Arbeitszeit senken - Besoldung erhöhen - in Niedersachsen - Philologenverband Niedersachsen
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
3/4 2018 in Niedersachsen Vorschau auf den Philologentag 2018 Erhebliche Ausweitung Arbeitszeit senken – der Berufsorientierung Inklusion: Neuaus- Besoldung erhöhen richtung erforderlich Neue Richtlinien im Fach Russisch Eine Abiturrede im Jahr 2018 Unterrichts- versorgung und Abordnungen Beschwerde- management Niedersächsische Gymnasien erfolgreich bei Jugend forscht Die Zeitschrift des Philologenverbandes
Inhalt Impressum GYMNASIUM in Niedersachsen Zeitschrift des Philologenverbandes Leitartikel Arbeitszeit senken – Besoldung erhöhen 4 Vorschau auf den Philologentag 2018 Vertreterversammlung mit mehr als 740 Anträgen und Neuwahlen zum Geschäftsführenden Vorstand 8 Schwerpunktthema: Schul- und Bildungspolitik Herausgeber und Verleger: Inklusion: Neuausrichtung dringend erforderlich 10 Philologenverband Niedersachsen Berufsorientierung: Völlig überzogene Vorgaben zu Lasten Sophienstraße 6 des Fachunterrichts und auf Kosten der Lehrkräfte 12 30159 Hannover Tel. 0511 36475-0 Neue Schulsportbestimmungen mit zum Teil fahrlässigen Sicherheitslücken 16 Redaktionsadresse: Cord Wilhelm Kiel Kultusministerium legt neue Kerncurricula Russisch vor 17 Werder 31 Eine Abiturrede 2018 18 31789 Hameln Cord.Wilhelm.Kiel@t-online.de Berechnung der Unterrichtsversorgung muss dringend geändert werden 21 Redaktion: Abordnungen wären vermeidbar 23 Cord Wilhelm Kiel Runderlasse „Haushaltswirtschaftliche Vorgaben für das Gestaltung: Budget der Schule“ sowie „Führung von Girokonten durch Frank Heymann die Schulen“ neu gefasst 25 Grafikdesign und Mediengestaltung 30163 Hannover Aus der Arbeit der Schulbezirkspersonalräte Beschwerdemanagement: Wie umgehen mit Elternkritik? 26 Druck: Erhöhung der Freistellungsstunden für Schulpersonalräte Hannoprint, Isernhagen gefordert 27 www.hannoprint.de Personelle Wechsel bei den Stufenpersonalräten 27 Die Zeitschrift Gymnasium in Nieder- Dauerthema Abordnungen – die Sicht der Stufenpersonalräte28 sachsen erscheint viermal jährlich. Meldungen PHVN MasterCard Gold mit neuen weiteren Vorteilen 30 Redaktionsschluss für Personen Gymnasium in Niedersachsen Johannes Schröder verstorben 31 1-2019 ist Montag, Wir trauern um 31 der 11. Dezember 2018. Schulen in Niedersachsen „Jeder Verkehrstote ist einer zu viel!“ 32 Beiträge bitte, soweit als möglich, als E-Mail-Anlage direkt an die Schulsiegerinnen mit dem Robert-Schuman-Pokal Redaktions-Adresse ausgezeichnet 33 Cord.Wilhelm.Kiel@t-online.de Ehrung der Jugend forscht Schulpreisträger 2018 33 schicken. Literatur Lektüre sehr zu empfehlen 34 Weitere Informationen auf unserer Zeitgenössische Landschaft in altmeisterlicher Feinmalerei 35 Homepage www.phvn.de PHVN-Seminare 34/35 2 Gymnasium in Niedersachsen 3/4 2018
Editorial Liebe Leserinnen und Leser, dung und ein einheitliches Lehramt einschließlich einer einheitlichen längst als überholt gedachte Konzepte aus der bildungs- und Besoldung, dazu eine einheitliche auch der berufspolitischen Mottenkiste sind in den vergange- Unterrichtsverpflichtung für alle Leh- nen Monaten wieder hervorgeholt, öffentlich gefordert und rer – das sind Zielsetzungen, die als zukunftsweisend bezeichnet worden. Einheitslehrer, Ein- unmissverständlich mit der Forde- Editorial heitsbesoldung, Einheitsdeputat, ja sogar die altbekannte rung nach „einer Schule für alle“ ein- Einheitsschule sind mit einem Male wieder Gegenstand der hergehen und damit auch auf die Diskussion. Nun klingt das Wort „Einheit“ ja per se nicht Abschaffung der Gymnasiallehrer- schlecht – denken wir zum Beispiel nur an die Deutsche ausbildung und entsprechend auch Einheit oder die Einigung Europas. Aber „Einheit“ bezogen des Gymnasiums als Schulform auf die Schulpolitik bedeutet leider eher nicht „Union“ oder abzielen! „Einigkeit“, sondern stattdessen meist „Vereinheitlichung“. Solche Ziele wollte und konnte der Philologenverband aus Dagegen hat sich der Philologenverband immer gewehrt und guten Gründen nicht unterstützen. Die Belange der Gym- wird es auch weiterhin tun. Denn warum sollten wir ein Bil- nasiallehrer werden bei solchen Forderungen und derartigen dungssystem, das durch seine Vielfalt gekennzeichnet ist, Kundgebungen kaum, oder wenn, dann nur peripher berück- durch hervorragende allgemein bildende Schulen, die auf sichtigt. Selbst die Ergebnisse der Göttinger Arbeitszeitstudie unterschiedlichen Wegen zu den verschiedensten Abschlüssen von 2015 haben erneut zweifelsfrei gezeigt, dass die Gym- führen, und durch ein System der beruflichen Bildung, das nasiallehrer die bei weitem höchste Arbeitszeit der Lehrer auch „reiferen“ Schülern noch alle Zertifikate bis hin zum aller Schulformen haben. Aber anstelle aus diesen Ergebnissen Abitur ermöglicht und um das Deutschland weltweit benei- die richtigen Schlüsse zu ziehen und eine Senkung der Arbeits- det wird, einem Einheitsbrei opfern? In den letzten Wochen belastung der Gymnasiallehrkräfte zu fordern, beschäftigen und Monaten geisterte vor allem der Ruf nach einer „Ein- sich manche Verbände lieber mit dem Postulat einer Senkung heitsbesoldung“ – und damit indirekt auch nach dem Ein- der Unterrichtsverpflichtung für Grundschullehrer. Die heitslehrer – durchs Land. Verschiedene Lehrerverbände sorg- Begründung, die Grundschullehrer hätten schließlich die ten mit ihrem Slogan „A13 für alle“ nicht nur innerhalb ihrer höchste Unterrichtsverpflichtung, soll erneut suggerieren, Klientel für Aufmerksamkeit, sondern gingen auch im Rah- dass die Unterrichtsverpflichtung einer Lehrergruppe mit der men einer Demonstration auf die Straße. Eine große mediale tatsächlichen Arbeitszeit identisch ist. Wir alle wissen, wie Aufmerksamkeit fand diese Kundgebung meiner Auffassung unzutreffend das ist. Damit soll keineswegs die hervorragen- nach nicht, zumindest in allen lokalen Medien aus meinem de und herausfordernde Arbeit der Grundschullehrkräfte in Einzugsbereich fand sich kein Wort über die „Es reicht!