Opioidrotation bei "mixed pain" in der Tumorschmerztherapie

 
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Wien Med Wochenschr
https://doi.org/10.1007/s10354-021-00889-9

Opioidrotation bei „mixed pain“ in der Tumorschmerzthera-
pie
Wie aus einer „chronischen Schmerzpatientin“ eine „Palliativpatientin“ wird –
ein Fallbericht

Magdalena Demuth

Eingegangen: 28. April 2021 / Angenommen: 2. September 2021
© Der/die Autor(en) 2021

Zusammenfassung Im vorliegenden Fallbericht wird              Opioid rotation in cancer related “mixed pain”
die Situation einer 67-jährigen chronischen Schmerz-          scenario
patientin geschildert, die aufgrund eines Zufallsbe-          How a “chronic pain patient” becomes a “palliative
fundes mit der Diagnose eines metastasierten klein-           patient”—a case report
zelligen Bronchialkarzinoms konfrontiert wird. Bisher
hatte sie mit einer chronischen Lumboischialgie zu            Summary This case report describes the situation of
kämpfen. Im Verlauf traten zunehmend therapiere-              a 67-year-old chronic pain patient who is confronted
sistente Tumorschmerzen in den Vordergrund. Es                with the diagnosis of metastatic small cell lung cancer
wird beschrieben, wie wichtig es ist, die veränder-           due to an incidental finding. Previously, she had been
te Schmerzqualität zu erkennen. Der Tumorschmerz              struggling with chronic lumboischialgia. As she pro-
mit neuropathischer Komponente beziehungsweise                gressed, treatment-resistant tumor pain became in-
„mixed pain“ erschwerte im vorliegenden Fallbeispiel          creasingly prominent. The importance of recognizing
eine zufriedenstellende Symptomkontrolle. Es erfolg-          the change in pain quality is described. The tumor
te ein Wechsel von transdermal appliziertem Fentanyl          pain with a neuropathic component or “mixed pain”
zu einem subkutanen Perfusorsystem mit Morphin                made symptom control difficult in the present case re-
und kurz darauf, aufgrund fehlender Schmerzkon-               port. A switch from transdermally applied fentanyl to
trolle, auf ein orales retardiertes Oxycodonpräparat.         a subcutaneous perfusor system with morphine was
Diese zweifache Opioidrotation wird im Folgenden              made and shortly thereafter, due to lack of pain con-
diskutiert. Aspekte wie Resistenzentwicklung, inkom-          trol, to an oral sustained-release oxycodone prepara-
plette Kreuztoleranz und genetische Polymorphismen            tion. This dual opioid rotation is discussed below.
werden mithilfe wissenschaftlicher Literaturrecherche         Aspects such as resistance development, incomplete
beleuchtet.                                                   cross-tolerance and genetic polymorphisms are high-
                                                              lighted with the help of scientific literature review.
Schlüsselwörter Neuropathischer Schmerz ·
Tumorschmerz · Gemischter Schmerz ·                           Keywords Neuropathic pain · Cancer pain · Mixed
Opioidrotation · Palliativmedizin · Oxycodon                  pain · Opioid switching · Palliative care · Oxycodon

                                                              Einleitung

                                                              Das Auftreten einer metastasierten Tumorerkrankung
                                                              verändert das Leben schlagartig. Mit der Diagnose-
                                                              stellung verändert sich häufig auch die Zuständigkeit
M. Demuth ()
Palliativeinrichtung, Krankenhaus der Elisabethinen Graz
                                                              der Behandlungsteams. Zuvor hat die Patientin die
GmbH, Elisabethinergasse 14, 8020 Graz, Österreich            Schmerzambulanz regelmäßig aufgrund ihrer chroni-
Paracelsus Medical University,
                                                              schen Wirbelsäulenbeschwerden aufgesucht. Es wur-
Strubergasse 21, 5020, Salzburg, Österreich                   de eine stationäre Aufnahme auf einer internistischen
demuthmagdalena@gmail.com;                                    Abteilung zur Behandlung der rezidivierend auftreten-
magdalena.demuth@stud.pmu.ac.at                               den Lumboischialgie erforderlich. Im weiteren Krank-

