Europa und der Atom waffenverbotsvertrag - Center for ...

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Europa und der Atom waffenverbotsvertrag - Center for ...
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik
Nr. 286, Juni 2021

Europa und der Atom­
waffenverbotsvertrag
Das Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrags gibt seinen
BefürworterInnen in den Parlamenten und der Zivilgesellschaft
Rückenwind, um den Druck auf atomar bewaffnete Staaten und ihre
militärischen Verbündeten zu erhöhen. Besonders in Europa hat der
Vertrag Auswirkungen auf lang bestehende Positionen und könnte
so die globalen Bemühungen zur nuklearen Abrüstung beeinflussen.

Von Névine Schepers

Am 22. Januar 2021 ist der Atomwaffen-
verbotsvertrag (Treaty on the Prohibition of
Nuclear Weapons, TPNW) in Kraft getre-
ten. Durch den TPNW werden für die Un-
terzeichnerstaaten die Entwicklung, das
Testen, die Produktion, der Besitz, die
Weitergabe, der Einsatz und die Andro-
hung eines Einsatzes von Atomwaffen ver-
boten. Letzteres verweist zum Teil auf Ab-
schreckungsdoktrinen, die sich auf die
glaubhafte Androhung von nuklearer Ver-
geltung stützen – eine Politik, die der
TPNW delegitimieren will. Der Vertrag
soll zudem den unmenschlichen Charakter
von Atomwaffen sowie die katastrophalen
Folgen ihres möglichen Einsatzes für
Mensch und Umwelt verdeutlichen.

Der TPNW entstand, weil Nichtatomwaf-
fenstaaten unzufrieden waren über das                   Setsuko Thurlow, ICAN-Aktivistin und Überlebende des Hiroshima-Atomangriffs, spricht bei der Verlei-
Tempo der nuklearen Abrüstung. Obwohl                   hung des Friedensnobelpreises in Oslo, am 10. Dezember 2017. NTB Scanpix / Terje Bendiksby via Reuters
die Bestände seit dem Höhepunkt des Kal-
ten Krieges deutlich zurückgegangen sind,
modernisieren die meisten Atomwaffen-
staaten derzeit ihre Kernwaffenarsenale und             Dennoch hielten es viele Nichtatomwaffen-            reich, Grossbritannien, Russland und die
planen für die nächsten Jahrzehnte gar de-              staaten für notwendig, einen Schritt weiter-         USA), oder solche, die sich ausserhalb des
ren Diversifizierung und Optimierung. Da-               zugehen und ein Instrument zu schaffen,              Vertragsrahmens befinden (Indien, Israel,
rüber hinaus sind Rüstungskontrollverträge              das Atomwaffen ausdrücklich verbietet.               Nordkorea und Pakistan), noch US-Ver-
gescheitert. In der Folge hat die Bedeutung                                                                  bündete, deren Sicherheit von einer umfas-
von Atomwaffen in den Doktrinen einiiger                Bis Mai 2021 wurde der TPNW von 86                   senden Abschreckung abhängt (NATO-
Kernwaffenstaaten zugenommen. Zwar ist                  Staaten unterzeichnet und von 54 ratifi-             Mitglieder, Japan, Südkorea und Australi-
die nukleare Abrüstung neben der Nicht-                 ziert. Die Vertragsstaaten liegen haupt-             en), sind dem Vertrag beigetreten. Da ein
verbreitung und der friedlichen Nutzung                 sächlich in Afrika, Süd- und Mittelameri-            Beitritt von Atomwaffenstaaten unwahr-
der Kernenergie eine der drei Säulen des na-            ka, Zentral- und Südostasien, und im Pazi-           scheinlich ist, konzentrieren die Befürwor-
hezu universellen Atomwaffensperrvertrags               fikraum. Weder Atomwaffenstaaten, die                terinnen und Befürworter des Verbotsver-
(Nuclear Non-Proliferation Treaty, NPT).                vom NPT anerkannt sind (China, Frank-                trags ihre Bemühungen auf die militäri-

