Sprung nach vorne! Modell Deutschland: Von der Biologie zur Innovation 20 Jahre Deutscher Biotechnologie-Report 2018 - BIO Deutschland
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Sprung nach vorne! Modell Deutschland: Von der Biologie zur Innovation 20 Jahre Deutscher Biotechnologie-Report 2018
Impressum Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdrucks und der Vervielfältigung des Buches oder von Teilen daraus, sind vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung der Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm, Datenträger oder einem anderen Verfah- ren) reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Die Wiedergabe von Gebrauchs- und Handelsnamen sowie Waren- bezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne beson- dere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Die Zahlenangaben und Informationen basieren auf Daten, die im Rahmen einer Primärdatenerhebung und einer Sekundärdaten recherche von relevanten Unternehmen ermittelt wurden. Die in diesem Report wiedergegebenen qualitativen und quantitativen Einschätzungen wurden mit hoher Sorgfalt ermittelt, jedoch über- nimmt der Herausgeber keine Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben. Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Theodor-Heuss-Anlage 2, 68165 Mannheim Dr. Siegfried Bialojan Executive Director, Life Sciences Center Mannheim Telefon +49 621 4208 11405 siegfried.bialojan@de.ey.com April 2018 Layout und Produktion: CPoffice Bietigheim-Bissingen, Sabine Reissner
Die Ko-Autoren Die Cover Story des aktuellen Berichts ist durch das Zutun zweier Autoren entstanden, die bereits 2014 mit „1 % für die Zukunft“ konstruktiv mit Inhalt EY zusammengearbeitet hatten: Dr. Holger Zinke (Gründer BRAIN und Green Industries, Mitglied im Bioökonomierat). 20 Jahre Biotechnologie-Report von EY 4 Dr. Claus Kremoser (Gründer und 1 Perspektive CEO, Phenex Pharmaceuticals, Autor 20 Jahre EY Biotechnologie-Report 8 des ersten EY Biotech-Reports 1998). Eine Ruckrede 11 Das „Innovation Mindset“ 14 Aus ihren unterschiedlichen Perspekti- Das Innovationsökosystem Biotechnologie 17 ven auf Innovationskulturen und die Modell Deutschland – Handlungsempfehlungen zusammengefasst 18 Entwicklung des in Deutschland vorherr- schenden „Innovation Mindset“ ent- 2 Kennzahlen Biotech-Standort Deutschland stand gemeinsam schließlich der „Blue- Biotech in Deutschland behält Wachstum bei 30 print Deutschland: von der Biologie Neugründungen ohne Dynamik 32 zur Innovation“. 3 Finanzierung Zahlen und Fakten Deutschland 40 Zahlen und Fakten Europa 45 Zahlen und Fakten USA 48 4 Transaktionen Allianzen und M&A Deutschland 52 Allianzen Europa und USA 54 M&A Europa und USA 56 Methodik und Definitionen 58 Danksagung 59 Weitere Informationen finden Sie unter www.de.ey.com/lifesciences
20 Jahre Biotechnologie- Report von EY Im Rückblick erscheint die ursprüngliche Rationale nach wie vor plausibel: EY – damals noch „Schitag Ernst & Young“ – war Mitte der 90er-Jahre mit Alfred Müller als Pionier und Wegbereiter bereits in die Ausarbeitung eines der Gewinner- konzepte des BioRegio-Wettbewerbs eingebunden, des Startschusses für die Etablierung eines Biotech-Sektors in Deutschland. So war es folgerichtig, die weitere Entwicklung zu beobachten und mit Kennzahlen und Trendanalysen die wesentlichen Schritte zu dokumentieren. So wurden auch immer wieder Diskussionen angestoßen über herausragende Ereignisse, dahinterstehende Erfolgsfaktoren oder notwendige Anpassungen von Rahmenbedingungen. Der erste Deutsche Biotechnologie-Report 1998 unter dem Titel „Aufbruchstimmung“ traf bereits zielgenau die Stimmung in der jungen Branche. Aussagekräftige Titel blieben seitdem ein Markenzeichen der Reportserie. Im Verlauf der 20 Jahre gab es Höhen und Tiefen – ein erster Börsen-Boom um die Jahrtausendwende war aus heutiger Sicht deutlich zu früh für die meist noch jungen und unerfahrenen Unternehmen und ihre Investoren. Er steigerte zwar die Euphorie und legte für einige der damaligen Unternehmen tatsächlich den Grundstein für nachhaltigen Erfolg (z. B. Qiagen, MorphoSys, Evotec), andere gibt es heute aber nicht mehr (z. B. Lion Bioscience). Die nachfolgende Periode der Ernüchterung leitete eine Diskussion ein, die bis heute für den Biotech-Sektor in Deutschland prägend ist: Es gibt zwar große Potenziale in der Wissenschaft, aber deutliche Defizite in der Überführung neuer Ideen in kommerziell erfolg- reiche Innovationen und vor allem in der dafür notwendigen Eigenkapitalausstattung. Auch dies kommt durch die Titel der Biotech-Reportserie wie „Neue Chancen“ (2002), „Per Aspera ad Astra“ (2004), „Verhaltene Zuversicht“ (2007) oder „Fallstrick Finanzierung“ (2009) immer wieder zum Ausdruck. Zehn Jahre später kommen erstmals Gedanken auf, die erkennen lassen, dass Erfolgsmodelle in den USA oder Israel nicht einfach auf den Sektor in Deutschland übertragbar sind. Es geht um „Neue Spielregeln“ (2010), Ansätze, die „Maßgeschnei- dert“ (2012) sind, und schließlich um ein „Umdenken“ (2013), das spezifische Stärken besonders heraushebt – z. B. Technologieplattformen und daraus abgeleitete flexiblere Geschäftsmodelle – und diese als Basis für ein „Modell Deutschland“ in Betracht zieht. Ein Meilenstein stellt der Report 2014 dar. „1 % für die Zukunft“ rückt das zentrale Hindernis über all die Jahre in den Mittelpunkt: die unzureichende Mobilisierung von Privatkapital. Dazu bedarf es nicht nur passender politischer Anreiz- systeme. Ein gesellschaftlicher Diskurs über eine neue Innovationskultur ist gefordert: mit einem anderen Bild von Unternehmertum, damit eng verbunden mit einer Änderung im Umgang mit Risiko, einem Verständnis für Beteiligungen an Unternehmen und für die Notwendigkeit von Eigenkapital als Innovationstreiber. Schließlich konkretisiert „Spot on Innovation“ (2017) diese Themen weiter und zeigt anhand von Best-Practice-Beispielen, dass diese Forderungen nicht vollkommen illusorisch sind, sondern deren Umsetzung in Einzelfällen durchaus auch in Deutschland möglich ist. Über den thematischen roten Faden von 20 Jahren EY Biotech-Report spannt sich ein weiterer Bogen, eine Koinzidenz auf der Ebene der handelnden Personen: Autor und wesentlicher Treiber des ersten Ernst & Young Biotech-Reports 1998 war Dr. Claus Kremoser, zusammen mit Ingo Köhler und dem damaligen Life-Sciences-Team unter Mentorship von Alfred Müller. Mit Claus Kremoser stand nicht nur ein ausgezeichneter intellektueller Kopf am Anfang der Geschichte dieser Reports. Er hat im Weiteren mit der Entwicklung seines Biotech-Unternehmens Phenex Pharmaceuti- cals ein Beispiel gegeben für Unternehmertum, damit verbundener Risikoakzeptanz und dem Willen zum Erfolg. Mit 4 | Deutscher Biotechnologie-Report 2018
