Diskussionsforum Raumentwicklung - MORO Informationen . Nr. 14/6 . 2019 Gleichwertige Lebensverhältnisse - Grundlage für Heimatstrategien ...
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MORO Informationen . Nr. 14/6 . 2019 Diskussionsforum Raumentwicklung Gleichwertige Lebensverhältnisse – Grundlage für Heimatstrategien Ein MORO-Forschungsfeld 1
MORO Informationen . Nr. 14/6 . 2019 Diskussionsforum Raumentwicklung Gleichwertige Lebensverhältnisse – Grundlage für Heimatstrategien Ein MORO-Forschungsfeld
Vorwort Das Ziel der Raumordnung ist es, in ganz Deutsch- mehr (nur) um die Unterschiede der Lebensverhält- land gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen. nisse in Stadt und Land; sowohl im ländlichen Raum Diese Leitvorstellung ist in Paragraf 1 des Raumord- als auch in den Städten liegen prosperierende und nungsgesetzes allen weiteren Regelungen des Geset- hinter den Durchschnitt fallende Regionen oft nah zes vorangestellt. Die oft zitierte Verankerung dieses beieinander. Ziels im Grundgesetz der Bundesrepublik dagegen ist nur implizit, nämlich als Begründung für ein gesetz- Die Regierung hat sich in dieser Legislaturperiode geberisches Einschreiten des Bundes in Konkurrenz deshalb vorgenommen, das Land neu zu vermes- zu den ansonsten zuständigen Ländern. Übrigens sen, ein „großes Blutbild“ zu erstellen, und dafür war im Grundgesetz von 1949 im entsprechenden eine Kommission Gleichwertige Lebensverhältnisse Artikel 72 noch von „Einheitlichkeit“ der Lebensver- eingesetzt. Hier sind alle Länder und die kommuna- hältnisse „über das Gebiet eines Landes hinaus“ die len Spitzenverbände vertreten. Sechs Arbeitsgruppen Rede. Im heutigen Artikel 72 erlaubt dagegen die Ge- arbeiten an Themenschwerpunkten. Die Arbeitsgrup- fährdung der „Herstellung gleichwertiger Lebensver- pe 3 befasst sich mit dem Beitrag der Raumordnung. hältnisse“ ein gesetzliches Einschreiten des Bundes. Aus diesem Anlass haben wir den Kreis der Disku- tanten erweitert und das Thema Gleichwertigkeit Einheitlich oder gleichwertig – im Kern geht es im der Lebensverhältnisse für das Diskussionsforum Grundgesetz darum, dass der Bund sicherstellt, dass Raumentwicklung gesetzt. kein Land Regelungen zu Lasten anderer Länder trifft, damit die Unterschiede der Lebensbedingun- Das Ergebnis des Diskussionsforums am 22.11.2018 gen in den Ländern nicht das Gesamtgefüge – den liegt nun vor – ich wünsche eine interessante Lektü- sozialen Frieden – der Bundesrepublik gefährden. re. Da sich die Lebensbedingungen beständig ändern und Kräften und Einwirkungen unterworfen sind, die weder planbar noch gesetzlich abschließend regelbar Vera Moosmayer sind, ist die Schaffung gleichwertiger Lebensverhält- nisse eine Daueraufgabe. Es geht um ein beständiges Leiterin der Unterabteilung Raumordnung, Regio- Feinjustieren, um bei wechselnden Winden den Kurs nalpolitik und Landesplanung im Bundesministerium zu halten. Dabei spielen sehr viele Faktoren mit. des Innern, für Bau und Heimat Technische Weiterentwicklungen beeinflussen die Lebensbedingungen in den Regionen ebenso wie politische Veränderungen, wirtschaftliche Entwick- lungen und Veränderungen der Umwelt. Beispiele sind Internet, Mobilfunk, Klimawandel, Energiever- sorgung, Mobilität, die deutsche und europäische Einheit mit ihrer Binnenfreiheit. Heute sind wir an einem Punkt, an dem die Unter- schiede der Lebensbedingungen in den verschiede- nen Regionen wieder stärker in den Fokus rücken und debattiert werden – nicht nur in Deutschland, in ganz Europa und darüber hinaus. Wie viel Unter- schiedlichkeit wollen und können wir uns als Gesell- schaft leisten, wann sind die Menschen „abgehängt“, nur weil sie hier und nicht dort leben? Es geht nicht 4
Inhalt Vorwort.................................................................................................................................................................................. 4 Gleichwertige Lebensverhältnisse – Grundlage für Heimatstrategien................................................................... 6 Thesen zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse................................................................................................. 9 Strategien zur Entwicklung ländlicher Räume aus der Sicht der Region Oberfranken....................................14 Erste Diskussionsrunde....................................................................................................................................................16 Gibt es in Deutschland abgehängte Regionen?..........................................................................................................18 Strategischer Rückzug aus peripheren Ortsteilen mit hohem Leerstand............................................................22 Zweite Diskussionsrunde.................................................................................................................................................31 Stadt und Region 2035 – Wie wir leben, wohnen und arbeiten.............................................................................32 Wie können aus kleinen Gemeinden im ländlichen Raum Zukunftsorte werden?............................................34 Digitale Transformation – zur Zukunft der Arbeits- und Unternehmenswelt....................................................37 Dritte Diskussionsrunde...................................................................................................................................................40 Fazit und Empfehlungen..................................................................................................................................................41 Kontakt.................................................................................................................................................................................46 Impressum..........................................................................................................................................................................47 5
