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CSS Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 286, Juni 2021 Europa und der Atom waffenverbotsvertrag Das Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrags gibt seinen BefürworterInnen in den Parlamenten und der Zivilgesellschaft Rückenwind, um den Druck auf atomar bewaffnete Staaten und ihre militärischen Verbündeten zu erhöhen. Besonders in Europa hat der Vertrag Auswirkungen auf lang bestehende Positionen und könnte so die globalen Bemühungen zur nuklearen Abrüstung beeinflussen. Von Névine Schepers Am 22. Januar 2021 ist der Atomwaffen- verbotsvertrag (Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons, TPNW) in Kraft getre- ten. Durch den TPNW werden für die Un- terzeichnerstaaten die Entwicklung, das Testen, die Produktion, der Besitz, die Weitergabe, der Einsatz und die Andro- hung eines Einsatzes von Atomwaffen ver- boten. Letzteres verweist zum Teil auf Ab- schreckungsdoktrinen, die sich auf die glaubhafte Androhung von nuklearer Ver- geltung stützen – eine Politik, die der TPNW delegitimieren will. Der Vertrag soll zudem den unmenschlichen Charakter von Atomwaffen sowie die katastrophalen Folgen ihres möglichen Einsatzes für Mensch und Umwelt verdeutlichen. Der TPNW entstand, weil Nichtatomwaf- fenstaaten unzufrieden waren über das Setsuko Thurlow, ICAN-Aktivistin und Überlebende des Hiroshima-Atomangriffs, spricht bei der Verlei- Tempo der nuklearen Abrüstung. Obwohl hung des Friedensnobelpreises in Oslo, am 10. Dezember 2017. NTB Scanpix / Terje Bendiksby via Reuters die Bestände seit dem Höhepunkt des Kal- ten Krieges deutlich zurückgegangen sind, modernisieren die meisten Atomwaffen- staaten derzeit ihre Kernwaffenarsenale und Dennoch hielten es viele Nichtatomwaffen- reich, Grossbritannien, Russland und die planen für die nächsten Jahrzehnte gar de- staaten für notwendig, einen Schritt weiter- USA), oder solche, die sich ausserhalb des ren Diversifizierung und Optimierung. Da- zugehen und ein Instrument zu schaffen, Vertragsrahmens befinden (Indien, Israel, rüber hinaus sind Rüstungskontrollverträge das Atomwaffen ausdrücklich verbietet. Nordkorea und Pakistan), noch US-Ver- gescheitert. In der Folge hat die Bedeutung bündete, deren Sicherheit von einer umfas- von Atomwaffen in den Doktrinen einiiger Bis Mai 2021 wurde der TPNW von 86 senden Abschreckung abhängt (NATO- Kernwaffenstaaten zugenommen. Zwar ist Staaten unterzeichnet und von 54 ratifi- Mitglieder, Japan, Südkorea und Australi- die nukleare Abrüstung neben der Nicht- ziert. Die Vertragsstaaten liegen haupt- en), sind dem Vertrag beigetreten. Da ein verbreitung und der friedlichen Nutzung sächlich in Afrika, Süd- und Mittelameri- Beitritt von Atomwaffenstaaten unwahr- der Kernenergie eine der drei Säulen des na- ka, Zentral- und Südostasien, und im Pazi- scheinlich ist, konzentrieren die Befürwor- hezu universellen Atomwaffensperrvertrags fikraum. Weder Atomwaffenstaaten, die terinnen und Befürworter des Verbotsver- (Nuclear Non-Proliferation Treaty, NPT). vom NPT anerkannt sind (China, Frank- trags ihre Bemühungen auf die militäri- © 2021 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich 1
