Die Antwort der rumänischen Gewerkschaften auf die Krise 2008
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AUFSÄTZE Die Antwort der rumänischen Gewerkschaften auf die Krise 2008 Verschlechterte Beschäftigungsbedingungen und eingeschränkte Gewerkschaftsrechte in Rumänien hätten ab 2008 eine verstärkte Gewerkschaftsmilitanz erwarten lassen. An- statt dessen ging die Zahl der rumänischen Arbeitskonflikte zurück. Der Beitrag unter- sucht wesentliche interne und externe Faktoren, die zu der bemerkenswerten Friedfertig- keit der Gewerkschaften beigetragen haben, und folgert, dass ihre Kampfbereitschaft nicht allein unter einem Vertrauensmangel bei den Arbeitnehmern und unter Korrupti- onsanschuldigungen gegen Gewerkschaftsführer gelitten hat, sondern dass auch die Hal- tung der Europäischen Kommission bei der Aushöhlung grundlegender Arbeitnehmer- rechte eine entscheidende Rolle gespielt hat.1 AUROR A TRIF 1. Einleitung 2. Das Gewerkschaftssystem und das Erbe vergangener Zeiten In der Zeit vor 2008 war nicht zuletzt aufgrund der Kampf- bereitschaft der Arbeitnehmer und der engen Verbindungen Die Gewerkschaften überdauerten als einzige Institution zwischen den Gewerkschaftsspitzen und den politischen Rumäniens das Ende des kommunistischen Regimes, je- Parteien in Rumänien ein umfassendes Arbeitsbeziehungs- doch belastete die politische Vergangenheit ihre Entwick- system entstanden, in dem Tarifverhandlungen auf Ver- lung ab 1989 (Crowley 2004). Obwohl sie sich für eine Diese Datei und ihr Inhalt sind urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Verwertung (gewerbliche Vervielfältigung, Aufnahme in elektronische Datenbanken, Veröffent- bandsebene weit verbreitet waren (Kideckel 2001). Das schrittweise Umstellung des Wirtschaftssystems ausspra- Arbeitsrecht unterstützte zudem die Entwicklung bi- und chen, zog der Umstrukturierungsprozess einen massiven tripartistischer Konsultationen und Verhandlungen zwi- Rückgang ihrer Mitgliederzahlen nach sich – der gewerk- schen Gewerkschaften, Arbeitgebern und der Regierung schaftliche Organisationsgrad sank von 90 % Anfang der (Trif 2010). Diese korporatistischen Institutionen wurden 1990er Jahre auf etwa 33 % im Jahr 2008 (Trif 2010). In den seit der Krise seitens der Regierung jedoch radikal verändert meisten ehemals kommunistischen Ländern grenzten sich (Ciutacu 2012). Die Koalitionsfreiheit der Beschäftigten die alten, reformierten Gewerkschaften und die nach dem wurde eingeschränkt, Tarifverhandlungen auf nationaler Regimewechsel entstandenen Arbeitnehmerorganisationen lichung online oder offline) sind nicht gestattet. Ebene abgeschafft und sämtliche Gremien, die bis dahin zur scharf voneinander ab, in Rumänien hingegen schloss sich Beilegung von Arbeitskonflikten gedient hatten, ausgehebelt 1993 das reformierte Lager mit den größten neuen Orga- (Trif 2013). Diese institutionellen Umwälzungen in Kom- nisationen zusammen und bildete die Nationale Konföde- bination mit der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen ration Freier Gewerkschaften Rumäniens – Brüderschaft für die Mehrzahl der Arbeitnehmer hätten eine verstärkte (CNSRL-Frăţia), die stärkste Arbeitnehmervertretung des © WSI Mitteilungen 2014 gewerkschaftliche Gegenwehr erwarten lassen (Gall 2013). Landes. Neben dieser Dachorganisation gibt es in Rumä- Dies war jedoch nicht der Fall. Die Zahl der Arbeitskämp- nien vier weitere große Gewerkschaftsverbände: Nationaler fe hat seit 2008 nicht zugenommen, sie ist zurückgegangen Gewerkschaftsblock (BNS), Demokratische Gewerkschafts- (Hayter et al. 2013, S. 75). Der vorliegende Beitrag versucht zu erklären, weshalb die rumänischen Gewerkschaften dem einschneidenden Regierungsangriff auf ihre Rechte so we- nig und so erfolglos Widerstand entgegensetzten. 1 Übersetzung aus dem Englischen: Lisa Eskuche. 378 https://doi.org/10.5771/0342-300X-2014-5-378 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 23.02.2022, 05:32:50. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
WSI MITTEILUNGEN 5/2014 konföderation Rumäniens (CSDR, 1994 durch Abspaltung präsident. Als wichtigste Errungenschaft gelang es den Ge- von der CNSRL-Frăţia entstanden), Nationale Gewerk- werkschaften, die industriellen Beziehungen in Rumänien schaftskonföderation Cartel Alfa sowie Meridian. Ein breit auf eine breite gesetzliche Grundlage zu stellen, die den Ar- publizierter Vorschlag zur Zusammenführung von vier der beitnehmern weitgehende Rechte sicherte (Hayter et al. 2013; genannten fünf Dachorganisationen verpuffte im Febru- Trif 2013). Doch versagten sie bei der Verbesserung des Le- ar 2007 mit der Bildung einer losen Allianz aus nur drei der bensstandards der Arbeiter (Kideckel 2001) – die rumäni- genannten Bünde, CNSRL-Frăţia, BNS und Meridian, die schen Löhne zählen zu den niedrigsten der