Die Darstellung und Deutung des Gewitters in der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts Diplomarbeit

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Die Darstellung und Deutung des Gewitters
      in der deutschen Literatur des 18.
                    Jahrhunderts

                    Diplomarbeit

          zur Erlangung des akademischen Grades
               einer Magistra der Philosophie

           an der Karl-Franzens-Universität Graz

                       vorgelegt von
                 Claudia Maria SCHIFFER

                 am Institut für Germanistik

 Begutachter: Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. phil. Robert Vellusig

                         Graz, 2021
Danksagung
Danke, Herr Ao. Univ-Prof. Mag. Dr. phil. Vellusig, für Ihre fachliche Unterstützung, für
Ihre Unterstützung bei der Themenfindung und für die Betreuung der Arbeit bis zur Fertig-
stellung.
Danke, Pierre, für die Kraft und den Rückhalt. Du bist mein Fels in der Brandung. Danke,
für deinen emotionalen Beistand.
Ich bedanke mich bei meiner Familie und auch bei Bernd, Eva und Ilse für ihre Unterstüt-
zung während des Studiums.
Danke, an alle, die mich in diesem Lebensabschnitt begleitet haben und immer für mich da
waren.
Kurzfassung
Die Arbeit geht zwei Fragen nach. Zum einen wird danach gefragt, inwiefern sich das Wis-
sen über das Gewitter im Laufe des 18. Jahrhunderts ändert und wie sich das auf die Wahr-
nehmung des Gewitters auswirkt, zum anderen danach, inwiefern sich diese Änderungen in
der Gewitterwahrnehmung in der literarischen Gestaltung des Gewitters widerspiegelt. Die-
ser Prozess ist Teil einer umfassenden Verschriftlichung der Kultur, der mit der Erfindung
des Buchdrucks beginnt und im 18. Jahrhundert in eine kulturrevolutionäre Phase eintritt. Er
lässt sich als Prozess der Entmythisierung beschreiben. Durch das zunehmende Wissen über
das Gewitter und die Erfindung des Blitzableiters kommt es zu einer potenziellen Beherr-
schung des Naturphänomens, die sich auf die Gewitterwahrnehmung auswirkt. In einer Welt,
die in Mythen denkt, ist das Gewitter Ausdruck göttlicher Mächte. In theologischer Hinsicht
tritt im 18. Jahrhundert an die Stelle einer Deutung des Gewitters als das Wirken eines zür-
nenden Gottes die Vorstellung, dass sich im Gewitter ein gütiger Gott offenbart. Aufgeklär-
ten ist es schließlich möglich, die Welt des Mythos zu verlassen. In der Literatur wird das
Gewitter zunächst sakralisiert und später aufgrund der sich ändernden Sicht auf das Gewitter
ästhetisiert. Die Erfahrung überwältigender Naturereignisse wird zur Erfahrung des Erhabe-
nen. Die Deutungsmuster der Religion treten in den Hintergrund. Kunst und Wissenschaft
werden zur Religion der Gebildeten.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ....................................................................................................................... 1

2 Die Geschichte des Wissens .......................................................................................... 4

   2.1 Vom Mythos zum Logos ........................................................................................ 4

   2.2. Das Gewitter in der Bibel ...................................................................................... 7

   2.3 Aufklärung über das Gewitter............................................................................... 11

       2.3.1 Aufklärung und medialer Wandel.................................................................. 11

       2.3.2 Das Gewitter in der Enzyklopädie ................................................................. 12

       2.3.3 Das postreformatorische Wissen ................................................................... 17

       2.3.4 Das Wissen in der Donnertheologie .............................................................. 19

       2.3.5 Wissen im Gewitterkatechismus .................................................................... 23

       2.3.6 Unterricht vom Blitz ...................................................................................... 25

   2.4 Praktischer und technischer Schutz vor dem Gewitter ......................................... 30

       2.4.1 Das schützende Gebet .................................................................................... 30

       2.4.2 Praktische Schutzanweisungen in der Donnertheologie ................................ 32

       2.4.3 Technische Schutzmethoden.......................................................................... 35

       2.4.4 Praktische Schutzmethoden vor dem Blitz .................................................... 37

   2.5 Fazit ...................................................................................................................... 40

3 Die Geschichte der literarischen Gestaltung ................................................................ 43

   3.1 Die Ästhetisierung des Gewitters ......................................................................... 44

   3.2 Das Erhabene ........................................................................................................ 46

   3.3 Goethe und die Naturgewalten ............................................................................. 51

   3.4 Literarische Gewitterszenen ................................................................................. 54

       3.4.1 Gesang zur Zeit des Ungewitters ................................................................... 54

       3.4.2 Die Frühlingsfeyer ......................................................................................... 57

       3.4.3 Prometheus..................................................................................................... 62

       3.4.4 Robinson der Jüngere..................................................................................... 64

       3.4.5 Die Leiden des jungen Werther ..................................................................... 69
3.4.6 Iphigenie auf Tauris ....................................................................................... 74

   3.5 Fazit ...................................................................................................................... 78

4 Zusammenfassung ....................................................................................................... 80
1 Einleitung

Das Naturphänomen Gewitter beschäftigte den Geist und die Fantasie der Menschen seit
Anbeginn der Zeit, da es als Naturgewalt unbeherrschbar schien und ihnen somit große
Angst einflößte. Seit der Antike wurde das Gewitter anthropomorph belegt. Dem Naturphä-
nomen wurde eine göttliche Ursache zugeschrieben, wodurch die Angst vor diesem Phäno-
men gemildert werden konnte, da die Menschen nun einen göttlichen Grund in seiner Exis-
tenz sahen. Erst im 18. Jahrhundert begann sich die Sicht auf das Gewitter zu ändern. Mit
dem steigenden Interesse an den Naturwissenschaften begannen die Gelehrten nach einer
natürlichen Ursache für die Existenz des Gewitters zu suchen, stellten Vermutungen über
die Beschaffenheit des Gewitters auf und hinterfragten die theologischen Erklärungen für
das Naturphänomen. Dabei griffen sie zunächst auf die antiken Lehren zurück, da bereits
Aristoteles eine natürliche Erklärung für das Naturphänomen fand.
  Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Darstellung und Deutung des Gewitters in der
deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts. Es wird der Frage nachgegangen, inwiefern sich
die literarische Darstellung und Deutung des Gewitters zu Beginn des 18. Jahrhunderts von
jener gegen Ende des 18. Jahrhunderts aufgrund des unterschiedlichen Wissensstandes rund
um das Naturphänomen Gewitter und der technischen und praktischen Bewältigungsmittel
unterscheidet, in der Annahme, dass die Geschichte die Gewitter-Metaphorik stimulierte.
Deshalb ist diese Arbeit in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil handelt von der Geschichte
des Wissens um das Naturphänomen Gewitter. Hier wird auf die sukzessive Wissenserwei-
terung und die sich ändernde Sicht auf das Gewitter eingegangen. Der zweite Teil handelt
von der Geschichte der literarischen Gestaltung des Gewitters in der deutschen Literatur des
18. Jahrhunderts.
  Es wird davon ausgegangen, dass sich mit einem größeren Wissen um das Naturphäno-
men Gewitter und der Erfindung des Blitzableiters, mit dem das Naturphänomen potenziell
kontrollierbar wird, auch dessen Darstellung und Deutung in der Literatur verändert und es
zu einer Ästhetisierung des Naturphänomens Gewitters erst mit der zunehmenden Be-
herrschbarkeit des Naturphänomens kommt.
  Wie bereits erwähnt, handelt das erste Kapitel von der Geschichte des Wissens über das
Gewitter. Dabei wird zunächst auf die antiken und mittelalterlichen Gewittervorstellungen
eingegangen, da die Gewittervorstellungen des 18. Jahrhunderts auf diesen aufbauen. Dabei
geht es zunächst um die mythische Deutung des Gewitters. Dieser Rückgriff auf antike und