© 2021 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich                                                                                                        1
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schen Verbündeten der USA. In diesem
                                                          Die Ursprünge des TPNW
Bestreben lassen sich bestehende Formen
der öffentlichen Unterstützung eines                      Der TPNW steht in der Tradition humanitärer Rüstungskontroll- und Abrüstungsinitiativen, die den
Atomwaffenverbots nutzen, die in unter-                   Schwerpunkt auf den Schutz von Zivilbevölkerung, Gemeinschaften und Umwelt legen. Er richtet
                                                          zudem den Fokus auf das menschliche Leid, das durch Atomwaffen verursacht wird, und stellt die
schiedlicher Ausprägung bei politisch lin-
                                                          Opfer des Einsatzes und der Tests von Atomwaffen in den Vordergrund. Dies widerspiegelt sich
ken Parteien, Parlamentsmitgliedern, Lo-                  umfangreich in der Präambel und in Artikel 6 des Vertrags, in denen positive Verpflichtungen in
kalregierungen und der Zivilgesellschaft                  Bezug auf Opferhilfe und Umweltsanierung dargestellt sind.
anzutreffen sind.                                         Der Vertrag wurde 2017 auf einer Reihe von Konferenzen im Auftrag der UNO-Generalversamm­
                                                          lung ausgehandelt. 124 Nationen nahmen an den Verhandlungen teil, auch die Schweiz. Darunter
In Europa könnte dieser Druck zunehmen                    waren jedoch keine Atomwaffenstaaten und die Niederlande waren der einzige NATO-Staat, der
und zu einer Spaltung führen. Europa um-                  sich beteiligte und schliesslich als einziger gegen die Annahme des Vertrags stimmte. Die
                                                          BefürworterInnen des TPNW sind der Ansicht, dass mit dem Vertrag eine «Rechtslücke» beseitigt
fasst Atomwaffenstaaten, TPNW-Ver-                        wird, indem er Atomwaffen vollständig verbietet, so wie chemische und biologische Waffen durch
tragsstaaten, neutrale und bündnisfreie                   die Chemiewaffenkonvention beziehungsweise die Biowaffenkonvention verboten sind.
Staaten und NATO-Verbündete, ein-
schliesslich solche, auf deren Boden US-
Atomwaffen stationiert sind. Damit ist die
europäische Nuklearlandschaft vielfältig
und schwer zu durchschauen. Der TPNW
hat frisches Öl in ein Feuer gegossen, das              macht somit die Abschaffung zum Stan-              tische Staaten, vor allem Russland und
mit unterschiedlicher Intensität in ganz                dard und nicht nur zum erstrebenswerten            China, die weniger transparent sind. Wäh-
Europa brennt. Es wird genährt von Anti-                Ziel. Er schafft eine rechtliche und politi-       rend dies auf ein eingeschränkteres zivilge-
Atomkraft-Aktivismus, Traditionen der                   sche Norm gegen Besitz und Einsatz von             sellschaftliches Engagement in Russland
humanitären Diplomatie und einer zuneh-                 Kernwaffen.                                        und China zurückgeführt werden kann, se-
menden Desillusionierung angesichts des                                                                    hen westliche KritikerInnen des Vertrags
Versagens der Rüstungskontroll- und Ab-    Da diese Norm nun im internationalen                            dieses Beharren als fehlgeleitet und achtlos
rüstungspolitik. Eine Untersuchung der     Recht verankert ist, glauben die Befürwor-                      gegenüber dem, was sie als destabilisieren-
möglichen Auswirkungen des TPNW auf        terInnen des Verbotsvertrags, dass sie als                      de Handlungen sowohl von Moskau als
die Art und Weise, wie die Debatte zwi-    Grundlage dienen kann, um alle Aktivitä-                        auch von Peking ansehen.
                                                       ten im Zusammenhang mit
Der TPNW delegitimiert                                 Atomwaffen zu stigmatisieren,                       Zweitens könnte der TPNW ein konkur-
                                                       einschliesslich deren Finanzie-                     rierendes Instrument schaffen, das nicht mit
Atomwaffen und macht somit                             rung. Die herausragende Rolle,                      dem NPT vereinbar ist. BefürworterInnen