“-Demo. irgendeiner Weise in Frage gestellt oder gar abqualifiziert An den Gymnasien fand der Aufruf zur Demonstration ohne- werden. Aber die Öffentlichkeit wird mit solchen Methoden hin kaum ein Echo, und auch die Teilnehmerzahl von etwa zu Lasten der Gymnasiallehrer in die Irre geführt, die Arbeits- 2.000 Personen zeigt, dass bei weitem nicht einmal aus jeder belastung unserer Berufsgruppe bewusst falsch dargestellt. Zielschule ein Teilnehmer gekommen ist. Denn neben den Angesichts der Einseitigkeit der Demonstrationsziele hatte Grundschulen waren ja auch Haupt-, Real-, Ober- und der Vorsitzende des Philologenverbandes die Vorsitzende der Gesamtschulen angesprochen. So aber blieb es bei einer GEW in einem Schreiben aufgefordert, auch die berechtigten Kundgebung, die mit ihrem Slogan nur eine bestimmte Ziel- Interessen aller anderen Lehrergruppen – der Gymnasialleh- gruppe ansprach – und die Tatsache, dass aus dem Parteien- rer, Förderschullehrer, Lehrer an beruflichen Schulen – zu ver- spektrum ausschließlich und ausdrücklich die Linkspartei treten und sich auf der „Demo“ gleichfalls auch für deren öffentlich zur Teilnahme an der Demo der ihr zum Teil „eng Belange einzusetzen. Eine Reaktion auf dieses Schreiben ist verbundenen“ einladenden Lehrerverbände aufrief, spricht ausgeblieben – das ist bezeichnend. auch eine deutliche Sprache. Es wird angesichts dieser Punkte mehr als deutlich, wie brisant Die Ziele der Verbände, welche zu dieser Demonstration auf- die derzeitige berufspolitische Situation ist. Aus den genannten gerufen hatten, sind – neben einer einheitlichen Besoldung Gründen sollte klar geworden sein, warum der PhVN nicht „mit aller Lehrkräfte – unter anderem eine einheitliche Pflichtstun- auf die Straße gegangen ist“, um letztlich Dinge einzufordern, denzahl gleich welcher Schulform sowie eine „Verbesserung die unseren Mitgliedern nicht nutzen dürften. Die Auseinander- der Arbeitsbedingungen", die u.a. darin Ausdruck findet, zu- setzung um Arbeitszeit und Besoldung werden aber auch wir gunsten von (noch) mehr „Nebentätigkeiten“ an den Schulen weiterhin führen. Als Ausgangspunkt dient der Leitartikel die- wie Beratungen und Dokumentationen den Unterricht weiter ser Ausgabe, außerdem werden berufspolitische Fragen und in den Hintergrund zu stellen. Ziel der Kampagne ist zweifels- Ziele den Schwerpunkt der Vertreterversammlung 2018 bilden, frei, eine höhere Besoldung für Grund-, Haupt- und Realschul- auf die bereits auch vorausgeschaut wird. Im Fokus dieser Aus- lehrer sowie die Senkung der Pflichtstundenzahl der Grund- gabe stehen vor allem zahlreiche neue Erlasse und Verordnun- schullehrer durchzusetzen. Die Lehrkräfte an Gymnasien – gen, die bildungspolitisch das Gymnasium betreffen. und auch die Gymnasiallehrer an Gesamtschulen – gehen dabei also sozusagen „leer aus“. In einem größeren Zusam- Seien Sie sicher: Ihre Interessen als Gymnasiallehrkräfte werden menhang betrachtet, sind wir wieder beim eingangs betrach- weiterhin vom Philologenverband – und nur von diesem! – teten Bild der „Vereinheitlichung“: Eine einheitliche Lehrerbil- gewahrt und gesichert. Cord Wilhelm Kiel Gymnasium in Niedersachsen 3/4 2018 3
Leitartikel Arbeitszeit senken – Besoldung erhöhen Von Horst Audritz Leitartikel Pünktlich zum Schuljahresbeginn hat Thüringens Kultusmi- dort auch die am besten ausgebildeten Lehrer unterrichten. nister und amtierender Vorsitzender der Kultusministerkon- Und das müsste mit dem höchsten Gehalt honoriert werden. ferenz, Helmut Holter (Linke), auf die Pauke gehauen und die Allerdings müsste dazu auch die Lehrerausbildung neu durch- Diskussion um eine einheitliche Lehrerausbildung und ein- dacht und neu strukturiert werden.“ (tresselt.de) heitliche Besoldung aller Lehrämter befeuert. Geht es nach Holter, dann ist Lehrer gleich Lehrer, dann sollte nicht mehr Aktuell ist diese Neiddebatte wieder einmal voll ausgebro- nach Schulformen ausgebildet werden, also nicht mehr nach chen. Berechtigt ist sie nicht, wie ein genauerer Blick auf die Gymnasium, Grund-, Haupt- und Realschule, nach Förder- Arbeitszeit und die Besoldung der Lehrkräfte zeigt. schule und berufsbildender Schule, sondern nach Altersstufen der zu unterrichtenden Schülerinnen und Schüler. Und er Arbeitszeitstudien belegen: fügte hinzu: „Am Ende kommt auch die Frage, ob die unter- Die Arbeitszeit der Gymnasiallehrer ist schiedliche Besoldung von Grundschule-, Regelschullehrern trotz geringerer Unterrichtsverpflichtung und Gymnasiallehrern aufgehoben wird.“ Holter spricht sich beim Vergleich der Lehrämter am höchsten selbstredend gegen Gehaltsunterschiede bei Lehrern aus. Ist das der Stein der Weisen, um die Bildungsmisere zu lösen, den akuten Lehrermangel zu beheben und die Qualität des Seit Jahrzehnten liegen Arbeitszeitstudien vor, die eines Unterrichts und der Abschlüsse zu steigern? gemeinsam haben: Sie bestätigen, dass die Arbeitszeit der Gymnasiallehrkräfte im Jahresdurchschnitt und unter Bei der Diskussion um Arbeitszeit und Berücksichtigung der Ferien weit über der 40-Stunden- Besoldung geht es nicht um Bildungs- Woche liegt. Unter den Lehrern der allgemein bildenden qualität, es geht um Nivellierung Schulen hatten die Lehrkräfte der Gymnasien immer die weitaus höchste Arbeitszeit, und das trotz der geringeren Unterrichtsverpflichtung. In den Unterrichtswochen wurden Fachleuten ist klar: Darum geht es nicht. Es geht vordergrün- 52 bis 54 Stunden gezählt, kein Wunder angesichts der auf- dig um eine formale Absicherung der Unterrichtsversorgung, wendigen Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, der Kor- indem die Durchlässigkeit zwischen den Schulformen auf der rekturen in der gymnasialen Oberstufe und des Abiturs und Lehrerseite erhöht wird, und um den Versuch, die Konkurrenz der zunehmenden Belastungen durch Reformmaßnahmen. zwischen den Bundesländern um gute Lehrkräfte zu beenden. Selbstverständlich sind Samstage und Sonntage für Gym- Möglich, dass am Ende auch gespart werden soll, denn wenn nasiallehrkräfte nicht arbeitsfrei. Die umfangreichen Korrek- die Besoldung gleich ist, eröffnen sich für die Finanzminister turen sind nicht an den Wochentagen zu schaffen, ganz zu auch leichter Sparpotentiale. Es geht also nicht um Bildungs- schweigen von den „kleinen“ Ferien, die nicht etwa als Urlaub qualität, es geht um Nivellierung. Und jegliche Nivellierung gewertet werden können, sondern wegen der Klausurter- hat bisher immer noch zu einer Standardisierung auf niedri- mine und Prüfungsvorbereitungen tatsächlich meist nur gerem Niveau geführt. Ein Lehrer, der gleichermaßen Schüler unterrichtsfreie Zeit sind. zum Abitur führen kann, zu einer beruflichen Orientierung mit mittlerem Abschluss und auch Kindern mit Förderbedarf Auch die jüngste von der GEW Niedersachsen in Auftrag gerecht wird, ist eine Illusion. Was Holter vorschlägt, läuft auf gegebene Arbeitszeitstudie der Universität Göttingen eine Entprofessionalisierung des Lehrerberufs hinaus. 2015/16 kommt zu vergleichbaren Ergebnissen. Dem Ver- gleich lag die 40-Stunden-Woche von Beamten in Nieder- Aber Schulen brauchen Profis, sie brauchen Fachkompetenz, sachsen zugrunde. Da bei Lehrkräften die Ferien berücksich- Differenzierung und Spezialisierung, wenn die Qualifikation tigt werden müssen, kommt man rein rechnerisch auf eine der Schüler ernst genommen wird. Letztlich ist Holters Vor- verpflichtende Arbeitszeit von 46 Stunden und 38 Minuten stoß ein Frontalangriff auf das das Gymnasium und die (das Soll) in den Schulwochen. Gymnasiallehrer, die angeblich bei den Arbeitsbedingungen, besonders der Arbeitszeit, und der Besoldung privilegiert Laut Studie arbeiten Lehrer an Gymnasien im Schnitt 49 sind, ein gepflegtes Vorurteil linker Bildungspolitik: Stunden und 43 Minuten, also über drei Stunden über dem „Und dazu gibt es quasi noch ein Drei-Klassen-Lehrer-Besol- Soll. An Gesamtschulen kommen die Lehrkräfte durchschnitt- dungssystem. Der Grundschullehrer verdient weniger als ein lich auf 46 Stunden und 42 Minuten, das sind vier Minuten Realschullehrer und dieser wiederum weniger als ein Gym- über dem Soll. Grundschullehrer liegen bei 47 Stunden und nasiallehrer. Diese Geringschätzung der Arbeit mit jüngeren 58 Minuten, eine Stunde und 20 Minuten über dem Soll. Kindern ist eigentlich ungerecht. Die Bezahlung müsste genau umgekehrt sein: Da der Erziehung und dem Lernen in der Bezogen auf die Arbeitszeit kann von einer Privilegierung Grundschule eine viel höhere Bedeutung zukommt, müssten der gymnasialen Lehrkräfte also keine Rede sein, was auch 4 Gymnasium in Niedersachsen 3/4 2018