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mittelalterliche Vorstellungen zeigt sich in den exemplarisch ausgewählten Gewittertrakta-
ten aus verschiedenen Jahrzehnten. Anhand dieser Gewittertraktate wird der jeweilige Wis-
sensstand rund um das Naturphänomen herausgearbeitet und gezeigt, wie sich die Sichtweise
auf das Gewitter aufgrund neuerer Erkenntnisse ändert und es daher neu interpretiert wird.
Da die Gewittertraktate sehr oft einen Bezug zur Heiligen Schrift herstellen, weil der christ-
liche Glaube im 18. Jahrhundert noch eine wichtige Rolle im Leben der Menschen einnimmt,
ihr Handeln noch weitgehend bestimmt und ihr Weltbild zeichnet, werden ausgewählte Ge-
witterdarstellungen aus der Bibel, die auch in den Gewittertraktaten erwähnt werden, vorweg
analysiert.
   Im 18. Jahrhundert sowie in den Jahrhunderten zuvor, wurden zahlreiche Gewittertraktate
veröffentlicht. Im Rahmen der Arbeit werden exemplarisch das „Geistliche Donner- und
Wetterbüchlein“ von Stöltzlin aus dem Jahr 1692, die „Bronto-Theologie“ von Ahlwardt,
die aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts stammt, der „Gewitterkatechismus“ von Kraus
und der „Unterricht vom Blitz und den Blitz- oder Wetterableitern“ von Luz, die in der zwei-
ten Hälfe des 18. Jahrhunderts veröffentlicht wurden, betrachtet. Dabei werden die vier Ge-
witterlehren dahingehend untersucht, welchem naturwissenschaftlichem Forschungsstand
sie entsprechen, welches Gottesbild sie vermitteln und welche Schutzmaßnahmen sie auf-
grund ihres naturwissenschaftlichen Kenntnisstands und ihres Gottesverständnisses empfeh-
len.
   Zu Beginn werden die Inhalte aus dem „Geistlichen Donner- und Wetterbüchlein“ und
der „Bronto-Theologie“ vorgestellt, da diese vor der bahnbrechenden Erkenntnis, dass der
Blitz etwas mit Elektrizität zu tun hatte und vor der Erfindung des Blitzableiters, der dank
der neuen Erkenntnisse entwickelt werden konnte, veröffentlicht wurden.
   Mit zunehmendem Wissen steigt auch das Bedürfnis nach Verschriftlichung der Erkennt-
nisse. Effektive Speicher- und Kommunikationsmedien entlasteten das Gedächtnis und füh-
ren zu einem erleichterten Zugang zu neuem Wissen über die Welt. In Enzyklopädien wie
Zedlers Universal-Lexicon wurde das neue Wissen erstmals systematisch schriftlich festge-
halten. Die Lexikoneinträge „Blitz“ und „Donner“ aus Zedlers Universal-Lexicon entstan-
den ebenso wie die vorgestellten zwei Gewittertraktate vor der bedeutsamen Erkenntnis und
der damit einhergehenden Erfindung des Blitzableiters. Diese Lexikoneinträge geben noch
einmal einen umfassenden Einblick in die Gewittervorstellungen in der ersten Hälfte des 18.
Jahrhunderts, da das Universal-Lexicon die erste deutsche Enzyklopädie mit dem Anspruch
auf Vollständigkeit war und deshalb auch in dieser Arbeit Beachtung finden soll.

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Danach wird darauf eingegangen, welche Experimente der Entdeckung, dass das Gewit-
ter etwas mit Elektrizität zu tun haben könnte, vorausgegangen sind und wie es schlussend-
lich zur Erfindung des Blitzableiters kam und mit welchen Herausforderungen jene Aufge-
klärten konfrontiert waren, die für die Verbreitung der Blitzableiter waren. Das wird anhand
der Gewitterlehre von Luz veranschaulicht, der diesen Verlauf in seiner Schrift festgehalten
hat.
   Das Wissen aus seinem Gewittertraktat, das eher an die Obrigkeit gerichtet war, die das
Volk aufklären sollen, und das Wissen aus dem Gewittertraktat von Kraus, das eher für die
gewöhnlichen Bürger bestimmt war, wird erläutert, bevor darauf eingegangen wird, wie sich
mit zunehmendem Wissen auch die vorgeschriebenen praktischen Verhaltensanweisungen
im Gewitter änderten, die den Menschen angesichts eines Gewitters dienlich sein sollen.
Dabei soll auch verdeutlicht werden, dass sich die Geschichte des Gewitters keineswegs li-
near gestaltet.
   Im zweiten Teil dieser Arbeit geht es um die Geschichte der literarischen Gestaltung des
Naturphänomens. Zunächst wird theoretisch auf die zunehmende Ästhetisierung des Gewit-
ters eingegangen und auf Kants Theorie des Erhabenen. Danach folgen Textanalysen zu
Werken aus der Lyrik, Epik und Dramatik, in denen das Gewitter auf unterschiedliche Weise
dargestellt wird.
   Ein beträchtlicher Teil dieses Kapitels ist Goethe gewidmet, der ein sehr reges persönli-
ches, politisches und geistiges Umfeld hatte. In dieser Arbeit werden gleich drei seiner
Werke behandelt, da in seinem Gedicht „Prometheus“, in seinem Briefroman „Die Leiden
des jungen Werthers“ und in seinem Drama „Iphigenie auf Tauris“ das Gewitter eine große
Rolle spielt.

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2 Die Geschichte des Wissens

Die Geschichte des Wissens rund um das Naturphänomen Gewitter ist umfassend, da sie
bereits ihre Ursprünge in der Antike hat und mit der allgemeinen Geschichte des Wissens,
seiner Entwicklung vom Mythos zum Logos, untrennbar verbunden ist.1 Im Gewitter
herrscht in einer mythisch denkenden, schriftlosen Welt ein göttliches Wesen, erst mit dem
Fortschreiten der Zivilisation verschwindet der göttliche Sinn.2 Die Anstrengungen der ers-
ten Aufklärung, zu der es in der Antike kam, und die der zweiten Aufklärung im 18. Jahr-
hundert,3 bringen im Laufe des 18. Jahrhunderts das biblizistische Weltbild ins Wanken und
somit auch die Überzeugung, dass dem Gewitter eine göttliche Macht innewohnt.4
   Die Entwicklung vom Mythos und Logos vollzieht sich bis ins 18. Jahrhundert nur lang-
sam, sie erfährt jedoch durch die Erfindung der Schrift und insbesondere durch die Erfindung
des Buchdrucks jeweils eine Beschleunigung.5 Zu beachten ist daher auch, dass mythische
Erklärungen zu Beginn des 18. Jahrhunderts einen höheren Stellenwert als naturwissen-
schaftliche Erklärungen haben, da sich die naturwissenschaftlichen Methoden erst entwi-
ckeln müssen. Das 18. Jahrhundert ist für eine Betrachtung des Naturphänomens Gewitter
in der deutschen Literatur insbesondere deshalb interessant, weil erst hier durch neue Er-
kenntnisse über das Gewitter, auf die die Erfindung des Blitzableiters folgte, eine zuneh-
mende Entzauberung des Gewitters, mit dem ein Wahrnehmungswandel einhergeht, erfolgt.6
Diese Entzauberung findet im Rahmen eines Konflikts zwischen einer „Kultur der Gelehr-
ten“ und einer „Kultur des Volkes“ statt.7

2.1 Vom Mythos zum Logos

Es liegt in der Natur eines Menschen, herausfinden zu wollen, was vor ihnen da war und was
um sie herum geschieht. Schon immer suchten sie nach Antworten auf ihre unzähligen Fra-
gen und wollten ihr Wissen über das Universum erweitern, so entwickelten sie Theorien, die

