Dezember 2020 - Landesärztekammer Baden-Württemberg
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
2 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Dezember 2020 INHALTSVERZEICHNIS Vorwort................................................................................................................ 3 Die Kreisärzteschaft Sigmaringen stellt sich vor ................................................. 4 Meinungsfreiheit in Zeiten von Corona oder: „Da muss die Kammer doch was machen!“ ................................................ 5 Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung – Warnung vor Gefälligkeitsbescheinigungen ..................................................... 8 Wir sind Ihre Kammer! ....................................................................................... 11 Ihre Kammer: verlässlich, verständlich, hilfreich ................................................ 12 Selbstbestimmungsrecht einer Minderjährigen beim Schwangerschaftsabbruch........................................................................ 12 Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen ................................................. 15 Bericht zum Projekt „Solidarische Kammer“ 2019 ............................................ 16 Altes und neues Weiterbildungsrecht – Wahlmöglichkeit ................................... 17 Allgemeinmedizin: Entscheidungshilfe für Ihre Wahl zwischen altem oder neuem Weiterbildungsrecht .............................................. 17 Erwerb von neu eingeführten Zusatzweiterbildungen ....................................... 18 Weiterbildungsbefugnis nach altem und neuen Weiterbildungsrecht ...................................................... 20 Telefonverzeichnis der Bezirksärztekammer Südwürttemberg ......................... 21 Der schnelle elektronische Kontakt zu Ihrer Kammer ....................................... 22 Impressum: Herausgeber: Bezirksärztekammer Südwürttemberg Redaktion: Dr. iur. R. Kiesecker (V.i.S.d.P.) Anschrift: Haldenhaustraße 11, 72770 Reutlingen, zentrale@baek-sw.de Homepage: www.baek-sw.de Druck: Müller + Bass, Tübingen Titelbild: Nils Dittbrenner, www.bilderweide.de
3 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Dezember 2020 Vorwort Liebe Frau Kollegin, lieber Herr Kollege, nach nun mehr als acht Monaten Pandemie sind wir mitten in einer zweiten Welle, mit auch weiterhin vielen Gesichtern. Einige von uns haben sich auf ein „neues Normal“ eingestellt, andere nicht. Einige sind an der Spitze der Versorgung, andere müssen Behandlungen ausfallen lassen. Einige hat es selbst erwischt, andere ha- ben noch keinen einzigen COVID19-Patienten betreut. So oder so, diese Pande- mie hat Sie, mich und uns alle auch weiterhin so fest im Griff, dass andere Themen leicht untergehen. Daher wollen wir in diesem Rundschreiben zwar natürlich darauf eingehen, was „Corona“ für die Ärzteschaft im Allgemeinen und die Kammer im Speziellen bedeutet, aber wir wollen auch andere Themen aufgreifen. Zunächst also zu Corona: ein wichtiges Thema, das in diesem Zusammenhang an uns herangetragen wird, sind Aktivitäten von „Corona-kritischen“ Ärztinnen und Ärzten. Wir möchten hier insbesondere zwei Themen beleuchten, nämlich die Aspekte der Meinungsfreiheit (Seite 5) auf der einen, die Aspekte von Gefällig- keitsattesten (Seite 8) auf der anderen Seite. Wir hoffen, mit diesen beiden Bei- trägen zur Versachlichung dieser schwierigen und teils ja auch in der Ärzteschaft sehr emotional geführten Debatte beitragen zu können. Zu anderen Themen: wir setzen mit der Vorstellung der Fortbildungsakademie die Reihe „Wir sind Ihre Kammer“ fort (Seite 11). Ergänzend dazu berichte ich in einem Beitrag, wie wir zu unserem Leitmotto „Verlässlich, verständlich, hilf- reich“ gekommen sind (Seite 12), und was das für uns bedeuten soll. Die Patin des im letzten Jahr ausgewählten Projekts Solidarische Kammer berichtet in ih- rem Beitrag über die Resonanz und die Mittelverwendung (Seite 16). Und von Sei- ten der Abteilung Weiterbildung gibt es wieder Einiges zur neuen Weiterbildungs- ordnung zu berichten (ab Seite 17). An der Struktur unseres Rundschreibens haben wir mit dieser Ausgabe eine grö- ßere Änderung vorgenommen: wir haben die Auflistung der Veranstaltungen der Fortbildungsakademie aus dem Rundschreiben herausgenommen und in eine eigene Fortbildungsbroschüre ausgegliedert. Sie finden diese erste Auflage als separate Datei an diese Mail angehängt, und natürlich steht sie auch zum Down- load zur Verfügung. Mit diesem Format haben wir mehr Raum, Ihnen unsere Fort- bildungen vorzustellen, und ermöglichen ein schnelleres Auffinden von für Sie in- teressanten Veranstaltungen. Es erlaubt außerdem die bessere Verlinkung von weiteren Inhalten und die elektronische Anmeldung über die immer beigefügten QR-Codes. Gleichzeitig macht diese Ausgliederung das Rundschreiben selbst kür- zer und handlicher und erlaubt es uns, uns hier mehr auf berufspolitische, rechtli- che und weitere Themen, die für die Kammerarbeit wichtig sind, zu konzentrieren.
4 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Dezember 2020 Für das Titelbild haben wir uns diesmal für eine etwas ungewöhnliche Perspektive auf das Schloss Sigmaringen entschieden. Strategisch geschickt auf einem Kalk- felsen hoch über der Donau gelegen lassen sich die Ursprünge der Anlage bis ins 11. Jahrhundert zurückverfolgen. Beworben als „Deutschlands zweitgrößtes Stadt- schloss“ war es in der Vergangenheit ein Treffpunkt des europäischen Hochadels und für kurze Zeit sogar Sitz einer französischen Exilregierung. Eine Vorstellung der Kreisärzteschaft Sigmaringen finden Sie wie immer direkt im Anschluss an dieses Vorwort. Das zweite Rundschreiben kommt zwar traditionell zum Ende des Kalenderjahres, aber ich möchte an dieser Stelle trotzdem noch nicht mit Grüßen für die Weih- nachtszeit schließen. Denn diese folgen in einigen Wochen noch separat, zusam- men mit der Entscheidung der Vertreterversammlung der Bezirksärztekammer, welches Projekt der solidarischen Kammer Ihnen dieses Jahr zur Unterstützung ans Herz gelegt werden soll. Wir haben hierfür eine Reihe von sehr interessanten (und durchweg unterstützungswürdigen!) Vorschlägen erhalten, die selbst wiede- rum nur einen kleinen Ausschnitt aus dem breiten Spektrum des ehrenamtlichen Engagements der Ärztinnen und Ärzte in Südwürttemberg widerspiegeln. Ich freue mich außerordentlich, dass diese Initiative so schnell so viel Anklang gefunden hat, und bin gespannt, wie Ihre Vertreterinnen und Vertreter in der Delegiertenversam- lmung entscheiden werden. Mehr dazu dann in einigen Wochen. Bis dahin: bleiben Sie gesund! Mit freundlichen Grüßen aus Ihrer Kammer Ihr Prof. Dr. Marko Wilke Die Kreisärzteschaft Sigmaringen stellt sich vor: Die Kreisärzteschaft Sigmaringen ist mit aktuell knapp 600 Mitgliedern die kleinste der neun Kreisärzteschaften in Südwürttemberg. Der Landkreis Sigmaringen ge- hört zwar zu den größeren Landkreisen in Baden-Württemberg, er ist aber gleich- zeitig mit 109 Einwohnern pro Quadratkilometer sehr dünn besiedelt. Er hat eine bewegte Vergangenheit: das heutige Kreisgebiet umfasst ehemals vorderöster- reichische, württembergische, badische sowie preußische Gebiete. Das wirkt sich bis heute aus! Es gibt (noch) drei Klinik-Standorte in den Städten Sigmaringen, Pfullendorf und Bad Saulgau, die auch jeweils ein regionales Zentrum bilden. Die Bevölkerung ist sich dieser Vergangenheit durchaus bewusst und auch in der Ärz- teschaft macht sich diese Tatsache bemerkbar: sowohl die Kooperation bei der Patientenversorgung, als auch die „Pflege des Gemeinsinns“ (eine in der Satzung der LÄK so definierte Aufgabe einer Kreisärzteschaft) erfolgen eher lokal.