Europäischen zudem nicht bereit waren, ihre Eigenständigkeit aufzugeben Union (EU) (Hayter et al. 2013). Das Missverhältnis zwischen (Trif 2008). Diese Zersplitterung der Gewerkschaftsbewe- dem erklärten Auftrag der Gewerkschaften und ihren tat- gung und der starke, in den 1990er Jahren einsetzende sächlichen Leistungen sowie der Vergleich zwischen dem Rückgang der Mitgliederzahlen haben sich negativ auf die üppigen und korrupten Lebenswandel einiger Gewerkschafts- Mobilisierungsfähigkeit der Gewerkschaften ausgewirkt führer und dem mageren Lebensstandard der Beschäftigten (Crowley 2004). (Kideckel 2001, S. 113) führten in Verbindung mit den ge- Die Gewerkschaften sind in Osteuropa insgesamt relativ walttätigen Bergarbeiterstreiks Anfang der 1990er Jahre und schwach, trotz erheblicher makroökonomischer und politi- der politischen Einbettung der Gewerkschaftsspitzen in je- scher Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. Ihr nem Jahrzehnt zu einem Vertrauensschwund bei den Konfliktverhalten wurde sowohl durch interne, institutionel- Arbeitnehmern (Korkut 2006), der in der Folge die Mobili- le wie externe, wirtschaftliche und politische Faktoren beein- sierungsfähigkeit der Gewerkschaften negativ beeinflusste. flusst. Crowley (ebd., S. 429) argumentiert dabei überzeu- In den Jahren 2000 – 2008 wurden Protestmaßnahmen gend, dass eine wichtige Erklärung für das weitgehende deutlich seltener, doch zählten die rumänischen Gewerk- Stillhalten der Beschäftigtenseite im institutionellen und schaften weiter zu den militantesten der gesamten Region. ideologischen Erbe aus der Zeit des Kommunismus zu finden Den verfügbaren Statistiken zufolge sank im genannten ist. Auch Untersuchungen über die rumänischen Gewerk- Zeitraum die Anzahl nicht geleisteter Arbeitstage pro tau- schaften bestätigen, dass ihre Mobilisierungsfähigkeit we- send Mitarbeiter/Jahr im Vergleich zu den Jahren zwischen sentlich durch interne, mit diesem Erbe verbundene Faktoren 1995 und 1999 um mehr als die Hälfte (Vandaele 2011, S. 11). behindert wurde. Hierzu gehört, dass sie sich weiterhin eher Gut ein Drittel (37 %) der in den 2000er Jahren durch Streiks auf externe Legitimationsquellen – wie ihre institutionelle ausgefallenen Arbeitstage entfielen dabei auf den Bildungs- Rolle als politischer Akteur – verließen als auf die Unterstüt- bereich, ein weiteres Drittel (33 %) auf die Industrie. Le- zung ihrer Mitglieder (Kideckel 2001, S. 113; Korkut 2006). diglich 12 % sind dem Bergbau zuzuordnen (ILO 2014). Im Das institutionelle Erbe kann die im Vergleich zu West- Gegensatz zu den politischen Streiks der 1990er Jahre europa geringere Militanz der osteuropäischen Gewerk- überwogen in den 2000ern ökonomische Arbeitskonflikte. schaften erklären, nicht jedoch die erheblichen Unterschie- Nahezu zwei Drittel der Arbeitskämpfe von 2003 bis 2008 de zwischen den Staaten innerhalb Osteuropas. Bis 2008 betrafen Lohnforderungen, bei einem Viertel ging es um waren in Rumänien Arbeitsniederlegungen häufiger als in Umstrukturierungsmaßnahmen und Tarifverhandlungs- allen anderen Ländern Osteuropas. Während der 1990er sowie Sozialrechte (Hayter et al. 2013, S. 77). Jahre lag die Anzahl der Streiktage pro 1000 Arbeitnehmer Auch wenn der Widerstand der Beschäftigtenseite die zwar um mehr als ein Drittel unter dem Schnitt der west- Durchsetzung von neoliberaler Politik und Arbeitsmarktde- europäischen Länder, betrug aber ungefähr das Doppelte regulierung verzögerte (Bohle/Greskovits 2012), so scheint des osteuropäischen Durchschnitts (Crowley 2004, S. 404). das EU-Beitrittsverfahren die Position der neoliberalen Re- Diese Zahlen lassen vermuten, dass auch wirtschaftspoliti- former gestärkt und die der Gewerkschaften geschwächt zu sche Faktoren für die gewerkschaftliche Kampfbereitschaft haben (Ban 2014). Die von der EU abgesegnete Privatisierung eine erhebliche Rolle spielen. von Banken, Versorgungsunternehmen, Energieerzeugern Da die institutionelle Position der Beschäftigten in Bezug und großen Industrieunternehmen sorgte für einen Kapital- auf kollektive Interessenvertretung und Streikrecht im Ver- zufluss aus dem Ausland. Obwohl der Großteil dieser Inves- gleich zu Westeuropa im Allgemeinen schwächer war, bestand titionen aus westeuropäischen Ländern mit fest etablierten die Erwartung, dass der EU-Beitritt die institutionelle Posi- Arbeitsbeziehungssystemen wie Österreich, den Niederlan- tion der Gewerkschaften in ihrer Fähigkeit, Arbeitnehmer- den, Deutschland, Frankreich und Italien kam (2008: 68 %), interessen zu verteidigen, stärken würde (Kideckel 2001, waren viele der investierenden Unternehmen nicht bereit, S. 115; Kohl/Platzer 2004). Tatsächlich ist die Häufigkeit von mit den Gewerkschaften über Beschäftigungsbedingungen Arbeitskämpfen gegenüber den 1990er Jahren jedoch konti- zu