DIE LEBENSLANGE FREIHEITSSTRAFE ALS VERSTOSS GEGEN DIE MENSCHENWÜRDE

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Eingereicht von
                                        Mileva Aleksandrovic

                                        Angefertigt am
                                        Institut für
                                        Strafrechtswissenschaften
                                        der Johannes Kepler
                                        Universität Linz

DIE LEBENSLANGE                         Beurteiler / Beurteilerin
                                        Univ.-Prof. Dr. Alois

FREIHEITSSTRAFE
                                        Birklbauer

                                        Mitbetreuung

ALS VERSTOSS GEGEN
                                        MMag. Dr. Kathrin
                                        Stiebellehner

DIE MENSCHENWÜRDE
                                        Monat Jahr
                                        September 2020

Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
Magistra der Rechtswissenschaften
im Diplomstudium
der Rechtswissenschaften

                                        JOHANNES KEPLER
                                        UNIVERSITÄT LINZ
                                        Altenberger Straße 69
                                        4040 Linz, Österreich
                                        jku.at
                                        DVR 0093696
Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis .......................................................................................................... IV
I.    Einleitung ............................................................................................................................ 1
II.   Bedeutung und Begriffserklärung ..................................................................................... 2
A.    Lebenslange Freiheitsstrafe ................................................................................................. 2
1.    Bedeutung ............................................................................................................................ 2
B.    Menschenwürde ................................................................................................................... 2
1.    Bedeutung ............................................................................................................................ 2
2.    Menschenwürde in Österreich .............................................................................................. 3
III. Historische Entwicklung der lebenslangen Freiheitsstrafe ............................................. 4
IV. Die lebenslange Freiheitsstrafe im österreichischen Strafrecht ..................................... 5
A.    Delikte mit lebenslanger Strafandrohung .............................................................................. 5
B.    Grundsätzlich als Alternativstrafe ......................................................................................... 7
C. Nachträgliche Verurteilungen bei lebenslanger Freiheitsstrafe ............................................. 7
D. Verjährung ............................................................................................................................ 7
E.    Bedingte Entlassung............................................................................................................. 8
F.    Wirklich ein ganzes Leben lang hinter schwedischen Gardinen? .......................................... 9
V.    Rechtsvergleich ................................................................................................................ 11
A.    Die lebenslange Freiheitstrafe in Deutschland .................................................................... 11
B.    Die lebenslange Freiheitstrafe in Schweiz .......................................................................... 12
C. Die lebenslange Freiheitstrafe in USA ................................................................................ 13
VI. Was sind die Gründe für eine lebenslange Freiheitsstrafe? ......................................... 14
A.    Absolute Straftheorie .......................................................................................................... 14
B.    Relative Straftheorie – Spezialprävention & Generalprävention .......................................... 15
C. Das Schuldprinzip............................................................................................................... 16
VII. Der gerechtfertigte Grundrechtseingriff ......................................................................... 17
A.    Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz - Allgemein.................................................................. 17
B.    Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Strafverfahren ........................................................ 18
C. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Sanktionenrecht im Lichte des § 32 ff StGB .......... 18
D. Alles nur eine Frage des Ermessens? ................................................................................ 19
VIII. Menschenunwürdig? ........................................................................................................ 19
A.    EGMR Entscheidung Vinter u.a. gg. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 09.07.2013 .......... 20
B.    Europa und die Auswirkungen der Entscheidung Vinter u.a. .............................................. 23
C. Schafft die lebenslange Freiheitsstrafe ab! ......................................................................... 24
D. Alternativen zur lebenslangen Freiheitsstrafe ..................................................................... 27

                                                                                                                                                  II
IX. Praxisbeispiel Norwegen – Wo lebenslange Freiheitsstrafe ein Fremdwort ist ........... 29
X.    Conclusio .......................................................................................................................... 31
Literaturverzeichnis................................................................................................................. 32

Zur besseren Lesbarkeit wird in nachstehender Arbeit auf die gleichzeitige Verwendung
männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Es wird das generische Maskulinum
verwendet,           wobei        sämtliche          nachstehende               Personenbezeichnungen                       auf      beide
Geschlechter bezogen sind.

                                                                                                                                            III
Abkürzungsverzeichnis

Abb.           Abbildung
ABGB           Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch
Abs            Absatz
aF             alte Fassung
Anm.           Anmerkung
Art            Artikel
Bd.            Band
BKA            Bundeskanzleramt
BMJ            Bundesministerium für Justiz
BMVRDJ         Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung
               und Justiz
bspw.          beispielsweise
B-VG           Bundesverfassungsgesetz
bzw.           beziehungsweise
ca.            circa
CCT            Constitutio Criminalis Theresiana
CH             Schweiz
D              Deutschland
dStGB          deutsches Strafgesetzbuch
EGMR           Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EMRK           Europäische Menschenrechtskonvention
f              folgend
ff             fortfolgende
Gem.           gemäß
GG             Grundgesetz
gg.            gegen
GRC            Grundrechtecharta
hA             herrschende Ansicht
idS            in dem / diesem Sinne
idZ            in diesem Zusammenhang
iSd            im Sinne der / des
iSe            im Sinne einer
iSv            im Sinne von
iZm            in Zusammenhang mit
                                                                           IV
JGG              Jugendgerichtsgesetz
JGG-ÄndG 2015    Jugendgerichtsgesetz-Änderungsgesetz 2015
Jhd.             Jahrhundert
Jud.             Judikatur
leg cit          legis citatis
Lfg.             Lieferung
lit              litera
Lit.             Literatur
mat. Recht       materielles Recht
mEn              meines Erachtens nach
noStGB           norwegisches Strafgesetzbuch (norwegisch: Lov om straff)
Ö                Österreich
PersFrBVG        Bundesverfassungsgesetz vom 29. November 1988 über
                 den Schutz der persönlichen Freiheit
Rz               Randziffer
SbgK StGB        Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch
schriftl.        schriftlich
schwStGB         schweizer Strafgesetzbuch
SMG              Suchtmittelgesetz
sog.             sogenannte
StGB             Strafgesetzbuch
StPO             Strafprozessordnung
StRÄG / StRÄGe   Strafrechtsänderungsgesetz / Strafrechtsänderungsgesetze
StVG             Strafvollzugsgesetz
u.               und
u.a.             und andere / unter anderem
USA              Vereinigte Staaten von Amerika
VfGH             Verfassungsgerichtshof
Vgl.             vergleiche
vs.              versus
WK StGB          Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch
Z                Ziffer
z.B.             zum Beispiel