5 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Dezember 2020 Schon seit einigen Jahren finden in Pfullendorf ein gemeinsames „Jahresauftakt- essen“ und ein sommerliches Grillevent der Ärztinnen und Ärzte in der Klinik und in der ambulanten Versorgung statt. In Sigmaringen stellt der sogenannte Inter- disziplinäre Ärztenachmittag bereits eine gute Tradition dar, bei dem sich Teilneh- mer aus Klinik und Praxis zu nichtmedizinischen Unternehmungen im Großraum mit anschließender Einkehr treffen. Größere Veranstaltungen fanden in Bad Saul- gau bislang eher unregelmäßig statt, dafür sind die regelmäßigen interdisziplinä- ren Qualitätszirkel immer sehr gut besucht, so dass auch hier ein regelmäßiger Austausch zwischen dem stationären und dem ambulanten Sektor erfolgen kann. Fortbildungen fanden in den vergangenen Jahren in der Regel in Sigmaringen und der näheren Umgebung statt. Der langjährige Fortbildungsbeauftragte organi- sierte meist ca. 6-8 Veranstaltungen pro Jahr. Dieser Schnitt wird allerdings in die- sem besonderen Jahr nicht gehalten werden können. Im November 2019 fanden turnusgemäß Vorstandswahlen statt und die teilweise langjährigen Vorstandsmitglieder, die sich erneut zur Wahl stellten, wurden in ihren Ämtern bestätigt: Fr. Dr. Bettina Boellaard als Vorsitzende, Fr. Dr. Ursula Leicht- Biener als Stellvertreterin, Hr. Dr. Ansgar Pfeffer als Fortbildungsbeauftragter und Hr. Axel Knaak als Beisitzer. Es wurden zwei neue Mitglieder, Fr. Dr. Anna Halmer als Rechnungsführerin und Fr. Dr. Nicole Domschke als weitere Beisitzerin, in den sechsköpfigen Vorstand gewählt. Damit wurde eine deutliche Senkung des Alters- schnitts im Vorstand erreicht! Neben dem Engagement für die Belange der Ärzteschaft eint uns das Bestreben, die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Ärztinnen und Ärzten verschie- dener Sektoren und Fachdisziplinen zu unterstützen. Auch fungierte der Vorstand der Kreisärzteschaft als „Kammer vor Ort“ bereits in der Vergangenheit regelhaft als Ansprechpartner für lokale Medienvertreter, Kommunalpolitiker und andere Ak- teure im Gesundheitswesen, wenn es um Fragen der medizinischen Versorgung ging. Diese Funktion nahm in den turbulenten ersten Monaten dieses Jahres ge- waltig an Umfang und Bedeutung zu. Der Stellenwert der selbstorganisierten Ärz- teschaft für eine funktionierende medizinische Versorgung wurde von vielen politi- schen Gremien und Akteuren dieses Jahr sehr viel deutlicher wahrgenommen. Es wäre schön, wenn etwas von der Wertschätzung der ärztlichen Selbstverwaltung diese außergewöhnlichen Corona-Zeiten überdauern würde. Meinungsfreiheit in Zeiten von Corona, oder: „Da muss die Kammer doch was machen!“ In den letzten Monaten wurde von verschiedenen Journalisten immer wieder die Phrase bemüht, dass „die Corona-Pandemie die Probleme in … wie unter einem Brennglas sichtbar macht“. In vielerlei Hinsicht gilt dies nicht nur für das Gesund- heitswesen im Allgemeinen, sondern auch für die Ärzteschaft im Speziellen. So wie wir auf der einen Seite selbstlosen und heroischen Einsatz von vielen Kolle- ginnen und Kollegen gegen die Pandemie und ihre Folgen sehen, so erscheinen
6 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Dezember 2020 auf der anderen Seite auch Ärztinnen und Ärzte in den Reihen von Corona-Kriti- kern oder -Leugnern. Wenn auch die prominentesten ärztlichen Vertreter in diesen Reihen nicht aus Südwürttemberg kommen, so haben doch auch uns in den letzten Monaten eine Reihe von Beschwerden über Kolleginnen oder Kollegen erreicht, die z.B. im Kontext von Anti-Corona-Demonstrationen verschiedener Initiativen öf- fentlich Stellung bezogen haben. Die Kammer wurde in diesen Beschwerden aufge- fordert, berufsrechtliche Konsequenzen für die betreffenden Kollegen zu prüfen. Wir möchten daher hier aus der Sicht der Kammer den Rahmen dessen beschreiben, was in diesem Kontext berufsrechtlich überhaupt möglich ist. In diesem Beitrag geht es um die Grenzen der Meinungsfreiheit; zu anderen und ggf. auch strafrecht- lich relevanten Verstößen in diesem Zusammenhang (z. B. das Ausstellen falscher Atteste oder Bescheinigungen) nehmen wir im nachfolgenden Beitrag Stellung. Das ärztliche Berufsrecht beruht auf den Berufsordnungen der Landesärztekam- mern, die für alle Ärztinnen und Ärzte in Deutschland als Standesrecht verbind- lich sind. In der Berufsordnung sind eine Reihe von Grundsätzen und Prinzipien geregelt, die die Arbeit von und die Zusammenarbeit zwischen Ärztinnen und Ärz- ten betreffen. Zum Beispiel legt die Berufsordnung fest, dass Ärztinnen und Ärzte in medizinischen Fragen keine Weisungen von Nicht-Ärzten entgegennehmen dür- fen (§ 2 Absatz 4), dass sie zur kollegialen Zusammenarbeit verpflichtet sind (§ 29 Absatz 1) oder, dass sie sich vor der Durchführung einer wissenschaftlichen Studie ethisch beraten lassen müssen (§ 15 Absatz 1). Meistens richten sich die Vorwürfe gegen die Corona-Leugner unter den Kolleginnen und Kollegen aber darauf, dass sie mit ihrem als berufsunwürdig angesehenen Auftreten dem Ansehen des ärzt- lichen Berufes schaden. Diese allgemeine Verpflichtung ist der Berufsordnung als Präambel vorangestellt. Sie ist hinreichend weich formuliert, so dass sie regelhaft einer Auslegung bedarf, was als „den Berufsstand in Verruf bringend“ angesehen werden kann. Hierbei muss zunächst unterschieden werden, ob die strittige Äußerung (1) in der Öffent- lichkeit und (2) in einer Form erfolgt ist, bei der die Zugehörigkeit zum ärztlichen Berufsstand erkennbar und relevant war. Sprich, als Privatperson steht allen Ärz- tinnen und Ärzten natürlich dasselbe Recht zu, sich öffentlich zu äußern, wie jeder anderen Person auch. Erst wenn die Zugehörigkeit zur Ärzteschaft bei der Äu- ßerung eine Rolle gespielt hat (Beispiel: „Als Arzt kann ich Ihnen sagen, Sie brau- chen keine Maske zu tragen!“) kommt überhaupt eine Beurteilung nach dem ärzt- lichen Berufsrecht in Frage. Wenn sich nach Prüfung der Voraussetzungen Anhaltspunkte für ein berufswidri- ges Verhalten ergeben, wird in der Regel eine Stellungnahme des Betreffenden eingeholt, die zunächst von hauptamtlichen Kammermitarbeiten beurteilt wird und, bei weiterbestehendem Verdacht, an die Kammeranwaltschaft beim Bezirksbe- rufsgericht zur weiteren Ermittlung abgegeben wird. Hier müssen, genau wie in jedem anderen Verfahren vor jedem anderen Gericht in Deutschland, die Entschei- dungen der obersten Gerichte berücksichtigt werden. Da es sich bei der Meinungs- freiheit um ein in Artikel 5 des Grundgesetzes festgelegtes Grundrecht handelt,