Gleichwertige Lebens- verhältnisse - Grundlage für Heimatstrategien Marco Wanderwitz Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat Sehr geehrte Damen und Herren, herzlich begrüße ich Sie zum Diskussionsforum Deshalb werden wir gerade diese Regionen im Schul- Raumentwicklung des Bundesministeriums des terschluss mit den Ländern und Kommunen stärker Innern, für Bau und Heimat auf der geschichtsträch- unterstützen. Jede Region hat Stärken und Potenzia- tigen Halbinsel Schwanenwerder. Dies ist die sechste le, die aktiviert werden können. Das heißt nicht, dass Veranstaltung dieser Reihe, jedoch die erste, die in jede kleine ländliche Gemeinde jetzt Klein-München der Regie des BMI stattfindet. Wenn ich die The- oder Klein-Hamburg werden soll. Im Gegenteil: men der bisherigen Veranstaltungen betrachte, sind wir wollen die Identitäten der Regionen erhalten wichtige aktuelle Fragen und ihre Zusammenhänge und stärken, wir wollen die Eigenheiten feiern, wir mit der Raumentwicklung behandelt worden – von wollen die Lebensleistung der Menschen würdigen der Energiewende über Migration und Leitbilder bis und Wahlmöglichkeiten lassen, wie sie leben wollen. zur digitalen Infrastruktur. Es ist gelungen, das Dis- Und wo – auf dem Land, in der Kleinstadt oder in der kussionsforum als ein Markenzeichen der Raument- Großstadt! wicklung zu etablieren. Die Bundesregierung setzt in dieser Legislatur neue Akzente – auch für die Rau- Die Lebensverhältnisse sollen auch nicht gleich sein. mentwicklung. Der Aufgabenbereich ist nun Teil der Aber gleichwertig! neuen Abteilung Heimat des BMI. Übergeordnetes Thema der Heimatstrategie sind die gleichwertigen Dazu soll auch die am 18. Juli eingesetzte Kommissi- Lebensverhältnisse in allen Teilräumen Deutschlands on „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ beitragen. Sie – einem Leitsatz auch der Raumentwicklung. Darü- hat im September ihre Arbeit aufgenommen, um bis ber wollen wir heute diskutieren. Sommer nächsten Jahres Handlungsempfehlungen vorzulegen. Das ist ein sehr ambitionierter Zeitplan. Unser Ziel ist es, Ungleichheiten in den Lebensver- Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Hei- hältnissen der Menschen in den verschiedenen Regi- mat hat den Vorsitz inne, das Bundesministerium für onen Deutschlands abzubauen und das Lebensgefühl Ernährung und Landwirtschaft und das Bundesmi- spürbar zu verbessern. Viele Menschen, die Regionen nisterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend abseits der florierenden Schwarmstädte München, die Co-Vorsitze. Außerdem sind in der Kommission Berlin, Hamburg oder Leipzig ihre Heimat nennen, die weiteren Bundesressorts einschließlich der Be- fühlen sich zunehmend von Berlin nicht wahrgenom- auftragten der Bundesregierung für Kultur und Me- men. Weiterhin ziehen viele Menschen aus ländli- dien sowie für Migration, Flüchtlinge und Integration chen Regionen in die Großstädte und Ballungsräume. und des Beauftragten der Bundesregierung für die Je weniger Menschen in einer Region aber leben und neuen Länder vertreten. Mitglieder der Kommission arbeiten, desto schwieriger wird es für diese Region, sind zudem alle Länder und die drei kommunalen wieder attraktiver zu werden und den Trend umzu- Spitzenverbände. Die Kommission hat sechs Arbeits- kehren. gruppen unter dem Vorsitz je eines Bundesressorts eingesetzt: 6 MORO Informationen • Nr. 14/6 • 2019
• AG 1: „Kommunale Altschulden“ unter Vorsitz Wahlkreis. Hier grenzen zwischen Chemnitz und des Bundesministeriums der Finanzen, dem Erzgebirge viele kleinere und größere Gemein- • AG 2: „Wirtschaft und Innovation“ unter Vorsitz den aneinander, die man nicht alle „ländlich“ nennen des Bundesministeriums für Wirtschaft und würde. Er gilt laut Landesentwicklungsplan Sach- Energie, sen deshalb auch richtig als verdichteter ländlicher • AG 3: „Raumordnung und Statistik“ unter Vorsitz Raum – das zeigt, dass es „den“ ländlichen Raum des Bundesministeriums des Innern, für Bau und nicht gibt: die ländlichen Räume sind mindestens Heimat so unterschiedlich wie die Städte. Ländliche Räume • AG 4: „Technische Infrastruktur“ unter Vorsitz kann man deshalb nicht über einen Kamm scheren. des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Es genügt ein Blick auf meinen eigenen Wahlkreis Infrastruktur, Chemnitzer Umland / Erzgebirgskreis II, der völlig • AG 5: „Soziale Daseinsvorsorge und Arbeit“ unter anders strukturiert ist als z. B. ländliche Räume im Vorsitz des Bundesministeriums für Arbeit und dünn besiedelten Mecklenburg-Vorpommern oder Soziales, solchen im Süden Deutschlands. • AG 6: „Teilhabe und Zusammenhalt der Gesell- schaft“ unter Vorsitz des Bundesministeriums für Wenn wir den ländlichen Raum stärken wollen, Familie, Senioren, Frauen und Jugend. müssen wir vor allem die kleinen Städte im ländli- chen Raum stärken – es gibt 2012 Kleinstädte mit Die Arbeitsgruppen arbeiten bereits und werden der Einwohnern zwischen 5.000 und 20.000. Diese sind Kommission bis Anfang Mai 2019 ihre Berichte vor- die Ankerpunkte ihrer Region, sie stellen die Versor- legen. Der Bericht der Kommission soll dann bis Juli gung sicher. 2019 vorgelegt werden. Es genügt aber nicht, Papiere zu liefern; es geht uns um konkrete Maßnahmen, die Wenn wir von Gleichwertigkeit reden, meinen wir: wir zügig umsetzen – die ersten sollen noch in dieser Jede und jeder soll Zugang zu Bildung, Gesundheits- Legislaturperiode umgesetzt werden. versorgung, Arbeit, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben haben können, egal wo und wie sie oder er Ein Fokus in der Diskussion um Gleichwertigkeit der wohnt. Wir müssen den Druck aus den wachsenden Lebensverhältnisse ist die Stärkung ländlicher Regio- Ballungsräumen nehmen und dazu den Wegzug aus nen. Ich komme selbst aus einem ländlich geprägten den ländlichen Regionen stoppen. Dazu müssen Abbildung 1: Marco Wanderwitz (Foto: a.k.m. GmbH & Co. KG) Gleichwertige Lebensverhältnisse – Grundlagen für Heimatstrategien 7
wir auch die Attraktivität der ländlichen Regionen Die Förderprogramme sind im Allgemeinen für die verbessern. Der Ausbau der Infrastruktur ist hierbei kleineren Gemeinden wichtiger als für Großstäd- zentral: die Erreichbarkeit einer Region, die Mobilität te, die eher aus eigener Kraft handeln können. Die in der Region – Stichwort ÖPNV! – muss verbessert Programme der Städtebauförderung tragen viel zur werden. Daneben sind der flächendeckende An- Gleichwertigkeit bei – auch wenn der Name es nicht schluss an Mobilfunk und Internet heute Schlüssel- unbedingt nahe legt, profitiert gerade auch der länd- faktoren für die Entwicklung. liche Raum von der Förderung. Fast die Hälfte der Bundesmittel – und das sind 2018 immerhin 790 Mil- Ich baue auf die Kraft des Faktischen. Ich bin sicher, lionen € – fließt in Städte und Gemeinden in ländli- dass nicht alle Menschen in die Großstadt ziehen, chen Regionen. Mit dem Programm „Kleine Städte weil sie die Großstadt ihrer Heimat per se vorziehen, und Gemeinden“ stellt der Bund ein gezielt auf den sondern weil sie dort ein besseres Paket der Le- ländlichen Raum