Die wirtschaftspolitische Strategie der US-Regierung
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Wirtschaftspolitik Die wirtschaftspolitische Strategie der US-Regierung Prof. Dr. Andreas Falke Lehrstuhl für Auslandswissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Barack Obama ist während einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise zum amerikanischen Präsidenten gewählt wor- den. Sein Regierungsprogramm sieht ehrgeizige sozial- und wirtschaftspolitische Reformen vor. Werden diese Vorhaben mit der Krisenbewältigung in Einklang zu bringen sein? Barack Obamas wirtschaftspolitisches Denken ist sorge. Daraus wird eine Regulierungsstrategie, et- vom intellektuellen Milieu der University of Chica- wa bei Finanzprodukten, abgeleitet, die auf Trans- go geprägt, wo er zehn Jahre als Lehrbeauftragter parenz aufbaut und staatliche Ziele durch Offenle- für Verfassungsrecht an der juristischen Fakultät gung durchsetzt. Einiges findet sich in den Wahl- unterrichtete. Dort ist der Dialog zwischen Rechts- kampfprogrammen von Obama wieder, wie der Vor- und Wirtschaftswissenschaften besonders intensiv. schlag einer Charta für Kreditkartentransaktionen Allerdings ist Obama nicht der „Chicago School“ (Credit Card Bill of Rights) – eine Strategie, die an (Milton Friedman und Gary Becker) zuzurechnen. einen libertären Paternalismus erinnert. Sie struk- Vielmehr sucht er pragmatisch einen Weg zwi- turiert Entscheidungssituationen so, dass sich Wirt- schen der Freiheit des Marktes sowie staatlichen schaftssubjekte in die gewünschte Richtung be- Interventionen und umfassenden Regierungspro- wegen, ohne dass ihnen andere Optionen mit grammen. Einer seiner engsten Kontakte und Zwang genommen werden. Diese Denkrichtung Ideengeber in Chicago war der Wirtschaftswissen- spiegelt sich in Obamas Vorschlägen zur Ausweitung schaftler Austan Goolsbee, der ihn auch im Wahl- einer Krankenversicherung wider, in denen er auf kampf beriet. eine allgemeine Versicherungspflicht verzichtet. Diese Schule sucht einen Mittelweg zwischen den Obamas wirtschaftspolitisches Denken Selbstheilungskräften des Marktes und keynesiani- schen Eingriffen. Sie dient einem Politiker wie Aus der Chicagoer Zeit lässt sich schließen, dass Obama, der die Gräben zwischen ungehindertem Obama eher skeptisch gegenüber keynesianischen Marktliberalismus und staatlichen Eingriffen über- Interventionen und einer Überregulierung der winden will, als pragmatischer Kompass. Die An- Wirtschaft ist und dass er auf Transparenz von Re- sätze erinnern an den „Dritten Weg“, wie er von gulierungsmaßnahmen setzt. Die Verhaltensöko- Tony Blair und Bill Clinton in den 1990er Jahren nomie (behavioral economics), die versucht, Ein- propagiert wurde. Allerdings hat diese Schule we- sichten der Psychologie mit wirtschaftswissen- nig darüber auszusagen, wie das Regulierungsver- schaftlicher Analyse zu verbinden, hat ihn stärker sagen im amerikanischen Finanzsektor und bei beeinflusst als die klassische Makroökonomie. Dies der Hypothekenvergabe hätte vermieden werden hat er mit seinem ehemaligen juristischen Kolle- können. Die Anwendbarkeit dieser Denkschule in gen Cass Sunstein gemein, der heute an der Har- der gegenwärtigen Situation ist also begrenzt. vard University lehrt und zusammen mit dem füh- renden Verhaltensökonomen Richard Thaler ein Interessanter sind vielmehr einige Überlegungen Buch veröffentlicht hat, das verhaltensökonomi- des neuen Stabschefs im Weißen Haus und ehema- sche Konzepte auf