7 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Dezember 2020 sind hier die Urteile des Bundesverfassungsgerichts besonders zu berücksich- tigen. Und dieses hat sich mit den Grenzen der Meinungsfreiheit gerade von Ärz- tinnen und Ärzten mehrfach befasst, und hat der Auslegung hierzu sehr enge Grenzen vorgegeben. So heißt es zum Beispiel in einem Urteil, das eine Entschei- dung des Landesberufsgerichts für Ärzte in Baden-Württemberg aufgehoben hat: „Der Grundrechtsschutz [auf freie Meinungsäußerung] entfällt insbesondere nicht deshalb, weil die Kritik nach den Feststellungen des Landesberufsgerichts inhalt- lich verfehlt war und in ironisch-abschätziger Form verfasst war. Denn Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt die Meinungskundgabe unabhängig davon, ob die Äuße- rung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird" (Urteil vom 14.02.2000 – 1 BvR 390/95). Mit anderen Worten, auch eine sachlich falsche, ra- tional nicht begründbare und für schädlich gehaltene Meinungsäußerung ist vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt. Die Grenzen der Meinungsfreiheit in die- sem Zusammenhang wären aber zum Beispiel dann überschritten, wenn ein Arzt oder eine Ärztin zur Missachtung der Corona-Auflagen und damit zu einem be- wussten Regelverstoß aufruft. Viele Ärztinnen und Ärzte werden sich mit dieser formaljuristischen Auslegung schwer tun, vor allem vor dem Hintergrund, dass eine Äußerung, die von einem Arzt oder einer Ärztin stammt, für Patienten ja oft eine hohe Empfehlungswirkung entfaltet. Umgekehrt wird dieser hohe Vertrauensvorschuss, der unserem Be- rufsstand entgegengebracht wird, durch allzu abstruse Äußerungen natürlich bedroht. Aber selbstverständlich sind auch wir als Kammer und damit Körperschaft des öffentlichen Rechts in unserer Berufsgerichtsbarkeit an diese höchstrichterli- che Rechtsprechung gebunden. In Kenntnis dieser hohen Hürden ist die Tatsache, dass bisher in Südwürttemberg keine berufsrechtliche Ahndung eines entspre- chend angezeigten Falls erfolgt ist, vielleicht besser zu verstehen. Um dies ganz klar festzuhalten: wir, als gewählte Vertreter der Ärzteschaft, werden das Grundrecht der Meinungsfreiheit auch von Ärztinnen und Ärzten jederzeit res- pektieren und verteidigen! Wir repräsentieren eine vielfältige Ärzteschaft, die auch eine breite Meinungspluralität aushält und aushalten muss. Dennoch besteht nach unserer festen Überzeugung in der überwältigend breiten Ärzteschaft die vor- herrschende Einstellung, dass (z.B.) eine Leugnung der Existenz des Corona- Virus oder die Äußerung, dass es zur Bekämpfung der Pandemie keines Abstands und keiner Masken bedarf, ein negatives Bild auf den ärztlichen Stand wirft. In Abstimmung mit der Kammeranwaltschaft hat daher der Vorstand der Bezirksärz- tekammer in seiner Sitzung vom 05.08.2020 entschieden, dass in solchen Fällen auch eine eigenständige Missbilligung des Vorstands erfolgen kann. Denn auch wenn eine Meinungsäußerung nach den hohen Hürden der bestehenden Recht- sprechung nicht formal justiziabel sein mag, so kann sie dennoch im Widerspruch zu den hohen ethischen Ansprüchen unseres eigenen Berufsstandes stehen. Wenn dies nach der Einschätzung des Vorstands der Fall sein sollte, dann wird in Zukunft eine Rückmeldung an den Betroffenen auch unabhängig von einem be- rufsrechtlich einzustellenden Verfahren erfolgen. Denn das Recht, die Meinung der Mehrheit der Mitglieder zu formulieren und zurückzumelden, nehmen dann wiede- rum wir, als gewählte Vertreter der Ärzteschaft in Südwürttemberg, für uns in An- spruch. Prof. Dr. Marko Wilke, für den Vorstand der Bezirksärztekammer Südwürttemberg
8 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Dezember 2020 Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung – Warnung vor Gefälligkeitsbescheinigungen Nach § 3 der Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg in der ab 02.11.2020 gültigen Fassung muss eine nicht-medizinische Alltagsmaske oder eine vergleichbare Mund-Nasen-Bedeckung unter anderem bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, in Friseursalons, in Arzt- und Zahnarztpraxen, in Ein- kaufszentren und Ladengeschäften sowie in Schulen ab Klasse 5 auf den Begeg- nungsflächen wie Fluren, Treppenhäusern und Pausenhöfen getragen werden. Für die Schulen gilt darüber hinaus seit Mitte Oktober nach der Corona-Verord- nung Schule, dass bei Ausrufung der Pandemiestufe 3, also einer landesweiten 7-Tages-Inzidenz von 35 und mehr Neuinfektionen je 100.000 Einwohner, die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ab Klasse 5 in den weiterfüh- renden Schulen sowie in den beruflichen Schulen auch auf den Unterricht ausge- weitet wird. Eine Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in den genannten Einrichtungen gilt nur für die Personen nicht, die glaubhaft machen können, dass ihnen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus gesundheitlichen oder sonstigen zwingenden Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, wobei die Glaubhaftmachung gesundheitlicher Gründe in der Regel durch eine ärztliche Bescheinigung zu erfolgen hat (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 Corona-VO). Diese Ausnahme von der „Maskenpflicht“ aus gesundheitlichen Gründen sorgt für erhebliche Unruhe und große Rechtsunsicherheit. Für Ärztinnen und Ärzte ist die korrekte Anwendung der Vorschrift von großer Bedeutung, denn sie sind es, die Patientinnen und Patienten die Unzumutbarkeit des Tragens einer nicht-medizini- schen Alltagsmaske aus medizinischen Gründen bescheinigen müssen. Wer hier als Arzt nicht mit der notwendigen Sorgfalt handelt, läuft Gefahr, sich wegen des Ausstellens einer Gefälligkeitsbescheinigung insbesondere strafrechtlich oder be- rufsrechtlich verantworten zu müssen. Welches können medizinische Gründe sein, die dem Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung entgegenstehen können? Aus der Formulierung, dass es einer Person „aus gesundheitlichen Gründen... nicht möglich oder nicht zumutbar ist“, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, ergibt sich, dass das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung mit dem Risiko einer erheblichen oder schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes eines Menschen einhergehen muss, damit der Arzt eine Bescheinigung zur Befrei- ung einer solchen Bedeckung ausstellen darf. Wichtig ist in diesem Zusammen- hang, dass der baden-württembergische Verordnungsgeber keine Vorgaben zu der Art der Mund-Nasen-Bedeckung gemacht hat, die getragen werden muss. Es kann sich um eine nicht-medizinische Alltagsmaske, aber auch um eine vergleich- bare Mund-Nasen-Bedeckung wie beispielsweise einen dünnen Schal oder ein Stofftuch handeln, so dass in aller Regel die Person, die die Mund-Nasen-Bede- ckung trägt, in ihrer Atmung nicht beeinträchtigt ist. Darüber hinaus ist es denkbar, dass einer Person für einen kürzeren Zeitraum durchaus zugemutet werden kann,
