Digitalisierung für ältere Menschen mit Diabetes - D.U.T. Report

 
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206   Digitalisierung für ältere Menschen mit Diabetes      Digitalisierungs­ und Technologiereport Diabetes 2020

      Digitalisierung für ältere
      Menschen mit Diabetes

       Generell ist die Akzeptanz neuer Techno-             Die Digitalisierung hat in den letzten Jahren
                                                            viele Bereiche unseres Lebens erfasst. Für die
        logien unter älteren Menschen hoch, je-
                                                            meisten Menschen ist es völlig selbstverständ­
         doch müssen diese einfach handhabbar               lich, sich in dieser neuen Welt zu bewegen.
      sein und für die Nutzer erlebbare Vorteile            Smartphone, Tablet, Internet, Streamingdiens­
                                                            te und mehr sind aus ihrem Leben nicht mehr
                                     im Alltag bringen.
                                                            wegzudenken. Digitale Innovationen bieten
                                                            Chancen in allen Altersgruppen, das Leben zu
                     PD Dr. Anke Bahrmann, Heidelberg,      erleichtern. Doch gerade ältere Menschen, die
                                Sabine Hochstadt, Berlin,   von Innovationen für ein selbstständiges und
                                   Michael Uhlig, Bochum    selbstbestimmtes Leben am meisten profitieren
                                                            könnten, haben häufig noch Berührungsängste.
                                                            Dies ist unverändert zu beobachten, auch wenn
                                                            es die Altersgruppen der ab 65­Jährigen sind, in
                                                            denen die stärksten Zuwachsraten bei der Inter­
                                                            netnutzung zu verzeichnen sind. So nutzten im
                                                            ersten Quartal 2019 rund 70 % der über 65­Jäh­
                                                            rigen das Internet jeden bzw. fast jeden Tag und
                                                            21 % mindestens einmal in der Woche [Statisti­
                                                            sches Bundesamt 2019].
                                                            Ende 2018 waren knapp 18 Mio. Menschen in
                                                            Deutschland 65 Jahre und älter. Bei gleichzei­
                                                            tig über 10 Mio. Menschen zwischen 55 und
                                                            64 Jahren wird sich in Zukunft die Anzahl der
Digitalisierungs­ und Technologiereport Diabetes 2020         Digitalisierung für ältere Menschen mit Diabetes   207

                                Berührungsängste

Personen, die auf Hilfe angewiesen sind, weiter         fähigkeit nimmt ab. Dies alles birgt gesundheit­
stark erhöhen. Die Analysen zeigen zudem, dass          liche Risiken wie Stürze und die unregelmäßige
sich der Anteil der unterstützungsbedürftigen           Einnahme von Medikamenten aufgrund der Ein­
Menschen, der im ländlichen Raum lebt und le­           schränkung der Feinmotorik und der Sehkraft
ben wird, überproportional entwickelt. Arztpra­         sowie der zunehmenden Vergesslichkeit. Auch
xen, Pflege­ und Betreuungsdienste sind schon           wenn die heutigen 65­ bis 85­jährigen Men­
heute längst an ihre Kapazitätsgrenzen gekom­           schen gesünder sind als früher, sind sie mit zu­
men. Wenn nun – vor dem Hintergrund dieser              nehmendem Alter auf Unterstützung und Pfle­
demografischen Entwicklung – der Wunsch der             ge angewiesen. So benötigt etwa jede/­r Dritte
meisten Menschen nach einem Verbleib in der             ab 80 Jahren und fast jede/­r Zweite ab 85 Jah­
eigenen Häuslichkeit bis ins höchste Alter ei­          ren Pflegeleistungen.
ne Entsprechung finden soll, dann wird klar,
wie wichtig es ist, die Möglichkeiten der Digi­         Ältere Menschen mit Diabetes und die
talisierung zu nutzen [Weiß 2017]. Technolo­            Digitalisierung
gisch sind durchaus sehr viele Optionen gege­           In Deutschland leben rund 7 Mio. Menschen mit
ben, den Menschen den Komfort eines „Smart­             Diabetes, von denen ca. 95 % an Typ­2­Diabe­
homes“ bieten zu können. Auf deren kluge Nut­           tes erkrankt sind. Aufgrund der guten medizi­
zung kommt es an.                                       nischen Versorgung erreichen viele Menschen
Physiologische Veränderungen bedingt durch              mit Typ­1­Diabetes ein hohes Alter – es wird in­
Alterungsprozesse können sich negativ auf ein           zwischen von mehr als 100 000 Menschen mit
selbstständiges Leben in der eigenen Häuslich­          Typ­1­Diabetes über 70 Jahren ausgegangen.
keit auswirken. So nimmt im Alter die Körper­           Bei Typ­2­Diabetes ist der höchste Anteil der
kraft ab, Sinnesorgane wie das Auge verlieren           Menschen mit Diabetes in der Altersgruppe der
an Funktionsfähigkeit, die kognitive Leistungs­         über 75­Jährigen (25 %). Auf Basis der Sekun­
208   Digitalisierung für ältere Menschen mit Diabetes   Digitalisierungs­ und Technologiereport Diabetes 2020

