Die wirtschaftspolitische Strategie der US-Regierung

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Wirtschaftspolitik

          Die wirtschaftspolitische Strategie der US-Regierung
          Prof. Dr. Andreas Falke
          Lehrstuhl für Auslandswissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

          Barack Obama ist während einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise zum amerikanischen Präsidenten gewählt wor-
          den. Sein Regierungsprogramm sieht ehrgeizige sozial- und wirtschaftspolitische Reformen vor. Werden diese Vorhaben
          mit der Krisenbewältigung in Einklang zu bringen sein?

          Barack Obamas wirtschaftspolitisches Denken ist                          sorge. Daraus wird eine Regulierungsstrategie, et-
          vom intellektuellen Milieu der University of Chica-                      wa bei Finanzprodukten, abgeleitet, die auf Trans-
          go geprägt, wo er zehn Jahre als Lehrbeauftragter                        parenz aufbaut und staatliche Ziele durch Offenle-
          für Verfassungsrecht an der juristischen Fakultät                        gung durchsetzt. Einiges findet sich in den Wahl-
          unterrichtete. Dort ist der Dialog zwischen Rechts-                      kampfprogrammen von Obama wieder, wie der Vor-
          und Wirtschaftswissenschaften besonders intensiv.                        schlag einer Charta für Kreditkartentransaktionen
          Allerdings ist Obama nicht der „Chicago School“                          (Credit Card Bill of Rights) – eine Strategie, die an
          (Milton Friedman und Gary Becker) zuzurechnen.                           einen libertären Paternalismus erinnert. Sie struk-
          Vielmehr sucht er pragmatisch einen Weg zwi-                             turiert Entscheidungssituationen so, dass sich Wirt-
          schen der Freiheit des Marktes sowie staatlichen                         schaftssubjekte in die gewünschte Richtung be-
          Interventionen und umfassenden Regierungspro-                            wegen, ohne dass ihnen andere Optionen mit
          grammen. Einer seiner engsten Kontakte und                               Zwang genommen werden. Diese Denkrichtung
          Ideengeber in Chicago war der Wirtschaftswissen-                         spiegelt sich in Obamas Vorschlägen zur Ausweitung
          schaftler Austan Goolsbee, der ihn auch im Wahl-                         einer Krankenversicherung wider, in denen er auf
          kampf beriet.                                                            eine allgemeine Versicherungspflicht verzichtet.

                                                                                   Diese Schule sucht einen Mittelweg zwischen den
          Obamas wirtschaftspolitisches Denken                                     Selbstheilungskräften des Marktes und keynesiani-
                                                                                   schen Eingriffen. Sie dient einem Politiker wie
          Aus der Chicagoer Zeit lässt sich schließen, dass                        Obama, der die Gräben zwischen ungehindertem
          Obama eher skeptisch gegenüber keynesianischen                           Marktliberalismus und staatlichen Eingriffen über-
          Interventionen und einer Überregulierung der                             winden will, als pragmatischer Kompass. Die An-
          Wirtschaft ist und dass er auf Transparenz von Re-                       sätze erinnern an den „Dritten Weg“, wie er von
          gulierungsmaßnahmen setzt. Die Verhaltensöko-                            Tony Blair und Bill Clinton in den 1990er Jahren
          nomie (behavioral economics), die versucht, Ein-                         propagiert wurde. Allerdings hat diese Schule we-
          sichten der Psychologie mit wirtschaftswissen-                           nig darüber auszusagen, wie das Regulierungsver-
          schaftlicher Analyse zu verbinden, hat ihn stärker                       sagen im amerikanischen Finanzsektor und bei
          beeinflusst als die klassische Makroökonomie. Dies                       der Hypothekenvergabe hätte vermieden werden
          hat er mit seinem ehemaligen juristischen Kolle-                         können. Die Anwendbarkeit dieser Denkschule in
          gen Cass Sunstein gemein, der heute an der Har-                          der gegenwärtigen Situation ist also begrenzt.