das Oberverwaltungsgericht Lüneburg im Arbeitszeitzeit- tionsprinzip nach Art. 33. Das legt fest, dass die Besoldung prozess niedersächsischer Gymnasiallehrkräfte gegen die angemessen sein muss, also dem übertragenen Amt zu ent- Anhebung der Regelstundenzahl von 23,5 auf 24,5 Stunden sprechen habe. Was „amtsangemessen“ ist, so das Bundes- in seinem Urteil vom 9.6.2015 festgestellt hat. verfassungsgericht, ist nicht nur nach der Ausbildung der Beamten zu entscheiden, sondern auch nach ihren Aufgaben Die Besoldungseinstufung nieder- und dem Ansehen ihres Amtes. sächsischer Gymnasiallehrer ist amtsangemessen und entspricht den Gerichtsentscheidungen bestätigen differenzierte Besoldungsordnung Leistungsanforderungen Leitartikel Eine differenzierte Besoldung bei gleichen Bildungsvoraus- setzungen wird damit nicht ausgeschlossen. Das bestätigen Die Besoldung der Beamten wird durch Gesetz geregelt. auch bemerkenswerte Gerichtsentscheidungen der vergan- Während in den 1970er Jahren die Besoldung der Beamten genen Jahre. Mit einem Grundsatzurteil von deutschland- in Deutschland vereinheitlicht und eine gemeinsame Besol- weiter Bedeutung entschied das Bundesverfassungsgericht dungsordnung geschaffen wurde, ist seit der Föderalismus- 2012, dass die Besoldung der Professoren in Hessen verfas- reform 2006 die gesamte Besoldung der Landesbeamten sungswidrig war. Sie entsprach in etwa der Besoldung eines ausschließlich Ländersache. In Niedersachen sind für die 40jährigen Oberstudienrates. Das reiche aber nicht aus, „um Besoldung der Lehrkräfte vor allem das Niedersächsische dem Professor nach seinem Dienstrang, nach der mit seinem Besoldungsgesetz vom 20.12.2016 und die Niedersächsische Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung Verordnung über die Laufbahn der Laufbahngruppe 2 der des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit einen ange- Fachrichtung Bildung (NLVO-Bildung) maßgeblich. messenen Lebensunterhalt zu ermöglichen“. Noch mehr Aufsehen erregte 2015 das Urteil des Bundesverfassungs- Danach erfolgt die Einstufung in das zweite Einstiegsamt gerichts über die Verfassungswidrigkeit der Besoldung von der Laufbahngruppe 2 der Fachrichtung Bildung (A 13 bis A Richtern und Staatsanwälten in Sachsen-Anhalt, auch hier 16) durch die Lehrbefähigung: mit Signalwirkung für alle Beamten. Denn das Bundesver- fassungsgericht legte einen Orientierungsrahmen fest, der 1. für das Lehramt an Gymnasien, für die Besoldungseinstufung aller Beamten Gültigkeit 2. für das Lehramt an berufsbildenden Schulen und haben muss: 3. für eines der besonderen Lehrämter an Förderschulen ■ Vergleich zwischen Beamten und Angestellten im öffent- lichen Dienst, Voraussetzung ist mindestens ein mit einem Mastergrad ■ Vergleich von Besoldung und allgemeiner Lohnentwick- oder einem gleichwertigen Abschluss abgeschlossenes lung in einem Bundesland, Hochschulstudium und ein mit einer Prüfung abgeschlos- ■ Vergleich mit den Verbraucherpreisen, sener Vorbereitungsdienst oder eine nach Art und Dauer ■ Besoldungsvergleich innerhalb des Beamtensystems, qualifizierende berufliche Tätigkeit. Alle anderen Lehrämter ■ Vergleich von Länder- und Bundesbesoldung. werden in das 1. Einstiegsamt der Fachrichtung Bildung ein- gestuft (A 9 bis A 13). Ausdrücklich werden noch weitere Faktoren für die Besol- dung genannt wie z.B. das Ansehen des Amtes und die Zudem gelten für die Einstufung die verfassungsrechtlichen Attraktivität des Amtes für den Nachwuchs oder das Grundlagen des Grundgesetzes, vor allem das Alimenta- Gehaltsniveau in der Privatwirtschaft. © contrastwerkstatt – Fotolia.com Gymnasium in Niedersachsen 3/4 2018 5
Ebenfalls 2015 hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg im Aber muss daraus eine undifferenzierte Besoldung allein oben zitierten Urteil zur Arbeitszeit der Lehrkräfte Grundsätze aufgrund gleicher Bildungsvoraussetzungen folgen, wie formuliert, die eine unterschiedliche Unterrichtsverpflichtung Rechtsgutachten von Prof. Gusy im Auftrag des VBE (2011) nach Lehrämtern rechtfertigen und in ihrer Logik auch auf und von Prof. Brinktine im Auftrag der GEW (2016) nahele- unterschiedliche Besoldungseinstufungen übertragbar sind: gen? Beide betonen, dass inzwischen die Ausbildung der „So ist etwa die Verschiedenartigkeit der Ausbildungsziele der Pädagogen vereinheitlicht worden sei, sowohl in der Dauer einzelnen Schularten in der Rechtsprechung des Bundesver- als auch in der Organisation, so dass der Grund für eine waltungsgerichts grundsätzlich als ein sachgerechtes Differen- unterschiedliche Besoldung nach dem Beamtenrecht ent- zierungsmerkmal für die Festsetzung verschieden hoher Regel- falle. Eine unterschiedliche Besoldung der Lehrer sei nun Leitartikel stundenzahlen für verschiedene Lehrkräftegruppen anerkannt begründungsbedürftig, eine Gleichbehandlung dagegen worden, sofern bei generalisierender Betrachtung die Verschie- nicht. Zudem ziehe das Argument nicht mehr, dass an Gym- denartigkeit der Ausbildungsziele noch wirklichkeitskonform nasien auf einem höheren Niveau wissenschaftspropädeu- die Annahme einer nach Zeit und/oder Art unterschiedlichen tisch unterrichtet würde. Die pädagogische Arbeit sei wichti- Arbeitsbelastung und damit die Festsetzung einer unter- ger geworden, vor allem müssten soziale Kompetenzen schiedlichen Regelstundenzahl für diese Lehrkräftegruppen gefördert werden, die Unterrichtsinhalte würden dagegen stützen kann.