      därdatenanalyse der 3,5 Mio. gesetzlich Versi­     kann grundsätzlich eine Offenheit für digitale
      cherten der AOK Baden­Württemberg liegt in         Lösungen vorausgesetzt werden – generell bei
      der Altersgruppe ab 80 Jahren bei etwa 1 Mio.      älteren Menschen, und erst recht, wenn die zu­
      Menschen in Deutschland ein Typ­2­Diabetes         sätzlichen Aspekte des Diabetesmanagements
      vor [Tamayo 2016].                                 dazukommen – soweit diese Lösungen einen
                                                         Mehrwert und Nutzen für die angestrebten
      Zunehmende Digitali-                               Ziele bieten. Die Erfahrungen der letzten Jahre
      sierung und die massiv                             zeigen aber auch, dass es kein Selbstläufer ist,
      verbesserten techno-                               diese Akzeptanz zu erreichen. Mit technokra­
      logischen Möglichkei-                              tischen Begriffen wie „AAL“ (Ambient Assisted
      ten führen zu vielen                               Living) ist niemandem die Sorge zu nehmen,
      Optionen, die Diabetes-                            dass „die Technik“ nur ein Ersatz ist für künf­
      therapie auch im hohen                             tig womöglich nicht mehr mögliche persönliche
      Lebensalter zu erleich-                            Zuwendung. Im Mittelpunkt der Kommunikati­
      tern.                                              on müssen die Komfortaspekte und die kluge
                                                         Integration der digitalisierten Lösungen in das
      Ältere Menschen mit Diabetes haben häufig zu­      gesamte Helfersystem stehen.
      sätzlich funktionelle und/oder kognitive Beein­
      trächtigungen, die das selbstständige Durch­       Wie ist die aktuelle Entwicklung?
      führen der Diabetestherapie behindern können       Die zunehmende Digitalisierung und die massiv
      und die bei der Therapieplanung berücksich­        verbesserten technologischen Möglichkeiten
      tigt werden müssen. Dazu gehören v. a. geria­      führen zu vielfältigen Optionen, die Diabetes­
      trische Symptome wie Merkfähigkeitsstörun­         therapie auch im hohen Lebensalter zu erleich­
      gen, Gebrechlichkeit, Stürze, Immobilität oder     tern. Dazu gehören z. B. Telemonitoring, kon­
      auch eine erhöhte Vulnerabilität für Arzneimit­    tinuierliche Glukosemessung (CGM­Systeme),
      telwechselwirkungen. Diabetesbezogene Fol­         Gesundheitsclouds, Diabetes­Apps, E­Lear­
      geerkrankungen wie die periphere Polyneuro­        ning­Programme sowie sensorgestützte smarte
      pathie können die Sturzgefährdung gebrech­         Assistenzsysteme der Wohnumfeldgestaltung.
      licher Menschen weiter erhöhen. Merkfähig­         Letztere stehen für intelligente Umgebungen,
      keitsstörungen führen zu Injektionsfehlern bei     die sich selbstständig, proaktiv und situations­
      Insulintherapie oder Einnahmefehlern von Me­       spezifisch den Bedürfnissen und Zielen der Be­
      dikamenten (doppelte Einnahme, Auslassen           nutzer anpassen, um sie im täglichen Leben zu
      von Medikamenten usw.). Sind schwerere ko­         unterstützen: Dazu gehören Notrufsysteme, die
      gnitive Beeinträchtigungen oder auch eine De­      (gleichzeitig energieeffiziente) sensorbasierte
      menzerkrankung vorhanden, ist die eigenstän­       Ansteuerung der Beleuchtung (bis hin zur Simu­
      dige Therapie des Diabetes häufig nicht mehr       lation eines natürlichen Tag­Nacht­Rhythmus)
      möglich und Hilfe durch An­ oder Zugehöri­         und diverser Haushaltsgeräte, Überwachungs­
      ge bzw. Pflegekräfte notwendig. Dennoch be­        funktionen u. a. zur Sturzprävention sowie die
      steht der Wunsch nach höchstmöglicher Selbst­      Möglichkeit, diagnostische Daten/Vitalparame­
      bestimmung, Selbstmanagement und dem Ver­          ter zu erheben und an medizinische Institutio­
      bleib in der eigenen Häuslichkeit weiter. Daher    nen automatisiert zu übermitteln.
Digitalisierungs­ und Technologiereport Diabetes 2020         Digitalisierung für ältere Menschen mit Diabetes   209