verhandeln. So drängte zum Beispiel 2005, während der nuierlich zurückgegangen. Im ersten Jahrzehnt nach dem Überarbeitung des Arbeitsgesetzbuches zur Harmonisierung Zusammenbruch des kommunistischen Regimes äußerten mit dem europäischen Sozialacquis, das Foreign Investor sich gewerkschaftliche Militanz und Stärke in Rumänien vor Council (FIC), ein Zusammenschluss ausländischer Investo- allem in politischen Streiks und dem politischem Einfluss der ren in Rumänien, die Regierung dazu, die gesetzliche Ver- Gewerkschaftsführer. Von 1996 bis 1999 war mit Victor Ci- pflichtung der Arbeitgeber zur Verhandlung mit den Gewerk- orbea ein ehemaliger Gewerkschaftsvorsitzender Minister- schaften aufzuheben (Trif 2008, S. 476). 379 https://doi.org/10.5771/0342-300X-2014-5-378 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 23.02.2022, 05:32:50. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
AUFSÄTZE Das EU-Beitrittsverfahren war aus Sicht der Gewerkschaf- Memorandum of Understanding (MoU) gegenüber der ten sowohl mit Herausforderungen als auch mit Chancen Europäischen Kommission und dem Internationalen Wäh- verbunden. Einerseits schafften es die rumänischen Gewerk- rungsfonds (IWF) zu einer Reihe wirtschaftlicher und recht- schaften 2005 mit Unterstützung der Internationalen Arbeits- licher Reformen. Zwecks Erfüllung dieser Auflagen führte organisation (ILO) und des Europäischen Gewerkschaftsbunds die Mitte-rechts-Koalition anschließend eines der schärfsten (EGB), den Vorstoß des FIC und die Deregulierung kollekti- Sparpakete der gesamten EU durch. Die öffentlichen Löhne ver Arbeitsrechte abzublocken und an der Weiterentwicklung und Gehälter wurden um 55 %, eine Reihe von Sozialleis- arbeitsrechtlicher Vorschriften zu den Themen direkte Ar- tungen um 15 % gekürzt, 2010 stieg die Mehrwertsteuer von beitnehmervertretung, Arbeitsschutz und Diskriminierungs- 19 % auf 25 % (Trif 2010). Mit diesen Maßnahmen gelang verbot beteiligt zu werden (Trif 2008). Andererseits hielt sie es zwar, das Haushaltsdefizit von 9 % des BIP im Jahr 2009 die Angst, als Relikte kommunistischer Zeiten verschrien zu auf 3 % des BIP 2012 zu senken (Eurostat 2013), doch gin- werden, von jeglichem Widerstand gegen den von der EU gen die Budgeteinsparungen zulasten der Lebensbedingun- verordneten Privatisierungsprozess ab. Hinzu kam die Erwar- gen (Hayter et al. 2013). tung der Beschäftigten staatseigener Unternehmen, dass sich Die 2008er Krise hatte für die wirtschaftliche und so- nach einer Privatisierung die Arbeitsbedingungen durch Ka- ziale Entwicklung Rumäniens ernsthafte Folgen. 2009 sank pitalzufuhr und effizientere Verwaltung verbessern würden das BIP um 6,6 %, 2010 um weitere 1,6 % (Eurostat 2013). – in den Führungsetagen staatlicher Unternehmen war Kor- Mit einem Rückgang seines Wertschöpfungsbeitrags um ruption ein weitverbreitetes Phänomen. Schließlich brachte 13,9 % im Jahre 2009 war das Baugewerbe am stärksten von die fortbestehende Kluft zwischen Gewerkschaftsführung und dem Abschwung betroffen, gefolgt von Landwirtschaft und Mitgliedern (Korkut 2006) in Verbindung mit der zunehmen- Dienstleistungssektor (Zaman/Georgescu 2009, S. 618). den Abhängigkeit der rumänischen Wirtschaft von ausländi- Jedoch stieg die Arbeitslosenquote nur moderat von 5,8 % schem Kapital die Gewerkschaften im Verlauf der weltweiten im Jahr 2008 auf 7,3 % im Jahr 2013 (Eurostat 2013). Wirtschaftskrise ab 2008 in eine sehr schwache Position. Rumänische Arbeitnehmer nutzten individuelle Wege aus der Krise. Ein Teil entgeht der Krise über Arbeit im in- formellen Sektor, ein weiterer Teil über die Emigration ins Ausland. Von 2007 bis 2012 expandierte der informelle Sek- tor von 22 auf 29 % des BIP (European Commission 2013, 3. Die Krise und die Schwäche der S. 5). Nach den Ergebnissen des Eurobarometer Survey in rumänischen Gewerkschaften Rumänien für 2007 ist das niedrige Lohnniveau in der re- gulären Wirtschaft der Hauptgrund für die Arbeit im infor- mellen Sektor (European Commission 2007). Die gleichen 3.1 Die Krise und ihre Auswirkungen Umfragedaten zeigen, dass nur 27 % der rumänischen Be- auf die Arbeitnehmer völkerung Vertrauen in die Gewerkschaften hat, was wiede- rum den Schluss nahelegt, dass die Mehrheit der Arbeitneh- Der wirtschaftliche Abschwung in Rumänien ist durch drei mer die Fähigkeit der Gewerkschaften zur Verbesserung der miteinander verknüpfte Ursachenbündel bedingt. Erstens Beschäftigungsbedingungen bezweifelt. Wenngleich zur war das Land trotz eines relativ geringen Anteils toxischer Emigration seit 2008 keine offiziellen Zahlen vorliegen, hat Kredite und Wertpapiere am Vermögen seiner Banken nach Angaben von Gewerkschaftsfunktionären der Verfall wegen seiner offenen Investitionspolitik den Folgen der der Löhne und Gehälter im öffentlichen Sektor in den Jahren weltweiten Finanzkrise ausgesetzt (Ban 2014). Zweitens gab 2009 und 2010 die Arbeitnehmerabwanderung beschleunigt. es einen Einbruch der in- und ausländischen Nachfrage Nach Aussagen eines Spitzenfunktionärs in einem Gespräch nach Waren und Dienstleistungen. 