-zu-eins ersetzen können. Ich halte
                                                              nachträglich kaum implementieren. Daher brauchen                tur, die intuitiv für alle Nutzenden von 6 bis 99 Jahren ist              es für unrealistisch, dass wir in zehn Jahren tausend
                                                              wir einen Innenstadtverkehr, der aus Bussen, Kleinbus-          und die Fehler verzeiht. Kommunen können ihre Ver-                        Kilometer in einem Rutsch mit einem Elektrofahrzeug
                                                              sen und Sammeltaxen besteht, die alle emissionsfrei             kehrswende einleiten, indem sie Fuß-, Rad- und öffent-                    unterwegs sind. Die Mobilität der Zukunft muss deshalb
                                                              fahren und nicht mehr nach Fahrplan, sondern nach               lichem Verkehr mehr Flächen zur Verfügung stellen.                        ein Mix sein. Wer innerstädtisch mobil ist, nutzt andere
                                                              Bedarf. Ein Peoplemover-System, das den Verkehr regelt          Und mehr Geld. Amsterdam, Kopenhagen, Stockholm,                          Angebote, als wenn er in den Urlaub fährt. Wichtig ist,
                                                              und steuert und dabei nicht nur die Sicherheit berück-          Wien oder Barcelona haben das so entschieden und                          dass Mobilität künftig leichter zu buchen und zu kombi-
                                                              sichtigt, sondern Angebot und Nachfrage koordiniert.            umgesetzt. Ihre Bürgermeister erklären die Verkehrs-                      nieren ist: Ich lease etwa ein Elektrofahrzeug inklusive
                                                              Bei dem ich keinen Parkplatz mehr brauche und das               wende zur Chefsache. So soll es sein. Denn ihre Ent-                      einer Mobilitätsrate, das heißt, ich kann 20 Tage jähr-
                                                              System weiß, wo ich bin. Und ich dem System nur auf             scheidungen vor Ort haben Auswirkungen, die die ganze                     lich auf einen Mietwagen in jeder Klasse zurückgreifen
                                                              Knopfdruck sagen muss, wo ich hin will. Eine Digitalisie-       Welt betreffen: Sie reduzieren die Erderwärmung, weil                     und bekomme Bahnkilometer oder Flugmeilen gratis
                                                              rung der Mobilität also mit Plattform und App-System:           sie das Klima nicht weiter anheizen und schaffen mehr                     hinzu. Solche individuellen Pakete kann der Hersteller
                                                              ganz autonom, wirtschaftlicher und sicherer.                    Lebensqualität für Stadtbewohner. Also: Aufwachen!                        oder Verkäufer natürlich kalkulieren. Und ich wähle
                                                                                                                                                                                                        den Mix, der zu mir passt.
                                                              Das bedeutet aber nicht, kein eigenes Auto mehr haben           Almuth Schauber ist promovierte Soziologin und
                                                              zu dürfen. Wir brauchen einen echten und ehrlichen              arbeitet als Referentin für Städtische Armut und                          Das setzt voraus, dass wir uns von dem Gedanken
                                                              Markt für Elektrofahrzeuge. Batteriegetriebene Autos            globale Zukunftsfragen bei Misereor in Aachen.                            verabschieden, Mobilität zu besitzen – und zu Nutzern
                                                              müssen nicht weit und schnell fahren, sondern sie sollen                                                                                  werden. Allerdings hat sich die Besitzer-Mentalität
                                                              das Problem lösen, das am dringendsten ist: das Gift                                                                                      zur Zeit des Verbrennungsmotors über hundert Jahre
                                                              aus unseren Städten zu verbannen. Für die meisten                                                                                         entwickeln können, vielleicht braucht es ebenso lange,
                                                              Autofahrer in der Stadt reicht ein Wagen mit einer Reich-                                                                                 eine Nutzer-Mentalität zu entwickeln. Für ein Umden-
                                                              weite von 150 Kilometern. Dafür werden nur kleinere                                                                                       ken brauchen wir eine Win-win-Situation. Wir haben ja
                                                              Batterien benötigt und das Auto kann im Prinzip so                                                                                        auch kein Problem damit, dass uns der Dienstwagen
                                                              günstig werden, dass es die bezahlbarste Alternative                                                                                      nicht gehört. Warum sollte ich künftig mein Auto, wenn
                                                              wird.                                                                                                                                     ich noch eines besitze, nicht während meiner Arbeits-
                                                                                                                                                                                                        zeit gegen Gebühr in den Fahrzeugpool der Firma stel-
                                                              Günther Schuh ist Inhaber des Lehrstuhls für Pro-                                                                                         len, anstatt als totes Kapital in die Tiefgarage?