                                                        Dabei ist es recht unerheblich, wo die Men­
                                                        schen leben oder sich gerade aufhalten – durch
                                                        die Funkbasierung können die Lösungen in den
                                                        Wohnungen der Menschen, in der Pflegeein­
                                                        richtung (als besondere Form des Wohnorts)
                                                        oder auch in der Klinik etabliert werden. Weit
                                                        verbreitet und bei einer Vielzahl von Anbietern
                                                        erhältlich ist das klassische Hausnotrufsystem.
                                                        Über einen Knopfdruck wird via Homestation
                                                        eine Notrufverbindung mit dem entsprechen­
                                                        den Anbieter hergestellt. Als Hilfsmittel aner­
                                                        kannt und – im Gegensatz zu fast allen ande­
                                                        ren Lösungen – in den Basisfunktionen als Leis­
                                                        tung der Pflegeversicherung refinanziert, ist
                                                        der klassische Hausnotruf im Jahr 2019 zwar als

     Funk-
                                                        mäßig elegant wahrgenommen, aber unverän­
                                                        dert die mit Abstand verbreitetste Unterstüt­
                                                        zungslösung in der Häuslichkeit der Menschen.

   basierung                                            Insgesamt zeigt sich ein buntes Bild des bereits
                                                        real Genutzten wie auch der Potenziale. Für die
                                                        gezielte Gestaltung künftiger Angebote sind
                                                        Transparenz und Systematisierung wichtig.

                                                        Hilfsmittel
                                                        Die Deutsche Diabetes Gesellschaft hat die
                                                        S2k­Leitlinie „Diagnostik, Therapie und Ver­
                                                        laufskontrolle des Diabetes mellitus im Alter“
                                                        herausgegeben, in der auch die Landschaft di­
                                                        gitaler Hilfsmittel beschrieben wird [Deut­
                                                        sche Diabetes Gesellschaft 2018]. Dort wird
                                                        zwischen „mechanischen“, „technischen“ und
                                                        „elektronischen“ Hilfsmitteln unterschieden
                                                        und eine Einschätzung des Grades der Eignung
                                                        gegeben:

                                                        Mechanische Hilfsmittel:
                                                        • Lupen und andere Sehhilfen, sprechendes
                                                          Blutglukose­Messgerät (sehr geeignet)
                                                        • Blutglukose­Messgeräte ohne Kalibrierung
                                                          mit großem Display und einfacher Bedie­
                                                          nung (sehr geeignet)
210   Digitalisierung für ältere Menschen mit Diabetes    Digitalisierungs­ und Technologiereport Diabetes 2020

                                                         Telemedizin

      • Insulin­Pens mit einfacher Auslösung und          • Technische Hilfen zur Erinnerung an Medi­
         geringem Daumendruck (sehr geeignet)               kamenteneinnahme oder Insulin­Injektion
      • Schritt­für­Schritt­Anleitungen in Alltags­         (teilweise geeignet)
         gegenstände integriert (sehr geeignet)           • Automatische Beleuchtungen mit Bewe­
      • Medikamentendosetten mit Wochenvorrat               gungssensoren zur Sturzvermeidung (sehr
         (sehr geeignet)                                    geeignet)
                                                          • Sensormatten oder RFID­/GPS­Systeme zur
      Technische Hilfsmittel für ältere Menschen mit        Sicherheitsverbesserung beispielsweise bei
      Diabetes im erweiterten Sinne:                        Demenzerkrankung (bedingt geeignet)
      • Automatische Blutdruckmessgeräte, präfe­
         renziell mit Oberarmmanschette und elek­         Telemedizinische Angebote
         trischer Pumpe                                   Telemonitoring erlaubt die Kontrolle von Blut­
      • Gehhilfen bei Polyneuropathie und/oder            glukosewerten und Vitalfunktionen eines Pati­
         Gebrechlichkeit (z. B. Gehbock, Rollator)        enten durch einen Arzt oder das Pflegeperso­
      • Frakturprävention (z. B. Safehip­Schutz­          nal über eine räumliche Distanz hinweg. In der
         hosen/Hüftprotektoren, Antirutschsocken)         Telediabetologie können z. B. Blutglukosewer­
                                                          te, Blutdruck oder Gewicht des Patienten über
      Elektronische Hilfsmittel:                          eine Basisstation erfasst und an ein telemedizi­
      • PC­Programme zur Analyse erhobener                nisches Servicezentrum weitergeleitet werden.
         Messwerte und Daten (teilweise geeignet)         Dort werden die übermittelten Daten von ei­
      • Apps zur Verbesserung der Therapietreue           nem Diabetesteam (bzw. entsprechend einem
         (teilweise geeignet)                             zu definierenden Algorithmus) bewertet, so­
      • Apps zum Datenmanagement und Blutglu­             dass eine entsprechende Handlungsempfeh­
         kose­Steuerung (teilweise geeignet)              lung für den behandelnden Arzt, den Patien­
Digitalisierungs­ und Technologiereport Diabetes 2020         Digitalisierung für ältere Menschen mit Diabetes   211