“ immer unwichtiger. Die Festlegung der Besoldungshöhe durch den Ganz so einfach ist es jedoch nicht, wie die Ausführungen Gesetzgeber ist an die Einhaltung prozeduraler zur Rechtsprechung belegen. Es sei hier noch einmal aus- Anforderungen geknüpft drücklich darauf hingewiesen: Nicht nur nach der Ausbil- Das OVG Lüneburg spricht diesen Vergleich sogar explizit an. dung, sondern auch nach den Aufgaben und dem Ansehen Das Bundesverfassungsgericht habe in seinen Urteilen zum des Amtes ist laut Bundesverfassungsgericht zu bestimmen, grundrechtlich gesicherten Recht auf eine amtsangemesse- was amtsangemessen ist. Gymnasiallehrer können dabei ein ne Alimentation betont, dass Besoldungseinstufungen nicht vertieftes fachwissenschaftliches Studium, die Orientierung willkürlich sein dürften, sondern entsprechend dem Fürsorge- auf den Schulabschluss allgemeine Hochschulreife, die damit prinzip prozeduralen Anforderungen genügen, also transpa- verbundenen aufwendigen Korrekturen und Prüfungen und rent, realitätsgerecht und nachvollziehbar begründet sein nicht zuletzt ihren Einsatz in zwei Schulstufen, im Sekundar- müssen: bereich I und in der gymnasialen Oberstufe, geltend machen. „In seinem Urteil vom 5. Mai 2015 zur Besoldung von Richtern Ob Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht auf eine ein- und Staatsanwälten hat das Bundesverfassungsgericht eben- heitliche Besoldung Erfolg hätten, denn das Bundesverfas- falls herausgestellt, dass die Festlegung der Besoldungshöhe sungsgericht räumt den Ländern bei der Besoldungsstruktur durch den Gesetzgeber an die Einhaltung prozeduraler Anfor- einen weiten Gestaltungsspielraum ein, wird momentan derungen geknüpft sei und dass den Gesetzgeber diese Anfor- geprüft. Anspruchsvollere Unterrichtsinhalte könnten eine derungen insbesondere in Form von Begründungspflichten bessere Bezahlung rechtfertigen, Erziehung und Sozialarbeit träfen (BVerfG, Urteil vom 5.5.2015, a. a. O., Rn. 129). Der Gesetz- sind mitnichten an allen Schulformen vorherrschend und geber sei gehalten, bereits im Gesetzgebungsverfahren die Fort- gleich zu gewichten. schreibung der Besoldungshöhe zu begründen. Die Ermittlung und Abwägung der berücksichtigten und berücksichtigungs- Mit anderen Worten: Die Einstufung der Gymnasiallehrer, fähigen Bestimmungsfaktoren für den verfassungsrechtlich der Berufschullehrer und Förderschullehrer in das zweite gebotenen Umfang der Anpassung der Besoldung müssten Einstiegsamt (A 13) ist nicht etwa ungerecht. Und schon gar sich in einer entsprechenden Darlegung und Begründung des nicht spiegelt sich darin „überkommenes Kastendenken“ Gesetzgebers im Gesetzgebungsverfahren niederschlagen. Eine (VBE-Bundesvorsitzender Beckmann). bloße Begründbarkeit genüge den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Prozeduralisierung nicht.“ Politische und wirtschaftliche Gesichts- punkte allein sichern weder die Unter- Und weiter: „Prozedurale Anforderungen in Form von Be- richtsversorgung, noch führen sie zu gründungs-, Überprüfungs- und Beobachtungspflichten einem gerechten Besoldungssystem gelten sowohl bei der kontinuierlichen Fortschreibung der Besoldungshöhe in Gestalt von regelmäßigen Besoldungs- anpassungen als auch bei strukturellen Neuausrichtungen Wer zudem aus politischen und wirtschaftlichen Gründen in Gestalt von Systemwechseln (BVerfG, Urteil vom 14.2.2012, Besoldungsstrukturen verändern will, übersieht, dass die a. a. O., Rn. 165).“ Steuerung von Angebot und Nachfrage im Lehrerbereich noch nie funktioniert hat, denn entscheidend für die beruf- Rechtsgutachten zur einheitlichen Lehrerbesoldung liche Orientierung sind die gesamten Rahmenbedingungen sind fragwürdig für den Unterricht. Wie ist es sonst zu erklären, dass trotz Wenn es um Fragen der Besoldung von Lehrkräften geht, dann besserer Besoldung gerade im Förderschulbereich und im geht es auch immer um grundsätzliche Fragen der Besoldung berufsbildenden Schulwesen händeringend Lehrkräfte im öffentlichen Dienst, um die Besoldungshöhe, das Besol- gesucht werden? Und im Gymnasialbereich ist es nicht viel dungsgefüge und Fragen der Leistung, ja sogar das Ansehen. anders. Inzwischen finden sich für neun Mangelfächer, dar- Die Leistung der Lehrkräfte an allen Schulformen verdient unter der MINT-Bereich, Kunst und Musik, nicht mehr genü- hohe Wertschätzung, sei es in Grund-, Haupt- und Realschu- gend Lehrerinnen und Lehrer. In der Logik des Anreizsystems len, an Oberschulen und Gymnasien, an Gesamtschulen und allein durch Änderungen im Besoldungsgefüge bedeutet berufsbildenden Schulen und besonders an Förderschulen. das, dass auch hier deutliche Zuschläge notwendig sind. Wer 6 Gymnasium in Niedersachsen 3/4 2018
© David – Adobe Stock Leitartikel das Angebot an Lehrkräften im Gymnasialbereich nicht andere sparten bei der Übertragung der Tarifergebnisse auf gefährden will – und das Abitur nach 9 Jahren erfordert den Beamtenbereich, so dass inzwischen die Besoldungsun- allein 2010/21 ca. 1300 zusätzliche Lehrkräfte – der muss terschiede ganz beträchtlich geworden sind und zudem die auch hier im Besoldungsbereich mehr tun und bessere Vergleichbarkeit kaum noch gegeben ist. berufliche Perspektiven eröffnen, etwa durch absehbare Beförderungen aufgrund der beruflichen Leistung. Bei der Besoldung der Gymnasiallehrkräfte liegt Niedersach- sen an 9. Stelle von 16 Bundesländern. Am besten besolden Und ein Letztes: Einheitliche Ausbildung, einheitliche Besol- die Stadtstaaten, Baden-Württemberg, Bayern und Nord- dung, Einheitslehrer – führt das nicht auch automatisch zu rhein-Westfalen ihre Lehrer. Der Besoldungsunterschied Überlegungen, eine eigenständige Lehrerbesoldung – eine macht fast eine Gehaltsstufe aus. L-Besoldung – im Besoldungsgefüge einzubauen und die Lehrerbesoldung damit von der übrigen Beamtenbesoldung Hinzu kommen unterschiedliche Stellenkegel und Beförde- abzukoppeln? rungschancen, was die Lehrerkräfte im Prinzip auf das Bundesland festlegt, in dem sie ihren Dienst zuerst auf- Solche Überlegungen gab es schon einmal. Der Philologen- genommen haben. Ein Wechsel des Bundeslandes ist außer- verband ist aus gutem Grund gegen solche Gedanken, denn gewöhnlich schwer und in der Regel mit beträchtlichen die Folgen für alle Lehrkräfte wären fatal. Niemand sollte Nachteilen verbunden. Hier tut sich ein breites Feld auf, das denken, dass damit das bestehende Einkommen gesichert vorrangig zu beackern ist: wäre. Eine undifferenzierte Einheitsbesoldung eröffnet viel ■ gleiche Bedingungen bei der Einstellung der Lehrkräfte mehr Spielräume für die Finanzminister zu sparen: Wenn als Beamte alle gleich sind, kann die Besoldung auf einem gleichen ■ Beseitigung der eklatanten Besoldungsunterschiede unteren Niveau viel leichter festgelegt werden, einen Ver- ■ Sonderzuwendungen für Lehrkräfte in allen Bundesländern stoß gegen das Gleichheitsprinzip nach dem Grundgesetz ■ absehbare Beförderungschancen für Lehrkräfte aller gibt es dann nicht mehr. Niemand sollte davon ausgehen, Schulformen dass sich der Gesetzgeber an den höchsten Besoldungs- ■ eine vergleichbare Altersermäßigung bei der Unterrichts- stufen orientieren würde. verpflichtung für ältere Lehrkräfte ■ eine Altersteilzeitregelung, die geeignet ist, länger im Eine leistungsgerechte Besoldung und berufliche Beruf zu bleiben. Perspektiven für alle müssen in allen Bundesländern vergleichbar Gültigkeit haben Solange das Beamtenrecht und die beruflichen Rahmenbe- Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Einstellungsbedin- dingungen für die Lehrkräfte in den Bundesländern so weit gungen in den Bundesländern und die Besoldungsunter- auseinanderklaffen, ist es müßig, über eine Einheitsbesol- schiede harmonisiert würden. Seit der Föderalismusreform dung in den einzelnen Bundesländern selbst nachzudenken. und dem Kampf um qualifizierte Lehrkräfte auf einem leer- Der Lehrerbereich darf nicht zu einem willkürlichen Ver- gefegten Arbeitsmarkt hat sich in den Bundesländern ein schiebebahnhof nach Haushalts- und Marktlage verkom- regelrechter Wildwuchs an unterschiedlichen Bedingungen men. Verlässlichkeit der Politik, Wertschätzung der Lehr- für die Einstufung der Lehrkräfte ergeben: einzelne Länder kräfte, eine leistungsgerechte Besoldung und berufliche verbeamteten Lehrkräfte nicht, einzelne strichen oder kürz- Perspektiven für alle müssen gleichermaßen, und das heißt ten Sonderzuwendungen (Weihnachts- und Urlaubsgeld), vergleichbar, in allen Bundesländern Gültigkeit haben. einzelne integrierten sie in die Besoldungstabelle, wieder Gymnasium in Niedersachsen 3/4 2018 7