                                                              duktionssystematik an der RWTH Aachen, Direktor
                                                              des Forschungsinstituts für Rationalisierung e. V.,                                                                                       Jörg Röhlen ist Diplom-Ingenieur und arbeitet als
                                                              Geschäftsführer der RWTH Aachen Campus GmbH,                                                                                              Teamleiter für das Center Energie & Versorgung
                                                              Mitbegründer des Elektrofahrzeugherstellers                                                                                               der regio iT. Er leitet die Forschungsgruppe Smart
                                                              Streetscooter sowie Vorstandsvorsitzender des                                                                                             Mobility und entwickelt Plattformen wie den
                                                              Elektrofahrzeugherstellers e.GO Mobile aus Aachen.                                                                                        Mobility Broker mit.

                                                                                                                                                                                             © privat
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                                                                                                                                                       REISEN IN DER RENAISSANCE:
                                                                                                                                                       NICHTS IST STANDARDISIERT,
                                                                                                                                                       ÜBERALL HERRSCHEN
                                                                                                                                                       REGIONALE UNTERSCHIEDE,
                                                                                                                                                       GELTEN ANDERE LÄNGEN-
                                                                                                                                                       MASSE, GEWICHTE, PAPIER-
                                                                                                                                                       FORMATE, MÜNZEN.

                                                                                Albrecht Dürer, Das Aachener Münster, 1520, © British Museum, London

        kultur // Reisen für die Leibrente                                                                                                             Wissenschaftler nichts Ungewöhn-       beste Gelegenheit, ihn zu treffen,     ihm einige Kunstwerke und erhält
                                                                                                                                                       liches. Kollegen besuchen, sich        bot die Kaiserkrönung in Aachen im     im Gegenzug neben mehreren Emp-
        Der Maler Albrecht Dürer ging gerne shoppen, wenn er unterwegs war.                                                                            inspirieren lassen, Kontakte knüp-     Oktober 1520.                          fehlungsschreiben jenen Zollfrei-
                                                                                                                                                       fen, geistige und ästhetische An-                                             brief, der sich zumindest eine Zeit-
        Auf seiner einjährigen Reise von Nürnberg nach Antwerpen kam er auch                                                                           regungen erhalten. Dürer selbst war    Es wird auch noch andere Motive        lang als sehr nützlich erweisen wird.
        in Aachen vorbei. Aber nicht wegen der Printen. TEXT: MARTIN RASPER                                                                            bereits zweimal in Italien gewesen     für die Reise gegeben haben. Dürer     Von Bamberg geht es per Schiff auf
                                                                                                                                                       und hatte von dort neue Ideen          war so bekannt, dass er erwarten       Main und Rhein über Frankfurt und
                                                                                                                                                       mitgebracht. Die lange Reise nach      konnte, in den Kunst- und Handels-     Mainz, wo sie jeweils einige Tage
                                                                                                                                                       Antwerpen war dennoch etwas            städten wohlwollend empfangen          bleiben, nach Köln.