1998 Dr. Claus Kremoser 2018 Dr. Siegfried Bialojan „Ein Grund zum Feiern!“ oder besser: „Ein Grund zum Feiern?“ Bei solch einem runden Jubiläum stellt man sich die Fragen: Was hat am Anfang Anlass gegeben, diese Reports aufzulegen? Welche richtungsweisenden Ereignisse haben den langen Zeitverlauf geprägt? Sind wir nach 20 Jahren besser aufgestellt? seinem Engagement für die Biotech-Branche hat er insgesamt grundlegende Beiträge geliefert für die bereits erwähnte gesellschaftliche Diskussion. Die Inhalte von „1 % für die Zukunft“ gehen im Wesentlichen auf die Überlegungen von ihm und dem weiteren Vorzeigeunternehmer, Dr. Holger Zinke, Gründer und ehemaliger CEO der BRAIN AG, zurück. In der Fortführung des roten Fadens der EY Biotech-Reports haben Claus Kremoser und Holger Zinke erneut auch in der aktuellen Ausgabe die Inhalte durch ihren Input bereichert und mitgestaltet. Der aktuelle Biotech-Report 2018 vertieft die Diskussion über ein erfolgreiches „Innovationsökosystem Biotechnologie“ in Deutschland weiter. Dabei werden zunächst die kulturellen Voraussetzungen („Innovation Mindset“) sowohl aus historischer Perspektive als auch im Vergleich mit anderen Ländern beleuchtet. Allein diese Analyse zeigt, dass einer- seits ein gewaltiger „Sprung nach vorne“ notwendig ist, andererseits aber einfaches Kopieren nicht zielführend sein kann. Vielmehr resultiert daraus die Forderung, die wesentlichen vier Komponenten dieses Innovation Mindset mit den realistisch vorhandenen Möglichkeiten in Deutschland anzugehen: Translation der exzellenten Wissenschaft in kom- merzielle Entwicklungen, Stärkung von Unternehmertum, Schaffung von Anreizen für innovative KMU, Aufbau einer Eigenkapitalkultur sowie eines funktionierenden Kapitalökosystems. Am Ende steht der Versuch, einen „Blueprint“ für den Weg „von der Biologie zur Innovation“ – wie es auch im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung steht – zu entwerfen und eine brancheninterne, aber auch gesellschaftliche Diskussion anzubieten. Auf globaler Ebene werden wir künftig anstelle von „Beyond Borders“ und „Pulse of the Industry“ relevante Branchen- informationen auf unserer neuen Internetplattform „Vital Signs“ (www.ey.com/vitalsigns) sowie mit dem neuen Format „Firepower Report“ bereitstellen. EY betrachtet auch die rasanten Entwicklungen der Digitalisierung und deren Auswirkungen auf die Life-Sciences- Industrie der Zukunft. Hierzu ist im März 2018 der neue „Progressions 2018“-Report mit dem Titel „Life Sciences 4.0: Securing value through data-driven platforms“ publiziert worden, der sich vor allem mit der Entwicklung neuer „Plattform-Geschäftsmodelle“ beschäftigt. Die gedankliche Auseinandersetzung mit diesen Zusammenhängen, unzählige Gespräche mit allen Beteiligten sowie eine fundierte Kenntnis der Fakten schaffen eine solide Basis für eine Beratungsexpertise, die wir unseren Kunden im gesamten Life-Sciences-Bereich zur Verfügung stellen. Mit diesem Vorausblick hoffe ich, dass Ihnen die vorliegende Studie hilfreiche Anregungen liefert, und freue mich auf den Dialog mit Ihnen. Dr. Siegfried Bialojan EY Life Sciences Center Mannheim Alle Reports stehen unter www.de.ey.com/lifesciences zum Download zur Verfügung. Vorwort | 5
� 20 Jahre EY Biotech- Report in Deutschland – und kein bisschen weiter? Die Aufarbeitung der Entwicklung der Biotech-Branche in Deutschland über die letzten 20 Jahre zeigt eine ernüchternde Bilanz im Vergleich zu anderen Nationen. Eine grundsätzliche Neuausrichtung in anderen Dimensionen ist erforderlich. Eine Ruckrede Historische Hintergründe erklären eine Epochenschwelle im Fortschrittsdenken und erfordern einen neuen Appell an Politik und Gesellschaft zu einem wirk lichen „Sprung nach vorne“. „Innovation Mindset“ und Innovationsöko system Biotechnologie Mindset und Innovationskultur in Deutschland erfordern einen eigenständi- gen Weg. Die Innovationsgleichung gibt die Richtung vor: Innovation = Translatio nale Forschung × Unternehmergeist × Kapital. Modell Deutschland – Handlungsempfehlun- gen zusammengefasst Der Blueprint „Innovationsökosystem Biotechnologie“ liefert Handlungs empfehlungen für ein effektives Modell Deutschland „von der Biologie zur Innovation“. Perspektive | 7
20 Jahre EY Biotechnologie- Report in Deutschland – und kein bisschen weiter? Vorschläge für ein „Innovationsökosystem Biotechnologie“ und eine effektive „Biologisierungsagenda“ Kritische Branchendiskussionen den Innovationsstandort Deutschland werden sondern andernorts schon die Regel und in Nach 20 Jahren Deutscher Biotech-Report im Koalitionsvertrag nur in einem Satz erwähnt. Deutschland überfällig. Insofern soll hier nicht von EY ist ein kritischer Rückblick auf das „negativer Stimmungsmache“ Raum gegeben Erreichte angebracht. Wie im Vorwort bereits Auch andere Appelle verhallen ungehört werden – es geht um hoch relevante und akute angesprochen, stand im Mittelpunkt der Über die letzten beiden Dekaden wurden etliche Handlungsaufforderungen, um die Zukunft Berichte stets die kritische Auseinanderset- Appelle und Anregungen von berufener Seite nicht zu verpassen. zung mit relevanten Branchenthemen. Basis zur Erneuerung der Volkswirtschaft vorgelegt, waren EY-eigene Detailanalysen von Kenn- so zum Beispiel von der „Expertenkommis- Potenziale in Deutschland besser nutzen zahlen zur Performance der Unternehmen, sion Forschung und Innovation“ (EFI), die Die Appelle basieren darauf, dass in Deutsch- zu Aktivitäten auf dem Transaktionsmarkt die Benachteiligung von Eigenkapitalfinan land historisch ein üppiges Fördersystem sowie zur Sektorfinanzierung. Dabei war die zierungen regelmäßig als großes Hindernis vorangebracht wurde und somit ein riesiges Plattform der EY Biotech-Reports stets unab- sah und das Fehlen von Anreizelementen Forschungspotenzial besteht, aus dem folge- hängig von Sekundärinteressen. beklagte. Auch der Bioökonomierat weist in richtig auch wirtschaftliches Handeln resultie- seinen Papieren regelmäßig auf die Defizite ren müsste. Es gibt zwar herausragende Appelle finden wenig Gehör im Kapitalmarktökosystem hin und fordert Erfolgsbeispiele, in denen Ideen von einigen Das Ergebnis der Diskussionen waren oft zuletzt in seinen Empfehlungen für die aktu- klugen Köpfen in erfolgreichen Unternehmen Appelle an Politik und andere (z. B. Investo- elle Legislaturperiode, dass der Leitgedanke aufgegangen sind (z. B. Qiagen, MorphoSys, ren, strategische Partner), mit klaren Forde- der Bioökonomie als eine Strategie für nach- Evotec, Miltenyi), sie bilden aber nur die rungen im Sinne von „Call to Action“. Bestes haltige Entwicklung in Zukunft stärker zur Spitze eines Eisbergs. Für die viertgrößte Volks- Beispiel dafür ist der Report 2014 mit der Geltung kommt. Diese Empfehlungen waren wirtschaft der Welt sind es einfach zu wenige, bewusst plakativ formulierten Kernbotschaft bisher allesamt von sehr begrenzter Wirkung. um einen nachhaltigen Einfluss auf unsere „1 % für die Zukunft“ – eine zugespitzte Auf- Zukunftsfähigkeit zu haben. Das im folgenden forderung zur Mobilisierung von Privatkapital Zukunftsvisionen überfällig noch näher beschriebene Mindset in der als Antwort auf den über die letzten Dekaden In der aktuellen