Die Bilateralen Abkommen Schweiz - Europäische Union - Ausgabe 2014 - IHK Thurgau
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Inhaltsverzeichnis Die Europapolitik der Schweiz 5 Freihandel 13 Versicherungen 15 Zollerleichterungen und Zollsicherheit 17 Personenfreizügigkeit 19 Technische Handelshemmnisse 27 Öffentliches Beschaffungswesen 29 Landwirtschaft 31 Forschung 33 Luftverkehr 37 Landverkehr 39 Schengen/Dublin 41 Zinsbesteuerung 47 Betrugsbekämpfung 49 Landwirtschaftliche Verarbeitungsprodukte 51 MEDIA 53 Umwelt 55 Statistik 57 Ruhegehälter 59 Bildung, Berufsbildung, Jugend 61 Europol 63 Eurojust 65 Zusammenarbeit mit der Europäischen Verteidigungsagentur 67 Zusammenarbeit der Wettbewerbsbehörden 69 Satellitennavigation (Galileo und EGNOS) 71 Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) 73 3
Redaktionsschluss: 1. August 2014 Die elektronischen Fassungen der Informationsblätter zu den bilateralen Abkommen Schweiz-EU sind auch auf www.eda.admin.ch/europa verfügbar. Sie werden regelmässig aktualisiert und können dort heruntergeladen oder bestellt werden. Grundsätzlich wird in der vorliegenden Broschüre der Ausdruck Europäische Union (EU) im umgangssprachlichen und nicht im juristischen Sinn verwendet. 4
Die Europapolitik der Schweiz Die Schweiz liegt geografisch in der Mitte des europäischen Kontinents und ist fast ausschliesslich von Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) umgeben. Aufgrund dieser geografischen und kulturellen Nähe, insbesondere aber wegen ihres politischen und wirtschaftlichen Gewichts, sind die EU und ihre 28 Mitgliedstaaten die mit Abstand wichtigsten Partner der Schweiz. Aber auch die Schweiz ist für die EU eine erstrangige Partnerin. Eine aktive Europapolitik ist daher von entschei- dender Bedeutung für den Wohlstand der Schweiz. Die Schweiz ist kein EU-Mitgliedstaat, sondern verfolgt ihre Europapolitik auf Grundlage bilateraler sektorieller Abkommen. Seit dem Freihandels- abkommen von 1972 wurde in mehreren Etappen ein immer dichteres Netz von Abkommen geknüpft. Der bilaterale Ansatz ermöglicht der Schweiz eine Politik der Offenheit und Zusammenarbeit mit den europäischen Nachbarn. Das Volk hat den bilateralen Weg in verschiedenen Abstimmungen bestätigt und unterstützt. Chronologie • 2014: Unterzeichnung des Paritzipationsabkommens EASO (Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen) • 2014: Beginn der Verhandlungen im institutionellen Bereich • 2014: Annahme der Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» • 2013: Unterzeichnung des Wettbewerbsabkommens • 2011: Unterzeichnung des Abkommens über die gegenseitige Anerkennung der geschützten Ursprungsbezeichnungen (GUB) und der geschützten geografischen Angaben (GGA) für Agrarprodukte und Lebensmittel • 2010: Unterzeichnung des Bildungsabkommens • 2009: Unterzeichnung und vorläufige Anwendung des revidierten Abkommens über Zollerleich- terungen und Zollsicherheit • 2009: Weiterführung der Personenfreizügigkeit sowie Ausdehnung auf Bulgarien und Rumänien • 2005: Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die EU-10 • 2004: Bilaterale II (Schengen, Dublin, Zinsbesteuerung, Betrugsbekämpfung, Landwirtschaftliche Verarbeitungsprodukte, Umwelt, Statistik, MEDIA, Ruhegehälter) • 1999: Bilaterale I (Personenfreizügigkeit, Technische Handelshemmnisse, Öffentliches Beschaffungs- wesen, Landwirtschaft, Landverkehr, Luftverkehr, Forschung) • 1992: EWR-Beitritt vom Volk abgelehnt • 1990: Abkommen über Zollerleichterungen und Zollsicherheit • 1989: Versicherungsabkommen • 1972: Freihandelsabkommen EFTA-EU Stand der Dinge Partei- und Fraktionspräsidenten vom 16. Mai 2014 Am 9. Februar 2014 hat die Schweizer Bevölkerung die wurde bestätigt, dass der neue Verfassungsartikel mit Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» ange- dem Freizügigkeitsabkommen mit der EU nicht verein- nommen. Damit kommt es zu einem Systemwechsel bar ist. Das FZA muss daher innert dreier Jahre neu in der Zuwanderungspolitik der Schweiz. Die neuen verhandelt werden. Das Eidgenössische Justiz- und Po- Verfassungsbestimmungen verlangen, dass die Zuwan- lizeidepartement (EJPD) wird Ausführungsverordnun- derung durch Höchstzahlen und Kontingente begrenzt gen entwerfen für den Fall, dass die Umsetzung auf wird. Der Bundesrat ist verpflichtet, innert dreier Jahre Gesetzesebene nicht rechtzeitig abgeschlossen werden ein neues Zulassungssystem für alle Ausländerinnen kann. Der neue Verfassungstext erteilt dem Bundesrat und Ausländer einzuführen. In der Diskussion an den die Kompetenz, das neue Zuwanderungssystem vorü- traditionellen Von-Wattenwyl-Gesprächen mit den bergehend auf Verordnungsstufe zu regeln. 5
Der Bundesrat präsentierte am 20. Juni 2014 das Bereichen. Der bilaterale Ansatz ermöglicht damit Umsetzungskonzept des neuen Verfassungsartikels. eine Politik der Offenheit und engen Zusammenar- Bis im Herbst 2014 wird das EJPD in Zusammenarbeit beit mit den europäischen Nachbarn. Die Kooperation mit dem Eidgenössischen Departement für auswärtige bei der grenzüberschreitenden Besteuerung von Zin- Angelegenheiten (EDA) und dem Departement für seinkünften oder bei der Betrugsbekämpfung, das Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) dem Bundes- koordinierte Vorgehen in der Asylpolitik ebenso wie rat einen Entwurf eines Verhandlungsmandates mit der schweizerische Erweiterungs- oder Kohäsionsbei- der EU für die Anpassung des FZA unterbreiten. Bis trag zugunsten der neuen EU-Staaten sind Beispiele Ende Jahr soll dann ein Gesetzesentwurf vorliegen. dafür. Gleichzeitig bleibt die institutionelle Unabhän- gigkeit der Schweiz gewährleistet. Als Nicht-Mitglied Die neuen Verfassungsbestimmungen der Initiative der EU hat die Schweiz kein Mitentscheidungsrecht «Gegen Masseneinwanderung» schliessen den Ab- auf EU-Ebene. schluss neuer Abkommen aus, die mit der Einführung von Kontingenten für Einwanderer nicht vereinbar Europapolitisches Ziel der Schweiz ist, die bestmögli- sind. Diese Bestimmung ist direkt anwendbar und chen Rahmenbedingungen für ihre Beziehungen zur setzt keine Umsetzung auf Gesetzesebene voraus. EU zu schaffen. Mit dieser Absicht wurde das bilate- Der Bundesrat war deshalb nicht in der Lage, das rale Vertragswerk zwischen der Schweiz und der EU Protokoll III – das die Bestimmungen der Ausdehnung (bzw. ihren Vorgängerorganisationen) über die Jahr- des FZA auf Kroatien enthält – in seiner aktuellen zehnte kontinuierlich entwickelt und vertieft. Insge- Fassung zu unterzeichnen. Am 30. April 2014 hat der samt wurden in mehreren Etappen rund 20 Hauptab- Bundesrat Massnahmen beschlossen, die Lösungen kommen und eine grosse Zahl weiterer Verträge für die kontingentierte Zulassung von kroatischen abgeschlossen. Dieser