Vorschau auf den Philologentag 2018 Ein schönes Pensum: Vorschau auf den Philologentag 2018 Vertreterversammlung mit mehr als 740 Anträgen und Neuwahlen zum Geschäftsführenden Vorstand Von Roland Neßler Die Vorbereitungen zur Vertreterversammlung 2018 des Philologenverbandes Niedersachsen sind weitgehend abgeschlos- sen, und schon jetzt lässt sich ein erstes, mehr als nur erfreuliches Resümee ziehen: Zu keiner Vertreterversammlung wur- den jemals zuvor so viele Anträge aus den antragsberechtigten Gruppierungen, vor allem aus den Orts- und Bezirksverbän- den sowie aus den Arbeitsgemeinschaften des Verbandes, eingereicht wie in diesem Jahr. Denn über mehr als 740 Anträge werden die ca. 350 Delegierten in Goslar am 28. und 29. November zu befinden und damit neuerlich die Richtlinien für die Arbeit des Verbandes festzulegen haben. Könnte es ein eindrucksvolleres Indiz für die Vitalität des Basis Gegenstand von Diskussionen, aus denen Forderungen Verbandes an seiner Basis und in seinen Gremien geben, abgeleitet werden: „Der Philologenverband Niedersachsen könnte es ein im Wortsinn greifbareres Zeugnis für den möge sich dafür einsetzen, dass der Aufwand für die Schulen ̈bergreifend angelegt sein, so Willen unserer Mitglieder geben, meinungsbildend und deutlich reduziert wird, Schulcurricula zu erstellen. Lehrpläne gestaltend auf die niedersächsische Schul- und Bildungs- sollten schulform- und schulu politik sowie auf die Berufspolitik Einfluss zu nehmen, als dass die gleichen Inhalte - auf unterschiedlichem Niveau, je diese hohe Zahl von Anträgen in dem Antragsheft dieses nach Schulform - und Kompetenzen gleichermaßen für ein Jahres, die auf ein Votum der Delegierten warten? Schuljahr festgelegt sind, so dass Kinder, die die Schulen wech- seln, nicht vor zusätzliche Hürden gestellt werden. Zudem Es ist hier kaum möglich, die außerordentlich große thema- könnte ein Landeslehrplan auch eine Zuordnung von Inhalten tische Vielfalt der vorgelegten Anträge zu beschreiben – zu Kompetenzen vornehmen, so dass nicht jede Schule redun- ohne Zweifel lässt sich aber an ihnen ablesen, wie unzufrie- dante Arbeit leisten muss.“ den die Gymnasiallehrer mit ihrer Situation letztlich sind und wie sie über die schul- und berufspolitischen Gegeben- Thema Nr. 1: Mangelnde berufliche Perspektiven und heiten urteilen. Demnach zeigen die Anträge insgesamt, wo unzureichende Bezahlung den Lehrkräften „der Schuh drückt“ und wo sie Veränderun- Beklagt werden in vielen Anträgen auch die unzureichen- gen und Korrekturen anmahnen und erwarten. den beruflichen Perspektiven, eine als unzureichend emp- fundene Bezahlung der Lehrer an Gymnasien, dazu die Anträge zu Oberstufe und Abitur sowie zum hohen Arbeitsbelastungen – wofür vielfach insbesondere Sekundarbereich I die der Amtsinhaber in A 14 Beispiel sind, denen für ihre Breiten Raum nehmen die mehr als 70 Anträge zur Ober- zusätzliche Tätigkeit nicht einmal Anrechnungsstunden stufe und zum Abitur ein, die sich u. a. mit den viel zu kurzen durch das Land gewährt werden: Kurzum, nach Maßgabe und damit unzumutbaren Korrekturzeiten für die Arbeiten der vorliegenden Anträge sind die Arbeitsbedingungen für des schriftlichen Abiturs befassen. Darunter ist eine auf- niedersächsische Gymnasiallehrer unbefriedigend, und die fallend hohe Zahl von Anträgen, die die Präsentations- Einkommen wenig attraktiv – im Vergleich zur Wirtschaft prüfungen im Abitur schnellstens wieder abgeschafft allemal und zu den Lehrereinkommen in manch anderem wissen wollen: „Der Philologenverband Niedersachsen möge Bundesland ebenso. darauf hinwirken“, heißt es in einem diesbezüglichen Antrag, „dass die Präsentationsprüfung im Abitur wieder Die Anträge zum Öffentlichen Dienstrecht, zur Lehrerarbeits- abgeschafft wird. Sie erhöht den Arbeitsaufwand der Lehr- zeit und zur Lehrerbesoldung sind demnach auch zutreffende kräfte, droht das Niveau der Anforderungen zu senken und Bespiele für die zunehmend fehlende Attraktivität des Gym- verstärkt die Bildungsungerechtigkeit angesichts sehr unter- nasiallehrer-Berufes mit all den negativen Folgen für die schiedlicher Unterstützungsmöglichkeiten im Umfeld der Nachwuchsgewinnung. Kein Wunder, dass ein Antrag den Schülerinnen und Schüler.“ Vorstand auffordert, „weiterhin darauf zu drängen, dass das Land die Attraktivität des Lehrerberufs an Gymnasien deutlich Dem Sekundarbereich I gelten insbesondere Anträge, die erhöht. Bloße Imagekampagnen werden ins Leere laufen. sich mit der Unterrichtsorganisation sowie mit curricularen Gefordert sind zum einen spürbare finanzielle Anreize und und didaktischen Fragen befassen: Die Lehrpläne, die Stun- eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Zum dentafel, der Epochalunterricht insbesondere sind an der anderen”, und dieser Aspekt trifft den Nagel auf den Kopf, 8 Gymnasium in Niedersachsen 3/4 2018
„kann dies auch durch eine klare Konturierung des Gym- wichtiger Bestandteil eines zum Wohl der Schülerinnen und nasiums als eigenständige Schulform geschehen.” Schüler gegliederten Schulsystems erhalten bleiben. Die For- derung nach Inklusion darf nicht ideologisch instrumenta- Mit Nachdruck fordern auch andere Antragsteller, dass es lisiert werden, um das Gymnasium als Schulform mit einem bei der Besoldung für Lehrkräfte an Gymnasien dringend spezifischen Bildungsauftrag anzugreifen.“ Hebungen und grundlegende Verbesserungen geben muss, wie in einem Antrag zu lesen ist, mit dem der Verband auf- Dankenswerterweise wird in diesem Antrag auch deutlich gefordert wird, sich dafür einzusetzen, dass eine Anhebung ausgesprochen, dass die Inklusion weitestgehend „ideolo- der Besoldung für die beruflichen und allgemein bildenden gisch instrumentalisiert“ wird, wie wir das besonders in der Vorschau auf den Philologentag 2018 Gymnasien auf A 14 erfolgt. Die diesbezügliche Begründung Ära Heiligenstadt erlebt haben und wie wir das derzeit bei ist wie die unsrige, die wir seit geraumer Zeit in unseren den Grünen beobachten. Insgesamt ist es Anliegen der Publikationen und unseren politischen Gesprächen vor- Anträge zur Inklusion, tragen: „Die Besoldungseinstufung der Lehrer an den beruf- ■ dass die bewährten Förderschulen erhalten bleiben, lichen und allgemein bildenden Gymnasien ist – im Gegensatz ■ dass nur Inklusionsschüler, bei denen die Möglichkeit zu anderen Lehrergruppen – seit Jahrzehnten unverändert besteht, das Abitur zu erreichen, bei zielgleicher Beschu- geblieben, was unweigerlich die Frage nach Besoldungsge- lung am Gymnasium aufgenommen werden, rechtigkeit aufwirft. Dies ist ein Zustand, der das gymnasiale ■ dass den Schulen wirklich – und nicht nur auf dem Lehramt zunehmend unattraktiv macht. Ein anhaltender Papier – hinreichend Lehrerstunden, ausgebildete Betreu- Lehrermangel an beruflichen und allgemein bildenden Gym- ungskräfte, finanzielle Mittel und räumliche Ausstattung nasien ist damit vorprogrammiert, der sich sogar noch ver- zur Verfügung gestellt werden. stärken wird.