                                                                                                                                                       Besonderes.                            zu werden. Dabei hoffte er nicht nur
                                                                                                                                                                                              auf neue Kontakte und inspirieren-     Anfang August, drei Wochen später,
        Albrecht Dürer ist genervt. Immer       Sankt Goar darf er frei passieren,         Reisen ist beschwerlich in diesen                           Ein Anlass war klar: Ein Jahr zuvor    de Begegnungen, sondern auch auf       erreicht Dürer Antwerpen. Die Stadt
        diese Grenzen! Schon bei der Fahrt      in Boppard dagegen gibt es wieder          Zeiten. Deutschland ist ein Flicken-                        war Kaiser Maximilian I. gestorben,    gute Geschäfte; neben seinen Ar-       an der Schelde war damals Finanz-
        auf dem Main war alle naselang          Diskussionen. „Ich wies meinen             teppich aus Fürsten- und Herzog-                            Dürers wichtigster Förderer. Er hat-   beitsutensilien hatte er Kunstwerke    zentrum und Handelsmetropole,
        eine Zollstation in Sicht gekommen      Zollbrief an der Trierischen Zoll-         tümern, Hochstiften, Freien Reichs-                         te Dürer nicht nur zahlreiche Auf-     mit, auch von befreundeten Künst-      ähnlich wie heute London. Über
        – die er zum Glück jedes Mal an-        schranke“, vermerkt Dürer in seinem        städten. Jedes Territorium wacht                            träge gegeben, sondern auch eine       lern wie Hans Baldung Grien. Außer-    ihren Hafen gelangten Gewürze, Öl,
        standslos passieren konnte, dank        Tagebuch, „da ließ man mich fah-           eifersüchtig über seine Grenzen –                           jährliche Leibrente von einhundert     dem ging Dürer gerne shoppen,          Zucker, Metalle, kostbare Stoffe und
        eines Zollfreibriefs, den der Bischof   ren. Allein ich musste mit einer           und seine eigenen Regeln. Nichts                            Gulden, die Nürnberg von der kai-      liebte wertvolle Kleider oder Kurio-   andere Waren aus aller Welt nach
        von Bamberg ihm ausgestellt hatte.      kleinen Schrift unter meinem Insie-        ist standardisiert, überall herrschen                       serlichen Steuer abzuziehen und an     sitäten für sein Naturalienkabinett.   West- und Mitteleuropa. „Es ist ohne
        24 Grenzen, nur um von Bamberg          gel bezeugen, dass ich keine ge-           regionale Unterschiede, gelten                              Dürer auszuzahlen hatte. Nach                                                 Zweifel der größte Markt der christ-
        nach Frankfurt zu kommen!               wöhnliche Kaufmannsware mit mir            andere Längenmaße, Gewichte,                                Maximilians Tod weigerte sich die      Es ist also eine Mischung aus Ver-     lichen Welt, und man findet dort
                                                führe.“ Das ist zwar leicht geschwin-      Papierformate, Münzen.                                      Stadt jedoch, das Geld weiterzuzah-    gnügungs- und Geschäftsreise, zu       alle Arten von Gütern“, berichtet ein
        Auf dem Rhein läuft es bei ihm nicht    delt, denn Dürer hat jede Menge                                                                        len. Dürer hatte deshalb vor, von      der Dürer am 12. Juli 1520 mit         italienischer Reisender.
        mehr so glatt. In Ehrenfels muss        Kunstwerke dabei, die er unterwegs         Doch wer sich neue Horizonte er-                            Maximilians Nachfolger eine Verlän-    seiner Frau Agnes und deren Magd
        er zum ersten Mal tatsächlich Zoll      zu verkaufen gedenkt. Aber ohne            schließen wollte, musste sich auch                          gerung zu erwirken. Nachfolger         Susanna in Nürnberg aufbricht.         Dürer findet in Antwerpen be-
        bezahlen. Auch in Bacharach und         ein bisschen Frechheit geht es schon       damals auf den Weg machen. Sol-                             wurde der spanische König; der aber    Erste Station ist Bamberg. Dort wird   geisterte Aufnahme. Von einem
        Kaub heißt es: Geldbeutel raus! In      damals nicht.                              che Reisen waren für Künstler oder                          hielt sich meist in Madrid auf. Die    er vom Bischof empfangen, schenkt      Empfang durch die Malerzunft →

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                                                                                                                                                                                                                                                         Sarvenaz Ayooghi, Kurato-
                                                                                                                                                                                                                                                         rin der Ausstellung „Dürers
                                                                                                                                                                                                                                                         Reise in die Niederlande“
                                                                                                                                                                                                                                                         2020 in Aachen
                                                                                                                                                                          Dürers wunderbare Reise und die regio iT
Den Kopf eines Walrosses zeich-                                                                                                                                           Exakt 500 Jahre nach Dürers Ankunft in Aachen, am 7. Oktober                   Wozu eine Ausstellung übers Dürers
nete Dürer mit Feder und brauner                                                                                                                                          2020, werden drei Ausstellungen in Aachen eröffnet: Das Suer-                  Reise?