wirtschaftspolitische Entschei- ligen Abgeordneten Rahm Emanuel sowie die Ideen dungen anwendet.1 einiger den Demokraten nahestehenden Kommen- tatoren, wie Robert Kuttner und John R. Talbott.2 Sie Die Konzepte betreffen überwiegend Fragen der versuchen, eine neue „progressive“ wirtschaftspoli- mikroökonomischen Anreizsysteme, zum Beispiel bei der Setzung von Anreizen für private Altersvor- 2 Vgl. Rahm Emanuel/Bruce Reed, Big Ideas for Change in America, 2. Auflage, New York 2008; John R. Talbott, Obamanomics, New York 1 Richard Thaler/Cass Sunstein, Nudge: Improving Decisions About 2008; Robert Kuttner, Obama's Challenge. America's Economic Cri- Health, Wealth and Happiness, New Haven 2008. sis and the Power of a Transformative Presidency, New York 2008. 54 Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 119 (1/2009)
USA tische Agenda zu formulieren. Häufig handelt es zent für möglich gehalten. Der Niedergang auf sich dabei allerdings um ein Sammelsurium von dem Immobilienmarkt setzt sich unvermindert fort; Vorschlägen. Emanuel plädiert zum Beispiel ledig- die Hypothekenausfallraten stiegen im Subprime- lich für eine universelle Krankenversicherung für Segment auf 20 Prozent, und die Wohnungsbauin- Kinder und Jugendliche. Der einflussreiche Wirt- vestitionen sanken auf ihr niedrigstes Niveau seit 13 schaftskommentator Kuttner sieht Obama dagegen Jahren. Die Finanzkrise hat inzwischen auf die Real- zwischen vorsichtigem Zentrismus und dem ambiti- wirtschaft übergegriffen. Da die amerikanische Zent- ösen Versuch, die Wirtschaftskrise zu einer funda- ralbank in mehreren Schritten bis Dezember den mentalen Änderung des Verhältnisses von Staat und Zins auf eine Bandbreite von 0 bis 0,25 Prozent ge- Wirtschaft in den Bereichen Gesundheit, Bildung, senkt hatte, hatte die Geldpolitik damit praktisch Infrastruktur, Energie und Finanzmarkt zu nutzen. ihr Pulver verschossen.3 Kuttner ist insofern die Speerspitze der programma- tischen Diskussion, als er schon im Frühjahr 2008 Somit war Obama spätestens seit seinem Amtsan- eine Konjunkturspritze von 600 Milliarden Dollar tritt mit einer keynesianischen Situation konfron- anregte. All diesen Analysen ist der Wunsch ge- tiert, in der nur noch die Fiskalpolitik als Instru- mein, dass Obama die seit den 1980er Jahren zu be- ment zur Verfügung stand. Am 15. Januar dieses obachtende Ungleichheit der Einkommens- und Jahres legten die verantwortlichen Ausschüsse im Vermögensverteilung revidieren möge. Repräsentantenhaus ein Konjunkturprogramm in Höhe von 825 Milliarden Dollar vor (The Ameri- can Recovery and Reinvestment Plan). Das Pro- Die richtige Mischung von Maßnahmen gramm sieht Ausgaben in Höhe von 518,7 Milliar- den Dollar und Steuersenkungen in Höhe von 275 Nach seiner Wahl im November 2008 war Obama Milliarden Dollar vor. Es wurde von der demokra- mit den Auswirkungen der Wohnungs- und Fi- tischen Kongressführung in enger Abstimmung nanzmarktkrise auf die Realwirtschaft konfron- mit dem engsten Wirtschaftsberater Obamas, dem tiert. Die Finanzkrise hatte sich nach dem Kollaps früheren Finanzminister Larry Summers, entwi- der Investmentbank Lehman Brothers verschärft. ckelt. Summers, Vorsitzender des National Econo- Der Verfall von hypothekengesicherten Wertpa- mic Councils, dem wichtigsten Beratergremium pieren und verwandten Finanzinstrumenten führ- im Weißen Haus, gehört zum Führungsstab des te zu hohen Verlusten im Finanzsektor, mit Liqui- Präsidenten, zusammen mit Jason Furman, Obamas ditätsengpässen als