Wirtschaftslage, in der die Forschung, wo viele Ideen entweder erst gar beklagten Kapitalmangel. Kernindustrien boomen und Deutschlands nicht erkannt werden oder aber gar kein Rolle als Exportweltmeister unbestritten ist, Interesse seitens der Forscher an einer kom- Die Deutlichkeit dieses Appells verfehlte fällt es in der Tat schwer, an den Eckpunkten merziellen Nutzung vorliegt, passt zum Bild zunächst nicht seine beabsichtigte Wirkung – unserer Kultur und den neuen politischen des Eisbergs mit vielen wertvollen Ansätzen, es folgten Diskussionen und vor allem ein Prämissen – Stabilität durch Erhalten, Sicher- die noch unter der Wasseroberfläche auf ihre Wachrütteln der Politik zur Schaffung geeig- heitsbedürfnis, Ausklammern von Risiken – Entdeckung warten. neter Rahmenbedingungen sowie der Gesell- zu rütteln. Zukunftsvisionen, deren Umset- schaft zum aktiven Umdenken hinsichtlich zung per se auf Erneuerung unter bewusster Vor allem diese Überzeugung von vorhan- der direkten Beteiligung am Innovationspro- Akzeptanz von Risiken setzt, sind schwieriger denem, aber zu wenig genutztem Potenzial zess. Die Miteinbeziehung der Aussagen in zu vermitteln. Kritische Appelle werden vor begründet die Rationale für nachhaltiges die Agenda des „Innovationsgipfels Biotech- diesem Hintergrund allenfalls als „Klagen auf Fordern und für weitere Appelle zur Umset- nologie“ im Herbst 2016 und schließlich hohem Niveau“ und Miesmacherei wahrge- zung vorgeschlagener Lösungsansätze. Es die daraus abgeleitete Anregung einer „Bio- nommen, die die offensichtliche Erfolgsbilanz geht dabei nicht nur um einen anzustreben- logisierungsagenda“ (Kanzleramtsminister trüben. den Kulturwandel („Mindset Change“) im Altmaier im Frühjahr 2017) waren ein Bereich der Forschung. Die Forderung nach Hoffnungsschimmer. Die Zukunft hat aber längst begonnen. effektiverer Nutzung der Forschungspoten- Andere Volkswirtschaften beschäftigen sich ziale hat vielmehr auch eine volkswirtschaft Indes scheinen nun auf der Agenda der neuen nicht mehr nur mit der Konkurrenzfähigkeit liche Begründung: Massive staatliche For- Bundesregierung die wirtschaftspolitischen in den bestehenden Industrien, sondern sind schungsförderung aus Steuermitteln ohne Kernthemen anders gelagert zu sein. Aussagen längst dabei, Zukunftsmärkte zu erobern. entsprechendes, gleichgerichtetes Engage- zur Biologisierung und deren Bedeutung für Zukunftsvisionen sind also keine Spinnerei, ment – wenngleich mit anderen, unterneh- 8 | Deutscher Biotechnologie-Report 2018
„Es darf nicht das Schicksal und das Anspruchsdenken europäischer Top-Wissenschaft werden, die Innovationsquelle für die Biotech- und Pharma-Unternehmen in den USA und im Rest der Welt zu werden.“ Dr. Werner Lanthaler, CEO, Evotec AG In Allianzen und Partnerschaften mit führenden Pharma- und Biotech-Unternehmen und Universitäten treibt Evotec innovative Ansätze zur Entwicklung neuer pharmazeutischer Produkte in wichtigen Indikationsgebieten voran. 2017 hat Novo AS, einer der strategischen Partner, 90 Millionen Euro in einer Kapitalerhöhung in Evotec investiert. merisch angelegten Instrumenten – zur andere Stakeholder waren sie häufig aber wenige Kennzahlen im internationalen Ver- kommerziellen Nutzung der entstehenden auch Anlass zum Feiern, als Beginn einer gleich über diesen 20-Jahres-Zeitraum ver- Potenziale ist volkswirtschaftlich sinnlos. längerfristigen Erfolgskurve. Für eine wirk folgt, wird klar, wo wir stehen: Der konkrete Dies betrifft sowohl die berechtigte Erwartung liche volkswirtschaftliche Erneuerung wird Vergleich USA/Deutschland bezüglich der der Steuerzahler, die am Ende für die För es notwendig sein, in völlig anderen Dimen wichtigsten Innovationsparameter zeigt klar dergelder aufkommen, als auch die Verpflich- sionen zu denken: Nicht prozentuale Steige- auf, dass im Biotech-Sektor zwischen diesen tung von Forschern, als Empfänger der Mittel rungen der Kennzahlen, sondern signifikante beiden Ländern wirklich Dimensionen liegen. auch ihrer volkswirtschaftlichen Verantwor- Vervielfachung ist der Anspruch, um den es Dies wäre aufgrund des späteren Starts tung nachzukommen. gehen muss. in Deutschland für das Vergleichsjahr 1998 noch zu verstehen, jedoch kann von einem In neuer Größenordnung denken Ist dies völlig aus der Luft gegriffen? Wieder wirklichen Aufholen in den letzten 20 Jahren In 20 Jahren EY Biotech-Report, in denen Spinnerei im Kostüm der Zukunftsvision? keine Rede sein. Die eklatante Asymmetrie die Entwicklung der Branche immer im Keineswegs! (Faktor 30 bis 50) ist heute immer noch Mittelpunkt stand, wurden Wachstumszahlen unverändert. Schlimmer noch: Gerade in den im einstelligen Prozentbereich unsererseits Die Branchenzahlen werden von EY welt- für den Innovationsprozess kritischsten meist mit kritischer Distanz bezüglich der weit erfasst und lassen auch vergleichende Parametern – VC und F&E – hat sie sich sogar Nachhaltigkeit des Effekts kommentiert. Für Betrachtungen zu: Wenn man nur einige noch signifikant vergrößert. Vergleich USA-Deutschland: Innovationsökosystem Biotechnologie (1998 und 2016) und Bruttoinlandsprodukt (2000 und 2017) Umsatz F&E VC Market Cap BIP Mio. US$/€ Mio. US$/€ Mio. US$/€ Mio. US$/€ Bio. US$/€ 160.000 42.000 12.500 900.000 20,0 10.000 17,5 120.000 32.000 700.000 7.500 15,0 2,0x 5,3x 80.000 22.000 500.000 5,8x 35x 8,9x 49x 5,1x 50x 6,7x 31x 5.000 12,5 40.000 12.000 300.000 2.500 10,0 5.000 2.000 500 100.000 7,5 4.000 1.200 250 15.000 32x 12x 5,2x 3.000 900 200 53x 43x 1,9x 5,0 5,3x 10.000 150 5,4x 2.000 9,5x 600 1,9x 100 5.000 2,5 1.000 300 50 0 1998 2016 0 1998 2016 0 1998 2016 0 1998 2016 0 2000 2017 USA (Publics) Deutschland (Publics und Privates) Quelle: EY Biotech-Reports 1998 und 2016, Capital IQ, EY, Destatis Perspektive | 9
20 Jahre EY Biotech-Report in Deutschland – und kein bisschen weiter? „Wir können natürlich nicht auf Dauer nur vom Export von Fahrzeugen und Maschinen leben. Höhere Investitionen in F&E und in Wachstumsunternehmen, gerade auch in der Biotechnologie, müssen Top-Priorität haben. Die Initiative ‚1 % für die Zukunft‘ sollte kurzfristig vorangebracht und dann in mehreren Etappen weiter aufgestockt werden.