2009 verringerten sich im Jahre 2013 sind in den letzten Jahren rund 2700 Ärzte die Ausfuhren Rumäniens in andere EU-Länder um 25 % jährlich ausgewandert und nach der Umsetzung der Auste- (Trif 2013). Beim Privatkonsum sorgten breite Lohn- und ritätspolitik erhöhte sich diese Zahl 2011 um weitere 400. Gehaltskürzungen und ein Rückgang der Geldüberweisun- Schätzungen des rumänischen Arbeitsministeriums zufolge gen aus dem Ausland für ein Minus von 9,2 % (Constantin haben seit den 1990er Jahren über 2 Mio. Rumänen den Weg et al. 2011). Die dritte Ursache hat mit wirtschaftlichen ins Ausland gewählt (Stan/Erne 2014). Schwachpunkten und Ungleichgewichten zu tun, die bereits vor 2008 bestanden (Ban 2014). Trotz eines beträchtlichen 3.2 Gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen Wirtschaftswachstums im Zeitraum 2000 – 2008 (im Durch- gegen die Sparpolitik 2009 und 2010 schnitt etwa 6 % jährlich) wuchs das Haushaltsdefizit stetig und erreichte 2009 9 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 2009 erließ die Regierung zur Senkung der staatlichen (Trif 2013). 2010 nahm Rumänien einen Notkredit der Personalausgaben (als Teil der Auflagen der sogenannten Troika in Höhe von 20 Mrd. € in Anspruch. Troika aus Europäischer Zentralbank, IWF und EU-Kom- Als Vorbedingung für die Gewährung des Finanzhilfe- mission) ein neues Gesetz zur Regelung der Bezüge im pakets verpflichtete sich die rumänische Regierung in einem öffentlichen Dienst (Hayter et al. 2013). Die bisherige Ver- 380 https://doi.org/10.5771/0342-300X-2014-5-378 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 23.02.2022, 05:32:50. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
WSI MITTEILUNGEN 5/2014 gütungsmatrix wurde durch eine für alle Staatsbediensteten lamentsdebatte und unter Außerachtlassung prinzipieller geltende Skala ersetzt, deren Gehaltsstufen jeweils ein Viel- Zusagen an die Gewerkschaften (kein Abbau bestehender faches des Grundgehalts von 700 RON (165 €) betragen. Bezüge) einseitig und ohne jegliche Änderung verabschie- Darüber hinaus zwang die Gesetzesreform im selben Jahr det (Ciutacu 2010). Diese Gewerkschaftsniederlage bestärk- alle öffentlichen Einrichtungen zu einer Kürzung ihrer Per- te die Mitte-rechts-Regierung in ihrer Zuversicht bezüglich sonalkosten um 15 %, was für die Bediensteten zehn Tage der Durchsetzbarkeit weiterer Sparmaßnahmen. unbezahlten Urlaubs zur Folge hatte. Die Reform des Ver- Am 7. Mai 2010 gründeten die fünf landesweiten Ge- gütungssystems erfolgte unter Konsultierung der fünf Ge- werkschaftsbünde einen Krisenausschuss gegen die Auste- werkschaftsbünde, doch stießen die neuen Regelungen bei ritätspolitik (Ciutacu 2010). Die erste Maßnahme dieses den Einzelgewerkschaften auf Ablehnung. Der Widerstand Ausschusses bestand in einer Aufforderung an den rumä- formierte sich in örtlichen Versammlungen und Demons- nischen Staatspräsidenten, die einen Tag zuvor zwischen trationen und äußerte sich schließlich als Protest gegen dem Premierminister und der Troika vereinbarten Spar- Gehaltskürzungen, Entlassungen und unbezahlten Zwangs- maßnahmen abzulehnen. Der Präsident entsprach dem urlaub in einem eintägigen, landesweiten Streik des öffent- Anliegen jedoch nicht, sondern unterstützte die geplanten lichen Nahverkehrs im Mai 2009. Im Juni 2009 stellten die Maßnahmen. Außerdem organisierten die Gewerkschaften Gewerkschaften vor zwei Dritteln der Kreisverwaltungen im Mai 2010 als Reaktion auf die Sparpolitik eine Reihe von Streikposten auf und versuchten, die Regierung mit einer Protestkundgebungen mit der Forderung an die Regierung, Generalstreikdrohung zu einem grundsätzlichen Überden- in Tariffragen von einseitigen Entscheidungen abzusehen, ken der vorgeschlagenen Gesetzesreformen zu bewegen. die Umsetzung von Kollektivvereinbarungen zu gewähr- Diese sahen vor, die Differenz zwischen der untersten und leisten und gesetzliche Einschränkungen der Tariffreiheit der obersten Gehaltsstufe von einem Verhältnis von bisher zurückzunehmen. Die Gewerkschaften unterbreiteten über 1:70 auf 1:15 zu senken. Dazu sollten die Bezüge der Bes- 400 Maßnahmenvorschläge zur Bewältigung der Krise, die serverdienenden für fünf Jahre eingefroren und die unters- jedoch ausnahmslos ignoriert wurden. Als Konsequenz des- ten Gehälter beschleunigt angehoben werden (Ciutacu sen zogen sich die Arbeitnehmervertreter aus den meisten 2010). Jedoch führten weder Gespräche zwischen Regie- tripartistisch besetzten Gremien zurück. Im Juni 2010 reich- rungsvertretern und Gewerkschaften im Juni 2009 noch