                                                                            V
I. Einleitung

Die lebenslange Freiheitsstrafe – global gesehen (neben der Todesstrafe) die wohl am
stärksten in das Leben und den Rechten eines verurteilten Menschen eingreifende
Sanktion, die es im Strafrecht gibt.
Doch was heißt „lebenslang“ überhaupt und inwieweit ist die Menschenwürde betroffen?
Eingangs werden in dieser Arbeit die Begriffe „lebenslange Freiheitsstrafe“ und
„Menschenwürde“ einer näheren Betrachtung unterzogen sowie die Bedeutung dieser
Termini ausgearbeitet.
Das darauffolgende Kapitel widmet sich sodann der geschichtlichen Entwicklung der
lebenslangen Freiheitsstrafe. Der nächste Abschnitt gewährt einen Einblick in unser
heimisches Strafrechtssystem, wo das Augenmerk ausschließlich auf die lebenslange
Freiheitsstrafe gelegt ist. Der Einblick wird u.a. zeigen, dass in Hinblick auf die
Verurteilungen die Tendenz steigend ist.
Unmittelbar nach dem nationalen Einblick werfen wir einen Blick über die Grenzen hinaus.
In einem pointierten Rechtsvergleich soll eine Übersicht über die jeweilige Handhabe
unserer Nachbarländer Deutschland und Schweiz, sowie der amerikanische „the way of“
in Bezug auf die lebenslange Freiheitsstrafe, aufgezeigt werden. Gefolgt von einem
weiteren Kapitel, das den Zweck und die Gründe für eine lebenslange Freiheitstrafe
darlegt. Wieder zurückkehrend auf heimischem Boden, wird die Frage beantwortet wie in
verfassungsrechtlicher Hinsicht ein derartig schwerer Eingriff in die Freiheit eines
Menschen möglich ist.
Ziel dieser Arbeit ist insbesondere die Frage zu erörtern, ob ein solch schwerwiegender
Eingriff als ein Verstoß gegen die Menschenwürde zu werten ist. Es wird idZ die
Entscheidung des EGMR, in der Causa Vinter u.a. gg. das Vereinigte Königreich,
thematisiert und dargestellt zu welcher Ansicht der Gerichtshof gelangt ist, als er sich mit
der Frage, ob die lebenslange Freiheitsstrafe menschenunwürdig ist, befasst hat.
Wie sich das Urteil des EGMR auf Europa ausgewirkt hat, schildert das nächste Kapitel,
gefolgt von dem Kapitel mit der Überschrift „Schafft die lebenslange Freiheitsstrafe ab!“,
wo Gründe analysiert werden, die für eine Abschaffung sprechen und was für Alternativen
möglich wären.
Mit Norwegen als Praxisbeispiel, soll dem Leser im letzten Kapitel eine Rechtsordnung
ohne lebenslange Freiheitsstrafe vorgestellt werden.
In den letzten Zeilen darf ich schließlich in einer Conclusio meine Erkenntnisse auf den
Punkt bringen und mit meiner persönlichen Meinung dieses Werk abschließen.
                                                                                           1
II. Bedeutung und Begriffserklärung

A. Lebenslange Freiheitsstrafe

1. Bedeutung

Was bedeutet es überhaupt zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt zu sein?
§ 18 Abs 1 StGB legt ausdrücklich fest, dass Freiheitsstrafen auf Lebensdauer oder auf
bestimmte Zeit verhängt werden. Das heißt also, dass eine lebenslange Freiheitsstrafe,
welche nach dem Tenor dieser Bestimmung, explizit nicht zeitlich begrenzt ist und somit
als eine Strafe, die grundsätzlich - abgesehen von der Möglichkeit der vorzeitigen
Entlassung gem. § 46 StGB - bis zum Tod des Delinquenten andauern soll, vorgesehen
ist.1
Bei jungen Erwachsenen und Jugendlichen Straffälligen wird allerdings Abstand von der
lebenslangen Freiheitsstrafe genommen und es finden mildere Höchststrafen Anwendung.
Dem JGG folgend gilt für Jugendliche, die zum Tatzeitpunkt nicht das 16. Lebensjahr
vollendet haben gem. § 5 Z 2 lit b JGG eine maximale Freiheitsstrafe von 10 Jahren. Bei
Straftätern, die zum Zeitpunkt der Tat zwischen 16 Jahren und 18 Jahre alt waren, beträgt
die Höchststrafe nach Z 2 lit a leg cit 15 Jahre. Für junge Erwachsene, also jene zwischen
dem vollendeten 18. und 21. Lebensjahr, gilt ebenfalls das Höchststrafmaß von 15 Jahren
gem. § 19 Abs 1 JGG.2

B. Menschenwürde

1. Bedeutung

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.“ – Art 1 GRC

Mit dem Art 1 hat die EU-Grundrechtecharta die „unantastbare“ Menschenwürde an der
Spitze ihres Kataloges gestellt. Doch was bedeutet Menschenwürde eigentlich?

Bei der Aufnahme der Menschenwürde in die Charta der Grundrechte hatten die
Konventionsmitglieder zum einen die grausamen und menschenverachteten Methoden
des NS-Regimes vor Augen und zum anderen war es notwendig Regeln zu schaffen, die
den Menschen vor aktuellen Gefahren, die z.B. aus der Biotechnologie tritt, zu schützen.3

1Salimiin Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer (Hrsg), SbgK-StGB (35. Lfg 2016) zu § 18 StGB, Rz 7.
2Jesionek/Birklbauer,  Strafrecht AT II8, Rz 4/4.
3Wolffgang in Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge Kommentar, 6. Aufl., Art 1 GRC, Rz 1—4.

                                                                                                2
Die Menschenwürde verbietet die Instrumentalisierung eines Menschen, sie definiert den
Menschen als Subjekt, der mit der angeborenen Eigenschaft der Würde ausgestattet ist
und nicht als Objekt zu behandeln ist,4 weil Würde in der Fähigkeit eines Menschen auf
Selbstbestimmung und Selbstgestaltung gründet.5
Der Begriff der Menschenwürde fungiert als „Oberbegriff aller Grundrechte“ und als
„Fundament aller der Person inhärenten Rechte“.6 Das bedeutet also, dass im Mittelpunkt
von Recht und Staat der Mensch steht.7
Im Unterschied zu den anderen Grundrechten beschreibt die Menschenwürde keinen
spezifischen Lebensbereich, sondern sie legt sich wie ein schützender Mantel über alle
Lebensbereiche eines Menschen.8
Ausgehend von den obigen Ausführungen lässt sich zusammenfassend sagen, dass unter
der Würde des Menschen zu verstehen ist, dass jeder Mensch als Individuum gleich viel
zählt und unabhängig seiner persönlichen Eigenschaften, besonderen Merkmalen oder
Herkunft die gleiche Achtung verdient.9
Da sohin alle Menschen den gleichen Wert haben und mit gleicher Würde ausgestattet
sind, zählt auch das Wohl aller Personen gleich. Unverkennbar folgt daraus, dass alle
Menschen im Besitz bestimmter Rechte sind, die es zu schützen gilt.10

2. Menschenwürde in Österreich

Deutschland hat im Gegensatz zu Österreich den Schutz der Würde eines Menschen in
seinem ersten Artikel des GG von 1949 verfassungsrechtlich verankert. Bemühungen das
Recht auf Menschenwürde explizit in die österreichische Bundesverfassung aufzunehmen
gab es wiederholt, allerdings ist es bisher nie zu einer entsprechenden Beschlussfassung
gekommen.11
Das heißt aber nicht, dass für Österreich die Würde des Menschen weniger wichtig ist.
Zunächst ist auszuführen, dass auf einfachgesetzlicher Ebene § 16 ABGB die zentrale
Rechtsnorm unserer Rechtsordnung für die Gewährleistung der menschlichen Würde
darstellt. Darin heißt es: „Jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft
einleuchtende Rechte.“12

4Wolffgang  in EU-VerträgeK, Art 1 GRC, Rz 8.
5Binder/Trauner, Öffentliches Recht Grundlagen4 (2016), Glossar 299.
6Wolffgang in EU-VerträgeK, Art 1 GRC, Rz 8.
7Binder/Trauner, Öffentliches Recht Grundlagen4 (2016), Rz 121.
8Wolffgang in EU-VerträgeK, 6. Aufl., Art 1 GRC, Rz 8.
9Adorno/Christensen in Lenk/Duttge/Fangerau, Handbuch Ethik und Recht der Forschung am Menschen, 197.
10Adorno/Christensen in Lenk/Duttge/Fangerau, Handbuch Ethik und Recht der Forschung am Menschen, 197.
1115486/J XXIV. GP,
                     https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/J/J_15486/fnameorig_314243.html
12Konicek in Der Schutz der Menschenwürde im Verfassungsrecht und im internationalen Recht in

  Harrer/Honsel/Mader (Hrsg.), GS für Theo Mayer-Maly (2011) 259.
                                                                                                         3
Diesbezüglich hat auch der VfGH in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1993 die wohl
verfassungsrechtlich bedeutendste Aussage im Hinblick auf die Menschenwürde getätigt
und klargestellt, dass der Rechtsgrundsatz der menschlichen Würde als allgemeiner
Wertgrundsatz der österreichischen Rechtsordnung zu verstehen ist und ein Mensch nicht
als bloßes Mittel zu welchem Zweck auch immer gewertet und behandelt werden darf.13