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 286, Juni 2021 schen Verbündeten der USA. In diesem Die Ursprünge des TPNW Bestreben lassen sich bestehende Formen der öffentlichen Unterstützung eines Der TPNW steht in der Tradition humanitärer Rüstungskontroll- und Abrüstungsinitiativen, die den Atomwaffenverbots nutzen, die in unter- Schwerpunkt auf den Schutz von Zivilbevölkerung, Gemeinschaften und Umwelt legen. Er richtet zudem den Fokus auf das menschliche Leid, das durch Atomwaffen verursacht wird, und stellt die schiedlicher Ausprägung bei politisch lin- Opfer des Einsatzes und der Tests von Atomwaffen in den Vordergrund. Dies widerspiegelt sich ken Parteien, Parlamentsmitgliedern, Lo- umfangreich in der Präambel und in Artikel 6 des Vertrags, in denen positive Verpflichtungen in kalregierungen und der Zivilgesellschaft Bezug auf Opferhilfe und Umweltsanierung dargestellt sind. anzutreffen sind. Der Vertrag wurde 2017 auf einer Reihe von Konferenzen im Auftrag der UNO-Generalversamm lung ausgehandelt. 124 Nationen nahmen an den Verhandlungen teil, auch die Schweiz. Darunter In Europa könnte dieser Druck zunehmen waren jedoch keine Atomwaffenstaaten und die Niederlande waren der einzige NATO-Staat, der und zu einer Spaltung führen. Europa um- sich beteiligte und schliesslich als einziger gegen die Annahme des Vertrags stimmte. Die BefürworterInnen des TPNW sind der Ansicht, dass mit dem Vertrag eine «Rechtslücke» beseitigt fasst Atomwaffenstaaten, TPNW-Ver- wird, indem er Atomwaffen vollständig verbietet, so wie chemische und biologische Waffen durch tragsstaaten, neutrale und bündnisfreie die Chemiewaffenkonvention beziehungsweise die Biowaffenkonvention verboten sind. Staaten und NATO-Verbündete, ein- schliesslich solche, auf deren Boden US- Atomwaffen stationiert sind. Damit ist die europäische Nuklearlandschaft vielfältig und schwer zu durchschauen. Der TPNW hat frisches Öl in ein Feuer gegossen, das macht somit die Abschaffung zum Stan- tische Staaten, vor allem Russland und mit unterschiedlicher Intensität in ganz dard und nicht nur zum erstrebenswerten China, die weniger transparent sind. Wäh- Europa brennt. Es wird genährt von Anti- Ziel. Er schafft eine rechtliche und politi- rend dies auf ein eingeschränkteres zivilge- Atomkraft-Aktivismus, Traditionen der sche Norm gegen Besitz und Einsatz von sellschaftliches Engagement in Russland humanitären Diplomatie und einer zuneh- Kernwaffen. und China zurückgeführt werden kann, se- menden Desillusionierung angesichts des hen westliche KritikerInnen des Vertrags Versagens der Rüstungskontroll- und Ab- Da diese Norm nun im internationalen dieses Beharren als fehlgeleitet und achtlos rüstungspolitik. Eine Untersuchung der Recht verankert ist, glauben die Befürwor- gegenüber dem, was sie als destabilisieren- möglichen Auswirkungen des TPNW auf terInnen des Verbotsvertrags, dass sie als de Handlungen sowohl von Moskau als die Art und Weise, wie die Debatte zwi- Grundlage dienen kann, um alle Aktivitä- auch von Peking ansehen. ten im Zusammenhang mit Der TPNW delegitimiert Atomwaffen zu stigmatisieren, Zweitens könnte der TPNW ein konkur- einschliesslich deren Finanzie- rierendes Instrument schaffen, das nicht mit Atomwaffen und macht somit rung. Die herausragende Rolle, dem NPT vereinbar ist. BefürworterInnen die Abschaffung zum die zivilgesellschaftliche Orga- des TPNW widersprechen dieser Behaup- nisationen wie die International tung und weisen darauf hin, dass beide Ver- Standard und nicht nur zum Campaign to Abolish Nuclear träge das gleiche Ziel haben. Ihrer Ansicht erstrebenswerten Ziel. Weapons (ICAN), die 2017 für nach dient der TPNW, wie auch andere ihre Arbeit am TPNW den Nachfolgeinstrumente des NPT, etwa der schen Abschreckungs- und Abrüstungsbe- Friedensnobelpreis erhielt, bei den Ver- Vertrag über das umfassende Verbot von fürworterInnen in Europa geführt wird, handlungen und der Förderung des Nuklearversuchen und die kernwaffenfreien kann als Experimentierfeld dafür dienen, Vertrags gespielt haben, widerspiegelt auch Zonen, dazu, die bereits im NPT dargeleg- wie sich der TPNW