ten die Dachverbände der Gewerkschaften daraufhin eine weitere Kampfmaßnahmen wie Massenkundgebungen und Beschwerde bei der ILO ein, in der sie der Regierung Ver- Streikposten vor dem Parlament im September 2009 zu stöße gegen Gewerkschaftsrechte vorwarfen. Darüber hin- spürbaren Verbesserungen für die Beschäftigten. aus wiesen sie die zuständigen EU-Gremien darauf hin, dass Die Reform des öffentlichen Vergütungssystems ver- die rumänische Regierung die Last der Wirtschaftskrise auf schärfte zudem die Differenzen zwischen den gewerkschaft- die Arbeitnehmer und andere schutzbedürftige Gesell- lichen Dachverbänden und den angeschlossenen Gewerk- schaftsgruppen abwälze (Trif 2010). Letztlich scheiterten schaften. Die Branchengewerkschaften der Bereiche die Bemühungen der Gewerkschaften, die Beschäftigungs- Bildung, Gesundheitswesen und öffentliche Verwaltung bedingungen ihrer Mitglieder sowie ihre Beteiligung an wandten sich nicht nur gegen die geplanten Regelungen, Tarifverhandlungen und sozialem Dialog zu sichern, jedoch sondern wehrten sich auch gegen ihren Ausschluss von den am mangelnden Rückhalt sowohl in den internationalen offiziellen Verhandlungen (Ciutacu 2010). Elf Gewerk- Gremien als auch in der rumänischen Öffentlichkeit. Um- schaftsverbände des öffentlichen Sektors taten sich zusam- fragen zufolge hatten 2010 nahezu zwei Drittel der Rumänen men und übertrugen den Kampf gegen die Sparmaßnahmen (63 %) eher kein Vertrauen in die Gewerkschaften, 15 % und für eine Änderung der geplanten Vergütungsreformen mehr als noch 2007 (European Commission 2010). der eigens gegründeten Alianţa Naţională a Sindicatelor Überdies hatte es laut Aussagen von Gewerkschaftsfüh- Bugetarilor (Trif 2010). Eine Reihe 2009 ausgerufener lan- rern während der Krise eine systematische Einschüchterungs- desweiter Protestmaßnahmen dieser Allianz gipfelte in ei- und Diskreditierungskampagne gegen Spitzenfunktionäre nem eintägigen Generalstreik am 5. Oktober desselben der wichtigsten fünf Gewerkschaftsbünde gegeben.2 Für Auf- Jahres, dem größten Ausstand seit 1990, an dem sich 750.000 merksamkeit sorgte vor allem die Festnahme des Vorsitzen- von insgesamt 1,35 Mio. Beschäftigten des öffentlichen den des mitgliederstärksten Bundes (CNSRL-Frăţia), Marius Dienstes beteiligten. Damit wollten die Gewerkschaften vor Petcu, im Jahr 2011, der nach Angaben eines hochrangigen allem Neuverhandlungen über die geplante Vergütungsre- Gewerkschaftsfunktionärs ein Streitgespräch mit Staatsprä- form und den damit verbundenen Gehaltsabbau erreichen, sident Băsescu über den Gesundheitsetat vorangegangen war. die Rücknahme geplanter Entlassungen erzwingen und Än- Ein anderer prominenter Gewerkschaftsvertreter berichtete, derungen der Arbeitsgesetze verhindern. Zwar bewirkte der nach einer Meinungsverschiedenheit mit Băsescu der Steu- Streik Gespräche zwischen der Allianz und Regierungsver- erhinterziehung bezichtigt worden zu sein und Polizei- tretern, doch verfehlte er letzten Endes seine Hauptziele. Angesichts der Unterstützung der Europäischen Kommis- sion und des IWF für die Regierungsposition wurde die Gesetzesvorlage schließlich im November 2009 ohne Par- 2 Basierend auf Interviews im Jahr 2013. 381 https://doi.org/10.5771/0342-300X-2014-5-378 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 23.02.2022, 05:32:50. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
AUFSÄTZE ÜBERSICHT 1 Grundlegende Änderungen gewerkschaftlicher Rechte in Rumänien mit dem Gesetz zum Sozialen Dialog (GSD) Vor GSD Wichtigste Neuerungen seit GSD-Verabschiedung (bis 2011) (ab 2011) Nationale Ebene Gewerkschaften schlossen landesweit gültige branchen- Gewerkschaften nicht mehr zum Abschluss branchen- übergreifende Jahres-Tarifverträge (TV) mit Bindung für übergreifender TV berechtigt. alle Beschäftigten ab. Branchenebene – 2011 waren 20 von 32 Wirtschaftsbereichen durch TV – Bis 2014 war es den Gewerkschaften verwehrt, im privat- abgedeckt. wirtschaftlichen Sektor Branchen-TV abzuschließen. – Allgemeinverbindlicherklärung von TV gesetzlich – Allgemeinverbindlicherklärung von TV nur möglich, vorgesehen. wenn die Mitglieder der unterzeichneten Arbeitgeber- Tarifwesen verbände über 50 % aller Arbeitnehmer der jeweiligen Branche beschäftigen. Unternehmensebene – Gewerkschaften galten ab einer Gewerkschaftsdichte – Gewerkschaften gelten ab einer Dichte von ≥ 51 % als von ≥ 33 % als repräsentativ. repräsentativ, Gewerkschaften mit einer Dichte unter – Gewerkschaftliche Vertrauensleute hatten für Gewerk- 50 % sind nicht zum Abschluss von TV berechtigt. schaftsaufgaben Anspruch auf bis zu fünf Tage bezahl- – Gewerkschaftliche Vertrauensleute haben für Gewerk- ten Urlaub und genossen nach Ende ihrer Amtszeit schaftsaufgaben Anspruch auf bis zu fünf Tage unbe- zwei Jahre lang Kündigungsschutz. zahlten