1 Vgl. Gisbert Ter-Nedden: Das Medium und die Botschaft. In: Gisbert Ter-Nedden [u.a.]: Mediengeschichte
  und kultureller Wandel. Hagen: FernUniversität Hagen 2003, S. 5-40, S. 5.
2 Vgl. Heinz D. Kittsteiner: Die Entstehung des modernen Gewissens. Frankfurt a. M., Leipzig: Insel 1991,
  S. 31.
3 Robert Vellusig: Aberglaube nach der Aufklärung. Theodor Storms Schimmelreiter. In: Nachklänge der
  Aufklärung im 19. und 20. Jahrhundert: Für Werner M. Bauer zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Klaus
  Müller-Salget und Sigurd Paul Scheichl. Innsbruck: Innsbruck Univ. Press 2008 (= Innsbrucker Bei-
  träge zur Kulturwissenschaft, Germanistische Reihe. 73.) S. 197-215, S. 201.
4 Vgl. Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissens, S. 31.
5 Vgl. Ter-Nedden, Das Medium und die Botschaft, S. 10.
6 Vgl. Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissens, S. 31.
7 Vgl. ebda.
                                                                                                       4
auf ihrer Beobachtung der Welt beruhten. Das Ergebnis dieser Untersuchungen und Be-
obachtungen verschiedenster Phänomene waren – da sie nicht auf Ergebnisse moderner Na-
turwissenschaften zurückgreifen konnten – in der Antike mythische Erzählungen aus ver-
schiedenen Kulturen, die jeweils eine einmalige Weltsicht bieten. Diese wieder- und weiter-
erzählbaren Geschichten stammen aus der Welt des Mythos der Redekulturen, die die Welt
mythisch deuten (von griech. mythein = erzählen).8 So ist eine Mythologie, in der diese My-
then später schriftlich gesammelt wurden, keine bloße Ansammlung von Geschichten über
Helden und Götter, sie liefert auch eine Methode, mit der man die Welt verstehen kann.
   Naturkatastrophen wie das Gewitter flößten den Menschen aufgrund ihrer Unkontrollier-
barkeit seit jeher Angst ein. Scheinbar willkürlich kam manchmal ihr Hab und Gut zu Scha-
den, in anderen Fällen ging das Gewitter vorüber und beides blieb von ihm verschont.9 Die
Auseinandersetzung mit dem Naturphänomen Gewitter ist somit, wie bereits erwähnt, ein
epochenübergreifendes Phänomen. Seit der Antike suchten Menschen mythische Erklärun-
gen für die furchtauslösenden Naturphänomene, denen sie weitgehend schutzlos ausgeliefert
waren, mit denen das Gewitter an Schrecken verlor. Das gewaltige Naturphänomen wurde
von ihnen deswegen anthropomorph belegt.10 So schleuderte in der griechischen Antike etwa
Zeus Blitze vom Olymp herab.
   Es waren aber auch die Griechen, die aus der phönizischen Konsonantenschrift das erste
Vokalalphabet der Geschichte entwickelten.11 Die Welt der Schrift ist die Welt des Logos
(von griech. legein = sammeln, lesen, rechnen), das heißt, dass mithilfe der Schrift vor allem
Sachwissen gespeichert werden soll.12
   Bereits in der griechischen Antike kam es zur ersten Aufklärung, in der die Entmythisie-
rung der Wissenskultur in Gang gesetzt wurde und einen Stand erreichte, den die nachfol-
genden Schriftkulturen erst wieder in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts erreichen konn-
ten.13 Im Zuge dieser ersten Aufklärung suchte etwa Aristoteles bereits nach einer natürli-
chen Ursache für das Naturphänomen Gewitter. Dieser stellte für sich fest, dass das Gewitter
durch schwefelige Ausdünstungen, die von der Erde ausgehen, entsteht, die wiederum in den
Himmel aufsteigen und sich dort entzünden, wodurch die für uns sichtbaren Blitze entstehen,
der Regen jedoch reinigt die Luft von den Ausdünstungen.14

8 Vgl. Ter-Nedden, Das Medium und die Botschaft, S. 5.
9 Vgl. Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissen, S. 31.
10 Vgl. Michaela Baumgartner: Fulgura frango. In: Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erfor-
   schung des Achtzehnten Jahrhunderts 21 (2006), S. 199-212, S. 199.
11 Vgl. Ter-Nedden, Das Medium und die Botschaft, S. 5.
12 Vgl. ebda.
13 Vgl. ebda.
14 Vgl. Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissens, S. 12f.
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Noch im 18. Jahrhundert sollte man sich weitgehend an die aristotelische Erklärung hal-
ten. Für die Allgemeinheit wird der mythischen Deutung des Gewitters der höhere Stellen-
wert zugeschrieben, was einerseits an der Abstraktheit der naturwissenschaftlichen Theorie
liegen könnte, andererseits aber auch dem hohen Stellenwert der Gottheiten zugeschrieben
wurde, die für das Volk für die Existenz der bedrohlichen Naturphänomene verantwortlich
waren.
   Der mittelalterliche Mensch deutete das Gewitter ebenfalls mythisch. So vermutete er
hinter diesem Naturphänomen das Schaffen Gottes. Das Gewitter war eine Demonstration
seiner Macht und erinnerte die Sterblichen an ihre Schwächen, ihre Wehr- und Schutzlosig-
keit und an den Jüngsten Tag.15
   Aber der Mensch ist auch frech. Angst und Frechheit, Abhängigkeitsgefühl und Selbst-
behauptung stehen in einer seltsamen Korrelation zueinander, deswegen wollten sowohl die
Gelehrten als auch die gewöhnliche Bevölkerung gegen das Gewitter mithilfe von Gebeten,
Riten, mit dem Läuten von geweihten Glocken und vielen anderen Mitteln, die ihnen taug-
lich schienen, ankämpfen, doch mit diesen blieben sie weitgehend machtlos gegen das Wü-
ten des Gewitters.16 Der alttestamentarische Zornesgott ist stärker und seine Wut ist biswei-
len unberechenbar. Gott ist in der christlichen Glaubenswelt ebenso wie die Götter Jupiter
und Zeus in der römischen und griechischen Mythologie der Herrscher über Blitz und Don-
ner.17
   Um 1450 wurde der Buchdruck mit beweglichen Lettern von Johannes Gutenberg erfun-
den, der im 18. Jahrhundert immens wichtig für die endgültige Trennung von Mythos und
Logos war.
   Auf das Mittelalter folgt die Neuzeit, die mit zahlreichen neuen Entdeckungen einhergeht.
Man erinnerte sich wieder an die Lehren der Antike. Es kam zur zweiten Aufklärung. Im
Zuge dieser sollte eine sukzessive Transformation der Welt des Mythos der Redekulturen in
die Welt des Logos der Schriftkulturen erfolgen.18 Doch die Welt ist den Menschen auf zwei
komplementäre Weisen gegeben – als Welt der Sachen, die wir technisch manipulieren und
als Welt der Personen, mit denen wir verbal oder nonverbal interagieren – und deshalb ent-
falteten sich die Medien zu einem funktional differenzierten Medienverbund anstatt sich
voneinander abzulösen.19 Eine funktionierende Gesellschaft braucht deshalb zwei Kulturen,