9 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Dezember 2020 eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen und nur bei längeren Zeiträumen gesund- heitliche Probleme auftreten können. Oder aber es handelt sich um eine Person, die ggf. bei körperlich anstrengender Arbeit gesundheitliche Probleme mit dem Tragen der Mund-Nasen-Bedeckung bekommt, nicht jedoch in ihrer Freizeit, beim Einkaufen oder beim Arztbesuch. All diese Punkte sind vom Arzt zu beachten, wenn er gebeten wird, eine Bescheinigung zur Befreiung des Tragens einer Mund- Nasen-Bedeckung auszustellen. Die Ärztekammer Berlin hat in einem Merkblatt zu den Ausnahmen von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung for- muliert, dass es kaum denkbar ist, dass größere Teile der Bevölkerung aus ge- sundheitlichen Gründen nicht in der Lage sein sollen, eine Mund-Nasen-Bede- ckung zu tragen, und dass unter die Ausnahmevorschrift vor allem Menschen fal- len können, die aufgrund einer schweren respiratorischen Erkrankung, einer geis- tigen Behinderung oder einer schweren psychiatrischen Störung nicht in der Lage sind, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tolerieren. Dieser Auffassung schließen wir uns an. Welchen Inhalt muss eine ärztliche Bescheinigung haben, mit der einem Patienten eine Ausnahme von der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus medizinischen Gründen attestiert wird? Mit dieser Frage haben sich zwischenzeitlich (bis zum Redaktionsschluss Ende Oktober) bereits einige Verwaltungsgerichte befasst. In mehreren Entscheidungen geht es um ärztliche Atteste, mit denen Schülerinnen und Schülern für den Schul- besuch nur pauschal bescheinigt worden ist, dass ihnen das Tragen einer Mund- Nasen-Bedeckung aus gesundheitlichen Gründen nicht zugemutet werden kann. Eine Begründung, aufgrund welcher gesundheitlicher Gründe das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung für die Antragsteller nicht möglich bzw. unzumutbar sein soll, wurde nicht angeführt. Es fehlt zudem in den Attesten, über die die Gerichte zu befinden hatten, an der konkreten Diagnose eines Krankheitsbildes. Ein derar- tiges Attest ist nicht hinreichend aussagekräftig und zur Glaubhaftmachung ge- sundheitlicher Gründe, die eine Befreiung von der Maskenpflicht rechtfertigen, nicht ausreichend. Aus einem ärztlichen Attest zur Ausnahme von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung muss sich zumindest nachvollziehbar erge- ben, auf welcher Grundlage der Arzt oder die Ärztin ihre/seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt (OVG NRW, Beschluss vom 24.09.2020 – 13 B 1368/20; VG Regensburg, Beschluss vom 17.09.2020 – RO 14 E.20.2226; VG Würzburg, Beschluss vom 16.09.2020 – W 8 E 20.1301 und VG Neustadt, Beschluss vom 10.09.2020 – 5 L 757/20.NW). In allen vier Entschei- dungen kam für die Gerichte zum Nachteil der Antragsteller hinzu, dass für die betroffenen Schülerinnen und Schüler eine Nutzungspflicht der Mund-Nasen- Bedeckung nur für die Zeit außerhalb des Unterrichts bestand. Gerade dann – so die Gerichte – müsse der das Attest ausstellende Arzt konkret darlegen, aus wel- chen Gründen es den Schülern nicht zugemutet werden kann, in einem relativ kur- zen Zeitraum auf dem Schulgelände eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen.
10 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Dezember 2020 Hiergegen, also gegen die Pflicht, eine attestierte Ausnahme von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus medizinischen Gründen näher zu be- gründen, können – so insbesondere das VG Würzburg – weder datenschutzrechtli- che Bedenken noch der Verweis auf die ärztliche Schweigepflicht eingewandt wer- den. Insbesondere ein Verstoß gegen § 203 StGB kann nur bei der unbefugten Weitergabe eines fremden Geheimnisses bzw. persönlicher Daten vorliegen. Die Ausstellung einer der Corona-Verordnung entsprechenden Bescheinigung und die Übergabe an den Patienten, der wiederum selbst entscheidet, wem er dieses Attest vorlegt, stellt jedoch keine unbefugte Offenbarung fremder Geheimnisse dar. Aktuell wird vor allem das Anbieten von Blanko-Attesten im Internet zur Befrei- ung von der Maskenpflicht diskutiert. Hiervor kann nur gewarnt werden. Jedes ärzt- liche Attest darf nur bei entsprechender ärztlicher Überzeugung auf Basis erhobe- ner Befunde ausgestellt werden. Das Ausstellen eines ärztlichen Attestes aus „Ge- fälligkeit“ kann in erster Linie straf- und berufsrechtliche Konsequenzen haben. Gemäß § 278 StGB werden Ärztinnen und Ärzte mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn sie wider besseres Wissen ein unrichti- ges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen zum Gebrauch bei einer Behörde (beispielsweise einer Schule oder dem Gesundheitsamt) oder einer Versicherung ausstellen. Auch wenn das Attest nicht zur Vorlage bei einer Be- hörde, sondern deswegen ausgestellt wird, um dem Betreffenden das Einkaufen ohne Maske oder einen Arzt- oder Friseurbesuch ohne Mund-Nasen-Bedeckung zu ermöglichen, muss der Arzt, der das Attest aus „Gefälligkeit“ ausstellt, mit Kon- sequenzen rechnen. Denn ein Verstoß gegen § 25 der Berufsordnung der Landes- ärztekammer Baden-Württemberg liegt vor, wenn Ärztinnen und Ärzte bei Ausstel- lung von Gutachten und Zeugnissen nicht mit der notwendigen Sorgfalt verfahren und nicht nach bestem Gewissen ihre ärztliche Überzeugung aussprechen. Ein Arzt muss auch damit rechnen, dass er sich unter Umständen gegenüber einer Behörde, einem Arbeitgeber, einer Versicherung etc. schadensersatzpflichtig macht und in Regress genommen wird, wenn er einem Patienten ein Gefälligkeits- attest ausstellt. Zu guter Letzt kommt auch eine Beteiligung des Arztes an einer Ordnungswidrigkeit des Patienten in Betracht, wenn der Patient den Arzt um ein unrichtiges Attest bittet, um die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen- Bedeckung umgehen zu können.