“ Deutliche Kritik an der Abordnungspraxis Ein anderer Antrag wird noch deutlicher, ja unverblümter, ist In zahlreichen Anträgen werden uneingeschränkt eine so- aber nichtsdestotrotz mehr als zutreffend, wenn es heißt, fortige Korrektur der mehr als nur ärgerlichen „Abordnungs- dass „man von der Interessenorganisation der Gymnasiallehr- praxis“ und eine umgehende Aufhebung der Abordnungen kräfte“ erwartet, sich „deutlich gegen alle Versuche der Ein- gefordert. Die Antragsteller weisen auf die besonderen heitsbesoldung für alle Lehrkräfte in Niedersachsen zu wehren Belastungen hin, auf die zum Teil erheblichen Fahrstrecken und eine weiterhin differenzierte Besoldung von Lehrkräften zu den Abordnungsschulen und auf die vielfach unerfreu- zu fordern. Lehrkräfte an Gymnasien”, so die Begründung im lichen Umstände ihres Einsatzes an diesen Schulen. An den Einzelnem, „unterrichten Schülerinnen und Schüler in den Anträgen wird auch deutlich, dass sehr viele abgeordnete Jahrgängen 5 bis 13, wodurch an sie deutlich höhere Anforde- Lehrkräfte an ihrer Stammschule wie an den Abordnungs- rungen hinsichtlich der didaktischen, methodischen und schulen zahlreiche Aufgaben wahrzunehmen haben, die pädagogischen Arbeit gestellt werden als an Lehrkräfte an über die Maßen belasten: die „doppelten” Konferenzen und anderen Schulformen, die nur in 4 Jahrgängen unterrichten Dienstbesprechungen, die Aufsichten und Präsenzzeiten wie z.B. an Grundschulen. Die Durchführung von Abiturprü- und vieles andere mehr. Dabei, so hat es den Anschein, fungen stellt zudem eine erhöhte Arbeitsbelastung dar, die scheint es für manche Schulleitung dieser Schulen keine entsprechend höher finanziell zu entlohnen ist.“ Rolle zu spielen, dass Doppelbelastungen dieser Art un- zulässig sind, worauf wir wiederholt hingewiesen haben Vielfältige Anträge zur Lehrerausbildung und wozu wir jetzt im Kultusministerium vorstellig gewor- Zahlreich sind auch die Anträge, die der Lehrerausbildung den sind, damit die Schulleitungen dazu endlich klare Wei- für das gymnasiale Lehramt im weitesten Sinn gewidmet sungen erhalten. sind. Für viele Anträge aus diesem Themenfeld ist ein Antrag exemplarisch, in dem es heißt: „Der Philologenverband Nie- Geschäftsführender Vorstand wird neu gewählt dersachsen möge sich dafür einsetzen, dass die Professio- Die Vertreterversammlung 2018 hat noch eine weitere wich- nalität des Lehrerberufs wieder gestärkt wird, indem einer tige Aufgabe, nämlich turnusmäßig nach drei Jahren einen Nivellierung und Niveauabsenkung im Lehramtsstudium neuen Geschäftsführenden Vorstand zu wählen. Aus dem und in der Lehrerausbildung entschieden entgegengetreten bewährten „Team” werden sich nach langen Jahren ihrer wird. Weiterhin muss sichergestellt werden, dass Querein- Arbeit im Vorstand Herr Dr. Beckmann sowie Herr Koppius steiger erst nach einer angemessenen Qualifizierung als verabschieden, ein Umstand, den wir bedauern. Lehrkräfte eingestellt werden können.“ Der Hauptvorstand des Verbandes hat einen Vorschlag für Viele andere Antragsteller befassen sich ebenfalls und meist die Wahl eines neuen Vorstandes gemacht und aus dem gesondert mit Quereinsteigern. Aber unter die Rubrik Lehrer- jetzigen Vorstand zur Wiederwahl für diese wichtigen Ämter bildung fallen auch zahlreiche andere Anträge, die viel Herrn Audritz als Vorsitzenden, Herrn Ehlers als Stellvertre- Beachtung finden werden: eine angemessene Entlastung tenden Vorsitzenden und Frau Olejnik als Schatzmeisterin von Ausbildern wie von „Mentoren”, der eigenverantwort- vorgeschlagen sowie Frau Dr. Bendrath, Herrn Kiel, Herrn liche Unterricht von Referendaren und vieles andere mehr. Kratsch und Frau Thielecke als Beisitzer. Als weitere Kandida- ten für die Ämter eines Beisitzers stehen Frau Malorny und Inklusion zunehmend im Fokus der Anträge Herr Rabbow zur Verfügung, was in gleicher Weise einstim- Ein großer Block von Anträgen befasst sich mit der Inklusion miges Votum des Hauptvorstandes ist. All die genannten und dem Erhalt der Förderschulen. Nach diesen Anträgen, Kolleginnen und Kollegen werden wir, wiewohl sie weitest- die erwartungsgemäß volle Zustimmung finden werden, gehend bekannt sind, mit Bild und Vita im Antragsheft für sollen wir uns dafür einsetzen, „dass die Förderschulen als die Vertreterversammlung ausführlicher vorstellen. Gymnasium in Niedersachsen 3/4 2018 9
Schwerpunktthema: Schul- und Bildungspolitik Inklusion: Neuausrichtung dringend erforderlich Abschaffung der Förderschule Lernen ist der falsche Weg Schul- und Bildungspolitik Von Roland Neßler Die Diskussionen zur Inklusion haben sich neu belebt, nach- ihrem Inklusionskurs fest und verteidigt ihn um jeden Preis, dem die Landesregierung von NRW jetzt die Auffassung ver- nicht zuletzt sogar um den Preis ihrer schulpolitischen treten hat, dass die Inklusion in NRW in der bisherigen Form Glaubwürdigkeit, obwohl im Interesse der betroffenen gescheitert und eine Neuausrichtung dringend erforderlich Kinder auch in Niedersachsen ein Kurswechsel mehr als ist. Nach Presseberichten will Schulministerin Gebauer (FDP) überfällig ist, wenn nicht ganze Generationen von Schülern die Qualität beim gemeinsamen Lernen verbessern, ein Vor- mit Unterstützungsbedarf Schaden in ihrer Entwicklung haben, das der schulpolitische Sprecher der CDU im Landtag nehmen sollen. von Nordrhein-Westfalen mit den Worten kommentierte: „Nach den Jahren des Chaos wird die Inklusion in unserem So entziehen sich das niedersächsische Kultusministerium Land endlich in geordnete Bahnen gelenkt.