          vard University lehrt und zusammen mit dem füh-
          renden Verhaltensökonomen Richard Thaler ein                             Interessanter sind vielmehr einige Überlegungen
          Buch veröffentlicht hat, das verhaltensökonomi-                          des neuen Stabschefs im Weißen Haus und ehema-
          sche Konzepte auf wirtschaftspolitische Entschei-                        ligen Abgeordneten Rahm Emanuel sowie die Ideen
          dungen anwendet.1                                                        einiger den Demokraten nahestehenden Kommen-
                                                                                   tatoren, wie Robert Kuttner und John R. Talbott.2 Sie
          Die Konzepte betreffen überwiegend Fragen der                            versuchen, eine neue „progressive“ wirtschaftspoli-
          mikroökonomischen Anreizsysteme, zum Beispiel
          bei der Setzung von Anreizen für private Altersvor-
                                                                                   2 Vgl. Rahm Emanuel/Bruce Reed, Big Ideas for Change in America,
                                                                                   2. Auflage, New York 2008; John R. Talbott, Obamanomics, New York
          1 Richard Thaler/Cass Sunstein, Nudge: Improving Decisions About         2008; Robert Kuttner, Obama's Challenge. America's Economic Cri-
          Health, Wealth and Happiness, New Haven 2008.                            sis and the Power of a Transformative Presidency, New York 2008.

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USA

tische Agenda zu formulieren. Häufig handelt es                         zent für möglich gehalten. Der Niedergang auf
sich dabei allerdings um ein Sammelsurium von                           dem Immobilienmarkt setzt sich unvermindert fort;
Vorschlägen. Emanuel plädiert zum Beispiel ledig-                       die Hypothekenausfallraten stiegen im Subprime-
lich für eine universelle Krankenversicherung für                       Segment auf 20 Prozent, und die Wohnungsbauin-
Kinder und Jugendliche. Der einflussreiche Wirt-                        vestitionen sanken auf ihr niedrigstes Niveau seit 13
schaftskommentator Kuttner sieht Obama dagegen                          Jahren. Die Finanzkrise hat inzwischen auf die Real-
zwischen vorsichtigem Zentrismus und dem ambiti-                        wirtschaft übergegriffen. Da die amerikanische Zent-
ösen Versuch, die Wirtschaftskrise zu einer funda-                      ralbank in mehreren Schritten bis Dezember den
mentalen Änderung des Verhältnisses von Staat und                       Zins auf eine Bandbreite von 0 bis 0,25 Prozent ge-
Wirtschaft in den Bereichen Gesundheit, Bildung,                        senkt hatte, hatte die Geldpolitik damit praktisch
Infrastruktur, Energie und Finanzmarkt zu nutzen.                       ihr Pulver verschossen.3
Kuttner ist insofern die Speerspitze der programma-
tischen Diskussion, als er schon im Frühjahr 2008                       Somit war Obama spätestens seit seinem Amtsan-
eine Konjunkturspritze von 600 Milliarden Dollar                        tritt mit einer keynesianischen Situation konfron-
anregte. All diesen Analysen ist der Wunsch ge-                         tiert, in der nur noch die Fiskalpolitik als Instru-
mein, dass Obama die seit den 1980er Jahren zu be-                      ment zur Verfügung stand. Am 15. Januar dieses
obachtende Ungleichheit der Einkommens- und                             Jahres legten die verantwortlichen Ausschüsse im
Vermögensverteilung revidieren möge.                                    Repräsentantenhaus ein Konjunkturprogramm in
                                                                        Höhe von 825 Milliarden Dollar vor (The Ameri-
                                                                        can Recovery and Reinvestment Plan). Das Pro-
Die richtige Mischung von Maßnahmen                                     gramm sieht Ausgaben in Höhe von 518,7 Milliar-