Tusche nach seiner Reise an die                                                                                                                                           mondt-Ludwig-Museum, das Ludwig Forum für Internationale                       SARVENAZ AYOOGHI: Es wird sogar drei
                                                                                                                                                                                                                                                         Ausstellungen in Aachen geben: Die Haupt-
niederländische See. In seinem                                                                                                                                            Kunst und das Centre Charlemagne nehmen das historische
                                                                                                                                                                                                                                                         ausstellung über Dürers Reise findet im
Reisetagebuch berichtete der                                                                                                                                              Treffen zwischen Karl V. und Albrecht Dürer in Aachen zum                      Suermondt-Ludwig-Museum statt, im Centre
Maler nur von einem gestrande-                                                                                                                                            Anlass, sich unter verschiedenen Aspekten mit Künstlern auf                    Charlemagne wird die Krönung Karls V. the-
                                                                                                                                                                                                                                                         matisiert und im Ludwig Forum für Interna-
ten Wal, den bei seiner Ankunft                                                                                                                                           Reisen zu beschäftigen. Die Hauptausstellung wird im Suer-
                                                                                                                                                                                                                                                         tionale Kunst wird mit dem Phänomen der
das Meer bereits wieder fortge-                                                                                                                                           mondt-Ludwig zu sehen sein. Die regio iT ist ein Hauptsponsor                  Künstlerreise eine Brücke zur heutigen Zeit
spült hatte.                                                                                                                                                              dieser Ausstellung.                                                            geschlagen.
                                                                                       Albrecht Dürer, Kopf eines Walrosses, 1521, © The Trustees of the British Museum

                                                                                                                                                                                                                                                         Wie hängt das alles zusammen?
                                                                                                                                                                                                                                                         Im Oktober 2020 ist es exakt 500 Jahre her,
                                                                                                                                                                                                                                                         dass sich zwei der herausragenden Persön-
                                                                                                                                                                                                                                                         lichkeiten der damaligen Zeit, Albrecht
                  → berichtet er: „Als ich zu Tisch         Insgesamt sechs Mal wird sich Dürer             des Aachener Aufenthalts; gemeint                             landen auf. Er besucht die Kunst-       gen. Einige Maler in Antwerpen         Dürer und Karl V., in Aachen getroffen haben.
                  geführt wurde, da stand das Volk zu       während dieses Jahres für jeweils               ist jener Mitarbeiter der kaiser-                             und Handelsmetropolen Brügge            scheint er durch seine Anwesenheit     Karl, weil er hier zum Kaiser gekrönt wurde,
                  beiden Seiten, als führte man einen       mehrere Wochen in Antwerpen auf-                lichen Kanzlei, dessen Aufgabe es                             und Gent und fährt im Dezember an       inspiriert zu haben, er selbst nahm    und Dürer, weil er ihn treffen wollte und
                  großen Herrn. Es waren unter ihnen        halten. Dazwischen unternimmt er                sein würde, das ersehnte Papier                               die Küste nach Zeeland, wo ein          wohl weniger Impulse auf. Seine        weil seine Reise ein Beispiel für einen frühen
                  Männer von gar trefflicher Persön-        Abstecher nach Brügge, Gent oder                zu beglaubigen. Beziehungspflege                              riesiger Wal gestrandet ist, den bei    Leibrente hat er sich gesichert, bis   Kulturtourismus ist. Jede der drei Ausstel-
                  lichkeit, die sich alle mit tiefer Ver-   Brüssel – und nach Aachen. Das ist              auf höchstem Niveau.                                          Dürers Ankunft das Meer leider          zu seinem Tod durfte er die jährlich   lungen vertieft den jeweiligen Aspekt.