ten selbst oder auch das Pflegeteam abgeleitet          keit von Experten in den Telemedizin­Institu­
werden kann. Seit die Datenübertragung funk­            ten. Leider stehen telediabetologische Syste­
basiert sichergestellt werden kann, bestehen            me noch nicht flächendeckend zur Verfügung.
prinzipiell keine wirklichen technologischen            Weitere wichtige Felder in der Versorgung äl­
Schwierigkeiten mehr, fast jede Pflegeeinrich­          terer Menschen mit Diabetes können das Tele­
tung anbinden zu können. Die Intensität der Be­         casemanagement und die Telekonsultation dar­
gleitung des Patienten kann dabei jeweils ab­           stellen. In Deutschland besteht aktuell ein er­
gestimmt werden. Mit Patienten­Coachingpro­             heblicher personeller Ressourcenmangel – ins­
grammen lässt sich ein sicheres und trotzdem            besondere in ländlichen Regionen. Die Nutzung
lebensqualitätsorientiertes Management des              telemedizinischer Möglichkeiten bietet eine
Diabetes gestalten – auf Basis elektronischer           effiziente Möglichkeit, die Behandlungsquali­
Akten, vereinbarter Kommunikationsregeln und            tät durch das Hinzuziehen von Diabetologen
kontinuierlicher Vitalparameter­Überwachung.            (Telekonsultation) zu verbessern; dies wird in
Beispiele sind „TeLiPro“ des Deutschen Insti­           der Diabetologie zukünftig eine immer größere
tuts für Telemedizin und Gesundheitsförderung           Rolle spielen. Im Rahmen der derzeitigen me­
(DITG), das sich ursprünglich an Patienten mit          dizinrechtlichen Möglichkeiten wird der Umset­
hoher Selbstmanagementkompetenz, mittler­               zungserfolg telemedizinischer Lösungen davon
weile aber auch an ältere und pflegebedürftige          abhängen, wie die Aufgabenteilung mit dem lo­
Menschen richtet, und Telemonitoring­Lösun­             kal betreuenden Haus­ und/oder Facharzt ge­
gen wie des Westdeutschen Zentrums für An­              lingt. Das Telemedizin­Institut wird dabei in der
gewandte Telemedizin (WZAT).                            Regel die Rolle eines hocheffizienten Dienst­
                                                        leisters haben, welcher gleichermaßen diagnos­
Mit Patienten-Coaching-                                 tische und therapeutische Empfehlungen für
programmen lässt sich                                   den vor Ort tätigen betreuenden Arzt bietet. Im
ein sicheres und trotz-                                 Telecasemanagement können Menschen, gera­
dem lebensqualitätsori-                                 de mit einem neu diagnostizierten Diabetes,
entiertes Management                                    eng begleitet und aufkommende Fragen z. B.
des Diabetes gestalten.                                 per Videotelefonie besprochen werden.

Wichtig ist dabei die Gestaltung der Schnitt­           Insulinpumpentherapie – auch im
stellen: Beide dargestellten qualitätsgesicher­         hohen Alter?
ten Modelle sehen bei entsprechender Kons­              Eine besondere Konstellation betrifft die Insu­
tellation zentral auch die Einbindung von be­           linpumpentherapie bei Typ­1­Diabetes im Al­
handelnden Ärzten oder betreuenden Pflege­              ter. Repräsentative Daten zur Nutzung der In­
kräften vor, um die Wirksamkeit der Begleitung          sulinpumpentherapie im Alter liegen aktuell
zu sichern. Für die vor Ort behandelnden Ärzte          noch nicht vor. Anhaltspunkte ergeben sich aus
haben die Programme vor allem Servicefunkti­            dem deutschen Datenregister Diabetes­Patien­
on – zum Beispiel durch das Bereitstellen von           ten­Verlaufsdokumentation (DPV). Darin sind
Informationen. Für die betreuenden Pflegekräf­          302 Patienten mit einem Alter zwischen 70 und
te bieten sie zusätzliche Unterstützung, nicht          80 Jahren und Insulinpumpentherapie regis­
zuletzt durch die kontinuierliche Erreichbar­           triert sowie 41 mit einem Alter über 80 Jahren.
212   Digitalisierung für ältere Menschen mit Diabetes   Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2020