Auch      wenn      die     Menschenwürde            nicht     unmittelbar       in    der    österreichischen
Bundesverfassung verankert ist, so wird sie mittelbar in anderen Menschenrechten und
Verfassungsbestimmungen widergespiegelt. Bspw. wird die Menschenwürde dem Recht
auf persönliche Freiheit gem. Art 1 Abs 4 PersFrBVG oder dem Verbot unmenschlicher
und erniedrigender Strafe oder Behandlung nach Art 3 EMRK zugrunde gelegt.14

Um hervorzuheben wie wichtig die Menschenwürde für Österreich ist und, dass die
Menschenwürde Teil der österreichischen demokratischen Grundordnung ist, stellt die
Frage „Was kennzeichnet die Menschenwürde?“, eine der wesentlichen Prüfungsfragen in
der Staatsbürgerschaftsprüfung im Verfahren zur Verleihung der österreichischen
Staatsbürgerschaft dar.15

III. Historische Entwicklung der lebenslangen Freiheitsstrafe

Für das Sanktionenrecht der Antike und des Mittelalters erfüllte das Einsperren des
Delinquenten bloß einen nebensächlichen Zweck. Hauptsächlich galt der Freiheitsentzug
der Verwahrung des Täters bis zu seinem Strafprozess mit anschließender Vollziehung
der Leibes- und Lebensstrafen.16 Eine Freiheitsstrafe in Form einer Haft, so wie wir sie
heute kennen, war in römischen Gesetzen nicht existent. Ein Sklave konnte lediglich, da
er als Sache galt, von seinem Herrn mit Freiheitsentzug belegt werden.17

Unabhängig davon, war es jedoch üblich, dass bei Tätern, bei denen die Vollziehung der
Todesstrafe, z.B. aufgrund von Begnadigung des jeweiligen Herrschers, nicht durchgeführt
wurde, die jeweilige Exekutionshaft in die sog. „prepetua vincula“, also in eine ewige
Einsperrung, umgewandelt wurde.18

13VfGH VfSlg 13.635/1993 sowie Konicek in Harrer/Honsel/Mader 259.
14Binder/Trauner, Öffentliches Recht Grundlagen4 (2016), Rz 479.
15BKA, Mein Österreich–Vorbereitung zur Staatsbürgerschaft, http://www.staatsbuergerschaft.gv.at/index.php?id=41 .
16Laubenthal, Strafvollzug7, Rz 86.
17Laubenthal, Strafvollzug7, Rz 86.
18Laubenthal, Strafvollzug7, Rz 86.

                                                                                                                     4
Etwa gegen Mitte des 16. Jhd. findet die zeitgenössische Freiheitsstrafe ihre Anfänge in
England und Holland, wo erstmalig Haftanstalten installiert wurden, mit dem Zweck durch
die Freiheitsentziehung die Insassen zur Arbeit, Ordnung und einem gesetzmäßigen Leben
zu erziehen.19

Für die deutschösterreichischen Erbländer schuf Maria Theresia mit der „Constitutio
Criminalis Theresiana“ im 18. Jhd. den ersten einheitlichen Strafkodex.20 Die CCT sah
sowohl Leibesstrafen als auch Todesstrafen vor. Gem. Art 5 § 1 CCT wurde die
Todesstrafe sogar in zwei verschiedenen „Härtegraden“ eingeteilt, dies war einerseits die
härtere für überschwere Verbrechen und andererseits die gelinderte für schwere
Verbrechen.21 Im Laufe der Geschichte wurde die Todesstrafe mehrmals abgeschafft. Dies
war jedoch nie von langer Dauer. Während der NS-Zeit wurde der grausame Höhepunkt
der Todesstrafe erreicht. Diese Zeit war bekanntlich übersäht von massenweisen
Exekutionen, bei denen nicht nur Schwerstverbrecher zum Tode verurteilt wurden, sondern
auch Kleinkriminelle und vor allem aber auch unschuldige Menschen, weil sie grundlos,
aufgrund willkürlicher Auslegung des Tatbestandes, der Vorbereitung des Hochverrats,
bezichtigt wurden.22

Die Todesstrafe wurde im Mai 1950 im ordentlichen Verfahren, endgültig jedoch erst im
Frühjahr 1968 abgeschafft.23 Diese Bestimmung fand Eingang in die Bundesverfassung
und wurde mit Art. 85 B-VG im Verfassungsrang gehoben.
Als geeignetes Surrogat für die Todesstrafe galt fortan der lebenslange schwere Kerker.24

IV.      Die lebenslange Freiheitsstrafe im österreichischen Strafrecht

A. Delikte mit lebenslanger Strafandrohung

Welche Delikte sind es nun, die mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe bedroht sind?
Nun, in aller Regel handelt es sich um schwerste Straftaten. Da das Leben das höchste
Rechtsgut ist, welches es besonders zu schützen gilt, wird auch ein Verstoß dagegen
besonders streng sanktioniert.

19Laubenthal,   Strafvollzug7, Rz 85.
20Ehrlich, Hexen, Mörder, Henker – Die Kriminalgeschichte Österreichs (2006) 143.
21https://archive.org/details/ConstitutioCriminalisTheresiana-1768/page/n53/mode/2up/search/art+5 sowie Wrede, Die

  Körperstrafen bei allen Völkern von den ältesten Zeiten bis Ende des neunzehnten Jahrhunderts (1981) 333.
22Ehrlich, Kriminalgeschichte, 223.
23Ehrlich, Kriminalgeschichte, 229.
24Loebenstein, Die Entwicklung des Strafrechts und Strafprozessrechts v. 1918 bis zur Gegenwart, in Máthá/Ogris

  (Hrsg), Die Entwicklung der österreichisch-ungarischen Strafrechtskodifikation im XIX-XX. Jhd. (1996) 80–81.
                                                                                                                     5
D.h. es handelt sich also um Delikte, die den Tod von zumindest eines Menschen zur Folge
hatte. Als klassisches Beispiel ist der Tatbestand des § 75 StGB – Mord – zu nennen,
wobei zu beachten ist, dass nicht jedes mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohtes Delikt
die Vorsatzkomponente voraussetzt. Die nachfolgenden Zeilen werden zeigen, dass
fahrlässig verursachte Straftaten eine lebenslange Freiheitsstrafe bewirken können.25

Als Ausnahme hiervon sind einerseits §§ 76 StGB ff zu nennen, die jeweils eine privilegierte
Form der vorsätzlichen Tötung darstellen.26 So wird bspw. Totschlag gem. § 76 StGB mit
einer maximalen FS von 10 Jahren sanktioniert. Die Mitwirkung zum Selbstmord nach
§ 78 StGB ist mit einer Höchststrafe von 5 Jahren bedroht.
Eine weitere Ausnahme stellt § 177a Abs 2 StGB dar. Hier gestaltet es sich umgekehrt.
Hier hat der Täter den Tod nicht selbst und vorsätzlich herbeigeführt. Dennoch kann der
„Täter“ mit einer lebenslangen FS verurteilt werden, wenn er Massenvernichtungswaffen
herstellt und verbreitet, mit dem Wissen, dass diese in einem Kriegs- oder Unruhegebiet
zum Einsatz kommen werden.27
Unter den Delikten die nicht zwingend die Todesfolge voraussetzen, können sich auch die
Tatbestände des Genozids nach § 321 Abs 1 StGB, Verbrechen der Menschlichkeit gem.
§ 321a Abs 1 u. 2 StGB sowie Kriegsverbrechen gegen Personen gem. § 321b Abs 1 bis
3 StGB einreihen. Obwohl diese Delikte nicht direkt den Tod von Menschen herbeiführen,
so führen die Tathandlungen letztlich, wenn auch indirekt, zur Todesfolge, sodass hier
eindeutig eine Verknüpfung zum höchsten Rechtsgut – dem Leben gegeben ist.28

Es gibt aber auch Delikte, wo der Bezug zum Rechtsgut Leben nicht so offensichtlich
ableitbar ist. So z.B. im Falle des § 28a Abs 5 SMG. Bei diesem Delikt handelt es sich um
organisierten Suchtgifthandel, der ebenfalls unter lebenslanger FS steht.29
Überdies stellt das StGB eine Reihe von Qualifikationstatbeständen, aus welcher eine
fahrlässige Todesfolge resultiert, unter lebenslanger Freiheitsstrafe. Zu nennen sind hier
bspw. die Erfolgsqualifikation des Raubes gem. § 143 StGB, der Vergewaltigung gem.
§ 201 Abs 2 StGB oder Entführung nach § 102 Abs 3 StGB, sofern der Tod des Opfers
zumindest aufgrund von Fahrlässigkeit verursacht wurde.30

25Salimi in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer (Hrsg), SbgK-StGB (35. Lfg 2016) zu § 18 StGB, Rz 8.
26Reindl-Krauskopf    in Kodex StGB15 Anm. zu § 76.
27Salimi in SbgK-StGB zu § 18 StGB, Rz 8.
28Salimi in SbgK-StGB zu § 18 StGB, Rz 8.
29Salimi in SbgK-StGB zu § 18 StGB, Rz 8.
30Salimi in SbgK-StGB zu § 18 StGB, Rz 9.