zugeschnittenes Paket bereit, aber bensbedingungen vorfinden. Wenn die Attraktivität auch das Programm Stadtumbau trägt zur Stärkung in ihrem Heimatort besser ist, ziehen sie auch ganz von Klein- und Mittelstädten bei. Die Sanierung der schnell wieder zurück. Ortskerne hilft, den Leerstand zu reduzieren und so den Ort attraktiver zu machen. Das trägt zur positi- Zur Stärkung der ländlichen Regionen gehört auch ven Entwicklung der gesamten Region bei. ein neues Nachdenken über Standorte von Behör- den und Unternehmen. Wenn ich mir die Behörden Heute werden auch die Ergebnisse des kürzlich des BMI auf einer Karte ansehe, sehe ich, dass diese abgeschlossenen Modellvorhabens „Planspiel Aktive vorrangig in Großstädten angesiedelt sind. Hier muss Anpassung peripherer Siedlungsstrukturen“ vorge- der Bund mehr tun – wir müssen uns ansehen, was stellt. Es geht um das Thema Schrumpfung, denn passt, vielleicht auch in eine Kleinstadt? Auch die auch das gibt es, neben den Wachstumstendenzen. Länder müssen hier tätig werden – Bayern hat eine Das Thema ist aus der kommunalen Praxis an uns Dezentralisierungsstrategie, auch Hessen tut hier herangetragen worden. Im Planspiel wird anhand bereits einiges. fiktiver, aber realitätsnaher Beispiele untersucht, wie eine kleine Gemeinde einen Teilort zurückbauen Wir wollen die Gemeinden stärken und wieder in die kann, wenn dies nötig wird und andere Möglichkei- Lage versetzen, selbst ihre Entwicklung zu gestalten. ten fehlen. Der Umgang mit Schrumpfungsprozessen Es geht dabei natürlich auch um eine angemesse- ist nie populär, zumindest nicht am Anfang. Ich darf ne finanzielle Ausstattung der Kommunen. Durch an die Anfänge des Programms „Stadtumbau Ost“ die Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen erinnern, das anfangs als Abrissprogramm missver- stehen den Ländern ab 2020 deutlich mehr Mittel standen wurde – Es beruhte immer auf einer Dop- zur Verfügung. Es gibt frisches Geld des Bundes in pelstrategie aus Rückbau und Aufwertung und war Höhe von etwa 10 Milliarden Euro für die Länder. Wir ein beachtlicher Erfolg, weit über die Stabilisierung müssen dafür sorgen, dass diese auch bei den Kom- der Wohnungsmärkte hinaus. munen ankommen. Aus den starken Regionen höre ich schon: am besten ist es, ihr lasst uns in Ruhe. Sie sehen: Wir haben bereits ein Bündel von Instru- Andere benötigen unsere Unterstützung. Denn die menten für die Schaffung gleichwertiger Lebensver- Länderpolitik heißt oft: Zuweisungen nach Einwoh- hältnisse und entwickeln es beständig weiter. Wir nerzahl. Je größer die Gemeinde, umso besser also werden die Ergebnisse der Gleichwertigkeits-Kom- die finanzielle Ausstattung – diese Pauschalzuwei- mission zügig in die Tat umsetzen, damit wir dem sungen bevorzugen große Gemeinden und können Ziel näher kommen: Gleichwertigkeit der Lebensver- kleine Gemeinden schwächen und die Abwanderung hältnisse in allen Teilräumen Deutschlands. aus dem ländlichen Raum sogar noch verstärken. Sachsen hat bereits erste Schritte unternommen, Ich wünsche der Konferenz einen erfolgreichen um hier gegenzusteuern. Die Fachförderprogramme Verlauf! sind zwar mühsamer in der Abwicklung, helfen den kleinen Gemeinden aber oft mehr. 8 MORO Informationen • Nr. 14/6 • 2019
Thesen zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse Univ.-Prof. Dr. Gabi Troeger-Weiß Lehrstuhl Regionalentwicklung und Raumordnung der TU Kaiserslautern Präambel Thesen zur Schaffung und Sicherung gleich- Die Schaffung und der Erhalt gleichwertiger Lebens- wertiger Lebensverhältnisse verhältnisse in allen Landesteilen ist eine gesell- schaftliche Aufgabe, die nicht zur Disposition steht. These 1: Die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen von Gleichwertige Lebensverhältnisse sind ein aktuelles Räumen bedeutet vergleichbare Startchancen, Handlungsfeld von Staat und Kommunen und kon- vergleichbare Entwicklungsmöglichkeiten, Zugang kretisieren sich insbesondere über den physischen und Erreichbarkeit zu öffentlichen und privaten und funktionalen Zugang zu Einrichtungen und Einrichtungen der Daseinsvorsorge, jedoch auch ein Dienstleistungen der Daseinsvorsorge in differen- vergleichbarer Zugang zu Fördermöglichkeiten auf ziert strukturierten ländlichen Räumen. der Ebene der EU, des Bundes und der Länder und damit vergleichbare Möglichkeiten zur Gestaltung Das „ob“ der Gleichwertigkeit steht nicht zur Dispo- des demographischen, sozialen und wirtschaftlichen sition. Allerdings erscheint eine Diskussion über die Strukturwandels. Ferner bedeutet Gleichwertigkeit inhaltliche, funktionale und distanzielle Ausgestal- der Lebensverhältnisse vergleichbare Lebensqualitä- tung erforderlich. Die Verantwortbarkeit und Leis- ten, vergleichbare Qualifikationschancen für Arbeit- tungsfähigkeit staatlicher, kommunaler, privater nehmerinnen und Arbeitnehmer und vergleichbare und zivilgesellschaftlicher Träger ist dabei gerade im (technologische) Innovationsmöglichkeiten für Bereich der Daseinsvorsorge ein wichtiger Maßstab. Unternehmen. Damit verbunden ist die Frage, auf welche Weise Dem Diskussionsforum Raumentwicklung zum The- gleichwertige, flächendeckende Versorgung zu an- ma „Gleichwertige Lebensverhältnisse – Grundlage gemessenen Preisen sichergestellt werden kann? für Heimatstrategien“ liegen folgende Thesen zu- Die Sicherung von Einrichtungen und Dienstleistun- grunde, die Impuls und Basis für eine weiterführende gen der Daseinsvorsorge bestimmt wesentlich die Diskussion sein sollen: Bleibeoptionen von Bevölkerung und Unternehmen Abbildung 2: Diskussionsforum Raumentwicklung (Foto: a.k.m. GmbH & Co. KG) Gleichwertige Lebensverhältnisse – Grundlagen für Heimatstrategien 9