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heitsverlauf veränderte sich das Schmerzbild und es                Nach einem weitgehend beschwerdearmen Som-
traten zunehmend Tumorschmerzen im Bereich des                  mer kam die Patientin Ende September in die internis-
linken Hemithorax in den Vordergrund.                           tische Ambulanz aufgrund einer zunehmenden Lum-
   Bei Vorhandensein von therapieresistenten Schmer-            balgie links mit, vor allem nächtlichen, Schmerzen
zen ist es für das Behandlungsteam oft nicht leicht,            im Lendenwirbelbereich ohne Ausstrahlung. Weiters
die richtige Entscheidung zwischen Aufdosieren, Er-             gab sie Dyspnoe, produktiven Husten und Cephalea
gänzen oder Wechsel der Substanz zu treffen. In einer           an. Die computertomographische Abklärung des Ske-
(wiederholten) gezielten Schmerzanamnese, körper-               letts ergab hochgradig erosive Osteochondrosen in der
lichen Untersuchung und Diagnostik kann häufig                  Lendenwirbelsäule ohne Hinweis auf ossäre Metas-
die Lösung zu einer nachfolgenden, individualisier-             tasen. Die medikamentöse Therapie mit dem trans-
ten Therapieanpassung liegen. Leider blieben in der             dermalen Fentanyl Pflaster und der oralen Escitalo-
folgenden Falldarstellung nicht nur die Dosisstei-              pramgabe waren hinsichtlich der Dosierung unverän-
gerung von transdermalem Fentanyl, sondern auch                 dert geblieben. Sowohl Gabapentin als auch Prega-
die Rotation auf einen subkutanen Morphin-Perfusor              balin wurden in der Dokumentation hier nicht mehr
erfolglos. Es wird augenscheinlich, dass eine Schmerz-          erwähnt.
therapie nicht unbedingt besser wirksam sein muss,                 Es erfolgte die stationäre Aufnahme auf der inter-
je invasiver sie ist. Unter Berücksichtigung des Vor-           nistischen Station und am nächsten Tag die Konsul-
handenseins von neuropathischen Schmerzen bei                   tation des Palliativkonsiliararztes. Dieser führte ein
der Patientin, wurde mit dem neuerlichen Substanz-              Anamnesegespräch mit der Patientin und erörterte
wechsel auf Oxycodon in oraler Form eine optimale               die unterschiedlichen Möglichkeiten der Symptom-
Symptomkontrolle erreicht. In diesem Zusammen-                  kontrolle bei zunehmender Dyspnoe bis hin zur pal-
hang wird hier genauer auf die Begriffe „mixed pain“            liativen Sedierung. Weiters wurde die Steigerung des
sowie „neuropathischer Tumorschmerz“ und die Be-                Fentanyl-Pflasters von 37 auf 50 µg pro Stunde emp-
handlungsmöglichkeiten eingegangen.                             fohlen, sowie bei Auftreten von Schmerzspitzen oder
                                                                Atemnot zu einer bedarfsweisen Einnahme von 2,6 mg
Schilderung des Patientenbeispiels                              Hydromorphon bis zu sechsmal täglich geraten.
                                                                   Beim Folgebesuch drei Tage später berichtete die
Teil 1 – Die chronische Schmerzpatientin mit                    Patientin, dass sie die Steigerung des Fentanyl-Pflas-
malignem Zufallsbefund                                          ters weder als positiv noch als negativ erlebt hätte,