                                                                                                  6
B. Grundsätzlich als Alternativstrafe

Grundsätzlich wird die lebenslange Freiheitsstrafe im StGB als Alternativstrafe nebst einer
zehn- oder zwanzigjährigen Freiheitsstrafe angedroht. Aber auch hier gibt es Ausnahmen
von diesem Prinzip, denn es gibt vereinzelte Delikte, die ausschließlich unter einer
lebenslangen Freiheitsstrafe gestellt werden. Bei den betreffenden Delikten handelt es sich
um § 321 StGB Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit gem. § 321a
Abs 1 StGB sowie Kriegsverbrechen gegen Personen gem. § 321b Abs 1 StGB.31

C. Nachträgliche Verurteilungen bei lebenslanger Freiheitsstrafe

Im Hinblick auf eine nachträgliche Verurteilung gilt sowohl die Strafrahmenabgrenzung des
§ 31 Abs 1 letzter Satz StGB als auch die Strafbemessungsvorschrift des § 40 StGB bei
einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht. Aufgrund der zwangsläufig nicht bestimmbaren
Dauer der lebenslangen Freiheitsstrafe erscheint eine Summierung von Strafen bereits
begrifflich sinnlos. Es ist daher in derlei Fällen von Verhängung einer zusätzlichen Strafe
abzusehen.32

D. Verjährung

Eine weitere Besonderheit der lebenslangen Freiheitsstrafe betrifft die Verjährung. Gem.
§ 57 Abs 1 StGB stehen Delikte mit ausschließlich lebenslanger Freiheitstrafe oder
strafbare Handlungen mit einer Strafdrohung von zehn bis zu zwanzig Jahren oder
lebenslang unter Verjährungsausschluss. D.h. also, dass diese Delikte unverjährbar sind.
Dies trifft sowohl auf den Fall der Strafbarkeit als auch den Fall der Vollstreckbarkeit zu.
Das Strafmaß ändert sich hinsichtlich der Strafbarkeit jedoch dahingehend, dass nach
Ablauf von zwanzig Jahren seit der Begehung des Deliktes nicht mehr auf eine lebenslange
FS verurteilt werden darf, sondern die Strafdrohung auf eine zeitliche Freiheitsstrafe von
zehn bis zwanzig Jahren begrenzt wird. Erwähnenswert ist auch, dass die Strafe eines zu
lebenslang Verurteilten nicht getilgt wird und wird idZ auch die Tilgung sämtlicher
Verurteilungen, welche bis zum Zeitpunkt der Verurteilung zur lebenslangen FS, nicht
getilgt waren, ausgeschlossen. 33

31Salimi in SbgK-StGB zu § 18 StGB, Rz 11 sowie Jesionek/Birklbauer, Strafrecht AT II8, Rz 4/3.
32Lässig  in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 18, Rz 7 (Stand 1.9.2010, rdb.at).
33Salimi in SbgK-StGB zu § 18 StGB, Rz 11 sowie Lässig in WK2 StGB § 18, Rz 7.

                                                                                                  7
E. Bedingte Entlassung

Mit der bedingten Entlassung hat der Gesetzgeber in § 46 StGB kriminalpolitisch ein enorm
wichtiges Rechtsinstitut geschaffen. Bereits im 19. Jhd. erkannten einige europäische
Länder die Wichtigkeit der bedingten Entlassung34. In Ö wurde die bedingte Entlassung
erst 1920 mit dem „Gesetz über die bedingte Entlassung“ eingeführt und seither stetig
modifiziert35, zuletzt mit dem JGG-ÄndG 2015 und zwar dahingehend, dass § 46 Abs 3
StGB aF – die Option einer bedingten Entlassung bei jungen Erwachsenen nach einer
Mindeststrafzeit von 1 Monat - nunmehr in § 19 Abs 2 iVm § 17 JGG integriert wurde.36
Mit der Bezeichnung „Strafaussetzung auf Bewährung“, dem deutschen Pendant zur
bedingten Entlassung, geregelt in § 57 dStGB, wird treffender zum Punkt gebracht, worum
es sich bei diesem Rechtsinstitut genau handelt. Tatsächlich geht es bei der bedingten
Entlassung nämlich darum, dass ein weiterer Vollzug einer Haftstrafe bedingt für eine Zeit
auf Probe ausgesetzt wird und nicht wie im Volksmund von einigen interpretiert wird, dass
die restliche FS bedingt nachgesehen wird.37 Es ist also eine Maßnahme der
Strafvollstreckung und keine nachträgliche Änderung des Urteils bzw. des Strafmaßes.38
Kriminalpolitisches Ziel der bedingten Entlassung ist es, dem aus dem Strafvollzug bedingt
Entlassenen den Weg auf ein straffreies Leben in Freiheit zu ebnen und so seine
Resozialisierung zu fördern.39 Der Resozialisierungsgedanke verfolgt sohin auch die
Interessen der Allgemeinheit, da man dem Rechtsbrecher mit Hilfe von begleitenden
Maßnahmen wie Weisungen einen leichteren Wiedereinstieg in die Gesellschaft ermöglicht
und so das Rückfallrisiko wesentlich vermindert oder gar verhindert.40
Allgemeine Voraussetzungen für die bedingte Entlassung sind einerseits die Verbüßung
eines bestimmten Teiles der verhängten Freiheitsstrafe, sowie zusätzlich zu diesem
zeitlichen      Moment        eine      positive     spezialpräventive          und      ggfls.     entsprechende
generalpräventive Prognose.41
Generalpräventive Überlegungen sind hinsichtlich Straftäter iSd. JGG keinesfalls und seit
dem StRÄG 2018 auch bei zu lebenslang Verurteilten, bei günstiger spezialpräventiver
Prognose, nicht zu berücksichtigen.42

34Müller, Die lebenslange Freiheitsstrafe in Österreich Rechtslage - Rechtswirklichkeit – Diskussionsstand in
  FS für Udo Jesionek; S. 404 f.
35ausführlich dazu Birklbauer in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer (Hrsg), SbgK (18. Lfg 2008) zu § 46 StGB, Rz 1ff.
36Schroll in Höpfel/Ratz, WK2 JGG § 19 (Stand 1.10.2016, rdb.at), Rz 1 u. 7.
37Birklbauer in SbgK zu § 46 StGB, Rz 6.
38Jerabek/Ropper in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 46 (Stand 1.6.2020, rdb.at), Rz 2.
39Birklbauer in SbgK zu § 46 StGB, Rz 8.
40Birklbauer in SbgK zu § 46 StGB, Rz 6 sowie Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 46, Rz 1 u. 3.
41Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 46, Rz 5 sowie Jesionek/Birklbauer, Strafrecht ATII8, Rz 5/84f.
42Jesionek/Birklbauer, Strafrecht ATII8, Rz 5/85f.