“ Prof. Dr. Alexander Gerybadze, Leiter der Forschungsstelle Internationales Management und Innovation, Universität Hohenheim Professor Gerybadze beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Fragen zur Wettbewerbsfähigkeit auf internationalen Märkten der Hochtechnologie. Zugleich beschäftigt ihn die Frage, wie die Forschungs- und Innovationspolitik auf Bundes- und Länderebene Anreize und Rahmen- bedingungen schaffen kann, um den Standort Deutschland nachhaltig zu stärken. Ausgaben für F&E – die direkteste Messgröße geringer und entsprechen eher den Größen- Der aktuelle Biotech-Report will eine Vision für Innovationsleistung – stechen hierbei unterschieden der Volkswirtschaften. Das für den Biotech-Standort Deutschland ent besonders auffällig hervor. In den vergange- Wachstum ist ebenfalls im 20-Jahre-Zeitraum wickeln: eine Blaupause, wie in Zukunft Ideen nen 20 Jahren wurden im Biotech-Sektor in geringer. Auch aus dieser Perspektive muss in Innovationen münden, zu Wachstumsun- den USA insgesamt 436 Milliarden US-Dollar also der erneute Appell viel deutlicher aus- ternehmen werden und einen volkswirtschaft- investiert (im Mittel ca. 20 Mrd. US$ pro fallen. lichen Beitrag liefern. Eine Blaupause somit Jahr). Dem entspricht der Output an Unter- auch für eine deutsche Biologisierungsagenda. nehmen und an Produkten am Markt (Umsatz: Erhalten bedeutet Rückschritt – Vision 1,2 Billionen US$). Binnen 20 Jahren ist für die Zukunft Modell für Deutschland dort eine neue „Apotheke der Welt“ entstan- Treffender als John F. Kennedy kann man Viele Diskussionen in der Vergangenheit den. Im Vergleich mit anderen Branchen diesen Zusammenhang nicht auf den Punkt haben immer wieder die USA, aber auch Israel stellen diese US-Zahlen sogar fest etablierte bringen: oder Kanada als Vorbilder herangezogen. Industriezweige in den Schatten. Wenn z. B. Die tiefer gehende Analyse, die wir in diesem die Chemie-Industrie in Deutschland pro Jahr Report mit Blick auf die historische Entwick- etwa fünf Milliarden Euro für F&E aufwendet, „Veränderung ist das Gesetz des Lebens. lung von Innovationskulturen vornehmen, zeigt so kann man hier allenfalls von „defensiver“ Diejenigen, die nur auf die Vergangenheit indes, dass es wenig erfolgversprechend ist, F&E-Strategie reden. Aktive Innovation und oder die Gegenwart blicken, werden die diese Vorbilder eins zu eins zu kopieren. Viel- Zukunftsgestaltung erfordern andere Dimen- Zukunft verpassen.“ mehr muss ein spezifisches „Modell Deutsch- sionen. Für die Biotechnologie in Deutsch- John F. Kennedy land“ erarbeitet werden, das den allgemein land beträgt der F&E-Aufwand der letzten gültigen Voraussetzungen für erfolgreiche 20 Jahre gerade einmal 16 Milliarden Euro Innovation Rechnung trägt, in der Umsetzung (ca. 830 Mio. € pro Jahr). Wie soll hieraus Die „Moonshot“-Vision schwor die USA nicht aber die realistischen Gegebenheiten und ein Aufholprozess in Gang kommen? nur darauf ein, den ersten Menschen auf kulturellen Besonderheiten in Deutschland den Mond zu bringen, sie hat vielmehr einen berücksichtigt. Demgegenüber stellen sich andere Wirt- enormen Technologieschub ausgelöst und schaftsparameter (BIP) in diesem 20-Jahre- die USA an die Spitze der akademischen For- Beitrag zur Biologisierungsagenda Vergleich anders dar. Die Unterschiede zwi- schung und der Technologieunternehmens- Gelingt es, aus den Überlegungen im vor schen den USA und Deutschland sind hier gründungen katapultiert. liegenden Report ein spezifisches Modell Deutschland für Innovation und Biologisie- rung zu formulieren, dann könnten die Inhalte wichtige Bausteine für die in der poli tischen Diskussion zumindest verbal umris- sene Biologisierungsagenda sein. Vor diesem Hintergrund richtet sich der Appell vor allem an die politischen Stakeholder mit einem kon- kreten Angebot: Auf der Basis der hier vor gelegten Zahlen und skizzierten Handlungs- optionen sollen konkrete politische Initiativen angegangen werden, die dem Anspruch an eine effektive Biologisierungsagenda gerecht werden. 10 | Deutscher Biotechnologie-Report 2018
Eine Ruckrede von Holger Zinke „1 % für die Zukunft“ – Reloaded nicht einmal gab und die heute durchweg Biotech-Sektors sogar die Notwendigkeit Leitgedanke dreistellige Milliarden-Marktkapitalisierungen einer „Biologisierungsagenda“ in Analogie Die Autoren kamen im EY-Report 2014 („1 % aufweisen. Die Biotechnologie muss also zur „Digitalisierungsagenda“. Leider ist für die Zukunft“) bei ihrer Analyse der Grün- heute nicht mehr als junge, unerprobte und eine solche bis heute nicht absehbar. Hier dungsdynamik und Finanzierungssituation durchweg risikobehaftete Start-up-Szene wollen wir ansetzen. der deutschen Biotechnologiebranche zu betrachtet werden, sondern als notwendiger dem Schluss, dass die Kapitalnahrungskette Teil der überall stattfindenden Neuordnun- Zielsetzung Lücken aufweist und so das Finanzierungs- gen von Innovations-, Prozess- und Produkt- Die Autoren möchten im vorliegenden Re- ökosystem als Ganzes gestört ist. Dies führt ketten und auch Volkswirtschaften. Heute port einen Beitrag leisten, die Ursachen für zu einer generellen Kapitalknappheit, insbe- finden mehr als 50 Prozent der Pharma-For- das über Jahre fortgesetzte Nichthandeln sondere fehlen Private Equity Players im vor- schungsinvestitionen in den Hubs an der besser zu verstehen und Vorschläge zu ma- börslichen Bereich wie auch Investoren im Ost- und Westküste der USA statt. Die Bio- chen, wie aus der vorliegenden Datenlage Börsenumfeld, sodass sich ein dynamisches technologieindustrie ist in den USA binnen heraus die Lücken im Ökosystem geschlos- Innovationsökosystem nicht wirksam ent zwei Jahrzehnten zu einer neuen Pharma- sen werden können. Sie kommen dabei zu wickeln kann. Viele der Gründungen bleiben Industrie geworden. Die Übergänge zwischen dem Schluss, dass es im Wesentlichen kultu hinter ihren Wertschöpfungsmöglichkeiten Biotech, Pharma und Chemie sind fließend, relle und gesellschaftliche Werteprioritäten zurück, da sie im Finanzierungsökosystem neue Produkte und Produktzulassungen sind, die sich in den letzten Jahren und Jahr- nur ungenügende Ressourcen nutzen können. werden ganz überwiegend von der Biotech- zehnten verschoben haben. Dabei machen Industrie erarbeitet, Transaktionsvolumina die Autoren ein geändertes Mindset aus: Ein Vergleich mit anderen Finanzierungs- und Bewertungen erreichen typischerweise Nicht mehr der Fortschritt auf der Basis von ökosystemen, etwa in den USA, Kanada oder mehrstellige Milliardenbeträge. Die Transak Erfindungen, Technologien, Produkten und Israel, zeigt, dass sich mit Biotechnologieun- tionen finden im Wesentlichen an den US- Investitionen wird als wünschenswert und ternehmen und -produkten erfolgreich große Kapitalmärkten statt – privat, vorbörslich und dessen Ermöglichung als einer der Kerne des und größte Unternehmen, ganze Branchen an der NASDAQ. politischen Handelns gesehen, sondern das und Standorte aufbauen lassen und sie erheb- Bewahren, das Stabilisieren, das inkremen- lich zur Wirtschaftsleistung, mehr noch zur Vor diesem Hintergrund hatten die Autoren telle Optimieren des Vorhandenen. Dieses Zukunftsfähigkeit der jeweiligen Volkswirtschaf- eine sehr grundsätzliche Forderung formu- Muster zieht sich durch fast alle Politikfelder ten beitragen, dies zusätzlich zum gesell- liert: die Abkehr vom Fördergedanken, hin und ist nicht beschränkt auf Wirtschafts- und schaftlichen, Umwelt- und Gesundheitsnut- zu mehr privaten Investitionen in die Biotech- Technologiepolitik. Die Leitlinie des politi- zen, etwa durch nachhaltige Produktionsver- nologie und andere Emerging Technologies. schen Handelns ist gerade nicht die Dynami- fahren oder neue Therapieoptionen, wofür Das quantitative Ziel war die Mobilisierung sierung von Erneuerung mittels Verbesse- die Biotechnologie steht. von einem Prozent des anlagesuchenden rung der Kapitalverfügbarkeit, sondern eher (Privat-)Kapitals. Viele Gespräche mit Minis- ein „Weiter so!