auf globale Abrüs- ihr Ziel, Menschen und Gemeinschaften ten Prinzipien umzusetzen. Auch wenn der tungsbemühungen im weiteren Sinne aus- in den Mittelpunkt der Abrüstungsbemü- TPNW langfristig keine rechtliche Her- wirken wird und ob er seine Ziele wirklich hungen zu stellen, anstatt sich nur auf ausforderung für den NPT darstellt, so birgt voranbringen kann. Die Förderung eines Staaten zu konzentrieren. er doch kurzfristig eine politische Heraus- konstruktiven Dialogs, der die zugrunde forderung. Die bevorstehende NPT-Über- liegende Unzufriedenheit mit der bisheri- Gegen das Vertragsziel einer atomwaffen- prüfungskonferenz im August 2021 steht gen Abrüstungspolitik sowie die sicher- freien Welt werden sich kaum Einwände bereits vor einer Reihe von Schwierigkeiten heitspolitischen Gründe für die Auswei- finden. Die Gegnerinnen und Gegner des (siehe CSS Analyse 261). Je nachdem wie tung der Abschreckung anspricht, wäre ein Vertrags führen jedoch eine Reihe von stark die TPNW-BefürworterInnen versu- erster Schritt in die richtige Richtung. Gründen an, warum seine Methoden nicht chen werden, den Vertrag auf der Konferenz durchführbar und unrealistisch sind. Ers- anerkennen zu lassen, könnten die Kon- Ein polarisierender Vertrag tens: Während dem TPNW das Verständ- sensbildung und Fortschritte bei anderen Von seinen frühen Entstehungsphasen nis zugrunde liegt, dass Atomwaffen Insta- anstehenden Themen behindert werden. (siehe Textfeld) bis zum Inkrafttreten hat bilität erzeugen, verweisen KritikerInnen der TPNW in Abrüstungsdebatten für Po- auf die Sicherheitsdynamik, welche die Drittens bleiben mehrere Fragen im Zu- larisierung gesorgt. Gemäss Befürworte- Abschreckungspolitik und das Vertrauen sammenhang mit der Umsetzung des rInnen geht der TPNW weit über den in den Besitz von Atomwaffen verstärkt. TPNW unklar. Einerserseits fehlt ein Me- NPT hinaus, indem er die Risiken für die Ein damit zusammenhängender Punkt, auf chanismus zur effektiven Überprüfung. internationale Sicherheit hervorhebt, die den KritikerInnen vor allem in Europa Andererseits enthält der TPNW eine Aus- durch den Besitz von Atomwaffen und das hinweisen, ist die verstärkte Fokussierung siegsklausel. Angesichts des einzigartigen Vertrauen auf nukleare Abschreckung ent- der TPNW-BefürworterInnen auf demo- Zerstörungspotenzials von Kernwaffen ist stehen. Der TPNW delegitimiert Atom- kratische Atomwaffenstaaten und ihre mi- beides problematisch. Darüber hinaus waffen und entsprechende Doktrinen und litärischen Verbündeten statt auf autokra- müssen die TPNW-Mitglieder die not- © 2021 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich 2
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 286, Juni 2021 zeichnet und sich verpflichtet, den TPNW Nukleare Landschaft Europas zu unterstützen. In Belgien, Deutschland und den Niederlanden bauen TPNW-Be- fürworterInnen darauf auf, dass die Prä- senz von US-Atomwaffen in ihrem Gebiet von vielen schon kritisch betrachtet wird. Doch die Ablehnung einer Stationierung von Atomwaffen anderer Staaten auf eige- nem Territorium ist nicht unbedingt mit der Ablehnung einer NATO-Mitglied- schaft gleichzusetzen. Da die NATO im Kern ein nukleares Bündnis ist und auch bleiben wird, solange es Atomwaffen gibt, sind TPNW-Unter- stützung und NATO-Mitgliedschaft un- vereinbar, ebenso wie eine NATO-Zuge- hörigkeit ohne Bekenntnis zu ihrer nuklearen Mission. Neuseeland traf 1985 die Entscheidung, eine nuklearfreie Zone zu werden, was seine militärische Zusam- menarbeit mit den USA 25 Jahre lang blo- ckierte – ein Hinweis, was die Unterzeich- nung des TPNW heute für ein NATO-Mitglied bedeuteten könnte. Zu