                                                                hingegen hätten die Paracetamol-Infusionen, die er-
Eine 67-jährige Patientin war aufgrund chronisch                gänzend verabreicht wurden, eine Schmerzlinderung
rezidivierender Lumboischialgien seit Jahren in der             gebracht. Nach einer Woche Aufenthalt konnten die
Schmerzambulanz in Behandlung. Eine vorbekannte                 Infusionen auf bedarfsweise Gaben von Paracetamol
Osteoporose mit Wirbelkörperfraktur, Infiltrationsbe-           500 mg Tabletten oder Metamizol Tropfen umgestellt
handlungen und mehrere Wirbelsäulenoperationen                  und die Patientin in die häusliche Pflege entlassen
fanden sich in der Langzeitanamnese. Die zu die-                werden.
sem Zeitpunkt etablierte Dauertherapie bestand aus
einem transdermalen Fentanyl Pflaster (37 µg pro                Teil 2 – Auftreten von Tumorschmerzen und
Stunde), sowie der oralen Gabe von 300 mg Gaba-                 Übernahme auf die Palliativstation
pentin abends, 25 mg Pregabalin zweimal täglich und
10 mg Escitalopram morgens.                                     Ein Monat später erfolgte die stationäre Wiederauf-
   Im Rahmen der Abklärung eines intrapulmona-                  nahme aufgrund einer Schmerzexazerbation und zu-
len Rundherdes wurde Anfang des Jahres 2018 ein                 nehmender Dyspnoe. Bei Aufnahme war die Patientin
kleinzelliges Bronchialkarzinom festgestellt. Bereits           selbstständig mobil, jedoch in deutlich geschwäch-
bei Diagnosestellung waren cerebrale Metastasen,                tem Allgemeinzustand. Sie gab starke Dauerschmer-
Lebermetastasen und eine Expansion in der linken                zen im linken Hemithorax, dem Bereich des Primär-
Nebenniere vorhanden.                                           tumors, an und in der Auskultation fiel ein fehlendes
   Zu diesem Zeitpunkt war die Patientin in gutem               Atemgeräusch links auf. Die medikamentöse Thera-
Allgemeinzustand und normalem Ernährungszustand                 pie war zu Hause wie folgt gesteigert worden: Fenta-
(Body-Mass-Index 24,5). Klinisch berichtete sie über            nyl transdermales Pflaster 75 µg pro Stunde. Die Be-
vermehrte Müdigkeit, gelegentlichen Schwindel und               darfstherapie hatte sie aufgrund der starken Schmer-
von rezidivierenden Stürzen, sowie dem Vorliegen ei-            zen ausgeschöpft: Hydromorphon 1,3 mg Kapseln be-
ner Harninkontinenz. Die Familienanamnese war po-               nötigte sie zusätzlich sechsmal täglich. Weiters nahm
sitiv hinsichtlich einer Bronchuskarzinomerkrankung             sie selbstständig jeweils viermal täglich Paracetamol
des Vaters sowie des Bruders. Das Risikoprofil ergab            500 mg Tabletten und 30 Tropfen Metamizol ein, auch
einen Nikotinabusus von vierzig pack years mit Ab-              wenn die zeitgleiche Einnahme dieser beiden zentral
stinenz seit dreizehn Jahren. Eine tumorspezifische             wirksamen Substanzen nicht vorgesehen war. Im Rah-
Therapie wurde seitens der Patientin wiederholt ab-             men des Aufenthaltes kam es zu einer zunehmenden
gelehnt.                                                        Kraftlosigkeit und Hypästhesie im Bereich der rechten