und damit die Zukunftsfähigkeit ländlicher Räume. These 3: Geprüft werden müssen dabei allerdings auch der Innovative Organisationsformen im Bereich der Anspruch auf Verteilungsgerechtigkeit sowie die Daseinsvorsorge können einen Beitrag zur Gleich- Stärkung der Flexibilität bei der Leistungserbringung wertigkeit in ländlichen Räumen leisten. und bei Standards. Innovativen organisatorischen Lösungen kommt eine These 2: zentrale Bedeutung bei der Sicherung der Daseins- Rahmenbedingungen, Voraussetzungen, Herausfor- vorsorge zu. Es bedarf einer verstärkten Umsetzung derungen und Handlungsbedarfe sind in ländlichen von Modell- und Pilotprojekten. Auf kommunaler Räumen in Deutschland sehr unterschiedlich, was und regionaler Ebene ist ein Denken in funktionaler eine individualisierende Betrachtung erfordert. Daseinsvorsorge und interkommunalen sowie regio- nalen Kooperationen erforderlich (z. B. Bündelungs- Den ländlichen Raum gibt es in Deutschland nicht. und Paketlösungen bei der Bildungsinfrastruktur Vielmehr sind die ländlichen Räume von sehr un- – Schulen, bei medizinischer Infrastruktur – Kran- terschiedlichen demographischen, sozialen, sied- kenhäuser oder bei technischer Infrastruktur – Bau- lungsstrukturellen und wirtschaftlichen Rahmen- höfe u. a.). Dabei ist vor allem auch die Übertragung bedingungen und Herausforderungen geprägt. Die von Best Practices aus dem europäischen Ausland agrarisch geprägten ländlichen Räume weisen andere auf ländliche Räume in Deutschland zu erproben. Handlungsbedarfe auf wie etwa touristisch geprägte ländliche Räume, periphere ländliche Räume, ländli- These 4: che Räume im Umfeld von Verdichtungsräumen oder Zur Sicherung der Gleichwertigkeit der Lebens- ländliche Räume mit einer hohen wirtschaftlichen verhältnisse sind die derzeit laufenden Tendenzen Dynamik, um nur einige Beispiele zu nennen. Die einer Privatisierung von einzelnen Bereichen der verschiedenen Raumtypen haben sehr unterschied- Daseinsvorsorge zu prüfen. liche Handlungserfordernisse. Unabhängig von der unterschiedlichen materiellen und strukturellen Aus- In einigen Bereichen der Daseinsvorsorge ist und war gangssituation lassen sich Handlungserfordernisse der Trend zu Privatisierungen zu beobachten (insbe- definieren, die für alle Raumtypen zutreffen. sondere im Bereich der Kommunikation – Telekom- munikation, Postdienstleistungen, jedoch auch im • Integrierte Sichtweisen und Handlungsansätze. Bereich der medizinischen Versorgung in Gestalt der • Integrative Projekte und Projektmanagement. Übernahme von Krankenhäusern durch Konzerne). • Schwerpunktsetzung auf territorial-räumliche Die Privatisierung von Einrichtungen und Dienst- Handlungsansätze und Verringerung rein sekto- leistungen zieht in der Regel aufgrund von Kosten- raler Ansätze. Nutzen-Erwägungen eine räumliche Zentralisierung • Verstärkte Einbeziehung von Best Practices und nach sich. Für die Entwicklung ländlicher Räume damit Diffusion von Positivbeispielen. kommt der staatlichen und kommunalen Für- und • Schwerpunktsetzung auf Dauerhaftigkeit und Vorsorge besondere Bedeutung zu, insbesondere Langfristigkeit von Handlungsansätzen. in den Bereichen medizinische Versorgung, Tele- • Nutzung der emotionalen Bindung sowie der kommunikation, Postdienstleistungen, technische Heimatidentitäten von Entscheidungsträgern Infrastruktur (Ver- und Entsorgungsinfrastruktur, z. und Bevölkerung in ländlichen Räumen. B. Wasser, Energie, Abfall) und Bildung; andernfalls • Verzicht auf technokratischen Instrumentenein- kann bei Bevölkerungsgruppen der Eindruck der Pe- satz. ripherisierung (umgangssprachlich des „Abgehängt- Seins“) entstehen. 10 MORO Informationen • Nr. 14/6 • 2019
Abbildung 3: Gabi Troeger-Weiß (Foto: a.k.m. GmbH & Co. KG) These 5: Verfügbarkeit von Flächen für eigengenutzte Immo- Die Digitalisierung ländlicher Räume stellt eine bilien) in ländlichen Räumen nutzen und (Wochen-) wesentliche Voraussetzung für die Gleichwertigkeit Pendlertätigkeiten in Kauf nehmen. Ferner bietet die der Lebensverhältnisse dar. Digitalisierung eine bislang noch zu wenig genutzte Chance zur wirtschaftlichen Entwicklung ländlicher Die Digitalisierung ländlicher Räume ist für Bevöl- Räume als Standorte insbesondere für kleine und kerung und Unternehmen eine der zentralen Vor- mittlere Betriebe im Dienstleistungsbereich (z. B. aussetzungen für eine zukunftsfähige Entwicklung Kreativbranche, Dienstleistungsbranche – Unterneh- und birgt weitreichende Chancen für eine innovative mensberatungen, Architektur- und Ingenieurbüros, Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge. öffentliche Verwaltungen usw.). Gerade angesichts der wachsenden Arbeitsmobi- lität der Bevölkerung (Trennung von Arbeits- und These 6: Wohnstandorten) entsteht durch die Digitalisierung Die Dimensionen von (Mega-)Trends und deren für ländliche Räume ein erhebliches Entwicklungs- Relevanz für ländliche Räume und deren Akteure potential. Zum einen ist hierdurch eine Reduzierung bedürfen verstärkt der Diskussion. des Pendleraufkommens denkbar (home offices), zum anderen ist bereits heute beobachtbar, dass Die Bedeutung und die Relevanz von (Mega-)Trends gerade junge, hochqualifizierte Bevölkerungsgrup- für die Schaffung und Sicherung gleichwertiger pen die günstigen Wohnbedingungen (Kosten und Lebensverhältnisse befinden sich erst am Anfang Gleichwertige Lebensverhältnisse – Grundlagen für Heimatstrategien 11
der Diskussion. Globalisierung der Märkte und damit Bereich der Daseinsvorsorge in ländlichen Räumen verbunden globale Kaufkraftverschiebungen mit er- und in Metropolen gleichermaßen. Von Bedeutung heblichen Konsequenzen für die Standorte konsum- ist dabei die Raumrelevanz der veränderten Verhal- güterorientierter Schlüsselindustrien (z. B. Automo- tensweisen verschiedener Bevölkerungsgruppen. bilbranche), Metropolisierung, Digitalisierung, hohe demographische Dynamik, strukturelle Veränderun- These 8: gen in der Mobilität, verändertes Verbraucherverhal- Die Standortvorteile und Attraktivitätspotentiale ten (Onlineshopping, E-Health, Teilen statt Besitzen), für Bevölkerung und Unternehmen bedürfen eines geänderte Ansprüche von Bevölkerungsgruppen verstärkten Regionalmarketings. an gesellschaftlicher Teilhabe und Mitbestimmung (Engagement im bürgerschaftlichen Bereich), Das Instrument „Regionalmarketing“ bedarf eines Veränderungen in der Arbeitswelt, Akzeptanz von verstärkten Einsatzes, um die Potentiale, Standort- Infrastrukturgroßprojekten und hohe Investitions- und Entwicklungspotentiale ländlicher Räume (als bedarfe im Bereich der (kommunalen) Infrastruktur Heimat) transparent zu machen und breiten Ziel- ziehen gerade in ländlichen Räumen weitreichende gruppen sowohl in der Bevölkerung als auch gegen- raumbezogene Handlungsfelder nach sich. Vor allem über Unternehmen, insbesondere in Verdichtungs- bedarf es – beispielsweise auch durch das Diskussi- räumen und Metropolregionen, zu verdeutlichen. Die onsforum Raumentwicklung – der Information und Entlastung von Metropolregionen, insbesondere im damit Sensibilisierung regionaler und kommunaler Bereich Wohnen und Mobilität/Verkehr, zugunsten Entscheidungsträger. von ländlichen Räumen kann einen wesentlichen Beitrag zu einer neuen Wertigkeit und Wertschöp- These 7: fung in ländlichen Räumen und damit zur Schaffung Neue Verhaltensmuster der Bevölkerung erfordern von gleichwertigen Lebensverhältnissen leisten. eine Überprüfung von Angebot und Nachfrage in Voraussetzung hierfür ist