diesem Zeitpunkt scheint das Risiko eines Rückzugs aus den Verteidigungs- und Si- cherheitsvereinbarungen der NATO die Vorteile der Unterzeichnung des TPNW, um die Bevölkerung zufriedenzustellen, bei Weitem aufzuwiegen. Eine übermässig ablehnende Haltung ge- wendige institutionelle und technische In- Europa und der TPNW genüber dem TPNW ist jedoch auch nicht frastruktur entwickeln, um den Vertrag In Europa ist die Debatte über den TPNW angebracht, da dies nur negative Auswir- nicht nur zu einem normativen, sondern aufgrund der geografischen Nähe der Staa- kungen auf die öffentliche Meinung zur auch zu einem operativen Instrument zu ten und ihrer politischen Verbindungen NATO hätte. Sollte ein NATO-Mitglied machen. Es bleibt abzuwarten, wie sie diese durch EU, NATO oder Partnerschaften dem TPNW beitreten, könnte es zu einem Bedenken angehen werden, wenn Ver- schwer zu ignorieren. Atomwaffen und die Dominoeffekt kommen. Die Auswirkun- tragsstaaten auf ihrem ersten Treffen im Ja- Frage, ob sie Sicherheit erhöhen oder min- gen wären sicherlich grösser, wenn ein sol- nuar 2022 beginnen, Verfahrensregeln und dern, sind seit Langem ein Streitpunkt, da cher Zug von einem Staat ausginge, der der Umsetzungsmechanismen festzulegen. die Staaten sehr unterschiedliche Positio- für konventionelle wie nukleare Missionen Dies wird zweifellos ein längerer Prozess. nen vertreten (siehe Karte). Es überrascht verwendbare Kampfflugzeuge für die NA- daher nicht, dass der TPNW diese Diffe- TO-Mission bereitstellt und auf dessen Nukleare Abrüstung war schon immer ein renzen deutlich hervorhebt. Doch der Territorium Atomwaffen stationiert sind. umstrittenes Thema, doch mit dem TPNW TPNW hat auch bestehende Anti-Atom- Doch bei jedem Bündnispartner hätte ein wurden diese Differenzen noch akzentu- Bewegungen wiederbelebt, indem er eine Beitritt zum TPNW grosse Auswirkungen iert, da man sich von der Konsensfindung Plattform bietet, über die zunehmend auf das gesamte Bündnis, seine Grundla- und dem Status quo entfernt hat. Nach der Druck ausgeübt werden kann. gen, seine Stellung und seine Fähigkeiten. Verabschiedung des Vertrags im Jahr 2017 Die Regierungen europäischer NATO- wurden die Debatten zwischen dem Ab- Die NATO hat sich bislang geschlossen Mitglieder sollten sich in Fragen der nuk- rüstungs- und Abschreckungslager hefti- gegen den TPNW ausgesprochen. Einige learen Abrüstung mit der Öffentlichkeit ger. Beide Seiten reden aneinander vorbei europäische Mitglieder sehen sich jedoch und Befürworterinnen und Befürwortern und greifen auf «Naming and Shaming»- von der Bevölkerung zunehmend unter des Verbotsvertrags auseinandersetzen, Taktiken zurück. Die Atomwaffenstaaten Druck gesetzt, den Vertrag zu unterzeich- denn alle Akteure vereint die Bestrebung, nahmen zunächst eine feindselige Haltung nen. Vor allem in Belgien, Deutschland, Is- nukleare Risiken zu mindern und eine nu- gegenüber dem Vertrag ein, wobei die land, den Niederlanden, Norwegen und kleare Eskalation zu vermeiden. Trump-Regierung sogar mehrere Staaten Spanien wird der Vertrag von einigen Par- unter Druck setzte, ihre Ratifizierung zu- teien und Lokalregierungen unterstützt Die Differenzen im Nuklearbereich sind rückzuziehen. Seit seinem Inkrafttreten und seine Unterzeichnung in den nationa- innerhalb der EU deutlich ausgeprägter. haben viele den TPNW einfach abgelehnt, len Parlamenten zur Sprache gebracht. Schliesslich umfasst diese einen Atomwaf- statt sich mit seinen BefürworterInnen Viele Grossstädte wie Berlin, Oslo und Pa- fenstaat (Frankreich); NATO-Mitglieder, konstruktiv auseinanderzusetzen. ris haben den ICAN Cities Appeal unter- darunter vier, auf deren Territorium US- © 2021 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich 3