                  neigung auf das Allerdemütigste           ja der eigentliche Anlass seiner Rei-                                                                         wieder fortgespült hat. Im Mai 1521     hundert Gulden kassieren. Ansons-
                  gegen mich benahmen und sagten,           se: der Krönung des Kaisers bei-                Schließlich die Krönung. „Am 23. Tag                          erfährt er tief erschüttert von         ten war er unzufrieden; die Reise      Was wird in der Hauptausstellung zu
                  sie wollten alles das tun, was sie        zuwohnen und zu erreichen, dass                 des Oktober hat man König Karl zu                             Luthers Gefangennahme nach dem          war teuer gewesen, und er scheint      sehen sein?
                  wüssten, das mir lieb wäre.“              dieser Dürers Privileg verlängere.              Aachen gekrönt“, berichtet Dürer.                             Reichstag von Worms, ohne zu ah-        weniger Geschäfte gemacht zu           Es werden vor allem Arbeiten gezeigt, die
                                                                                                            „Da sah ich alle köstliche Herrlich-                          nen, dass diese vom Sachsenherzog       haben als erhofft – 221 Gulden Ein-    Dürer im Verlauf seiner Reise produzierte –
                  Dürer verkehrt aber nicht nur in          Am 4. Oktober 1520 bricht Dürer in              keit, dergleichen keiner, der mit uns                         inszeniert war, und schreibt ein        nahmen stehen 405 Gulden an Aus-       das lässt sich anhand des Reisetagebuchs
                  Künstlerkreisen, sondern auch mit         Begleitung hochrangiger Nürnber-                lebt, etwas Prächtigeres gesehen                              seitenlanges verzweifeltes Lamento      gaben gegenüber, auch für Luxus-       sowie anhand seiner Gemälde und Zeichnun-
                  Patriziern und Händlern; vor allem        ger Vertreter von Antwerpen nach                hat.“ Mehr ins Detail geht seine                              über den Verlust des Hoffnungs-         artikel wie Pelze, Schuhe, Kunst       gen bis ins Detail nachvollziehen. Bekannt
                  pflegt er den Kontakt mit den Abge-       Aachen auf. Dort besichtigt er unter            Beschreibung leider nicht. Was auch                           trägers in sein Tagebuch.               oder Kämme aus Elfenbein. „Ich         sind über 120 Zeichnungen und mehrere
                  sandten der einflussreichen Nürn-         anderem die Pfalzkapelle, den Krö-              daran liegt, dass Dürer offenbar ein                                                                  habe bei allem meinem Machen,          Gemälde höchster Qualität, die wir zusam-
                  berger Familien, die in Antwerpen         nungssaal des Rathauses sowie die               gedrucktes Programm der Veran-                                Es ist also, salopp gesagt, noch gut    Verzehren, Verkaufen und anderer       mentragen. Zudem ist geplant, solche Wer-
                  ihren Geschäften nachgehen. Er            Reliquien im Mariendom. Aber er                 staltung besitzt, in dem der Ablauf                           was los auf den restlichen zwei         Handlung Schaden gehabt in den         ke einzubeziehen, die er dabei hatte, um
                  zeichnet und malt regelmäßig, vor         vergisst nicht sein großes Ziel. Die            der Krönung in allen Einzelheiten                             Dritteln der Reise. Auch wird Dürers    Niederlanden, in allen meinen Be-      sie zu verkaufen oder zu verschenken. Dazu
                  allem Porträts. Häufig bezahlt er         Verlängerung seines Privilegs hat               beschrieben ist und das ihm als                               Frau in Antwerpen ausgeraubt; ein       ziehungen zu hohen und niederen        gibt es eine Auswahl von Gemälden, Skulp-
                  mit seinen Bildern. Seinem Gastge-        er seit Monaten vorbereitet, er hat             Gedächtnisstütze reicht.                                      „Beutelschneider“ schneidet ihr         Ständen“, klagt er im Tagebuch.        turen, Zeichnungen und Druckgraphiken,
                  ber in Antwerpen etwa gibt er mal         sein Netzwerk aktiviert, Fürsprecher                                                                          den Beutel mit Geld und Schlüsseln                                             die Dürer auf seiner Reise gesehen haben
                  Geld, mal Kunst. „Den Jobst, mei-         in Stellung gebracht, Empfehlungs-              Von Aachen reist Dürer nach Köln.                             vom Gürtel ab, damals eine übliche      Ende Juli 1521 trifft Dürer wieder     dürfte, sei es, weil sie öffentlich zugänglich
                  nen Wirt, gar sauber und fleißig mit      schreiben besorgt. Zum Netzwer-                 Dort erreicht ihn die Nachricht,                              Art des Diebstahls.                     in Nürnberg ein; am dritten August     waren oder weil sie von Künstlern stammen,
                  Ölfarben porträtiert“, notiert er im      ken gehörten auch Geschenke – die               dass Kaiser Karl V. die jährliche                                                                     nimmt er vom Stadtkämmerer die         die er kennengelernt hat. Der Besucher
                  Tagebuch; „der hat mir für seins          Dürer stets treulich im Tagebuch                Zahlung weiterhin bewilligt. Damit                            Das Fazit der Reise ist für Dürer       für 1519 und 1520 zurückbehaltene      wird einen einzigartigen kulturhistorischen
                  nun seins gegeben. Und sein Weib          verzeichnete. „Dem Mathes habe                  ist der wichtigste Zweck der Reise                            zwiespältig: Er hat viel erlebt, dar-   Zahlung von insgesamt 200 Gulden       Bilderbogen erleben.