bilaterale Ansatz wurde in ei- Bürgerinnen und Bürger als Drittstaatangehörige ner Reihe von Abstimmungen vom Volk regelmässig zum Schweizer Arbeitsmarkt vorsehen. Mit der Um- bestätigt – seit 2000 insgesamt in sieben Abstim- setzung der geplanten Massnahmen konnten die mungen. Verhandlungen in den verschiedenen Dossiers wie Forschung, Bildung, Strom und Emissionshandel wie- 2010 hat der Bundesrat verschiedene europapoliti- der lanciert werden. Zudem konnten am 22. Mai sche Optionen vertieft evaluiert und entschieden, 2014 die Verhandlungen zu den institutionellen Fra- dass der bilaterale Weg das geeignete Instrument ist, gen aufgenommen werden. um ein angemessenes Gleichgewicht der Interessen der Schweiz und der EU zu gewährleisten. Als Ziele Hintergrund formulierte er in seinem Bericht über die Evaluation Die EU und ihre 28 Mitgliedstaaten sind die mit Ab- der schweizerischen Europapolitik vom 17. September stand wichtigsten Partner der Schweiz – sowohl auf- 2010 die Konsolidierung, Sicherung und Weiterent- grund des politischen und wirtschaftlichen Gewichts wicklung des bilateralen Weges. Seit der Annahme der EU als auch wegen ihrer geografischen und kul- der Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» turellen Nähe. Besonders wichtig ist das wirtschaftli- verfolgt der Bundesrat die Strategie, die aktuellen che Verhältnis: Jeden dritten Franken verdient die und künftigen Verhandlungen in verschiedenen eu- Schweiz im Austausch mit der EU. 2013 gelangten ropapolitischen Dossiers in ihrer Gesamtheit voran- 55% der Schweizer Exporte in die EU. 73% der Im- zutreiben und aufeinander abzustimmen, um für die porte kamen von dort. Die Schweiz gehört zusam- Schweiz das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. men mit den USA, China und Russland zu den vier wichtigsten Handelspartnern der EU (2013). Ursprung des Bilateralen Weges Die Basis für den wirtschaftlichen Austausch wurde Angesichts dieser engen Verflechtung ist eine aktive 1972 mit dem Freihandelsabkommen gelegt, welches Europapolitik von zentraler Bedeutung: Die Schweiz vom Volk mit 72,5% sowie von den Ständen angenom- verfolgt gegenüber der Union eine Interessenpolitik men wurde. 1989 folgte das Versicherungsabkommen. auf bilateralem Weg; d.h. konkrete Anliegen und Probleme werden durch bilaterale Abkommen in klar Gemeinsam mit den anderen Staaten der EFTA umgrenzten Bereichen geregelt. Dieses schrittweise, (European Free Trade Association) verhandelte die pragmatische Vorgehen erlaubt massgeschneiderte, Schweiz mit der damaligen Europäischen Gemein- vertragliche Lösungen für eine breite Palette wirt- schaft (EG) die Schaffung eines Europäischen Wirt- schaftlicher und politischer Fragen. Die Abkommen schaftsraums (EWR), der auf den vier Grundfreiheiten schaffen einerseits einen weitgehenden gegenseiti- (Personenfreizügigkeit, freier Waren-, Kapital- und gen Marktzugang. Andererseits sind sie Grundlage Dienstleistungsverkehr) gründet. Das entsprechende für eine enge Kooperation in wichtigen politischen EWR-Abkommen wurde von der Schweiz im Mai 1992 6
sogenannten Bilateralen I wurden am 21. Mai 2000 Freihandelsabkommen (FHA) 1972: Industriewaren mit Ursprung in einem der Vertragsstaaten werden zollfrei gehandelt. vom Volk mit 67,2% Ja-Stimmen gutgeheissen und Mengenmässige Beschränkungen (Kontingente) sowie am 1. Juni 2002 in Kraft gesetzt. Sie ermöglichen der Massnahmen gleicher Wirkung wie Zölle sind verboten. Bei Schweizer Wirtschaft (in Ergänzung zum Freihandels- verarbeiteten Landwirtschaftsprodukten (deren Behandlung im abkommen) einen weitgehenden Zugang zum EU- Protokoll 2 des FHA geregelt ist) wird der industrielle Anteil gänzlich von Zöllen befreit. Auf dem landwirtschaftlichen Anteil Binnenmarkt mit über 505 Millionen potenziellen wurden Zölle und Exportsubventionen seitens der Schweiz Konsumentinnen und Konsumenten. reduziert, während die EU Zölle und Exportbeihilfen gänzlich abgebaut hat. Die Bilateralen I sind – mit Ausnahme des Forschungsabkom- Versicherungsabkommen von 1989: Für Versicherungsunterneh- mens – klassische Marktöffnungsabkommen: men der Schweiz und der EU im Bereich der direkten Schadens- versicherung wird die Niederlassungsfreiheit garantiert. Personenfreizügigkeit: Die Arbeitsmärkte werden schrittweise Agenturen und Zweigniederlassungen erhalten gleiche Zutritts geöffnet. Nach Ablauf von Übergangsfristen können sich und Ausübungsbedingungen auf dem Gebiet der Vertragspar- Schweizer und EU-Bürgerinnen und -Bürger gleichberechtigt in teien. Das Abkommen ist nicht auf Lebensversicherungen, den Vertragsstaaten niederlassen bzw. eine Arbeit aufnehmen. Rückversicherungen oder gesetzliche Systeme der sozialen Voraussetzungen sind, dass sie über einen gültigen Arbeitsver- Versicherungen anwendbar und erlaubt auch keine grenzüber- trag verfügen, selbstständigerwerbend sind oder ausreichende schreitenden Dienstleistungen. finanzielle Mittel nachweisen können und krankenversichert sind. Technische Handelshemmnisse (auch MRA – «Mutual Recognition Agreement» – genannt): Die Produktezulassung unterzeichnet. Im gleichen Monat hat die Schweiz wird vereinfacht. Die Prüfung, ob ein Produkt, das für die in Brüssel ein Gesuch um Aufnahme von Verhand- Vermarktung im gesamteuropäischen Markt vorgesehen ist, den lungen über einen EG-Beitritt deponiert. Nach Ableh- geltenden Vorschriften entspricht (sog. Konformitätsbewer- nung des EWR-Beitritts durch Volk und Stände am tung), muss nur noch bei einer einzigen Zertifizierungsstelle in der Schweiz oder in der EU vorgenommen werden. 6. Dezember 1992 wurde das Gesuch eingefroren. Im Januar 1993 erklärte der Bundesrat, dass die Öffentliches Beschaffungswesen: Die Ausschreibungsspflicht für Schweiz bis auf weiteres auf die Eröffnung der Bei- Beschaffungen oder Bauten gemäss WTO-Regeln wird auf die trittsverhandlungen verzichtet und ihre Beziehungen Gemeinden und Bezirke sowie auf Beschaffungsaktivitäten von öffentlichen und spezifischen privaten Unternehmen in zur Gemeinschaft auf bilateralem Weg weiter zu ent- bestimmten Sektoren (bspw. Schienenverkehr, Energieversor- wickeln wünscht. Diese Politik führte zu den Ver- gung) ausgeweitet. handlungen und dem Abschluss der beiden Vertrags- pakete Bilaterale I und II. Landwirtschaft: Der Handel mit Agrarprodukten wird in bestimmten Bereichen vereinfacht (Käse, verarbeitete Milchpro- dukte); einerseits durch Zollabbau, andererseits durch die Bilaterale I Anerkennung der Gleichwertigkeit der Vorschriften in den Die Teilnahme am EWR hätte für die Schweiz eine Bereichen Veterinärmedizin, Pflanzenschutz und biologische vollständige wirtschaftliche Integration und damit Landwirtschaft. einen gleichberechtigten Zugang zum Europäischen