15 Vgl. ebda, S. 32.
16 Vgl. ebda, S. 31f.
17 Vgl. ebda.
18 Vgl. Ter-Nedden, Das Medium und die Botschaft, S. 5.
19 Vgl. ebda, S. 5f.
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eine Wissenskultur, die für die Gewinnung und Überlieferung des Sachwissens zuständig
ist, also jenem ich-fernen Wissen, das nicht narrativ sondern diskursiv, nicht erzählend, son-
dern aufzählend ist und das wir uns schlecht merken können, weil das menschliche Gehirn
ein Sozialorgan ist und eine Rede- und Interaktionskultur unserem Wesen viel mehr ent-
spricht.20
   Bei der Verschriftlichung des Wissens geht es um eine explizite Versprachlichung, für
die zunächst eine eigene Schriftsprache und eine eigene schriftsprachliche Begrifflichkeit
zur Verbalisierung eines situationsunabhängigen Wissenserst entwickelt werden muss.21
Das ist auch der Grund, weshalb im deutschsprachigen Raum bis ins 18. Jahrhundert die
lateinische Schriftsprache dominierte, sie war die einzige verfügbare Schriftsprache im nach-
antiken Europa.22
   Religion war eine kulturelle Selbstverständlichkeit und die Kirche hatte ein Monopol auf
die Lebensdeutung. Deswegen änderte sich auch an der mittelalterlichen Deutungsweise des
Gewitters bis ins 18. Jahrhundert nichts. Im Blitz als eindrucksvollste Lichterscheinung und
im Donner als akustisch gewaltigsten Klang wirkte auch für sie der zürnende Gott des Alten
Testaments.23 Das Gewitter ist weiterhin ein Zeichen der Existenz und Macht Gottes, wofür
die Kirche auch zahlreiche Belege in der Bibel, die intensiv, also immer wieder, gelesen
wurde, fand. Es war für sie naheliegend, Antworten auf Lebensfragen in der Bibel zu suchen.
Anhand der Bibel finden die Menschen eine Begründung für die Existenz des Gewitters und
Geschichten, auf die sie sich zur Erklärung ihrer Notsituationen berufen konnten. Aufgrund
des hohen Stellenwerts, der der Bibel im 18. Jahrhundert zukommt, wird im folgenden Ka-
pitel ein Blick auf die Deutung des Gewitters in der Bibel geworfen.

2.2. Das Gewitter in der Bibel

In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts werden nur wenige Bücher von der Bevölkerung
gelesen. So wurden beispielsweise die Bibel, Erbauungsliteratur, Gebetsbücher, Kalender
oder antike Sagen zur wiederholten Lektüre herangezogen. Ein Blick in die Bibel zeigt, dass
sich sowohl im Alten als auch im Neuen Testament zahlreiche Unwetterdarstellungen fin-
den. Die folgenden ausgewählten Textausschnitte sollen einen Einblick in die im 18. Jahr-
hundert vorherrschende Glaubensvorstellung geben und auf die folgenden Kapitel

20 Vgl. ebda, S. 5f.
21 Vgl. ebda, S. 6.
22 Vgl. ebda.
23 Vgl. Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissens., S. 31f.
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vorbereiten. Dabei liegt aufgrund der Textmenge der Fokus auf der Darstellungsweise des
Gewitters im Alten Testament, in der der alttestamentarische Zornesgott seine Macht de-
monstriert. Dies ist auch eine Vorbereitung auf die anschließende Betrachtung der Gewitter-
traktate, da die Schreiber dieser Schriften sich in ihrer Argumentation oftmals auf die Bibel
berufen. Insbesondere die folgenden Textstellen nehmen einen besonderen Stellenwert in
ihrer Argumentation und Beweisführung ein. Im Alten Testament heißt es in der vierten
Rede Elihus über Gottes Macht:

         Hört, hört das Toben der Stimme Gottes, welch ein Grollen seinem Mund
         entfährt. Unter dem ganzen Himmel lässt er es los und seinen Blitz über
         die Säume der Erde. Hinter ihm brüllt der Donner drein, er dröhnt mit er-
         habener Stimme. (Hiob 37, 2-4)

Im Buch Hiob wird Gott als der Herrscher über das Gewitter dargestellt. Wenn Gott lautstark
tobt, schickt er durch seine Hand Blitze über die Erde. Auf die Blitze folgen gewaltige Don-
nerknalle und durch das Gewitter hören die Menschen Gottes dröhnende, erhabene Stimme.
Auch im Buch Jona lässt Gott einen Seesturm über die Menschen losbrechen. In älteren
Bibelübersetzungen wird an dieser Stelle der Begriff „Ungewitter“ verwendet, womit ver-
mutlich der veraltete Begriff für die Begriffe „Unwetter“, „Gewitter“ gemeint ist. Aufgrund
dieser Annahme kommt auch diese Textstelle zur näheren Betrachtung in Frage.
  Der ungehorsame Jona missachtet den Befehl seines Herrn. So macht er sich nicht auf
den Weg in die Stadt Ninive, sondern bezahlt das Fahrgeld für eine Schiffsreise, um dem
Herrn zu entfliehen. Doch dem allwissenden und allsehenden Gott entgeht das nicht und er
straft den Sünder, aber auch die unschuldigen Seeleute:

         Aber der Herr ließ auf dem Meer einen heftigen Wind losbrechen; es ent-
         stand ein gewaltiger Seesturm und das Schiff drohte auseinanderzubre-
         chen. Die Seeleute bekamen Angst und jeder schrie zu seinem Gott um
         Hilfe. Sie warfen sogar die Ladung ins Meer, damit das Schiff leichter
         wurde. Jona war in den untersten Raum des Schiffes hinabgestiegen, hatte
         sich hingelegt und schlief fest. Der Kapitän ging zu ihm und sagte: Wie
         kannst du schlafen? Steh auf, ruf deinen Gott an; vielleicht denkt dieser
         Gott an uns, sodass wir nicht untergehen. (Jona 1, 4-6)

Diese Textstelle zeigt deutlich die Furcht der Seeleute vor dem Gewitter, dem sie auf hoher
See völlig ausgesetzt sind. Die Gläubigen rufen in ihrer Not Gott an, damit er ihnen hilft.

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Nur der Sünder Jona, der selig schläft, und der Kapitän bleiben ruhig. Letzterer weckt Jona
und fordert ihn auf, zu Gott zu beten, damit dieser besänftigt wird und ihr Schiff nicht sinken
lässt.
   In der nächsten Textstelle kommen wieder alle Komponente des Gewitters, auf denen
auch der Fokus der weiteren Betrachtung liegen wird, vor. Sie zeigt aber auch, dass nicht
nur das Gewitter, sondern die Naturgewalten im Allgemeinen den Menschen das Fürchten
lehrten:

           Da wankte und schwankte die Erde, die Grundfesten der Berge erbebten.
           Sie wankten, denn sein Zorn war entbrannt. Rauch stieg aus seiner Nase
           auf, aus seinem Mund kam verzehrendes Feuer, glühende Kohlen sprühten
           aus von ihm. Er neigte den Himmel und fuhr herab, zu seinen Füßen
           dunkle Wolken. Er fuhr auf dem Kerub und flog daher, er schwebte auf
           den Flügeln des Windes. Er hüllte sich in Finsternis, in dunkles Wasser
           und dichtes Gewölk wie in ein Zelt. Von seinem Glanz erstrahlten die
           Wolken, Hagel fiel nieder und glühende Kohlen. Da ließ der Herr den
           Donner im Himmel erdröhnen, der Höchste ließ seine Stimme erschallen.
           Er schoss seine Pfeile und streute sie, schleuderte Blitze und jagte sie da-
           hin. (Psalm 18, 8-15)

In dieser Bibelstelle wird König David durch Gott gerettet. Gott zeigt seinen Zorn durch ein
Erdbeben, einen Vulkanausbruch und ein Gewitter. Gott sitzt auf dem Cherub und verdun-
kelt den Himmel. Er lässt durch Blitze den Himmel erstrahlen und Hagel fällt durch ihn auf
die Feinde des Königs herab. Auf die Blitze folgen die Donnerknalle und durch sie ist die
Stimme Gottes deutlich vernehmbar. Er zielt mit den Blitzen auf die Feinde Davids und jagt
sie so davon. Es zeigt sich, dass ein Gewitter sowohl zur Strafe als auch zur Rettung dienen
kann.
   Neben diesen Beispielen, in denen man über einen erbosten Gott liest, der die Bösen straft
und die Guten rettet, finden sich auch Textstellen, in denen ein guter, wohlwollender Gott
beschrieben wird, wie das folgende Beispiel aus dem Alten Testament zeigt:

           Denn über allem liegt als Schutz und Schirm die Herrlichkeit des Herrn;
           sie spendet bei Tag Schatten vor der Hitze und ist Zuflucht und Obdach
           bei Unwetter und Regen. (Jesaja 4, 5-6)

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Diese Bibelstelle zeigt die Schutzfunktion Gottes, der die Menschen durch seinen Schatten
vor der Hitze schützt und ihnen Zuflucht bei Unwetter und Regen gewährt. Hinter dem Ge-
witter könnte in diesem Fall die alleinige Naturgewalt oder aber auch, wenn man davon
ausgeht, dass die Menschen seit jeher hinter Schrecklichem und Unerklärlichem die Taten
eins übermenschlichen Wesens vermuteten, der Teufel stecken, vor denen die Menschen bei
Gott Schutz suchten.
  Dem Gewitter und dessen zumeist göttlichen Verursacher kann man aufgrund der Bibel-
lektüre sowohl eine negative als auch eine positive Darstellung zusprechen.
  Diese Textstellen zeigen einerseits im Gewitter das Wirken eines zürnenden Gotts, der
die Menschen mit Blitz und Donner strafen will und zur Buße mahnt, andererseits wird auch
ein Gott beschrieben, der die Menschen mithilfe eines Gewitters aus ihrer schwierigen Lage
befreit und sie vor dem Unwetter schützt.

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2.3 Aufklärung über das Gewitter

   2.3.1 Aufklärung und medialer Wandel

Die Leitmetapher der Aufklärung, die Lichtmetapher, meint eine kognitive Enttäuschung,
eine Desillusionierung, die durch den Gewinn an Einsichten entsteht und durch die Autono-
mie hinzugewonnen wird. Kant beschreibt Aufklärung folgendermaßen:

          Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten
          Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes
          ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Un-
          mündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes,
          sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung
          eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen
          Verstandes zu bedienen! Ist also der Wahlspruch der Aufklärung.24

Kant merkt an, dass es bequem sei, unmündig zu sein:

          Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für
          mich Gewissen hat, […] so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen.25

Dabei geht es Kant ausdrücklich um den Ausgang der Menschen aus ihrer selbstverschulde-
ten Unmündigkeit in „Religionssachen“26 und er fordert die Aufkündigung der Bindung an
die positiven Religionen.27 Die geistlichen und weltlichen Vormünder verweigern den Men-
schen das Recht auf Selbstdenken in diesem Bereich, der, wie bereits erwähnt, für die
menschliche Selbst- und Lebensdeutung zentral war, und sehen die Bezweiflung und Be-
streitung von festgelegten Glaubenssätzen als einen Akt der Sünde an, der mit himmlischen
und weltlichen Strafen belegt wird.28
Durch den Buchdruck entstehen das Medium Zeitung, durch die man Zugriff auf objektive
Berichterstattungen erhält, Lexika, in denen Wissen gespeichert wird, es kommt zu einer
Flut an Publikationen, in denen Gelehrte ihre Meinung verbreiten können.

24 Immanuel Kant: Was ist Aufklärung? Ausgewählte kleine Schriften. Mit einem Text zur Einf. von Ernst
   Cassirer. Hrsg. von Horst D. Brandt. Hamburg: Meiner 1999. (= Philosophische Bibliothek. 512.), S. 20-
   27, S. 20.
25 Ebda.
26 Vgl. ebda, S. 26f.
27 Vgl. Ter-Nedden, Das Medium und die Botschaft, S. 14.
28 Vgl. ebda.
                                                                                                      11
Im Folgenden wird das Zedler- Universal-Lexicon vorgestellt und ausgewählte Gewitter-
traktate analysiert, die das Volk über das Naturphänomen aufklären, damit dieses sich ange-
sichts eines Gewitters nicht mehr, aufgrund mangelhaften Wissens, ungebührlich verhalten
muss.
   Im 18. Jahrhundert sowie in den Jahrhunderten zuvor wurden zahlreiche Gewitterlehren
veröffentlicht. Im Rahmen der Arbeit werden exemplarisch das „Geistliche Donner- und
Wetterbüchlein“ von Stöltzlin aus dem Jahr 1692, die „Bronto-Theologie“ von Ahlwardt,
die noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts veröffentlicht wurde, der „Gewitterkate-
chismus“ von Kraus und der „Unterricht vom Blitz und den Blitz- oder Wetterableitern“ von
Luz, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts veröffentlicht wurden, betrachtet. Dabei werden
die drei Gewitterlehren dahingehend untersucht, welchem naturwissenschaftlichem For-
schungsstand sie entsprechen, welches Gottesbild sie vermitteln und welche Schutzmaßnah-
men sie aufgrund ihres naturwissenschaftlichen Kenntnisstands und ihres Gottesverständ-
nisses empfehlen. Das 1784 erschienene Buch „Unterricht vom Blitz“ von Johann Friedrich
Luz diente ebenso wie der 1797 erschienene „Gewitterkatechismus“ von Joseph Kraus und
„Die ausführlichen Vorschriften zur Blitz-Ableitung“ von Reimarus aus dem Jahr 1794
dazu, die Menschen umfassend über das Gewitter zu informieren und ihnen mithilfe von
Anleitungen ihre Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie sich vor ihm schützen können.

   2.3.2 Das Gewitter in der Enzyklopädie

Diese Entwicklung findet sich in den zahlreichen Gewittertraktaten wieder, die im Folgen-
den analysiert werden. Dem vorangestellt werden die Artikel zu „Donner“ und „Blitz“ aus
Zedlers Universal-Lexicon.
   Das Jahrhundert der Aufklärung wird mit Wissbegierde und Bildungsfortschritt assozi-
iert.29 Die neuen Erkenntnisse werden in diesem Jahrhundert in Lexika eifrig gesammelt.
Das Große vollständige Universal-Lexicon des Leipziger Verlegers Johann Heinrich Zedler
gilt als die wichtigste deutschsprachige Enzyklopädie im 18. Jahrhundert. Ludovici schreibt
in der Vorrede zum 19. Band von Zedlers Universal-Lexicon:

          Niemals ist an dem Wachsthume der Künste und Wissenschaften mehr
          gearbeitet worden, als in den ietzigen Tagen. […] Die Gedächtnis-Gelehr-
          ten, oder diejenige Classe der Gelehrten, welche das erlernte Lehr-Ge-
          bäude ihrer Wissenschaft nicht anders, als wie die Nonnen den Psalter, an

29 Vgl. Ulrich Johannes Schneider: Die Erfindung des allgemeinen Wissens. Enzyklopädisches Schreiben im
   Zeitalter der Aufklärung. Berlin: Akademie 2013, S. 15.
                                                                                                    12
den Fingern herzusagen wissen, kommen gantz aus der Mode. Ihr ehema-
         liges Ansehen ist nunmehr gantzlich gefallen, und sie selbst verliehren
         sich allmählich. Dagegen rühmet und erhebet man allein die, welche ihren
         Verstand anstrengen, ihre Wissenschaft durch Nachdenken und Uber-
         dencken begreiffen, und solche auf demonstrative Art wieder vorzutragen
         suchen.30

Ludovici berichtet von einer Wissensflut, mit der man sich plötzlich konfrontiert sieht. Es
wird plötzlich für die Gelehrten unmöglich, alles über ihre eigene Disziplin zu wissen, dies
markiert das Ende der Universalgelehrten. Sie haben es mit einer ständigen Erneuerung des
Wissens zu tun. Das zeigt sich auch anhand der Gewitterforschung im 18. Jahrhundert. In
der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist Zedler allerdings noch unzufrieden mit den bishe-
rigen Erkenntnissen zum Gewitter. Er schreibt in seinem Eintrag über den Blitz:

         So viel Mühe als sich die Naturkündiger in Untersuchung dieser Sache
         gegeben haben, so wenig hat man doch von derselben Gewißheit.31

Zedlers „Großes vollständiges Universal-Lexicon“ umfasst 64 Sammelbände und vier Er-
gänzungsbände, die zwischen 1732 und 1754 erschienen sind.32 Es war die erste bedeutende,
im Kollektiv erstellte deutsche Enzyklopädie, die ihren Lesern ein alphabetisch geordnetes
Sachwissen ohne Autornennung bot und von sich Vollständigkeit forderte.33 Wie Zedler die
Enzyklopädie in seiner Vorrede schon alternativ bezeichnet, ist sie eine „Schatzkammer“
mit gesammeltem Wissen aus allen Disziplinen, das zuvor in spezifischen Werken aufberei-
tet wurde. Es soll ein möglichst großes Zielpublikum erreichen und deshalb sollen die Bei-
träge gut verständlich sein. Wichtige Kriterien sind daher die Aktualität der Inhalte, die Ver-
wendung von verbürgtem Wissen und die Anwendungsorientierung, das Streben nach Nütz-
lichkeit.34 Deshalb finden sich im Lexikon beispielsweise Zeitungsartikel, unverändert über-
nommenes Wissen aus anderen Lexika, Kochrezepte und Rezepte für Salben und andere
Heilmittel.35 Es werden auch zahlreiche ferne Länder mitsamt ihrer Landschaft, religiösen

30 Johann Heinrich Zedler: Großes vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschaften und Künste, Bd.
   19. Halle, Leipzig 1739, S. 1.
31 Johann Heinrich Zedler: Blitz. In: Großes vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschaften
   und Künste, Bd. 4. Halle, Leipzig 1733, Sp. 166-173, Sp. 166.
32 Vgl. Schneider, Die Erfindung des allgemeinen Wissens, S. 38.
33 Vgl. ebda, S. 9.
34 Vgl. ebda, S. 41.
35 Vgl. ebda, S. 41f.
                                                                                                   13
Sitten und fremden Lebensweisen anhand von mehr oder weniger zuverlässigen Reisebe-
richten beschrieben.36
   In der Enzyklopädie wird auch auf die Gewitterkomponenten Donner und Blitz eingegan-
gen.
   Der Enzyklopädie zufolge ist der Donner, der „starcke Knall, den man bey dem Gewitter
höret und welcher nach dem Blitz folget“.37 Es zeigt sich, dass bereits gewusst wurde, dass
man nach einem Blitzschlag nur die Sekunden zu zählen braucht, damit man nach einer wei-
teren kleinen Berechnung Bescheid wusste, wie weit das Gewitter entfernt war.38 Nach den
naturwissenschaftlichen Erklärungen folgt jedoch eine, die der christlichen Glaubenswelt
entspringt. Der Donner ist die Stimme Gottes. Es ist sein Brüllen und sein Schelten, das die
Menschen sowohl an seinen Zorn als auch an seine Macht und Herrlichkeit erinnern soll.39
Es wird hervorgehoben, dass Gott der Urheber aller Donner und Gewitter ist, dem Aberglau-
ben des Volkes, dass hinter einem Gewitter der Teufel steckt, wird jedoch vehement wider-
sprochen, so sei es ihm unmöglich, im Gewitter zu wirken, da dieser der Gewalt Gottes un-
terliegt.40
   Der Blitz wird im vierten Band als dasjenige Feuer beschrieben,

          welches man mit einer sonderbaren Gewalt von dem Himmel herabschüs-
          sen siehet, und dessen sonderbare Würckung in Zernichtung und Anzün-
          dung derer Dinge auf Erden wahrnimmt […] Er ist ein Feuer, das, nach
          dem Geruch zu urteilen, aus schwefelichten Theilen besteht.41

Auch hier wird erwähnt, dass es lächerlich sei, wenn man hinter dem schwefeligen Geruch
den Teufel vermutet, der dem Aberglauben nach, immer einen solchen Gestank hinter sich
herziehe.42 Heute weiß man, dass es sich dabei nicht um Schwefel handelt, sondern um den
Geruch des Ozons, das sich bei einem Blitzschlag bildet.43
   In den nachfolgenden Spalten werden die verschiedenen Lehrmeinungen von der Antike
bis ins 18. Jahrhundert über die Entstehung, den Nutzen und die Wirkung des Blitzes in der
Natur aufgezählt. Einige ernennen aufgrund ihrer christlichen Denkweise Gott zur

36 Vgl. ebda, S. 113f.
37 Johann Heinrich Zedler: Donner. In: Großes vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschaften und
   Künste, Bd. 7. Halle, Leipzig 1734, Sp. 1280-1282, Sp. 1282.
38 Vgl. ebda, Sp. 1281.
39 Vgl. ebda.
40 Vgl. ebda.
41 Ebda.
42 Vgl. Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissens, S. 32.
43 Vgl. ebda, S. 65.
                                                                                                   14
unmittelbaren Ursache des Blitzes, da manchmal auch ohne dunkle Wolken, bei heiterem
Himmel, Blitze am Himmel zu sehen und Donner zu vernehmen seien, woran die unmittel-
bare „Straff-Hand“ zu erkennen sei.44 Zedler unterscheidet allerdings zwischen der Natur-
lehre und der Gotteslehre, „christliche Weltweisen“ sollten wissen, dass Gott zwar die erste
Ursache aller Dinge sei, aber die unmittelbaren Dinge, solle man nicht Gott zuschreiben, da
die ordentlichen Wege der Natur ohne sein direktes Zutun stattfinden können.45
   Wie bereits erwähnt, stellt sich Zedler gegen die Meinung, dass ein schädigendes Gewit-
ter das Werk des Teufels sei. Er verhöhnt diese abergläubischen Menschen und merkt an,
wer das glaube, könne auch an das Märchen von Rübezahl glauben, der den im Riesenge-
birge reisenden Personen ein Unwetter zuteilwerden lässt, wenn sie ihn zuvor beleidigten.46
Zedler meint, dass man seinen Geist nicht mit derartigen wundersamen Geschichten verwir-
ren soll, sondern lieber an natürliche Ursachen glauben soll, die der vernünftige Verstand
eher begreifen kann.47
   Wie bereits erwähnt, wird zumeist die Theorie des Aristoteles vertreten und weiterge-
führt. Schwefelige Dünste steigen aus der Erde auf und entzünden sich, dadurch werden
Blitze sichtbar. Manche sind der Meinung, dass Blitze entstehen, wenn höhere Wolken auf
tiefer liegende herabfallen und diese beim Durchbrechen entzünden, andere sind der Mei-
nung, dass der Blitz eine zusammengepresste Materie sei, die ähnlich wie eine Kanonenku-
gel explodiert.48
   Erklärungsbedürftige Phänomene wie die beobachtbaren Erfahrungen, dass es selbst im
Winter blitzen, und dass sich selbst feuchtes Heu entzünden lässt, weshalb man auch an-
nimmt, dass sich im Feuchten auch Feuer verbirgt, werden angeführt.49 Einer bietet dazu die
Erklärung, dass die Wolken auf die Materie des Blitzes wie ein Brennspiegel wirken würden,
sodass der Blitz von den Sonnenstrahlen entzündet wird.50 Dieser Theorie kann Zedler nicht
zustimmen, da er der Meinung ist, dass sich aufgrund der Tatsache, dass die Wolken nicht
still am Himmel stehen, kein Fokus gebildet werden kann, und weiters sei anzumerken, dass
man mit dieser Theorie auch nicht die nächtlichen Blitze erklären kann, da nachts keine