die Analyse von Bleibe- und verschiedenen Bereichen. Haltefaktoren sowohl in ländlichen Räumen als auch in Metropolregionen, wobei es hierzu einer regional Bei einer Reihe von Bevölkerungsgruppen zeichnen differenzierten Betrachtung bedarf. sich derzeit neue Verhaltensweisen und -muster ab, die differenziert nach einzelnen Strukturbereichen These 9: sowohl neue Mobilitätsmuster nach sich ziehen, Die Handlungsansätze der Raumordnung auf der zum anderen jedoch auch von großen Persistenzen Ebene des Bundes und der Länder bedürfen einer geprägt sind. So zeigt sich in manchen Strukturberei- regionalen und kommunalen Individualisierung in chen, beispielsweise bei der Versorgung mit Gütern Gestalt von „passgenauem“ Instrumenteneinsatz. des nicht-täglichen Bedarfs oder auch bei speziellen Gütern des täglichen Bedarfs (z. B. regionale Produk- Das Instrumentarium der Raumordnung, Landes- te, ökologisch angebaute Lebensmittel) eine hohe und Regionalplanung sowie Regionalentwicklung Mobilität, die sich in großen Einkaufsreichweiten bedarf im Hinblick auf die Gleichwertigkeit von Le- niederschlägt. Hingegen lassen sich trotz enger und bensverhältnissen einer Erweiterung: so kann – auch hochpreisiger Immobilienmärkte Wohnmobilitä- als „Antwort“ auf die Ausweisung von Metropolregi- ten über die Grenzen der Metropolregionen hinaus onen – die Ausweisung eines Netzes von Regiopolen in ländliche Räume nicht oder nur sehr vereinzelt mit Anker- und Haltefunktionen für Bevölkerungs- erkennen. Sowohl durch die steigende Zahl der gruppen und als Innovationspole für Unternehmen Senioren als auch durch verändertes Konsumenten- geprüft werden, ohne das bewährte Prinzip der verhalten, die veränderte Wahrnehmung von Alltags- Zentralen Orte zu relativieren. Ferner erscheint es im räumen und verändertes Mobilitätsverhalten bedarf Hinblick auf die Daseinsvorsorge sinnvoll, das Prinzip es einer Überprüfung von Angebotsstrukturen im „Managing Diversity“, also flexible Einrichtungen und 12 MORO Informationen • Nr. 14/6 • 2019
Dienstleistungen der Daseinsvorsorge einzuführen gungen betrifft in diesem Zusammenhang allerdings (statt technokratischer Mindeststandards). Als Ins- auch die Metropolregionen, deren hohe wirtschaft- trument noch ausbaufähig ist die Dezentralisierung liche Dynamik zu Überhitzungsprozessen führt, die öffentlicher Einrichtungen auf der Ebene des insbesondere im sozialen Bereich Disbalancen und Bundes und der Länder; gerade die damit verbun- soziale Ungleichgewichte nach sich ziehen. Zu prüfen denen strukturpolitischen Wirkungen leisten einen ist dabei die Ausweisung eines Programms auf der nicht hoch genug einzuschätzenden Beitrag zur Ebene der Bundesraumordnung, das den Aufbau von Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse, da regionalen Entwicklungs- und Managementagentu- alle Bereiche durch Dezentralisierungsmaßnahmen ren zum Ziel hat. Die Erfolge in einer Vielzahl länd- positive Wirkungen und Vorteile erfahren (Immo- licher Räumen in Bayern zeigen, dass es mit einer bilienmarkt, Arbeitsmarkt, Einzelhandel usw.). Der solchen querschnittsorientierten raumplanerischen Neugründung bzw. Zweigstellen-Gründung von Maßnahme gelingen kann, einen Beitrag zur Gleich- Hochschulen, wie dies in Rheinland-Pfalz und Bayern wertigkeit der Lebensverhältnisse zu leisten. Ziel erfolgt, trägt wesentlich zur Aufwertung ländlicher eines solchen Programms ist es auch, die Potentiale Räume und zur Schaffung gleichwertiger Lebensbe- und Chancen der ländlichen Räume darzustellen, um dingungen bei. Mittel- und langfristig erscheint es in gerade im Bereich des Wohnens und der Mobilität zu einigen Bundesländern geboten, über neue kommu- einer Entlastung der Metropolregionen beizutragen. nale und regionale Gebietszuschnitte nachzudenken, da bereits heute die meisten Entwicklungen und Standortentscheidungen im kommunal-regionalen Umfeld ablaufen. These 10: Die Heimatstrategien des Bundes und der Länder sind für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse Orientierungs- und Handlungsrahmen zugleich und bedürfen der Konkretisierung durch Projekte und der Finanzierung über ein Regional- und Demogra- phiemanagement-Programm des Bundes. Vor den skizzierten neuen Herausforderungen geht es schwerpunktmäßig um die Frage, welche „Stellschrauben“ Einfluss auf die Entwicklungsdy- namik einer Region nehmen. Regionen und Räume bedürfen dahingehend der Unterstützung, dass sie innerhalb eines Landes annähernd vergleichbare Startchancen erfahren und damit Entwicklungsdyna- miken entfalten können. Es geht damit um die Frage, welche Maßnahmen und Strategien geeignet sind, um eine gleichwertige Entwicklungsdynamik von Regionen und Teilräumen in ländlichen Räumen und Verdichtungsräumen zu gewährleisten. Ziel ist es, möglichst konkrete Handlungsansätze und -strategi- en zu erarbeiten, die bisherige „Slow-Regions“ in die Lage versetzen, eine höhere Entwicklungsdynamik zu erreichen. Die Gleichwertigkeit der Lebensbedin- Gleichwertige Lebensverhältnisse – Grundlagen für Heimatstrategien 13
Strategien zur Entwicklung ländlicher Räume aus der Sicht der Region Oberfranken Gabriele Hohenner Hauptgeschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer Oberfranken-Bayreuth Oberfranken, einer von sieben bayerischen Re- sellschaftlichen Kräften der Region flankiert oder gierungsbezirken, hat jahrzehntelang unter der gar initiiert worden sind. Als Grund für die positive deutschen und europäischen Teilung gelitten. Ein Entwicklung des Standorts Oberfrankens vor allem zusätzlicher Strukturwandel in der Textil- und Kera- in den letzten Jahren führt die IHK für Oberfranken mikindustrie hat dafür gesorgt, dass Oberfranken in Bayreuth folgende Thesen an: Bayern überproportional von Abwanderung betrof- fen war und hinsichtlich der wichtigsten wirtschaft- 1. Die Landesregierung hat die grundsätzliche lichen Kennzahlen Aufholbedarf zum bayerischen Notwendigkeit zur Stärkung der ländlichen Räume Durchschnitt bestand. erkannt und diese strategisch gefördert! Seit etwa 2002 hat sich die Situation umgreifend Die Bayerische Staatsregierung hat im Jahr 2014 eine gewandelt, die Kennzahlen haben sich deutlich „Heimatstrategie“ beschlossen, die als nachhaltige verbessert. Grund dafür waren aktive, koordinierte Struktur- und Innovationspolitik angelegt wurde. In strukturpolitische Maßnahmen der Bayerischen fünf Themenfeldern wurden konkrete Maßnahmen Staatsregierung, die von allen wesentlichen ge- beschlossen und umgesetzt: Strukturentwicklung in Abbildung 4: Gabriele Hohenner (Foto: a.k.m. GmbH & Co. KG) 14 MORO Informationen • Nr. 14/6 • 2019