Landverkehr: Die Märkte für Strassen- und Schienentransport Binnenmarkt ermöglicht. Um nach dem EWR-Nein werden schrittweise geöffnet, die schweizerische Verkehrspolitik dennoch in einigen der wichtigen Wirtschaftssekto- der Verlagerung auf die Schiene europapolitisch abgesichert: ren einen diskriminierungsfreien Marktzugang für Die EU akzeptiert die sukzessive Erhöhung der LSVA auf 325 CHF (ab 2008), die Schweiz die stufenweise Erhöhung der Schweizer Unternehmen zu sichern, beschloss der Gewichtslimite für Lastwagen auf 40 t (seit 2005). Bundesrat, mit der EU sektorielle Verhandlungen auf- zunehmen. Die EU erklärte sich Ende 1993 in sieben Luftverkehr: Das Abkommen gewährt Fluggesellschaften Bereichen verhandlungsbereit. Sie machte aber zur schrittweise Zugangsrechte zu den gegenseitigen Luftverkehrs- märkten. Bedingung, dass diese parallel verhandelt sowie ge- meinsam unterzeichnet und in Kraft gesetzt werden Forschung: Schweizer Forschende sowie Unternehmen können müssten (Parallelismus) – dies, weil die verschiedenen sich an den EU-Forschungsrahmenprogrammen beteiligen. Dossiers lediglich als Gesamtheit im Interesse der Ver- tragspartner wären. Die Abkommen wurden darum rechtlich mit einer sogenannten «Guillotine-Klausel» Bilaterale II verknüpft. Diese bestimmt, dass die Verträge nur ge- Das zweite Vertragspaket, die Bilateralen II, berück- meinsam in Kraft gesetzt werden können. Wird eines sichtigt weitere wirtschaftliche Interessen (Lebens- der Abkommen nicht verlängert bzw. gekündigt, mittelindustrie, Tourismus, Finanzplatz) und erwei- werden auch die übrigen ausser Kraft gesetzt. tert die Zusammenarbeit Schweiz–EU über den bisherigen wirtschaftlichen Rahmen auf neue wich- Am 21. Juni 1999 unterzeichneten Bern und Brüssel tige politische Bereiche wie Sicherheit, Asyl, Umwelt die sieben bilateralen (sektoriellen) Abkommen. Diese und Kultur. 7
Trotz beidseitiger Absichtserklärungen zu weiteren Die Bilateralen II dehnen die Zusammenarbeit mit der EU auf Verhandlungen in den Schlussakten der Bilateralen I weitere zentrale politische Bereiche aus: von 1999 stand die Europäische Kommission neuen Verhandlungen zunächst skeptisch gegenüber. Zwei Schengen/Dublin: Der Reiseverkehr an den Binnengrenzen wird neue wichtige EU-Anliegen an die Schweiz waren erleichtert. Gleichzeitig werden die Kontrollen an den Schengen-Aussengrenzen sowie die internationale Polizei- und schliesslich der Grund dafür, dass sich Brüssel doch Justiz-Zusammenarbeit im Kampf gegen die Kriminalität zu einer neuen Runde bereit erklärte: Die Schweiz verstärkt. Die Dubliner Zuständigkeitsregeln und die Fingerab- sollte erstens in das von der EU geplante System der druck-Datenbank Eurodac helfen, mehrfache Asylgesuche zu grenzüberschreitenden Zinsbesteuerung eingebun- vermeiden. Dadurch werden die nationalen Asylwesen entlastet. den werden. Zweitens wollte Brüssel die Zusammen- Zinsbesteuerung: Die Schweiz erhebt zugunsten der EU-Staaten arbeit mit der Schweiz bei der Betrugsbekämpfung einen Steuerrückbehalt auf Zinserträgen natürlicher Personen im Bereich der indirekten Steuern (namentlich gegen mit Steuersitz in der EU. den Zigarettenschmuggel) intensivieren. Betrugsbekämpfung: Die Zusammenarbeit gegen Schmuggel und andere Deliktformen im indirekten Steuerbereich (Zoll, Die Schweiz stimmte Verhandlungen in den genann- Mehrwertsteuer, Verbrauchssteuer), im Bereich Subvention ten Bereichen zu, allerdings unter folgenden Bedin- sowie beim öffentlichen Beschaffungswesen wird ausgebaut. gungen: Erstens sollten Verhandlungen nicht nur in Landwirtschaftliche Verarbeitungsprodukte: Für eine breite Palette von Produkten der Nahrungsmittelindustrie werden Zölle den beiden von der EU gewünschten Dossiers geführt und Exportsubventionen abgebaut. werden, sondern weitere, auch für die Schweiz wich- tige Bereiche umfassen. Dazu gehörten die Teilnahme Umwelt: Die Schweiz wird Mitglied der Europäischen Umwelt- an der Sicherheits- und Asyl-Zusammenarbeit von agentur, eines der wichtigen Instrumente der europäischen Zusammenarbeit im Umweltbereich. Schengen/Dublin (polizeiliche und justizielle Zusam- menarbeit, Asyl und Migration) sowie die Bereiche, Statistik: Die statistische Datenerhebung wird harmonisiert und welche in der gemeinsamen Absichtserklärung zu den damit der Zugang zu einer breiten Basis vergleichbarer Daten Bilateralen I genannt wurden (landwirtschaftliche Ver- garantiert, welche bedeutende Entscheidungsgrundlagen für Politik und Wirtschaft liefern können. arbeitungserzeugnisse, Statistik, Umwelt, Medien, Bil- dung, Ruhegehälter und Dienstleistungen). Zweitens MEDIA: Die Schweizer Filmschaffenden erhalten vollberechtig- mussten die Interessen des Schweizer Finanzplatzes, ten Zugang zu den EU-Förderprogrammen. insbesondere das Bankgeheimnis, gewahrt bleiben. Ruhegehälter: Die Doppelbesteuerung von ehemaligen EU-Beamten mit Schweizer Wohnsitz wird aufgehoben. Ab Juni 2002 wurde zwischen der Schweiz und der EU in zehn Dossiers verhandelt, den Bilateralen II. Die Bildung: Im Rahmen der Bilateralen II wurde lediglich eine Verhandlungen in einem der Dossiers, der Dienstleis- politische Absichtserklärung über die Beteiligung der Schweiz an den EU-Bildungsprogrammen 2007–2013 verabschiedet. Das tungs-Liberalisierung, wurden im März 2003 in ge- entsprechende Abkommen dazu wurde am 15. Februar 2010 meinsamem Einverständnis sistiert. Der Grund war unterzeichnet. die Vielzahl der noch offenen Punkte. Mit der politi- schen Einigung bei der Zinsbesteuerung im Juni 2003 kam für Bern nur für die Gesamtheit der Verträge in wurde ein wichtiges Etappenziel erreicht. Am 19. Mai Frage. U.a. dank dieser Verhandlungsstrategie konn- 2004 konnte anlässlich eines Gipfeltreffens Schweiz– te ein ausgewogenes Gesamtergebnis erreicht wer- EU eine politische Einigung auch für die letzten poli- den, welches die zentralen schweizerischen Interes- tisch sensiblen Differenzen gefunden werden – es sen wie auch die wichtigen Anliegen der EU ging um die Frage des Informationsaustauschs bei berücksichtigt. Wie von der Schweiz angestrebt, Fiskaldelikten im Rahmen von Rechts- und Amtshilfe: wurden alle Abkommen, inklusive Schengen/Dublin, • Bei Schengen/Dublin erhält die Schweiz eine un- gemeinsam abgeschlossen. Umgekehrt kooperiert befristete Ausnahme (Opt out) für den Fall, dass die Schweiz mit der EU bei der grenzüberschreiten- bei der Weiterentwicklung des Schengen Acquis den Zinsbesteuerung und sie dehnt ihre Zusammen- auch bei Hinterziehungsdelikten eine Verpflich- arbeit bei der Betrugsbekämpfung im indirekten tung zur Rechthilfe entstehen würde. Steuerbereich aus. • Bei der Betrugsbekämpfung dehnt die Schweiz die Zusammenarbeit im Bereich der indirekten Steuern Am 26. Oktober 2004 wurden die bilateralen Ab- auf Fälle von Hinterziehungsdelikten aus (Inländer- kommen II unterzeichnet. Am 17. Dezember 2004 behandlung). hat sie das Schweizer Parlament in Form einzelner Bundesbeschlüsse genehmigt. Sieben der Abkom- Während der ganzen Verhandlungsdauer verfolgte men unterlagen dem fakultativen Referendum, wel- die Schweiz das Prinzip des Parallelismus: Ein Abschluss ches jedoch nur gegen die Assoziierungsabkommen 8