                                                                        den Dollar und Steuersenkungen in Höhe von 275
Nach seiner Wahl im November 2008 war Obama                             Milliarden Dollar vor. Es wurde von der demokra-
mit den Auswirkungen der Wohnungs- und Fi-                              tischen Kongressführung in enger Abstimmung
nanzmarktkrise auf die Realwirtschaft konfron-                          mit dem engsten Wirtschaftsberater Obamas, dem
tiert. Die Finanzkrise hatte sich nach dem Kollaps                      früheren Finanzminister Larry Summers, entwi-
der Investmentbank Lehman Brothers verschärft.                          ckelt. Summers, Vorsitzender des National Econo-
Der Verfall von hypothekengesicherten Wertpa-                           mic Councils, dem wichtigsten Beratergremium
pieren und verwandten Finanzinstrumenten führ-                          im Weißen Haus, gehört zum Führungsstab des
te zu hohen Verlusten im Finanzsektor, mit Liqui-                       Präsidenten, zusammen mit Jason Furman, Obamas
ditätsengpässen als Folge. Das „De-leveraging“ im                       Wirtschaftsberater im Wahlkampf, dem neuen Fi-
Bankensektor, also die Rückführung des Verhält-                         nanzminister Timothy Geithner, zuletzt Präsident
nisses vom Geschäftsvolumen zum Eigenkapital                            der New Yorker Mitgliedsbank der Bundesbank,
durch Erhöhung der Eigenkapitalquote, setzt sich                        und Christina Romer, der Vorsitzenden des wirt-
unvermindert fort. Risikoaufschläge bei Bankan-                         schaftspolitischen Beratungsgremium des Präsi-
leihen und das Austrocknen des Interbanken-                             denten (Council of Economic Advisers, CEA). Sie
marktes haben die Refinanzierungskosten der                             arbeiteten die Grundlagen des Programms aus.
Banken trotz der deutlichen Zinssenkungen durch
die Zentralbank erhöht. Da der Finanzsektor auf                         Besonders Summers setzte auf eine Mischung von
den geldpolitischen Stimulus nicht mehr reagiert,                       kurzfristig wirkenden Ausgabenprogrammen und
führt das Schrumpfen des Kreditvolumens zu ei-                          längerfristigen investiven Maßnahmen, die die
nem Rückgang der aggregierten Nachfrage. Das                            Aussichten auf Wachstum verbessern sollen. Ent-
im September 2008 aufgelegte Troubled Asset Res-                        gegen anfänglicher Absichten nimmt das Pro-
cue Program (TARP) hat bisher nur begrenzte                             gramm Steuersenkungen als wesentlichen Be-
Wirkung auf den Finanzsektor gezeigt.                                   standteil auf, eine Maßnahme, der die Demokra-
                                                                        ten im Kongress anfangs skeptisch gegenüberstan-
Nach der Berechnungsmethode des Forschungsins-                          den, die aber eine Zustimmung auf republikani-
tituts National Bureau of Economic Research befin-                      scher Seite erleichtern soll. Einigkeit besteht, dass
det sich die amerikanische Wirtschaft schon seit De-                    der Staat bei zurückgehendem Konsum die Nach-
zember 2007 in einer Rezession. Mindestens bis zur                      frage stützen soll. Über die richtige Mischung zwi-
Mitte dieses Jahres wird mit einem weiteren Rück-                       schen Steuersenkungen und Staatsausgaben sowie
gang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gerechnet;                         über die Art der staatlichen Ausgabenprogramme
der Rückgang wird für 2009 auf 1,6 bis 2 Prozent ge-
schätzt. Die Arbeitslosenquote nahm von 4,8 Pro-
                                                                        3 Siehe Jane J. Gravelle/Thomas L. Hungerford/Marc Labonte, Eco-
zent im Februar 2008 auf 8,1 Prozent im Februar                         nomic Stimulus: Issues and Policies, Congressional Research Ser-
2009 zu; bis Ende 2009 wird eine Rate von 10 Pro-                       vice, 23. Januar 2009, Seiten 2–4.

Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 119 (1/2009)                                                                       55
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          und ihrer Wirkungsgeschwindigkeit gehen die                              Transferzahlungen an Arbeitslose ist dabei in ihrer
          Meinungen – auch bei den der Obama-Regierung                             Wirksamkeit unumstritten. Über andere Maßnah-
          nahe stehenden Ökonomen und einigen demo-                                men, wie die Bildungs- und Technologieförderung,
          kratischen Kongressabgeordneten – auseinander.                           wird dagegen mehr diskutiert. Der Multiplikatoref-
          Die Mehrheitsmeinung bei den Demokraten hält                             fekt wird seitens des CEA mit 1,5 angegeben, aller-
          die Verbindung von kurzfristig wirkenden, anti-                          dings weichen Schätzungen privater Beratungsor-
          zyklischen Ausgabenprogrammen mit langfristi-                            ganisationen und der Wissenschaft davon ab.
          gen Investitionen in Humankapital und Infra-
          struktur für richtig. Der Umfang der Steuerver-                          Angesichts der Unsicherheit über den Verlauf der
          günstigungen ist ebenfalls umstritten, wobei dies                        Krise wird das fiskalische Ankurbelungsprogramm
          auch eine politische Frage ist: Die Republikaner                         zumindest als überlegenswert angesehen.5 Die de-
          im Kongress setzen ganz auf Steuererleichterung                          mokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus ver-
          zur Ankurbelung der Konjunktur. Sie stützen sich                         abschiedete Ende Januar das Programm mit einem
          dabei auf Wissenschaftler wie den angesehenen                            Volumen von 819 Milliarden Dollar (über zwei Jah-
          Harvard-Ökonomen Gregroy Mankiw, der unter                               re) gegen die Stimmen der Republikaner. Im Senat,
          George W. Bush den CEA leitete.                                          wo die Republikaner eine Sperrminorität besitzen,
                                                                                   gelang es ihnen, Kürzungen am Volumen durchzu-
                                                                                   setzen und Programme mit verzögerter Auszah-
          Inhalte des Konjunkturprogramms                                          lungswirkung sowie Zuweisungen an die Bundes-
                                                                                   staaten im Schulbereich zu kürzen. Die Republika-
          Sowohl die Regierung als auch unabhängige Be-                            ner entdeckten Haushaltsdisziplin als neue Tugend.
          obachter sind sich einig, dass die Zuweisungen an                        Beide Häuser einigten sich schließlich auf ein Paket
          untere Gebietskörperschaften im Gesundheits-                             von 789 Milliarden Dollar, das am 18. Februar mit
          und Bildungsbereich einen Rückgang der öffent-                           der Unterzeichnung der Vorlage von Präsident
          lichen Beschäftigung verhindern werden. In den                           Obama in Kraft trat. Das Konjunkturprogramm wird
          meisten Bundesstaaten der USA besteht ein ver-                           abfedernde Wirkung haben, aber einen tieferen
          fassungsmäßiges Gebot zum Haushaltsausgleich,                            Wachstumseinbruch nicht verhindern können.