“. Diese Dynamik und die international sehr terien bis hin zum Kanzleramt haben indes starke Biotechnologiebranche sind das nicht den notwendigen Ruck ergeben. Zwar Dieser Wandel der politischen Zielbilder hat Resultat eines weit fortgeschrittenen Trans- wurden die zugrunde liegenden Analysen u. a. auch dazu geführt, dass die viel zitierte formationsprozesses in der klassischen geteilt, die Mechanik der Lenkung von anlage- Rede von Altbundespräsident Roman Herzog Pharma-Industrie, der zu einer neuen Indust- suchendem Kapital durch (ggf. steuerliche) vom 26. April 1997 (die berühmte Ruck- riestruktur geführt hat. Deutschland war Incentives wurde verstanden, doch ein gro- Rede ist nun ebenfalls 20 Jahre alt) praktisch noch in den Neunzigerjahren die „Apotheke ßer Wurf blieb bis heute aus. Zuletzt wurde folgenlos geblieben ist. Aber es bedarf unbe- der Welt“, mit der Hoechst AG als internatio- sehr detailliert im Innovationsdialog der Bun- dingt einer klaren Aussage der gewählten nal führendem Unternehmen. Heute reihen deskanzlerin (November 2016) auf den Spitze des Staates: „Wir wollen das!“, oder sich die deutschen Pharma-Firmen überwie- Handlungsbedarf hingewiesen. Regierungs- besser: „Wir brauchen das!“. Es bedarf der gend hinter Unternehmen wie Amgen, Bio seitig anerkannt wurde angesichts der Weichenstellung und Führung des Landes in genidec oder Gilead ein, die es damals noch branchenübergreifenden Bedeutung des eine nachhaltige Zukunft. Perspektive | 11
Eine Ruckrede für Innovation durch Biologisierung in Deutschland Die (wenigen) Unternehmer und Gründer kehrbarer Rutsch in eine düstere Zukunft Interessanterweise ist dieses Mindset aber werden allein und ohne funktionsfähiges interpretiert werden). nicht international gleich und parallel entwi- Kapitalmarktökosystem größte Mühe haben, ckelt, sondern unterscheidet sich deutlich – ihren Teil beizutragen. Die Anleger werden Unabhängig davon, ob im individuellen oder insbesondere in den bereits genannten Volks- weiter den Empfehlungen ihrer Bankberater gesellschaftlichen Umfeld die Einschät wirtschaften (USA, Israel, Kanada), aber und Versicherungsvertreter folgen. Die A b- zungen immer zutreffen: Sie führen im kriti- auch in Asien. Obwohl es auch dort einiges solventen werden weiter in „gesicherte“ schen, womöglich sogar pessimistischen zu bewahren gibt, sind es insbesondere die Beschäftigungsverhältnisse streben. Unter- Blick regelmäßig zu einer Lähmung, mindes- Exponenten einer kritischen Gegenbewegung, nehmer werden Randfiguren bleiben. Es tens aber zur verminderten Zuversicht, und die Unternehmensgründungen erwägen oder bedarf der politischen Prioritätensetzung schließlich zu einem stagnierenden oder gar gar durchführen. Und es ergeben sich Kon- und besonderer Aufmerksamkeit für KMU als ausbleibenden Willen zu Fortschritt. Allenfalls takte zu solchen Finanzmarktakteuren mit die wichtigsten Innovationstreiber. im Widerstand gegen das Establishment als ähnlichem Mindset (eben gerade nicht klassi- einigendes Prinzip (wie bei NGOs häufig zu sche Banken, sondern Serial-Entrepreneure, Epochenschwelle beobachten) oder im Festhalten an Tradition VC- und Private-Equity-„Glücksritter“). Daraus Was ist der Grund für die geringe Neigung, oder Besitzständen (wie etwa bei Gewerk- erwachsen dann große und größte Unter sich positiv mit Veränderung und Zukunft aus- schaften festzustellen) zeigt sich noch eine nehmen, häufig innerhalb von 10–20 Jahren. einanderzusetzen, Veränderung als Chance Willenskraft. Diese Willenskraft wird ent Man findet diese Verhaltensmuster interes- zu sehen, sich für eine bessere Zukunft zu sprechend nicht in Bezug auf technischen, santerweise sowohl in der IT-Industrie („From engagieren? Historiker und Soziologen spre- gesellschaftlichen oder wissenschaftlichen counterculture to cyberculture“) als auch chen heute von einer „Epochenschwelle“ und Fortschritt genutzt, sondern wirkt gerade in in der eigentlich technologisch erst jetzt mit machen diese Veränderung im Denken in den die andere Richtung. Ob Fortschritt außer- IT-Analogien (Digitalisierung und Biologisie- frühen Siebzigerjahren fest: In diesen Jahren halb politischer Papiere und Reden tatsäch- rung) verbundenen Branche der Biotechno- wurde das individuelle und gesellschaftliche lich noch gesellschaftlicher Konsens oder logie. Das Antriebsmuster in IT und Biotech- Fortschrittsversprechen, das seit der Zeit der individueller Wert ist, gälte es derzeit zu befor- nologie ist in anderen Volkswirtschaften Aufklärung – mithin 200 Jahre lang – die schen. Womöglich ist mit der Epochen- identisch und hat sich aber offenbar völlig geistige Grundlage des europäischen Wirt- schwelle ein signifikanter kultureller Wandel anders entwickelt als etwa in Deutschland. schaftssystems war, aufgebrochen, kritisch eingetreten, der die Nutzung auch noch diskutiert oder gar negiert. Gerade Intellektu- so naheliegender (etwa industrieller) Poten Die Leser von „Grenzen des Wachstums“ elle haben sich sehr kritisch mit dem Wirt- ziale verunmöglicht. gründen Parteien oder kritische NGOs, sind schaftssystem auseinandergesetzt und den häufig als Lehrer, Professoren oder Beamte Wachstumsbegriff („Grenzen des Wachs- Dies steht nun in starkem Kontrast zur Ambi- an Schulen, Universitäten und Behörden zu tums“) faktisch diskreditiert. Dies hat heute tion eines Unternehmers, insbesondere dann, finden, aber sie gründen keine Unterneh- dazu geführt, dass eher die Ordnung und die wenn er sich wie der typische Biotechnolo- men. Eine Unternehmensgründung wird Adjustierung des Bestehenden als politische giegründer und -unternehmer in einer Schum- gerade nicht als Bestandteil einer Strategie Aufgabe wahrgenommen wird als die Ermög- peter‘schen Tradition befindet. Niemandem zur Verbesserung der Welt erwogen. Eher im lichung oder gar Schaffung von Neuem. ist im Grundsatz zur Gründung eines Biotech- Gegenteil, denn bei einer Unternehmens- nologieunternehmens zu raten, es sei denn, gründung werden Geschäfte mit der Industrie Die Aufkündigung des Fortschritts- und Ver- er will über Jahre und Jahrzehnte in persönli- gemacht, man folgt Geschäftsplänen und besserungsversprechens wirkt sich sowohl im cher Unsicherheit und auch mit finanziell nähert sich dem Kapital(-markt). Derlei ist individuellen Umfeld (viele Familien haben unklarem Ausgang der Reise hart gegen die höchst verdächtig und bedarf der gesell- subjektiv Zukunftsangst, obwohl womöglich Widerstände im Ökosystem arbeiten – für schaftlichen Aufmerksamkeit und Kontrolle. objektiv eine Verschlechterung des Status eine Sache, die gesellschaftlich eher als rand- Die Präsentationen von US-amerikanischen oder auch der Chancen nicht eingetreten ist) ständig, wenn nicht störend („Biologisierung Technologieunternehmen, die Aspekte der als auch im gesellschaftlichen Umfeld aus der Chemie-Industrie“) oder gar gefährlich Gesundheit, der Heilung und der Neuordnung (wo beispielsweise Umweltfragen als unum- („Freisetzung“) gesehen wird. von Kommunikations- oder Mobilitätskon- 12 | Deutscher Biotechnologie-Report 2018