Schengen/Dublin ergriffen wurde. Das Schweizer Ausnahme der staatlichen Beihilfen – in der Kompe- Volk hat die Vorlage am 5. Juni 2005 mit 54,6% tenz der EU-Kommission sowie des Europäischen Ja-Stimmen angenommen. Im Gegensatz zu den Bi- Gerichtshofs). lateralen I sind die Bilateralen II nicht rechtlich mitei- nander verknüpft, sondern können gemäss den Die bilateralen Abkommen beruhen entweder auf jeweiligen Bestimmungen und unabhängig vonein- der Gleichwertigkeit der Gesetzgebung (wie z.B. der ander in Kraft treten. Bis auf das Betrugsbekämp- Abbau technischer Handelshemmnisse und das Ab- fungsabkommen sind alle in Kraft. Schengen/Dublin kommen über das öffentliche Beschaffungswesen) sind am 1. März 2008 formell in Kraft getreten. Die oder auf der (wörtlichen) Übernahme des EU-Acquis operative Beteiligung folgte am 12. Dezember 2008, (wie z.B. im Fall des Luftverkehrsabkommens und von nachdem im Rahmen einer Evaluation Schengen- Schengen/Dublin). Die Kooperationsabkommen re- Expertenteams überprüft hatten, ob die Schweiz die geln die Zusammenarbeit im Rahmen von EU-Pro- Schengener Standards einhält (in den Bereichen Aus- grammen und Agenturen (z.B. das Forschungsab- sengrenzschutz, Anschluss an die europaweite Com- kommen und das Abkommen zur Beteiligung an der puterfahndungsdatenbank SIS, Datenschutz, Visa, Umweltagentur). Polizeizusammenarbeit). Die Inkraftsetzung wurde am 29. März 2009 abgeschlossen und die Flughäfen Die Abkommen und deren Weiterentwicklung wer- haben das Schengen-Regime zusammen mit dem den durch Gemischte Ausschüsse verwaltet. Darin Fahrplanwechsel eingeführt. sind beide Vertragsparteien mit gleichen Rechten vertreten. Sie überwachen das gute Funktionieren Ausdehnung der Personenfreizügigkeit der Abkommen. Sie sind die Plattform für den Infor- In einem am 26. Oktober 2004 unterzeichneten Pro- mationsaustausch, für Beratungen zwischen den tokoll haben sich die Schweiz und die EU über die Parteien sowie für gegenseitige Konsultationen. Im Ausdehnung des Personenfreizügigkeitsabkommens Fall von Differenzen können die Parteien an sie ge- auf die zehn 2004 beigetretenen Mitgliedstaaten ge- langen. In den Gemischten Ausschüssen entscheiden einigt. Das Parlament verknüpfte dieses erste Proto- die beiden Parteien mit Einstimmigkeit. Sie haben koll mit einer Revision der flankierenden Massnah- aber nur in den von den Abkommen vorgesehenen men, u.a. gegen Lohn- und Sozialdumping, zu einem Fällen Entscheidungsgewalt. Auf Schweizer Seite Bundesbeschluss und genehmigte diesen im Winter entscheidet in der Regel der Bundesrat auf der 2004. Infolge des EU-Beitritts von Bulgarien und Ru- Grundlage einer Kompetenzdelegation, die durch die mänien am 1. Januar 2007 haben die Schweiz und eidgenössischen Räte genehmigt worden ist. Bei- die EU in einem weiteren Protokoll (Protokoll II) eine spielsweise können die Gemischten Ausschüsse über angemessene Übergangsregelung der Freizügigkeit die Änderungen der Anhänge der Abkommen be- auf diese beiden EU-Staaten ausgehandelt. schliessen, deren Inhalte technischer Natur sind (es handelt sich z.B. um Listen der Gesetzgebungen, der Bezüglich der Ausweitung der Personenfreizügigkeit Behörden oder um Produktelisten). Änderungen der auf Kroatien hat der Bundesrat am 30. April 2014 Abkommensbestimmungen selbst und insbesondere Massnahmen beschlossen, die Lösungen für separate die Einführung von neuen Verpflichtungen für die Kontingente für kroatische Staatsangehörige im Rah- Vertragsparteien müssen gemäss den jeweiligen in- men der Zulassung von Drittstaatenangehörigen zum ternen Verfahren der Vertragsparteien genehmigt Schweizer Arbeitsmarkt vorsehen. Es handelt sich um werden. diejenigen Kontingente, welche ab dem Zeitpunkt der Unterzeichnung von Protokoll III und bis zu des- Von besonderer Natur sind die Gemischten Ausschüsse sen Inkraftsetzung gewährt worden wären. zu den Assoziierungsabkommen von Schengen/Dublin, insofern sie zwei unterschiedliche Funktionen aus- Rechtlicher und institutioneller Rahmen üben: Einerseits überwachen sie das ordnungsgemässe Sämtliche Abkommen beruhen auf der klassischen Funktionieren der Abkommen. Andererseits nehmen zwischenstaatlichen Zusammenarbeit, d.h. die Ver- sie die Weiterentwicklung des Rechtsbestandes in tragsparteien haben mit dem Abschluss der Abkom- den Bereichen Schengen/Dublin vor. Bei der Aus- men keinerlei Gesetzes- und Entscheidungsbefugnisse übung dieser zweiten Funktion treffen sich die Ge- an eine supranationale (überstaatliche) Instanz über- mischten Ausschüsse auf verschiedenen Ebenen: Auf tragen. Jede Partei ist für die ordnungsgemässe Expertenebene, auf hoher Beamtenebene sowie auf Durchführung der Abkommen auf dem eigenen Ministerebene. Hoheitsgebiet verantwortlich (Ausnahme ist die Ein- haltung der Wettbewerbsregeln im Bereich Luftfahrt: Die bilateralen Abkommen können nur im gemein- Deren Überwachung und Durchsetzung liegen – mit samen Einverständnis der Parteien geändert werden, sie 9
sind keiner automatischen Veränderung unterworfen. Wirtschaftliche Vorteile ergeben sich durch folgende Bei den Verträgen, welche auf der Gleichwertigkeit Effekte: der Gesetzgebung beruhen, liegt es aber oft im Inte- resse beider Parteien, diese Gleichwertigkeit auch bei • Für Schweizer Unternehmen eröffnen sich neue einer Rechtsentwicklung aufrechtzuerhalten. Der Geschäftsmöglichkeiten in bisher geschlossenen Nachvollzug von Entwicklungen des EU-Rechts im Märkten, namentlich bei gewissen Agrarproduk- Anwendungsbereich eines Abkommens ist in der Re- ten, im Luftverkehr, im Landverkehr sowie bei gel nötig, um gleiche Wettbewerbsbedingungen auf- öffentlichen Beschaffungen. Schweizer Anbieter recht zu erhalten (z.B. durch Vermeidung technischer in diesen Sektoren können nun leichter auf dem Handelshemmnisse). Dazu kommen Gründe wie ein europäischen Markt tätig werden und dadurch Interesse an gleich hohen Standards in Bereichen wie potenzielle Grössenvorteile (sog. Skaleneffekte) Sicherheit, Gesundheit und Umwelt. Für den Fall, nutzen. Beispielsweise erhalten Schweizer Anbieter dass eine Partei beabsichtigt, Rechtsvorschriften im die gleichen Zugangsbedingungen wie ihre euro- Anwendungsbereich des Abkommens zu ändern, päischen Konkurrenten bei öffentlichen Beschaf- sind Verfahren für Informationsaustausch und