Urlaub; sie genießen nur während ihrer Amts- zeit Kündigungsschutz. Koalitionsfreiheit – Die Gründung einer Gewerkschaft setzte eine Mindest- – Die Gründung einer Gewerkschaft setzt eine Mindest- mitgliederzahl von 15 Mitarbeitern eines bestimmten mitgliederzahl von 15 Beschäftigten in einem Unterneh- Berufes voraus. men voraus. In über 90 % aller rumänischen Unterneh- men ist so keine gewerkschaftliche Organisation von Arbeitnehmern möglich, da sie weniger als 15 Beschäf- tigte haben (Barbuceanu 2012). Arbeitskampfmaßnahmen – Schlichtungsverfahren vor Streik nicht zwingend vor- – Schlichtungsverfahren vor Streik zwingend. geschrieben. – Arbeitnehmer nicht streikberechtigt, wenn – Gewerkschaften konnten Anwendung von TV durch – tarifvertragliche Bestimmungen umgangen werden Kampfmaßnahmen erzwingen. – die Konfliktbeilegung Rechtsänderungen erfordert. Quelle: Zusammenstellung der Autorin. besuch erhalten zu haben. In dem anschließenden Gerichts- 3.3 Widerstand der Gewerkschaften gegen verfahren wurde er von allen Vorwürfen freigesprochen. das Gesetz zum sozialen Dialog von 2011 Dennoch wurde das angeblich korrupte Verhalten bestimm- ter Gewerkschaftsführer zu einem vielfach kommentierten Zusätzlich zu den drastischen Sparmaßnahmen drängte Thema. Petcu wurde festgenommen, weil er angeblich von die Troika auf eine radikale Dezentralisierung der Tarif- einem mit Bauarbeiten an einem Gewerkschaftshaus beauf- politik und die Einführung restriktiverer Kriterien für die tragten Geschäftsmann Bestechungsgelder angenommen Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen (Schul- hatte (Barbuceanu 2012). Die Medienberichte zur angebli- ten/Müller 2013, S. 6). Die Mitte-rechts-Regierung Rumä- chen Korruption der Gewerkschaftsführung schadeten der niens nutzte die Gelegenheit, um die vorhandenen tarifpo- Legitimität der Gewerkschaften und lösten einen Rückgang litischen Institutionen zu zerschlagen und den Einfluss der der gewerkschaftlichen Mitgliederzahlen aus (Trif 2013). Gewerkschaften zu beschneiden (Übersicht 1). Zusätzlich Zwar fehlen verlässliche Daten zur Mitgliederentwicklung, zu einseitig beschlossenen arbeitsrechtlichen Gesetzesän- doch gab CNSRL-Frăția, der größte Dachverband, der durch derungen (mit denen den Arbeitgebern die Einstellung und die Verhaftung seines Vorsitzenden Petcu besonders betrof- Entlassung von Arbeitnehmern erleichtert wird) hob die fen war, für 2012 seine Mitgliederzahl mit 306.486 an, wäh- Regierung die seit 1991 gültigen Tarifverhandlungsregelun- rend es 2008 noch 850.000 Mitglieder gewesen waren (Hay- gen auf und ersetzte sie durch das Gesetz zum sozialen ter et al. 2013, S. 13). Der Fehlschlag der Protestmaßnahmen Dialog (GSD) von 2011. gegen die Sparpolitik in den Jahren 2009 und 2010 und die Mit dem GSD wurden nicht nur sämtliche Tarifverein- Korruptionsanschuldigungen gegen hohe Funktionäre führ- barungen aufgehoben, die nach den bis Ende 2011 gültigen ten dazu, dass die Gewerkschaften 2011 kaum noch zu Mo- gesetzlichen Regelungen abgeschlossen worden waren. Das bilisierungen gegenüber den nun folgenden Angriffen der neue Gesetz schränkt zudem die Möglichkeit von Tarifver- Mitte-rechts-Regierung auf fundamentale Gewerkschafts- handlungen ein und erschwert sowohl die Organisation der rechte in der Lage waren. Arbeitnehmer als auch die Ausübung des Streikrechts und 382 https://doi.org/10.5771/0342-300X-2014-5-378 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 23.02.2022, 05:32:50. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
WSI MITTEILUNGEN 5/2014 unterhöhlt damit die Macht der Gewerkschaften. Es behin- sungen zu beschränken, die unumgänglich sind, um dieses dert Proteste auf nationaler Ebene, indem es den Gewerk- Gesetz mit grundlegenden ILO-Konventionen konform schaften zwei grundlegende Mechanismen mit sektorüber- zu gestalten“ (European Commission/IMF 2012, S. 1; im greifender Wirkung verwehrt: branchenübergreifende Original Englisch). Tarifverhandlungen und die Verhängung von Kampfmaß- EU-Kommission und IWF sprachen sich gegen Ände- nahmen im Fall von Arbeitnehmerforderungen, deren Er- rungsvorschläge im Zusammenhang mit der Verbindlich- füllung Rechtseingriffe voraussetzen würde. Zudem büßen keit nationaler und sektoraler Tarifvereinbarungen aus, und an Arbeitskampfmaßnahmen beteiligte Arbeitnehmer nun zwar insbesondere gegen solche, die den Arbeitnehmern neben ihrem Lohn- oder Gehaltsanspruch auch alle anderen das Ergreifen von Arbeitskampfmaßnahmen erleichtert Arbeitnehmerrechte – mit Ausnahme ihrer Krankenver- hätten. Ihre Forderung nach Einschränkungen des Kündi- sicherung – ein. Nach der früheren Rechtslage waren Ge- gungsschutzes für an Tarifverhandlungen beteiligte betrieb- werkschaftsfunktionäre zudem für einen Zeitraum von liche Arbeitnehmervertreter zielte zudem darauf