          das unweigerlich zu Entlassungen im Gesundheits-
          und Bildungsbereich sowie zu Leistungsbeschrän-                          Durch das Konjunktur- und das Bankenrettungs-
          kungen führen würde.4 Umstritten bleibt die Ge-                          programm wird sich die Staatsverschuldung dra-
          schwindigkeit, mit der die Maßnahmen wirken                              matisch erhöhen. Das Haushaltsdefizit stieg bereits
          werden. Das Haushaltsbüro des Kongresses (Con-                           im Jahr 2008 auf 455 Milliarden Dollar – im Ver-
          gressional Budget Office) nimmt an, dass einige                          gleich zu 162 Milliarden Dollar im Jahr 2007 –
          der Ausgabenprogramme erst sehr spät wirken                              oder 3,2 Prozent des BIP. Für 2009 rechnet das
          werden und berechnete die Wirkung des Pakets in                          Haushaltsbüro des Kongresses mit einem Defizit
          diesem Haushaltsjahr (Ende September 2009) auf                           von fast 1,2 Billionen Dollar oder 8,3 Prozent des
          lediglich 200 Milliarden Dollar.                                         BIP. Da in diesen Berechnungen das Konjunktur-
                                                                                   paket noch nicht eingeflossen war, rechnet man
          Die Regierung vertritt die These, dass man ein brei-                     mit einem Defizit von über 1,8 Billionen Dollar.6
          tes Portfolio von Maßnahmen verfolgen muss, da                           Ob derartige Defizite auf Dauer tragbar sind, ist
          jede einzelne Maßnahme zunehmend geringere                               zweifelhaft. Gegenwärtig beläuft sich die Verschul-
          Grenzerträge abwirft. Auch ist die Entstehung des                        dung, die von Privaten gehalten wird, auf 40 Pro-
          Konjunkturprogramms einem pragmatischen,                                 zent des BIP. Eine völlige Bereinigung der proble-
          schrittweisen Prozess zu verdanken, der sich am                          matischen Wertpapiere würde diesen Anteil auf 70
          Machbaren orientiert. Große umweltfreundliche                            Prozent ansteigen lassen, womit man europäische
          Programme, wie der Ausbau des öffentlichen Nah-                          Werte erreichen würde.
          verkehrs, scheiden aus. Als Alternative bleiben Mo-
          dernisierungs- und Instandhaltungsprogramme                              Wahrscheinlich wäre das Niveau beherrschbar. Die
          traditioneller Infrastruktur. Gleichzeitig will die Re-                  sozialen Sicherungsprogramme, insbesondere die
          gierung Schwerpunkte im Sozial-, Bildungs-, und
          Umweltbereich setzen, die ihrem politischen An-
          spruch gerecht werden, ein neues Profil gegenüber                        5 Eine gute Zusammenfassung der Diskussion um das Konjunktur-
                                                                                   programm Obamas findet sich bei Krishna Guha, Bridges to Build.
          der Bush-Regierung zu bilden. Die Erhöhung der                           Reviving America's Economy, in: Financial Times vom 23. Januar
                                                                                   2009, Seite 7.
                                                                                   6 Vgl. Congressional Budget Office, The Budget and Economic Out-
          4 Vgl. Robert Jay Dilger, States and Proposed Economic Recovery          look: Fiscal Years 2009 to 2019, Washington 2009, Seite 15
          Plans, Congressional Research Service, 16. Januar 2009, Seite 1.         (http://www.cbo.gov).

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USA

Gesundheitsprogramme, bergen jedoch aus demo-                           zahler belasten. Für die in den Bilanzen der Banken
graphischen Gründen erhebliche Sprengsätze.                             verbleibenden problematischen Vermögenswerte
Hier rächt sich, dass die Fiskalpolitik der USA un-                     sieht die Regierung möglicherweise eine versiche-
ter Bush in den Boom-Jahren nicht ausreichend                           rungsartige Garantie vor, wobei die Verluste ab ei-
anti-zyklisch war. Aus diesen Gründen wird auch ei-                     nem bestimmten Wert von der Zentralbank getra-
ne Reform des Gesundheitswesens unwahrschein-                           gen würden. Für viele Beobachter ist jedoch frag-
lich. Eine Strukturreform, einschließlich eines um-                     lich, ob damit die Banken in die Lage versetzt wür-
fassenden Anspruchs auf Gesundheitsleistungen,                          den, das Kreditgeschäft wieder aufzunehmen. Die
würde die Einführung einer Mehrwertsteuer von                           Banken müssten hohe Erträge erwirtschaften, um
bis zu zehn Prozent erforderlich machen.7                               ihre Eigenkapitalposition wieder aufzubauen. Sie
                                                                        müssten praktisch gezwungen werden, Kredite zu
                                                                        attraktiven Konditionen anzubieten, denn aus Ei-
Strategien gegen die Finanzkrise                                        geninteresse würden sie eher dazu neigen, ihr Ei-
                                                                        genkapital zu steigern bzw. zu sichern.