                                                                                                                    8
§ 46 Abs 6 StGB regelt die konkreten Erfordernisse einer bedingten Entlassung aus einer
lebenslangen Freiheitsstrafe. Demnach ist eine bedingte Entlassung denkbar, wenn
mindestens 15 Jahre in Haft verbüßt wurden und wenn dem Erfordernis einer günstigen
spezialpräventiven Prognose genüge getan wurde, sohin nur wenn explizit angenommen
werden kann, dass derjenige keine erneuten Strafhandlungen begehen wird.43 Es wird also
einzelfallspezifisch und sorgfältig abgewogen zwischen dem Risiko bei vorzeitiger
Entlassung einerseits und den potentiellen Auswirkungen auf den Strafgefangenen durch
den Strafvollzug bedingten lebenslangen Freiheitsentzug. Dass hiebei, in Anbetracht der
höheren Sicherungsfunktion einer lebenslangen Freiheitsstrafe, ein strengerer Maßstab
bei der Prognose herangezogen wird ist selbstredend.44

Das Verfahren über die bedingte Entlassung ist in § 152 f StVG geregelt. Zuständig ist das
Vollzugsgericht.45 Die bedingte Entlassung hat einen doppelgesichtigen Charakter, denn
sie entspringt aus dem StGB und entfaltet ihre Wirkung im StVG. Sie schließt nämlich im
mat. Recht an den Gedanken der bedingten Strafnachsicht an und vollzugsrechtlich kann
hinsichtlich der Notwendigkeit des Strafvollzugs nachkorrigiert werden, ohne dabei das
ausgesprochene Strafurteil zu berühren.46 Schließlich kommt der bedingten Entlassung
erhebliche Bedeutung zu, wenn es um den Resozialisierungsgedanken im Strafvollzug
geht, denn naturgemäß ist die Motivation des Häftlings an den vorgesehenen
Erziehungsmaßnahmen mitzuwirken entsprechend höher, wenn die Aussicht einer
bedingten Entlassung aus der Haft gegeben ist.47

F. Wirklich ein ganzes Leben lang hinter schwedischen Gardinen?

Den bisherigen Ausführungen zugrunde legend, wie lange verbringt ein in Ö zu lebenslang
Verurteilter nun tatsächlich in Haft?
Um die Frage beantworten zu können, ist es zunächst notwendig einige statistische Zahlen
in Bezug auf die rechtkräftig zur lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilten Straftäter zu
analysieren.
Unter Heranziehung der Auswertung der Statistik Austria über Rechtskräftige
Verurteilungen nach Sanktionen 1975 bis 2019, lässt sich von 1975 bis 1995 eine
steigende Tendenz, mit Ausnahme von 1980, feststellen.

43Jesionek/Birklbauer, Strafrecht ATII8, Rz 5/86.
44Birklbauer in SbgK zu § 46 StGB, Rz 85.
45Pieber in Höpfel/Ratz, WK2 StVG § 152, Rz 1 (Stand 1.3.2019, rdb.at).
46Birklbauer in SbgK zu § 46 StGB, Rz 13 und Pieber WK2 StVG § 152, Rz 2.
47Pieber in WK2 StVG § 152, Rz 2.

                                                                                         9
Während es im Jahr 1970 7 zu lebenslang Verurteilte gab, gab es 1980 lediglich 4. Der
Höhepunkt wurde im Jahr 1995 erreicht mit jeweils 11 Verurteilungen zu lebenslanger FS.
Im Jahr 2000 gingen die Zahlen dann wieder runter mit 5 zu lebenslang verurteilten
Personen. In den darauffolgenden Jahren stieg die Zahl wieder kontinuierlich an, sodass
man im Jahr 2019 9 Personen, die rechtskräftig zu einer lebenslangen FS verurteilt wurden,
verzeichnen konnte. Dieser Wert stellt im Übrigen den zweithöchsten Wert seit 1995 dar.48
Grundsätzlich waren per 01.09.2020 insgesamt 8.566 Personen inhaftiert.49 Davon sind
lediglich 1,4 % jene Insassen, die eine Freiheitsstrafe von über 20 Jahren bis lebenslang
verbüßen. Das sind in etwa knapp unter 120 Strafgefangene.50
Während der Zeitspanne von 2011 bis 2018 fanden 188 Männer und 7 Frauen (Gesamt:
195) ein Ende aus der lebenslangen Freiheitstrafe. Für 31 (davon 1 Frau) von denen
beendete der Tod den Strafvollzug. Das ist in etwa jeder 3. auf Lebensdauer verurteilte
Mensch, der als Insasse stirbt und somit im wahrsten Sinne des Wortes den Begriff der
lebenslangen Freiheitsstrafe erfüllt. Für die meisten Sträflinge, nämlich für 118 (davon 3
Frauen) endete die lebenslange Freiheitsstrafe, gemäß den Ausführungen im Kapitel zu
§ 46 Abs 6 StGB, durch bedingte vorzeitige Entlassung.51
Für 70 der zwischen 2012 und 2018 bedingt entlassenen Personen betrug die verbüßte
Zeit in Haft im Durchschnitt 19,2 Jahre, während 13 Personen nach 20jähriger
Strafverbüßung,17 nach 16 Jahren Haft und die übrig Verbliebenen durften bereits davor
die Gefängniswände bedingt verlassen.52
Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass die Verbüßungsdauer hinter
schwedischen Gardinen iZm einer Verurteilung zur lebenslangen Freiheitsstrafe in Ö im
Durchschnitt 19,2 Jahre beträgt und in einigen Fällen die lebenslange Freiheitstrafe
tatsächlich ein Leben lang andauert, da die Personen im Strafvollzug versterben.
Sohin lässt sich hinsichtlich der Frage wie lange jemand der zu einer lebenslangen
Freiheitsstrafe      verurteilt wurde,        tatsächlich      in   Haft    verbringt, keine   eindeutige
verallgemeinernde Aussage tätigen, vielmehr bedingt es einer einzelfallspezifischen
Betrachtungsweise. Für eine allgemeine Aussage muss man sich sohin mit dem
Durchschnittwert von 19,2 Jahren begnügen.
Was sagt nun dieser Richtwert im Vergleich zu anderen Ländern aus? Mit dieser Frage
beschäftigt sich das nächste Kapitel.

         Austria, Rechtskräftige Verurteilungen nach Sanktionen 1975 bis 2019.
48Statistik
49BMJ, Verteilung des Insass*Innenstandes.
50BMJ, Verteilung der Strafgefangenen nach Strafdauer.
51BMVRDJ, Sicherheitsbericht 2018, 122.
52BMVRDJ, Sicherheitsbericht 2018, 122.

                                                                                                       10
V. Rechtsvergleich

Der nun folgende Rechtsvergleich soll einen Einblick zur Thematik der lebenslangen
Freiheitsstrafe außerhalb österreichischer Grenzen aufzeigen und die wesentlichen
Unterschiede           zur   lebenslangen         Freiheitstrafe       zwischen        den      verschiedenen
Strafrechtssystemen aufzeigen.
Der näheren Betrachtung werden die Länder Deutschland, Schweiz sowie USA
unterzogen.