Folge. Das „De-leveraging“ im Wirtschaftsberater im Wahlkampf, dem neuen Fi- Bankensektor, also die Rückführung des Verhält- nanzminister Timothy Geithner, zuletzt Präsident nisses vom Geschäftsvolumen zum Eigenkapital der New Yorker Mitgliedsbank der Bundesbank, durch Erhöhung der Eigenkapitalquote, setzt sich und Christina Romer, der Vorsitzenden des wirt- unvermindert fort. Risikoaufschläge bei Bankan- schaftspolitischen Beratungsgremium des Präsi- leihen und das Austrocknen des Interbanken- denten (Council of Economic Advisers, CEA). Sie marktes haben die Refinanzierungskosten der arbeiteten die Grundlagen des Programms aus. Banken trotz der deutlichen Zinssenkungen durch die Zentralbank erhöht. Da der Finanzsektor auf Besonders Summers setzte auf eine Mischung von den geldpolitischen Stimulus nicht mehr reagiert, kurzfristig wirkenden Ausgabenprogrammen und führt das Schrumpfen des Kreditvolumens zu ei- längerfristigen investiven Maßnahmen, die die nem Rückgang der aggregierten Nachfrage. Das Aussichten auf Wachstum verbessern sollen. Ent- im September 2008 aufgelegte Troubled Asset Res- gegen anfänglicher Absichten nimmt das Pro- cue Program (TARP) hat bisher nur begrenzte gramm Steuersenkungen als wesentlichen Be- Wirkung auf den Finanzsektor gezeigt. standteil auf, eine Maßnahme, der die Demokra- ten im Kongress anfangs skeptisch gegenüberstan- Nach der Berechnungsmethode des Forschungsins- den, die aber eine Zustimmung auf republikani- tituts National Bureau of Economic Research befin- scher Seite erleichtern soll. Einigkeit besteht, dass det sich die amerikanische Wirtschaft schon seit De- der Staat bei zurückgehendem Konsum die Nach- zember 2007 in einer Rezession. Mindestens bis zur frage stützen soll. Über die richtige Mischung zwi- Mitte dieses Jahres wird mit einem weiteren Rück- schen Steuersenkungen und Staatsausgaben sowie gang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gerechnet; über die Art der staatlichen Ausgabenprogramme der Rückgang wird für 2009 auf 1,6 bis 2 Prozent ge- schätzt. Die Arbeitslosenquote nahm von 4,8 Pro- 3 Siehe Jane J. Gravelle/Thomas L. Hungerford/Marc Labonte, Eco- zent im Februar 2008 auf 8,1 Prozent im Februar nomic Stimulus: Issues and Policies, Congressional Research Ser- 2009 zu; bis Ende 2009 wird eine Rate von 10 Pro- vice, 23. Januar 2009, Seiten 2–4. Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 119 (1/2009) 55
Wirtschaftspolitik und ihrer Wirkungsgeschwindigkeit gehen die Transferzahlungen an Arbeitslose ist dabei in ihrer Meinungen – auch bei den der Obama-Regierung Wirksamkeit unumstritten. Über andere Maßnah- nahe stehenden Ökonomen und einigen demo- men, wie die Bildungs- und Technologieförderung, kratischen Kongressabgeordneten – auseinander. wird dagegen mehr diskutiert. Der Multiplikatoref- Die Mehrheitsmeinung bei den Demokraten hält fekt wird seitens des CEA mit 1,5 angegeben, aller- die Verbindung von kurzfristig wirkenden, anti- dings weichen Schätzungen privater Beratungsor- zyklischen Ausgabenprogrammen mit langfristi- ganisationen und der Wissenschaft davon ab. gen Investitionen in Humankapital und Infra- struktur für richtig. Der Umfang der Steuerver- Angesichts der Unsicherheit über den Verlauf der günstigungen ist ebenfalls umstritten, wobei dies Krise wird das fiskalische Ankurbelungsprogramm auch eine politische Frage ist: Die Republikaner zumindest als überlegenswert angesehen.5 Die de- im Kongress setzen ganz auf Steuererleichterung mokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus ver- zur Ankurbelung der Konjunktur. Sie stützen sich abschiedete Ende Januar das Programm mit einem dabei auf Wissenschaftler wie den angesehenen Volumen von 819 Milliarden Dollar (über zwei Jah- Harvard-Ökonomen Gregroy Mankiw, der unter re) gegen die Stimmen der Republikaner. Im Senat, George W. Bush den CEA leitete. wo die Republikaner eine Sperrminorität besitzen, gelang es ihnen, Kürzungen am Volumen durchzu- setzen und Programme mit verzögerter Auszah- Inhalte des Konjunkturprogramms lungswirkung sowie Zuweisungen an die Bundes- staaten im Schulbereich zu kürzen. Die Republika- Sowohl die Regierung als auch unabhängige Be- ner entdeckten Haushaltsdisziplin als neue Tugend. obachter sind sich einig, dass die Zuweisungen an Beide Häuser einigten sich schließlich auf ein Paket untere Gebietskörperschaften im Gesundheits- von 789 Milliarden Dollar, das am 18. Februar mit und Bildungsbereich einen Rückgang der öffent- der Unterzeichnung der Vorlage von Präsident lichen Beschäftigung verhindern werden. In den Obama in Kraft trat. Das Konjunkturprogramm wird meisten Bundesstaaten der USA besteht ein ver- abfedernde Wirkung haben, aber einen tieferen fassungsmäßiges Gebot zum Haushaltsausgleich, Wachstumseinbruch nicht verhindern können. das unweigerlich zu Entlassungen im Gesundheits- und Bildungsbereich sowie zu Leistungsbeschrän- Durch das Konjunktur- und das Bankenrettungs- kungen führen würde.4 Umstritten bleibt die Ge- programm wird sich die Staatsverschuldung dra- schwindigkeit, mit der die Maßnahmen wirken matisch erhöhen. Das Haushaltsdefizit stieg bereits werden. Das Haushaltsbüro des Kongresses (Con- im Jahr 2008 auf 455 Milliarden Dollar – im Ver- gressional Budget Office) nimmt an, dass einige gleich zu 162 Milliarden Dollar im Jahr 2007 – der Ausgabenprogramme erst sehr spät wirken oder 3,2 Prozent des BIP. Für 2009 rechnet das werden und berechnete die Wirkung des Pakets in Haushaltsbüro des Kongresses mit einem Defizit diesem Haushaltsjahr (Ende September 2009) auf von fast 1,2 Billionen Dollar oder 8,3 Prozent des lediglich 200 Milliarden Dollar. BIP. Da in diesen Berechnungen das Konjunktur- paket noch nicht eingeflossen war, rechnet man Die Regierung vertritt die These, dass man ein brei- mit einem Defizit von über 1,8 Billionen Dollar.6 tes Portfolio von Maßnahmen verfolgen muss, da Ob derartige Defizite auf Dauer tragbar sind, ist jede einzelne Maßnahme zunehmend geringere zweifelhaft. Gegenwärtig beläuft sich die Verschul- Grenzerträge abwirft. Auch ist die Entstehung des dung, die von Privaten gehalten wird, auf 40 Pro- Konjunkturprogramms einem pragmatischen, zent des BIP. Eine völlige Bereinigung der proble- schrittweisen Prozess zu verdanken, der sich am matischen Wertpapiere würde diesen Anteil auf 70 Machbaren orientiert. Große umweltfreundliche Prozent ansteigen lassen, womit man europäische Programme, wie der Ausbau des öffentlichen Nah- Werte erreichen würde. verkehrs, scheiden aus. Als Alternative bleiben Mo- dernisierungs- und Instandhaltungsprogramme Wahrscheinlich wäre das Niveau beherrschbar. Die traditioneller Infrastruktur. Gleichzeitig will die Re- sozialen Sicherungsprogramme, insbesondere die gierung Schwerpunkte im Sozial-, Bildungs-, und Umweltbereich setzen, die ihrem politischen An- spruch gerecht werden, ein neues Profil gegenüber 5 Eine gute Zusammenfassung der Diskussion um das Konjunktur- programm Obamas findet sich bei Krishna Guha, Bridges to Build. der Bush-Regierung zu bilden. Die Erhöhung der Reviving America's Economy, in: Financial Times vom 23. Januar 2009, Seite 7. 6 Vgl. Congressional Budget Office, The Budget and Economic Out- 4 Vgl. Robert Jay Dilger, States and Proposed Economic Recovery look: Fiscal Years 2009 to 2019, Washington 2009, Seite 15 Plans, Congressional Research Service, 16. Januar 2009, Seite 1. (http://www.cbo.gov). 56 Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 119 (1/2009)