ab, den zwei Jahren nach Vollendung ihres Mandates vor Entlassung Einfluss der Gewerkschaften weiter zu untergraben. Trotz- geschützt; gemäß der Gesetzesänderung kann ihnen nun dem stimmten sie in ihrer Stellungnahme der vorgeschla- sofort nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt gekündigt genen Senkung der Repräsentativitätsschwelle von über werden. So gesehen überrascht es nicht, dass seit der Ver- 50 auf 35 % sowie einer Reduzierung der zur Gründung abschiedung des GSD von keiner der Gewerkschaften mehr einer Gewerkschaft erforderlichen Mindestmitgliederzahl politisch motivierte Streiks (auf nationaler Ebene) ausgeru- von 15 auf fünf zu. Entgegen allen Erwartungen, dass der fen worden sind. EU-Beitritt dem Arbeitnehmerschutz förderlich sein würde 2011 unterzeichneten die Führungen der fünf Gewerk- (Kideckel 2001), scheint die Kommission auch trotz des schaftsbünde mit der politischen Opposition eine Verein- Drucks seitens der ILO maßgeblich zur Einschränkung der barung, in der Letztere versprach, im Gegenzug für gewerk- Arbeitnehmerrechte und der Schlagkraft der Gewerkschaf- schaftliche Unterstützung bei den Wahlen im Mai 2012 die ten beizutragen. Im Januar 2013 wurde in Gesprächen der von der Mitte-rechts-Koalition durchgesetzten arbeits- ILO mit der Mitte-links-Regierung und Vertretern der Troi- rechtlichen Gesetzesänderungen rückgängig zu machen. ka die Notwendigkeit diskutiert, die derzeitigen Arbeitsge- Die Mitte-links-Koalition gewann daraufhin zwar die setze im Sinne einer Anpassung an die ILO-Konventionen Wahlen, doch war sie weiter an die von der Vorgänger- zu modifizieren (Hayter et al. 2013). Doch unternahm die regierung mit der Troika getroffene Vereinbarung gebun- Mitte-links-Regierung letztlich nichts (Stand Mai 2014). Im den. Im Juli 2012 unterbreiteten die fünf Gewerkschafts- Ergebnis folgte die Regierung den Empfehlungen der Troi- dachverbände zusammen mit vier Arbeitgeberverbänden, ka und nicht denen der ILO. die GSD ebenfalls ablehnten, dem Arbeitsministerium, der EU-Kommission und dem IWF einen Vorschlag, die Ar- beitsgesetze über eine Dringlichkeitsverfügung zu ändern (Barbuceanu 2012). Während die Troika 2011 noch den Gebrauch von Dringlichkeitsverfügungen durch die von 4. Fazit der Mitte-rechts-Regierung zur Durchsetzung von Geset- zesänderungen zur Einschränkung des Arbeitnehmer- Der Beitrag setzt sich mit der Frage auseinander, weshalb schutzes unterstützt hatte (Trif 2013), erhoben Kommissi- vergleichsweise mitgliederstarke Gewerkschaftsorganisati- on und IWF in einer gemeinsamen Stellungnahme onen nicht in der Lage waren, sich gegen einen drakonischen Einwände dagegen, mit dem gleichen Verfahren GSD (Ge- Angriff der rumänischen Regierung auf Gewerkschaftsrech- setz Nr. 62/2011) soweit zu modifizieren, dass es mit den te zur Wehr zu setzen. Dabei liegt der Fokus auf der Wech- ILO-Konventionen konform geht: selwirkung zwischen internen Faktoren (wie der instituti- „Nach unseren Erkenntnissen wurde vorliegender Ent- onellen Vergangenheit der Gewerkschaften) und externen wurf von den Gewerkschaftsbünden der nationalen Ebene (wirtschaftlichen und politischen) Umständen. Crowleys sowie lediglich vier der Arbeitgeberverbände verfasst. An- (2004) These, dass die geringe Mobilisierungsfähigkeit der gesichts der Tragweite von Gesetz Nr. 62/2011 für die Ar- Gewerkschaften in Osteuropa aus einer Kombination ihres beitsbeziehungen in Rumänien, welche es in entscheidender institutionellen Erbes und der Diskreditierung ihres Füh- Weise reformiert, halten wir es für unangemessen, dieses rungspersonals zu erklären sei, wird teilweise bestätigt. Gesetz durch eine Dringlichkeitsverordnung zu ändern und Zugleich argumentiere ich jedoch, dass externe Eingriffe, erachten es für außerordentlich wichtig, das übliche ge- insbesondere die Haltung der Europäischen Kommission, setzgeberische Verfahren einzuhalten, das eine umfassende die als Reaktion auf die Krise 2008 die Aushebelung grund- Vorbereitung und angemessene Anhörung aller Sozial- legender Gewerkschaftsrechte unterstützte, entscheidend partner einschließlich aller repräsentativen Arbeitgeber- zur Stärkung der Position der Mitte-rechts-Regierung Ru- organisationen der nationalen Ebene sicherstellt.” „[…] wir mäniens beigetragen und die Fähigkeit der Gewerkschaften, fordern die zuständigen Stellen dringend auf, eventuelle dieser Politik Widerstand entgegenzusetzen, geschwächt Änderungen des Gesetzes Nr. 62/2011 auf solche Anpas- haben. Dies setzte sich ab 2012 fort, als sich EU-Kom- 383 https://doi.org/10.5771/0342-300X-2014-5-378 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 23.02.2022, 05:32:50. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