Im Grunde genommen ist die Lage seit dem Zu-
sammenbruch von Lehman Brothers unverändert.                            Kritiker halten deshalb eine massive Eigenkapital-
Die Obama-Regierung wird noch eine klare Strate-                        aufstockung bei gleichzeitiger Reduzierung der
gie gegen die Krise des amerikanischen Finanzsek-                       Mindestreserveanforderungen der Banken für ef-
tors vorlegen müssen. Experten wie der ehemalige                        fektiver, um den Wirtschaftskreislauf wieder in
Chefökonom des Internationalen Währungsfonds                            Gang zu setzen. Das würde jedoch die Kapitaleig-
(IWF) Simon Johnson erkennen die Notwendigkeit                          nerstruktur der Banken verwässern und den Staat
eines fiskalischen Stimulus an, halten aber die Re-                     zum Mehrheitsaktionär vieler Banken machen. Dies
Kapitalisierung des Bankensektors für prioritär,                        würde nicht nur die Aktionäre treffen, sondern
um die amerikanische Wirtschaft aus der Krise zu                        auch die vielen Nutznießer von Pensionsfonds – ei-
führen. Insofern sind für ihn die Ausgabenpro-                          ne politisch äußerst heikle Angelegenheit. Und
gramme übergewichtet.                                                   schon die Inanspruchnahme der zweiten Tranche
                                                                        von 350 Milliarden Dollar erfordert die Zustim-
Die Verabschiedung des Rettungspakets TARP im                           mung des Kongresses. Eine Re-Kapitalisierung der
September 2008 und seine Umsetzung durch den                            Banken in Höhe von weit mehr als einer Billion
damaligen Finanzminister Henry Paulson waren                            Dollar ist politisch schwer vorstellbar, schon weil
mit Konflikten insbesondere zwischen Kongress                           Paulsons inkonsistenter Umgang mit der ersten
und Regierung beladen. Paulson entschied sich zu-                       Tranche erhebliches Misstrauen hervorgerufen hat.
erst für die Übernahme der problematischen Pa-
piere der Banken und votierte nach kontroverser                         Die Obama-Regierung steht letztlich vor der Wahl
politischer Diskussion schließlich für eine Re-Ka-                      zwischen der partiellen Verstaatlichung der Banken
pitalisierung des Bankensektors. Mit 250 Milliar-                       und der Übernahme ihrer schädlichen Vermögens-
den Dollar engagierte sich das Finanzministerium                        werte bei Beibehaltung von privater Kontrolle. Er-
in Vorzugsaktien von Banken. Es folgten Ad-hoc-                         wartet wird jetzt jedoch eine konsistente, gut durch-
Rettungsaktionen für einzelne Versicherer und                           dachte Strategie. Fraglich ist, wie eine amerikani-
Banken sowie ein Rettungspaket von 17 Milliarden                        sche Regierung mit einem teilweise verstaatlichten
Dollar für die Autoindustrie.                                           Bankensektor umgehen würde. Verstaatlichung ist
                                                                        ideologisch verpönt, denn staatliche Stellen haben
Die Obama-Regierung steht Anfang Februar vor der                        keine Erfahrung in der Leitung von Banken, und
Aufgabe, eine Strategie für die Rettung des Banken-                     politische Einflussnahme über den Kongress und
sektors und die Stabilisierung des Hypotheken-                          Lobbys sind zu befürchten. Für jede Fortschreibung
marktes zu entwickeln. Angedacht ist die Schaffung                      des Rettungspakets ist jedoch auch eine Erleichte-