die Abschaffung zum                                    die zivilgesellschaftliche Orga-                    des TPNW widersprechen dieser Behaup-
                                                       nisationen wie die International                    tung und weisen darauf hin, dass beide Ver-
Standard und nicht nur zum                             Campaign to Abolish Nuclear                         träge das gleiche Ziel haben. Ihrer Ansicht
erstrebenswerten Ziel.                                 Weapons (ICAN), die 2017 für                        nach dient der TPNW, wie auch andere
                                                       ihre Arbeit am TPNW den                             Nachfolgeinstrumente des NPT, etwa der
schen Abschreckungs- und Abrüstungsbe- Friedensnobelpreis erhielt, bei den Ver-                            Vertrag über das umfassende Verbot von
fürworterInnen in Europa geführt wird, handlungen und der Förderung des                                    Nuklearversuchen und die kernwaffenfreien
kann als Experimentierfeld dafür dienen, Vertrags gespielt haben, widerspiegelt auch                       Zonen, dazu, die bereits im NPT dargeleg-
wie sich der TPNW auf globale Abrüs- ihr Ziel, Menschen und Gemeinschaften                                 ten Prinzipien umzusetzen. Auch wenn der
tungsbemühungen im weiteren Sinne aus- in den Mittelpunkt der Abrüstungsbemü-                              TPNW langfristig keine rechtliche Her-
wirken wird und ob er seine Ziele wirklich hungen zu stellen, anstatt sich nur auf                         ausforderung für den NPT darstellt, so birgt
voranbringen kann. Die Förderung eines Staaten zu konzentrieren.                                           er doch kurzfristig eine politische Heraus-
konstruktiven Dialogs, der die zugrunde                                                                    forderung. Die bevorstehende NPT-Über-
liegende Unzufriedenheit mit der bisheri- Gegen das Vertragsziel einer atomwaffen-                         prüfungskonferenz im August 2021 steht
gen Abrüstungspolitik sowie die sicher- freien Welt werden sich kaum Einwände                              bereits vor einer Reihe von Schwierigkeiten
heitspolitischen Gründe für die Auswei- finden. Die Gegnerinnen und Gegner des                             (siehe CSS Analyse 261). Je nachdem wie
tung der Abschreckung anspricht, wäre ein Vertrags führen jedoch eine Reihe von                            stark die TPNW-BefürworterInnen versu-
erster Schritt in die richtige Richtung.   Gründen an, warum seine Methoden nicht                          chen werden, den Vertrag auf der Konferenz
                                           durchführbar und unrealistisch sind. Ers-                       anerkennen zu lassen, könnten die Kon-
Ein polarisierender Vertrag                tens: Während dem TPNW das Verständ-                            sensbildung und Fortschritte bei anderen
Von seinen frühen Entstehungsphasen nis zugrunde liegt, dass Atomwaffen Insta-                             anstehenden Themen behindert werden.
(siehe Textfeld) bis zum Inkrafttreten hat bilität erzeugen, verweisen KritikerInnen
der TPNW in Abrüstungsdebatten für Po- auf die Sicherheitsdynamik, welche die                              Drittens bleiben mehrere Fragen im Zu-
larisierung gesorgt. Gemäss Befürworte- Abschreckungspolitik und das Vertrauen                             sammenhang mit der Umsetzung des
rInnen geht der TPNW weit über den in den Besitz von Atomwaffen verstärkt.                                 TPNW unklar. Einerserseits fehlt ein Me-
NPT hinaus, indem er die Risiken für die Ein damit zusammenhängender Punkt, auf                            chanismus zur effektiven Überprüfung.
internationale Sicherheit hervorhebt, die den KritikerInnen vor allem in Europa                            Andererseits enthält der TPNW eine Aus-
durch den Besitz von Atomwaffen und das hinweisen, ist die verstärkte Fokussierung                         siegsklausel. Angesichts des einzigartigen
Vertrauen auf nukleare Abschreckung ent- der TPNW-BefürworterInnen auf demo-                               Zerstörungspotenzials von Kernwaffen ist
stehen. Der TPNW delegitimiert Atom- kratische Atomwaffenstaaten und ihre mi-                              beides problematisch. Darüber hinaus
waffen und entsprechende Doktrinen und litärischen Verbündeten statt auf autokra-                          müssen die TPNW-Mitglieder die not-