                  habe ich aufs Neue in Ölfarben            ich für 2 Gulden Kunstware ge-                  erfüllt. Trotzdem hält sich Dürer                             unter eine Menge interessanter          in Empfang. Wenigstens das.
                  porträtiert.“                             schenkt“, heißt es etwa während                 weitere acht Monate in den Nieder-                            Begegnungen und Ehrbezeugun-

18                                                                                                                                                 login // 02_2018       login // 02_2018                                                                                                                19
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        service // Die Provinz bin ich
        Drei Rückkehrer erzählen, was passiert, wenn man an
        den Ort zurückkehrt, an dem man aufgewachsen ist.

                    Mut zum Kaff
                    Jan Böttchers Romanheld Michael Schürtz kommt als arroganter Snob in
                    Designerjeans wegen eines Bauprojekts voller Widerwillen in „Das Kaff“
                    zurück, in dem er aufgewachsen ist. Der Architekt rückt mit sämtlichen Vor-
                    urteilen zum Leben in der Provinz an – und dann bröckeln sie ihm Stück für
                    Stück weg. Als Schürtz schließlich dank der Rückkehr zu seinem alten Fuß-
                    ballclub eine Art Katharsis erlebt, entwickelt er mit reichlicher Verspätung
                                                                                                                                                                                                                         nachgefragt // Hin und Her
                    doch noch so etwas wie Heimatgefühle. Mit Ironie beschreibt Böttcher die
                    innere Feindseligkeit seines Antihelden und seine alltäglichen Probleme                                                                                                                              Karriere und Laufbahn bedeuten dasselbe – beides steht für
                    und Auseinandersetzungen. Ein nicht ganz durchsichtiges Familiendrama,                                                                                                                               Bewegung im Beruf. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der regio iT
                    das sich in der zweiten Hälfte herausschält, gibt dem Roman Tiefe. - FAB -
                    Jan Böttcher: Das Kaff. Aufbau Verlag 2018
                                                                                                                                                                                                                         über ihre örtliche und berufliche Beweglichkeit.

                    Ein Teil von mir
                    Der französische Philosoph und Soziologe Didier Eribon ist in den Fünfzi-                                                                                                                            Wie viele berufliche Ausbildungen haben          Wie häufig haben Sie in Ihrer Laufbahn
                    ger- und Sechzigerjahren als Arbeiterkind in Reims aufgewachsen und hat                                                                                                                              Sie in Ihrer Laufbahn absolviert?                bereits Ihren Arbeitgeber gewechselt?
                    sich mit Fleiß und außerordentlicher Begabung zum Pariser Intellektuellen                                                                                                                            (dazu zählen auch angefangene, aber nicht        24 %    Keinmal
                    entwickelt. Nachdem sein tyrannischer Vater gestorben ist, kehrt er zum                                                                                                                              abgeschlossene Ausbildungen)                     13 %    Einmal
                    ersten Mal seit Jahrzehnten an den Ort seiner Kindheit zurück. Und stellt                                                                                                                            41 %    eine                                     16 %    Zweimal
                    fest, dass alles, wovon er sich einmal hasserfüllt losgesagt hat, in ihm wei-                                                                                                                        30 %    zwei                                     16 %    Dreimal
                    terlebt. Eribon hatte wichtige Gründe, aus Reims wegzugehen, er wurde                                                                                                                                                                                 13 %    Viermal

                                                                                                                       Quelle: An der Umfrage beteiligten sich 38 von insgesamt 405 Beschäftigten der regio iT.