USA Gesundheitsprogramme, bergen jedoch aus demo- zahler belasten. Für die in den Bilanzen der Banken graphischen Gründen erhebliche Sprengsätze. verbleibenden problematischen Vermögenswerte Hier rächt sich, dass die Fiskalpolitik der USA un- sieht die Regierung möglicherweise eine versiche- ter Bush in den Boom-Jahren nicht ausreichend rungsartige Garantie vor, wobei die Verluste ab ei- anti-zyklisch war. Aus diesen Gründen wird auch ei- nem bestimmten Wert von der Zentralbank getra- ne Reform des Gesundheitswesens unwahrschein- gen würden. Für viele Beobachter ist jedoch frag- lich. Eine Strukturreform, einschließlich eines um- lich, ob damit die Banken in die Lage versetzt wür- fassenden Anspruchs auf Gesundheitsleistungen, den, das Kreditgeschäft wieder aufzunehmen. Die würde die Einführung einer Mehrwertsteuer von Banken müssten hohe Erträge erwirtschaften, um bis zu zehn Prozent erforderlich machen.7 ihre Eigenkapitalposition wieder aufzubauen. Sie müssten praktisch gezwungen werden, Kredite zu attraktiven Konditionen anzubieten, denn aus Ei- Strategien gegen die Finanzkrise geninteresse würden sie eher dazu neigen, ihr Ei- genkapital zu steigern bzw. zu sichern. Im Grunde genommen ist die Lage seit dem Zu- sammenbruch von Lehman Brothers unverändert. Kritiker halten deshalb eine massive Eigenkapital- Die Obama-Regierung wird noch eine klare Strate- aufstockung bei gleichzeitiger Reduzierung der gie gegen die Krise des amerikanischen Finanzsek- Mindestreserveanforderungen der Banken für ef- tors vorlegen müssen. Experten wie der ehemalige fektiver, um den Wirtschaftskreislauf wieder in Chefökonom des Internationalen Währungsfonds Gang zu setzen. Das würde jedoch die Kapitaleig- (IWF) Simon Johnson erkennen die Notwendigkeit nerstruktur der Banken verwässern und den Staat eines fiskalischen Stimulus an, halten aber die Re- zum Mehrheitsaktionär vieler Banken machen. Dies Kapitalisierung des Bankensektors für prioritär, würde nicht nur die Aktionäre treffen, sondern um die amerikanische Wirtschaft aus der Krise zu auch die vielen Nutznießer von Pensionsfonds – ei- führen. Insofern sind für ihn die Ausgabenpro- ne politisch äußerst heikle Angelegenheit. Und gramme übergewichtet. schon die Inanspruchnahme der zweiten Tranche von 350 Milliarden Dollar erfordert die Zustim- Die Verabschiedung des Rettungspakets TARP im mung des Kongresses. Eine Re-Kapitalisierung der September 2008 und seine Umsetzung durch den Banken in Höhe von weit mehr als einer Billion damaligen Finanzminister Henry Paulson waren Dollar ist politisch schwer vorstellbar, schon weil mit Konflikten insbesondere zwischen Kongress Paulsons inkonsistenter Umgang mit der ersten und Regierung beladen. Paulson entschied sich zu- Tranche erhebliches Misstrauen hervorgerufen hat. erst für die Übernahme der problematischen Pa- piere der Banken und votierte nach kontroverser Die Obama-Regierung steht letztlich vor der Wahl politischer Diskussion schließlich für eine Re-Ka- zwischen der partiellen Verstaatlichung der Banken pitalisierung des Bankensektors. Mit 