44 Vgl. Zedler, Blitz, Sp. 166.
45 Vgl. ebda.
46 Vgl. ebda.
47 Vgl. ebda, Sp. 167.
48 Vgl. ebda, Sp. 167f.
49 Vgl. ebda.
50 Vgl. ebda, Sp. 169.
                                                                                         15
Sonne scheint.51 Weiters berichtete ein Italiener von seinem Erlebnis in den Apenninen, wo
er einen Blitz aus dem Erdboden hervorbrechen sah.52
   Danach wird die moralische Seite des Gewitters angeführt und auf die furchteinflößende
Wirkung des Blitzes auf die Natur des Menschen eingegangen.53 Manch einer will die Men-
schen mit der Tatsache beruhigen, dass ein Blitzschlag sowohl Fromme als auch Unfrommen
töten kann, da dieser einen völlig zufällig treffen kann, und selbst die Tempel des Jupiters
wären bereits von einem Blitzschlag getroffen worden. Daher sei es unmöglich, dass dieser
von Göttern gelenkt wird.54 Doch Zedler merkt sogleich an, dass Gott zwar nicht die „causa
proxima“ aller Dinge, aber sehr wohl deren „causa remota“ sei. So kann man Gott nicht für
den unmittelbar entstandenen Schaden zuständig machen, er hat allerdings das Gewitter und
dessen natürlichen Verlauf einmal geschaffen, das von da an seinen Gesetzmäßigkeiten un-
terlag.55 Die „Betrachtung des Donners zu einem Stücke der Religion“56 wird bereits im
Zedler als eine veraltete Sichtweise angesehen. Nun wird zwischen „zweyerlen Arten von
Menschen“ unterschieden, „welche sich bey denen Gewittern ungebührlich aufführen“.57 Es
werden einerseits die aufgeklärten Menschen kritisiert, die sich angesichts eines Gewitters
zu frech und verwegen geben und den Blitz nicht fürchten wollen, gleichsam „als wenn man
sich vor einer natürlichen Gefahr nicht hüten dürfte“,58 andererseits werden auch diejenigen
kritisiert, die aufgrund ihrer Erziehung, einem mangelnden Gottverständnis und einer unver-
hältnismäßigen Angst vor dem Tod, ein allzu furchtsames Verhalten an den Tag legen.59
Diese Kritik zeigt, dass im 18. Jahrhundert noch viele Menschen im Gewitter das Wirken
eines zürnenden Gottes sahen, dessen Stimme sie bereits im Donner vernommen haben. Sie
zeigt allerdings auch, dass es auch aufgeklärte Menschen gab, die angesichts eines Gewitters
aufgrund ihrer Informiertheit über das Wettergeschehen gelassen bleiben konnten.
   Im Anschluss führt Zedler eine praktische Hilfe zur Beruhigung der Ängstlichen an. Ein
weiser Mann würde wissen, dass das Gewitter ein Naturphänomen ist, das auch Schaden
zufügen kann, vor denen man sich selbst schützen muss.60 Beten und Singen wird als ein
gutes Mittel zur Beruhigung angeführt, daher

51 Vgl. ebda.
52 Vgl. ebda, Sp. 170.
53 Vgl. ebda, Sp. 171.
54 Vgl. ebda, Sp. 172.
55 Vgl. ebda.
56 Ebda.
57 Ebda.
58 Ebda.
59 Ebda.
60 Vgl. ebda.
                                                                                         16
ist der Gebrauch bey Gewittern zu beten und zu singen höchst löblich. [...]
          Wer also in dieser Gelegenheit an Gott, an den Tod und an sich gedencket,
          keinesweges aber eine kindische Furcht bezeuget, ist mit nichten unter die
          kleinen Geister zu rechnen; nur muss man nicht meinen, daß ein leeres
          Geschrey die Wege Gottes verändern könne.61

Zedlers „Universal-Lexicon“ zeigt ein Nebeneinander von naturwissenschaftlichem Wissen,
mythologischem Wissen und praktischer Lebenshilfe. Die naturwissenschaftliche Betrach-
tung und die theologische Betrachtung werden als gleichwertige Lebensaspekte angesehen,
daher sind beide Betrachtungsweisen ein selbstverständlicher Bestandteil der Enzyklopädie.
Heutzutage würde dieses Nebeneinander auf Unverständnis stoßen. Es zeigt, dass auch in
der Mitte des 18. Jahrhunderts sowohl der Donner als auch der Blitz nicht nur als Naturphä-
nomene, sondern auch als göttliche Zeichen angesehen werden. Der praktische Beitrag, dass
man sich selbst und andere durch Gebet und Gesang beruhigen soll, zeigt auch die Anwen-
dungsorientiert und das Streben nach Nützlichkeit.

   2.3.3 Das postreformatorische Wissen

Das Gewitter war, wie bereits erwähnt, noch im 18. Jahrhundert für viele eine religiöse Stra-
finstanz, ein moraltheologisches Ereignis.62 Ein repräsentatives Werk, in dem die Ansichten
der Moraltheologen erkennbar sind, ist Stöltzlins „Geistliches Donner- und Wetterbüchlein“,
das bereits Ende des 17. Jahrhundert erschienen ist. In Bönifazius Stöltzlins Schrift sind
sowohl Gebete, Herzensseufzerlein als auch belehrende Geschichten enthalten, die den Le-
ser zum rechten Glauben verhelfen sollen. In den Zueignungen, der Vorrede und den Wid-
mungsgedichten kommen viele gebildete Bürger vor, die wissen, wie man sich angesichts
eines Gewitters richtig zu verhalten hat. Bereits in der Zueignung wird der große, schreckli-
che Gott beschrieben, der seine Majestät, Kraft und Macht durch seine Gesandten Donner,
Blitz und andere schreckliche Unwetter verkünden lässt.63 Im weiteren Verlauf der Vorrede
wird insbesondere auf das Gewitter und seine Komponenten Blitz und Donner eingegangen.
Die bisherigen Erkenntnisse aus den Naturwissenschaften werden darin zwar nicht verwor-
fen, aber es wird angemerkt, dass kein Mensch die genaue Ursache für Blitz und Donner
finden kann, da die göttliche Kraft, die dahintersteht, zu groß sei.64

61 Ebda, Sp. 172f.
62 Vgl. Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissens, S. 63.
63 Vgl. Bonifacius Stöltzlin: Geistliches Donner- und Wetter-Büchlein/ Das ist: Einfältige Erinnerung vom
   Donner/ Blitz/ Stral/ Hagel/ und schädlichen Wettern: wie dieselbige anzusehen und zu betrachten, wie
   man sich dabei Christlich verhalten sol. 2. Auflage. Ulm: Wagner 1659, S. 4.
64 Vgl. ebda.
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Die danach angeführten vermeintlich wundersamen Erzählungen, in denen auch Luther
als eine wichtige historische Persönlichkeit für die Vertreter der Moraltheologie vorkommt,
werden als Beweise für die göttliche Kraft, die hinter dem Gewitter steckt, verwendet. Bis
zur Mitte des 18. Jahrhunderts währten die Predigten Luthers, der selbst aus Todesfurcht
angesichts eines Gewitters gelobt haben soll, ein Mönch zu werden65, in den Köpfen der
Menschen. Ein orthodoxer Lutheraner ist davon überzeugt, dass jeder Mensch ein Gewissen
hat, allerdings ist die Kraft des Gewissens durch die Erbsünde geschwächt, deswegen bedarf
er einer göttlichen Stimme, die auf ihn einwirkt. 66
   Ein ähnlichen Sachverhalt wird im Alten Testaments beschrieben, in dem das Herz an die
Stelle des Gewissens tritt.67 Gott wacht über die Einhaltung der gesellschaftlichen Verpflich-
tungen und spricht zum Inneren, zum Herzen des Menschen.68 Das Herz, ergo das Gewissen,
ist somit nicht im alleinigen Besitz des Menschen, sondern ein auditives Phänomen, eine
hörende Schicht seiner Seele, die auf die Transzendenz ausgerichtet ist.69 Es vernimmt die
Worte Gottes auf die der Mensch hören soll.70
   Die missionierende Kirche, die über das alleinige Recht auf Lebensdeutung und damit
auch über die Normen des Gewissens und des Sozialverhaltens verfügt, sucht nach Möglich-
keiten, diese Vorgehensweise in der Seele der Gläubigen zu verankern.71 Dazu bietet sich
das Gewitter als potenziell angsterregendes Naturphänomen an, dem schon in der Bibel, wie
beispielsweise bei Hiob, eine große Bedeutung zukommt. In Bezug auf das Gewitter ist dem-
nach derjenige ein guter Christ, der beim Sehen eines Blitzes und beim Vernehmen eines
Donnergrollens aus Furcht und weil sich sein Gewissen bei ihm meldet, zu beten beginnt.72
   Wenn gute Christen einen Donnerknall vernehmen, dann sollen sie den Knall mit einem
zürnenden Gott assoziieren, der sie mit erhobener Stimme an ihre Sünden erinnert und zur
Buße auffordert, damit er ihnen durch sie Gnade gewähren kann. Wenn sie der göttlichen
Aufforderung nicht Folge leisten oder das Beten nichts hilft und ihr Hab oder ihr Gut zu
Schaden kommt, heißt das, dass Gott sie für ihre begangenen Sünden bestrafte.73
   Es ist auch Gott, der das Gewitter als Mittel zur Disziplinierung wählt, und niemals der
Teufel, den Gott durch seine Macht in seinen Handlungsmöglichkeiten einzuschränken