AUFSÄTZE mission und IWF jeglichen Versuchen, grundsätzliche Gewerkschaftsrech- Hayter, S./Vargha, C./Mihes, C. (2013): The impact of legislative reforms on te wieder herzustellen, widersetzten. Die Entwicklung in Rumänien lässt mit industrial relations in Romania, Budapest International Labour Organisation (ILO) (2014): LABOURSTADatabase, hoher Wahrscheinlichkeit eine von der EU ausgehende – und durch die http://laborsta.ilo.org/STP/guest undemokratischen Deregulierungsmethoden der Kommission und des IWF Kideckel, D. A. (2001): Winning the battles, losing the war: Contradictions of beförderte – Abwärtsspirale bei den Arbeitnehmerrechten erwarten. Es sei Romanian labour in postcommunist transformation, in: Crowley, S./Ost, D. (Hrsg.): Workers after workers’ states – labour and politics in postcommunist denn, die EU ändert ihre Sozialpolitik und beginnt, demokratische Mecha- Eastern Europe, Lanham, S. 97 – 120 nismen sozialen Dialogs und industrieller Beziehungen zu fördern. Kohl, H./Platzer, H.-W. (2004): Industrial relations in Central and Eastern Europe, Brussels Korkut, U. (2006): Entrenched elitism in trade unions in Poland and Romania: An explanation for the lack of union strength and success?, in: Economic and Industrial Democracy 27 (1), S. 67 – 104 LITER ATUR Schulten, Th./Müller, T. (2013): A new European interventionism? The impact of the new European economic governance on wages and collective bargaining, Ban, C. (2014): From cocktail to dependence: The Great Recession and the in: Natali, D./Vanhercke, B. (Hrsg.): Social developments in the EU 2012, transformation of Romanian capitalism, in: Europe-Asia Studies (im Erschei- Brussels, S. 181 – 214 nen), http://ssrn.com/abstract=2215124 Stan, S./Erne, R. (2014): Explaining Romanian labor migration: From develop- Barbuceanu, S. (2012): Annual Review 2011 on Labour Relations and Social ment gaps to development trajectories, in: Labor History 55 (1), S. 24 – 46 Dialogue in South East Europe: Romania, Friedrich-Ebert-Stiftung, Belgrad Trif, A. (2008): Opportunities and challenges of EU accession: Industrial Bohle, D./Geskovits, B. (2012): Capitalist diversity on Europe’s periphery, relations in Romania, in: European Journal of Industrial Relations 14 (4), New York S. 461 – 478 Ciutacu, C. (2010): Reform of pay system for public employees, Dublin, Trif, A. (2010): Trade union rights in Romania during the economic recession, http://www.eurofound.europa.eu/eiro/2009/12/articles/ro0912019i.htm in: International Union Rights 17 (3), S. 16 – 18 Ciutacu, C. (2012): Social partners opt out of social dialogue in protest at Trif, A. (2013): Romania: collective bargaining institutions under attack, in: new legislation, Dublin, http://eurofound.europa.eu/eiro/2011/12/articles/ Transfer 19 (2), S. 225 – 235 ro1112019i.htm Vandaele, K. (2011): Sustaining or abandoning “social peace”? Strike develop- Constantin, D. L./Goschin, Z./Danciu, A. R. (2011): The Romanian economy ment and trends in Europe since the 1990s, Brussels from transition to crisis. Retrospects and prospects: World Business Institute Zaman G./Georgescu, G. (2009): The impact of global crisis on Romania’s Australia, in: World Journal of Social Sciences 1 (3), S. 155 – 171 economic development, in: Annales Universitatis Apulensis Series Oecono- Crowley, S. (2004): Explaining labor weakness in post-communist Europe: mica 11 (2), S. 611 – 624, www.oeconomica.uab.ro/upload/lucrari/1120092/01. Historical legacies and comparative perspective, in: East European Politics pdf and Societies 18 (3), S. 394 – 429 European Commission (2007): Eurobarometer 68, http://ec.europa.eu/public_ opinion/archives/eb/eb68/eb68_ro_exec.pdf European Commission (2010): Eurobarometer 74, http://ec.europa.eu/public_ opinion/archives/eb/eb74/eb74_anx_full_fr.pdf European Commission (2013): Shadow economy and undeclared work, AUTORIN http://ec.europa.eu/europe2020/pdf/themes/07_shadow_economy.pdf European Commission/International Monetary Fund (IMF) (2012): Joint AUROR A TRIF, Dr., lehrt Human Resource Management und Organisational Be- comments of European Commission and IMF staff on draft emergency ordi- haviour an der Dublin City University. Arbeitsschwerpunkte: Industrielle Bezie- nance to amend Law 62/2011 on social dialogue, http://www.ituc-csi.org/IMG/ hungen in Rumänien und Irland, Kollektivverhandlungen, betriebliche Arbeits- pdf/romania.pdf beziehungen. Eurostat (2013): Statistikdatenbank, http://epp.eurostat.ec.europa.eu/portal/ page/portal/statistics/themes aurora.trif@dcu.ie Gall, G. (2013): Quiescence continued? Recent strike activity in nine Western European economies, in: Economic and Industrial Democracy 34 (4), S. 667 – 691 384 https://doi.org/10.5771/0342-300X-2014-5-378 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 23.02.2022, 05:32:50. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
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