11 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Dezember 2020 Wir sind Ihre Kammer! Die Fortbildungsakademie stellt sich Ihnen vor: Mit Beginn des Jahres 2020 habe ich die Leitung der Fort- bildungsakademie der Bezirksärztekammer Südwürttem- berg übernommen. Ich habe an der Universität Marburg Humanbiologie studiert und an der dortigen Medizinischen Fakultät promoviert. Aus- und Fortbildung in der Medizin ge- hörten schon immer zu den wesentlichen Schwerpunkten meiner beruflichen Tätigkeit. Flüssige Abläufe, Unabhän- gigkeit unserer Fortbildungen und eine hohe Qualität sind mir wichtig. Mein Ziel ist es, Ihnen ein interessantes, aktu- elles und gut strukturiertes Programm in unterschiedlichen Lehrformaten anzubieten und mich dazu mit Ihnen auszu- tauschen. Schauen Sie doch einfach in unsere neue Fort- bildungsbroschüre und wenn Sie eine Idee zu einer Veran- Dr. rer. physiol. Harder staltung haben, selber gerne eine anbieten würden oder eine sonstige Anregung haben – melden Sie sich! Nach einer über zehnjährigen Tätigkeit im Mitgliederver- zeichnis der Bezirksärztekammer Südwürttemberg habe ich 2002 in die Fortbildungsakademie der Bezirksärztekammer gewechselt. Die gesamte organisatorische Abwicklung un- serer Fortbildungsveranstaltungen liegt seitdem in meinen Händen. Bei telefonischen Fragen stehe ich Ihnen als An- sprechpartnerin zur Verfügung. Aufgrund des Corona-be- dingten Lockdowns, von dem auch unsere Fortbildungsaka- demie betroffen war, rückte das Thema „Web-Seminare“ immer mehr in den Vordergrund, was ich persönlich sehr spannend finde und als sinnvolle Weiterentwicklung für un- sere Akademie betrachte. Gemeinsam mit Frau Dr. Harder Frau Strößner bin ich maßgeblich an der Planung und Vorbereitung von Fortbildungsveranstaltungen beteiligt. Seit Mitte dieses Jahres gehöre auch ich zum Team der Be- zirksärztekammer Südwürttemberg und freue mich ganz besonders auf neue und spannende Herausforderungen. Neben meinem Schwerpunkt im Bereich Beitragswesen bin ich für die EDV-Unterstützung der Abteilung Fortbildung zu- ständig. Als gelerntem IT-Systemkaufmann liegt mir dabei ganz besonders die technische Umsetzung und Betreuung auf dem Weg zur weiteren Digitalisierung unserer Verwal- tungs- wie auch der Fort- und Weiterbildungssysteme am Herzen. Dafür wollen wir bereits kurzfristig die nächsten Schritte gehen, unter anderem durch die Einführung eines neuen Software-Systems für eine optimierte Fortbildungs- planung und -verwaltung. Herr Kautt
12 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Dezember 2020 Ihre Kammer: verlässlich, verständlich, hilfreich Wie schon in den letzten Rundschreiben angekündigt möchten wir uns, als Be- zirksärztekammer Südwürttemberg, mitgliedernah und offen als Ihre Kammer aufstellen (auch wenn das in Zeiten einer Pandemie nicht ganz einfach ist). Nun ist ein griffiger Slogan schnell gefunden, dieser bringt aber nicht automatisch die Neuausrichtung einer ganzen Behörde mit sich. Das Leitungsteam der Bezirks- ärztekammer hat daher im Juli 2020 in einem intensiven Führungsworkshop ver- sucht, das hehre Ziel mit Leben zu füllen. Herausarbeiten wollten wir vor allem den Anspruch, von dem wir glauben, dass ihn die Mitglieder an uns, an ihre Kammer stellen. Dazu haben wir einige konkrete Konstellationen skizziert, in denen ein Mit- glied mit der Kammer in Kontakt kommt, und wie diese Kontakte dann idealerweise ablaufen sollen. Statt eher hohler Plattitüden wie „schnell“ oder „modern“ (mit de- nen jede/r etwas Anderes assoziiert und die daher beliebig sind) konnten wir in einigen Diskussionen herausarbeiten, dass die konkretisierbaren Attribute „verlässlich, verständlich, hilfreich“ über alle Abteilungen hinweg unser An- spruch sein sollen. Wir werden nun darangehen, die Abläufe im Hause und die Interaktionen mit un- seren Mitgliedern daraufhin zu überprüfen, ob dieser Anspruch erfüllt ist. Daher interessiert uns: was sind Ihre Erfahrungen mit Ihrer Kammer? Schreiben Sie uns gerne, wenn etwas gut gelaufen ist (dann wissen wir, was bei Ihnen gut angekom- men ist), und schreiben Sie uns auch, wenn etwas nicht gut gelaufen ist (dann werden wir versuchen, es beim nächsten Mal besser zu machen). Eine E-Mail an unsere zentrale Adresse (zentrale@baek-sw.de) reicht völlig oder Sie suchen sich in unserem Telefonverzeichnis Ihren konkreten Ansprechpartner. Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldungen, denn ohne Rückmeldung keine Verbesserung, und schließlich es ist Ihr Anspruch an uns, dem wir gerecht werden wollen. In den kom- menden Rundschreiben werden wir dann in loser Folge berichten, auf welche Rückmeldungen wir wie eingegangen sind. PS: Übrigens können Sie natürlich auch gerne anrufen: die Telefonsprechstunde des Präsidenten an jedem ersten Mittwoch im Monat von 10.30 Uhr bis 12.30 Uhr unter Tel. 07121 / 917 2410 besteht auch weiterhin. Selbstbestimmungsrecht einer Minderjährigen beim Schwangerschaftsabbruch Ein Beschluss des Oberlandesgerichts Hamburg aus dem Jahr 2019 (Beschluss vom 29.11.2019, Az. 12 UF 236/19) gibt uns Anlass, erneut auf Fragen des Selbst- bestimmungsrechtes minderjähriger Patienten bei der Durchführung medizinischer Eingriffe einzugehen. Das Oberlandesgericht (OLG) hatte folgende Fallkonstellation zu entscheiden: Eine 16-jährige, die seit der Trennung ihrer Eltern im Jahre 2007 im Haushalt ihrer Mutter lebt, möchte einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen. Beide El- tern sind sorgeberechtigt. Die junge Frau befindet sich in der 11. Schwanger- schaftswoche. Sie informiert sich eigenständig über die Möglichkeit einer Fortset- zung wie auch eines Abbruchs der Schwangerschaft und lässt sich entsprechend