      Der Trend lässt aber klar einen deutlichen An­     Langzeitpflege) der DDG können Pflegekräfte
      stieg erwarten [Zeyfang 2019].                     ihr technologisches Wissen verbessern sowie
      Die Pumpentherapie kann grundsätzlich bis ins      die Strukturqualität der Einrichtung – letzt­
      hohe Lebensalter durchgeführt werden, denn         endlich verbessern sie damit auch die Versor­
      auch bei älteren Menschen kann durch die Insu­     gung älterer Menschen mit Diabetes mit neu­
      linpumpentherapie eine Verbesserung der Glu­       en Technologien.
      kosekontrolle erreicht werden – bei gleichzei­
      tiger Absenkung der Rate an Hypoglykämien          Neue Technologien, Apps
      unter niedrigem basalem Insulinbedarf. Für ei­     Um eine möglichst lange und bestmögliche Ver­
      ne erfolgreiche Umsetzung der Insulinpumpen­       sorgung älterer Menschen im häuslichen Um­
      therapie sind jedoch eine gute Beherrschung        feld zu ermöglichen, werden zunehmend tech­
      der Bedienschritte seitens der Nutzer/innen, ei­   nische Hilfsmittel für die Diabetestherapie auf
      ne gute Feinmotorik, aber auch intakte visuel­     den Markt gebracht. Dazu zählen Injektionshil­
      le, auditive und kognitive Fähigkeiten notwen­     fen, Blutglukosemessgeräte mit großem Dis­
      dig. Nicht zuletzt sind eine altersgerechte Ge­    play und bedienerfreundlicher Anwendbarkeit,
      staltung und das Design der Geräte eine wich­      aber auch die Technologie der kontinuierlichen
      tige Voraussetzung für die sichere und effektive   Insulinapplikation mittels Insulinpumpen oder
      Nutzung der Insulinpumpe im Alter.                 das kontinuierliche Glukosemonitoring (CGM).
                                                         In den Medien wird bereits von einer „techni­
      Nötig: für Ältere bedienbare Pumpen                schen Heilung“ des Diabetes gesprochen. Die
      Im Sinne eines patientenzentrierten Ansatzes       Technologien erfordern jedoch eine präzise
      sollten daher Insulinpumpen auf dem Markt          Handhabung sowie die Verfügbarkeit von PC
      verfügbar sein, die von älteren Patienten be­      und Internet zur Speicherung und Auswertung
      dienbar sind (z. B. große Displays, Sprachsteu­    der Daten. Für ältere Menschen, die mit moder­
      erungsfunktionen). Für eine erfolgreiche Insu­     nen Technologien und Medien weniger vertraut
      linpumpentherapie im Alter sind ebenso zen­        sind, sind diese Entwicklungen oft nicht direkt
      tral die Wünsche, Sorgen und Erfahrungen älte­     zugänglich. Daher ist eine einfache Handha­
      rer Menschen mit Typ-1-Diabetes, deren erlebte     bung der Blutglukosemessgeräte, Insulinpens
      Barrieren und förderliche Bedingungen [Gram­       und der neuen Technologien zu fordern, sodass
      mes 2018]. Der Wechsel von einer Insulinpum­       auch ältere Menschen mit visuellen oder funkti­
      pentherapie auf eine intensivierte Insulinthe­     onellen Einschränkungen diese möglichst lange
      rapie (ICT) ist für die meisten Patienten mit      selbstständig benutzen und somit ihre Selbst­
      Typ-1-Diabetes ein Rückschritt, der mit großen     ständigkeit bewahren können.
      Ängsten bezüglich assoziierter Folgen einher­
      geht (z. B. Folgeerkrankungen, Verlust der Le­     Insulinpumpen, die von äl-
      bensqualität). Ebenfalls hilfreich ist es, Ange­   teren Menschen bedien-
      hörige und kompetentes Fachpersonal bei der        bar sind, sollten auf dem
      Unterstützung und Durchführung der Insulin­        Markt verfügbar sein.
      pumpentherapie im Alter einzubeziehen.
      Durch die Weiterbildung zur Diabetespflege­        Auch der Mobile-Health-Bereich stellt ei­
      fachkraft (Basisqualifikation, stationär oder      nen der am schnellsten wachsenden Berei­
Digitalisierungs­ und Technologiereport Diabetes 2020         Digitalisierung für ältere Menschen mit Diabetes   213