250 Milliar- und der Übernahme ihrer schädlichen Vermögens- den Dollar engagierte sich das Finanzministerium werte bei Beibehaltung von privater Kontrolle. Er- in Vorzugsaktien von Banken. Es folgten Ad-hoc- wartet wird jetzt jedoch eine konsistente, gut durch- Rettungsaktionen für einzelne Versicherer und dachte Strategie. Fraglich ist, wie eine amerikani- Banken sowie ein Rettungspaket von 17 Milliarden sche Regierung mit einem teilweise verstaatlichten Dollar für die Autoindustrie. Bankensektor umgehen würde. Verstaatlichung ist ideologisch verpönt, denn staatliche Stellen haben Die Obama-Regierung steht Anfang Februar vor der keine Erfahrung in der Leitung von Banken, und Aufgabe, eine Strategie für die Rettung des Banken- politische Einflussnahme über den Kongress und sektors und die Stabilisierung des Hypotheken- Lobbys sind zu befürchten. Für jede Fortschreibung marktes zu entwickeln. Angedacht ist die Schaffung des Rettungspakets ist jedoch auch eine Erleichte- einer Auffangbank (bad bank), die mit Hilfe des rung für von Zwangsvollstreckung bedrohte Eigen- TARP-Programms und der amerikanischen Zentral- heimbesitzer vonnöten. So sind an das Einkommen bank problematische Wertpapiere bis zu einer Bil- gekoppelte Obergrenzen für die Bedienung von Hy- lion Dollar aufkaufen könnte. Die Bewertung dieser pothekenschulden geplant sowie eine Reduzierung Wertpapiere bleibt jedoch problematisch. Auch ei- des Tilgungsanteils, wenn der beliehene Wert weit ne Versteigerung birgt Risiken und würde mögli- über dem aktuellen Marktwert der Immobilie liegt.8 cherweise die Zentralbank und letztlich die Steuer- 8 Vgl. Krishna Guha, A big plan to clean up US banking system, in: Financial Times vom 31. Januar 2009, Seite 2; George Soros, The 7 Vgl. Ezekiel J. Emanuel, Healthcare Guaranteed, New York 2008, right and wrong way to bail out the banks, in: Financial Times vom Seite 84. 23. Januar 2009, Seite 9. Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 119 (1/2009) 57
Wirtschaftspolitik Internationale Auswirkungen tere Handelsliberalisierung ausgesprochen. Obama versprach sogar, das Nordamerikanische Auch wenn die Ursprünge der Krise in den USA Freihandelsabkommen (NAFTA) neu zu verhan- liegen, handelt es sich um eine globale Wirt- deln sowie insbesondere Umwelt- und Sozialstan- schaftskrise. Hoffnungen auf eine europäische Ab- dards in Handelsabkommen einzuführen. Ameri- kopplung haben sich als illusorisch erwiesen. Es kanische Abgeordnete forderten auf dem Welt- zeichnet sich ab, dass ein Großteil der globalen wirtschaftsforum in Davos im Januar dieses Jahres Nachfrageexpansion durch das amerikanische die Berücksichtigung derartiger Standards in der Konjunkturpaket geschieht. Das werden die USA laufenden WTO-Runde, obwohl diese Themen auf Dauer nicht allein tragen können. Auch ande- seit dem WTO-Gipfel in Cancun von 2003 auf- re Länder werden sich mit Forderungen konfron- grund des Widerstands der Entwicklungsländer tiert sehen. Die EU-Konjunkturprogramme belau- längst zu den Akten gelegt sind. fen sich augenblicklich auf 0,8 Prozent des euro- päischen BIP – das deutsche auf 1,4 Prozent des Handelspolitik und weitere Liberalisierung haben BIP – und das amerikanische dagegen auf 2,9 Pro- für Obama geringe Priorität. Die beiden wichtigsten zent. Zu erwarten ist, dass die Obama-Regierung handelspolitischen Positionen in der Regierung, die Partner in Europa zur stärkeren Ankurbelung Handelsbeauftragter und Handelsminister, sind ihrer Konjunktur auffordern wird, vor