                                                                                                                                                                                                                         21 %    drei
                    als junger Mensch diskriminiert wegen seiner Homosexualität. Trotzdem                                                                                                                                 5%     mehr als drei                             8%     Fünfmal
                    muss er erkennen, dass die Provinz ein Teil von ihm selbst ist – obwohl dort                                                                                                                                                                          11 %    Mehr als fünfmal
                    inzwischen fast alle Front National wählen. Die Wiederbegegnung mit der
                    Heimat und der Mutter ermöglichen ihm schließlich eine Versöhnung mit                                                                                                                                Wenn Sie studiert haben: Wie oft haben
                    sich selbst. Ein Buch, das sich zwischen Autobiografie, Klassenanalyse und                                                                                                                           Sie Ihre Studienrichtung/Ihr Studienfach         Wie oft haben Sie dabei Ihren Wohnort
                    Kulturdiagnose bewegt, und ein bewegendes Porträt eines sich selbst be-                                                                                                                              gewechselt?                                      (Stadt/Gemeinde) gewechselt?
                    wussten Europäers. - FAB -                                                                                                                                                                           (dazu zählen auch abgebrochene                   68 %    Keinmal
                    Didier Eribon: Rückkehr nach Reims. Suhrkamp Verlag 2016                                                                                                                                             Studiengänge)                                    22 %    Einmal
                                                                                                                                                                                                                         72 %    Keinmal                                  11 %    Mehrfach
                    Von Berlin nach Hohenlimburg                                                                                                                                                                         22 %    Einmal
                                                                                                                                                                                                                          6%     Zweimal
                    Autor Jörn Klare beschreibt in „Nach Hause gehen“, wie er von Berlin nach                                                                                                                                                                             Wie weit leben Sie aktuell von
                    Hohenlimburg wandert, einer Kleinstadt am Rande des Ruhrgebiets, wo er                                                                                                                                                                                Ihrem Geburtsort entfernt?
                    herstammt. Auf dem Weg spricht er mit Menschen, die ihre Heimat lieben,                                                                                                                              Haben Sie sich nach Ihrem Berufseinstieg         40 %    bis 10 km
                    an ihr leiden und auch für sie kämpfen. Auf seine Frage: „Was ist Heimat?                                                                                                                            beruflich verändert?                             16 %    bis 20 km
                    Braucht man sie?“ bekommt er oft nur kurze, aber auch tief- und abgründige                                                                                                                           26 %    Nein                                     18 %    bis 100 km
                    Antworten über Zugehörigkeit und Verwurzelung. Am Ende kommt er zur                                                                                                                                  32 %    Ja                                        5%     bis 200 km
                    überraschenden Erkenntnis, dass es ein breites Kreuz braucht, um auf dem                                                                                                                             26 %    Mehrfach                                 11 %    bis 400 km
                    Dorf zu leben. Denn um sich in so einer überschaubaren Gemeinschaft                                                                                                                                  16 %    Ich arbeite heute in einem gänzlich 		    3%     bis 600 km
                    zu entwickeln und seinen Weg zu gehen, dazu brauche man ein dickes Fell.                                                                                                                                     anderen Bereich                           8%     mehr als 600 km
                    Ein Buch, das zu eigenen Gedanken- und Fußreisen anregt. - FAB -
                    Jörn Klare: Nach Hause gehen. Eine Heimatsuche. Ullstein Verlag 2016

20                                                                                                  login // 02_2018                                                                                  login // 02_2018                                                                                                     21
INSIDE OUT

                                           ausbildung // Frauen in der IT
                                           Informatikerinnen sind eine Minderheit.