einer Auffangbank (bad bank), die mit Hilfe des                         rung für von Zwangsvollstreckung bedrohte Eigen-
TARP-Programms und der amerikanischen Zentral-                          heimbesitzer vonnöten. So sind an das Einkommen
bank problematische Wertpapiere bis zu einer Bil-                       gekoppelte Obergrenzen für die Bedienung von Hy-
lion Dollar aufkaufen könnte. Die Bewertung dieser                      pothekenschulden geplant sowie eine Reduzierung
Wertpapiere bleibt jedoch problematisch. Auch ei-                       des Tilgungsanteils, wenn der beliehene Wert weit
ne Versteigerung birgt Risiken und würde mögli-                         über dem aktuellen Marktwert der Immobilie liegt.8
cherweise die Zentralbank und letztlich die Steuer-
                                                                        8 Vgl. Krishna Guha, A big plan to clean up US banking system, in:
                                                                        Financial Times vom 31. Januar 2009, Seite 2; George Soros, The
7 Vgl. Ezekiel J. Emanuel, Healthcare Guaranteed, New York 2008,        right and wrong way to bail out the banks, in: Financial Times vom
Seite 84.                                                               23. Januar 2009, Seite 9.

Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 119 (1/2009)                                                                         57
Wirtschaftspolitik

          Internationale Auswirkungen                                              tere Handelsliberalisierung ausgesprochen.
                                                                                   Obama versprach sogar, das Nordamerikanische
          Auch wenn die Ursprünge der Krise in den USA                             Freihandelsabkommen (NAFTA) neu zu verhan-
          liegen, handelt es sich um eine globale Wirt-                            deln sowie insbesondere Umwelt- und Sozialstan-
          schaftskrise. Hoffnungen auf eine europäische Ab-                        dards in Handelsabkommen einzuführen. Ameri-
          kopplung haben sich als illusorisch erwiesen. Es                         kanische Abgeordnete forderten auf dem Welt-
          zeichnet sich ab, dass ein Großteil der globalen                         wirtschaftsforum in Davos im Januar dieses Jahres
          Nachfrageexpansion durch das amerikanische                               die Berücksichtigung derartiger Standards in der
          Konjunkturpaket geschieht. Das werden die USA                            laufenden WTO-Runde, obwohl diese Themen
          auf Dauer nicht allein tragen können. Auch ande-                         seit dem WTO-Gipfel in Cancun von 2003 auf-
          re Länder werden sich mit Forderungen konfron-                           grund des Widerstands der Entwicklungsländer
          tiert sehen. Die EU-Konjunkturprogramme belau-                           längst zu den Akten gelegt sind.
          fen sich augenblicklich auf 0,8 Prozent des euro-
          päischen BIP – das deutsche auf 1,4 Prozent des                          Handelspolitik und weitere Liberalisierung haben
          BIP – und das amerikanische dagegen auf 2,9 Pro-                         für Obama geringe Priorität. Die beiden wichtigsten
          zent. Zu erwarten ist, dass die Obama-Regierung                          handelspolitischen Positionen in der Regierung,
          die Partner in Europa zur stärkeren Ankurbelung                          Handelsbeauftragter und Handelsminister, sind
          ihrer Konjunktur auffordern wird, vor allem wenn                         entweder noch nicht bestätigt oder nicht benannt.