A. Die lebenslange Freiheitstrafe in Deutschland

Gem. § 38 dStGB gibt es auch in D eine zeitliche und eine lebenslange Freiheitsstrafe: Mit
einer Verbüßungsdauer von zumindest 15 Jahren bestimmt §57a I 1 Nr. 1 StGB das
Mindestmaß einer lebenslangen Freiheitsstrafe, die aber bei besonders schwerer Schuld
noch länger andauern und nach der Rspr des BVerfG auch bis zum Tod des Verurteilten
vollzogen werden kann.53
Im Jahr 2018 befanden sich in Deutschland 1.794 Personen (drunter 105 Frauen) im
Strafvollzug      wegen       einer     rechtskräftigen       Verurteilung       zu     einer    lebenslangen
Freiheitsstrafe. Von den 1.794 Strafgefangenen endete im selben Jahr für 107 die
lebenslange Freiheitstrafe.54 76 der 107 Strafgefangenen wurden im Rahmen des
Rechtsinstituts der Aussetzung des Strafrestes gem. § 57a dStGB aus dem Vollzug
entlassen. Für weitere 14 endete die lebenslange FS des Todes wegen, wobei 3 davon
Suizid begingen. Die restlichen 17 wurden in ihr Heimatland ausgewiesen.55
Hinsichtlich der Verbüßungsdauer bis zum Zeitpunkt der Aussetzung des Strafrestes
verbrachten etwas weniger als die Hälfte – 34 Personen – 15 bis 20 Jahre in Haft, während
es für 17 von den 76 Häftlingen über 25 Jahre dauerte bis sie die Gefängniswände
verlassen durften. Für 13 Personen dauerte es bis zu 25 Jahre und 12 durften die Haft
spätestens nach 15 Jahren, was in dem Fall auch der gesetzlichen Mindestverbüßungszeit
entspricht, verlassen. Somit lässt für Deutschland eine durchschnittliche Verbüßungsdauer
einer lebenslangen Freiheitstrafe von 20,1 Jahren verzeichnen.56

53Gomille/Dessecker, Die Vollstreckung lebenslanger Freiheitsstrafen – Dauer und Gründe der Beendigung im Jahr
  2018; BM-Online, Elektronische Schriftenreihe der KrimZ, Bd. 20, 9f.; e.g. BVerfG, Beschluss v. 01.11. 2006 –
  2 BvR 578/02 u.a. (= BVerfGE 117, 71) BVerfG.
54Gomille/Dessecker, Die Vollstreckung lebenslanger Freiheitsstrafen 19.
55Gomille/Dessecker, Die Vollstreckung lebenslanger Freiheitsstrafen 26.
56Gomille/Dessecker, Die Vollstreckung lebenslanger Freiheitsstrafen 46 Abb. A5.

                                                                                                                  11
Rechtsvergleichend heißt das, dass in Deutschland ein zu lebenslang Verurteilter im
Schnitt um 0,9 Jahre länger in Haft verbringt, bis er vorzeitig bedingt aus der Haft entlassen
wird.

B. Die lebenslange Freiheitstrafe in Schweiz

Auch in der Schweiz unterteilt man die Freiheitstrafe gem. Art. 40 schwStGB in zeitliche
und lebenslange Freiheitstrafen.57 In Art. 86 Abs 5 schwStGB sieht das schweizerische
Strafrecht eine bedingte Entlassung aus der lebenslangen Freiheitstrafe vor, wobei sich
die Schweiz was die Mindestverbüßungszeit betrifft mit ebenfalls 15 Jahren dem
Mindestmaß der deutschen und österreichischen Regelung anschließt.

Eine Anfrage beim schweizerischen Bundesamt für Statistik hat ergeben, dass es seit 2006
insgesamt 36 Verurteilungen zu lebenslanger Freiheitsstrafe gab. Seit 1982 verbüßten
insgesamt 79 Personen die lebenslange Freiheitstrafe, davon befanden sich mit Ende des
Jahres noch 32 Personen im Strafvollzug. Zwischen 1982 und 2019 wurden 41 Personen
bedingt entlassen, eine weitere Person ist im Erhebungszeitraum in Haft verstorben. Im
Durschnitt dauert es 16,6 Jahre, bis ein in der Schweiz zu lebenslang Verurteilter aus dem
Strafvollzug bedingt entlassen wird.58

Im Vergleich zu Österreich und Deutschland hat Schweiz mit 16,6 Jahren sohin die
niedrigste durchschnittliche Verbüßungsdauer.

Dies soll sich demnächst ändern, denn anlässlich der Verurteilung des 4-fach Mörders in
der Causa Rupperswil wird im Parlament diskutiert, ob in besonders schweren Fällen
einerseits eine frühe bedingte Entlassung ausgeschlossen werden kann und zum anderen
wird eine wesentliche Erhöhung der derzeit gesetzlichen Mindestverbüßungszeit gefordert.
So sollen bspw. die Gerichte bestimmen dürfen, dass erst nach 25 od. 30 Jahren erstmals
eine Gefährlichkeitsprognose vorgenommen werden darf. In dem vom Bundesrat
beauftragten Bericht soll auch geprüft werden, ob in Extremfällen jegliche bedingte
Entlassung ausgeschlossen werden kann. IdS wäre ein Vollzug der lebenslangen
Freiheitsstrafe tatsächlich zwingend bis zum Tod des Verurteilten möglich.59

57Anm.: schw. Formulierung: „lebenslänglich“.
58Bundesamt    für Statistik Schweiz, Abt. Kriminalität u. Strafrecht, schriftl. Auskunft v. 17.09.2020.
59Schweizer Parlament, Amtliches Bulletin, 18.3531 Postulat Rickli Natalie.Reform der "lebenslangen"

  Freiheitsstrafefür besonders schwere Straftaten; siehe auch Aargauer Zeitung, Lebenslänglich endet im
  Durchschnitt nach 18 Jahren – das soll sich jetzt ändern v. 15.09.2018.
                                                                                                           12
C. Die lebenslange Freiheitstrafe in USA

Wie in vielen Gebieten ist die USA auch was das Strafrechtssystem betrifft ein Fall für sich
und nahezu nicht vergleichbar mit den europäischen Strafrechtsystemen.

In den Vereinigten Staaten dauert die lebenslange Freiheitsstrafe auf Bundesebene
generell bis zum Tod des Verurteilten an. Die sog. „Life-without-parole-Strafe“, sieht keine
Möglichkeit einer vorzeitigen Haftentlassung vor. In den 31 Staaten, in denen die
Todesstrafe noch praktiziert wird, stellt die Life-without-parole-Strafe die Alternativstrafe
zur Todesstrafe dar. Wenn man nun vermeint, dass die lebenslange Freiheitsstrafe ohne
Möglichkeit auf vorzeitige Entlassung in den Staaten mit Todesstrafe zur Verminderung
von Todesurteilen geführt hat, so ist dies zu verneinen. Tatsächlich ist es so, dass die
„einfache“ lebenslange Freiheitsstrafe in einigen Staaten, wie bspw. in Louisiana od.
Pennsylvania, von der Life-without-parole-Strafe verdrängt wurde. Zurzeit verbüßen ca. 3%
aller Häftlinge in den USA die lebenslange FS in dieser Variante.60

Die lebenslange Freiheitsstrafe ohne Möglichkeit auf Bewährung gerät auch deshalb scharf
unter Kritik, weil sie sogar an Minderjährigen vollzogen wird. Im Fall Miller vs. Alabama hat
der Oberste Gerichtshof im Jahr 2012 zwar entschieden, dass die automatische
Verhängung der sog. „Juvenile-life-without-parole“, ohne vorhergehende Prüfung
mildernder Umstände verfassungswidrig ist, jedoch ist die Verurteilung zu einer
lebenslangen Haftstrafe ohne Möglichkeit auf Bewährung bei Mord 1. Grades auch
weiterhin erlaubt, wenn das Gericht bei der Einvernahme des minderjährigen Straftäters
feststellt, dass die Person dauerhaft einsichtslos und nicht mehr rehabilitierbar ist..61
Möglich ist das nur deshalb, weil Amerika neben Somalia eines der Staaten ist, die als
Einzige die Konvention für die Rechte von Kindern nicht in ihr Land ratifiziert haben.62
In derlei Fällen kommt man nur lebend aus dem Gefängnis, wenn der Präsident von seinem
ausschließlichen Begnadigungsprivileg nach Art. II Abs 2 der Verfassung Gebrauch macht,
wobei grundsätzlich entweder eine Strafverkürzung („commutation“) ausgesprochen oder
die Straftat mittels „pardon“, gänzlich vergeben wird. Eine Begnadigung kann der Präsident
nicht nur nach einem Prozess, sondern auch bereits davor oder währenddessen
aussprechen.63

60Bommer,   ZStrR 2/2018, 117 (139 ff) sowie Focus Online, Lebenslänglich USA kennt keine Gnade.
61Supreme   Court of the United States, Miller vs. Alabama, No. 10-9646 v. 25.06.2012 sowie Juvenile Law Center,
  Issues Juvenile life without parole.
62Human Rights Watch, USA: Tausende Jugendliche lebenslänglich in Haft v. 11.10.2005.
63Die Zeit Online, Das Begnadigungsrecht – das Privileg des Präsidenten v. 18.01.2017.