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oberen Extremität, sowie einer Schwäche des rechten        tientin nach Hause entlassen werden, wo sie durch
Beines. Diese beginnende maligne Hemiparese rechts         eine Freundin unterstützt, selbstständig versorgt war.
war aufgrund der größenprogredienten, frontoparie-            Häusliche Stürze mit Frakturen der Clavicula und
tal links lokalisierten, cerebralen Metastasierung auf-    des Schambeins waren Gründe für zwei weitere sta-
getreten.                                                  tionäre Aufenthalte im November, wobei dennoch die
    Die Umstellung der Schmerztherapie auf Paraceta-       laufende Schmerztherapie völlig unverändert blieb.
mol-Infusionen und bedarfsweise Morphin-Injektio-          Die Patientin wurde jeweils wieder in die häusliche
nen subkutan führte zu keiner Besserung. Es wurde          Umgebung entlassen. Ende November erfolgte die
daher, wie im eingeholten Palliativkonsil empfohlen,       Wiederaufnahme auf der Palliativstation aufgrund zu-
nach Entfernung des Fentanyl-Pflasters, ein Morphin-       nehmender Immobilität und Verwirrtheit. Drei Tage
Perfusor subkutan etabliert. Initial wurde, bei einer      später verstarb sie dann doch unerwartet plötzlich
errechneten Tagesäquivalenzdosis von 73 mg mit ei-         unter dem klinischen Verdacht des Vorliegens einer
ner kontinuierlichen Laufrate von 48 mg Morphin be-        Pulmonalembolie.
gonnen. Die Tagesäquivalenzdosis errechnete sich fol-
gendermaßen: 75 µg pro Stunde Fentanyl entsprechen         Fragestellung
180 mg oralem Morphin. Ergänzend wurde die regel-
mäßig eingenommen Bedarfsmedikation von sechs-             Welche medikamentösen Therapieoptionen können
mal täglich 1,3 mg Hydromorphon (= 39 mg Morphin           in Zusammenhang mit chronisch degenerativen Wir-
per os) addiert. Insgesamt 219 mg orales Morphin wer-      belsäulenbeschwerden und progredientem Tumor-
den durch drei dividiert und ergeben 73 mg Morphin         schmerz im palliativen Setting gefunden werden?
subkutan. Anschließend an die sehr gering gewähl-             Welche schmerztherapeutischen Limitationen kön-
te Startdosis erfolgte eine stufenweise Steigerung auf     nen für transdermal appliziertes Fentanyl und die
insgesamt 67,2 mg Tagesdosis Morphin subkutan. An-         subkutane kontinuierliche Morphinverabreichung be-
schließend wurde die Patientin auf die Palliativstation    nannt werden?
zur weiteren Symptomkontrolle übernommen.                     Welche pharmakologischen Faktoren sind bei
    Unter der laufenden Dosierung zeigte sich eine         Durchführung einer Opioidrotation zu beachten?
fehlende Schmerzlinderung. Vor allem bewegungs-
unabhängige Schmerzspitzen im Bereich des linken           Diskussion
Hemithorax waren belastend für sie. Die Patientin war
äußerst unzufrieden mit der eingeschränkten Mobi-          Einleitung
lität durch die Perfusorvorrichtung. Im Gespräch mit
der Patientin wurde nun die Rückumstellung auf             Im vorliegenden Fallbeispiel fällt auf, wie flexibel
ein orales Präparat und eine weitere Opioidrotation        das Behandlungsteam in Therapieentscheidungen
besprochen. 67 mg Morphin subkutan entsprechen,            bleiben muss, um eine zufriedenstellende Symptom-
mit drei multipliziert, 201 mg oralem Morphin. Ora-        kontrolle erreichen zu können. Die Situation der
les Morphin ist doppelt so schwach wie Oxycodon,           Patientin mit chronischen Wirbelsäulenbeschwerden
daher ergeben sich daraus 100 mg orales Oxycodon.          änderte sich durch Diagnosestellung des metasta-
Die errechnete Äquivalenzdosis wurde aufgrund der          sierten Bronchialkarzinoms schlagartig. Im Laufe der
Rotation um ein Drittel reduziert und es wurde mit         Patientenbetreuung zeigte sich, wie rasch sich die
Oxycodon 40 mg retard Tabletten zweimal täglich be-        Schmerzätiologie ändern kann und wie wichtig es aus
gonnen. Die Paracetamol-Infusionen wurden vorerst          schmerztherapeutischer Sicht ist, streng schrittweise
weitergeführt und Metamizol konnte auf 30 Trop-            und nach Indikation vorzugehen, um nicht Gefahr
fen abends reduziert werden. Zusätzlich wurde die          zu laufen, mit der Patientin einen falschen Behand-
Bedarfsmedikation mit Oxynorm 10 mg Tabletten ma-          lungspfad einzuschlagen. Hierbei kann ein Tool wie
ximal sechsmal täglich ergänzt. Als antiödematöse          die „SOP – Schmerztherapie bei Palliativpatienten“
Therapie hinsichtlich der symptomatischen cerebra-         von Viehrig M. et al. hilfreich sein [1].
len Metastasierung wurde einmal täglich morgens               Eine strenge Prüfung der Indikation beziehungs-
Dexamethason 20 mg intravenös verabreicht.                 weise eine klare Diagnosestellung muss der Entschei-
    In weiterer Folge war eine minimale Steigerung von     dung zur passenden Therapie vorausgehen, um ei-
Oxycodon auf 45 mg retard Tabletten zweimal täglich        ne Symptomlinderung zu erreichen. Ein schrittweises
notwendig, worunter eine optimale Schmerzkontrolle         Vorgehen ist dabei unerlässlich und sollte niemals die
erreicht und die Paracetamol-Infusionen sogar abge-        Schritte der Anamnese und der körperlichen Untersu-
setzt werden konnten. Die neurologische Symptoma-          chung überspringen. Selbst bei Vorliegen einer metas-
tik und Cephalgie besserten sich deutlich und Dexa-        tasierten Tumorerkrankung ist eine leitliniengerechte
methason konnte auf orale Verabreichung und mittels        Behandlung der gleichzeitig vorhandenen degenera-
stufenweiser Reduktion auf die kleinstmögliche Er-         tiven Veränderungen an der Wirbelsäule unerlässlich.
haltungsdosis von 6 mg Tabletten umgestellt werden.        Im Rahmen der Fallrecherche war auffällig, dass die
Nach diesem zweiwöchigen Aufenthalt konnte die Pa-         ausführlichste Dokumentation über den Schmerz in
                                                           den physiotherapeutischen Befunden zu finden war.