“ Ähnlich wie wie die beiden Regierungsparteien von SPD und CDU weiter- in Niedersachsen hatte sich auch in NRW zunehmend der hin hartnäckig dringend erforderlicher Konsequenzen und Eindruck verstärkt, dass die Inklusion gescheitert ist, nicht verharren stattdessen bei ihrer für behinderte Kinder ver- zuletzt weil es auch dort der Vorgängerregierung von Rot- hängnisvollen Politik. Dessen ungeachtet versuchen sie aber, Grün mehr um eine hohe Quote als um Qualität von Inklu- in den Medien den Eindruck zu erwecken, als ob sich die sion gegangen ist, eine Beobachtung, die sich gleichfalls schulische Inklusion in Niedersachsen ebenfalls im konkreten auch aus Niedersachsen beisteuern lässt. Wandel befinde – eine gezielte Irreführung der Öffentlich- keit. „So erleben wir immer noch, dass Minister Tonne und Mit Schuljahresbeginn 2019/2020 soll es nun in NRW an- seine Mitstreiter die zeitlich eng begrenzte Verlängerung hand schon konkreter Pläne zu einer Neuausrichtung der der Förderschule Lernen bis 2028 sowie den Anstieg der Inklusion kommen. Dabei steht als Ziel von Inklusion im Inklusionsquote an den Schulen als großen Wurf darstellen. Vordergrund, dass Eltern von Kindern mit Bedarf an sonder- De facto betreibt die Große Koalition hier eine gefährliche pädagogischer Unterstützung bei der Schulwahl auch Augenwischerei auf Kosten von Kindern und Eltern“, kriti- weiterhin ein Platz an einer allgemeinen Schule angeboten sierte der Vorsitzende des Philologenverbandes, Horst wird, dass aber gleichzeitig die Förderschulen in ihrem Audritz, erst jüngst vor der Presse. Bestand gesichert bleiben und nicht zum Auslaufmodell gemacht werden, wie das derzeit in Niedersachsen der Fall Verantwortungsvolle Politik sieht anders aus: ist. Bedingt durch diese Zielausrichtung werden in NRW Niedersachsen redet an den Problemen vorbei nunmehr mehr Förderschulen erhalten bleiben, als das von Diesem Eindruck will die Landesregierung, wie wir sehen, der Vorgängerregierung angestrebt wurde, während in Nie- entgegentreten, mit mehr als fragwürdigen Argumenten, dersachsen unverständlicherweise auch weiterhin im Koali- z. B. dem genannten Herausstellen der einmaligen Verlänge- tionsvertrag zwischen SPD und CDU die endgültige Abschaf- rung der Förderschule Lernen bis zum Jahr 2028 (HAZ, fung der Förderschule Lernen – nur ein wenig verzögert – 24.07.2018), womit Kultusminister Tonne offensichtlich den vereinbart bleibt. Denn „wer über Inklusion redet, muss auch fälschlichen Eindruck erwecken will, dass es in der nieder- über Förderschulen sprechen“, so die zutreffende Auffassung sächsischen Inklusionspolitik ebenfalls ein Umdenken und der dortigen Landesregierung, denn das sind zwei Seiten damit eine grundsätzliche Entscheidung für den Erhalt der einer Medaille, „wenn es darum geht, alle Schülerinnen und Förderschulen in einem gegliederten Schulsystem gibt. In Schüler bestmöglich zu fördern und für sie den bestmög- Wahrheit ist aber dieser eng begrenzte Erhalt der Förder- lichen Förderort zu finden.“ schulen Lernen, die schon 2022 zum letzten Mal Schüler in den Jahrgang 5 aufnehmen dürfen, ebenso wie der durch Neuausrichtung der Inklusion: NRW handelt, Elternproteste erreichte Bestandsschutz für bestehende För- Niedersachsen betreibt Augenwischerei derschulen Sprache nur der kleinste gemeinsame Nenner Von dieser Auffassung ist die niedersächsische Landesregie- einer ansonsten uneinigen und tatenlosen sowie überfor- rung noch weit entfernt, obwohl auch hier die Probleme der derten rot-schwarzen Bildungspolitik. Inklusion immer deutlicher zutage treten. Denn die Berichte aus den Schulen und die Klagen betroffener Eltern zeigen, Ähnlich verhält es sich mit der vom Kultusministerium erst dass Kinder mit Handicaps in den inklusiven Schulen trotz jüngst verkündeten Meldung zum Ansteigen der Inklusions- großer Anstrengung der Lehrkräfte in vielen Fällen nicht quote – blanker Zynismus, wenn man genau hinsieht: Denn entsprechend ihrer Behinderungen und Bedürfnisse sach- wenn allein bei den Förderschulen Lernen von insgesamt 129 gerecht betreut und gezielt gefördert werden können. Trotz- Schulen jetzt nur noch 51 weitergeführt werden, bedeutet dem hält die niedersächsische Landesregierung unbeirrt an das die Schließung von 78 Förderschulen dieses Förder- 10 Gymnasium in Niedersachsen 3/4 2018
Entwicklung der Inklusionsquote an den allgemein DL-Präsident Heinz-Peter Meidinger: bildenden Schulen in Niedersachsen 2013-2017 Bertelsmann-Inklusionsstudie – 64,33% eine komplette Themaverfehlung! 61,40% 58,50% Nach Aussage des Präsidenten des Deutschen Lehrer- 52,50% verbands, Heinz-Peter Meidinger, zeichnet die Anfang 44,90% September veröffentlichte Inklusions-Studie der Bertels- mann-Stiftung ein vollkommen falsches Bild vom Stand der Inklusion in Deutschland. „Wieder einmal orientiert Schul- und Bildungspolitik sich Herr Klemm ausschließlich an Quoten statt an Qua- lität. Gelobt werden mit Bremen, Hamburg, Schleswig- Holstein und Niedersachsen wegen ihrer hohen Inklusions- quoten und geringen Exklusionsquoten Bundesländer, die – häufig gegen den Willen betroffener Eltern – Förderschu- len und Förderzentren zwangsweise geschlossen und damit die Kinder an Regelschulen umgeleitet haben“, kritisierte der Dachverbandsvorsitzende. 2013 2014 2015 2016 2017 Er betonte weiter: „Für die inkludierten Kinder hat sich die Quelle: Niedersächsisches Kultusministerium, Zahlen, Daten, Fakten zum Schuljahr 2018 / 2019 Fördersituation dadurch aber oft verschlechtert. Sie befin- den sich meist in größeren Klassen als zuvor an der Förder- schwerpunktes. Schüler, die ansonsten diese Schulen besucht schule und werden oft in geringerem Maße als zuvor an hätten, müssen folglich automatisch an eine andere Schule der Förderschule durch spezifisch ausgebildete Förder- wechseln, was rein rechnerisch die Quote von Schülern mit schullehrkräfte betreut und unterrichtet.“ Insofern verfehle Handicap an Regelschulen ansteigen lässt. Dies hat aber mit die Bertelsmann-Studie ihr Thema, wenn sie behaupte, ein Bild des gegenwärtigen Stands der Inklusion zu zeichnen. wirklicher Inklusion nicht das Geringste zu tun, da wir hier eine Art von Zwangsinklusion ohne Rücksicht auf den Eltern- Meidinger erinnerte daran, dass es das Ziel der UN-Behin- willen und die tatsächlichen Erfordernisse und Bedürfnisse der dertenrechtskonvention sei, behinderten Menschen ein Kinder haben. eigenständiges, selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben in unserer Gesellschaft zu ermöglichen. Hohe Inklu- Niedersachsen: Schulpolitisches Handeln ohne Blick sionsquoten, die auf Kosten der qualitativen Förderung für das „Kindeswohl“ zustande kommen, würden diesem Ziel eher schaden als Einmal mehr wird deutlich: Mit der jetzigen Landesregierung dass sie ihm nützen. „Wer sich als Elternteil in Bezug auf hat sich bei der Inklusion im Prinzip nichts geändert: Weiter- sein Kind für Förderschulen entscheidet, entscheidet sich nicht gegen Inklusion, sondern nur für einen anderen Weg hin ist die Inklusion in Niedersachsen ein ideologischer Spiel- zur gesellschaftlichen Inklusion“, betonte der DL-Präsident. ball politischer Interessen, und so entpuppt sich die verbal vielfach bemühte Begründung der Inklusion, das so genannte Er bezeichnete es als große Aufgabe der Bildungspolitik in Kindeswohl, als eine leere Floskel. Dabei unterstreicht die Deutschland, das Regelschulsystem in Deutschland perso- UN-Konvention, auf die sich die Landesregierung so gern nell, finanziell und in Bezug auf die Räumlichkeiten so gut beruft, ausdrücklich, dass „bei allen Maßnahmen, die Kinder auszustatten, dass noch mehr behinderte Schüler dort mit Behinderungen betreffen, das Wohl des Kindes… vorran- optimal gefördert werden können. Dazu sei es noch ein gig zu berücksichtigen ist“. Aussagen zur Struktur und zur weiter Weg. Die Entscheidungsmöglichkeit darüber, an Ausgestaltung des Bildungswesens oder gar zu bestimmten welcher Schule sie ihre Kinder am besten gefördert sehen, müsse aber den Eltern erhalten