                                                                                                                   13
Die amerikanische Verurteilungspraxis zeigt weiters, dass es üblich ist, über eine Person
wegen mehrfacher Begehung derselben Tat, welche im Rahmen eines Prozesses
abgehandelt wird, mehrfach die lebenslange Freiheitstrafe auszusprechen. So geschah
dies bspw. im Fall eines Amerikaners, der sich insgesamt 40 Mal an 3 Minderjährige sexuell
vergangen hat. Für jeden dieser nachgewiesenen Vergehen wurde er jeweils zu einem Mal
lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht verurteilte ihn sohin zu insgesamt 4.060
Jahren Haft. Einen Bewährungsantrag dürfte der Mann erst im Jahr 3209 stellen.64
Wie unerbittlich das angloamerikanische Strafrechtsystem ist, zeigt auch der Fall eines
wegen Ladendiebstahls verurteilten Wiederholungstäters. Weil er zum erneuten Male im
Supermarkt beim Stehlen erwischt wurde – dieses Mal waren es Schokoriegel im Wert von
ca. € 30,-- - drohte dem Täter im Prozess ein Strafmaß von 20 Jahren bis lebenslang.
Diese „Three-Strikes-Law“ Regelung, die noch in einigen Staaten Amerikas Anwendung
findet, sieht es u.a. vor, dass Straftäter, die zum dritten Mal straffällig werden, automatisch
mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt werden können.65
Diese Strafrechtspraxis ist mit Ö, D und CH natürlich nicht vergleichbar, sie zeigt aber auf,
mit welcher unglaublichen Härte das amerikanische Strafrechtsystem vorgeht.

VI.     Was sind die Gründe für eine lebenslange Freiheitsstrafe?

Wie rechtfertigt nun der Staat diesen schwerwiegenden Eingriff in das Leben eines
Menschen, um ihn zu einer (lebenslangen) Freiheitsstrafe zu verurteilen?
Den Zweck des Strafvollzugs hat der Gesetzgeber in § 20 StVG determiniert, wo auch
schon die Überschrift der Bestimmung so lautet. Abs 1 nimmt Bezug auf den Sinn und
Zweck des Strafvollzugs und in Abs 2 geht es um die Mittel mit welchem die Ziele realisiert
werden sollen, sowie um die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in den
Vollzugsanstalten.66
Hier geht es zum einen um die bekannten absoluten und relativen Straftheorien.

A. Absolute Straftheorie

Die absolute Straftheorie entspricht dem Vergeltungsgedanken, die Strafe wird nämlich
schlichtweg als Vergeltung oder Sühne begriffen. Man verzichtet auf eine rationale
Begründung.67

64 Spiegel Online, US-Amerikaner zu 4060 Jahren Haft verurteilt v. 03.07.2008.
65 Süddeutsche Zeitung, 20 Jahre Haft für geklaute Schokoriegel? v. 06.04.2016 sowie
   The United States of Justice Archives, 1032. Sentencing Enhacement „Three-Strikes-Law“.
66 Pilgram/Stangl, Vom Wesen u. v. Zweck des Strafvollzugs–Kritischer Kommentar zu § 20 StVG, ÖJZ 1995, 933.
67 Kienapfel/Höpfel/Kert, AT15 (2016), Z 2 Rz 5.

                                                                                                               14
Nach Kant’s Vorstellung solle eine Strafe „nicht aus dem Grund verhängt werden, weil sie
verschuldet sei, sondern sie müsse verhängt werden, weil der Täter verbrochen habe – um
der Gerechtigkeit willen.“68

B. Relative Straftheorie – Spezialprävention & Generalprävention

Bei der relativen Straftheorie hingegen, steht die Verbrechensverhütung im Vordergrund.69
Hier widmet man sich der Rückfallverhütung, indem man auf den Einzelnen einwirkt, sog.
Spezialprävention, weiters durch die sog. Generalprävention mittels Normstabilisierung in
der Allgemeinheit.70
Bei der Spezialprävention wirkt man so auf den Einzelnen ein, indem man sich auf die
individuelle Gefährlichkeit des jeweiligen Delinquenten orientiert. Der Täter soll mit der
individuell angedrohten und verhängten Strafe vor weiteren zukünftigen strafbaren
Handlungen abgehalten werden und dahingehend erzogen werden, dass er ein
rechtstreues Verhalten entwickelt.71

ISv Johann Anselm von Feuerbach, dem Entwickler der Generalprävention des
psychologischen Zwangs, soll die Strafe ein Übel sein, welches das Unlustgefühl übertrifft,
das aus der Nichtbefriedigung der Neigung zur Straftat resultiert, und sohin eine
abschreckende Wirkung auf potenzielle Täter haben soll.72 Nach hA wird zwischen
negativer      und     positiver    Generalprävention          unterschieden.73         Bei     der   negativen
Generalprävention geht es um den Abschreckungseffekt gegenüber der Allgemeinheit aus
Furcht vor der Strafe74, wobei hier jedoch die Gefahr gegeben ist den Bestraften dadurch
zu instrumentalisieren75, weil man quasi mit dem Finger auf den bestraften Täter zeigt. Dies
gilt es, allein aus menschenrechtlicher Sicht, zu vermeiden. indem man versucht die Strafe
auf eine andere Weise zu legitimieren und wird daher der positiven Generalprävention die
größere Bedeutung zugeschrieben.76 Vordergründig ist hier der Gedanke die Bevölkerung
durch langfristige Bewusstseinsbildung ihre rechtstreue Gesinnung zu bekräftigen und vor
allem das Vertrauen in die Strafjustiz auf Durchsetzung des Rechts zu stärken77

68Ebner in Höpfel/Ratz, WK2 StGB Vor §§ 32–36, Rz 6/1 (Stand 1.6.2018, rdb.at).
69Ebner in WK2 StGB Vor §§ 32–36, Rz 8.
70Kienapfel/Höpfel/Kert, AT15 (2016), Z 2 Rz 8.
71Kienapfel/Höpfel/Kert, AT15 (2016), Z 2 Rz 9.
72Ebner in WK2 StGB Vor §§ 32–36, Rz 12.
73Kienapfel/Höpfel/Kert, AT15 (2016), Z 2 Rz 11
74Kienapfel/Höpfel/Kert, AT15 (2016), Z 2 Rz 11
75Ebner in WK2 StGB Vor §§ 32–36, Rz 12.
76Kienapfel/Höpfel/Kert, AT15 (2016), Z 2 Rz 11 sowie Ebner, in WK2 StGB Vor §§ 32–36, Rz 13.
77Kienapfel/Höpfel/Kert, AT15 (2016), Z 2 Rz 11 sowie Ebner in WK2 StGB Vor §§ 32–36, Rz 13.