© 2021 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich                                                                                                        2
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik                                                                                             Nr. 286, Juni 2021

                                                                                                      zeichnet und sich verpflichtet, den TPNW
  Nukleare Landschaft Europas
                                                                                                      zu unterstützen. In Belgien, Deutschland
                                                                                                      und den Niederlanden bauen TPNW-Be-
                                                                                                      fürworterInnen darauf auf, dass die Prä-
                                                                                                      senz von US-Atomwaffen in ihrem Gebiet
                                                                                                      von vielen schon kritisch betrachtet wird.
                                                                                                      Doch die Ablehnung einer Stationierung
                                                                                                      von Atomwaffen anderer Staaten auf eige-
                                                                                                      nem Territorium ist nicht unbedingt mit
                                                                                                      der Ablehnung einer NATO-Mitglied-
                                                                                                      schaft gleichzusetzen.

                                                                                                      Da die NATO im Kern ein nukleares
                                                                                                      Bündnis ist und auch bleiben wird, solange
                                                                                                      es Atomwaffen gibt, sind TPNW-Unter-
                                                                                                      stützung und NATO-Mitgliedschaft un-
                                                                                                      vereinbar, ebenso wie eine NATO-Zuge-
                                                                                                      hörigkeit ohne Bekenntnis zu ihrer
                                                                                                      nuklearen Mission. Neuseeland traf 1985
                                                                                                      die Entscheidung, eine nuklearfreie Zone
                                                                                                      zu werden, was seine militärische Zusam-
                                                                                                      menarbeit mit den USA 25 Jahre lang blo-
                                                                                                      ckierte – ein Hinweis, was die Unterzeich-
                                                                                                      nung des TPNW heute für ein
                                                                                                      NATO-Mitglied bedeuteten könnte. Zu
                                                                                                      diesem Zeitpunkt scheint das Risiko eines
                                                                                                      Rückzugs aus den Verteidigungs- und Si-
                                                                                                      cherheitsvereinbarungen der NATO die
                                                                                                      Vorteile der Unterzeichnung des TPNW,
                                                                                                      um die Bevölkerung zufriedenzustellen, bei
                                                                                                      Weitem aufzuwiegen.