          sich die USA schneller erholen und amerikanische                         Allerdings sind die engsten wirtschaftspolitischen
          Importe aus EU-Ländern zunehmen.9                                        Berater von Obama keine Protektionisten. Die Fra-
                                                                                   ge ist, ob sich die Regierung aktiv gegen protektio-
          Simon Johnson hat dazu angemerkt, dass die Regie-                        nistische Bestrebungen zur Wehr setzen wird. Der
          rung sich mit derartigen Forderungen wahrschein-                         erste Test für Obama wird in der Entscheidung lie-
          lich die Zähne ausbeißen dürfte. Die USA seien in                        gen, wie er mit den restriktiven Bedingungen für
          Vorleistung getreten, sodass ein Anreiz zum Tritt-                       öffentliche Beschaffung in den Konjunkturpro-
          brettfahren bestehe. Die Frage nach Druckmitteln                         grammen umgehen will, die sich in den Gesetzent-
          der US-Regierung wird sich stellen, wenn sich de-                        würfen beider Häuser finden. So fordert der Senat,
          flationäre Entwicklungen in den USA einstellen                           dass bei Infrastrukturprojekten nur amerikanische
          sollten. Dann wird dort der Anreiz wachsen, durch                        Produkte (insbesondere Stahl) verwendet werden
          expansive Geldpolitik Inflationserwartungen zu                           können.10 Dies widerspräche dem WTO-Abkom-
          schüren und Druck auf den Dollar auszuüben. Dies                         men über öffentliche Beschaffung und könnte zu
          würde die Europäer zwingen, Gleiches zu tun oder                         einem ernsthaften Streitpunkt zwischen Euro-
          einen stärkeren Euro-Kurs und gedämpfte Export-                          päern (zusammen mit Mexikanern und Kana-
          chancen hinzunehmen. Viele amerikanische Beob-                           diern) und der Obama-Regierung werden.
          achter gehen davon aus, dass die Europäer auf die
          Exportmöglichkeiten setzen, die das amerikanische                        Der wirtschaftspolitische Erfolg Obamas wird sich
          Infrastrukturprogramm bietet. Sie sehen deshalb in                       daran bemessen, wie er die Wirtschafts- und Finanz-
          einer expansiven Geldpolitik die einzige Möglich-                        krise meistert. Langfristige Reformvorhaben in der
          keit, um die Europäer zu zwingen, ihre Konjunktur                        Gesundheits- und Bildungspolitik werden vorerst
          anzukurbeln und schwächere EU-Mitgliedstaaten                            zurückstehen oder können nur partiell im Kon-
          vor dem Kollaps zu bewahren. Zumindest mittelfris-                       junkturprogramm berücksichtigt werden. Auch im
          tig ist also damit zu rechnen, dass sich die transat-                    Klimaschutz dürften bis zur Kopenhagener Konfe-
          lantischen Wirtschaftsbeziehungen nicht so rei-                          renz im Dezember 2009 nicht die innenpolitischen
          bungslos gestalten, wie es die Verlautbarungen zum                       Entscheidungen gefallen sein, die die USA interna-
          Amtsantritt von Barack Obama erwarten lassen.                            tional handlungsfähig machen. Für die Regierung
                                                                                   wird es vor allem darauf ankommen, Kurs zu halten
                                                                                   und auch bei unvermeidlichen Rückschlägen Herr
          Gefahr des Protektionismus                                               des Verfahrens zu bleiben. Obama hat ein Mandat
                                                                                   für tiefer gehenden Wandel, und in der Krise
          In globalen Wirtschaftskrisen besteht immer die                          schaut die Bevölkerung auf vollziehende Führungs-
          Gefahr des Protektionismus. Sowohl Barack Obama                          kraft. Aber ohne Reibungen und Konflikte mit dem
          als auch Hillary Clinton haben sich im Wahlkampf                         Kongress und den Verbündeten wird diese Krise
          unter dem Druck der Gewerkschaften gegen wei-                            nicht bewältigt werden. 

          9 Vgl. Bruce Stokes, Europe: Go Ahead and Spend, Please, in: Na-         10 Vgl. Alan Beattie, Senate bill strengthens „Buy America“ message,
          tional Journal vom 31. Januar 2009, Seiten 54 f.                         in: Financial Times vom 2. Februar 2009, Seite 3.

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