„Deutschland hat exzellente Chancen in der Bioökonomie, wenn die Innovations- finanzierung funktioniert. Nicht kleckern, klotzen! Mobilisierung privaten Kapitals von Versicherungen, Pensionskassen, Unternehmen, privaten Anlegern durch Abschaffung steuerlicher/regulatorischer Hemmnisse für direkte und indirekte Investitionen in High-Biotech-Unternehmen.“ Roland Oetker, Geschäftsführender Gesellschafter, ROI Verwaltungsgesellschaft mbH Roland Oetker ist seit den 1980er-Jahren als Kapitalgeber in der Biotech-Branche aktiv. Der erfahrene Investor gilt als Vordenker und sitzt in zahlreichen Aufsichtsräten. Die von ihm gegründete und geführte ROI Verwaltungsgesellschaft ist größter Anteilseigner des Hamburger Unternehmens Evotec. zepten ganz selbstverständlich mit einem überspringen. Die Biotechnologie – und mehr system und damit auch im Innovationsöko- gewissen missionarischen Sendungsbewusst- noch eine viel breiter aufgestellte Bioökono- system zu schließen. Im Februar 2016 fand sein enthalten, stoßen hier mindestens auf mie auf der Basis natürlicher Ressourcen der Börsengang der BRAIN AG statt. Er blieb Skepsis, wenn nicht auf tiefes Befremden. und Prozesse – ist sehr geeignet, einen sol- 2016 der einzige Biotech-Börsengang im chen neuen „Spirit“ herzustellen, denn (und Prime Standard der Frankfurter Börse, dem Ein neuer Ruck ist essenziell das ist das Gegenteil einer pessimistischen Kern der Deutschland AG. Es hätten 100 Diese Unterschiede im individuellen wie im Auffassung): sein müssen, auch im folgenden Berichtsjahr gesellschaftlichen Mindset sollen im Folgen- 2017 und künftig jedes Jahr. Dass derlei den noch näher untersucht und in grundsätz- • Deutsche Technologien und Entwicklungen Zahlen nicht utopisch sind, zeigen andere liche Überlegungen zur Verbesserung der sind als Assets weltweit gefragt. Volkswirtschaften. Allein in den zwei Jahren Finanzierungsdynamik eingebettet werden. • Es finden Börsengänge statt. Diese nach dem US JOBS Act waren es 286 Bör- Denn Erneuerung ist schlicht zur Sicherstel- entwickeln sich erfreulich (auch an der sengänge. Deshalb ist der Ruf nach einem lung der Zukunftsfähigkeit einer Volkswirt- Deutschen Börse). Prozent des anlagesuchenden Kapitals auch schaft und auch Gesellschaft notwendig. Und • Viele disruptive Technologien kamen nicht vermessen, auch nicht der nach vier diese Überlegung führt auch dazu, dass die und kommen aus deutschen Universitäten Prozent: Es ist für den Anleger, für die Volks- Autoren ihre Anregung, mindestens „1 % des und Forschungseinrichtungen. wirtschaft und auch für die Gesellschaft gut anlagesuchenden Kapitals“ für diese Zukunfts- • Es finden weiter Neugründungen und angelegtes Kapital. Der Export der Assets sicherung (und eben nicht „Versicherung“) Expansionsfinanzierungen statt. (und auch des anlagesuchenden Kapitals) zu allokieren, mit Nachdruck erneut äußern. nutzt dem Standort und der Gesellschaft Die ursprünglich geforderte Messzahl ist ver- Verzehnfachung statt zehn Prozent nichts. mutlich zu niedrig. Je länger auf einen Ruck Mit diesen positiven, aber in jedem einzelnen verzichtet wird, desto heftiger muss er aus- Spiegelstrich eben zu seltenen, zu kleinen fallen. Man kann trefflich darüber streiten, ob Erfolgsbeispielen ist die Grundlage nach wie „Zur Aktivierung des deutschen Kapitalmark- ein oder vier oder besser 20 Prozent des vor gegeben. Mit einer angemessenen Len- tes für Start-ups und wachsende Unterneh- anlagesuchenden Kapitals in die Zukunfts kung der (privaten) Kapitalströme kann eine men in der Bioökonomie sind die Rahmenbe- sicherung investiert werden sollten. Allein signifikante Dynamisierung erreicht werden. dingungen im internationalen Vergleich zu der Streit darüber kann hilfreich sein, denn Die Autoren schlagen nicht eine Erhöhung der verbessern und entsprechende (steuerliche) er bringt Bewegung in ein erstarrtes gesell- Dynamik um zehn Prozent vor, sondern sie Anreize zu setzen.“ schaftliches System, das sich durch die Erfolge setzen als Zielgröße mindestens eine Verzehn- Thesenpapier des Bioökonomierates, einer vor mehr als hundert Jahren geform- fachung, die in spätestens drei Jahren erreicht Januar 2018 ten, nunmehr oligopolistischen Industrie in werden soll. Das Handeln sollte nicht durch einer Sicherheit wähnt, die trügerisch ist und, den Gedanken einer Förderung kleinerer und so die Einschätzung der Autoren, in fünf bis unreifer Entwicklungen bestimmt sein. Der zehn Jahren nicht mehr in dieser Form beste- Leitgedanke sollte der einer Erneuerung der hen wird. Industriestruktur mit dem Ziel der Zukunfts- fähigkeit und damit des Erhalts und des Aus- Dies soll nicht als pessimistisch-alarmistischer baus des gesellschaftlichen Wohlstands sein. Warnruf missverstanden werden. Es ist an der Zeit, kritisch mit dem eigenen und gesell- Dies ist der notwendige Ruck zurück in die schaftlichen Mindset umzugehen. Der Willens- Zukunft nach Jahrzehnten der Stagnation, funke muss aus der Mitte der Gesellschaft, der mit einem gewissen Willen auch erreicht formuliert von Stiftungen, Verbänden, Par werden kann, wie die auch in diesem Report lamentariern, aber vor allem auch von den wieder beschriebenen positiven Einzelfälle Unternehmern als wichtigem Teil der Gesell- zeigen. Aber es bedarf dieses politischen schaft, auf die Regierungshandelnden Willens, um die Lücken im Kapitalmarktöko- Perspektive | 13
Das „Innovation Mindset“ von Claus Kremoser Gründerzeit und Wohlstandsversprechen Dieses Wohlstandsversprechen wurde Jahr • Selbstbestimmung: niemandem anderen Die Innovationskraft einer Volkswirtschaft ist für Jahr durch teilweise zweistellige BIP- dienen zu müssen nicht nur durch ihre technische Innova Wachstumsraten eingelöst. Die Menschen • Gleichberechtigung: zwischen Mann und tionsfähigkeit und ihre Infrastruktur wie z. B. erkannten, dass das System funktioniert. Frau, zwischen Alt und Jung, zwischen Lei- Universitäten, Forschungsinstitute, Groß Der Zukunftswechsel – jetzt hart arbeiten, tungsfunktion und Ausführenden unternehmen, Labors, Transport- und Kommu damit es einem in Zukunft besser geht – • Mitgestaltung: das Gefühl, selbst an neuen, nikationswege bedingt. Sie ist vor allem eine wurde erfolgreich eingelöst. relevanten Dingen beteiligt zu sein Reflexion des Willens zur Innovation. Es stellt • Nachhaltigkeit: durch neue Technologien sich also die Frage: Was motiviert Forscher Sättigung und neue Ideale ressourcen- und umweltschonender zu und Erfinder, ihre Ideen auch in neue Produkte Mit Erreichen des ersten Sättigungsgrades wirtschaften umzusetzen bzw. wie motivieren wir diese und dem gleichzeitigen Heranwachsen einer • Integration: von Menschen mit Behinderung, Treiber des Innovationsprozesses? Es kommt