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Diese Ausführungen betrafen nicht nur die Schmerz-                 Auch eine Veränderung des Applikationsweges
lokalisation, die Schmerzausstrahlung und die Quali-            kann sinnvoll sein, denn transdermale Systeme sind
tät des Schmerzes, sondern berücksichtigten auch das            zur Behandlung einer Schmerzeskalation ungeeignet,
zeitliche Auftreten desselbigen und umfassten sogar             da es nur langsam zum Erreichen eines adäquaten
den Schmerz verstärkende oder lindernde Faktoren.               Wirkstoffspiegels kommt (frühestens 12–24 h nach
   In der Leitlinie für das Management akuter, subaku-          Applikation). Sie eignen sich daher streng genommen
ter, chronischer und rezidivierender unspezifischer             nur zur Behandlung eines stabilen Schmerzniveaus
Kreuzschmerzen 2018 [2] finden sich sehr genaue                 [9]. Beim Wechsel von einem Opioid-Pflaster zu ei-
Empfehlungen zur medikamentösen Schmerzthera-                   ner anderen Applikationsform ist außerdem die lange
pie, wobei zu erwähnen ist, dass zuvor alle nicht-              Halbwertszeit des Opioids nach Entfernung des Pflas-
medikamentösen Maßnahmen ausgeschöpft werden                    ters zu beachten [8]. Eine Kachexie, die aufgrund des
sollten. Eine Opiattherapie in Erwägung gezogen wer-            verminderten subkutanen Fettgewebes zur reduzier-
den, allerdings ist aufgrund der schlechten transder-           ten Wirkstoffaufnahme über die Haut führt, sollte
malen Dosierungsmöglichkeit eine orale Applikation              ebenfalls berücksichtigt werden [9].
vorzuziehen [2, S. 62 f].                                          Weitere Gründe für eine Opioidrotation können
                                                                bei Vorliegen einer fehlenden Schmerzlinderung trotz
Tumorschmerz und „mixed pain“                                   adäquater Dosissteigerung, das Auftreten von uner-
                                                                wünschten Wirkungen sein, wie beispielsweise Som-
Im zweiten Teil des Fallberichts kam es bei der Pati-           nolenz, therapieresistenter Übelkeit oder Obstipation
entin zu einer stationären Wiederaufnahme aufgrund              [8]. Allerdings können auch genetische Faktoren ei-
deutlicher Befundprogredienz und einer damit ver-               ne Rolle spielen, wenn eine schlechte analgetische
bundenen Schmerzeskalation im linken Hemithorax.                Wirksamkeit bei der Behandlung von tumorbeding-
Ein malignes Schmerzgeschehen war nun vorherr-                  ten Schmerzen mit Opioiden beobachtet wird [10,
schend, das in erster Linie als „mixed pain“ einge-             S. 15]. Genetische Polymorphismen sind weiters ein
ordnet werden muss. Durch die einwachsende und                  wichtiger patientenindividueller Faktor in Bezug auf
verdrängende Tumormasse entsteht eine Mischung                  Enzymsysteme. Für „poor Metabolizer“ und „ultra-
aus nozizeptivem und neuropathischem Schmerz [3,                rapid Metabolizer“ ergeben sich unterschiedliche In-
4, S. 617].                                                     teraktionspotentiale. Arzneimittelwechselwirkungen
   In den Neuerungen der WHO-Guidelines zum The-                kommen durch Induktion oder Inhibition des Cyto-