                                                                                                      Eine übermässig ablehnende Haltung ge-
wendige institutionelle und technische In-              Europa und der TPNW                           genüber dem TPNW ist jedoch auch nicht
frastruktur entwickeln, um den Vertrag                  In Europa ist die Debatte über den TPNW       angebracht, da dies nur negative Auswir-
nicht nur zu einem normativen, sondern                  aufgrund der geografischen Nähe der Staa-     kungen auf die öffentliche Meinung zur
auch zu einem operativen Instrument zu                  ten und ihrer politischen Verbindungen        NATO hätte. Sollte ein NATO-Mitglied
machen. Es bleibt abzuwarten, wie sie diese             durch EU, NATO oder Partnerschaften           dem TPNW beitreten, könnte es zu einem
Bedenken angehen werden, wenn Ver-                      schwer zu ignorieren. Atomwaffen und die      Dominoeffekt kommen. Die Auswirkun-
tragsstaaten auf ihrem ersten Treffen im Ja-            Frage, ob sie Sicherheit erhöhen oder min-    gen wären sicherlich grösser, wenn ein sol-
nuar 2022 beginnen, Verfahrensregeln und                dern, sind seit Langem ein Streitpunkt, da    cher Zug von einem Staat ausginge, der der
Umsetzungsmechanismen           festzulegen.            die Staaten sehr unterschiedliche Positio-    für konventionelle wie nukleare Missionen
Dies wird zweifellos ein längerer Prozess.              nen vertreten (siehe Karte). Es überrascht    verwendbare Kampfflugzeuge für die NA-
                                                        daher nicht, dass der TPNW diese Diffe-       TO-Mission bereitstellt und auf dessen
Nukleare Abrüstung war schon immer ein                  renzen deutlich hervorhebt. Doch der          Territorium Atomwaffen stationiert sind.
umstrittenes Thema, doch mit dem TPNW                   TPNW hat auch bestehende Anti-Atom-           Doch bei jedem Bündnispartner hätte ein
wurden diese Differenzen noch akzentu-                  Bewegungen wiederbelebt, indem er eine        Beitritt zum TPNW grosse Auswirkungen
iert, da man sich von der Konsensfindung                Plattform bietet, über die zunehmend          auf das gesamte Bündnis, seine Grundla-
und dem Status quo entfernt hat. Nach der               Druck ausgeübt werden kann.                   gen, seine Stellung und seine Fähigkeiten.
Verabschiedung des Vertrags im Jahr 2017                                                              Die Regierungen europäischer NATO-
wurden die Debatten zwischen dem Ab-                    Die NATO hat sich bislang geschlossen         Mitglieder sollten sich in Fragen der nuk-
rüstungs- und Abschreckungslager hefti-                 gegen den TPNW ausgesprochen. Einige          learen Abrüstung mit der Öffentlichkeit
ger. Beide Seiten reden aneinander vorbei               europäische Mitglieder sehen sich jedoch      und Befürworterinnen und Befürwortern
und greifen auf «Naming and Shaming»-                   von der Bevölkerung zunehmend unter           des Verbotsvertrags auseinandersetzen,
Taktiken zurück. Die Atomwaffenstaaten                  Druck gesetzt, den Vertrag zu unterzeich-     denn alle Akteure vereint die Bestrebung,
nahmen zunächst eine feindselige Haltung                nen. Vor allem in Belgien, Deutschland, Is-   nukleare Risiken zu mindern und eine nu-
gegenüber dem Vertrag ein, wobei die                    land, den Niederlanden, Norwegen und          kleare Eskalation zu vermeiden.
Trump-Regierung sogar mehrere Staaten                   Spanien wird der Vertrag von einigen Par-
unter Druck setzte, ihre Ratifizierung zu-              teien und Lokalregierungen unterstützt        Die Differenzen im Nuklearbereich sind
rückzuziehen. Seit seinem Inkrafttreten                 und seine Unterzeichnung in den nationa-      innerhalb der EU deutlich ausgeprägter.
haben viele den TPNW einfach abgelehnt,                 len Parlamenten zur Sprache gebracht.         Schliesslich umfasst diese einen Atomwaf-
statt sich mit seinen BefürworterInnen                  Viele Grossstädte wie Berlin, Oslo und Pa-    fenstaat (Frankreich); NATO-Mitglieder,
konstruktiv auseinanderzusetzen.                        ris haben den ICAN Cities Appeal unter-       darunter vier, auf deren Territorium US-

© 2021 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich                                                                                            3
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik                                                                                                    Nr. 286, Juni 2021