in Frieden und Demokratie aufgewachsenen von Menschen mit Migrationshintergrund, also auf das Mindset der (möglichen) Inno- jungen Generation verschoben sich die gesell- von Älteren, also soziale Integration vatoren an. Es erscheint ratsam, zwischen der schaftlichen Ideale. Nach der vor allem poli • Sinnhaftigkeit: das Bedürfnis, die eigenen individuellen Motivationslage und dem gesell- tischen Aufarbeitung der Vergangenheit und Lebensressourcen für einen sinnvollen schaftlichen Mindset zu unterscheiden, wobei der Durchsetzung demokratischerer Struk Zweck einzusetzen, was die oben genann- Letzteres sicherlich den Rahmen für Ersteres turen in Universitäten, öffentlichen Leitungs- ten Punkte quasi als Leitmotiv überschreibt absteckt. funktionen und später auch in der Industrie und Wirtschaft entstand nun vor allem der Innovationskultur Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die deut- Wunsch nach einer harmonischen Versöh- Diese Erkenntnis erscheint vielleicht trivial, sche und weitestgehend auch die anderen nung zwischen verbesserter Lebensqualität doch sei hier angemerkt, dass in dieser westeuropäischen Volkswirtschaften vom Wie- und einer intakten Umwelt, ausgehend von gesellschaftlich bedingten Gemütslage – dem deraufbau geprägt. Europa lag in Trümmern, der 68er-Bewegung über die Botschaft des Mindset – ein wesentlicher Unterschied zwi- das Wohlstandsniveau war niedrig und so bot „Club of Rome“ bis hin zur Parteigründung schen den USA und Mitteleuropa liegt. Sicher sich viel Luft nach oben für eine lang anhal- der Grünen, mit der sich die Umweltschutz- lich ist es nicht einfach so, dass es in Europa tende Wachstumsphase. Diese wäre vermut- bewegung auf breiter gesellschaftlicher Front nur die unbedarften Idealisten und in Amerika lich nicht so erfolgreich ausgefallen, wenn in durchsetzte. die Turbokapitalisten gibt. Diese zu einfache den Köpfen der Menschen nicht ein bestimm- Unterscheidung würde verkennen, dass zum tes Leitbild vorgeherrscht hätte, d amals ver- Heute gilt das Aufstiegs- und Wohlstandsver- einen der Hang zum Geld auch in Europa mutlich das eines weitgehenden Wohlstands- sprechen der Fünfziger- und Sechzigerjahre noch ein sehr starker individueller Motivations- versprechens: nicht mehr. Wohin denn aufsteigen? Wir sind faktor ist und zum anderen die Motivations- doch schon ganz oben in der Welt. Warum lage auch in den USA nicht nur geldgetrieben noch mehr von allem? Es passen doch jetzt ist, wie das Beispiel von einigen Orphan- „Wenn du fleißig bist und viele Überstunden schon nicht mehr Autos auf die Straßen und Disease-Biotech-Firmen zeigt, die z. B. von machst, wirst du mehr Lohn erhalten und der Handys, Waschmaschinen und sonstige Elek- Millionären finanziert werden, die von einer Gabentisch an Weihnachten wird von Jahr trogeräte in unsere Häuser. Krankheit betroffene Familienangehörige zu Jahr üppiger ausfallen. Du wirst jedes Jahr haben. mehr Urlaub haben und immer weiter ent- Statt dieses „Immer mehr“ herrscht nun fernte Urlaubsziele ansteuern können. Deine das Bedürfnis nach „Immer komfortabler“. Dennoch sind die Unterschiede zwischen Kinder werden es besser haben.“ Im Gegensatz zu ihren Eltern lassen sich die beiden Seiten des Atlantiks hinsichtlich des 20– bis 45-jährigen Deutschen und anderen Mindsets und der Motivationsfaktoren deut- Europäer nicht mehr einfach durch mehr lich zu erkennen: Hierzulande steht man Geld und Konsum zu Hochleistungen anspor- begüterten Mitbürgern eher kritisch gegen- nen. Andere Faktoren spielen eine entschei- über, dort ist es in den entsprechenden dende Rolle, z. B.: Kreisen ein Muss, beim Small Talk über den 14 | Deutscher Biotechnologie-Report 2018
„Es liegt viel, aber nicht alles, an fehlendem Kapital. Unsere Wissenschafts organisationen trainieren falsche Mentalitäten mit dem Zugang zu großen Fördertöpfen. Wir sind aber abhängig davon, dass nach Wandlung von Geld in Wissen das Wissen auch wieder in Geld gewandelt wird. Das gelingt nur in einer Führungsposition bei Qualität und Alleinstellung.“ Karsten Henco, Serial Entrepreneur (Qiagen, Evotec, Neurimmune, HS LifeSciences u. a.) Karsten Henco ist seit mehr als 30 Jahren als Serial Entrepreneur mit zahlreichen unter nehmerischen Erfolgsgeschichten in der Biotech-Branche aktiv. Er hat 24 Unternehmen mitgegründet und sich u. a. bei Qiagen, Evotec und Neurimmune stark eingebracht. Mit HS LifeSciences ist Karsten Henco heute als Investor und Berater für Biotech-Unternehmen aktiv. eigenen wirtschaftlichen Erfolg zu sprechen. menbedingungen wie gute Ausbildung und schrieben worden. Wie setze ich dieses Das treibt eine individuelle Motivationslage stimulierende Umgebung beeinflussen. Mut allgemeine Streben in die so wichtige indivi- an. Wenn ich als dauerhaft angestellter For- und Risikobereitschaft sind nicht angeboren; duelle Triebkraft um, die mich motiviert, scher oder Manager eines deutschen Groß- sie lassen sich durch die richtigen Vorbilder Durchhänger und Durststrecken zu überwin- unternehmens mehr Bewunderer beim abend- erlernen. Risikobereitschaft und Unternehmer den und bis zum Ziel durchzuhalten? lichen Austausch finde und ein Baudarlehen tum gehen Hand in Hand, sind aber nicht viel eher solchen Personen gewährt wird als synonym. Unternehmerinnen und Unterneh- Zusammenfassend lässt sich festhalten: Uns etwa einem selbstständigen Unternehmer mer müssen auch Personen motivieren und fehlt ein neues gesellschaftliches Narrativ, mit wackeliger Bonität, dann werden dadurch führen, kommunizieren können, Fleiß und den eine motivationsliefernde und gleichzeitig Anreize gesetzt, den stabilen, berechenba- unbedingten Willen zum Erfolg haben. All kulturprägende Vision: ren Weg zu gehen, trotz des möglicherweise diese Eigenschaften werden nur bedingt an vorhandenen Bedürfnisses nach Selbstbe- der Schule oder im Bildungssystem vermit- • wie wir in Deutschland und Europa in den stimmung. telt, sondern primär durch Vorbilder. Es sind nächsten 10, 20, 30 Jahren leben wollen die Prägungen durch Fernsehen, Bücher, Zeit- • welche Elemente, welche Bausteine sowohl Die Innovationsgleichung schriften, Internetblogs und vor allem durch technologisch-ökonomischer als auch Nach dieser Betrachtung der Motivationslage Erzählungen von Freunden und Bekannten, gesellschaftlich-soziologischer Natur dafür als Basis für den individuellen Teil der Inno die in uns nachahmenswerte Vorbilder ent- wichtig sind vationskraft sollten wir die anderen Faktoren stehen lassen. Das mag von Bühnenhelden • welche Leitbilder wir daraus ableiten, auch erwähnen, die für den Innovationsprozess über bewunderte Extrembergsteiger oder Fuß- in Form von konkreten Vorbildern essenziell sind. Die Innovationsgleichung baller bis hin zu den hier erwünschten Vor • und in der Konsequenz, wie wir junge Men- (s. u.) gibt hierfür den Weg vor. bildern in Form von erfolgreichen Unterneh- schen dazu motivieren, auf das Erreichen merinnen und Unternehmern reichen, nur: dieser Zielbilder tatkräftig