ma Tumorschmerz wird deutlich eine patientenorien-              chrom-P450-Enzymsystems in der Leber zustande.
tierte Strategie in den Fokus gestellt. Die Entscheidung        Beispielsweise ist Fentanyl Substrat von CYP3A4 und
zur passenden Opiattherapie soll nach individuellen             seine Wirksamkeit und Wirkdauer kann durch Enzy-
Bedürfnissen angepasst werden [5].                              minduktoren wie Carbamazepin, Phenytoin, Dexa-
   Die Anwendung von Stufe III-Opioiden wird bei ei-            methason, Johanniskraut oder Rifampicin vermindert
ner hohen Schmerzintensität in den S3-Leitlinien für            werden [11, S. 51].
Palliativmedizin empfohlen [6]. Morphin, Hydromor-                 Für den Wechsel von einem Opioid zu einem an-
phon und Oxycodon sind dabei Präparate der ersten               deren werden sogenannte Äquipotenztabellen für die
Wahl [6, S. 166 f]. In einer Studie von Corli et al. wur-       Umrechnung der Dosierung herangezogen, die haupt-
den orales Morphin, orales Hydromorphon, transder-              sächlich auf Erfahrungswerten beruhen [8]. Ein Bei-
males Buprenorphin und Fentanyl miteinander vergli-             spiel hierfür findet sich in Abb. 1.
chen [7]. Bei annähernd gleicher Wirksamkeit, in Be-               Bei Wechsel aufgrund nicht ausreichender Schmerz-
zug auf die Abnahme der Schmerzintensität, musste               linderung kann die äquipotente Dosis verwendet wer-
das transdermale Fentanyl häufiger gesteigert werden            den. Bei einer notwendigen Opioidrotation aufgrund
[7].                                                            von Nebenwirkungen, muss die errechnete äquipo-
                                                                tente Dosierung um ein Drittel reduziert werden, um
Opioidrotation von transdermaler Fentanyl-                      zur Anfangsdosis des neuen Opioids zu gelangen.
Applikation zur subkutanen kontinuierlichen                     Anschließend erfolgt die stufenweise Titration bis zur
Morphinverabreichung                                            ausreichenden Symptomlinderung [6, S. 176]. Dies
                                                                gilt vor allem bei Verdacht auf eine partielle Opioidre-
Die Sinnhaftigkeit des Wechsels von Fentanyl auf ein            sistenzentwicklung und bei der Umstellung von einer
anderes starkes Opioid lässt sich pharmakologisch mit           transdermalen auf eine andere Applikationsform auf-
dem Phänomen der „inkompletten Kreuztoleranz“ be-               grund der langen Halbwertszeit des Opioids nach
gründen [8]. Das bedeutet, dass die Wirkweise der               Pflasterentfernung [9]. Beim Wechsel von einer oralen
einzelnen Opioide, vermutlich genetisch bedingt, sehr           zu einer subkutanen Applikationsform von Morphin
unterschiedlich sein kann. Deshalb kann die Rotation            ist die Dosierung auf ein Drittel bis zur Hälfte zu
innerhalb der Substanzgruppe zu einer verbesserten              reduzieren [6]. Die subkutane kontinuierliche Verab-
Wirkung oder zu einer Reduktion der Nebenwirkun-                reichung von Morphin ist eine mögliche invasive Dar-
gen bei äquipotenter Dosierung führen.                          reichungsform, ebenso wie die Verabreichung über
                                                                Porth-a-Cath-Systeme oder PICCs (Peripherally Inser-