ganz Bayern (Erweiterung des Raumes mit beson- voraus, dass ein gemeinsames und abgestimmtes derem Handlungsbedarf), Umsetzung der „Nord- Auftreten gegenüber der Landespolitik mehr Erfolg bayern-Initiative“ (600 Mio. Euro wurden in den drei verspricht als Alleingänge. fränkischen Regierungsbezirken und der nördlichen Oberpfalz in rund 60 Maßnahmen zur Stärkung von 4. Die Projekte müssen konkret, realistisch und Wissenschaft und Wirtschaft investiert), Behörden- umsetzbar sein! verlagerung (umfangreiche Verlagerung von Landes- behörden aus dem Ballungsraum München in die Am Beispiel Oberfranken lässt sich aufzeigen, dass ländlichen Regionen), „Digitale Revolution“ (massiver Projekte immer dann eine hohe Realisierungswahr- Ausbau der Breitbandinfrastruktur über ein eigenes scheinlichkeit haben, wenn sie mit Augenmaß entwi- Landesprogramm) sowie Kommunaler Finanzaus- ckelt wurden, einen realistischen Finanzierungsan- gleich (Weiterentwicklung des Finanzausgleichs u. satz haben und schnell umsetzbar sind. a. mit Erhöhung der Stabilisierungshilfen für finanz- schwache Kommunen). Zur Abstimmungsaufgabe der Region gehört es daher auch, unrealistische Forderungen frühzeitig 2. Für eine erfolgreiche Entwicklung ländlicher einzufangen. Dazu empfiehlt sich ein ständiger Aus- Räume ist ein gemeinsames, arbeitsteiliges Vorge- tausch nicht nur mit der Landespolitik, sondern auch hen von regionalen Akteuren und Landesregierung mit der Ministerialverwaltung, von der die Projekte notwendig! schließlich umgesetzt werden müssen. Projektvor- schläge müssen so formuliert sein, dass sie politisch Die Entwicklung der ländlichen Region Oberfranken durchsetzbar und zugleich praktisch durchführbar erfolgte nicht „top-down“, sondern „bottom-up“. Die sind. regionalen Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kommunalpolitik haben in einer abgestimmten Akti- 5. Wirtschaftskammern können hierbei einen on die Stärken der Region sowie die Alleinstellungs- wichtigen Netzwerkknoten bilden, die regionalen merkmale herausgearbeitet und so Ansatzpunkte Akteure einbinden und Interessen bündeln! für eine mögliche staatliche Unterstützung definiert. Für unterschiedliche Handlungsfelder wurden so Die regional aufgestellten Wirtschaftskammern konkrete Empfehlungen an die Staats- sowie die können bei der Entwicklung von Strategiepapie- Bundesregierung erstellt und gemeinsam vorgetra- ren und konkreten Handlungsempfehlungen eine gen. Die Region hat „mit einer Stimme“ gesprochen, wichtige Rolle als Netzwerkknoten spielen. Sie sind eine Kirchturmpolitik wurde vermieden. Vertretung der regionalen Wirtschaft und wirken über kommunale Grenzen hinweg. Sie pflegen in der 3. Die regionalen Akteure müssen die Strategie der Regel gute Kontakte zu Wissenschaft, Kommunalpo- Landesregierung in konkrete Projekte übersetzen litik und Verwaltung und können so eine anerkannt und die konzeptionelle Vorarbeit leisten! neutrale Position einnehmen. Die Themen Innovati- on und Standortentwicklung sind zudem Kernaufga- Um konkrete Handlungsempfehlungen bieten zu ben der Kammern, für die auch Personalressourcen können, muss von den regionalen Akteuren aus Wirt- vorgehalten werden. Derartige Personalressourcen schaft, Wissenschaft und Kommunalpolitik inhaltli- braucht es schließlich, um Konzepte zu erarbeiten che und konzeptionelle Vorarbeit geleistet werden. und deren Abstimmung zu koordinieren. Ein pauschaler Hilferuf an die Staatsregierung reicht nicht aus, vielmehr müssen möglichst detailliert aus- gearbeitete Vorschläge vorgelegt werden, die nach Möglichkeit bereits in der Region abgestimmt sind. Das setzt die Erkenntnis der Akteure in der Region Gleichwertige Lebensverhältnisse – Grundlagen für Heimatstrategien 15
Erste Diskussionsrunde In der ersten Diskussionsrunde werden die der • Ein positives Bild der eigenen Region nach innen Tagung zu Grunde liegenden Thesen ebenso wie die und nach außen zu tragen fördert in vielen ersten beiden fachlichen Beiträge intensiv diskutiert. Dimensionen (bei der regionseigenen sowie der Im Beitrag von Gabriele Hohenner sind insbesondere -externen Bevölkerung, bei Unternehmen) die die Thesen zwei, acht und zehn in ihrer praktischen Wertigkeit ländlicher Räume und kann damit Umsetzung und Relevanz für eine aktive und ermög- auch einen Beitrag zur Herstellung gleichwerti- lichende Entwicklung ländlicher Räume deutlich ger Lebensbedingungen leisten. geworden, was sich auch in den Diskussionsbeiträ- • In Bayern zeigt sich, wie „Heimatstrategien“ kon- gen widerspiegelt: kret ausgestaltet und umgesetzt werden können und insbesondere über eine Dezentralisierung • Eine individualisierende Betrachtung ländlicher von (öffentlichen) Einrichtungen aber auch durch Räume ist notwendig. Die Chance integrierter die Gründung dezentraler (Weiter-)Bildungsein- Konzepte und Handlungsansätze konnte in der richtungen, Akademien oder Hochschulen einen Region Oberfranken zu einer positiven Regio- wesentlichen Beitrag zu gleichwertigen Lebens- nalentwicklung beitragen, wobei unterschiedli- bedingungen leisten kann. che Akteure ebenso wie verschiedene Themen integriert wurden. Abbildung 5: Diskussionsrunde mit Gabriele Hohenner und Gabi Troeger-Weiß (Foto: a.k.m. GmbH & Co. KG) 16 MORO Informationen • Nr. 14/6 • 2019
Auf die Frage, inwiefern die für Oberfranken vor- peripherer Räume sein kann, wurde in der Diskussion gestellten (erfolgreichen) Ansätze auch in anderen mehrfach betont. Darüber hinaus stellt sich die Regionen (weniger finanzkräftiger Bundesländer) Frage, inwiefern auch für Unternehmen Anreize funktionieren könnten und welche drei zentralen geboten werden können, in ländlichen Räumen zu Erfolgsfaktoren für die Entwicklung ländlicher Räu- investieren. Eine Möglichkeit wird dabei insbesonde- me gesehen werden, stellt Gabriele Hohenner in der re in der Unterstützung von Existenzgründungen in Diskussion heraus, dass der Pflege gesehen, die – neben den ökonomischen Effekten – in ländlichen Räumen auch im Hinblick • eine Vernetzung der regionalen Akteure von auf die zumeist intensiver ablaufenden demogra- Beginn an zentral ist, phischen Alterungsprozesse eine wichtige Strategie • es als erstes darum geht (gemeinsam) eine darstellen kann. Strategie zu entwickeln, zu diskutieren und vorzustellen, die realistisch und machbar ist Bei der Diskussion um die Gleichwertigkeit der (nicht zuerst nach einer finanziellen Förderung Lebensbedingungen stellt die Bereitstellung von zu fragen) sowie Einrichtungen und Dienstleistungen der Daseins- • immer die Frage zu stellen, wer was