che im Gesundheitswesen dar. Patienten be­              Hilfe darstellen könnte, ist die leicht zu be­
nutzen mobile Endgeräte (Smartphones) und               dienende App „MyTherapy“ [smartpatient],
Gesundheits­Apps, um ihre Gesundheitsda­                die eine Erinnerungsfunktion für die Einnah­
ten zu analysieren, und wünschen sich da­               me von Medikamenten bietet sowie die Pla­
durch eine vereinfachte, individuelle und               nung von Aktivitäten und die Protokollierung
verbesserte Versorgung ihrer Grunderkran­               von Symptomen und Messwerten.
kung. Zahlreiche Gesundheits­Apps sind auf
dem Markt erhältlich, ein Weg zur Finanzie­             Chancen der Digitalisierung – wohin
rung der Apps findet sich nunmehr im Digi­              geht die Reise?
tale­Versorgung­Gesetz wieder. Danach kön­              Die Technikakzeptanz älterer Menschen wird
nen Apps ab 2020 von niedergelassenen Ärz­              maßgeblich durch zwei Faktoren bestimmt:
ten auf Rezept verordnet werden. Inwieweit              1. Wie ist die empfundene Nützlichkeit des di-
sich dieses Angebot angesichts der Vielzahl             gitalen Produkts? Maßgeblich hierfür ist die
frei zum Download im Internet angebotener               Frage, wie groß der persönliche Vorteil bei der
Apps etablieren wird, darf mit Spannung be­             Nutzung eingeschätzt wird sowie welche Form
obachtet werden. Die Gruppe „DiaDigital“                und welches Ausmaß der Unterstützung im All­
verschiedener Diabetesorganisationen und                tag damit verbunden sind.
des Zentrums für Telematik und Telemedizin              2. Wie ist die wahrgenommene Handhabung
GmbH (ZTG) in Bochum beurteilt und zertifi­             des digitalen Produkts? Entscheidend ist, ob
ziert Diabetes­Apps anhand eines Kriterien­             die Nutzung selbsterklärend, einfach, intuitiv
katalogs. Ein Beispiel für eine der zertifizier­        ist und das digitale Produkt ohne viel Aufwand
ten Apps, die für geriatrische Patienten eine           und Überwachung einwandfrei funktioniert.

                                                               Usability
214   Digitalisierung für ältere Menschen mit Diabetes   Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2020