Atomwaffen stationiert sind (Belgien,                oder behindert. Nach der Konferenz wird             müsste im Rahmen eines Rüstungskont-
Deutschland, Italien und die Niederlande);           die Schweiz den Vertrag erneut prüfen. Sie          rollvertrags mit Russland erfolgen, der stra-
Staaten wie Schweden und Finnland, die               wird auch als Beobachterin am ersten Tref-          tegische und nicht strategische Atomwaf-
nicht zur NATO gehören, aber dennoch                 fen der TPNW-Vertragsstaaten teilneh-               fen abdeckt.
einen grossen Beitrag zu deren Missionen             men. Dies sollte dazu beitragen, offene
und Operationen leisten; sowie TPNW-                 Fragen unter anderem zu den Beziehungen             Angesichts der zentralen Bedeutung und
Mitgliedsstaaten (Österreich, Irland und             des Vertrags mit bestehenden Instrumen-             der nahezu universellen Gültigkeit des
Malta). Die vielfältige nukleare Landschaft          ten, seinem Umsetzungsmechanismus und               NPT gelten die Art der Herangehensweise
der EU hat ihr im NPT-Kontext den                    internen Verfahrensregeln zu klären.                an den TPNW bei der NPT-Überprü-
Spitznamen eines «Konsenslabors» einge-                                                                  fungskonferenz und die Frage, ob er beste-
bracht: Manchmal kann sie im kleineren               Ausblick                                            hende Abrüstungsbemühungen stärkt oder
Rahmen als repräsentativ für die wichtigs-           Der völkerrechtliche Status des TPNW hat            behindert, als Testfall für viele Staaten, die
ten internationalen Positionen bei Konfe-            seinen Fürsprecherinnen und Fürsprechern            in Bezug auf den TPNW noch unent-
renzen angesehen werden und als Beispiel             in den Parlamenten und der Zivilgesell-             schlossen sind. In Europa ist das vor allem
für die Kompromissfindung dienen.                    schaft in ganz Europa weiteren Auftrieb ge-         bei Nicht-NATO-Staaten wie der
                                                     geben. Da es schwierig sein dürfte, die Posi-       Schweiz, Schweden, Finnland und Zypern
Doch abweichende europäische Ansichten               tionen von Atomwaffenstaaten zu beein-              der Fall. Es besteht jedoch die Gefahr, die
zur nuklearen Abrüstung – durch den                  flussen, werden sich die BefürworterInnen           ohnehin überbeladene Überprüfungskon-
TPNW noch weiter verschärft – erschwe-               auf Staaten konzentrieren, die auf umfas-           ferenz zum Bezugspunkt für die Beurtei-
ren die Ausarbeitung gemeinsamer Positi-             sende Abschreckung setzen, insbesondere             lung des Wertes des TPNW zu machen. Es
onen zur Abrüstung zunehmend. Als Ein-               in Europa, und auf bestehenden Anti-                wird eine undefinierte oder eine gar hohe
heit kann die EU nicht formal Stellung               Atomkraft-Bewegungen und Ernüchte-                  Messlatte für den Erfolg gesetzt – dies an-
zum TPNW beziehen. Unstimmigkeiten                   rung über nukleare Abrüstungsbemühun-               gesichts anscheinend unüberbrückbarer
zu TPNW und nuklearer Abrüstung sind                 gen aufbauen. Da der TPNW dauerhaft                 Differenzen bei einigen Positionen.
zur Haupttrennlinie geworden und wirken              bestehen wird, wird die Art und Weise, wie
sich deutlich auf das Finden einer gemein-           Regierungen und Parlamente mit ihm um-              Dabei ist der TPNW erst ein paar Monate
samen Position und somit auf den Einfluss            gehen, den Ton der Diskussion bestimmen.            alt. Es braucht Zeit, ihn institutionell zu
und die Visibilität der EU im NPT-Kon-               Sie können sich auf den Vertrag selbst kon-         etablieren und Umsetzungs-, Verifizie-
text aus.                                            zentrieren und juristische Argumente vor-           rungs- und Compliance-Mechanismen so-
                                                     bringen, die möglicherweise nicht sehr              wie Verfahrensregeln zu entwickeln. Das
Die Schweiz und der TPNW                             überzeugend klingen, oder sich auf eine in-         erste Treffen der Vertragsstaaten im Januar
Die Schweiz nahm an den TPNW-Ver-                    haltliche Debatte über Sicherheit, Wahr-            2022 kann dies in Gang setzen, doch viele
handlungen teil und stimmte trotz einiger            nehmungen von Bedrohungen und die Art               Mechanismen entwickeln sich über Jahre
Bedenken für seine Annahme. Der Schwei-              und Weise, wie diese angegangen werden              und bedürfen institutioneller Erfahrung
zer Bundesrat hat den Vertrag jedoch nicht           sollen, einlassen. Den TPNW ganz zu igno-           und finanzieller Mittel. Die Mitgliedsstaa-
unterzeichnet, obwohl das Parlament dar-             rieren, könnte demokratischen Prozessen             ten werden im Rahmen des Vertrags – und
auf drängte. Ein Bericht einer interdepar-           schaden, besonders wenn die Unterstützung           nicht durch zivilgesellschaftliche ExpertIn-
tementalen Arbeitsgruppe von 2018 erör-              seitens der Bevölkerung weiter steigt.              nen – einige rechtliche Fragen zur Umset-
terte mehrere Gründe, dem Vertrag zu                                                                     zung sowie zur Vereinbarkeit mit bestehen-
dieser Zeit nicht beizutreten. Dazu zählten          Die US-Regierung unter Joe Biden muss               den Regimen und militärischen Kooperati-
insbesondere die unklare Beziehung zwi-              sich noch explizit zum TPNW äussern und             onen klären müssen. Sie sollten jedoch in
schen NPT und TPNW und die ungewis-                  könnte bei der Herangehensweise der Ver-            der Lage sein, den Ton anzugeben, den sie
sen Auswirkungen des Vertrags auf Abrüs-             bündeten wegbestimmend sein. Angesichts             in der Abrüstungs-Diplomatie anschlagen
tungsbemühungen aufgrund der fehlenden               seines Wunsches nach weniger Abhängig-              wollen. Dies wird einen Anhaltspunkt für
Beteiligung von Atomwaffenstaaten und                keit von Atomwaffen dürfte Biden – im               den Umgang von BefürworterInnen mit
deren Verbündeten. Zudem wurde auf po-               Gegensatz zur Strategie des Anprangerns             VertragsskeptikerInnen darstellen.
tenziell negative Folgen für die künftige            von Trump – zurückhaltender, in gewissem
militärische Kooperation mit diesen Staa-            Masse vielleicht sogar versöhnlich, sein.
ten hingewiesen.                                     Sollte er einer Unterzeichnung tatsächlich            Für mehr zu Perspektiven Euro-Atlantischer
                                                     offen gegenüberstehen, könnte dies einen              Sicherheit, siehe CSS Themenseite.
Für viele Staaten, darunter auch die                 Dialog über Möglichkeiten zur Förderung
Schweiz, wird die bevorstehende NPT-                 von Beschränkungen in Gang setzen. Viel-
Überprüfungskonferenz als Basis zur wei-             leicht führt dies gar zu einer Diskussion mit       Névine Schepers ist Senior Researcher im Team
teren Beurteilung des TPNW und als Ent-              NATO-Verbündeten über notwendige Be-                Schweizerische und Euro-Atlantische Sicherheit
scheidungsgrundlage dienen, ob dieser                dingungen, um einen Abzug der US-                   am Center for Security Studies (CSS) der
Abrüstungsbemühungen eher unterstützt                Atomwaffen in Europa zu erwägen. Dies               ETH Zürich.