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Dafür reicht schon die bloße Existenz eines entsprechenden Strafmaßes, wie bspw. die
lebenslange Strafandrohung beim Mordtatbestand.78 Allein zu wissen, dass wenn jemand
jemanden tötet, derjenige zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt werden kann, soll
nach Roxin zu einem Lern-, Vertrauens- sowie Befriedigungseffekt der Gesellschaft
führen.79Generell soll die auferlegte Strafe eine Tadels- sowie eine Übelswirkung mit den
bestimmten Rechtseinbußen, sei es in Form von einer Geld- oder Freiheitsstrafe, zum
Zweck haben.80

C. Das Schuldprinzip

Wenn es um das „Ob“ der Strafbarkeit geht, kommt dem auf einfachgesetzlicher Ebene in
§ 4 StGB normierten Schuldprinzip, in Hinblick auf Verhältnis Individuum zum Staat und
der Befugnis des Staates strafen zu dürfen, signifikante Bedeutung zu. Zum einen befugt
der Schuldgrundsatz den Staat zum schwerwiegendsten aller Eingriffe überhaupt, nämlich
in die persönliche Freiheit eines Menschen eingreifen und schmälern zu dürfen, gleichzeitig
wird mit dem Schuldprinzip dieses Recht aber auch begrenzt. Aufgrund dieser immensen
Wichtigkeit wäre es nur angemessen dem Schuldgrundsatz einen verfassungsrechtlichen
Rahmen zu bieten. Ein verfassungsrechtlicher Schutz ergibt sich aber, wie auch schon bei
der Menschenwürde, mittelbar durch den Gleichheitssatz gem. Art. 7 Abs 1 B-VG, der den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz enthält, der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs 2 EMRK,
die iSv „nulla poena sine culpa“, welche die Strafbegründungsschuld prozessual absichert
sowie dem Legalitätsprinzip nach Art 7 Abs 1 EMRK, wonach eine Handlung od.
Unterlassung nur gerichtlich verurteilt werden kann, wenn diese zum Tatzeitpunkt auch
strafbar war. Zu guter Letzt ergibt sich der verfassungsmäßige Schutz natürlich auch durch
Art 3 EMRK, der Achtung der Menschenwürde beim Verhängen und Vollziehen von Strafen
und eine unmenschliche od. erniedrigende Strafe verbietet.81
Nun konnten zwar die Gründe, die u.a. eine lebenslange Freiheitsstrafe begründen sowie
die Legitimation auf Durchführung eines Strafverfahrens plausibel erklärt werden, doch wie
rechtfertigt dies der Staat in Hinblick darauf, dass er mit dem Ausspruch einer Strafe und
des Strafmaßes, insbesondere bei Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe,
direkt in verschiedene Grundrechte, sohin in verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte
eines Menschen, eingreift und mit dem Akt schließlich auch seine Menschenwürde berührt
wird?

78Ebner in WK2 StGB Vor §§ 32–36, Rz 13.
79Ebner in WK2 StGB Vor §§ 32–36, Rz 14.
80Kienapfel/Höpfel/Kert, AT15 (2016), Z 2 Rz 15.
81Moos in SbgK-StGB zu § 4 StGB, RZ 12 ff.

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VII.    Der gerechtfertigte Grundrechtseingriff

A. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz - Allgemein

In verfassungsrechtlicher Sicht bedient man sich hier des Verhältnismäßigkeits-
grundsatzes, welcher es nach entsprechender Abwägung erlaubt in den Schutzbereich des
jeweiligen      Grundrechtes          einzugreifen.        Das      betreffende   verfassungsgesetzlich
gewährleistete Recht muss jedoch unter materiellem Gesetzesvorbehalt stehen. Dies ist
bei den meisten Grundrechten zu bejahen. Materieller Gesetzesvorbehalt heißt, dass der
Eingriff durch den Gesetzgeber zwar erlaubt ist, er sich bei seinen Regelungen inhaltlich
aber nur im Rahmen der verfassungsgesetzlichen Vorgaben bewegen darf.82 Der
intendierte Grundrechtseingriff wird einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen, bei der
die Verhältnismäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme festgestellt werden soll.

Der Staat muss also bei einem Grundrechtseingriff prüfen, ob der Zweck des Eingriffes im
öffentlichen Interesse liegt. Dabei müssen die bestimmten Interessen der Gesellschaft
gegenüber desjenigen, der vom Eingriff unmittelbar betroffen ist, schwerer wiegen.
Dieses Erfordernis verlangt auch die EMRK, die es unumgänglich ansieht, dass sich der
Eingriff als eine Notwendigkeit zum Schutze einer demokratischen Gesellschaft erweisen
muss, um einen Eingriff in die in der EMRK verbürgten Schutzgüter rechtfertigen zu
können, so bspw. in Art 8 Abs 2 EMRK wo es um das Schutzgut des Lebens geht.83

Auch in der GRC ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz fest verankert, der in Art 52. Abs 1
zweiter Satz GRC explizit die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verlangt
und Einschränkungen nur vorgenommen werden dürfen, soweit sie erforderlich sind und
den Zielen des Gemeinwohls dienen oder den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer
tatsächlich gewahrt wird.84

Das eingesetzte Mittel / Maßnahme muss weiters geeignet, iSd Erforderlichkeit notwendig
und vor allem muss es adäquat sein. Adäquanz meint die Ziel-Mittel-Relation. Man stellt
sich die Frage, ob der Eingriff in Relation zum öffentlichen Interesse zur Erreichung des
Zieles angemessen ist oder das Ziel auch mit einem gelinderen, milderen Mittel erreicht
werden könnte.85

82Binder/Trauner, Öffentliches Recht Grundlagen4 (2016), Rz 509.
83Wiederin in Fuchs/Ratz, WK StPO § 5, Rz 19 (Stand 1.10.2013, rdb.at).
84Wiederin in WK StPO § 5, Rz 19.
85Binder/Trauner, Öffentliches Recht Grundlagen4 (2016), Rz 513 u. 515.

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B. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Strafverfahren

Die Strafprozessordnung hat für das Strafverfahren den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in
§ 5 StPO für den Strafprozess, also für das „Ob der Strafbarkeit“, transferiert.
Mit dieser Bestimmung hat der Gesetzgeber konkretes Verfassungsrecht, in das für das
Strafprozessrecht anwendungsfähige Formeln gebracht und so dafür Sorge getragen, dass
das Legalitätsprinzip gem. Art 18 B-VG und die Grundrechte im Strafprozessrecht gewahrt
bleiben.86 Der Anwendungsbereich des § 5 StPO erstreckt sich allerdings lediglich auf das
Ermittlungs- sowie Haupt- und Rechtsmittelverfahren.87

C. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Sanktionenrecht im Lichte des
   § 32 ff StGB

Wenn es um die Strafzumessung, also der Verhängung von Strafen und Maßnahmen geht,
kommt § 5 StPO nicht zum Zug. Zwar gilt es auch bei der Verhängung von Strafen das
Gesetzmäßigkeits- und Verhältnismäßigkeitsgebot zu befolgen, jedoch geht man hier nach
den Regeln der §§ 32 ff iVm § 1 StGB vor.88
Der Gesetzgeber manifestiert mit § 32 StGB die Grundsätze wie bei der Sanktionsfindung
vorzugehen ist. ISd. „Anleitung“ ist gem. Abs 1 leg cit von der Schuld als Grundlage
auszugehen, sodann das Doppelverwertungsverbot zu beachten, gefolgt von der
Vornahme einer Abwägung möglicher Erschwerungs- und Milderungsgründe. Im Zuge
dieses Schritts ist auf spezialpräventive Aspekte, sohin die Auswirkung der Strafe und
Folgen der Tat für den Täter sowie täterpersonale Faktoren, Bedacht zu nehmen.89
Versinnbildlicht dargestellt geht es also um die Erfüllung dreier Strafziele, die sich in einer
Art magischem Dreieck der Strafbemessung verhalten, eben dem Ausgleich der
begangenen Tat, die Strafe nach den konkreten Bedürfnissen des Täters auszurichten und
die Umsetzung generalpräventiver Aspekte. Um einen richtigen und angemessenen
Bestrafungsvorgang zu gewährleisten ist es unerlässlich, dass der beurteilende Richter für
eine Balance zwischen diesen drei Bezugspunkten sorgt und ein geordnetes Verhältnis
innerhalb der Trias schafft.90
Maßgebliches Augenmerk liegt auf die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips und des
Übermaßverbots, gerade auch in Hinblick auf die konkreten Abwägungen zu einer mit
lebenslangen Haft bedrohten Straftat.

86Wiederi  in WK StPO § 5, Rz 12.
87Wiederin   in WK StPO § 5, Rz 48.
88Wiederin in WK StPO § 5, Rz 49 sowie Jesionek/Birklbauer, Strafrecht AT II8 (2018), Rz 5/2.
89Ebner in WK2 StGB Vor §§ 32–36, Rz 28.
90Zipf, Die Bedeutung der Grundlageformel des § 32 Abs 1 StGB in ÖJZ 1979, 197.

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