13 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Dezember 2020 den Vorgaben des § 219 StGB durch eine anerkannte Schwangerschaftskonflikt- beratungsstelle beraten. Der Vater des Mädchens ist mit dem geplanten Schwan- gerschaftsabbruch einverstanden, die Mutter ist dagegen und kann sich einen Ab- bruch unter keinen Umständen vorstellen. Nachdem der jungen Frau mitgeteilt wird, dass sie ohne Zustimmung ihrer Eltern keinen Schwangerschaftsabbruch durchführen könne, beantragt das Mädchen beim Familiengericht die Zustimmung ihrer Eltern als Sorgeberechtigte zu ersetzen. Dieser Antrag wird vom Familienge- richt zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung wendet sich die junge Frau, die nunmehr anwaltlich vertreten ist, und beantragt beim OLG, festzustellen, dass eine Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern in den Schwangerschaftsabbruch nicht erforderlich ist. Das OLG hat entschieden, dass die junge Frau hinsichtlich der Frage, ob sie einen Abbruch der Schwangerschaft vornehmen lassen kann, allein entscheidungsbe- fugt ist. Zur Begründung verweist das Gericht darauf, dass es bei der Frage der Zustimmung in einen ärztlichen Eingriff nicht auf die Geschäftsfähigkeit im Sinne der §§ 104 ff. BGB ankommt, sondern auf die Frage der Einwilligungsfähigkeit. An die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit der Minderjährigen durch den be- handelnden Arzt seien hohe Anforderungen zu stellen. Es müsse geprüft werden, ob die Minderjährige die Fähigkeit besitzt, die Art des ärztlichen Eingriffs und des- sen Risiken und Folgen für den eigenen Körper zu erfassen. Weiter muss sie auch die Fähigkeit zur Rechtsgüterabwägung besitzen, also die Fähigkeit, das Recht des Ungeborenen auf körperliche Integrität gegen das Recht der Schwangeren auf Selbstbestimmung abzuwägen. Zudem muss die Minderjährige auch die Reife zur Bewertung des Eingriffs im Hinblick auf die möglichen psychischen Belastungen aufweisen. Kommt der Arzt auf diese Weise zum Ergebnis, dass die Minderjährige einwilligungsfähig ist und hat sie zudem die Konfliktberatung nach dem Schwan- gerschaftskonfliktgesetz durchlaufen, sei gewährleistet, dass die minderjährige Schwangere den Eingriff nicht unreflektiert vornimmt. Aus der Sicht des OLG Hamm muss der Minderjährigen dann aber das Alleinentscheidungsrecht zur Vor- nahme des Schwangerschaftsabbruchs zustehen. Wenn eine Minderjährige/ein Minderjähriger die notwendige Einsichtsfähigkeit in eine ärztliche Behandlung oder einen Eingriff hat, ist für diese medizinische Maß- nahme jedenfalls auch ihre/seine persönliche Einwilligung erforderlich. Dies ist un- streitig und ergibt sich seit der Einführung des § 630 d BGB im Rahmen des Geset- zes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.02.2013 unmittelbar aus dem Gesetz. Eine einwilligungsfähige Minderjährige kann deshalb auch nicht gegen ihren Willen von ihren Eltern zu einer Abtreibung gezwungen wer- den. Man spricht hier vom sogenannten Vetorecht von Minderjährigen. Ob und in welchen Fällen umgekehrt jedoch sorgeberechtigte Eltern ein Vetorecht hinsichtlich eines ärztlichen Eingriffs haben, den eine Minderjährige/ein Minderjäh- riger vornehmen lassen möchte, ist in Literatur und Rechtsprechung höchst um- stritten. Das Zustimmungserfordernis der Eltern wird aus dem Personensorge- recht für ihr Kind abgeleitet. Einige Gerichte gehen gerade beim Schwanger- schaftsabbruch aufgrund der Schwere des Eingriffs und damit der mit der Ent- scheidung verbundenen Verantwortung von einer Zustimmungsbedürftigkeit auch der gesetzlichen Vertreter aus (so z.B. OLG Hamburg, FamRZ 2014,1213). An- dere Gerichte argumentieren mit einem Zustimmungserfordernis der Eltern bei wichtigen, aber zugleich aufschiebbaren Fällen, wie es vom BGH in einem Urteil vom 16.11.1971, Az. VI ZR 76/70 für einen kosmetischen Eingriff (Warzenbehand- lung) verlangt worden ist. Eine aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung gerade zur oft diskutierten Frage des Schwangerschaftsabbruch durch eine Minderjährige gibt es nach wie vor nicht.
14 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Dezember 2020 Die Entscheidung des OLG Hamm, dass eine Minderjährige zum Schwanger- schaftsabbruch nicht der Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter bedarf, wenn sie einwilligungsfähig ist, also nach ihrer geistigen und sittlichen Reife die Tragweite dieses Eingriffs erfassen und ihren Willen hiernach ausrichten kann, dürfte sich nach unserer Einschätzung in Recht und Literatur zunehmend durchsetzen. Aller- dings sind damit nicht alle Probleme, die sich beim Schwangerschaftsabbruch auf Wunsch der Minderjährigen, aber auch bei anderen medizinischen Eingriffen oder Behandlungen stellen, über die Minderjährige allein entscheiden dürfen, gelöst. Da die Eltern in der Entscheidung des OLG Hamm von Anfang an in die Diskussion zur Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs einbezogen waren und zumindest der Vater mit dem Eingriff einverstanden war, musste sich das Gericht nicht mit weiteren Fragen, wie der Frage der Aufklärung (nur der Minderjährigen oder auch der Eltern), Fragen der Schweigepflicht (Schweigepflicht in Bezug auf die Behand- lung der Minderjährigen auf der einen Seite, aus dem Personensorgerecht abge- leitetes Informationsrecht der Eltern auf der anderen Seite), Fragen der Entschei- dungsbefugnis eines Elternteils bei getrennt lebenden, beiderseits sorgeberech- tigen Eltern, aber auch mit der Frage der Durchsetzung der Vergütung des Arztes für den Eingriff befassen. Gerade bei der Frage der Vergütung stellt sich das Prob- lem, dass die Wirksamkeit des Behandlungsvertrages von der Geschäftsfähigkeit und nicht der Einwilligungsfähigkeit des Patienten abhängt. Nur ein geschäftsfähi- ger Patient, d. h. ein Patient, der mindestens das 18. Lebensjahr vollendet hat, kann einen wirksamen Behandlungsvertrag mit dem Arzt schließen. Ein minder- jähriger Patient bedarf für die Wirksamkeit des Behandlungsvertrages der Geneh- migung der Eltern. Wird ein Eingriff, der nicht von der gesetzlichen Krankenversi- cherung bezahlt wird, ohne Mitwirkung der Eltern vorgenommen und lehnen diese im Nachhinein die Genehmigung für den zwischen Arzt und Minderjährigen geschlossenen Behandlungsvertrag ab, hat der Arzt keine Möglichkeit, seinen Ver- gütungsanspruch nötigenfalls gerichtlich mit Erfolg durchzusetzen. Diese Auflistung zeigt, welche vielschichtigen Probleme sich nach wie vor bei der Behandlung von Minderjährigen aus Gründen der fehlenden Rechtssicherheit stellen können. Es sollte deshalb immer versucht werden, möglichst einen Kon- sens zwischen allen Beteiligten zu erzielen. Von der Vornahme eines Eingriffs oder einer sonstigen ärztlichen Behandlung, die nicht von der Zustimmung beider sor- geberechtigter Elternteile und dem einsichtsfähigen Kind/Jugendlichen gedeckt ist, ist – von Notfällen abgesehen – nach wie vor abzuraten. Können sich die Betroffene nicht einigen, sollte erforderlichenfalls auf eine Entscheidung des Familiengerichts verwiesen werden, bevor der Eingriff durchgeführt oder die Behandlung begonnen wird.