Kon- fungen im Bereich der kommunalen Versorgungs-, sultationen vorgesehen. Entsorgungs- und Transportinfrastruktur – ein Segment, in dem gerade in Mittelosteuropa noch In der Folge der EU-Beitritte der zehn am 1. Mai 2004 ein grosser Aufholbedarf besteht, der in den kom- beigetretenen Staaten, von Bulgarien und Rumänien menden Jahren mit beträchtlicher finanzieller am 1. Januar 2007 sowie von Kroatien am 1. Juli Unterstützung der EU gedeckt werden soll. 2013 gelten die bilateralen Abkommen auch für die- • Umgekehrt haben ausländische Anbieter freien se neuen EU-Staaten. Denn diese übernehmen mit Zutritt zum Schweizer Markt, was tendenziell den dem EU-Rechtsbestand auch die internationalen Wettbewerbsdruck in den betreffenden Sektoren Übereinkommen der EU mit Drittstaaten wie der erhöht und dadurch Anreize zur Produktivitätsstei- Schweiz. Die Ausdehnung der bilateralen Abkom- gerung generiert. men auf neue EU-Staaten erfolgt ohne Neuverhand- • Unmittelbare Einsparungen sind im bisher schon lung, die Ausnahme ist das Freizügigkeitsabkommen. liberalisierten Warenverkehr durch die Vereinfa- In diesem Abkommen ist neben der EU jeder Mit- chung der Regeln zur Produktzulassung (Abbau gliedstaat ein Vertragspartner («gemischtes Abkom- technischer Handelshemmnisse) möglich: Die men»); es muss darum bei jeder EU-Erweiterung in Prüfung, ob für den gesamteuropäischen Markt Neuverhandlungen angepasst werden. bestimmte Produkte die geltenden Vorschriften erfüllen (Konformitätsbewertung) wird nur noch Wirtschaftliche Bedeutung bei einer einzigen Zertifizierungsstelle in der Die Bilateralen I (von 1999) ergänzen das Freihandels- Schweiz oder in der EU vorgenommen. abkommen von 1972 durch eine schrittweise und • Den grössten wirtschaftlichen Effekt weist die Per- kontrollierte gegenseitige Marktöffnung. Dadurch sonenfreizügigkeit auf: Sie erleichtert die Entsen- werden die Beziehungen zwischen den beiden wich- dung von Schweizer Personal in die EU-Staaten tigen Handelspartnern auf eine breitere Grundlage einerseits sowie die Rekrutierung von Arbeitskräf- gestellt. Vom Abbau der Handelshemmnisse profitie- ten für den Schweizer Arbeitsmarkt andererseits. ren beide Seiten. Erleichterte Handelsbedingungen Durch das Personenfreizügigkeitsabkommen er- und verstärkter Wettbewerb bewirken Wachstums- weitert sich der schweizerische Markt für Arbeits- effekte, welche wiederum Arbeitsplätze sichern und kräfte faktisch auf den ganzen EU- bzw. EWR- schaffen. Raum. Erleichterte Bedingungen für den Einsatz von internationalen Arbeitskräften fördern die Die positiven wirtschaftlichen Auswirkungen der sek- Effizienz und damit das Wachstum der Schweizer toriellen Abkommen sind heute unbestritten. Der Unternehmen, da sie leichter geeignetes Personal Dachverband der Schweizer Wirtschaft, Economie- für bestimmte Qualifikationen rekrutieren können. suisse, bezeichnet die Verträge als «unentbehrlich Die Gefahr von Personalengpässen und entspre- und unumgänglich». Durch deren Ausdehnung auf chend überhöhten Löhnen wird dadurch gemildert. die osteuropäischen Wachstumsmärkte der neuen Dies ist umso wichtiger, als das Angebot schwei- EU-Staaten haben die bilateralen Abkommen weiter zerischer Arbeitskräfte mittelfristig aus demogra- an Bedeutung gewonnen. Als wirtschaftlich beson- fischen Gründen zurückgehen dürfte. Dadurch ders wichtig gelten die Personenfreizügigkeit, der werden die Produktivität und schliesslich das Brutto- Abbau der technischen Handelshemmnisse sowie das inlandprodukt gefördert und der schweizerische öffentliche Beschaffungswesen. Arbeitsmarkt bleibt auf Dauer attraktiv. 10
Die zweite Serie bilateraler Abkommen, die Bilateralen II, 2004 beigetretenen zehn EU-Staaten zu leisten. Die geht über den hauptsächlich wirtschaftlichen Rahmen Schweiz beteiligte sich mit diesem Erweiterungsbei- der bilateralen Abkommen I hinaus, indem sie die Zusam- trag nicht an der Kohäsionspolitik der EU, sondern menarbeit auf wichtige politische Bereiche wie Sicherheit, leistete diesen autonom und in enger Zusammenar- Asyl, Umwelt und Kultur ausdehnt. Nur das Abkom- beit mit den Empfängerländern. Die allgemeinen men über die landwirtschaftlichen Verarbeitungspro- Modalitäten dieses Engagements wurden zwischen dukte, welches Exporterleichterungen für die Nahrungs- der Schweiz und der EU in einem Memorandum of mittelindustrie bringt, ist ein Marktöffnungsabkommen Understanding im Februar 2006 abgesprochen. Mit im Sinne der Bilateralen I. Die Bilateralen II decken dem Ja zum Bundesgesetz über die Zusammenarbeit aber auch andere wirtschaftliche Interessen ab wie: mit den Staaten Osteuropas am 26. November 2006 schaffte das Schweizer Stimmvolk die nötige Rechts- • Die Interessen des Finanzplatzes (Zinsbesteuerung, grundlage für dieses Engagement. Betrugsbekämpfung); • die Stärkung des Tourismus-Standorts Schweiz Auf der Grundlage des Osthilfegesetzes sprach sich durch die Einführung des Schengen-Visums der Bundesrat für einen zusätzlichen Erweiterungs- (Schengen/Dublin); beitrag im Umfang von insgesamt 257 Mio. CHF zu- • Steuervorteile für international tätige Schweizer gunsten der 2007 beigetretenen EU-Länder Rumäni- Unternehmen, welche durch die Übernahme der en und Bulgarien aus. Zudem hat der Bundesrat am Mutter-Tochter-Richtlinie steuerlich entlastet wer- 28. Mai 2014 dem Parlament eine Finanzierungsbot- den (Zinsbesteuerung). schaft zum Erweiterungsbeitrag von 45 Mio. CHF zugunsten Kroatiens überwiesen, das der EU am Wirtschaftliche Eckdaten Schweiz–EU 1. Juli 2013 beigetreten ist. Mit dem EU-Beitritt von Bulgarien, Rumänien und Kroatien ist der EU-Binnenmarkt auf über 505 Mio. Personen angewachsen Der Erweiterungsbeitrag ist Ausdruck der schweize- und als Wirtschaftspartner der Schweiz noch bedeutender rischen Solidarität mit der erweiterten EU und gleich- geworden. Jeden dritten Franken verdient die Schweiz im Austausch mit der EU. zeitig die Weiterführung einer konsequenten Interes- senpolitik: Die Schweiz profitiert politisch und 55% der Schweizer Exporte (2013: rund 116 Mrd. CHF) gehen wirtschaftlich von der zunehmenden Stabilität und in den EU-Raum. Umgekehrt stammen 73% der Schweizer Sicherheit, welche Auswirkungen einer erfolgreichen Importe (2013: rund 135 Mrd. CHF) aus der EU. Damit ist die Schweiz zweitgrösster Absatzmarkt für EU-Produkte (2013). Integration der neuen EU-Staaten sind. Ebenfalls bei den Direktinvestitionen ist die EU wichtigste Partnerin: Rund 79% des ausländischen Kapitals in der Schweiz Als europäischer Staat nimmt die Schweiz ihre Mitverantwortung stammt aus der EU (2012: insgesamt rund 532 Mrd. CHF); für Sicherheit und Wohlstand auf dem Kontinent wahr und zwar umgekehrt befinden sich rund 43% der schweizerischen durch ein Engagement, das