bleiben. Schulformen werden jedoch durch die UN ausdrücklich nicht gemacht. Denn die tatsächliche Zielsetzung der UN ist eine Dass die Bertelsmann-Studie genau die Bundesländer bestmögliche Förderung und Unterstützung von Kindern im besonders lobe, die Eltern diese Wahlmöglichkeit genom- Falle einer Behinderung, ein wichtiges und richtiges Anliegen men und Förderbedingungen verschlechtert sowie durch im weltweiten Interesse von Kindern mit Handicaps der ver- die Schließung von Förderschulen Sparpolitik betrieben schiedensten Art. hätten, sei schwer nachvollziehbar, so Meidinger. Doch die Realität sieht an niedersächsischen Schulen meist Pressemitteilung des Deutschen Lehrerverbandes anders aus: Schüler mit Behinderungen können derzeit in vom 03.09.2018 vielen Fällen nicht hinreichend gefördert werden, da die not- wendigen Voraussetzungen dafür von den Regierungen – der Landesregierung liegen. Dann könnte man sich auch die gleich welcher Couleur – bisher nicht oder nur unzureichend Mühe sparen, mit fragwürdigen Argumenten von den viel- geschaffen wurden: Das Fehlen von Sozialpädagogen, inhalt- fach hausgemachten und systembedingten Problemen mit lich und zeitlich überforderte Lehrer, große Lerngruppen und der Inklusion abzulenken, mit einem Wort: Wir brauchen damit kaum individuelle Betreuungsmöglichkeiten, all das eine Neubesinnung und eine Neuausrichtung der Inklusion, und noch vieles andere mehr ist völlig unbefriedigend und wir brauchen im Interesse der betroffenen Schüler ein Mit- macht die Situation unterstützungsbedürftiger Schüler viel- einander von Regelschule und Förderschule. Alte, zur Täu- fach unzumutbar. Hier zu baldigen, durchgreifenden Korrek- schung der Öffentlichkeit ausgestreute Floskeln haben wir turen zu kommen, zu überzeugenden und für Lehrer wie zum Überdruss. Kinder und deren Eltern akzeptablen Lösungen der mit der Inklusion geschaffenen Probleme, darin sollte das Bestreben Gymnasium in Niedersachsen 3/4 2018 11
Ministerium plant erhebliche Ausweitung der beruflichen Orientierung am Gymnasium Völlig überzogene Vorgaben zu Lasten des Fachunterrichts und auf Kosten der Lehrkräfte Schul- und Bildungspolitik Von Helga Olejnik Auch wenn der Philologenverband zu Erlassentwürfen immer ausführlich und detailliert Position bezieht: Eine Stellung- nahme von 13 Seiten, wie wir sie zum Erlassentwurf Berufsorientierung abgegeben haben, ist sicherlich die Ausnahme, war aber dringend erforderlich. Denn was uns das Kultusministerium jetzt an Vorschriften für die berufliche Orientierung an allgemein bildenden Schulen vorgeben will, hat nicht das Geringste mit einem sinnvollen Konzept der Berufs- und Studien- orientierung gemäß dem Bildungsauftrag der verschiedenen Schulformen zu tun und kann nur als hypertroph bezeichnet werden: Der Entwurf macht die berufliche Orientierung geradezu zu einer primären und zentralen Aufgabe von Schule – zu Lasten des Fachunterrichts und auf Kosten der ohnehin schon viel zu hoch belasteten Lehrkräfte. Wir haben daher den Kultusminister unmissverständlich aufgefordert, diesen Erlassentwurf zurückzuziehen. Bereits das „BO-Musterkonzept“ der Kommission Berufs- führenden Maßnahmen zur Berufsorientierung und Berufs- orientierung 2016 hatte der Philologenverband ausdrücklich bildung am Gymnasium angesichts des Bildungsauftrags abgelehnt: Denn dieses Konzept war ohne den erforderli- des Gymnasiums mit seiner wissenschaftspropädeutischen chen Blick für das fachlich Sinnvolle und Machbare geschrie- Ausrichtung allein von ihrem Umfang her viel zu hoch ben und mit seinen neuen und umfangreichen Vorgaben für gegriffen und letztlich nicht leistbar. die Schulen und Lehrkräfte völlig überzogen. Schuleigenes fächerübergreifendes Konzept: Doch der auf der Grundlage des Musterkonzepts vom Minis- Völlig überzogene Anforderungen terium vorgelegte neue Erlassentwurf „Berufliche Orientie- Wie umfassend und überzogen die neuen Anforderungen rung an allgemein bildenden Schulen“ schreibt die massive sind, wird dadurch deutlich, dass ein „schuleigenes fächer- Ausweitung der Berufs- und Studienorientierung des übergreifendes Konzept zur Durchführung der Maßnahmen Musterkonzepts nicht nur fort, sondern verschärft die Vor- zur Beruflichen Orientierung“ erstellt werden soll, dass die gaben noch einmal erheblich Maßnahmen „systematisch aufgebaut“ und sich „in einem ■ durch die Verpflichtung für alle Schulen aller Schulformen laufenden Prozess über mehrere Schuljahre hinweg bis zu des Sekundarbereichs, ein schuleigenes fächerübergrei- einer begründeten Berufswahlentscheidung“ erstrecken so- fendes Konzept zur Durchführung von Maßnahmen zur wie eine „gezielte Auseinandersetzung mit den geschlechts- Beruflichen Orientierung zu erarbeiten, spezifisch unterschiedlichen Rollenerwartungen in der ■ durch die verbindliche Einführung eines Kompetenzfest- Berufswelt und bei der Lebensplanung“ einschließen sollen. stellungsverfahrens an allen allgemein bildenden Schu- Obendrein kommen noch die kontinuierliche Dokumenta- len in den Sekundarbereichen I und II, tion der Maßnahmen der Beruflichen Orientierung sowie ■ durch die Pflicht zur kontinuierlichen Dokumentation der die enge Zusammenarbeit mit zahlreichen außerschulischen Maßnahmen zur Beruflichen Orientierung. Partnern und den Erziehungsberechtigten hinzu. Umfangreiche Berufsorientierung zu Lasten des Grundsätzlich verkennt das vorgesehene „fächerübergreifen- Fachunterrichts de Konzept“ mit der Einbeziehung jedes einzelnen Faches in Ein entscheidender Mangel des Erlassentwurfes ist schon Maßnahmen der Berufsorientierung, dass die Fächer jeweils darin zu sehen, dass er grundsätzlich eine nur überzogen zu eine eigene Fachstruktur haben und sich die fachbezogenen nennende quantitative Ausweitung berufsorientierender Unterrichtsgegenstände nicht beliebig für Aufgaben der Maßnahmen vorsieht, die zwangsweise zu einer weiteren beruflichen Orientierung eignen. Reduzierung des Fachunterrichts führt und somit zu Lasten einer breiten und vertieften Allgemeinbildung sowie einer Potenzialanalyse: Immenser Aufwand – fragwürdiger allgemeinen Studierfähigkeit geht. Nutzen Unsere besondere Kritik richtet sich gegen die vorgesehene Ein didaktisch und methodisch differenziertes Konzept der Potenzialanalyse („Kompetenzfeststellungsverfahren“), die beruflichen Orientierung, das diesen Namen verdient und zwangsläufig zu der Frage führt, mit welcher Zielsetzung das geeignet wäre, den unterschiedlichen Aufgaben der ein- und Begründung ein derart komplexes, umfangreiches und zelnen Schulformen gemäß Niedersächsischem Schulgesetz arbeitsaufwändiges Verfahren verpflichtend am Gymnasium hinreichend Rechnung zu tragen, ist nicht erkennbar. Insbe- eingeführt werden soll, das den spezifischen Bildungsauf- sondere sind die Ausweitung der Beruflichen Orientierung trag des Gymnasiums quantitativ und qualitativ völlig auf 25 Tage und die im Unterricht aller Fächer durchzu- unberücksichtigt lässt – ein Verfahren zudem, das wissen- 12 Gymnasium in Niedersachsen 3/4 2018
Sie können auch lesen