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 286, Juni 2021 Atomwaffen stationiert sind (Belgien, oder behindert. Nach der Konferenz wird müsste im Rahmen eines Rüstungskont- Deutschland, Italien und die Niederlande); die Schweiz den Vertrag erneut prüfen. Sie rollvertrags mit Russland erfolgen, der stra- Staaten wie Schweden und Finnland, die wird auch als Beobachterin am ersten Tref- tegische und nicht strategische Atomwaf- nicht zur NATO gehören, aber dennoch fen der TPNW-Vertragsstaaten teilneh- fen abdeckt. einen grossen Beitrag zu deren Missionen men. Dies sollte dazu beitragen, offene und Operationen leisten; sowie TPNW- Fragen unter anderem zu den Beziehungen Angesichts der zentralen Bedeutung und Mitgliedsstaaten (Österreich, Irland und des Vertrags mit bestehenden Instrumen- der nahezu universellen Gültigkeit des Malta). Die vielfältige nukleare Landschaft ten, seinem Umsetzungsmechanismus und NPT gelten die Art der Herangehensweise der EU hat ihr im NPT-Kontext den internen Verfahrensregeln zu klären. an den TPNW bei der NPT-Überprü- Spitznamen eines «Konsenslabors» einge- fungskonferenz und die Frage, ob er beste- bracht: Manchmal kann sie im kleineren Ausblick hende Abrüstungsbemühungen stärkt oder Rahmen als repräsentativ für die wichtigs- Der völkerrechtliche Status des TPNW hat behindert, als Testfall für viele Staaten, die ten internationalen Positionen bei Konfe- seinen Fürsprecherinnen und Fürsprechern in Bezug auf den TPNW noch unent- renzen angesehen werden und als Beispiel in den Parlamenten und der Zivilgesell- schlossen sind. In Europa ist das vor allem für die Kompromissfindung dienen. schaft in ganz Europa weiteren Auftrieb ge- bei Nicht-NATO-Staaten wie der geben. Da es schwierig sein dürfte, die Posi- Schweiz, Schweden, Finnland und Zypern Doch abweichende europäische Ansichten tionen von Atomwaffenstaaten zu beein- der Fall. Es besteht jedoch die Gefahr, die zur nuklearen Abrüstung – durch den flussen, werden sich die BefürworterInnen ohnehin überbeladene Überprüfungskon- TPNW noch weiter verschärft – erschwe- auf Staaten konzentrieren, die auf umfas- ferenz zum Bezugspunkt für die Beurtei- ren die Ausarbeitung gemeinsamer Positi- sende Abschreckung setzen, insbesondere lung des Wertes des TPNW zu machen. Es onen zur Abrüstung zunehmend. Als Ein- in Europa, und auf bestehenden Anti- wird eine undefinierte oder eine gar hohe heit kann die EU nicht formal Stellung Atomkraft-Bewegungen und Ernüchte- Messlatte für den Erfolg gesetzt – dies an- zum TPNW beziehen. Unstimmigkeiten rung über nukleare Abrüstungsbemühun- gesichts anscheinend unüberbrückbarer zu TPNW und nuklearer Abrüstung sind gen aufbauen. Da der TPNW dauerhaft Differenzen bei einigen Positionen. zur Haupttrennlinie geworden und wirken bestehen wird, wird die Art und Weise, wie sich deutlich auf das Finden einer gemein- Regierungen und Parlamente mit ihm um- Dabei ist der TPNW erst ein paar Monate samen Position und somit auf den Einfluss gehen, den Ton der Diskussion bestimmen. alt. Es braucht Zeit, ihn institutionell zu und die Visibilität der EU im NPT-Kon- Sie können sich auf den Vertrag selbst kon- etablieren und Umsetzungs-, Verifizie- text aus. zentrieren und juristische Argumente vor- rungs- und Compliance-Mechanismen so- bringen, die möglicherweise nicht sehr wie Verfahrensregeln zu entwickeln. Das Die Schweiz und der TPNW überzeugend klingen, oder sich auf eine in- erste Treffen der Vertragsstaaten im Januar Die Schweiz nahm an den TPNW-Ver- haltliche Debatte über Sicherheit, Wahr- 2022 kann dies in Gang