über die vertraglichen Beziehungen Direktinvestitionen im Ausland in der EU (2012: rund 458 Mrd.CHF). zur EU hinausgeht: • Sie ist Mitglied des Europarates, der Europäischen Freihandels- Auch bei den Arbeitskräften ist die Verflechtung mit der EU assoziation EFTA sowie der Organisation für Sicherheit und besonders stark: Ende 2013 wohnten und arbeiteten mehr als Zusammenarbeit in Europa OSZE. 438’000 Schweizerinnen und Schweizer in den EU-Staaten. • Die Schweiz engagiert sich (im Rahmen der UNO, der EU und Umgekehrt lebten 2013 1’279’455 EU-28/EFTA-Bürgerinnen der OSZE) in der militärischen sowie zivilen Friedensförderung und -Bürger in der Schweiz; dazu kommen mehr als 278’000 im Balkan und bietet als traditionelles Asylland einen sicheren Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus der EU. Hafen für die Opfer der europäischen Krisen. • Seit 1990 unterstützt die Schweiz die Reformen in den (Quellen: Eidgenössische Zollverwaltung EZV, Bundesamt für ehemals kommunistischen Staaten Mittel- und Osteuropas – Statistik BFS und Schweizerische Nationalbank SNB) den sog. Transitionsprozess – mit substanziellen Mitteln (insgesamt 3,4 Mrd. CHF). • Schliesslich leistet das Transitland Schweiz mit dem Bau der Erweiterungsbeiträge Eisenbahn-Alpentransversalen NEAT einen wichtigen Beitrag Im Rahmen ihrer Europapolitik nimmt die Schweiz zum guten Funktionieren des EU-Binnenmarkts: einen Beitrag für einen Waren- und Personenverkehr zwischen dem Norden auch ihre Mitverantwortung in Europa wahr. Ein und Süden Europas, der effizient und zugleich auch wichtiges Element dieser Politik besteht darin, dass umweltverträglich ist. die Schweiz die demokratischen und wirtschaftlichen Reformen der ehemals kommunistischen Staaten Osteuropas seit Ende des Kalten Kriegs unterstützt (traditionelle Osthilfe). In diesem Zusammenhang Weitere Informationen Direktion für europäische Angelegenheiten DEA erklärte sich der Bundesrat am 12. Mai 2004 bereit, Tel. +41 58 462 22 22, europa@eda.admin.ch, einen Beitrag von 1 Mrd. CHF zur Verringerung der www.eda.admin.ch/europa wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten an die 11
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Freihandel Das Freihandelsabkommen (FHA) zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) von 1972 schafft eine Freihandelszone für industrielle Erzeugnisse und regelt den Handel mit verarbeiteten Landwirtschaftsprodukten. Industrieprodukte mit Ursprung im Gebiet der beiden Vertragsparteien können aufgrund des FHA zollfrei gehandelt werden. Das Abkommen verbietet zudem mengenmäs- sige Handelsbeschränkungen (Kontingente) und Massnahmen mit gleicher Wirkung (z.B. diskriminie- rende Verkaufsmodalitäten). Das FHA stellt einen tragenden Pfeiler der Handelsbeziehungen zwi- schen der Schweiz und der EU dar. 2013 flossen rund 55% der Schweizer Exporte in den EU-Raum. Umgekehrt stammten 73% aller Schweizer Importe aus der EU. Chronologie • 1.1.1973: Inkrafttreten des Abkommens • 3.12.1972: Genehmigung durch das Volk und die Stände • 22.7.1972: Unterzeichnung des Abkommen Stand der Dinge schaftsblöcke zu vermeiden und einen westeuropäi- Die Zusammenarbeit der Schweiz und der EU im Rah- schen Grossmarkt zu schaffen, wurden Anfang der men des Freihandelsabkommens währt bereits seit über 1970er Jahre zwischen der Europäischen Wirtschafts- 40 Jahren. Der Gemischte Ausschuss, der sich regel- gemeinschaft (EWG) und den einzelnen Mitgliedstaa- mässig trifft, verwaltet das Abkommen und überwacht ten der EFTA Freihandelsabkommen geschlossen. seine Umsetzung. Im Fokus der Gespräche an seinem Auch die Schweiz, eines der Gründungsmitglieder letzten Treffen am 11. Dezember 2013 (59. Sitzung) der EFTA, beteiligte sich an den Verhandlungen und standen die Anwendung von Antidumpingzöllen sei- unterzeichnete 1972 mit der EWG ein FHA. Dieses tens der EU, neue Kennzeichnungsvorschriften der EU erlaubte es ihr, die wirtschaftlichen Beziehungen mit für Konsumgüter, die geplante Totalrevision der Schwei- der EWG zu vertiefen ohne dabei ihre Kompetenz zer Alkoholgesetzgebung sowie mögliche Auswirkun- aufzugeben, mit Drittstaaten eigenständig aussen- gen der im Juni 2013 vom Parlament verabschiedeten wirtschaftliche Verträge abzuschliessen. Obwohl ge- «Swissness»-Vorlage. Zudem bestätigte der Ausschuss mäss Bundesverfassung nicht erforderlich, wurde das seine Absicht, im Hinblick auf die Anwendung des re- FHA dem obligatorischen Referendum unterstellt. gionalen Übereinkommens über die Pan-Europa-Mittel- Das Freihandelsabkommen fand am 3. Dezember meer-Präferenzursprungsregeln im Rahmen des Frei- 1972 beim Volk mit 72,5% Ja-Stimmen und bei allen handelsabkommen (FHA) die verbleibenden technischen Ständen breite Zustimmung. Fragen bald zu lösen. Dieses Übereinkommen sieht vor, dass die Ursprungszone der EU, der EFTA, der mediter- Inhalt ranen Freihandelspartner und der Türkei neu auf die Das FHA verbietet für die vom Abkommen abgedeck- Westbalkanstaaten ausgedehnt wird. Dazu muss das ten Produkte Zölle und mengenmässige Beschrän- entsprechende Protokoll Nr. 3 (Ursprungsprotokoll) kungen sowie Massnahmen mit gleicher Wirkung durch einen Beschluss des Gemischten Ausschusses an (z.B. nicht-tarifäre Handelshemmnisse). Das FHA das neue System angepasst werden. deckt nur Industrieprodukte ab, der Handel mit Land- wirtschaftsprodukten ist davon ausgenommen und Hintergrund wird in einem separaten Abkommen geregelt. Die Mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsge- landwirtschaftlichen Verarbeitungsprodukte nehmen meinschaften (1957) einerseits und der Schaffung eine Sonderstellung zwischen Industrie und Land- einer Europäischen Freihandelsassoziation EFTA (Eu- wirtschaft ein, insofern sie einerseits aus einem land- ropean Free Trade Association) 1960 andererseits wirtschaftlichen Rohstoffteil und andererseits aus bildeten sich in Westeuropa zwei getrennte Integra- einem industriellen Verarbeitungsteil bestehen. Ihre tionsmodelle. Um eine Aufspaltung in zwei Wirt- zolltarifäre Behandlung wird durch das Protokoll Nr. 2 13