allem wenn entweder noch nicht bestätigt oder nicht benannt. sich die USA schneller erholen und amerikanische Allerdings sind die engsten wirtschaftspolitischen Importe aus EU-Ländern zunehmen.9 Berater von Obama keine Protektionisten. Die Fra- ge ist, ob sich die Regierung aktiv gegen protektio- Simon Johnson hat dazu angemerkt, dass die Regie- nistische Bestrebungen zur Wehr setzen wird. Der rung sich mit derartigen Forderungen wahrschein- erste Test für Obama wird in der Entscheidung lie- lich die Zähne ausbeißen dürfte. Die USA seien in gen, wie er mit den restriktiven Bedingungen für Vorleistung getreten, sodass ein Anreiz zum Tritt- öffentliche Beschaffung in den Konjunkturpro- brettfahren bestehe. Die Frage nach Druckmitteln grammen umgehen will, die sich in den Gesetzent- der US-Regierung wird sich stellen, wenn sich de- würfen beider Häuser finden. So fordert der Senat, flationäre Entwicklungen in den USA einstellen dass bei Infrastrukturprojekten nur amerikanische sollten. Dann wird dort der Anreiz wachsen, durch Produkte (insbesondere Stahl) verwendet werden expansive Geldpolitik Inflationserwartungen zu können.10 Dies widerspräche dem WTO-Abkom- schüren und Druck auf den Dollar auszuüben. Dies men über öffentliche Beschaffung und könnte zu würde die Europäer zwingen, Gleiches zu tun oder einem ernsthaften Streitpunkt zwischen Euro- einen stärkeren Euro-Kurs und gedämpfte Export- päern (zusammen mit Mexikanern und Kana- chancen hinzunehmen. Viele amerikanische Beob- diern) und der Obama-Regierung werden. achter gehen davon aus, dass die Europäer auf die Exportmöglichkeiten setzen, die das amerikanische Der wirtschaftspolitische Erfolg Obamas wird sich Infrastrukturprogramm bietet. Sie sehen deshalb in daran bemessen, wie er die Wirtschafts- und Finanz- einer expansiven Geldpolitik die einzige Möglich- krise meistert. Langfristige Reformvorhaben in der keit, um die Europäer zu zwingen, ihre Konjunktur Gesundheits- und Bildungspolitik werden vorerst anzukurbeln und schwächere EU-Mitgliedstaaten zurückstehen oder können nur partiell im Kon- vor dem Kollaps zu bewahren. Zumindest mittelfris- junkturprogramm berücksichtigt werden. Auch im tig ist also damit zu rechnen, dass sich die transat- Klimaschutz dürften bis zur Kopenhagener Konfe- lantischen Wirtschaftsbeziehungen nicht so rei- renz im Dezember 2009 nicht die innenpolitischen bungslos gestalten, wie es die Verlautbarungen zum Entscheidungen gefallen sein, die die USA interna- Amtsantritt von Barack Obama erwarten lassen. tional handlungsfähig machen. Für die Regierung wird es vor allem darauf ankommen, Kurs zu halten und auch bei unvermeidlichen Rückschlägen Herr Gefahr des Protektionismus des Verfahrens zu bleiben. Obama hat ein Mandat für tiefer gehenden Wandel, und in der Krise In globalen Wirtschaftskrisen besteht immer die schaut die Bevölkerung auf vollziehende Führungs- Gefahr des Protektionismus. Sowohl Barack Obama kraft. Aber ohne Reibungen und Konflikte mit dem als auch Hillary Clinton haben sich im Wahlkampf Kongress und den Verbündeten wird diese Krise unter dem Druck der Gewerkschaften gegen wei- nicht bewältigt werden. 9 Vgl. Bruce Stokes, Europe: Go Ahead and Spend, Please, in: Na- 10 Vgl. Alan Beattie, Senate bill strengthens „Buy America“ message, tional Journal vom 31. Januar 2009, Seiten 54 f. in: Financial Times vom 2. Februar 2009, Seite 3. 58 Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 119 (1/2009)
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