  Opioidrotation bei „mixed pain“ in der Tumorschmerztherapie                                                 K
themenschwerpunkt

Abb. 1     Relatives anal-
getisches Verhältnis für
                                   Tapentadol                    Buprenorphin TTS                       Tramadol
den Opioid-Wechsel. (Quel-
le: http://paincourse.com/
upload/pdf-b-14/sittl-tu-                              2,5:1           100:1             1:5
mor-2014.pdf [12, S. 13])
                                  Oxycodon            1:2             Morphin          100:1          Fentanyl TTS

                                                                       7,5:1            3:1
                                                                                                      Morphin i.v.
                                                                  Hydromorphon
                                                                                                          5:1
                              „Sittl-Grießinger-Kreuz“
                              TTS = transdermales therapeutisches System                           Hydromorphon i.v.

ted Central Venous Catheter). Sie finden Anwendung              Bei schlechtem Ansprechen auf Opioide sollte in
bei Vorliegen von therapieresistenten Schmerzen und          der Behandlung von Tumorschmerzen mit neuro-
schlechtem Allgemeinzustand. Die Titration bei der           pathischem Charakter die Ergänzung von adjuvan-
subkutanen Anwendung kann, ähnlich wie bei der               ten Analgetika erwogen werden, auch wenn in der
parenteralen Gabe, zügig erfolgen. Ein weiterer Vor-         Kombination häufiger unerwünschte Wirkungen wie
teil der kontinuierlichen subkutanen Gabe ist die gute       Müdigkeit und Schwindel auftreten [6, S. 190].
Steuerbarkeit der Dosierung. Ein Nachteil dieser Art            Die hinzugekommene Hypästhesie der rechten
der Schmerzmittelzufuhr ist die notwendige subku-            Körperhälfte mit beginnender Hemiparese rechts
tane Leitung mit dem angehängten Perfusorsystem,             ist als Minussymptomatik eines neuropathischen
was im Speziellen bei starker motorischer Unruhe             Schmerzes zu bewerten [6, S. 162]. Die neurologische
hinderlich sein kann.                                        Symptomatik aufgrund der progredienten intrakrani-
                                                             ellen Metastasierung konnte mithilfe der antiödema-
Wechsel von subkutaner kontinuierlicher                      tösen Wirkung von Dexamethason verbessert werden
Morphinverabreichung zu Oxycodon retard Tabletten            [14]. Die entzündungshemmende Eigenschaft von
                                                             Cortison wirkte sich schmerzmodulierend aus und
Die Kehrtwende im beschriebenen Fallbeispiel stellt          so konnte schließlich eine deutlich vereinfachte und
die zweite Rotation innerhalb der Gruppe der star-           zufriedenstellende Schmerztherapie für die Patientin
ken Opioide und gleichzeitig der erneute Wechsel der         gefunden werden.
Applikationsform zurück auf eine orale Verabreichung
dar. Erwähnenswert ist der Umstand, dass zum Zeit-           Conclusio
punkt der neuerlichen Opioidrotation die äquivalen-
te Tagesdosis des subkutanen Morphins im Vergleich           Das Vorliegen von therapieresistenten Schmerzen ist
zum transdermalen Fentanyl noch gar nicht erreicht           für die Betroffenen äußerst qualvoll und stellt auch
worden ist. Abgesehen von dieser Tatsache lagen auch         die behandelnden Personen vor große Herausforde-
keine Gründe für eine parenterale Schmerzmittelgabe          rungen. In solchen Situationen ist es unabdingbar die
vor, denn die Patientin litt weder unter unstillbarem        Anamneseerhebung zur vertiefen oder sogar neu aus-
Erbrechen oder einer Schluckstörung, noch bestand            zurollen, sowie die laufende Therapie kritisch zu hin-
eine massive allgemeine Schwäche, die diesen Verab-          terfragen. Ganz besonderes Augenmerk sollte auf die
reichungsweg erfordern würde [6, S. 173]. Aufgrund           Erhebung der Schmerzentität, insbesondere dem Vor-
des Leidensdrucks und der unzureichenden Schmerz-            handensein einer neuropathischen Komponente, ge-
kontrolle unter dem kontinuierlich subkutan verab-           legt werden, um den korrekten Behandlungspfad ein-
reichten Morphin, wurde diese erneute Umstellung             schlagen zu können. Eine Opioidrotation bei thera-
im beschriebenen Fall vollzogen. Bei Vorliegen einer         pieresistenten Tumorschmerzen kann mit der nötigen
neuropathischen Schmerzkomponente wird aus der               Erfahrung und einer Kombination aus palliativmedi-
Gruppe der niedrigpotenten Opioide Tramadol und              zinischem und schmerztherapeutischem Wissen sehr
bei den starken Opioiden Buprenorphin und Oxyco-             erfolgreich sein. Erstaunlich ist, wie niedrig die ausrei-
don eine verbesserte Wirksamkeit zugeschrieben [10,          chende Dosierung, nach dem Wechsel zur passenden
S. 16, 13, S. 75]. Das Vorhandensein des „mixed pain“        Substanz, sein kann, was den Vorteil geringerer Ne-
und der Patientenwunsch nach einer oralen Applika-           benwirkungen mit sich bringt.
tionsform lieferten in diesem Fall die Entscheidungs-
                                                             Funding Open access funding provided by Paracelsus Medical
grundlage für die Umstellung auf eine orale retardier-       University.
te Verabreichung von Oxycodon mit entsprechender
Bedarfsmedikation.