setzen, doch viele handlungen teil und stimmte trotz einiger nehmungen von Bedrohungen und die Art Mechanismen entwickeln sich über Jahre Bedenken für seine Annahme. Der Schwei- und Weise, wie diese angegangen werden und bedürfen institutioneller Erfahrung zer Bundesrat hat den Vertrag jedoch nicht sollen, einlassen. Den TPNW ganz zu igno- und finanzieller Mittel. Die Mitgliedsstaa- unterzeichnet, obwohl das Parlament dar- rieren, könnte demokratischen Prozessen ten werden im Rahmen des Vertrags – und auf drängte. Ein Bericht einer interdepar- schaden, besonders wenn die Unterstützung nicht durch zivilgesellschaftliche ExpertIn- tementalen Arbeitsgruppe von 2018 erör- seitens der Bevölkerung weiter steigt. nen – einige rechtliche Fragen zur Umset- terte mehrere Gründe, dem Vertrag zu zung sowie zur Vereinbarkeit mit bestehen- dieser Zeit nicht beizutreten. Dazu zählten Die US-Regierung unter Joe Biden muss den Regimen und militärischen Kooperati- insbesondere die unklare Beziehung zwi- sich noch explizit zum TPNW äussern und onen klären müssen. Sie sollten jedoch in schen NPT und TPNW und die ungewis- könnte bei der Herangehensweise der Ver- der Lage sein, den Ton anzugeben, den sie sen Auswirkungen des Vertrags auf Abrüs- bündeten wegbestimmend sein. Angesichts in der Abrüstungs-Diplomatie anschlagen tungsbemühungen aufgrund der fehlenden seines Wunsches nach weniger Abhängig- wollen. Dies wird einen Anhaltspunkt für Beteiligung von Atomwaffenstaaten und keit von Atomwaffen dürfte Biden – im den Umgang von BefürworterInnen mit deren Verbündeten. Zudem wurde auf po- Gegensatz zur Strategie des Anprangerns VertragsskeptikerInnen darstellen. tenziell negative Folgen für die künftige von Trump – zurückhaltender, in gewissem militärische Kooperation mit diesen Staa- Masse vielleicht sogar versöhnlich, sein. ten hingewiesen. Sollte er einer Unterzeichnung tatsächlich Für mehr zu Perspektiven Euro-Atlantischer offen gegenüberstehen, könnte dies einen Sicherheit, siehe CSS Themenseite. Für viele Staaten, darunter auch die Dialog über Möglichkeiten zur Förderung Schweiz, wird die bevorstehende NPT- von Beschränkungen in Gang setzen. Viel- Überprüfungskonferenz als Basis zur wei- leicht führt dies gar zu einer Diskussion mit Névine Schepers ist Senior Researcher im Team teren Beurteilung des TPNW und als Ent- NATO-Verbündeten über notwendige Be- Schweizerische und Euro-Atlantische Sicherheit scheidungsgrundlage dienen, ob dieser dingungen, um einen Abzug der US- am Center for Security Studies (CSS) der Abrüstungsbemühungen eher unterstützt Atomwaffen in Europa zu erwägen. Dies ETH Zürich. Die CSS Analysen zur Sicherheitspolitik werden herausgegeben vom Zuletzt erschienene CSS-Analysen: Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich. Das CSS ist ein Kompetenz- Hyperschall-Technologie: bewaffnet und überbewertet Nr. 285 zentrum für schweizerische und internationale Sicherheitspolitik. Jeden Geostrategischer Sturm über dem Indischen Ozean Nr. 284 Monat erscheinen zwei Analysen auf Deutsch, Französisch und Englisch. Intersektionale Konfliktanalyse: Religion und Gender Nr. 283 Vertrauensbasis in Gefahr: Aufrüsten im Westbalkan Nr. 282 Herausgeber: Oliver Thränert Mediation mit religiösen Akteuren in Israel-Palästina Nr. 281 Lektorat: Benno Zogg Jemen als Spielball der Regionalmächte Nr. 280 Layout und Grafiken: Miriam Dahinden-Ganzoni Feedback und Kommentare: analysen@sipo.gess.ethz.ch © 2021 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich Weitere Ausgaben und Abonnement: www.css.ethz.ch/cssanalysen ISSN: 2296-0236; DOI: 10.3929/ethz-b-000486874 4
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