am besten vorsorge die wesentliche Grundlage dar, wie es im umsetzen kann und dabei auf die Herausforde- Beitrag von Gabi Troeger-Weiß in der ersten These rungen aber vor allem auch die Handlungsspiel- deutlich herausgestellt wurde. In der Diskussion räume aufmerksam zu machen. wurde hierbei nochmals betont, dass die soziale Di- mension der Daseinsvorsorge elementarer Bestand- Es wird von Seiten der Tagungsteilnehmer weiterhin teil unseres Zusammenlebens ist und hierbei auch die Frage aufgeworfen, ob es langfristig möglich sein – über die Koproduktion der Daseinsvorsorge durch wird, gleichwertige Lebensbedingungen aufgrund unterschiedliche Träger – die Leistungen von Bürgern der teilweise dynamisch ablaufenden Schrumpfungs- (u. a. Bürgerschaftliches Engagement) sowie weiteren prozesse ländlich-peripherer Räume aufrecht zu zivilgesellschaftlichen Gruppen in ihrem Stellenwert erhalten, oder hier ehrlicherweise auch die „Aufgabe“ und der Bedeutung betont werden müssen. oder ein umfassender Rückzug aus einzelnen Teil- räumen zu diskutieren ist. In diesem Kontext wurde in der Diskussion nochmals herausgestellt, dass Weitere Informationen insbesondere interkommunale Kooperationen weiter zu stärken und auszubauen sind, um eine Bündelung Raumordnungsbericht 2017 – Daseinsvorsorge sichern der Infrastrukturversorgung zu erreichen und Ent- Herausgeber: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und wicklungskerne im Raum zu schaffen, über die eine Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und längerfristige Versorgung der Umlandbevölkerung Raumordnung erfolgen kann. Die in den Thesen neun und zehn Sonderveröffentlichung genannten Inhalte für einen „passgenauen“ Instru- Bonn, Oktober 2018 menteneinsatz seitens der Raumordnung sowie der Möglichkeit zur Umsetzung von Heimatstrategien Kostenfreier Download: www.bbsr.bund.de stellen hierfür ebenso eine wesentliche Grundlage dar, wie die dort – genauso wie im Beitrag von Ga- Printversion kostenfrei zu beziehen bei: briele Hohenner – betonte Bedeutung kommunaler ref-1-1@bbr.bund.de | Stichwort: ROB 2017 Kooperationen zur Bündelung von Potenzialen sowie deren gemeinsamer Inwertsetzung. Das eine Dezentralisierung öffentlicher Institutio- nen ein bedeutender Ansatz zur Stärkung ländlich- Gleichwertige Lebensverhältnisse – Grundlagen für Heimatstrategien 17
Gibt es in Deutschland abgehängte Regionen? Dr. Christian A. Oberst Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. Im Beitrag wird diskutiert, inwiefern es Regionen in Methode & Vorgehensweise Deutschland gibt, die von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung abgehängt sind. Die deutsche Regional- Aufbauend auf einer klassischen Konvergenzana- politik unterstützt üblicherweise strukturschwache lyse betrachten wir in unserem Analyseansatz die Regionen, Schwerpunkt der letzten Jahrzehnte war Ausgangslage und die Entwicklung. Im Sinne des insbesondere Ostdeutschland. Für eine zukünftige Ziels gleichwertiger Lebensbedingungen überprü- Ausrichtung der Regionalpolitik ist zu klären, ob auch fen wir im ersten Schritt, ob Regionen sich bei den andere Regionen, etwa das Ruhrgebiet, als Förder- betrachteten regionalen Indikatoren angleichen schwerpunkt hinzugefügt werden sollten oder ob (Konvergenz) oder ob sie auseinanderdriften (Diver- ein allgemeiner Regionsschwerpunkt abgeschafft genz). Divergenz kann für den jeweiligen Indikator werden sollte. Dazu beschreiben wir ausgewählte potentiellen Handlungsbedarf für die Bundespolitik regionale Entwicklungen und diskutieren, welche Re- andeuten, während Konvergenz im Einklang ist mit gionen besonders belastet sind. Es geht uns weniger dem Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse. Zu be- um die Identifikation von möglichen Fördergebieten, achten ist, dass Divergenz weder eine hinreichende sondern vielmehr darum, in der Entwicklung beson- noch eine notwendige Bedingung für Regionalpolitik ders belastete Regionen in Deutschland zu finden, ist. Denn Divergenz kann gesellschaftlich gewünscht die analog zum „Rust-Belt“ in den USA als Narrativ sein durch die Nutzung von Lokalisations-, Urbani- für abgehängte Regionen dienen könnten. sations- und Komplexitätsvorteilen (vgl. Rusche und Oberst, 2010). Möglichen regionalpolitischen Handlungsbedarf sehen wir grundsätzlich bei Regionen, für die die Mehrzahl an Standortindikatoren auf niedrigem Niveau verharrt, also im Beobachtungszeitraum bei „Wir haben eine sehr heterogene Problemlage. unterdurchschnittlichen Ausgangsbedingungen Das heißt, wir brauchen regional differenzier- eine unterdurchschnittliche Entwicklung aufweist. te Ansätze. Wir müssen die Region stärken. Als abgehängte Regionen bezeichnen wir solche, Ein zentraler Ansatz ist die Entschuldung und bei denen die Mehrzahl der Standortindikatoren gleichzeitig die Sicherstellung, zukünftig Spar- auf unterdurchschnittlichem Niveau verharrt. Als anreize zu setzen.“ räumliche Bezugsebene nutzen wir die 96 Raumord- nungsregionen. Zwar gibt es innerhalb der Regionen Dr. Christian A. Oberst relevante Entwicklungsunterschiede. Wir argumen- tieren jedoch, dass diese lokalen Abkopplungen nach dem Subsidiaritätsprinzip in den Aufgabenbereich der Länder und Kommunen fallen und nicht in den Im zweiten Schritt identifizieren wir potenzielle des Bundes. Überdies gibt es zur Wahrung der Hand- Handlungsregionen für eine ortsbezogene Regio- lungsfähigkeit der Länder bereits das Instrument des nalpolitik. Das sind unserer Vorstellung nach Regi- Länderfinanzausgleichs. onen, die auf niedrigem Niveau verharren, also im Beobachtungszeitraum sowohl schlechte Ausgangs- bedingungen als auch eine unterdurchschnittliche 18 MORO Informationen • Nr. 14/6 • 2019