K                                                           Opioidrotation bei „mixed pain“ in der Tumorschmerztherapie
themenschwerpunkt

Interessenkonflikt M. Demuth gibt an, dass kein Interessen-        5. World Health Organisation. WHO Guidelines for the phar-
konflikt besteht.                                                     macological and radiotherapeutic management of cancer
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ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons                 Patienten mit einer nicht-heilbaren Krebserkrankung,
Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen                Langersion 2.2. 2020.
wurden.                                                            7. Corli O, Floriani I, Roberto A, etal. Arestrong opioids equally
                                                                      effective and safe in the treatment of chronic cancer pain? A
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Dritt-         multicenterrandomizedphaseIV‘reallife’trialonthevaria-
material unterliegen ebenfalls der genannten Creative Com-            bilityof response to opioids. Ann Oncol. 2016;27:1107–15.
mons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts          8. Caraceni A, et al. Use of opioid analgesics in the treatment
anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter           of cancer pain: evidence-based recommendations from the
der genannten Creative Commons Lizenz steht und die be-               EAPC. Lancet Oncol. 2012;13(2):e58–e68.
treffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften er-        9. Schlunk T. Schmerztherapie bei Tumorpatienten – In-
laubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen           formation und Empfehlungen für das betreuende Team.
des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers          Schriftenreihe „Therapieempfehlungen“ des Südwest-
einzuholen.                                                           deutschen Tumorzentrums – Comprehensive Cancer
                                                                      Center Tübingen. 2016.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenz-        10. Weilgun V. Update Tumorschmerz – Round Table, teilneh-
information auf http://creativecommons.org/licenses/by/4.             mende ExpertInnen Dr. Martina Kronberger-Vollnhofer,
0/deed.de.                                                            MSc, Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, Assoc. Prof. PD
                                                                      Dr. Eva Katharina Masel, MSc, OÄ Dr. Waltraud Stromer.
                                                                      Schmerz Nachr. 2020;4:12–20.
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  Opioidrotation bei „mixed pain“ in der Tumorschmerztherapie                                                             K
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