und hoch moti- Innovation entsteht, wenn aus neuen Ideen Gerade die Letzteren, also prominente Unter- viert hinzuarbeiten (z. B. aus der akademischen Forschung) nehmerpersönlichkeiten als Vorbilder für die zielgerichtet durch motivierte Unternehmer Jugend, gibt es in Deutschland nur wenige. Wie sehen die ersten konkreten Schritte hin mit Risikobereitschaft, Unternehmergeist Welche Namen fallen uns ein? Siemens, Bosch, zu einer besseren zukünftigen Gesellschaft und -fähigkeiten, unterlegt mit ausreichend Benz? Hier ist uns Amerika mal wieder vor- aus? Klingt das zu abstrakt? Hier beispiel- (Risiko-/Beteiligungs-)Kapital, neue Werte aus. Die Ikonisierung von Menschen wie Steve haft einige Möglichkeiten, wie diese Punkte in Form von Produkten, Technologien oder Jobs, Mark Zuckerberg, Bill Gates, Elon Musk umgesetzt aussehen können: Dienstleistungen am Markt etabliert wer- oder Sheryl Sandberg kann nur dort so den. Mit der Kapitalverfügbarkeit haben wir gelingen. Wie wollen wir leben? uns bereits im EY Biotech-Report 2014 zum • nachhaltig, mit wenig CO2-Emissionen, Thema „1 % für die Zukunft“ intensiv beschäf- Gesellschaftliches Innovationsnarrativ viel erneuerbaren Energien, unter weniger tigt. Das Thema wird nachfolgend zum kon- Wenn wir aber motivierte Unternehmerinnen Öl- und Gasverbrauch, mit erneuerbaren kreten Entwurf eines Plans für eine biotech- und Unternehmer benötigen, um Innovationen Rohstoffen, ohne Chlorchemie nologieaffine Gesellschaft aufgegriffen und anzustoßen und umzusetzen, dann müssen • friedlich weiter erörtert. Die Kreativität, die neue Ideen wir uns über Leitbilder Gedanken machen. Die • mit gesunder Ernährung hervorbringt, lässt sich nur durch die Rah- gesellschaftliche Gemütslage ist bereits be- • gleichberechtigt und integrativ Innovation = Forschung/Idee × Unternehmertum × Kapital Perspektive | 15
Das „Innovation Mindset“ Welche Elemente können dabei eine sein/ihr Wissen auch kommunizieren kön- allen Möglichkeiten des gesellschaftlichen Rolle spielen? nen. Das wird verlangt und hinzu kommt Diskurses, die in den letzten fünfzig Jahren Technisch: noch die lebenslange Lernfähigkeit. Diese vom Beginn der 68er-Kulturrevolution bis • Elektromobilität und Vernetzung hohen Anforderungen können nur durch jetzt aufgezeigt wurden, auf die neuen Leit- • erneuerbare Energien einen hohen Grad an Selbstbestimmung und bilder hinzuarbeiten. • breiter Einsatz der Biotechnologie für durch geeignete Motivationsideale wie auch nachhaltige Produkte und ressourcen nachhaltige und nicht verbrennende oder Wie sehen die ersten konkreten Schritte schonende Herstellungsprozesse sich abnutzende Lebens- und Berufsformen der Umsetzung aus? • breite digitale Vernetzung wichtiger Pro- erfüllt werden. Weitreichende, visionäre Zukunftsentwürfe zesse in Produktion, Verkehr, Vermark- scheitern meistens daran, dass kein konkre- tung, Distribution, Logistik und Dennoch geht es nicht darum, ein Utopia ter Weg hin zu ihrer Umsetzung aufgezeigt Haustechnik im Sinne einer klassen- und geldlosen Gesell- werden kann. Somit bleiben sie meist nur das schaft zu propagieren. Die Zugkraft des Gel- Gedankengut einer kleinen Schicht elitärer Gesellschaftlich: des, auch als individueller Motivationsfaktor, Vordenker, das aber die Breite der Gesellschaft • Integration von Menschen unterschied kann nicht geleugnet werden, es darf nur zumeist nicht erreicht. Den Zukunftsentwurf, licher Zugehörigkeiten bezüglich nicht der alles entscheidende Faktor sein. Eine der uns vorschwebt und den wir hier in gro- Geschlecht, Herkunft, sozialem Status, klassenlose Gesellschaft kann auch kein Auf- ben Umrissen entwerfen, darf dieses Schick- Ausbildungs- und Bildungsstand steigerversprechen mehr bieten. Es geht vor sal nicht ereilen. Eine Publikation wie diese • Integration/Vernetzung von technischer allem darum, sinnvolle und dem Gesellschafts- kann keine neuen Gesellschaftsentwürfe vor- Ausbildung und kultureller Bildung, von entwurf dienende Aufstiegstreppen zu finden. schlagen. Es stellt sich die Frage, ob eine Theorie und Praxis, von öffentlich-recht kleine Gruppe von Menschen allein heute lichen Institutionen und privaten Einrich- Somit wird es ganz entscheidend sein, nicht überhaupt noch einen Gesellschaftsentwurf tungen nur Traumlösungen für den besser verdienen- abliefern kann. Dazu ist die Meinungs- und den Teil der Gesellschaft zu entwerfen, son- damit auch die Vorstellungsvielfalt zu hoch, Welche Leitbilder könnten dabei entstehen? dern alle Bildungs- und Einkommensschich- die technischen und soziologischen Aspekte Die Grenzen zwischen abhängiger Beschäfti- ten unbedingt in das neu zu entwerfende sind zu komplex und das Objekt des Entwurfs – gung und selbstständigem Unternehmertum Gesellschaftsbild mit einzubauen. Nur wenn die Gesellschaft – zu dynamisch wandelbar. verschwimmen. Mitarbeiter sollten direkt am die zukünftige Gesellschaft ein Narrativ für Unternehmen und am Unternehmenserfolg alle bietet, hat sie eine Chance, auch verwirk- Deshalb beschränken wir uns auf den Bereich, beteiligt werden. Das Ziel wäre es, Mitarbeiter licht zu werden. in dem Erfahrungen und Einsichten vorliegen zu Mit-Unternehmern werden zu lassen. und der zwar einerseits momentan – zumin- Die Gesellschaft sollte diejenigen würdigen, Wie motivieren wir die Jugend? dest in Deutschland – volkswirtschaftlich noch die bei der Erreichung der langfristigen Ziele Den oben genannten Leitbildern folgend eine verhältnismäßig geringe Bedeutung hat, Großes leisten. Würdigung heißt in diesem sollte die Schul-, Berufs- und Universitäts- aber andererseits viele der möglichen Lösun- Zusammenhang auch eine Neujustierung der ausbildung stetig umstrukturiert werden. gen vorhält, die für den Aufbau der neuen finanziellen Incentivierung wie auch der gesell- Neben diesem offiziellen und damit politisch Gesellschaft der Zukunft wichtig sein werden: schaftlichen Wertschätzung von Innovatoren beeinflussbaren Teil der Bildung und Aus die Biotechnologie. und innovativen Unternehmen im Gegensatz bildung spielen inoffizielle Motivations- und zu reinen „Systemerhaltern“. Vorbildkanäle eine entscheidende Rolle. Im nächsten Abschnitt werden wir Vorschläge Eine Demokratie kann nicht die Inhalte von unterbreiten, wie eine Biologisierung aus Der (Mit-)Unternehmer der Zukunft soll gut Fernsehserien, Internetblogs, Zeitungsarti- sehen und wie sie erreicht werden könnte. (nicht zwangsweise hochakademisch) aus- keln oder ähnlichen Inhalten durch die Politik Am Beispiel einer solchen Biotech-„Elemen gebildet sein, über detailliertes Fachwissen vorgeben. Somit gilt es, eine breite gesell- tarzelle“ wollen wir illustrieren, wie die hier verfügen, aber ebenso integrativ und ver- schaftliche Debatte anzustoßen, welche geschilderten Faktoren produktiv zusammen- netzt mit anderen Disziplinen denken und Gesellschaft wir wollen, und anschließend mit laufen könnten. 16 | Deutscher Biotechnologie-Report 2018
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