Die CSS Analysen zur Sicherheitspolitik werden herausgegeben vom               Zuletzt erschienene CSS-Analysen:
Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich. Das CSS ist ein Kompetenz-
                                                                               Hyperschall-Technologie: bewaffnet und überbewertet Nr. 285
zentrum für schweizerische und internationale Sicherheitspolitik. Jeden
                                                                               Geostrategischer Sturm über dem Indischen Ozean Nr. 284
Monat erscheinen zwei Analysen auf Deutsch, Französisch und Englisch.
                                                                               Intersektionale Konfliktanalyse: Religion und Gender Nr. 283
                                                                               Vertrauensbasis in Gefahr: Aufrüsten im Westbalkan Nr. 282
Herausgeber: Oliver Thränert
                                                                               Mediation mit religiösen Akteuren in Israel-Palästina Nr. 281
Lektorat: Benno Zogg
                                                                               Jemen als Spielball der Regionalmächte Nr. 280
Layout und Grafiken: Miriam Dahinden-Ganzoni

Feedback und Kommentare: analysen@sipo.gess.ethz.ch                            © 2021 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich
Weitere Ausgaben und Abonnement: www.css.ethz.ch/cssanalysen                   ISSN: 2296-0236; DOI: 10.3929/ethz-b-000486874                            4
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