zum FHA geregelt. Der industrielle Verarbeitungsteil Gazastreifen) begonnen. Mit der Unterzeichnung ist beidseitig zollfrei, während die Kostenunterschie- der Regionalen Konvention über präferenzielle Ur- de bei den verwendeten Agrarrohstoffen zwischen sprungsregeln für den Pan-Euromed-Raum soll das den Vertragsparteien über Zölle und Exportsubventi- Kumulationssystem vereinfacht und künftig auch auf onen weiterhin ausgeglichen werden. Das Protokoll die Länder im Westbalkan ausgedehnt werden. Die Nr. 2 wurde im Rahmen der Bilateralen II revidiert und Konvention wurde am 28. November 2011 von der dadurch der Marktzugang für die Produkte der Nah- Schweiz ratifiziert und trat am 1. Januar 2012 für die rungsmittelindustrie stark verbessert (siehe Informati- Schweiz und die übrigen EFTA-Staaten in Kraft. Am onsblatt «Landwirtschaftliche Verarbeitungsprodukte»). 1. Mai 2012 trat die Konvention für die EU in Kraft. Damit die Konvention im FHA umgesetzt und das Die Zollfreiheit für Industrieprodukte gilt nur inner- Kumulationssystem auch auf die Länder des West- halb der Freihandelszone. Im Unterschied zu einer balkans anwendbar werden, muss das Protokoll Nr. 3 Zollunion definieren die Freihandelspartner ihre Aus- durch einen Beschluss des Gemischten Ausschusses senzölle und Kontingente gegenüber Drittstaaten an das neue System angepasst werden. eigenständig. Aus diesem Grund findet an den Gren- zen der Freihandelspartner weiterhin eine Zollabfer- Bedeutung tigung statt. Es soll unter anderem sichergestellt wer- Die Partnerschaft im Rahmen des FHA, die 2012 ihr den, dass die importierten Waren nur dann von den 40-jähriges Bestehen feiern konnte, bildet die Grund- Vorzugsbestimmungen des FHA profitieren, wenn lage der intensiven Handelsbeziehungen der traditi- diese ihren Ursprung im Gebiet der Vertragsparteien onell stark exportorientierten Schweiz mit ihren wich- haben. tigsten Wirtschaftspartnern, der EU und ihren 28 Mitgliedstaaten. 2013 exportierte die Schweiz Waren Das Protokoll Nr. 3 (Ursprungsprotokoll) zum FHA im Wert von 116 Mrd. CHF in die EU-Staaten. Umge- regelt mit den Ursprungsregeln die Bedingungen, kehrt importierte die Schweiz Waren aus der EU im nach welchen Industrieprodukte Ursprung in der Wert von 135 Mrd. CHF. 2013 stellte die Schweiz Schweiz oder der EU haben und somit gemäss FHA nach den USA und noch vor China den zweitgrössten zollfrei gehandelt werden können (Ursprungswaren). Absatzmarkt für EU-Waren und war im selben Jahr Produkte aus Drittstaaten, welche diese Bedingun- hinter den USA, China und Russland der viertwich- gen nicht erfüllen, sind keine Ursprungswaren und tigste Handelspartner der EU. Das Handelsvolumen fallen nicht in den Anwendungsbereich des FHA. ist in den letzten 20 Jahren durchschnittlich um rund Eine Ausnahme bildet dabei die im FHA vorgesehene 4% pro Jahr gewachsen und expandiert damit etwa Ursprungskumulation. Diese ermöglicht, dass im bi- im Gleichschritt mit dem gesamten Aussenhandel. lateralen Handel oder im Rahmen eines Kumulati- Ein Grossteil dieser Warenflüsse fällt unter den An- onssystems (z.B. paneuropäisches System zur Kumu- wendungsbereich des FHA. lation des Ursprungs: EU-28, EFTA-4, Türkei) Ursprungswaren eines Mitgliedstaates in den ande- ren Mitgliedstaaten dieses Systems weiterbearbeitet werden können, ohne dass diese ihren Präferenzsta- Weitere Informationen tus (Zollbefreiung) als Ursprungsware verlieren. Im Staatssekretariat für Wirtschaft SECO Rahmen des Euro-Med-Kumulationssystems wurde Tel. +41 58 462 56 56, info@seco.admin.ch, www.seco.admin.ch mit der schrittweisen Ausdehnung der Möglichkeit Direktion für europäische Angelegenheiten DEA einer Ursprungskumulation auf Mittelmeerländer Tel. +41 58 462 22 22, europa@eda.admin.ch, (Ägypten, Algerien, Israel, Jordanien, Libanon, Ma- www.eda.admin.ch/europa rokko, Syrien, Tunesien, Westjordanland und der 14
Versicherungen Das Versicherungsabkommen von 1989 öffnet bestimmte Bereiche des Versicherungsmarktes zwi- schen der Schweiz und der Europäischen Union (EU). Schweizer Versicherer können im Bereich der direkten Schadensversicherung (Hausrats-, Kraftfahrzeug-, Reise-, Haftpflichtversicherungen usw.) gleichberechtigt Agenturen und Zweigniederlassungen im EU-Raum gründen oder erwerben. Dabei reduziert das Abkommen auch regulatorische Anforderungen. Gleiches gilt für EU-Versicherer in der Schweiz. Das Abkommen trägt somit zu einer verbesserten internationalen Positionierung von Schweizer Versicherungsgesellschaften bei. Chronologie • 1.1.1993: Inkrafttreten des Abkommens • 30.1.1992: Genehmigung durch das Parlament • 1.10.1989: Unterzeichnung des Abkommens Hintergrund ner Zweigniederlassung in der EU keine zusätzliche, auf 1973 verabschiedete die damalige Europäische Wirt- die Zweigniederlassung begrenzte Solvenzberechnung schaftsgemeinschaft (EWG) eine Richtlinie, welche vornehmen muss. Die Aufsichtsbehörde des EU-Mit- bezüglich der Ausübung und Aufnahme einer Tätig- gliedsstaats, in dem die Zweigniederlassung beheima- keit im Bereich der Direktversicherungen (mit Aus- tet ist, stützt sich stattdessen auf die Solvenzbede- nahme der Lebensversicherung) die Diskriminierung ckung, welche die Eidgenössische Finanzaufsicht mitgliedstaatlicher Versicherungseinrichtungen ver- (FINMA) für die ganze Schweizer Versicherungsgesell- bietet, nicht aber eine Ungleichbehandlung von Un- schaft inklusive der Zweigniederlassung fordert. ternehmern aus EWG-Drittstaaten. Eine Diskriminie- rung von Schweizer Unternehmen war damit nicht Das Versicherungsabkommen ist ausschliesslich auf ausgeschlossen. Die schweizerische Versicherungs- den Bereich der direkten Schadensversicherung an- wirtschaft war zu jener Zeit im EWG-Raum in erheb- wendbar (Hausrats-, Kraftfahrzeug-, Reise-, Haft- lichem Umfang durch Niederlassungen vertreten und pflichtversicherungen usw.). Lebensversicherungen, deshalb daran interessiert, den dortigen Versicherern Rückversicherungen sowie gesetzliche Systeme der gleichgestellt zu sein. Aus diesem Grund nahm die sozialen Sicherheit fallen nicht in den Geltungsbereich Schweiz mit der EWG Verhandlungen über den Ab- des Abkommens. Zudem regelt das Abkommen nur schluss eines entsprechenden Abkommens auf. 1982 die Niederlassungsfreiheit, nicht den freien grenzüber- wurde dieses paraphiert. Allerdings waren in der schreitenden Dienstleistungsverkehr. EWG in der Zwischenzeit weitere Bestimmungen er- lassen worden, welche die EWG-Richtlinie von 1973 Bedeutung abänderten oder ergänzten. Unter Berücksichtigung Der Versicherungssektor nimmt innerhalb der Schwei- dieser Anpassungen wurde in der Folge das Abkom- zer Wirtschaft einen bedeutenden Stellenwert ein. men zwischen der Schweiz und der EWG überarbei- 2013 arbeiteten 48’400 Personen in der Schweiz und tet. 1989 wurde es erneut paraphiert und im selben 74’024 im Ausland für Schweizer Privatversicherer. Im Jahr unterschrieben. Bereich der Schadensversicherungen (Nicht-Lebensbe- reich) beliefen sich 2012 die über Zweigniederlassun- Inhalt gen generierten brutto Prämieneinnahmen aus der EU Das Versicherungsabkommen garantiert die Niederlas- auf 1,155 Mrd. CHF. Angesichts der hohen Bedeutung sungsfreiheit auf Basis der Gegenseitigkeit: Schweizer des europäischen Marktes stellte die Gewährleistung Versicherer können gleichberechtigt Agenturen und der Niederlassungsfreiheit für Schweizer Unternehmen Zweigniederlassungen im EU-Raum gründen oder er- in der EU einen wichtigen Schritt dar. Das Abkommen werben. Gleiches gilt für EU-Versicherer in der Schweiz. bewährt sich insbesondere, da es verschiedenen Ein weiterer Nutzen des Abkommens besteht darin, Schweizer Versicherungsgesellschaften ermöglicht hat, dass eine Schweizer Versicherungsgesellschaft mit ei- Zweigniederlassungen für den Nichtlebensbereich in 15