65 Vgl. Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissens, S. 35.
66 Vgl. ebda, S. 14.
67 Vgl. ebda, S. 20.
68 Vgl. ebda.
69 Vgl. ebda.
70 Vgl. ebda.
71 Vgl. ebda, S. 21f.
72 Vgl. ebda, S. 32.
73 Vgl. ebda.
                                                                                           18
vermag.74 Die Menschen sollen aufhören, an den Teufel, an Hexen und Unholde zu glauben,
die ihrem Hab und Gut durch Gewitter schaden wollen. So werden sie zwischen dem 16.
und der Mitte des 18. Jahrhundert gelehrt, dass sie das Gewitter mit Gott und einer Gewis-
sensregung in Verbindung bringen sollen.75 Angesichts eines Gewitters sollen sich die Gläu-
bigen an ihre Sünden erinnern und zu beten beginnen. Durch Bußgebete kann ihren Sünden
Abbitte geleistet werden und sie werden der Gnade Gottes teilhaftig. Wenn es jedoch an der
Bereitschaft zur Buße mangelt, droht ihnen eine Strafe durch den Blitz, den Gott zu ihnen
auf die Erde schicken wird.76
   Nach Stöltzlin ist der strafende Gott mit einem Hausvater, der Sorge um seine Kinder
trägt, vergleichbar. Gott droht mit dem Blitz als Zornrute Gottes wie ein Vater, der mit der
Rute auf den Tisch schlägt, um seine Kinder zu ermahnen.77 Bleibt die Besserung des Men-
schen angesichts seiner Drohungen aus, greift Gott zum Blitz wie der Vater zur Rute, um
seine ungehorsamen Kinder zu strafen, und seine Strafe soll ihnen gerecht erscheinen.78 So
wie die Kinder dem Vater trotz seiner fürchterlichen Strafen noch trauen, soll Gott zwar
wegen seiner Macht im Gewitter gefürchtet werden, es darf dennoch nicht der Glaube und
das Vertrauen in ihn verloren gehen, da Gott seinen Kindern nur zur Frömmigkeit verhelfen
und ihnen den rechten Weg weisen will.79

   2.3.4 Das Wissen in der Donnertheologie

Wie bereits erwähnt, orientierte man sich noch im 18. Jahrhundert an der aristotelischen
Erklärung für das Gewitter. Die aristotelische Meteorologie ließ sich problemlos mit den
Lehren der Moraltheologen verbinden, die im Gewitter das Wirken eines zürnenden Gottes
sahen, der die Menschen strafen und zur Buße aufrufen will.80 Es kommt jedoch, im Zuge
der zweiten, neuzeitlichen Aufklärung, zu vielen weiteren naturwissenschaftlichen Erkennt-
nissen, aufgrund derer man die aristotelische Erklärung als nicht mehr zeitgemäß einstufen
konnte.81 Das mechanistische Weltbild setzt sich durch, als Reaktion darauf entstanden phy-
sikotheologische Schriften.82

74 Stöltzlin, Geistliches Donner- und Wetter-Büchlein, S. 13.
75 Vgl. Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissens, S. 23f.
76 Vgl. ebda, S. 32.
77 Vgl. Stöltzlin, Geistliches Donner- und Wetter-Büchlein, S. 15.
78 Vgl. ebda.
79 Vgl. ebda, S. 17.
80 Vgl. Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissens, S. 33.
81 Vgl. ebda.
82 Vgl. ebda.
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Lange bevor sich die Menschen durch den Blitzableiter vor dem Strafgericht Gottes
schützen konnten, wurde, angespornt durch die Trennung von Naturwissenschaft und Theo-
logie und die neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, der Versuch unternommen, Gott
aus der Natur und damit auch aus dem Gewitter zu verdrängen.83 Physikotheologen gelingt
es jedoch, Gott und die Natur wieder zu vereinen:

         Das physikotheologische Weltbild geht davon aus, dass die Gesetze der
         Natur, die die new science untersucht, Zeichen für die Güte und Allmacht
         Gottes sind. Die wissenschaftliche Erforschung von mechanischen Natur-
         prinzipien, die das 17. Jahrhundert noch als Eingriff in die providentielle
         Macht des Schöpfers betrachtet hatte, ist für die Physikotheologen legitim,
         sofern die szientifischen Erkenntnisse an ein theistisches Gottesverständ-
         nis gebunden bleiben.84

   Physikotheologen begrüßen den Fortschritt in den naturwissenschaftlichen Forschungen,
sofern diese mit ihrem Gottesverständnis im Einklang sind. So sehen sie im Gewitter das
Wirken eines gütigen Gottes, der das Naturphänomen zum Nutzen der Menschen erschaffen
hat und ihnen keineswegs schaden will.85
   Die Physikotheologen gehen von einem positiven Gottesbild aus. Der zürnende, strafende
Gott verschwindet und an seine Stelle tritt der gütige Gott.86 In der Vollkommenheit der
Natur zeigt sich die Kraft Gottes, damit einhergehend wird die Natur und somit auch das
Gewitter positiv gedeutet.87
   Die „Bronto-Theologie“ (Donnertheologie) oder die „Vernünftigen und theologischen
Betrachtung über den Blitz und Donner“ des Philosophen und Theologen Peter Ahlwardt
erscheint 1745 und ist den Ratsherren von Greifswald gewidmet. In der Vorrede berichtet
Ahlwardt von zwei Anlässen, die ihn zum Schreiben der „Bronto-Theologie“ bewegt haben.
Der erste Anlass ist ein Unglücksfall, der sich 1744 in der Stadt Greifswald auf dem Turm
der Nicolaikirche ereignete. Während eines Gewitters schlägt in diesem Turm ein Blitz ein,
auf dem sich drei Personen befinden. Ein alter Mann ist auf der Stelle tot, sein Sohn stirbt
nach acht Tagen an seinen schweren Brandverletzungen. Ein weiterer Mann kommt mit dem
Schrecken davon, konnte aufgrund seines Schocks aber nicht viel über das Geschehene

83 Vgl. ebda.
84 Peter André Alt: Begriffsbilder. Studien zur literarischen Allegorie zwischen Opitz und Schiller.
   Tübingen1995, S. 472. Zit. nach: Baumgartner, Fulgura frango, S. 200f.
85 Vgl. Baumgartner, Fulgura frango, S. 201.
86 Vgl. Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissens, S. 33.
87 Vgl. ebda.
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