Entwicklung aufweisen. Für die Identifikation der Um den Handlungsbedarf zusammenzufassen, Handlungsregionen evaluieren wir die Regionen vergeben wir für jeden Indikator die folgenden anhand von drei Kriterien: a) unterdurchschnittliche Kriterienwerte: Primärer Handlungsbedarf 1 Punkt, Entwicklung (größer oder kleiner als der Median- sekundärer 0,5 Punkte, sowie gefährdet/Absteiger wert), unterdurchschnittliches Ausgangsniveau (60 0,25 Punkte. Die Kriterienwerte summieren wir bzw. 140 Prozent vom Median oder das 1,5fache jeweils für die vier Indikatoren je Bereich für jede der des Interquartilsabstandes), sowie c) unterdurch- 96 Regionen. Bei einem solchen Ranking ist es jedoch schnittliche relative Entwicklung (bei Konvergenz: wichtig, auf die zum Teil begrenzte Aussagekraft von starkes unterschreiten des Konvergenztrends bzw. einigen verwandten regionalwissenschaftlichen Indi- bei Divergenz: stark unterdurchschnittliches Niveau). katoren hinzuweisen (insb. regionales BIP, Arztdichte Wenn für einen Indikator die drei Kriterien zutreffen, etc.). Denn das vage Bild der Indikatoren, wie auch sprechen wir von primärem Handlungsbedarf, sind der Abgrenzung von Regionen (Stichwort Modifiable nur b) und c) erfüllt von sekundärem Handlungsbe- Areal Unit Problem) und die subjektive Gewichtung darf („wachsen nicht schnell genug“) und wenn nur der Faktoren, stehen häufig im starken Kontrast zur c) zutrifft von potenziell gefährdet bzw. Absteigerre- selbstverständlichen Nutzung in regionalpolitischen gionen. Dieses Bewertungsverfahren wenden wir auf Vergleichsstudien. alle 12 ausgewählte Indikatoren an (siehe Tabelle 1). Tabelle 1: Indikatorenset Dimension Bereich Indikator (Interpretation) Zeitraum Quelle Wirtschaft Arbeitlosenquote in % (-) 2011 - 2015 BA Produktivität in Euro (+) 2011 - 2015 VGR der Länder Kaufkraft in Euro (+) 2011 - 2015 GfK Private Überschuldung in % (-) 2011 - 2015 Creditreform Demographie Fertilitätsrate Kinder je Frau (+) 2011 - 2015 BBSR Lebenserwartung in Jahren (+) 2009/11 - 2013/15 Destatis Durchschnittsalter in Jahren (-) 2011 - 2016 Destatis Bevölkerung in Einwohner (+) 2011 - 2015 Destatis Infrastruktur Breitband in % der Haushalte (+) 2011 - 2017 TÜV Rheinland Arztdichte je 100.000 Einwohner 2011 - 2015 BBSR Steuereinnahmekraft sowie jeweils in Euro (+) 2011 - 2015 Destatis kommunale Verschuldung und (-) 2011 - 2016 Immobilienpreise in Euro je m² (+) 2011 - 2015 F+B (Standortattraktivität) Hinweis: Indikatorinterpretation in der Analyse, bei (+) Indikatoren sind hohe Werte erstrebenswert und niedrige Werte signalisieren Hand- lungsbedarf (z. B. Kaufkraft). Analog sind bei (-) Indikatoren niedrige Werte erstrebenswert und hohe Werte signalisieren Handlungsbedarf (z. B. Arbeitslosenquote). Quelle: Christian Oberst, 2018 Gleichwertige Lebensverhältnisse – Grundlagen für Heimatstrategien 19
Abbildung 6: Christian Oberst (Foto:a.k.m. GmbH & Co. KG) Ergebnisse Möglichen überregionalen Handlungsbedarf, an- bietsregion Dortmund schneidet besser ab (Indika- gezeigt durch divergierende Entwicklungen, die torwert 1). dem Ziel der gleichwertigen Lebensverhältnisse entgegenstehen, finden wir vor allem bei demogra- Deutliche Unterschiede bestehen jedoch bei der Be- phischen Entwicklungen sowie bei der Kommunalen gründung des Handlungsbedarfs. Im Ruhrgebiet ba- Verschuldung und der Immobilienpreisentwicklung. siert dieser vor allem auf die schlechte wirtschaftli- Im Gegensatz dazu lässt sich bei der Breitbandver- che Situation und demographische Probleme spielen sorgung für die regionale Ebene ein robuster und praktisch keine Rolle. Im Gegensatz dazu sind es bei starker Konvergenzprozess identifizieren. Jedoch den besonders stark zurückfallenden ostdeutschen deuten die Koeffizienten für Strukturvariablen an, ländlichen Regionen vor allem die demographischen dass teil-urbane und ländliche Regionen im Osten Faktoren, bei denen Handlungsbedarf besteht. Hier hinter der Entwicklung zurückbleiben. ist zusätzlich zu beachten, dass die demographische Entwicklung insbesondere Pro-Kopf-Indikatoren be- Bei der Gesamtbetrachtung regionsbezogener Prob- einflusst und beispielsweise ein Bevölkerungs- oder leme zeigt sich ein auffälliges regionales Muster: Un- Beschäftigtenrückgang kurzfristig die wirtschaftli- ter den Regionen mit hohem Handlungsbedarf (min. chen und infrastrukturellen Indikatoren „beschö- 1,5) sind zwei teil-urbane und drei urbane Regionen nigt“. Infrastrukturmängel treten dagegen sowohl bei und die übrigen neun sind ländlich geprägte Regio- Regionen mit starken wirtschaftlichen Problemen nen in Ostdeutschland. Die drei urbanen Regionen als auch bei Regionen, die demographisch den An- mit den höchsten Werten für Wachstumsschwäche schluss verloren haben, auf. liegen alle im Ruhrgebiet, lediglich die vierte Ruhrge- 20 MORO Informationen • Nr. 14/6 • 2019
Zusammenfassung Literatur Die Ergebnisse zeigen, dass nicht eine einheitliche Oberst, Christian; Kempermann, Hanno; Schrö- Gruppe von Handlungsregionen identifiziert werden der Christoph (2019): Räumliche Entwicklung in kann, sondern dass die Regionalpolitik fallbezogene Deutschland. In Institut der deutschen Wirtschaft Antworten für vielschichtige Probleme finden muss. (Hrsg.). „derzeit noch ohne Titel“, IW Studien (bevor- Im Ruhrgebiet geht es weiterhin darum, für eine re- stehende Veröffentlichung). lative hohe Anzahl an Arbeitslosen den Anschluss an den Arbeitsmarkt zu ermöglichen, in Ostdeutschland Rusche, Karsten; Oberst, Christian (2010): Euro- müssen vor allem Antworten auf die Alterung und päische Metropolregionen in Deutschland – Eine Schrumpfung der Gesellschaft gefunden werden. regionalökonomische Evaluation. Raumforschung Hinsichtlich der infrastrukturellen Entwicklung müs- und Raumordnung (64) 4, S. 243-254. sen insbesondere die ländlichen Regionen aufholen. Bei der wirtschaftlichen Entwicklung kann im Un- tersuchungszeitraum für keine Region nach unserer Definition primärer Handlungsbedarf festgestellt werden. Am unteren Rand des Rankings finden sich sowohl ostdeutsche Regionen als auch Teile des Ruhrgebiets. In Verbindung mit einer über- durchschnittlichen Entwicklung lässt sich jedoch aus dem unterdurchschnittlichen Niveau noch kein allgemeiner Handlungsbedarf ableiten. Zwar liegen auch ostdeutsche Regionen nach wie vor auf unter- durchschnittlichem Niveau, doch die Entwicklungs- dynamik zeigt in die richtige Richtung. Eindeutiger Handlungsbedarf besteht in Ostdeutschland jedoch bei der demographischen Entwicklung. Die Analyse der Infrastruktur zeigt im Osten deutlichen Hand- lungsbedarf bei der Breitbandversorgung an, wäh- rend im Westen die größten Schwierigkeiten beim kommunalen Gestaltungsspielraum liegen. Bei der Analyse ist jedoch zu beachten, dass die Regionen mit identifiziertem Handlungsbedarf zum Teil seit Jahrzehnten gefördert werden. Allein dies ist ein Signal über neue Wege in der Regionalpolitik nachzudenken. Aus den heterogenen Problemlagen lässt sich ableiten, dass von der Politik kein Gieß- kannenansatz gefordert ist, sondern es vielmehr problembezogener politischer Instrumente und der Stärkung der regionalen Handlungsfähigkeit (Land, Regionalverbände, Kommunen) bedarf. Die ausführ- licheren Ergebnisse werden in 2019 als Beitrag in einer IW Studie veröffentlicht (Oberst, Kempermann, Schröder, 2019). Gleichwertige Lebensverhältnisse – Grundlagen für Heimatstrategien 21
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