                                           Wieso sie sich für Berufe in der IT entschieden
                                           haben, erzählen sechs Auszubildende und
                                           Mitarbeiterinnen der regio iT.

                                           Während die Ungleichheit der Geschlechter in den meisten Wirtschafts-
                                           branchen in den vergangenen Jahren nachgelassen hat, nimmt sie in IT-
                                           Berufen sogar zu. Nur eine von sechs Beschäftigten in der IT-Welt ist derzeit
                                           weiblich. Auf offene Stellen bewerben sich meist nur wenige Frauen, in
                                           bestimmten Studiengängen wie Wirtschaftsinformatik bleiben Männer
                                           weitgehend unter sich. Auch die regio iT wirbt häufig noch vergeblich um
     Frauen in der regio iT                Informatikerinnen: Unter den 21 Auszubildenden sind gerade einmal vier
                                           Frauen, im neuen Ausbildungsjahrgang ist nur eine einzige Frau dabei.
                                           Woran liegt es, dass Frauen um IT-Berufe einen großen Bogen machen?
     Beschäftigte der regio iT
     gesamt … 405                          An der fehlenden Präsenz im Netz liegt es nicht: Natürlich sind Frauen online.
                                           Sie stellen die Mehrheit in den sozialen Netzwerken, sie shoppen und spielen
                                           Social Games. Doch während es vor allem Männer sind, die die Tools der
     Frauenanteil der Beschäftigten
                                           Zukunft entwickeln, werden Frauen zu passiven Konsumenten degradiert –
     (einschließlich Tätigkeiten im ad-    und womöglich noch als solche ignoriert.
     ministrativen und kaufmännischen
                                           Das müsste nicht so sein: In Pisa-Studien schneiden Mädchen in Mathe-
     Bereich, in der Unternehmenskom-
                                           matik ähnlich ab wie Jungen. Dennoch schlagen sie später seltener einen
     munikation, dem Marketing sowie       Karriereweg ein, der ihren naturwissenschaftlichen Fähigkeiten entspricht.
     in der Kunden- und Anwender-          Ausschließlich durch unterschiedliche Berufswünsche lässt sich diese Un-
     betreuung) … 23 Prozent               gleichheit nicht begründen. Plausibler scheint eine andere Erklärung: Das
                                           große Problem für Frauen in der Informatik könnten die ständigen Zweifel
                                           ihres Umfelds sein. Wenn ein Informatiker in den Raum kommt, denkt jeder:
     Anzahl der regio iT Mitarbeiterin-    Der kennt sich aus. Bei Informatikerinnen sieht das anders aus, ganz gleich,
     nen, die in der Technik beschäftigt   welche fachliche Eignung sie haben. Sie müssen sich Akzeptanz immer wie-
                                           der neu erkämpfen. Deshalb ist es wichtig, dass Mädchen ein schulisches
     sind (dazu gehören unter anderem
                                           und familiäres Umfeld haben, in dem sie sich trauen, etwas auszuprobieren
     eine Mathematikerin, eine Elektro-    und in dem es selbstverständlich ist, Mädchen für Technik zu begeistern.
     Ingenieurin, eine Vermessungs-
     Ingenieurin, Wirtschaftsinformati-    In Wahrheit nämlich haben Frauen die Entwicklung des Computers von
                                           Anfang an maßgeblich mitgestaltet: Die ersten Programmiererinnen waren
     kerinnen, SAP-Entwicklerinnen
                                           weiblich. Grace Hopper, eine der Pionierinnen der Informatik, arbeitete mit
     und Anwendungsentwicklerinnen)        dem Mark I, dem ersten vollelektronischen Rechner der Welt, erfand den
     … 25                                  Compiler und die Bezeichnung Bug. In den Achtzigerjahren, als Informatik
                                           an den Unis noch ein junges Fach war und der Personal Computer noch
                                           nicht die privaten Haushalte erobert hatte, waren in den USA fast die Hälfte
                                           der Studierenden weiblich. Doch dann setzten sich Strukturen und Klischees
                                           fest, wie jenes, dass richtige Nerds männlich zu sein haben. Machen wir
                                           endlich Schluss damit.
                                                                                                                                   © Georg Helmes

                                                                                                   BIRGIT-SARA FABIANEK

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