15 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Dezember 2020 Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen Im Rundschreiben 1/2019 hatten wir Sie auf die Neuregelungen des Gesetzes zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch vom 29.03.2019 hingewiesen. Dieses Gesetz sieht im Wesentlichen zwei Regelungs- komplexe zur Verbesserung der Informationen über einen Schwangerschaftsab- bruch vor. So ist § 219 a StGB um einen Abs. 4 ergänzt worden, der regelt, dass Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäuser und Einrichtungen ohne Risiko der Strafver- folgung darüber informieren dürfen, dass sie nicht rechtswidrige bzw. straflose Schwangerschaftsabbrüche nach § 218a Abs. 1-3 StGB durchführen. Außerdem ist durch eine Änderung im Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) sicherge- stellt worden, dass es eine von der Bundesärztekammer zentral geführte Liste mit Ärztinnen und Ärzten sowie Krankenhäusern und Einrichtungen gibt, die mitgeteilt haben, dass sie Schwangerschaftsabbrüche nach § 218a Abs. 1-3 StGB durchfüh- ren. Diese Liste enthält auch Angaben über die jeweils angewendeten Methoden. Die Neueinführung des § 219 a Abs. 4 StGB im März 2019 hat zwar dazu geführt, dass seitdem Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, hierüber zumindest auf ihrer Homepage informieren dürfen. Allerdings ist nur er- laubt, über das „Ob“ eines Schwangerschaftsabbruchs zu informieren. Jegliche In- formation, die über die Frage des „Ob“ eines Schwangerschaftsabbruchs hinaus- geht, ist unzulässig und verstößt gegen das Verbot der Werbung über einen Schwangerschaftsabbruch gemäß § 219 a Abs. 1 StGB. Hierunter fallen auch An- gaben zur Art und Weise eines Schwangerschaftsabbruchs, also das „Wie“ (Urteil LG Gießen vom 12.12.2019, Az. 4 Ns 406 Js 15031/15). Informationen über das „Wie“ eines Schwangerschaftsabbruchs sollen neutralen Stellen vorbehalten sein. Presseveröffentlichungen zufolge liegt zwischenzeitlich eine Verfassungsbe- schwerde gegen § 219 a Abs. 1 StGB vor. Bis zur Entscheidung wird aber sicher noch geraume Zeit vergehen, so dass die Info-Liste der Bundesärztekammer der- zeit die einzige Möglichkeit für Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrü- che durchführen, ist, auf die angewandte Methode zum Abbruch (medikamen- tös/operativ) rechtssicher aufmerksam zu machen. Seit dem Start des Registrierungsverfahren am 29.07.2019 befindet sich die Liste der Bundesärztekammer im Aufbau. Sie wird kontinuierlich aktualisiert. Zum Re- daktionsschluss unseres Rundschreibens am 05.11.2020 lag die Liste bei 340 Ein- trägen. Die Liste kann auf der Internetseite der Bundesärztekammer eingese- hen werden und bietet auch eine Suchfunktion nach Postleitzahlen und Orten (siehe https://www.baek.de/aerzte/versorgung/schwangerschaftsabbruch/ sowie https://liste.bundesaerztekammer.de/suche). Die Aufnahme in die Liste können Ärztinnen und Ärzte, Kliniken und Einrichtun- gen, die Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des § 218a Abs. 1-3 StGB durchführen, auf der Homepage der Bundesärztekammer unter https://liste.baek.de beantragen. Die Korrektheit der gemachten Angaben wird durch einen mehrstufigen Registrierungs- und Verifizierungsprozess gewährleistet. Schließlich ist noch auf das Informations- und Vermittlungsangebot der Bundes- zentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zum Thema Schwangerschafts- konflikt und Schwangerschaftsabbruch hinzuweisen, das abgerufen werden kann über https://www.familienplanung.de/beratung.
16 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Dezember 2020 Bericht zum Projekt „Solidarische Kammer“ 2019: Fisteloperationen in der Demokratischen Republik Kongo Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank, dass Sie das Projekt zur operativen Versorgung von rekto- und vesikovaginalen Fisteln in der Demokratischen Republik Kongo unterstützt haben. Insgesamt ist bei uns von November 2019 bis Januar 2020 die Summe von € 1.830 eingegangen. Dafür sagen wir herzlichen Dank! Die Spende wurde als Beitrag zum folgenden Projekt verwendet: Das Deutsche Institut für ärztliche Mission (Difäm) engagiert sich seit vielen Jahren im Ostkongo, einer Region, in der die Gesundheitsversorgung aufgrund langjährig anhaltender Unruhen und kriegerischer Auseinandersetzungen sehr schlecht ist. Da viele Frauen während der Geburt nicht von medizinisch versiertem Personal betreut werden können sind Komplikationen (wie z.B. die Ausbildung von Fisteln) häufig. Ebenso werden Frauen häufig Opfer sexueller Gewalt, die in den umkämpf- ten Regionen als Kriegswaffe eingesetzt wird. Hierbei tragen sie neben psychi- schen auch bleibende körperliche Verletzungen davon. Im Panzi-Krankenhaus hat Friedensnobelpreisträger Dr. Denis Mukwege in den letzten 20 Jahren ca. 50.000 Frauen mit Fisteln operativ versorgt und dazu ein Ausbildungs- programm zur Fistelchirurgie aufgebaut. Das Difäm engagiert sich dafür, dass junge Kollegen ausgebildet werden und eine nachhaltige Versorgung für betroffene Frauen auch dezentral außerhalb des Panzi-Krankenhauses angeboten werden kann. Auch Dr. Claude Idring´i Malasi, der Chefarzt des Krankenhauses von Rwankole/ Ituri Region, wurde auf diesem Wege im Management von Fisteln ausgebildet und kann diese Operationen seit 2018 nun auch in Rwankole anbieten. Da die betroffe- nen Frauen aufgrund ihres Zustandes oft aus der Familie oder Dorfgemeinschaft ausgestoßen sind, sind sie meist verarmt und können nicht für die Kosten des Krankenhausaufenthaltes aufkommen. Mit Ihrer Spende haben Sie dazu beigetra- gen, diese wichtige Versorgung kostenlos anzubieten. Im Rahmen des Projektes konnten bei den Aufklärungsveranstaltungen in den Dörfern 80 betroffene Frauen identifiziert werden. Diese wurden im Krankenhaus gründlich untersucht und bei 71 von ihnen wurde eine stationäre Behandlung ver- anlasst. 50 von ihnen konnten chirurgisch gut versorgt werden. Bei 17 Frauen war die Fistel so komplex, dass die Unterstützung des Teams aus dem Panzi-Kran- kenhaus notwendig war. Die Kollegen kamen im Juni 2020 hinzu, um diese Fälle zu operieren. Vier weitere Frauen wurden nach Bukavu weitergeleitet, was aber (wegen der Corona-Pandemie) noch einige Zeit brauchen wird. Während des stationären Aufenthaltes erhielten die Frauen kostenlose Verpfle- gung und ein Hygienepaket, was zu einem optimalen postoperativen Verlauf bei- trug. Zusätzlich bekamen die operierten Frauen bei Entlassung zur Wiedereinglie- derung eine Starthilfe. Diese ermöglicht es ihnen, ein kleines Business zu eröffnen, um nach langer Krankheit und dem Krankenhausaufenthalt ein neues Leben auf- zubauen und wieder aktiver Teil der Gesellschaft zu werden. Vielen Dank, dass Sie dazu beigetragen haben, diesen betroffenen Frauen im Ost- kongo ein neues Leben zu ermöglichen! Die Gesamtkosten des Projektes beliefen sich auf € 31.336, weitere Informationen finden Sie unter https://difaem.de/aktuel- les/dr-denis-mukwege/. Als Difäm kämpfen wir auch gegen die Entstehung dieser Fisteln und setzen uns für ein Ende der Vergewaltigungen ein! Für das Difäm: Dr. med. Gisela Schneider