der EU zu gründen oder zu erwerben und diese unter Weitere Informationen reduzierten regulatorischen Anforderungen zu führen. Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA Dadurch können sich die betreffenden Gesellschaften Tel. +41 31 327 91 00, info@finma.ch, www.finma.ch international besser positionieren. 16
Zollerleichterungen und Zollsicherheit Mit dem Güterverkehrsabkommen von 1990 wurden die Kontrollen und Formalitäten im Güterver- kehr zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) geregelt. Es vereinfachte die Zollabfer- tigung der Waren und koordinierte die Zusammenarbeit an den Grenzstellen. 2009 wurde es durch das neue «Abkommen über Zollerleichterungen und Zollsicherheit» ersetzt. Das neue erweiterte Abkommen regelt zusätzlich die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich und verhindert die Anwen- dung entsprechender EU-Massnahmen für Drittstaaten auf die Schweiz, wie etwa die Voranmelde- pflicht für Importe. Dies vereinfacht die Zollkontrollen für die mehr als 20’000 Lastwagen, die täglich die Schweizer Grenze passieren. Chronologie • 1.1.2011: Inkrafttreten des revidierten Abkommens • 18.6.2010: Genehmigung durch das Parlament • 1.7.2009: Vorläufige Anwendung des revidierten Abkommens • 25.6.2009: Unterzeichnung des revidierten Abkommens • 1.7.1991: Inkrafttreten des Abkommens • 13.3.1991: Genehmigung durch das Parlament • 21.11.1990: Unterzeichnung des Abkommens Stand der Dinge Ferner wurden gemeinsam betriebene Zollanlagen Das ursprüngliche Güterverkehrsabkommen von und Transitschnellspuren eingeführt. Der Verkehrs- 1990 hat die Zollkontrollen zwischen der Schweiz fluss über die Grenzen sollte dank dem Abkommen und den EU-Staaten stark vereinfacht. 2009 wurde auch bei Streiks, Naturkatastrophen usw. gewährleis- das Abkommen revidiert. Ohne diese Anpassung wä- tet sein, ebenso die gegenseitige Information der Be- ren die im Jahr 2009 eingeführten EU-Zollsicherheits- hörden bei schweren Störungen. Die im Abkommen massnahmen auch auf die Schweiz als Nicht-EU-Mit- von 1990 aufgeführten Veterinär- und Pflanzen- gliedstaat angewandt worden. Damit hätten die schutzkontrollen sind nunmehr im bilateralen Abkom- Stauproblematik und die administrativen Hindernisse men zwischen der EG und der Schweiz vom 21. Juni im bilateralen Warenhandel an den wichtigsten 1999 über den Handel mit landwirtschaftlichen Er- Grenzübergängen zwischen der Schweiz und der EU zeugnissen geregelt, wobei die Veterinärkontrollen bedeutend zugenommen. Durch die Ausweitung des per 1. Januar 2009 abgeschafft wurden. Aus Sicher- bestehenden Abkommens auf den Bereich der Zoll- heitsüberlegungen hat die EU ab 1. Juli 2009 eine sicherheit im Jahr 2009 konnte dies verhindert wer- Voranmeldepflicht für Warenimporte aus bzw. für den. Warenexporte in Drittstaaten vorgesehen. Die Fristen für die Vorausmeldung betragen im Strassenverkehr Hintergrund eine Stunde, im Schienenverkehr zwei Stunden und Das Güterverkehrsabkommen von 1990 vereinfacht Schiffsverkehr mindestens vier Stunden. Wegen den und beschleunigt die Grenzkontrollen und -formali- engen wirtschaftlichen Beziehungen wurde eine täten zwischen der Schweiz und den EU-Staaten im möglichst handelsfreundliche Lösung für die Umset- Güterverkehr. Dazu wurden unter anderem die Öff- zung dieser Sicherheitsmassnahmen für den Waren- nungszeiten der Zollstellen auf beiden Seiten der verkehr Schweiz–EU gesucht und das Abkommen Grenzen aufeinander abgestimmt und wo nötig ver- entsprechend revidiert: Die Schweiz wird in Zollsicher- längert. Die Abfertigungskompetenzen der jeweili- heitsfragen grundsätzlich gleich wie ein EU-Mitglieds- gen Dienststellen wurden einander angeglichen, die staat behandelt. Damit ist im Warenverkehr zwischen Gleichwertigkeit der Kontrollen und Dokumente der Schweiz und der EU auch nach Einführung der wurde gegenseitig anerkannt und die Warenkontrol- neuen EU-Sicherheitsvorschriften keine Vorausmel- le erfolgt nunmehr nach dem Stichprobenprinzip. dung nötig. Die beiden Vertragspartner anerkennen 17
gegenseitig die Gleichwertigkeit ihrer auf ihrem jewei- Die Schweiz nimmt neu an den entsprechenden Arbeits- ligen Gebiet anwendbaren Sicherheitsstandards. gruppen der Europäischen Kommission teil und kann dadurch in der Phase der Ausarbeitung künftiger Dagegen unterliegt der Warenverkehr zwischen der Rechtsentwicklungen mitwirken (Mitspracherecht). Schweiz und den Nicht-EU-Mitgliedstaaten den neu- Die neuen Rechtsakte können provisorisch ange- en EU-Sicherheitsvorschriften betreffend Vorausan- wendet werden, doch die verfassungsmässigen meldung, Sicherheitskontrollen und Risikoanalysen. Genehmigungsverfahren beider Vertragsparteien 2013 entsprach dieser Warenverkehr mit Drittstaaten müssen bei jeder Weiterentwicklung des Abkom- rund 27% (Einfuhr) bzw. rund 45% (Ausfuhr) des mens eingehalten werden (keine automatische Über- gesamten schweizerischen Aussenhandels. Im Jahr nahme). Übernimmt beispielsweise die Schweiz eine 2013 wurden Güter im Wert von rund 135 Mrd. CHF Neuerung nicht und entstehen dadurch Sicherheits- aus der EU eingeführt und von etwa 116 Mrd. CHF lücken, kann die EU Ausgleichsmassnahmen ergrei- in die EU ausgeführt. Täglich passieren mehr als fen. Diese Massnahmen müssen aber verhältnismäs- 20’000 Lastwagen die Schweizer Grenze. Die Transi- sig sein. Im Streitfall über deren Verhältnismässigkeit tachsen der Schweiz werden von der EU für ihren kann mit dem Einverständnis beider Seiten ein Binnenwarenverkehr rege benutzt. Etwa 900’000 Schiedsgericht angerufen werden. Das Abkommen Lastwagen durchqueren jährlich die Schweiz, wovon gilt auch für das Fürstentum Liechtenstein, solange 70% in der EU immatrikuliert sind. das Fürstentum mit der Schweiz in einer Zollunion verbunden bleibt. Im Rahmen der Revision des Abkommens wurde auch das Verfahren für eine möglichst effiziente Anpassung des Abkommens an jeweilige Rechtsent- wicklungen neu geregelt. Um das gleichwertige Weitere Informationen Sicherheitsniveau zwischen der Schweiz und der EU Direktion für europäische Angelegenheiten DEA aufrecht zu erhalten, müssen die Schweiz und die Tel. +41 58 462 22 22, europa@eda.admin.ch, EU die Regeln gleich interpretieren und die entspre- www.eda.admin.ch/europa chenden Rechtsentwicklungen zeitgleich umsetzen. 18
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