      Dabei steht in der Abwägung der Wertigkeit         zeiten der eingebundenen Angehörigen oder
      dieser beiden Faktoren die „wahrgenomme­           des Pflegepersonals zu optimieren.
      ne Handhabung“ vor der „empfundenen Nütz­          Ein anderes Beispiel sind drahtlos vernetz­
      lichkeit“. Dies bedeutet, dass trotz einer hohen   te Trinkgefäße, die mit multimodaler Senso­
      empfundenen Nützlichkeit ein Produkt eher          rik ausgestattet sind, welche ältere Menschen
      nicht angewendet wird, wenn die „Usability“        bzw. die Pflegekräfte dabei unterstützen, auf
      nicht gegeben ist. Elementar für die Entschei­     die Trinkmenge zu achten und an das Trinken
      dung ist auch die Einfachheit der Anwendung        zu erinnern. Individuell wird die optimale Flüs­
      („Komfort-Empfinden“).                             sigkeitsmenge für den Nutzer errechnet und die
                                                         Trinkmenge automatisch dokumentiert. Intelli­
      Viele ­technologiebasierte                         gente Spiegel können mit den Menschen kom­
      Lösungen werden sich                               munizieren und sie an wichtige Dinge erinnern
      mittelfristig etablieren –                         wie die Blutglukosemessung, Medikamenten­
      eine einfache Handha-                              einnahme, Trinken oder Essen.
      bung vorausgesetzt.                                Aus Japan stammt die Idee, Robotertechnik für
                                                         die Entlastung der Pflegekräfte zu nutzen. Be­
      Sehr einfache Handhabung vorausgesetzt ist         reits 2009 wurde der erste Pflegeroboter (Ro­
      davon auszugehen, dass sich viele der beschrie­    bot for Interactive Body Assistance, ­RIBA) der
      benen technologiebasierten Lösungen der Ge­        Öffentlichkeit vorgestellt. Diese Roboter über­
      staltung des Wohnumfelds älterer Menschen          nehmen teilautomatisiert Pflegeprozesse, ser­
      und des Diabetesmanagements mittelfristig          vieren Essen oder Getränke, gießen Blumen
      etablieren werden.                                 oder können sogar als Gehhilfe verwendet wer­
      Ein weiterer Trend besteht in der Verknüp­         den. Der Pflegeroboter „Robear“ kann Patien­
      fung unterschiedlichster Technologien und          ten beispielsweise vom Bett in einen Rollstuhl
      Datenquellen [Cirkel 2019]. Beispiele hierfür      heben und damit das Pflegepersonal entlasten
      sind moderne Entwicklungen zur Notfallak­          [Bendel 2018].
      tivierung des Fraunhofer-Instituts Erlangen
      [Fraunhofer-Institut für Digitale Medientech­      Fazit
      nologie IDMT], die auf unterschiedlichen Er­       Neue technische und digitale Entwicklungen
      eignissen beruhen können: Akustische Schall­       haben das Potenzial, ältere Menschen bei der
      wächter (SonicSentinel) können z. B. einen         Therapie des Diabetes zu unterstützen und ih­
      Einbruchsversuch anhand des Geräuschs ei­          nen zu helfen, ihre Selbstständigkeit zu bewah­
      nes Glasbruchs erkennen, mittels Methoden          ren. Generell ist die Akzeptanz neuer Technolo­
      der Sprachanalyse kann ein möglicher Notfall       gien unter älteren Menschen hoch, jedoch müs­
      anhand der Erregtheit in der Stimme erkannt        sen diese einfach handhabbar sein und für die
      oder durch Spracherkennungsverfahren ver­          Nutzer erlebbare Vorteile im Alltag bringen.
      schiedener Schlüsselwörter (wie „Hilfe“) ana­      Technologieentwickler sind aufgefordert, pass­
      lysiert werden und damit verschiedene Algo­        genaue Lösungen für ältere und beginnend ko­
      rithmen zum Auslösen eines Notrufs berech­         gnitiv eingeschränkte Menschen und deren Be­
      net werden. Das System zeigt zudem die Art         treuungsnetzwerke zu gestalten. Neue Techno­
      des Notrufs an und hilft somit, die Reaktions­     logien werden sich jedoch nur stabil etablieren
Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2020          Digitalisierung für ältere Menschen mit Diabetes   215

können, wenn sie „bei den Menschen ankom­               10. Zeyfang A, Bahrmann A: Typ-1-Diabetes bei älte-
men“ und klug mit „analogen“ Dienstleistungs­               ren Menschen im Pflegeheim. In: Deutsche Dia-
                                                            betes Gesellschaft (DDG), diabetesDE – Deutsche
angeboten verknüpft werden.
                                                            Diabetes-Hilfe (Hrsg.): Deutscher Gesundheits-
                                                            bericht Diabetes 2020. Kirchheim, Mainz, 2019:
   Quellen:                                                 153 – 156
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2. Cirkel M, Enste P: Selbstzweck oder Nutzenstif-
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   eu/files/forschung_aktuell_07_2019.pdf (Zugriff:
   13.11.2019)
3. Deutsche Diabetes Gesellschaft: S2k-Leitli-
   nie Dia­gnostik, Therapie und Verlaufskontrolle
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   AWMF-Registernummer: 057-017
4. Fraunhofer-Institut für Digitale Medientech-
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   fraunhofer.de/content/dam/idmt/documents/
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   13.11.2019)
5. Grammes J, Küstner E, Demattio S, Priesterroth L,
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   dürfnisse bezüglich der Insulinpumpentherapie im
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   many: an analysis of statutory health ­insurance
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   2016; 113: 177 – 182
9. Weiß C, Stubbe J, Naujoks C, Weide S: Digitali-
   sierung für mehr Optionen und Teilhabe im Alter.
   Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, 2017
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