17 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Dezember 2020 Altes und neues Weiterbildungsrecht – Wahlmöglichkeit Zum 01.07.2020 ist die neue Weiterbildungsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg vom 18.05.2020 (WBO 2020) in Kraft getreten. Sofern Sie sich zu diesem Zeitpunkt bereits in einer Weiterbildung befanden, stellt sich für Sie die Frage, nach welcher Weiterbildungsordnung (WBO) Sie Ihre Weiterbildung abschließen können. Eine bereits begonnene Facharztweiterbildung können Sie in einem Übergangs- zeitraum von sieben Jahren bis zum 30.06.2027 noch nach der WBO 2006 abschließen und die Zulassung zur Prüfung beantragen. Bei Schwerpunkt- und Zusatzbezeichnungen sind drei Jahre, d.h. bis zum 30.06.2023, vorgesehen. Bei Teilzeitweiterbildungen verlängern sich die Fristen zeitanteilig individuell. Sie ha- ben jedoch auch die Möglichkeit, Ihre Weiterbildung nach dem neuen Weiterbil- dungsrecht von 2020 auszurichten. Aufgrund dieser Wahlmöglichkeit empfehlen wir Ihnen, die Bestimmungen der bei- den Weiterbildungsordnungen zu vergleichen und individuell zu entscheiden, wel- ches Weiterbildungsrecht für Sie von Vorteil ist. Dementsprechend sollten Sie die jährliche Dokumentation der von Ihnen erworbenen Weiterbildungsinhalte im ent- sprechenden Logbuch nach der WBO 2006 bzw. nach der WBO 2020 vornehmen. Ihre verbindliche Festlegung, nach welchem Weiterbildungsrecht Sie eine Be- zeichnung erwerben möchten, ist erst im Zusammenhang mit der Antragstellung bei der Bezirksärztekammer auf Zulassung zur Prüfung erforderlich. Die Bestim- mungen der bisherigen WBO 2006 und der neuen WBO 2020 sowie die Logbücher finden Sie auf der Homepage der Landesärztekammer Baden-Württemberg (https://www.aerztekammer-bw.de/10aerzte/30weiterbildung/index.html bzw. www.aerztekammer-bw.de). Falls Sie Ihre Weiterbildung zum Erwerb einer Facharzt-, Schwerpunkt- oder Zusatzbezeichnung nach dem 01.07.2020 begonnen haben, ist diese zwingend nach den Bestimmungen der neuen WBO 2020 auszurichten. Allgemeinmedizin: Entscheidungshilfe für Ihre Wahl zwischen altem oder neuem Weiterbildungsrecht Sie können wählen, ob Sie Ihre Weiterbildung in der Allgemeinmedizin nach den bisherigen Bestimmungen der Weiterbildungsordnung von 2006 oder nach der neuen Weiterbildungsordnung von 2020 abschließen möchten, wenn Sie diese vor dem 01.07.2020 begonnen haben. Die Wahlmöglichkeit gilt für sieben Jahre, d.h. bis zum 30.06.2027. Bei Teilzeitweiterbildungen verlängert sich diese Frist zeitan- teilig individuell. Beide Weiterbildungsordnungen fordern eine 60-monatige Mindestweiterbildungs- zeit, die sich jedoch in Teilen unterscheidet. Die WBO 2020 fordert im Vergleich zur WBO 2006 neben der 24-monatigen Weiterbildung in der ambulanten haus- ärztlichen Versorgung (Allgemeinmedizin) und einer 18-monatigen Weiterbildung in Gebieten der unmittelbaren Patientenversorgung eine mindestens 12-monatige Weiterbildung im Gebiet Innere Medizin in der stationären Akutversorgung und 6 Monate Weiterbildung in mindestens einem anderen Gebiet der unmittelbaren
18 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Dezember 2020 Patientenversorgung. Dementsprechend verlangt die WBO 2020 neben den Wei- terbildungen in der Allgemeinmedizin und in der Inneren Medizin zwingend eine Weiterbildung in einem weiteren Fachgebiet. Der 80-stündige Kurs Psychosoma- tische Grundversorgung ist nach alter und neuer Weiterbildungsordnung obligat. Die im Rahmen der Weiterbildung Allgemeinmedizin geforderten Weiterbildungs- inhalte wurden darüber hinaus mit der WBO 2020 in nachzuweisende Kompeten- zen geändert. Teilweise sind keine Richtzahlen mehr gefordert. Im Vergleich zur WBO 2006 sind beispielsweise keine Richtzahlen mehr bei Elektrokardiogramm, Langzeit-EKGs, Langzeitblutdruckmessungen, Spirometrie, Ultraschalluntersu- chungen etc. nachzuweisen. Bitte beachten Sie jedoch, dass das Erbringen und Abrechnen bestimmter Untersuchungs- und Behandlungsverfahren im ver- tragsärztlichen Bereich der Genehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung bedarf. Wir empfehlen Ihnen daher, neben der kompetenzbasierten Dokumenta- tion nach der WBO 2020 auch eine quantitative Dokumentation z. B. in Bezug auf die durchgeführten Sonographieuntersuchungen zu führen, damit Sie diese später gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung nachweisen können. Erwerb von neu eingeführten Zusatzweiterbildungen Mit der am 01.07.2020 in Kraft getretenen neuen Weiterbildungsordnung (WBO 2020) wurden folgende Zusatzweiterbildungen neu eingeführt: Ernährungsmedizin (es gelten spezielle Übergangsbestimmungen) Immunologie Klinische Akut- und Notfallmedizin Nuklearmedizinische Diagnostik für Radiologen Röntgendiagnostik für Nuklearmediziner Sexualmedizin Spezielle Kinder- und Jugend-Urologie Spezielle Kardiologie für Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern (EMAH) Transplantationsmedizin. Die nach der Musterweiterbildungsordnung neu vorgesehene Zusatzweiterbildung Krankenhaushygiene existiert in Baden-Württemberg bereits unter der Bezeich- nung Medizinhygiene. Auch die Zusatzweiterbildung Kardio-MRT ist in Baden- Württemberg bereits im bisherigen Weiterbildungsrecht enthalten. Die Zusatzwei- terbildung Mammographie ist aus der nach der WBO 2006 erwerbbaren Zusatz- weiterbildung Röntgendiagnostik fachgebunden (Mamma) hervorgegangen. Im Rahmen der Übergangsbestimmungen kann in einer neu eingeführten Zusatz- weiterbildung eine Tätigkeit an Stelle einer Weiterbildung unter Leitung eines befugten Weiterbilders angerechnet werden. Für die Anrechnung einer Tätigkeit müssen Sie nachweisen, dass Sie innerhalb der letzten 8 Jahre vor Einführung der neuen Bezeichnung mindestens die gleiche Zeit, die der jeweiligen Mindestdauer der Weiterbildung entspricht, regelmäßig an Weiterbildungsstätten oder vergleich- baren Einrichtungen tätig waren und durch eine schwerpunktmäßige Tätigkeit im entsprechenden Bereich umfassende Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten erworben haben.
Sie können auch lesen